»Mutter«, sagte der kleine Abner, »da unten wohnt ein Mann, der baut einen Wagen, und er will ohne Pferde damit fahren.«
»Der ist doch verrückt«, meinte die Mutter mißbilligend.
»Sieht aber nicht wie 'n Verrückter aus«, entgegnete der Junge, »das is'n ganz prima Kerl!«
»Egal, du bleibst mir weg da. Du läufst nicht hinter solchem Blödsinn her.«
Das soll es ja schon häufiger gegeben haben, dass Mütter nicht begreifen wollen, was ihre Kinder wirklich interessiert. Jedenfalls wollten alle anderen Jungen den Wagen sehen, der ohne Pferde fahren sollte, und sie mussten hören, was der >prima Kerl< erklärte. Deshalb war er ja ein prima Kerl: er unterhielt sich gern mit Kindern. Ihre Köpfe waren noch nicht durch den Glaubenssatz vernagelt: >Was es nicht gibt, das wird es auch nie geben.< An warmen Sommerabenden, wenn er bei offener Tür arbeitete, standen immer einige Jungen vor seiner Werkstatt und schauten ihm zu. Stellten sie gescheite Fragen, durften sie näher herankommen. Er erklärte ihnen dann die neue
Maschine: Bei ihr war das Feuer nicht unter dem Kessel, sondern in einem Zylinder aus Metall; die Kraft wurde durch eine Folge kleiner Explosionen erzeugt.
Abner erzählte seiner Mutter nichts mehr, schon das Wort >Explosion< hätte ihr einen Schrecken eingejagt. Nach dem Abendessen lief er hinaus, angeblich um zu spielen. War es denn wirklich so schlimm, wenn sie, statt Katzen zu jagen oder Mädchen an den Zöpfen zu ziehen, lieber seinen Erklärungen über die Verbrennungsmaschine lauschten? Das war doch endlich mal was! Das gab es nicht einmal in den Distriktstädten! Manchmal stritten ein paar Jungen, und man löste die Frage, ob ein Wagen aus eigener Kraft fahren könne, mit den Fäusten.
Das Ding sah einem Kinderwagen verdammt ähnlich, einem doppelten für eine Familie mit Zwillingen. Der hier war groß genug für ein Paar ausgewachsener Zwillinge. Er hatte vier Fahrradräder mit Vollgummireifen. Vorn war ein Hebel wie das Steuer bei einem Boot; er wurde auch so bedient, also entgegen der Fahrtrichtung.
Hinter und unter dem Sitz saß diese neue seltsame Maschine. Monatelang hatte der Erfinder sie auf seiner Werkbank bearbeitet, daran herumgeklopft und neue Teile eingebaut. Sie hatte zwei Gasrohr-Zylinder von zweieinhalb Zoll Durchmesser; in jedem Zylinder war ein Kolben, gut abgedichtet, außerdem eine Pumpe, durch die ein Tropfen Benzin eingelassen wurde, das dann ein elektrischer Funke zündete. Wenn die Maschine lief, machte sie einen Lärm wie ein Maschinengewehr, stieß einen stinkenden Qualm aus, der den Erfinder zwang, die Tür des Schuppens aufzureißen. Die Nachbarn sagten dann: »Nun knattert das verrückte Ding schon wieder! Eines Tages wird er sich noch selbst in die Luft jagen.« Besonders Ängstliche wetterten gar. »Wir werden noch alle in die Luft fliegen!« Es war unbegreiflich, wie die Polizei so etwas in diesem ruhigen Viertel überhaupt erlauben konnte. Ein Skandal war das!
Aber die Jungen fanden es genauso schön wie den Nationalfeiertag. Sie standen vor dem Schuppen und sperrten Mund und Nase auf. Die Maschine stieß knatternd kurze helle Funken aus, aufregend! Das geschah meistens am Abend, denn tagsüber arbeitete Mr. Ford für die Elektrizitätsgesellschaft. Er arbeitete bis spät in die Nacht, offenbar interessierte ihn sonst nichts auf der Welt. Selbst am Samstag arbeitete er bis nach Mitternacht und belud sich deshalb mit Sünde - das sagten die Nachbarn. Nie zuvor hatte es hier in der Gegend einen Menschen gegeben, der am Samstag oder gar am Sonntag arbeitete.
Die Maschine drehte eine Welle so schnell um ihre Achse, dass man die Bewegung nicht mehr sehen konnte. Ford hatte sich überlegt, wenn er die Welle mit den Achsen des Kinderwagens koppelte, so würde sie den Wagen antreiben. Immer wieder baute er die Maschine ein und versuchte es. Aber immer wieder gab es irgendwo ein Problem. Er musste sie wieder ausbauen und weiter daran arbeiten. Er war ein junger Mann, der gern über seine Pläne sprach, Geheimnisse schien er nicht zu haben. Natürlich, er baute einen Wagen, der aus eigener Kraft fahren würde, besser als jeder Wagen zuvor. Es würde eine Zeit kommen, wo die Straßen voll von ihnen wären, ja, eines Tages gäbe es gar keine Pferde mehr.
Die Nachbarn gewöhnten sich schließlich an den sonderbaren Erfinder, sogar daran, dass er den Feiertag nicht heiligte. Aber keiner glaubte ihm, dass er eines Tages ohne Zugtier einen Berg hinauffahren würde. Die Leute kannten zwar die schwerfälligen Dampfmaschinen, die auf Schienen fuhren, aber auf einer normalen Landstraße frei umherfahren? Ohne irgendein Pferd? Das war gegen die
Natur, gegen Gottes Gesetz. Das war so närrisch wie die Versuche dieser anderen Wahnsinnigen, die durch die Luft fliegen wollten.
Abners Vater hieß mit Nachnamen Shutt und arbeitete in einer großen Fabrik, wo Güterwagen für die Eisenbahn hergestellt wurden. Er musste die Planken dieser Wagen mit Bolzen anschrauben; das wurde halbwegs als gelernte Arbeit betrachtet und gut bezahlt. Er bekam etwa einen Dollar vierzig Cents pro Tag. Aber es war auch ein harter Job, und obwohl er ein zäher Mann war und sein Leben lang gearbeitet hatte, war er nach zehn Stunden erschöpft. Manchmal schlief er auf dem Heimweg in der Straßenbahn ein und wachte erst an seiner Haltestelle wieder auf. Oft zu müde, um die Abendzeitung zu lesen, blieb er an Werktagen selten länger als eine Stunde nach dem Abendessen auf.
Tom Shutt bewohnte mit seiner Familie die Hälfte eines kleinen Doppelhauses, es war ein Holzhaus in der Straße hinter Fords Schuppen. Das Haus war früher einmal weiß gewesen, aber das lag lange zurück, niemand konnte sich mehr daran erinnern. Unten waren ein Wohnzimmer und eine Küche, oben zwei Schlafräume. In einem schlief Tom mit seiner Frau und ihrer kleinen Tochter, in dem anderen Abner und seine drei älteren Brüder. In der Küche gab es fließendes Wasser, aber die Toilette stand als kleines Häuschen im Hinterhof, das war im Winter zwar kalt, aber die Familie kannten es nicht anders.
In der anderen Hälfte des Hauses lebten die O'Rourkes mit neun Kindern, heißblütige Iren. O'Rourke war jeden
Samstag besoffen und verprügelte seine Familie. Man konnte alles hören, als ob es im gleichen Zimmer geschähe. Eine protestantische amerikanische Familie konnte sich nur schwer an so etwas gewöhnen, aber Mrs. O'Rourke erklärte, sie lasse sich lieber verprügeln, als dass sich die Nachbarn dazwischensteckten. Es war ein Segen für die Shutts, dass der Vater einer evangelischen Sekte angehörte, den >Wahren Gläubigem. Die lebten nach zwei Grundsätzen - völlige Abstinenz und Erwachsenen-Taufe; der Täufling trug ein weißes Gewand und wurde ganz im Wasser untergetaucht.
Sie waren arm, aber nicht ohne Hoffnung. Sie hatten die Gewissheit eines seligen Heils nach diesem Erdenleben, ihre Kinder besuchten alle die Schule, und die Familie teilte den Glauben aller amerikanischen Familien, dass die Kinder schon vorwärts kommen würden. Amerika war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Täglich geschahen wunderbare Dinge! Ein armer Junge konnte Präsident werden, und neben diesem großen Los konnte man unzählige kleinere ziehen: Senator, Gouverneur, Richter und all die anderen Könige: die Barone und den Kleinadel der Industrie. Das Leben in diesem Lande war eine immerwährende Lotterie. Jede Mutter, die ein Kind gebar, und sei es in der erbärmlichsten Hütte, langte in eine Lostrommel, auch sie konnte einen Hauptgewinn ziehen.
Auch der von Arbeit zermürbte Tom Shutt dachte so, denn er hielt sich eine Zeitung. Sie wurde ihm jeden Sonntag ins Haus gebracht, und wenn der Kirchgang und das Mittagessen hinter ihm lagen, las er, bis er über der Zeitung einnickte. Er sah die Bilder modisch gekleideter Damen und fabelhaft reicher und erfolgreicher Herren. Die Zeitung berichtete, wie die Männer aus einer ärmlichen Lage, ähnlich seiner eigenen, aufgestiegen waren.
Das war ihnen gelungen, weil sie Nützliches geleistet, den Lebensstandard Amerikas gehoben hatten, der nun der höchste der Welt war. Jedem, der an diesen Errungenschaften teilhatte, wurde das Herz warm vor Stolz. Toms wurde so warm wie das aller anderen, er wünschte sich nur, die Schuhe der Jungen würden nicht so schnell zerreißen und die Frau möchte weniger Löcher in den Hosen der Bengels zu flicken haben.
Eines Abends im Herbst, es war Altweibersommer und noch recht warm, saß Tom auf einer der beiden Holzstufen vor seiner Tür. Er trug noch das blaue Baumwollhemd seiner Arbeitskleidung und wusch sich vor dem Abendbrot nur die Hände. Sein struppiger dunkler Bart war schon einige Tage alt - er rasierte sich nur am Sonntagmorgen. Sein ledernes Gesicht war schon runzlig und hatte den geduldigen Ausdruck eines Ochsen. Er sog bedächtig an seiner Pfeife und war voll des gesegneten, ehrlich verdienten Friedens.
Sein sommersprossiger Junge kam aus dem Haus und setzte sich zu ihm.
»Vater«, sagte Abner, »du musst dir den Wagen ansehen, den Mr. Ford baut. Er ist draußen vor dem Schuppen.«
Tom hatte schon seit langem von dieser Erfindung gehört, und heute war er nicht ganz so müde, also überließ er sich seiner Neugier. »Gut, wir gucken mal hin.« Er klopfte seine Pfeife aus und ließ sich von seinem Jüngsten, der gerade dreizehn geworden war, die Straße hinunterführen bis zu dem kleinen roten Ziegelschuppen, in dem der Erfinder arbeitete.
Mr. Ford war ein schlanker Mann von 28 Jahren -schmales Gesicht mit lebhaftem Ausdruck, lockiges braunes Haar. Seine Werkstatt war gerade groß genug für einen Einspänner und ein Pferd; ein breites Tor für den Wagen
und ein kleines für das Pferd waren auch vorhanden, außerdem ein Mauerloch für ein Fenster. Er hatte diesen Schuppen ausgeräumt, eine Werkbank, seine Werkzeugausstattung und diesen Kinderwagen hineingestellt. Im Augenblick befand sich die neue Erfindung vor dem Tor, und einige Jungen hatten ihren Spaß daran, sie hierhin und dorthin zu schieben, Mr. Ford bediente das Steuer. Er schien zufrieden, wie es funktionierte. Wenn er das Ding überhaupt in Bewegung brachte, so würde er es wohl auch dahin lenken können, wohin er wollte.
»Das is' mein Vater«, sagte Abner, als die Lenkversuche beendet waren. Mr. Ford nickte höflich, und Tom meinte: »Is 'ne große Sache, wenn Sie das in Gang kriegen, Mr. Ford!«
»Ich werde es in Gang bekommen«, sagte der. »Ich habe alles genau berechnet, bevor ich anfing.«
»Das müsste sich gut verkaufen lassen!« sann Tom weiter, denn als guter Amerikaner dachte er vor allem an die geschäftliche Seite. »Es gibt 'ne Menge reicher Leute, die würden ihren Spaß dran haben, in so einem Ding herumzufahren.«
»Nicht nur reiche Leute, Mr. Shutt«, erwiderte der Erfinder, wie immer zum Plaudern aufgelegt. »Das wird kein Spielzeug! Ich baue es für den täglichen Gebrauch. Ich will sie in Massen herstellen, ein Mann wie Sie wird sich einen kaufen, um damit zur Arbeit zu fahren.«
»Wo soll denn ein Mann wie ich das Geld hernehmen, um so ein Ding zu bezahlen, Mr. Ford?«
»Haben Sie mal darüber nachgedacht, was der Weg zur Arbeit Sie kostet? Nehmen wir einmal an, es wären zehn Cents am Tag; das macht im Jahr dreißig Dollar - und das nur für eine Person. Warum sollte man Wagen wie diesen nicht so bauen, dass er vier Personen zugleich befördern kann?«
»Kann sein! Davon versteh' ich nichts, Mr. Ford«, murmelte Tom. Er wollte höflich sein und bescheiden, darum sagte er nicht: »Das glaub' ich erst, wenn ich es sehe.« Also sagte er noch: »Ich wünsche Ihnen Glück dazu, Mr. Ford!«
Mr. Ford war aber nicht bescheiden, er war begeistert von seinen Ideen: »Nein, nein, nicht Glück, Mr. Shutt! Wissenschaft und Berechnung ist das! Ich habe dieses Ding berechnet, und ich weiß, was ich kann. Warten Sie es nur ab, Sie werden sich wundern!«
Diese Begegnung fand in der Bagley Street statt, in Detroit; damals schon eine recht große Stadt, dieses Detroit. Und alt war sie auch schon, zumindest nach der Meinung der Amerikaner. Sie lag an dem Fluss, der den St. Clair- und den Erie-See verbindet. Dampfer kamen von weither. Auf der anderen Seite lag Kanada. Einige Eisenbahnlinien führten durch die Stadt; es gab viel Industrie hier, und man trieb einen schwunghaften Handel. Dieser junge Mann nun, Mr. Ford, hatte dahinten in der Hütte, wo er mit seiner Frau wohnte, seine eigene Fabrik aufgemacht.
1892 war das. All sein Geld und jede freie Stunde hatte er in diesem Jahr auf seine Erfindung verwandt. Für 45 Dollar im Monat hatte er bei der Elektrizitätsgesellschaft angefangen, aber er war nicht nur auf dieses Gehalt angewiesen. Sein Vater war Farmer, er hatte dem Sohn 40 Morgen Land gegeben, auf denen dieser eine Sägemühle baute. Sein Leben lang hatte Henry Ford schwer gearbeitet und alles gelernt, was es im Maschinenbau gab. Er trug eine Taschenuhr mit zwei Zifferblättern; eines zeigte die Sonnenzeit, nach der sich ein Farmer richtete, das andere aber die neue Zeit, die mit der Eisenbahn eingeführt worden war. Henry hatte auch diese Uhr selbst gebastelt. Draußen auf der Farm stand eine Dampfmaschine, die einen Pflug ziehen sollte, der erfinderische junge Mann hatte sie aus den rostigen Teilen alter Ackermaschinen gebaut.
Das Jahr verging, wie Jahre vergehen - langsam; kein Pferd zieht sie, und keine Maschine treibt die Zeit. Es war ein kalter Winter, Mr. Ford hämmerte immer noch in seinem Schuppen. Ein kleines Holzfeuer brannte, hin und wieder testete er seinen Wagen, aber irgend etwas stimmte immer noch nicht. Die Maschine hatte ein hölzernes Schwungrad, die Kraftübertragung besorgte ein lederner Treibriemen; beides ging oft kaputt. Es war schwierig, die Zündfolge der elektrischen Funken in exakten Abständen zu erzeugen. Kaum war ein Problem gelöst, so entstanden andere.
Im April kam eine wahre Arbeitswut über ihn. Er arbeitete zwei Tage und Nächte durch, dann, morgens um zwei Uhr, sagte er zu seiner Frau: »Die Maschine ist fertig, ich werde den ersten Versuch machen.« Es regnete, sie kam mit einem Regenschirm heraus, um ihrem Mann zuzuschauen.
Vorn am Wagen war eine Kurbel; man musste sie drehen, um die Maschine anzuwerfen. Der Motor spuckte gewaltig, dann heulte er auf und schüttelte das Fahrzeug beängstigend, aber es hielt zusammen. Ford stieg ein und fuhr los. Am Bug war eine Lampe befestigt mit einer Kerze darin, und bei ihrem milden Schein fuhr er die Straße hinunter, die mit Katzenköpfen gepflastert war. Mrs. Ford stand lange im Regen und fragte sich, ob sie ihren Mann je wieder sehen würde. Noch konnte die Maschine nämlich nicht rückwärts fahren. Landete er in einer Sackgasse, so musste er aussteigen, den Wagen hinten hochheben und ihn herumsetzen.
Der junge Erfinder blieb lange aus, den Weg zurück musste er sein Vehikel schieben; eine Mutter hatte sich bei all dem Gerüttel gelöst. Aber er frohlockte. Statt über das Kopfsteinpflaster und durch die aufgeweichten Wagenspuren war er querfeldein gefahren, wie es ihm gefiel. »Du bist ja völlig durchnässt«, stellte seine Frau fest; er ließ sich von ihr in die Küche führen und zog die nassen Kleider aus. Sie schenkte ihm heißen Kaffee ein, er sagte nur immer wieder: »Ich habe einen Wagen gebaut - ohne Pferde - und er fährt!«
Der junge Mann bastelte weiter an seinem Fahrzeug. Er machte Verbesserungen an seiner Erfindung, bis er schließlich genug Vertrauen zu ihr hatte und sich bei Tage damit hinaus wagte. Das gab Aufregungen! Die Straßen von Detroit waren voller Pferde, und in diesem Fahrzeug erkannten sie ihren Bezwinger. Ihr einziger Gedanke war, so weit wie möglich von ihm fortzukommen. Sie drehten ohne Rücksicht auf die Deichsel oder Gabel um und jagten in die Felder. Die Kutscher verfluchten diesen >Teufelswagen< und bedrohten seinen Fahrer. Der ging zum Bürgermeister und erhielt die Erlaubnis, einen Wagen ohne Gespann zu fahren. Er war somit der erste lizenzierte Autofahrer der Vereinigten Staaten.
Die Schule war aus, es war Sommer. Für die Jungen war Mr. Fords Wagen eine Sensation, und kaum hörte Abner die Ratterkanone schießen, so stürzte er auch schon aus dem Haus. Ein Trupp anderer Jungen gesellte sich zu ihm und folgte der qualmigen Spur des >Feuerwagens<. Er fuhr nicht schnell, die Jungen konnten gemütlich nebenherlaufen. Und sie hatten dem Wagen eins voraus - sie konnten die Schlaglöcher im Pflaster überspringen. Wenn die Maschine anhielt, waren stets genug Helfer da, um sie herumzuheben. Versagte sie ganz, so halfen sie schieben. Es war das Ereignis, und Abner war dabei! Sein Leben lang würde er davon erzählen.
Dass man ihn nach Hause schieben musste, war für Ford eine alltägliche Erfahrung. Es stellte sich heraus, dass ein Gasmotor nach ein oder zwei Meilen zu zerschmelzen drohte. Man musste also einen Wassermantel haben, und eine Pumpe war nötig, um das Wasser zirkulieren zu lassen, und schließlich ein Kühler. Dieser Versuch, die einfachen Maschinen wie das Fahrrad durch etwas anderes zu ersetzen, machte immer neue Schwierigkeiten. Sie schienen unüberwindlich.
Die Radfahrer folgten dem Wagen in Trauben, sie fuhren nebenher und äußerten ihre Meinung über den Erfinder. Musste er unfreiwillig anhalten, so riefen sie: »Nimm doch ein Pferd!« Hielt er aber absichtlich an, so versammelten sie sich um ihn und glotzten. Wenn er fortging und den Wagen stehenließ, so bestieg ihn wohl einer und versuchte, ihn zu starten. Also musste Ford eine Kette und ein Schloss besorgen und ein Rad an einen Laternenpfahl schließen.
Die Zeitungen griffen die Erfindung natürlich auf. Aber sie taten sich schwer mit dem Thema. Wie sollten sie sich dazu stellen? Ein Fahrzeug ohne Gespann! War das nun ein Witz oder ein Fortschritt der Zivilisation? Mr. Henry Ford war eine ernste und würdige Erscheinung, er ging nie ohne seinen steifen Hut aus, der wie eine kleine schwarze Kuppel auf seinem Kopf saß. Oft fuhr seine hübsche junge Frau mit ihm, um zu zeigen, wie gefahrlos und angenehm solch eine Fahrt sei. Also behandelten die Zeitungen ihn meist recht höflich, auch wenn ein Radfahrer wieder einmal versucht hatte, unter seine Räder zu kommen. Die Geschäftsleute jedoch gaben diesem Fahrzeug keine wirtschaftliche Chance, auch nicht, als der Erfinder seinen Wagen für zweihundert Dollar verkaufte und einen leichteren baute, der schneller und mit weniger Lärm fuhr.
Ford kam in der Elektrizitätsgesellschaft voran, man wollte ihn zum Generalinspektor machen und bot ihm diese Karriere unter der Bedingung an, dass er die närrischen Versuche aufgebe, den >Benzinkarren< einzuführen. Die Gesellschaft glaubte fest, Elektrizität sei die Kraft der Zukunft. Der Gasmotor war mit gesunder Geschäftsmoral unvereinbar. Ford gab also seine Stellung auf und widmete sich ganz der verrückten Idee. Das war seine Antwort auf das Angebot. Er wusste, dass er sich beeilen musste; andere Männer in Amerika arbeiteten an der gleichen Erfindung. Sie kannten einander nicht, nur hin und wieder lasen sie in den Zeitungen, dass der Fahrer eines solchen Fahrzeugs in die Luft geflogen oder im Graben gelandet war. Oder auch, dass es ihm gelungen war, eine Meile zu fahren und tatsächlich wieder zurück!
Es waren schmerzliche Ereignisse, die verhinderten, dass Abner Shutt an Fords Erfindung weiter aus der Nähe teilnehmen konnte. Im Sommer 1893 gab es in Wallstreet einen Krach. Abner wusste nichts davon, aber im Laufe des Winters hörte er von Leuten, die ihre Arbeit verloren und keine neue finden konnten. >Schwere Zeiten<, hieß es, eine Naturerscheinung wie der Winter selbst; die Gründe dafür waren geheimnisvoll; grausame Zeiten, die vor keinem Halt machten. Die Eisenbahngesellschaften kauften keine Güterwagen mehr. Tom kam eines Morgens mit der Nachricht zurück, das Werk sei stillgelegt. Mit seinem Lohn, ein Dollar und 40 Cent, war es vorbei. Sehr bald geschah den beiden ältesten Jungen das gleiche. Die Shutts waren nun am Ende, die mageren Ersparnisse in wenigen Wochen aufgebraucht. Sie blieben mit der Miete im Rückstand, mussten Möbel verkaufen; mit dem Rest möblierten sie ein gemietetes Zimmer und lebten jetzt vom bitteren Brot der Wohltätigkeit.
In der großen Lotterie des Lebens gewinnen einige Jungen glückliche Jahre. Sie wachsen in friedlichen Zeiten auf, haben alle Chancen eines glücklichen Lebens. Andere wachsen in Kriege hinein. Man reißt sie aus ihren Familien, schickt sie in die Schlacht und schießt sie in Fetzen. Abners Pech war es, dass er mit vierzehn in eine Zeit der >Wirtschaftsdepression< hineingeriet. Er bekam nicht genug zu essen, musste die Schule verlassen und auf der Straße ein paar Pennies mit dem Verkauf von Zeitungen verdienen. Jede Ecke war von Jungen besetzt, die behaupteten, dass dies ihre Ecke sei. So wurde Abner von Ecke zu Ecke gejagt, sie verprügelten ihn und zerrissen seine Zeitungen. Der erbarmungslose Wintersturm peitschte seine magere, dürftig bekleidete Gestalt, seine Finger waren so steif, dass er kaum das Geld wechseln konnte, wenn er wirklich einen Zeitungskäufer fand. Ein Finger erfror ihm und wurde schwarz. Man brachte den Jungen, der vor Schmerzen schrie, in ein Krankenhaus, der Doktor amputierte den Finger - ein ewiges Andenken an die schweren Zeiten.
Ein Junge weniger lief hinter Fords Wagen her, Abner musste um Pennies betteln, wenn er sie schon nicht verdienen konnte. Sein Vater stand mit hundert anderen Männern in einer Brotschlange. Seine abgearbeitete Mutter schlug ein Tuch um die Schultern und lief ans andere Ende der Stadt, um einen Napf voll Suppe zu ergattern. Ihre Kirche half ein wenig, aber fast alle Gemeindemitglieder waren Arbeiter. Die waren selbst in Not und hatten ihre eigenen Sorgen. Die Mittel der wohltätigen Vereinigungen gingen aus, in ganz Amerika herrschten Hunger, Kälte und Elend.
So verlief das Leben des Jungen in den nächsten drei Jahren. Er ging nie wieder zur Schule, machte Botengänge und übernahm jede Art Arbeit. Als die Wirtschaft sich endlich erholte, fanden seine älteren Brüder Arbeit in der Waggonfabrik. Der Vater, dessen Haar schon grau wurde, war froh, dass er einen Posten als Nachtwächter bekam. Abner kutschierte eine Zeitlang einen Lieferwagen, dann bekam er Arbeit in einem Fabrikschuppen; dort fertigte er Körbe an. Irgendwie schlug er sich durch und wuchs heran. Er wurde nie so kräftig wie sein Vater. Er war schmal, seine Schultern hingen, seine Lippen waren etwas aufgeworfen, und die beiden Vorderzähne standen vor wie bei einem Hasen. Aber einen starken Schnurrbart hatte er wie sein Vater und dessen ehrliche graue Augen. Überhaupt war er gutmütig und das, was die Gottesfürchtigen einen >guten jungen Mann< nannten. Und das blieb er auch. Als die Zeit gekommen war, kleidete man ihn in ein weißes Gewand und taufte ihn nach dem Ritus der >Wahren Gläubigen<.
In seiner Gemeinde lehrte man ihn den Glauben seiner Väter. Aller Armut und Plackerei zum Trotz hielt er an diesem Glauben sein Leben lang fest. Die Zeitungen erzählten ihm, für alle Völker gäbe es schwere Zeiten, ein Naturgesetz, dem man nicht entgehen könne. Bald aber würde der Wohlstand wiederkommen, und Amerika bliebe das größte und reichste Land der Welt. Wenn man nur fleißig arbeitete und ein sauberes und gottesfürchtiges Leben führte, so würde der Erfolg sich schon einstellen. Es gab aber auch Unzufriedene und Agitatoren im Lande, die den Politikern und den Reichen die Schuld an den Zuständen gaben. Abner traf hin und wieder einen von diesen Unruhestiftern, aber was immer sie ihm auch erzählen mochten, er schaute weiterhin zur Regierung seines Landes auf wie zu einem Gott. Etwas sehr Fernes und Erhabenes war diese Regierung für ihn; man musste sie anbeten, selbst dann, wenn sie einen zertrat. Er war ein guter Republikaner. Bis ans Ende seiner Tage stimmte er für >Amerika und Wohlstands<.
Ford hatte vor elf Jahren die Farm seines Vaters verlassen und war nach Detroit gekommen, seitdem stand stets irgendeine Art von Motorwagen in seiner Werkstatt. Er verbrauchte all seine Ersparnisse, um Material zu kaufen, und seine Freizeit für die Lösung von technischen Problemen. Er baute zuerst Wagen mit zwei Zylindern, dann mit vieren. Er verkaufte sie, sie liefen, und er reparierte sie auch.
Er versuchte es mit Geschäftsleuten, hatte aber nicht viel Erfolg damit, Menschen zu finden, die seine Ansichten teilten. Die Geschäftsleute wollten beim Verkauf von Motorwagen nur schnelles Geld verdienen. Sie sahen es so: Man musste nur jemand auftun, der sich so ein kostspieliges Hobby leisten konnte. Man musste ihn fragen, wie er es haben wollte, es so bauen und das Geld dafür einstecken. Damit war der Handel erledigt. Sollte der Käufer später doch wiederkommen und sich beklagen, dass sein teures Spielzeug nicht funktionierte - was ging das den Verkäufer an?
Henry Ford aber blieb auf seinem Standpunkt. Der Motorwagen war für ihn kein Spielzeug der Reichen, sondern ein nützliches Gerät für jedermann. Es war närrisch, jemanden nach seinen Wünschen zu fragen, solange der den Wagen nicht sehen konnte und seine Möglichkeiten erkannt hatte. Er wollte eine Anzahl Fahrzeuge zu niedrigem Preis fabrizieren, dann würde es schon werden und das Geschäft von Dauer sein. Seine Devise war: Die Ware empfiehlt sich auf den Straßen selbst, schon bald wird man sie in Massen herstellen und ein Vermögen verdienen, ohne erst lange experimentieren zu müssen. »Wer will mit mir ein Vermögen machen?« fragte Ford. Er fand keine Freiwilligen.
Er arbeitete zunächst mit einer Gruppe von Leuten zusammen, die sich die Detroit-Motor-Company nannte. Er war Chefingenieur, konnte aber den Verkauf nicht kontrollieren, ja nicht einmal bestimmen, welche Fahrzeuge gebaut wurden. Das hatte er bald satt, und er kehrte in seine eigene kleine Werkstatt zurück, dem einzigen Platz, wo er nach seinen Plänen arbeiten konnte.
Es war die Zeit des Fahrradrummels. Jeder fuhr in den Straßen von Detroit auf so einem Dings herum; man nannte sie >Gesundheitsräder<. Alle Welt redete über Fahrräder und verglich die Vorzüge der >Columbias<, >Monarchs< und der englischen >Humber< mit denen der einheimischen Marken. Etwa zehn Millionen Fahrräder sollten in den Vereinigten Staaten im Gebrauch sein. »Da haben wir doch schon die Massenproduktion!« dachte Ford. Eines Tages würde man das gleiche bei den >Motorwagen<, wie man sie jetzt allgemein nannte, erleben.
Die Fahrräder wurden auch durch Wettrennen propagiert; die Fabriken hielten sich Berufsfahrer und zahlten ihnen hohe Prämien für einen Sieg ihrer Marke. Ford hatte nicht genug Geld, um einen Fahrer zu bezahlen, aber er konnte ja selbst fahren. So schickte er eines Tages eine Herausforderung an einen Mr. Winton, der in Cleveland einen Wagen baute und große Reklame dafür machte.
Das erste Autorennen - ein Ereignis! Nicht weit von Detroit auf der Grosse-Painte-Rennbahn wurde es abgehalten. Die Zeitungen schrieben, Menschenmassen kamen, die meisten auf Fahrrädern. Unter ihnen war auch ein junger Arbeiter namens Abner Shutt. Er fuhr ein Modell, das die Markenbezeichnung >Stearns Gelbes Rad< trug. Nach vielem Knappsen und Sparen hatte er es aus dritter Hand gekauft. Er trug eine Radfahrermütze, aber keinen passenden Sport-Anzug, nur Hosenklammern um die Sonntagshose.
Neun Jahre war es her, seit Abner diesen Mr. Ford an seinem ersten kleinen Wagen hatte herumhämmern sehen. Abner hatte es nie vergessen, und wenn er den Erfinder in den Straßen der Stadt fahren sah, winkte er ihm zu. Als er in den Zeitungen über Fords Fortschritte las, war der junge Arbeiter sehr stolz: Er war bei den ersten Anfängen dabei gewesen. Jetzt beugte er sich weit über die Brüstung der Rennbahn, sein Gesicht war rot, er riss den Mund auf und feuerte seinen Helden an. Viele Leute schrieen, aber der Held beachtete es nicht. Es ging hier um Ruhm und Glück oder auch Unglück, eine Sache, die sogar den Tod bringen konnte.
Wintons Wagen hieß die >Flintenkugel<, Fords Wagen nur der >Ford<. Die Pistole knallte, die Motoren brüllten auf. Los ging es! Ford war von Anfang an vorn, und dabei blieb es. Die Menge schrie, und Abner Shutt tanzte vor Aufregung und Freude. Als der Sieger gefeiert wurde, stand er unter den hundert Menschen, die den Erfinder umringten und hochleben ließen. Ford erkannte ihn nicht, er sah ihn nicht einmal, aber Abner konnte den anderen sagen: »Den Knaben hab' ich schon gekannt, als er seinen ersten Wagen baute. Damals in der Bagley Street, in einem kleinen Schuppen.« Dies zu erzählen würde ihm sein Leben lang Vergnügen bereiten.
Ganz Detroit wusste nun, dass ein Motorwagen Rennen fahren kann. Aber man war noch immer nicht überzeugt, dass so ein Gefährt von irgendeinem Nutzen sei. Henry Ford ging im Winter aufs Eis und fuhr seinen Wagen über eine Meile mit einer Geschwindigkeit von über dreißig Meilen pro Stunde. Er brach den Vanderbilt-Rekord, und zur Feier des Tages gab er ein Essen mit Bisonfleisch auf dem Eis. Aber die Leute nahmen ihn immer noch nicht ernst. Wer, außer einigen Verrückten vielleicht, wollte mit einer Geschwindigkeit von dreißig Meilen fahren?
Aber Rennen sahen sie gerne, und Ford wollte ihnen einmal ein richtiges Rennen zeigen. Er baute mit einem Freund einen Wagen mit vier Zylindern und acht PS. Sie testeten ihn - es war, >als ob man den Niagara hinunterfährt<. Ford selbst wollte nicht fahren. Er verhandelte mit Barney Oldfield, einem Radrennfahrer, verrückt wie der Teufel, der sein Leben der Geschwindigkeit verschrieben hatte. Die Rennbahn war nicht überhöht und das Durchfahren der Kurven eine Sache auf Leben und Tod, besonders auch deshalb, weil man den Wagen mit einem schwergängigen Lenkrad steuern musste, für dessen Drehung man große Kraft brauchte.
Diesen >Teufelswagen< nannten sie >999< und schickten ihn 1903 zum Rennen von Grosse Painte. Abner Shutt war wieder dabei, mit zwei Kameraden, die mit ihm im Lager einer Werkzeugfabrik arbeiteten. Das Rennen ging über drei Meilen. Der wilde Barney kam mit einer halben Meile Vorsprung ans Ziel. Abner tanzte und schrie und erzählte wieder allen, die es hören und nicht hören wollten: »Ich kenn diesen Mr. Ford schon lange! Das könnt ihr glauben!«
Nachdem das aufregende Ereignis vorbei war, fuhr Abner auf >Stearns Gelbem Rad< nach Detroit zurück. Während sie in die Pedale traten, besprachen er und seine Freunde das Ereignis und was sie über die Fahrzeuge in den Zeitungen gelesen hatten. Sie waren in ein Zeitalter der Geschwindigkeit hineingeboren und stolz darauf. Als Radfahrer schwor jeder auf seine Marke, als gehöre ihm die betreffende Fabrik. Jeder war ein Kämpfer, und es war Ehrensache, sich nicht überholen zu lassen. Nun kamen diese Wagen auf, die von einem Motor getrieben wurden; sie waren um vieles schneller, um vieles gefährlicher und aufregender. Junge Arbeiter, die mit Maschinen zu tun hatten, redeten bald über Zündungen, Getriebe und Kühlersysteme. Die Sache hatte Zukunft, das glaubten sie alle. Auf der Fahrt sagte Abner plötzlich: »Bin mal gespannt, ob Mr. Ford mir eine Stellung gibt!«
Abner Shutt musste jetzt etwas aus seinem Leben machen; er war vierundzwanzig Jahre alt und in einer Krise. Drei Jahre hatte er seine schwere Arbeit bei der Werkzeugfabrik getan, aber auch erkannt, dass es dort für ihn kein Vorwärtskommen gab. Sein Vorarbeiter begünstigte seine >Freunde< - Leute, die ihm schmeichelten und ihm Geschenke machten. Abner jedoch konnte sich nicht ins rechte Licht setzen, denn in der Sonntagsschule und in den Zeitungen hatte man ihn gelehrt, dass man allein durch fleißiges und ehrliches Arbeiten vorankommt.
Auch war vor fünf Jahren die Romantik in das graue und mühsame Leben Abner Shutts getreten. Sie hieß Milly Crock. Ihre Eltern waren Arbeiter und ebenfalls Anhänger der >Wahren Gläubigen<. Milly war blond und hatte große strahlende blaue Augen. Sie war etwas schwächlich, aber Abner wusste das nicht. Für ihn war sie das wunderbarste aller Geschöpfe und viel zu gut für einen so hässlichen Bengel wie ihn. Erst allmählich merkte er, dass auch sie ihn gern hatte. Er konnte es gar nicht fassen! Sie trafen sich bei den Veranstaltungen der Kirche, schließlich fand Abner den Mut, bei ihren Eltern einen Besuch zu machen. Sie waren beide sehr schüchtern, und es dauerte lange, bis Abner herausgefunden hatte, wie er um ihre Hand anhalten sollte. Als es dann geschehen war, waren dies die seligsten Augenblicke, die er je gekannt hatte.
Aber sie hatten kein Geld und konnten nicht heiraten. Sie mussten arbeiten und sparen. Jetzt nach fünf Jahren taten sie es immer noch. Langsam wurden sie der Hoffnung müde, deren Erfüllung man immer wieder hinausschieben musste. Ohne es zu erkennen, litten sie unter dem Zwang, ihren Anteil zur Vergrößerung der schnell wachsenden Stadt Detroit beitragen zu müssen. Teddy Roosevelt war Präsident, er war der Liebling des kleinen Mannes und ein Verfechter des >Wettbewerbs um jeden Preis<. Die Wirtschaft blühte, jedermann wurde reich, so schien es Abner Shutt, außer ihm selbst. Dies waren die Gedanken, die in dem jungen Arbeiter wühlten, als er auf seinem Fahrrad nach Hause fuhr. »Ich werde zu Mr. Ford gehen.« Er hielt es für klüger, mit seinen beiden Begleitern von dieser glänzenden Idee nicht weiter zu sprechen.
Auch Ford befand sich zu dieser Zeit in einer Krise. Er war vierzig und hatte noch keinen größeren geschäftlichen Erfolg gehabt. Noch immer baute er die Wagen mit eigener Hand und musste zusehen, wie andere ihn überholten. Das Interesse an der Sache wurde breiter, Fabriken wurden gebaut - nur er hatte nichts davon.
Unter seinen Freunden gab es einen Kohlenhändler mit Namen Malcolmson. Er hatte Kohlen an die Elektrizitätsgesellschaft geliefert, als Henry Ford hier den Einkauf leitete. Der Kohlenhändler war in einem Fordwagen gefahren, und Fords Enthusiasmus hatte ihn angesteckt. Nach dem überraschenden Sieg Barney Oldfields verkündete er, jetzt sei er überzeugt, und schlug seinem Freund vor, sie beide sollten die Ford-Motor-Company gründen; 51 Prozent der Aktien wollten sie sich teilen, das würde ihnen die Majorität sichern. Malcolmson brachte siebentausend Dollar auf, um die Gründungskosten der Gesellschaft zu decken. Andere wurden zur Investition überredet. Ein Angestellter des Kohlenhändlers, James Couzens, kratzte tausend Dollar zusammen. Der Buchhalter tat das gleiche. Ein Zimmermann, dessen Werkstatt man mieten wollte, stieg mit ein und dann noch die Gebrüder Dodge. Sie hatten eine Werkstatt und verpflichteten sich, Motoren für die neuen Wagen zu bauen und dafür Aktien in Zahlung zu nehmen. Man beauftragte zwei Rechtsanwälte, den Vertrag aufzusetzen; die neue Gesellschaft begann ihr Geschäft mit 28000 Dollar in bar. Keiner der großen Kapitäne der amerikanischen Industrie war vertreten, auch keiner der großen Finanzmoguln. Meist waren es kleine Leute, die sich das Geld für ihren Anteil auf ihr Gehalt liehen. Sie wollten die Chance nutzen, das amerikanische Volk mit billigen Motorwagen zu versorgen. Sie taten es, weil sie Henry Ford kannten oder aber Freunde hatten, die ihn kannten.
Abner Shutt hätte es nichts genützt, wenn er davon erfahren hätte, er besaß nicht einmal hundert Dollar. Er wusste auch nicht, was eine Aktiengesellschaft ist, er wusste nicht einmal, wohin Henry Ford gezogen war und wie er das herausfinden sollte. Aber er hatte Glück. Als er auf seinem Fahrrad durch die Mack Avenue fuhr, sah er ein zweistöckiges Holzhaus, an dem ein neues Schild prangte: Ford-Motor-Company.
Dies war die Werkstatt, die Ford von dem Zimmermann für 75 Dollar im Monat gemietet hatte. Das Gebäude hatte eine prächtige >falsche Fassade<, eine Giebelwand also, die über die Höhe des Daches hinaufgezogen war; sie sollte vortäuschen, das Haus sei größer. Aber das war nicht gelungen, denn wenn man die Straße heraufkam, sah man, dass die Seitenwände niedriger waren. Viele dieser falschen Fassaden gab es jetzt in Amerika, und nicht nur bei Häusern.
Abner stieg ab und lehnte sein Rad gegen das Geländer. Mr. Ford war da. Er war draußen in der Werkstatt und sorgte dafür, dass die Produktion vorankam. Abner wartete respektvoll, die Mütze in der Hand. Endlich sah er eine Gelegenheit, ihn anzusprechen, und er trat an ihn heran.
»Mr. Ford, mein Name ist Abner Shutt. Sie kennen mich wohl nicht mehr. War einer der Jungen, die immer in Ihre Werkstatt kamen und zuschauten, damals, in der Bagley Street. Hab' mal Ihren Wagen mit nach Haus geschoben, als er nicht mehr wollte.«
»Richtig, Abner«, sagte Ford, »ich glaube, nun erkenn' ich Sie wieder. Wie geht's Ihnen?«
»Nicht sehr gut, Mr. Ford. Hab' 'ne Stellung bei der Perfection-Werkzeugfabrik. Ich arbeite ja so gut, wie 'n Mensch eben kann, aber ich komm' nicht weiter, hab' keine Zukunft da. Ich weiß, dass Ihr Laden in Schwung kommt, Mr. Ford, möchte verdammt gern für Sie arbeiten.«
»Kenntnisse über Maschinenbau, Abner?«
»Ziemlich, Mr. Ford, hab' mir das hier und da angenommen. Hab' ein Fahrrad und bastel dran rum. Hab' auch über Ihre Wagen gelesen und wie die gebaut sind. War auch bei den Rennen, wie Sie Mr. Winton geschlagen haben - und erst die Fahrt von Barney Oldfield! War mächtig stolz drauf, wirklich!« Und als er den anderen lächeln sah, fügte er rasch hinzu: »Bin 'n guter Arbeiter, Mr. Ford, trinke nie und komme regelmäßig zur Arbeit. Wenn Sie mir 'ne Chance geben - ich würde alles tun. Sie sollen mit mir zufrieden sein. Weiß noch, wie gut Sie zu uns Kindern waren.«
In das Gesicht des Erfinders kam ein ernster Zug. Er war jetzt Vizepräsident und Chefingenieur einer Gesellschaft; er trug eine schwere Verantwortung. »Wir haben hier kein Wohltätigkeitsunternehmen aufgemacht, Abner. Wir bauen Wagen, und zwar eine ganze Menge. Die Männer, die für uns arbeiten, müssen ganze Arbeit leisten, das ist keine Spielerei hier.«
»Oh, Mr. Ford!« rief Abner. »So hab ich's auch nicht gemeint! Ich wollte Sie nur um Arbeit bitten. Sie finden in der ganzen Stadt keinen Arbeiter, der so hart arbeitet wie ich, und keiner wird dankbarer für die Chance sein.«
Der Chefingenieur schätzte den jungen Mann ab, während er sprach. Er war jung, seine Augen waren klar, also trank er wirklich nicht. Die Hände zeigten, dass er schwere Arbeit gewohnt war. Ehrlich und einfach war dieses Gesicht. Intelligenz und Einfallsreichtum bedeuteten für
Ford weniger als der Wille, sich belehren zu lassen. Denn die Wagen, die er bauen wollte, sollten sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Die Arbeit aber sollte so geteilt werden, dass jeder Arbeiter nur einige Handgriffe auszuführen hatte.
»Gut, Abner«, sagte er, »ich will Ihnen eine Chance geben, und wenn Sie sich so halten, wie Sie es versprochen haben, dann werden Sie sich auch verbessern können.«
»Oh, danke, Mr. Ford, danke!« Es war einer der glücklichsten Augenblicke in Abners Leben. Er hatte schon immer geglaubt, dass Ford ein großer Mann sei, jetzt war er sich dessen ganz sicher und auch überzeugt davon, dass sie beide, Ford und er, ihr Glück machen würden.
Ford führte ihn durch eine überfüllte Werkstatt zu einem Vorarbeiter, der gerade seine Jacke anzog und gehen wollte.
»Foster, dies ist Abner Shutt. Ich kannte ihn schon, als er noch ein Junge war. Ich möchte ihn Ihnen anvertrauen. Sie sollen ihm eine Chance geben. Soll mal zeigen, was er kann. Wann, meinen Sie, werden Sie ihn brauchen können?«
»Wenn er will, kann er gleich anfangen, Mr. Ford.«
»Nun, Abner?«
»Ich werde morgen kommen, Mr. Ford. Ich muss doch erst zu meiner alten Stelle gehen und mich abmelden. Ist's recht, wenn ich morgen früh um halb neun hier bin?«
»Halb neun ist recht«, sagte der Vorarbeiter, und Abner dankte beiden mit einer Überschwänglichkeit, die sie hätte rühren müssen. Aber ihre Gedanken waren mehr mit den Problemen der Produktion beschäftigt. |
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