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Upton Sinclair - Am Fliessband (1948)
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Nun waren wieder glückliche Zeiten ausgebrochen. Die amerikanische Industrie, die sich Henry Fords Politik der Massenproduktion und der niedrigen Preise zu eigen gemacht hatte, ermöglichte es jedermann, von allen Reichtümern seinen Teil zu erwerben. Zeitungen, Volkswirtschaftler und Staatsleute stimmten darin überein, dass der amerikanische Erfindungsgeist das uralte Problem der Armut aus der Welt geschafft habe. Niemals wieder konnte es eine Depression geben! Dies war das Zeitalter des >neuen Kapitalismus<.
Henry hatte einen unerschöpflichen Markt für seine Wagen. Er beschäftigte über zweihunderttausend Leute und zahlte jährlich eine Viertelmilliarde Dollar an Löhnen. Im gehörten 53 verschiedene Industrieunternehmen; man konnte sie nach dem Alphabet aufzählen, mit Aluminium beginnen und mit Wasserkraft aufhören. Er kaufte eine zusammengebrochene Eisenbahngesellschaft und machte sie rentabel; er kaufte Kohlengruben und verdreifachte ihre Erzeugung; er entwickelte neue Verfahren -sogar der Rauch, der früher aus den Schornsteinen qualmte, wurde jetzt in Autoteile verwandelt.
Die Familie Shutt war ein Teil seines großen Reiches. Auch sie kam voran. An fünf Tagen in der Woche, mochte es regnen oder die Sonne scheinen, fuhr Abners >Karre< nach Highland Park hinaus. Er hatte jetzt einen besseren Wagen. Der Preis war auf 300 Dollar gefallen, und jeder Mann, der Arbeit hatte, konnte ihn auf Monatsraten kaufen. Johnny hatte seinen eigenen brandneuen Ford. So waren die Shutts nun eine Familie mit zwei Autos - ein großer Schritt voran war das, wenigstens behauptete das Mr. Ford.
Johnny, immer ernsthaft und fleißig, hatte die Schule beendet und arbeitete jetzt als Schweißer. Das war gelernte Arbeit, die ihm sieben Dollar fünfzig pro Tag einbrachte. Nach knapp einem Jahr war er Vormann und erhielt neun Dollar fünfzig. Es machte sich schon bezahlt, wenn man etwas gelernt hatte.
So seltsam und unerwartet es scheinen mochte, auch der zweite Sohn Hank hatte sein >Einkommen<. Hank hatte zwar keinen Titel und prahlte nicht mit seinem Beruf, außer vor ein paar Vertrauten. Aber er verdiente die >Butter aufs Brot<, wie er es nannte, oder sein >Schmalz<. Wenn er ausging, trug er seidene Hemden und Kragen, messerscharfe Bügelfalten in den Hosen, glänzende neue Schuhe und gab sich erfolgreich und unbekümmert. Oft kam er heim und steckte seiner Mutter einen Schein zu, sagte ihr, sie solle sich etwas dafür kaufen, um sich das Leben leichter zu machen. Er gab seinem alten Großvater ein paar Dollar, damit er immer Tabak hatte. Er war ein goldener Junge.
Hank sagte, er arbeite für die beste Gesellschaft von Detroit. Für all jene, deren Namen in den Parlamentsprotokollen standen und deren Bilder man in den Gesellschaftsrubriken der Zeitungen fand. Gleich nach dem Krieg hatte Amerika für die Prohibition gestimmt; aber die besagte beste Gesellschaft war etwas freier und umging das unbequeme Gesetz. Ganz nahe bei Detroit, auf der anderen Seite des Flusses, lag ja ein freies Land, das mit kanadischem Whisky, westindischem Rum und französischen Weinen bestens versehen war. Es war ein einträgliches Geschäft, diese Artikel über den Fluss zu schmuggeln, und die Arbeit, sie ins Land zu bringen und vor Tagesanbruch zu verstecken, verlangte wendige junge Männer, die mit einem Wagen umgehen konnten, im Notfall auch einmal mit einer Maschinenpistole oder einem Stutzen.
Wie weit war das von der Kirche der >Wahren Gläubigen< und ihren strengen Vorschriften der Abstinenz entfernt! Je weniger Abner von den Geschäften seines Sohnes erfuhr, um so besser für ihn. Hank arbeitete, während Abner den Schlaf eines Fließbandarbeiters schlief - und die hatten einen tiefen Schlaf. Schwester Daisy war die einzige aus der Familie, die von Hanks Geschäften wusste. Sie hielt zu ihm, gab ihm gute Ratschläge und versuchte ihn aus den schlimmsten Geschichten herauszuhalten. Das war eine sonderbare Situation: Daisy war doch ein Mädchen, das auf rechten Wegen wandelte und ein frommes Mitglied ihrer Kirche war, dennoch kannte sie Geheimnisse aus der Detroiter Unterwelt.
Eine scheußliche Welt! Es konnte einem schon einen Schreck einjagen, wenn man nur davon hörte. Alles war von oben bis unten verdorben, nach Hanks Reden. Die Polizei war bestochen, das politische Spiel reiner Schacher; hatte man Geld genug, konnte man alles und jeden kaufen. Und Hank wollte dabei auch >seinen Schnitt< machen. Aber es war eine fragwürdige Art von Erfolg, seine Schwester hatte Mitleid mit ihm. Auf einem Auge schielte er, gab ihm das ein Gefühl der Minderwertigkeit? Hatte das ihn in die Opposition getrieben? Wie dem auch sein mochte, Daisy liebte dieses schwarze Schaf von einem Bruder nun einmal. Sie lauschte seinen Prahlereien und bewahrte sie in ihrem Herzen.
Daisy hatte eine Zeitlang in einem Kaufhaus mit Einheitspreisen gearbeitet und ihr Geld gespart. Jetzt lernte sie auf einer höheren Handelsschule die Dinge, die eine Sekretärin können muss. Aber keine Schule hatte sie Eleganz lehren müssen; wozu seidene Strümpfe, Lippenstift, Rouge und Dauerwelle gut waren, das erfasste sie von selbst. Die Natur hatte ihr eine zarte Schönheit geschenkt und dazu den Trieb, sie einzusetzen. Ihr Blick war auf höhere Regionen gerichtet, dorthin, wo in wunderbaren und eleganten Büros eine Stenotypistin die Bekanntschaft leitender Angestellter machte, die nur weiße Hemden bei der Arbeit trugen. Die Shutts hatten keineswegs den Wunsch, der Arbeiterklasse erhalten zu bleiben, sie hätten die harte und schweißige Arbeit dieser Welt gern jenen überlassen, die sie >Hungerleider< und >arme Teufel< nannten.
Tommy, der Jüngste, war auf der höheren Schule, und auch er fand eine Leiter, die nach oben führte. Er war ein schneller Läufer und hatte ein flinkes Auge. Er bewährte sich in einer Football-Mannschaft und entdeckte, dass es Förderer gab, die am Sieg der Mannschaft interessiert waren und Geld für Sweater und Reisekosten stifteten. So konnten Söhne armer Eltern sportlich Karriere machen.
Später kam ein >Kundschafter< von der Mannschaft des Ann Arbor Michigan Colleges. Dort wurde Talent noch weit besser bezahlt. Zwar musste alles unter der Hand geschehen, um keinen Preis durfte College-Football zum Profi-Sport werden. Aber wenn Tommy Shutt nach Ann Arbor kommen wollte, wenn er mit der Highschool fertig war, so würden gute Freunde schon dafür sorgen, dass er eine Arbeit bekam, die ihm ein angenehmes Leben gestattete und nicht mehr als drei Stunden seiner kostbaren Trainingszeit beanspruchte. Abner kam von seinem Achtstundentag nach Hause. Er hatte den ganzen Tag Splinte eingesteckt und aufgebogen und hörte sich nun das verrückte Gerede seines Sohnes an. Der wollte aufs College! Als er aber Näheres über dieses Angebot hörte, wurde ihm wieder einmal klar, dass Amerika doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war.

Henry Ford war jetzt nahe an seinem Ziel, zwei Millionen Wagen pro Jahr herzustellen. Er brachte die Kohle aus seinen Gruben in West-Virginia mit eigenen Eisenbahnen heran, er holte die Erze aus seinen Gruben in Michigan auf eigenen Schiffen und zeigte der Welt ein Wunderwerk der Industrie. All die Prozesse der Umwandlung des Erzes in Stahl, das Zerschneiden, die Umformung in Autoteile durch eine Hundert-Tonnen-Druckstanze und endlich die Zusammensetzung von fünftausend Teilen zu einem Automobil, das mit eigener Kraft vom Fließband fuhr -alle diese Prozesse dauerten nur etwa 36 Stunden, von dem Augenblick an gerechnet, da das Erz in River Rouge ausgeladen wurde.
Jetzt liefen etwa 45 000 Maschinen und stellten Fordwagen her. In sechzig verschiedenen Werken waren sie über die Vereinigten Staaten verteilt. Die Einzelteile wurden auf Fords Schiffen zu den Montagewerken in 28 ausländischen Staaten gebracht. Ob das Ford-Modell T in Yokohama, Köln oder in Buenos Aires zusammengesetzt wurde, stets waren seine Teile gleich, und man konnte sie auswechseln. Wo auch immer man damit fuhr, auf den Pässen des Himalaja oder im Dschungel des Chaco, überall fand man jemanden, der die Instandsetzung und Reparatur des Wagens gelernt hatte. Henry ließ die Landstraßen Amerikas zu neuem Leben erwachen. Er würde schließlich auch die Landstraßen der ganzen Welt wieder beleben. Mit Tankstellen und Würstchenbuden nach amerikanischem Muster wollte er sie ausstatten.
Die Leute werden reisen und sich verstehen lernen, bessere Produkte sehen, und das Verlangen danach wird in ihnen geweckt werden. Schließlich werden sie vernünftig werden und auch vernünftig denken. Das war Henrys Plan gewesen, und manchmal glaubte er noch, dass er ihm gelänge, aber mit den Jahren packte ihn immer häufiger der Zweifel. Er verlor seinen blinden Optimismus, wurde argwöhnisch und bitter. Es gab zu viele Dinge auf dieser Welt, die nicht nach seinem Geschmack waren.
Er schrieb nun selbst Bücher, die voll guter Ratschläge und Richtlinien für die Menschheit waren. Aber es nutzte nichts. Der >schmutzige Orientalismus<, breitete sich immer weiter aus. Die Mädchen trugen noch kurze Röcke, die Leute lauschten noch dem Jazz und tanzten danach. Ja, sie begannen sogar, den Ford Modell T zu
kritisieren! Sie sagten, ihm fehle Schönheit und Grazie. Auch die Farben fehlten, da es ja bis jetzt nur schwarze Wagen gab. Wie konnte man das Land vor all diesen Übeln retten? Henry beriet sich mit seiner Frau, einer würdigen Dame, die ein vornehmes Haus führte und sich mit Wohltätigkeit beschäftigte, wie es die Satzungen der episkopalen Kirche verlangten. Er beriet es mit Edison und noch anderen Freunden. Er glaubte den Mangel Amerikas gefunden zu haben: Es musste zu seiner Vergangenheit zurückkehren. Es musste wieder schätzen lernen, was seine Vorväter geleistet hatten. Henry war jetzt über sechzig Jahre alt, und wenn er an seine Kindheit dachte, so erschien sie ihm wie eine Zeit des Friedens und der guten Kameradschaft unter den Menschen. Sein Herz sehnte sich danach zurück.
Er richtete ein riesiges Museum für das alte Amerika ein. Er kaufte im ganzen Lande Altertümer: das Schulhaus, in das Marias kleines Lamm ihr gefolgt war; die Dorfschmiede, über die Longfellow sein Gedicht gemacht hatte. Er baute ganze Dörfer in altem Stil wieder auf. Er ließ Ruinen nach Dearborn bringen, ließ sie wieder aufbauen und stopfte sie mit Altertümern voll. Er stöberte Postkutschen, Planwagen und Kaleschen, alte Lokomotiven und Autos auf. Auch der erste Ford war nicht vergessen. Jede Woche kaufte er irgend etwas Neues. Eine Brücke, die hundert Jahre alt war, eine Sägemühle, in England eine Hütte aus dem vierzehnten Jahrhundert, eine alte Begräbnisausstattung, einen dreibeinigen Ofen, achtzehn Kutschen, die Hütte, in der einmal Charles P. Steinmetz gewohnt hatte. Er belebte dadurch einen Handel, der Duncan-Pfyfe-Stühle suchte, Spinnräder, Krüge und Trinkgefäße, Wachskerzen, Talglampen, Familienalben, Reifröcke - kurz, allen Plunder, den man auf Dachböden und in alten Truhen nur fand. Es musste nur alt genug sein, damit es als >antik< gelten konnte »Kramt all den Plunder hervor, lasst den Staub nur darauf, und schreibt an Henry Ford. Er wird dann einen Fachmann schicken, um es zu prüfen, zu kaufen und nach Dearborn zu bringen.«
Henry Ford sorgte dadurch mehr als irgendein anderer Zeitgenosse dafür, dass dieses alte Amerika entwurzelt und zerstört wurde. Er wollte in seine Kindheit zurückkehren und weckte in Millionen anderen Menschen das gleiche Verlangen. Vornehme Damen und Herren fuhren jetzt mit ihren teuren Limousinen auf Wildpfaden in abgelegene Gebirgsgegenden. Sie suchten nach alten Bauernhäusern, die noch einen offenen Herd, Hängekessel, Kürbisflaschen und solche Dinge hatten. Sie kauften diese Schätze, brachten sie nach Hause und stellten sie in ihre Wohnungen neben der modernen Hausbar und dem elektrisch gekühlten Coktailschrank auf.
Jedermann sollte meinen, das sei eine ruhige und harmlose Beschäftigung für einen großen Mann, um sich im Alter die Zeit zu vertreiben, und eine schöne Liebhaberei, um in seiner zweiten Kindheit damit zu spielen. Aber der Ärger ließ ihn auch hier nicht in Frieden. Nirgendwo konnte er ihm entfliehen.
Ein wendiger Geschäftsmann überredete Henry zum Ankauf einer weißen Hütte, die das >Geburtshaus von Stephan G. Foster< sein sollte, dem Dichter von >Way Down Upon the Suwanee River< und anderer amerikanischer Volkslieder. Der Kauf war vollzogen, und man hatte einen Riesenlärm darum gemacht. Aber nun erschienen eine Nichte und ein Neffe des Komponisten und erklärten, die bewusste Hütte sei nicht das Geburtshaus. Und schon war der Auto-König in einen neuen Krieg verwickelt, der starrsinnigste aller Männer. Es war ihm unerträglich, einen Fehler einzugestehen. Er machte sich sogar die Mühe, die alte verkalkte Tochter des Komponisten zu besuchen. Nach Wochen der Beeinflussung, der Schmeichelei und Suggestion überredeten seine Beauftragten sie zur Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung.
Der Krieg wurde sogar unter den Höflingen des Autokönigs geführt. Sie versuchten jetzt, sich gegenseitig von seiner königlichen Gegenwart auszuschließen. Sie intrigierten, fälschten Interviews, ja sie setzten sogar einen bestochenen Sachverständigen in das Büro des Urkundenarchivars jenes Landbezirks. Henry hatte seinen Ankauf über den Rundfunk bekannt gemacht und erklärte: »Nein, keine Reproduktion, es ist natürlich die kleine weiße Hütte, in der Stephan G. Foster geboren wurde.« Er ließ seinen Katalog ändern, und Nummer 35 war von nun an Stephan G. Fosters Haus, obgleich in Wahrheit weder Foster noch irgendein Mitglied der Familie jemals in dem Haus gelebt hatte. Man hatte sogar ein großes Dachfenster herausnehmen müssen, damit es wie das wirkliche Fosterhaus aussah, das längst abgerissen war.

Henry erklärte jetzt dem scheußlichen Tanzstil neuerer Zeit den Krieg. Auch das gehörte zu seinem Kreuzzug gegen das neue Amerika. Diese schreckliche Art zu tanzen hatten die internationalen Juden und Bolschewisten das amerikanische Volk gelehrt, um es zu zersetzen, so behauptete Henry. Er liebte die einfachen fröhlichen Volkstänze, die man in seiner Jugend auf dem Lande getanzt hatte. In Neu-England fand er einen Tanzlehrer, der diese fast schon vergessene Kunst kultivierte. Er holte ihn nach Dearborn und zahlte ihm ein Gehalt. Schon bald
gab es Kurse, man lernte den >Schottischen< und den >Rheinländers<, den >Lancier<, die >Quadrille<, >Portland Fancy<, >Speed the Plow< und sogar >Money Musk<, zu dem sechs Paare antreten mussten.
Henry spürte die Fiedelleute der alten Zeit wieder auf und holte sie für Tanzfeste zusammen. Sie spielten >Turkey in the Straw< und >Paddy in the Turnpike< und >Stony Country< und >Old Zip Coon<, und >Two Dollars in my Pocket<. Sie lehrten die Kinder in der Schule diese alten Weisen. 1925 wurden zur Weihnachtszeit in der Haupthalle des neuen Gebäudes, das für die Untersuchungen zur Verbesserung der Motoren eingerichtet war, die Maschinen zur Seite gerückt und mit Zeltbahnen abgedeckt. Der Fußboden wurde gewachst, und dann tanzten fünfzig Paare, darunter Henry Ford und seine Frau, den >Virginia Reel<. Man schickte nach Norway in Maine und holte Grandpa Mellie Dunham, den Champion der alten Fiedelgeiger. Der saß nun da, sein zahnloser Mund war von dem weißen Schnauzbart ganz verdeckt, und spielte zum Tanz auf: >Pop goes the Weasel<, >Lady Washington's Reel<, >Fisher's Hornpipe< und den >Arkansas Traveller<. Und Henrys Arbeiter, leitende Angestellte und Freunde schwangen zur Freude einer großen Zuschauermenge das Tanzbein dazu.
Henry sprach begeistert mit den Reportern und erklärte ihnen seine Gedanken über diese eminent wichtige Sache. Diese alten Tänze förderten die Freundschaft, sagte er. »Sie kommen beim Tanz immer in Kontakt mit wenigstens sieben Personen. Sie fassen sie bei der Hand, sie bekommen einen menschlichen Kontakt zu ihnen, und so entsteht wieder die Nachbarlichkeit, die wir fast verloren haben. Amerika und die Welt aber brauchen das Verständnis füreinander, sie brauchen den freien, unbeschwerten Sinn des Spielens.« Henry erklärte, er habe bereits ein
Buch über das Fahren und Reparieren seines Autos herausgegeben und werde jetzt eins über Tänze veröffentlichen, und zwar ein vollständiges und grundlegendes. Die altmodischen Tänze sollten also genormt und ihre einzelnen Teile einheitlich gestaltet werden - wie die Teile eines Ford Modell T.
Abner, Milly und ihre Freunde in der Gemeinde hatten in ihrer Jugend getanzt, weil es ihnen Spaß machte. Längst tanzten sie nicht mehr. Sie waren alt und müde geworden, und die Jungen tanzten ja doch lieber nach der modernen Musik. Jetzt sagte Henry ihnen, es sei eine patriotische Tat, wenn man den >Virginia Reel< oder den >Lancier< tanze. Der wohltätige Verein der >Kirche der Wahren Gläubigen< mietete einen Saal und einen alten Geiger, und Abner und Milly tanzten dort zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit wieder. Wie David vor dem Herrn mit aller Kunst tanzte, so schwenkte jetzt das echte protestantische Uramerika seine Partner im Gedenken an seine alten Traditionen.
Abner und Milly gingen nur einmal hin. Der Zauber wirkte nicht auf sie, Milly wurde auch immer schwächer, und Abner hatte das Geschick einen bösen Streich gespielt. Als sein Boss im befahl zu tanzen, hatten die Untergebenen dieses Herrn ihn schon so ausgepresst, dass er sich kaum noch wach halten konnte, wenn er mit seiner >Karre< nach Hause fuhr.
Bei den Shutts waren bislang die Dinge prächtig gediehen. Vielleicht war das Oberhaupt der Familie deshalb ein wenig zu selbstbewusst geworden. Eine fixe Idee ging ihm dauernd im Kopf herum: die Erinnerung an jene fernen Tage, als er noch persönlich mit Henry Ford sprechen konnte. Wie weit zurück lag das alles! Jener Sommerabend des Jahres 1893, als er seinen Vater zum Schuppen in der Bagley Street führte. Dann der Tag im Jahre 1904, an dem er den großen Boss ganz allein ohne Vermittlung ansprach und Arbeit von ihm bekam. Dann, im folgenden Jahr, hatte er mit ihm über das Aufsetzen der Achsenmuttern gesprochen und - vielleicht sogar die Idee des Fließbandes angeregt? Dann die schönen Tage des Jahres 1914, da war der Vertreter der Sozialen Abteilung gekommen und hatte sie beraten. Konnte man es Abner übel nehmen, wenn er glaubte, er dürfe wohl etwas mehr über alles nachdenken als so mancher andere Arbeiter des Fließbandes?
Abner arbeitete jetzt 22 Jahre für Ford, und wie oft hatte man ihm erzählt, sogar in Henrys eigener Zeitschrift und auch in Artikeln der >Saturday Evening Post<, die in anderen Zeitungen zitiert wurden, dass treue Dienste in den Fordwerken niemals unbelohnt blieben! Abner war vor Jahren Vorarbeiter gewesen und hatte bewiesen, dass er die Sache verstand. War es da nicht natürlich, wenn er davon träumte, eines Tages würde er seinen alten Posten wiedererhalten? Außerdem hatte Henry in einem seiner Interviews mitgeteilt, er gebe, was die Arbeit betreffe, nichts auf Rang und Titel. Jeder seiner Arbeiter könne jederzeit zu ihm kommen oder zu dem Leiter seiner Abteilung oder zu jedem anderen seiner Vorgesetzten. Abner konnte Henry Ford persönlich nicht mehr aufsuchen. Jetzt standen am Fließband viele Arbeiter, die den Autokönig in ihrem Leben nicht einmal gesehen hatten und die ihren Augen kaum getraut hätten, wenn er durch das Werk gegangen wäre. Abner konnte nur zum Chef seines Fließbandes gehen, und eines Tages tat er es nach der Arbeit und brachte in ein paar gestammelten Sätzen sein Anliegen vor.
Damit brach Abner eines der strengsten Gesetze der militärischen Disziplin, die diese modernen Erzeugungsarmeen beherrschte. Er bekam den wütenden Argwohn dieses Mannes zu spüren, der glaubte, Abner wolle seine
Stellung. Daran hatte er aber gar nicht gedacht! Er wollte ja nur einen kleineren Posten. Der begann ihn nun zu schikanieren. Er konnte zwar nicht bemäkeln, wie Abner die Splinte einsetzte; aber er konnte mit der Stoppuhr danebenstehen und ihm die Hölle heiß machen, wenn er auch nur zehn Sekunden hinter den drei Minuten zurückblieb, die in der Tabelle dafür vorgesehen waren, oder wenn er seine Mittagspause von 15 Minuten dadurch ausdehnte, dass er noch einen letzten Bissen Brot nach Ende der Pause hinunterschlang. So etwas halten die Nerven nicht lange aus; eines Tages war es soweit - Abner widersprach; und der Fließbandchef schrie ihn an, er solle sich seine Papiere geben lassen.
So weit war es also mit ihm gekommen. Nach 22 Jahren treuer Arbeit wurde er aller Ehren und Verdienste beraubt, und das obendrein durch einen miserablen Nichtskönner von Vorgesetzten, der erst ein paar Jahre bei der Gesellschaft war und dem Ford in seinem ganzen Leben nicht einmal auch nur zugenickt hatte. Als Abner erschrocken protestierte und erwähnte, er kenne Mr. Ford, da lachte der Mann ihm ins Gesicht und sagte, er solle nur gleich zu ihm in sein Haus in River Rouge laufen und sich beklagen.

Abner blieb nichts übrig, als zu seinem Sohn zu gehen. Der überredete jemanden der Werkzeugabteilung, seinem Alten Herrn Arbeit zu besorgen. Aber es war nur ein Posten bei der Bedienung der Schleifmaschinen frei. Abner musste also jetzt wieder im Stehen arbeiten. Er steckte Stahlstücke, die einander bis auf einen Zehntausendstelmillimeter glichen, in Maschinen, die an einer Seite eine Rille hineinschnitten. Abner musste von einer Maschine zur nächsten gehen und, wenn er mit der letzten fertig war, zur ersten zurücklaufen. Aber dann schrie der Boss schon: »Los, vorwärts Shutt, das können wir uns nicht leisten, dass die Schleifer faulenzen!«
Abner hatte jahrelang nicht im Stehen gearbeitet, seine Beine waren schwer geworden, und der Bauch hing ihm herunter. Seine Fußgelenke schmerzten; am Abend waren sie so geschwollen, dass er kaum einschlafen konnte. Er würde diese Arbeit nicht durchhalten. Doch er musste durchhalten! Er musste doch leben! Und dies war seine letzte Chance. Er war 48 Jahre alt, und sein Arbeitgeber rühmte sich in den Zeitschriften der Güte gegen seine alten Arbeiter. Wenn es in ganz Amerika noch einen zweiten Chef gab, der dies von sich sagte, so musste es Abner entgangen sein. Und wenn er bei Ford nun in den Ruf eines Schwächlings und Faulenzers kam, wie sollte er dann je seinen Wagen bezahlen können?
> Arbeitsbeschleunigung< und >Zeitnehmen< hießen die furchtbaren Erfindungen; jeder Arbeiter wurde bis zum äußersten seiner Leistungsfähigkeit beansprucht, jeder musste auch die letzte Unze Kraft seines Körpers hergeben. Henry Ford leugnete das natürlich. So sanft, so überzeugend schrieb er über den Nutzen der wissenschaftlichen Arbeitsplatzforschung: sie habe ja gerade den Zweck, die Zeit festzulegen, in der jeder Arbeiter mühelos eine bestimmte Aufgabe erfüllen könne, um ihm dann diese spezielle Arbeit zuzuweisen. Lüge, nichts als Lüge war das! Seine Arbeiter wollten vor Wut schreien, wenn sie solche Artikel von ihm lasen. Sie waren müde, wenn sie morgens zur Arbeit gingen, und wenn sie heimgingen waren sie grau und stolperten vor Erschöpfung. Zitronenschalen glichen sie, der letzte Tropfen Saft war aus ihnen herausgepresst.
So ging es überall zu, nicht nur bei Ford; die ganze Industrie war grausam. Schneller, immer schneller! Bis die Herzen der Leute vor Bitterkeit kochten. Alle Autowerke standen unaufhörlich in Konkurrenz auf Leben und Tod; jede Abteilung in jedem Werk wetteiferte mit den anderen, ja, sogar mit sich selbst - mit ihren Leistungen von gestern, mit den neuen >Normen<, welche die Ingenieure forderten, die immer neue Maschinen und Methoden erfanden und die Arbeit überwachten.
Wusste denn Henry Ford überhaupt von diesen Zuständen? Sein ergebener Diener Abner Shutt glaubte fest, er wisse nichts davon. Er las ja in der Zeitung, was der Autokönig trieb. Er reiste durch Europa, inspizierte sein weites Reich und erklärte den Leuten da drüben, wie sie sich amerikanisieren könnten. Dann war er in Georgia und machte Versuche mit 15000 Morgen Goldrute, aus denen er Gummi erzeugen wollte. Oder auf seiner Mammutfarm in Michigan und inspizierte die Sojabohnen. Er überwachte die Versuche seiner Experten in den Laboratorien, die Lenkräder daraus herstellen wollten. Er vollendete sein Buch über Tänze und sammelte Antiquitäten für sein Museum. Er studierte Tausende von Vögeln, für die er luftige, der Natur angepasste Flugkäfige baute. Er war überall, er tat alles, nur um die Fließbänder seines Riesenwerkes kümmerte er sich nicht. Dort fertigten 200000 Sklaven Autoteile an: Zupacken, Ansetzen, Verschrauben, das nächste - wieder Zupacken, Ansetzen, Verschrauben - Zupacken, Ansetzen, Verschrauben - so und immer weiter - man konnte wahnsinnig werden, wenn man darüber nachdachte.
Abner Shutt, der geduldige abgearbeitete Industrieklepper, trottete in seiner Tretmühle auf und ab und wagte nicht, auch nur einmal während seiner acht Stunden Arbeitszeit aufzuschauen, außer in den genau bemessenen
fünfzehn Minuten, wenn der >Speisewagen< herankam und Mittagessen zum Preis von fünfzehn Cent an jene verkaufte, die sich nichts mitgebracht hatten. Abner arbeitete und hielt den Mund. Er kannte die Sprüche über Verdienst und Treue aus seiner Schulzeit noch, und jeden Tag kämpfte die fromme Ergebenheit, die er sein Leben lang geübt hatte, gegen die gemeine Wirklichkeit und die bösen Flüche, die er von den anderen Arbeitern hörte. Man wagte sie nur zu flüstern, natürlich, denn man musste ja stets vor den Spionen und Spürhunden der Werkspolizei auf der Hut sein.
Aber eines konnte Abner nicht, auch dann nicht, wenn er seinem Arbeitgeber einen noch so großen Gefallen damit getan hätte: alte Volkstänze tanzen, wenn er von der Arbeit kam.

Achtzehn Jahre lang baute nun Henry Ford bereits den Ford Modell T. Er setzte ihn durch gegen die ganze Welt. In den letzten Jahren war dieser Kampf aufs neue ausgebrochen. Der alte Karren ist aus der Mode, behaupteten die Verkäufer. Das Publikum verlangt neue Formen, Linien und Farben. Bisher baute Henry als Antwort auf solche Klagen jedes Jahr zwei Millionen Modell T. Man konnte den Wagen immer noch in jeder Farbe haben, vorausgesetzt, sie war schwarz. Der Wagen hatte, wenn das Verdeck aufgespannt war, etwa soviel Stil wie eine Ballonmütze. Der Aufbau war ein schmuckloser viereckiger schwarzer Kasten. Den Zweisitzer nannte das Publikum >coop<, also Hühnerstall. Man konnte das für schlechtes Französisch halten, aber es war ausgezeichnetes
Amerikanisch. Alle Wagen liefen, und sie würden in zwanzig Jahren noch laufen. Und gerade solche Wagen wollten die Amerikaner haben, behauptete Ford.
Seine Rivalen dachten anders. Sie meinten, der Amerikaner wolle denselben Standard wie andere Länder und, wenn möglich, diese übertrumpfen. Sie behaupteten, die moderne Welt wünschte Stil, Geschwindigkeit, Schwung, Eleganz, Chic - die große Zahl dieser Wörter zeigt schon, wie viele Leute sich den Kopf darüber zerbrachen. Das Publikum wollte schnell fahren - warum sollte man dem nicht entgegenkommen und einen Wagen mit Stromlinienformen bauen? Und gar die Farbe - die Leute trugen jetzt bunte Seidenhemden und gestreifte Pullover, Socken und Krawatten. Und erst die Frauen! Mit Farben der Kleider allein gaben sie sich nicht zufrieden; sie malten sich noch obendrein Lippen, Finger- und Fußnägel an.
Auf der New Yorker Automobilschau brachten die Händler jetzt wahre Blumen der Werbelyrik hervor, wenn sie ihre Wagen anpriesen. >Ein herrlicher Schmetterling ist ausgeschlüpft<, riefen sie entzückt aus. >Das sanfte Streicheln der fließenden Bewegung<, schwärmten die Verkäufer von Reo. Jordan bot >ein unvergleichliches gelbes Coupe mit einem Verdeck, das man herunterklappen konnte<, an. Buick prahlte mit >einem sportlichen Roadster, grau gepolstert, mit grauem Schlangenleder ausgeschlagen<. Dodge aber schlug alles mit einem >neuen Roadster in sattem Creme mit dunkelblauer Haube und roten Streifen<.
Auch das meinte Henry Ford mit >schmutzigem Orientalismus<, und er tat alles, um ihn aus seinem sauberen Werk fernzuhalten. Er stellte seinen fünfzehnmillionsten schwarzen Ballonhut her und schickte ihn quer durch den Kontinent, auf dass er mit Wein und Banketts gefeiert werde. Er feuerte auch weiterhin jene Mitarbeiter, die ihn überreden wollten, das Modell zu wechseln. Jahr für Jahr hatte er sie hinausgeworfen, wenn sie es wagten, seinem Willen zu widersprechen.
Doch gab es ein oberstes Schiedsgericht, das sogar noch mächtiger war als Henry Ford selbst: das Publikum, das die Wagen kaufte. Nach und nach, ganz allmählich holten die Chevrolets und Plymouths auf, während Ford abfiel. Henry musste die Produktion kürzen und Zehntausende von Arbeitern entlassen. Der dickköpfigste der großen Männer Amerikas hielt immer noch an seinen fixen Ideen fest: Sein Wagen würde nie, aber auch nie geändert werden. Aber im Frühjahr des nächsten Jahres musste er sich eingestehen, dass er geschlagen war. Man musste einen neuen Ford herausbringen.
Wieder war ein Teil des alten Amerika verloren! Die alte >Karre<, der >Flivver< fuhr auf allen Straßen der Welt, zehn Million wenigstens. Langsam würde die Zahl kleiner werden, und eines Tages würden sie so selten wie Veteranen aus dem Bürgerkrieg sein. Henry rechnete aus, dass sie in den neunzehn Jahren ihrer Existenz denen, die sie gebaut und verkauft hatten, sieben Milliarden Dollar einbrachten. Und erst den Wert der Arbeit, den sie geleistet hatten, wer konnte ihn auch nur abschätzen?

Eine ungeheure Aufgabe stand dem Autokönig bevor. Die meisten seiner Maschinen konnten nur ein Werkstück herstellen und nichts anderes. Man würde sie umbauen oder verschrotten müssen. Bevor man irgendein Wagenteil stanzen konnte, musste zunächst eine Schablone dafür geschnitten werden. Und es handelte sich um mehr als fünftausend Einzelteile. Man musste die Werke eine Zeitlang schließen, außer Highland Park, wo weiter Ersatzteile für die alten Wagen hergestellt werden sollten. Henry würde in River Rouge eine neue Werkanlage auf einem Gelände von eineinhalb Millionen Fuß errichten.
Unter den hunderttausend Leuten, die arbeitslos wurden, war ein einfacher Hilfsschleifer eine viel zu bescheidene Größe; man beachtete ihn gar nicht. Abner gab sich alle Mühe und jagte ein paar Monate lang den seltsamsten Tätigkeiten nach, aber er fand nur wenige und musste an seine Ersparnisse gehen. Sein Sohn John hatte noch Arbeit, Gott sei Dank! Er war mit der Umstellung der Maschinen beschäftigt. Und wieder konnte er sich für seinen alten Vater verwenden. Abner wurde als Feger eingestellt. Das war der niedrigste Arbeitsrang; er musste hierhin und dorthin eilen und den Schmutz forträumen, den die anderen hinterließen. Aber das störte ihn nicht. Die Hauptsache war doch, dass er jetzt den Minimallohn von sechs Dollar bekam und seine Familie wieder einmal gerettet war.
Er sah, wie die Riesenumstellungsarbeit vorwärtsging; noch mehr aber hörte er darüber. Er sah, wie riesige Maschinen von elektrischen Kränen hochgehoben, auf Transportwagen gesetzt und zur Umstellung in die Werkstätten gebracht wurden oder gar nach River Rouge, wo man sie aufstellte. Andere Teile verlud man auf Schiffe. Ein ganzes Traktorenwerk schafften sie nach Irland. In River Rouge bauten sie fünfundzwanzig Meilen als Zubringerstrecken aus, um das Material für die verschiedenen Teile heranzubringen und die fertigen Teile zu den Hauptfließbändern zu transportieren. Sie bauten neue Kraftmaschinen, die man bisher nicht gekannt hatte. Im alten Werk hatte man für das Herstellen der Rahmen eine 200000-Pfund-Stanze gehabt. Im neuen Werk bauten sie eine auf, die mehr als doppelt so stark war.
Fünf Monate dauerte es, bis diese Arbeit fertig war, und währenddessen durfte sich die Automobilwelt über das größte Rätsel ihrer Zeit den Kopf zerbrechen. Wie würde der neue Ford aussehen? Wie würde er heißen, wie viele Pferdestärken würde er haben, und wie viel würde er kosten? Henry wusste es, und seine Herren vom Stabe wussten es auch, aber sie hielten den Mund. Abner wusste nur, was er in den Zeitungen las, und das war jede Woche etwas anderes. Der neue Wagen war fertig, man hatte ihn geprüft - aber er war unter der Karosserie eines Ford Modell T verborgen, so dass niemand etwas darüber aussagen konnte. Henry Ford selbst fuhr einen, aber nur von hohen Zäunen verdeckt. Es war ein Wagen mit starkem Motor, und die Fotografen der Zeitungen versuchten ihrerseits, ihm mit entsprechend starken Linsen beizukommen.
Das Geheimnis wurde bis zum Schluss gewahrt. Die Produktion der neuen Wagen lief an. Einzelne hatte man schon in die Ausstellungsräume geschickt. Sie waren in festes Segeltuch eingenäht, 400000 Vorbestellungen hatte man schon aufgenommen. Die Leute kauften die Katze im Sack; an dem Tag, als der Wagen für den Verkauf freigegeben wurde, begann die Ford-Motor-Company einen fünf Tage währenden Propagandafeldzug in fünftausend Blättern im ganzen Land. Henry teilte mit, der neue Ford Modell A habe ein synchronisiertes Getriebe und Vierradbremsen, flache schnittige Linien und >in Form und Ausstattung ein gewisses europäisches Etwas<. Also endgültig Schluss mit dem alten Amerika!
In New York wurde der Wagen einem mondänen Publikum im Waldorf Astoria gezeigt; die Verkäufer kamen im Abendanzug. Am nächsten Tag stürmte eine Viertelmillion Menschen die siebenundsiebzig Vertretungen in New York. Der Verkehr der Stadt stockte, man musste den Madison Square Garden für eine Woche mieten, damit die Käufer ihre Neugier befriedigen konnten. Das Publikum erfuhr auch, es könnte den Wagen in jeder Farbe haben, vorausgesetzt, dass sie dunkelsandfarben mit hellen Streifen sei oder stahlblau mit Streifen von französischem Grau, oder niagarablau mit Französisch-Grau, oder gar ein Dämmergrau, auch mit Streifen in Französisch-Grau. >Der schmutzige Orientalismus< hatte gesiegt, und zwar so erfolgreich, dass Ford im ersten halben Jahr eine Million Wagen herstellen musste.

Abner Shutt drehte jetzt wieder Achsenmuttern an; das war eine Arbeit, die er verstand. Er setzte sie jetzt bei einem eleganten Wagen auf und fand, dass sich seine soziale Stellung gehoben hatte. Aber er zahlte auch dafür. Sein Arbeitsplatz war nun in River Rouge, und er musste jeden Tag ein Dutzend Meilen fahren. Das war nicht gerade sparsam und im Winter kein Vergnügen.
Die Kinder klommen weiter auf den Stufen der sozialen Leiter. John Crock Shutt war in jene Schicht aufgestiegen, die statt des Wochenlohnes ein monatliches Einkommen bezieht. Er hatte die Tochter seines Abteilungsleiters kennen gelernt und sich mit ihr verlobt. Das junge Paar wollte jetzt ein Haus in einer so vornehmen Gegend kaufen, dass die Eltern sich stets schämen würden, mit ihrem alten Flivver dort vorzufahren.
Daisy sah jetzt auch ihren Herzenswunsch erfüllt. Sie erhielt eine Stellung im Büro eines Konzerns, der Polster für Fordwagen herstellte. Sie bekam 23,50 Dollar in der Woche und lernte rasch, worauf es ankam. Die Ziele ihrer Arbeitgeber machte sie zu ihren eigenen, und das entsprach ganz den schönsten Weisheiten ihrer Schulbücher. Abends sprudelte sie all den Klatsch über das heraus, was in dieser kleinen Trabantenindustrie vorging. Es währte nicht lange, so kannten die Eltern die Namen aller leitenden Angestellten, welche die Herstellung der Polster überwachten und registrierten. Sie wussten, wie sie aussahen und was sie verdienten.
Ü ber Hank hörte man allerdings etwas ganz anderes. Auch sein Geschäft war vorangekommen, doch Abner und Milly hatten nicht viel darüber erfahren. Jetzt aber war etwas geschehen, wovon man sogar in den Zeitungen sprach. Der Junge war in eine Schießerei geraten. Er wurde eingelocht und des Totschlags angeklagt. »Er ist unschuldig«, erklärte Daisy ihren Eltern, »er ist kein Verbrecher, im Gegenteil: er ist ein Held und hat nur das Eigentum seines Chefs gegen eine Horde Räuber verteidigt.« Die Tatsache, dass dies Eigentum aus einer Wagenladung Schnaps bestand, war aber wenig dazu angetan, die frommen Gemüter der beiden Mitglieder der Gemeinde der >Wahren Gläubigen< zu beruhigen.
Diesmal konnten Abner und sein Pastor nicht helfen. Aber Hank hatte jetzt mächtige Freunde. Man nahm einen gerissenen Anwalt, und als es zur Verhandlung kam, waren auch Zeugen da, die beschworen, dass sie mit Hank zur Zeit der Schießerei Billard gespielt hätten. Er wurde freigesprochen. Er verschwand einige Zeit aus der Stadt, bis der Chef der rivalisierenden Bande erschossen war. Dann tauchte er wieder auf, so munter wie zuvor, und der alte Tom bekam wieder sein Taschengeld. Daisy aber erfuhr alle Geheimnisse des Alkohol-Schmuggel-Ringes, der Detroit beherrschte.
Tommy machte auf der Universität Karriere als Footballspieler. Er beendete die Saison mit großem Erfolg, da er vom Feld aus eingeschossen hatte. Solch plötzlicher Ruhm war für den Charakter eines jungen Burschen eine ziemliche Versuchung, aber Tommy schien dem gewachsen, und John und Daisy, die in der Arbeitswelt Erfolg hatten, sorgten dafür, dass der sportliche Erfolg ihm nicht allzu sehr zu Kopf stieg. Er war zu einem gutaussehenden jungen Burschen herangewachsen, hatte wolliges braunes Haar, eine rötliche Hautfarbe und Sommersprossen, ganz das, was seine Eltern einen >guten Jungen< nannten. Er widerstand auch den Versuchungen des Sportlebens. Aber die Neigung zur Kritik, die seine >roten< Lehrer ihm eingeimpft hatten, hatte er noch nicht verloren. Er sprach immer noch anzüglich über den >Feudalherrn von Dearnborn<, und das schien dessen treu ergebener Familie der Gipfel der Blasphemie.
Aber es gab jetzt viele, die wie Tommy dachten, und das nicht nur in den Schulen. Die >Roten< gaben Zeitungen heraus, im Werk trieben Unruhestifter und Querulanten ihr Unwesen, und es wurden ihrer immer mehr. Um die Ku-Klux-Klan-Leute war es still geworden, und selbst der schwerfällige Abner musste sich eingestehen, dass es ihnen nicht gelungen war, alle Amerikaner zu Patrioten zu machen. Wieder war etwas faul im Staate. Aber seit Henry Ford den >Dearborn Independent< nicht mehr herausgab, konnte Abner die faulen Stellen nicht mehr orten.

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