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Upton Sinclair - Am Fliessband (1948)
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Henry hatte aber noch einen zweiten und weit wichtigeren Prozess. Der war von den Brüdern Dodge gegen ihn angestrengt worden, den beiden Inhabern jener Maschinenfabrik, die man mit Aktien der Ford-Company dafür bezahlt hatte, dass sie 650 Motoren bauten, die in die ersten Fordwagen eingebaut wurden. Bald danach hatte Dodge selbst begonnen, Wagen zu bauen. Jetzt war es eine große Gesellschaft. Aber sie besaß noch Aktien der Ford-Company. Doch was nützten die, wenn Ford nie Dividenden zahlte?
Darüber hatte Ford seine eigenen Ansichten. Er war nicht der Meinung, dass man für die Bereitstellung von Geld Zinsen zahlen müsse. Er lieh auch nie Geld von einer Bank. Er hielt es für falsch, Leuten Geld zu geben, das sie nicht durch nützliche Arbeit verdient hatten. So hatte er sechzehn Jahre die Gewinne der Gesellschaft dazu benutzt, sie in neuen Gebäuden, Land, Maschinen und anderen Dingen anzulegen, mit denen er Autos bauen konnte. Für Henry war das sehr schön, nicht so sehr für die Brüder Dodge. Die wollten das Geld haben, um Dodgeautos zu bauen - und Henry wollte Fordwagen bauen!
Die Dodges setzten bei Gericht eine Verfügung durch, die Henry Ford verbot, weiterhin Geld für den Ausbau seines Werkes zu verwenden, bevor er nicht seinen Aktionären ihre Dividenden ausgezahlt habe. Es kam zu einem Prozess, den Dodge gewann. Das brach Henry fast das Herz. Er gab die Fama heraus, er und Edsel würden eine neue Gesellschaft gründen und einen neuen Wagen bauen, der für 250 Dollar verkauft werden sollte. Damit schüchterte er die Minorität der Aktienbesitzer ein und kaufte ihre Aktien zu einem Bruchteil des Marktwertes. Immerhin war es noch das Tausendfache dessen, was sie einmal investiert hatten. Jener James Couzens, der Angestellter in einer Kohlenhandlung gewesen war und seine Ersparnisse hineingesteckt hatte, stieg mit 37 Millionen Dollar aus und benutzte das Geld, um sich damit zum Senator von Michigan zu machen. Henry konnte diesen Posten damals nicht bekommen. Aber da Couzens ein intelligenter Mann mit Weitblick war, wurde er ein guter Senator. Und das wäre Henry wahrscheinlich nicht geworden.
Die Zeitungen schrieben getreulich über diese Finanz-Transaktionen, und Abner las dem alten Tom die Zahlen laut vor. Sie dachten an jene Tage zurück, da Abner noch ein kleiner Junge war und sie zusammen losgegangen waren, um zuzusehen, wie Mr. Ford das Rudersteuer vor seiner Werkstatt in der Bagley Street ausprobierte. Es war die stolzeste Erinnerung ihres Lebens geworden, und sie erzählten allen Bekannten immer wieder ausführlich davon. Wenn sie nur damals die Zukunft erkannt hätten, die in dem Babywagen mit Motor lag! Hätten sie ihren Karren nur damals an Henrys Auto gehängt! Wie viel Geld hatten sie damals eigentlich auf der Sparkasse gehabt? Wenn sie es in Aktien der Ford-Company angelegt hätten, wie viel wäre es jetzt wohl?
Jeder, der Henry Ford damals gekannt hatte, stellte die gleiche Berechnung an. Millionen Amerikaner taten es und meistens aus keinem besseren Grund, als dass sie in Detroit lebten oder einen der Fords besaßen. Das war die Romantik Amerikas. Sie gab dem Leben der Menschen einen gewissen Glanz und erleichterte die Eintönigkeit ihres Alltags. Beim Geschäft war es wie bei der Heirat - es war eine Lotterie. Die Tatsache, dass solche Treffer gezogen wurden, gab dem Leben etwas Spannendes. Millionen Männer und Frauen lasen die Legende vom Reichtum der Ford, der Dodge, der Couzens und waren ebenfalls bereit, jede Chance des Spiels zu nutzen, die sich ihnen bieten würde. So machten sie es den Verkäufern von Schwindelaktien für Kohlengruben, Öl- und ähnlichen Wunderquellen leicht, ihnen jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar aus der Tasche zu ziehen.
Aber Ford kümmerte sich nicht darum. Das waren Erzählungen, die ins Fach des >Rasierklingen-Königs< gehörten.

John Crock Shutt, Abners ältester Sohn, war jetzt fünfzehn Jahre alt. Er war ein großer Junge mit rundem Gesicht und hellen blauen Augen. Seine Nase war wie bei seiner Mutter etwas gestupst, und sein Haar war widerspenstig und wollte sich keiner Frisur fügen. Er besuchte die Highschool und lernte dort alles, was er über Metalle und Maschinen lernen konnte. Dies war ein Glücksfall, der den Rest seines Lebens bestimmte.
Etwa ein Jahr bevor Amerika in den Krieg eintrat, hatte Henry Ford eine Berufsschule gegründet, um den Jungen weiterzuhelfen, welche die Schule frühzeitig verlassen mussten. Er wollte gut ausgebildete Facharbeiter aus ihnen machen, weil er sie brauchte. Es war eine Schule nach Fords Vorstellungen. Die Jungen lernten aus Büchern, aber sie arbeiteten auch praktisch und mussten Werkstücke in den verschiedenen Abteilungen des Fordwerkes herstellen. Dafür bekamen sie 35 Cent pro Stunde. Das war mehr, als sie verdienen konnten, wenn sie die Schule verließen.
In diese Schule aufgenommen zu werden, war Johnny Shutts ganzes Trachten. Er bewarb sich und vergaß nicht zu erwähnen, dass sein Vater seit ihrer Gründung Angestellter der Ford-Motor-Company sei. Er wurde geprüft,
man sah sein Schulzeugnis an und nahm ihn auf. Er konnte sich kaum vor Glück halten. Jetzt kam er jeden Tag nach Hause und erzählte Vater und Mutter von all den Wundern, die er gesehen und vollbracht hatte. Er lernte alles, was man vom Autobau wissen musste. Die große Ford-Organisation war jetzt seine Welt.
Für einen Jungen war nun alles klar. Leider sah es beim zweiten nicht so glücklich aus. Zu schade, dass Johnny nicht Henry Ford mit Vornamen hieß, das hätte ihm sicher in seiner Karriere noch geholfen. Hank, ihr zweiter Junge, war das, was die Lehrer einen schwererziehbaren Jungen nennen. Er schielte etwas, und vielleicht lag es hieran, dass er sich mit den Menschen nicht vertrug. Er belog seine Lehrer und seine Mitschüler; darum mochten sie ihn nicht. Er schwänzte die Schule, und als sein Vater ihn einmal bestrafte, lief er fort und kam nicht wieder. Seine Frau ließ ihm keine Ruhe, also ging Abner zur Polizei, um ihn suchen zu lassen. Wahrscheinlich bemühte man sich nicht allzu sehr, jedenfalls wurde Hank nicht aufgegriffen. Er kam erst wieder, als man ihm alles verzieh. Abner durfte ihn nicht wieder schlagen, weil er drohte, dann für immer zu verschwinden.
Danach schwänzte er die Schule, wann immer es ihm passte. Er verschwand auch des Nachts, und bald erfuhr man, was er trieb. Er gehörte zu einer jugendlichen Diebesbande, die Lastwagen aufbrach und die Ladung stahl. Die Polizei fasste ihn, und nun saß er im Kittchen. Seine Mutter weinte herzzerreißend. Sie konnte ihn nicht ans Herz drücken, weil die eisernen Stäbe sie trennten. Er bereitete seinen Eltern furchtbare Schande, und sie waren doch so ehrlich und mühten und plagten sich. Stets hatten sie ihre Kinder sonntags zur Kirche geführt, kaum dass sie laufen konnten. Wie war es nur möglich, dass eins ihrer Kinder so aus der Art schlug? Woran lag das? Milly und Abner konnten es nicht begreifen.
Abner musste einen halben Tag Urlaub nehmen und zum Gericht gehen. Er nahm den Pfarrer Orgut, seinen Pastor, mit, damit der bezeuge, dass Abner ein ehrbarer Mensch sei. Sie verhandelten mit dem Richter, und Hank Shutt bekam >Bewährung<. Einmal im Monat musste er sich bei einem Bewährungshelfer melden und über seinen Lebenswandel berichten. Das dämpfte ihn für einige Zeit. Er ging zur Schule, aber er fühlte sich nie wieder in seiner Familie oder in seiner Gemeinde zu Hause. Er war gezeichnet, galt als jugendlicher Verbrecher. Die Leute würden ihn immer von der Seite ansehen, und er würde immer über ihre dumme Ehrbarkeit grinsen. Ein schwieriger junger Bengel, das war er wohl. Aber es zeigte sich bald, dass es auch für ihn eine Chance gab.

Henry Ford dehnte seine Unternehmungen weiter aus. Jetzt hielt ihn kein Dodge oder Couzens mehr auf, er war Herr im eigenen Haus. Er, seine Frau und sein Sohn waren die drei Direktoren der Ford-Motor-Company, sie waren auch die einzigen Aktionäre. Er räumte gehörig auf. Wer nicht ganz und gar zu ihm stand, flog raus. Der Krieg hatte Henry geändert und ihn eine andere Art gelehrt, mit seinen Mitmenschen umzugehen. Keine Kreuzzüge mehr, keine Friedensschiffe und keine Idealisten mehr, die sich seiner bemächtigten und ihm seine Zeit stahlen. Von nun an war er nur noch Geschäftsmann und führte alles mit noch strafferer Hand. Dies hier war seine Industrie, er hatte sie selbst aufgebaut, und von den Leuten, die er anstellte, verlangte er, dass sie genau das taten, was er ihnen befahl.
Seine Haltung wurde schroffer, seine Sätze noch knapper. »Dankbarkeit?« sagte er. »Im Geschäftsleben gibt es keine Dankbarkeit. Die Menschen arbeiten für Geld.« Er begann viele seiner ältesten Mitarbeiter hinauszuwerfen, Leute, die seit den Anfängen für ihn gearbeitet hatten. Oft machte er sich nicht einmal die Mühe, es ihnen mitzuteilen, sie fanden am nächsten Morgen jemand anders an ihrem Arbeitsplatz vor. Immer öfter packte ihn der Jähzorn, kam so ein armer Mensch dann an seinen Arbeitsplatz, so fand er seinen Tisch mit einer Axt zerschlagen. Dem Mann konnte niemand helfen. Der Tisch >gehörte ihm< ja nicht, er gehörte Henry Ford. Wenn es ihm einfiel, ihn zu zerschlagen, oder wenn er einem Mann befahl, ihn zu zertrümmern, durfte er das etwa nicht?
Unter denen, die ihren Abschied nahmen, war der Geistliche, der die Soziale Abteilung geleitet hatte. Ehrwürden Marquis war in den fünf Ford-Dienstjahren ein weiser Ratgeber gewesen. Aber jetzt sah er, dass Ungerechtigkeiten begangen wurden. Er versuchte zu vermitteln, Henry tat so, als wüsste er nichts von diesen Dingen, die auf seinen ausdrücklichen Befehl geschahen. Er versprach eine Untersuchung, unternahm aber nichts. So kam Marquis zu der Überzeugung, dass die Zeit des Idealismus vorbei sei und dass es von nun an im Fordwerk keinen Platz mehr für einen Christen gebe. Als er abtrat, stellte Henry alle weiteren Überlegungen darüber ein, wie seine Angestellten ihr Geld ausgaben. Man hatte ihn wegen seiner Sozialabteilung angegriffen, so sagte er jetzt: »Also gut - sollen sie machen, was sie wollen.« Er war der Reformer und Idealisten müde, die ihn an jene Epoche seiner Karriere gemahnten.
Er zog auch Versprechungen aus jenen überschwenglichen Tagen zurück. Damals hatte er Präsident Wilson versprochen, er werde dem Staat jeden Dollar Kriegsgewinn zurückzahlen, und diese Versicherung mit allem Pomp veröffentlicht. 29 Millionen hatte er verdient und stellte nun fest, dass er sie behalten wollte. Aber er liebte gleichfalls den Ruhm und ließ zu, dass einer seiner Biographen - ein Freund seiner Frau - behauptete, er habe dem Staat das Geld zurückgezahlt. Der Finanzminister stellte fest, nirgends sei eine solche Zahlung verbucht.

Der Krieg hatte Werte von etlichen hundert Milliarden Dollar zerstört, und nach Henrys simpler Rechnung mussten diese Werte ersetzt werden. Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung stand also vor der Tür. Im ersten Jahr nach dem Waffenstillstand verdoppelten sich die Verkäufe von Fordwagen, und er sah seine Theorien bestätigt. Doch im Jahre 1920 gab es in Wallstreet einen Börsenkrach, und das Geschäft ging stark zurück. Sogar die Verkäufe der Fordwagen sanken ab. Henry behauptete, die Preise seien durch Spekulationen hochgetrieben worden. Deshalb setzte er seine Wagen von 525 auf 440 Dollar herab. Der Preis lag weit unter den Herstellungskosten, aber er konnte das tun, weil er das Material selbst lieferte.
Er hatte bisher hunderttausend Wagen pro Monat gebaut, und dabei wollte er bleiben. Die Verkäufe gingen trotzdem zurück, Henry musste sich eingestehen, dass er in einer üblen Lage war. Als sie die Anteile der Dodge und Couzens kauften, hatten Edsel und er Wechsel über siebzig Millionen Dollar unterschrieben. Fast die Hälfte
dieses Betrages war jetzt fällig, außerdem mussten achtzehn Millionen Dollar Steuern an den Staat gezahlt werden. Diese Tatsachen wurden bekannt, und Gerüchte verbreiteten sich, dass Ford Geld leihen wolle und keins bekommen könne. Es ist eine Eigentümlichkeit des Bankensystems, dass ein Geschäftsmann dann kein Geld bekommen kann, wenn er es braucht. Henry hatte oft darauf hingewiesen.
Es erschienen Berichte über Fords Schwierigkeiten im Wirtschaftsteil der Zeitungen, aber den las Abner nicht. Dann tauchte auch die Nachricht in den Titelseiten auf, und da las er es. Eine Gruppe New Yorker Bankiers hatten Beauftragte geschickt, die einen Plan ausarbeiten sollten, wie man Ford finanzieren könne. Die Grundzüge des Plans waren: Die Bankleute wollten einen Verwalter einsetzen, um die Verwendung des Geldes zu bestimmen. Wallstreet wollte den größten unabhängigen Produzenten der Vereinigten Staaten übernehmen. Ford konnte nicht einmal soviel Bargeld auftreiben, wie es dem zehnten Teil seines Vermögens entsprach.
Abner las diese Nachrichten und war bestürzt. Er sprach mit seinen Arbeitskollegen darüber: »Was geht das uns schon an!« meinten die Jüngeren, »Wir bekommen überall Arbeit. Und eine Arbeit ist so gut oder schlecht wie die andere.« Die älteren hatten noch einen Sinn für Treue und machten sich Sorgen. Aber sie konnten auch nichts ändern. Sie bauten weiter Wagen und überlegten, ob das Werk schließen würde und wann.
Henry Ford las diese Berichte auch, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Er baute weiter Autos, und jeder erklärte ihn für verrückt. Er hatte einen Plan; zur rechten Zeit sollte die Welt schon davon erfahren. Überall im Lande gab es Fordvertreter, mehr als siebentausend. Sie hatten die Verkaufskonzession, das war viel wert, die
meisten hatten all ihr Geld hineingesteckt. Die Zeiten waren jetzt zwar schlecht, aber der Wohlstand würde schon wiederkommen, und dann konnten sie froh sein, dass sie nicht abgesprungen waren.
Anfang Dezember führte Henry seinen Schlag aus. Er hatte einen riesigen Bestand an Wagen angehäuft, sie standen in 35 Montagewerken in allen Teilen des Landes. Jetzt schickte er seinen Verkaufsvertretungen ein Schreiben und teilte ihnen mit, sie hätten diese Wagen sofort zu übernehmen, jeder eine bestimmte Zahl, und zwar gegen Barzahlung. Etliche tausend Vertreter protestierten telegraphisch. »Unmöglich!«, sagten sie, »es bedeutet den Ruin.« Aber Henry war unerbittlich: »Jeder Händler, der seine Anzahl nicht übernimmt, verliert die Konzession.«
Henry musste von den Banken kein Geld leihen! Diese peinliche Aufgabe wälzte er auf seine Vertreter ab, auf die kleinen Leute. Die sollten jeder in ihrer Stadt leihen! Sie würden nichts unversucht lassen. Mit dem Bankier ihres Ortes würden sie sich zusammensetzen und mit ihm verhandeln; von ihren Freunden würden sie borgen oder eine Hypothek auf ihr Haus nehmen. Irgendwie würden alle das Geld aufbringen und es Henry schicken. Hatte denn Henry nicht den Wagen geschaffen und auch das Geschäft, von dem der Vertreter lebte? Was nützte dem aber die Fordvertretung, wenn es keine Fords mehr gab? Also red nicht lang und zahle!

Als der Autokönig den Markt mit seinen Wagen überschwemmt hatte, schloss er seine Fabriken. Für seine Arbeiter ein schönes Weihnachtsgeschenk! Es handle sich um eine >Reorganisation<, sagte man ihnen. Viele wussten nicht, was das Fremdwort bedeutete. Es sollte nur ein paar Wochen dauern. Aber durfte man das glauben? Die Ankündigung versicherte auch, sie würden den im Januar fälligen Bonus am ersten Januar bekommen. Aber auch dem trauten sie nicht.
Es waren >schlechte Zeiten<. Abner hatte seinen Kindern oft davon erzählt, und jetzt konnte er sagen: »Hab ich es euch nicht immer gesagt!« Er hatte etwas Geld gespart und stets darum gekämpft, dass es nicht ausgegeben wurde. Man hatte ihn deshalb einen Geizkragen genannt. Jetzt musste er Geld von der Sparkasse holen; ihm und Milly war zum Sterben elend. Er hatte das Haus reparieren wollen, aber er wagte nicht, das Material zu kaufen. Es fehlte auch der Mut zum Arbeiten. Wenn sie nun ihr Haus verloren! Sie hatten erst die Hälfte der Abzahlungen geleistet. Oh, daran durften sie gar nicht denken!
Abner saß zu Hause und brütete vor sich hin oder schlenderte die Straße entlang, um die Sache mit den Nachbarn zu besprechen. Es waren alles Fordleute, die ebenfalls zu Hause saßen und warteten. Ein Schneesturm gab einmal etwas Beschäftigung, und sie reinigten die Bürgersteige. Das war eine andere Arbeit als die am Fließband. Sie kamen dabei außer Atem. Abner hatte zugenommen und das für ein Zeichen der Gesundheit gehalten. Aber da irrte er sich, denn es war nur ein fetter Bauch. Seine Beine waren schwerfällig geworden, und vom vielen Stehen hatte er Krampfadern. Ein Boss am Fließband durfte sich niemals hinsetzen, und viele der Arbeiter durften nie im Stehen arbeiten.
Er versuchte die Sorgen mit seinen Kindern zu bereden, aber das war nicht leicht. Sie waren jung und selbstsicher. Sie kannten die Welt noch nicht. Die niedliche kleine Daisy hatte alles darangesetzt, eine Handelsschule zu besuchen. Sie wollte eine schöne Stenotypistin werden und Seidenstrümpfe tragen. Der kleine Tommy war jetzt elf Jahre; er wollte die Welt später einmal regieren. Er fing schon in der Schule damit an, wo es immer Unternehmungen und Veranstaltungen gab. Immer musste er irgendwohin und fand keine Zeit für Arbeiten im Hause. Es blieb ihm nicht einmal Zeit, seine Eltern näher kennen zu lernen.
Die Wartezeit dehnte sich auf sechs Wochen aus. Abner wollte die Hoffnung schon aufgeben, da brachte der Briefträger die Nachricht, er könne wieder anfangen. Nun sah er, was sein Arbeitgeber inzwischen getan hatte. Alle Überbleibsel der Rüstungsarbeit waren beseitigt, ein neues Werk war entstanden. Überall wurde bis aufs letzte gespart. Keine Abteilung und nicht einen einzigen Angestellten gab es, die für die Herstellung der Wagen nicht unbedingt notwendig waren. Keine Statistiken mehr, keine Wohlfahrtsarbeit mehr für die Arbeiter, keine Umschweife und keine Verzettelungen fortan! Sechzig Prozent der Telefonverbindungen wurden beseitigt. Junge Damen, die bisher seidene Strümpfe in den Büros getragen hatten, arbeiteten jetzt am Fließband der Magneten.
Bisher hatte man pro Wagen und Tag fünfzehn Leute beschäftigt. Das war jetzt auf neun gekürzt. In seinen öffentlichen Verlautbarungen erklärte Ford: »Das bedeutet nicht, dass sechs von fünfzehn Leuten ihre Arbeit verloren haben. Sie stehen oder sitzen jetzt nur nicht mehr unproduktiv herum.« Wollte man dieser Verlautbarung glauben, dann hätte das Werk die Produktion um 66 Prozent erhöhen müssen. Aber tatsächlich wurde genauso viel produziert wie vor der >Reorganisation<, nämlich viertausend Wagen pro Tag. Sie kürzten die Herstellungskosten für einen Wagen von 146 auf 93 Dollar. So sparte man 60 Millionen im Jahr. Das Ergebnis war, dass Tausende von Menschen sich in die Brotschlangen von Detroit und den benachbarten Städten einreihen mussten. Und dennoch veröffentlichte Henry Ford auch weiterhin Artikel in der >Saturday Evening Post<, in denen er bewies, dass die Entwicklung der Maschine keine Arbeitslosigkeit verursache.
Abner Shutt hatte bisher die Arbeit von fünf Leuten beaufsichtigt. Jetzt überwachte ein Vormann die Arbeit von zwanzig Leuten, und Abner war einer dieser zwanzig. Man stellte ihn ans Band zurück. >Wir wollen die Leute nicht verzärteln, die für uns arbeiten<, schrieb Henry, und so bemitleidete niemand Abner, als er seinen Posten verlor. »Der Mensch arbeitet fürs Geld«, sagte der Boss, und Abner bekam den geringsten Lohn, sechs Dollar pro Tag, und war noch dankbar dafür wie ein Hund für seinen Fraß.
Bei dieser >Reorganisation< kam das Chassis zu ihm, die Achsenmuttern waren schon aufgeschraubt. Abners Arbeit bestand nur darin, einen Splint durchzustecken und ihn zu spreizen. Der nächste Mann hatte einen Spatel und strich eine braune Schmiere in die Öffnung, schon war das Chassis zum nächsten Arbeiter gewandert, der die Schutzkappe aufschraubte. Abner konnte bei seiner Arbeit seine übermüdeten Beine ausruhen, aber sein Rücken begann abscheulich zu schmerzen. Die Arme fielen ihm fast herunter, weil er sie ewig ausgestreckt halten musste. Aber er strengte sich an, als gelte es das Leben. Er war jetzt über vierzig, und das ist für den Arbeiter in jeder Fabrik ein gefährliches Alter. >Wir verlangen, dass die Leute tun, was ihnen gesagt wird<, schrieb Henry.

In Dearborn, wo Henry Fords Büro war, gab es eine verkrachte kleine Wochenzeitung. Sie hieß der >Independent< und hatte etwa 700 Abonnenten. Um jemandem aus der Patsche zu helfen, hatte Ford sie für 1200 Dollar gekauft, und weil er nun einmal nichts nutzlos herumliegen lassen konnte, setzte er einen Herausgeber ein und sagte ihm, wie er das Blatt wieder auf die Beine zu bringen habe. Da er vor Ideen stets überkochte, gab er dem Herausgeber einige Richtlinien, die dieser verwirklichte. Außerdem mussten die Fordvertretungen eine bestimmte Anzahl subskribieren. So wurde die Ausgabe des >Dearborn Independent< auf 150000 erhöht.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Schriftsteller aus Kalifornien an einem Buch, das die Ehrlosigkeit der amerikanischen Presse aufdecken sollte. Viele seiner Gespräche mit dem Autokönig drehten sich um dieses Thema. Es war auch das einzige, was Henry wirklich interessierte. Er hatte seine Erfahrungen mit Zeitungen gemacht und stimmte gern zu: »Ja, das Land braucht eine Zeitung, die für das Wohl des Volkes spricht und den Mut hat, es über die wahren Geschehnisse aufzuklären.« Henry hatte dem Autor versprochen, er wolle diese Lücke im öffentlichen Leben Amerikas schließen. Er wollte den >Dearborn Independent< zu einem nationalen Organ mit einer Auflage von zwei bis drei Millionen machen.
Das Blatt unterstützte Präsident Wilson bei seinen Bemühungen um einen gerechten Frieden und um den Völkerbund. Aber allmählich merkte Henry, dass die Dinge sich nicht so entwickelten, wie er es gehofft hatte. Die Welt schien am Rande des Abgrunds. Es war ganz offenbar: Böse Kräfte waren am Werk! Sie durchkreuzten die Pläne guter Kapitalisten, wie er selbst einer war, die doch nur billige Automobile herstellen und ihren Arbeitern hohe Löhne zahlen wollten, damit sie sich einen Wagen kaufen konnten, um zur Arbeit zu fahren und noch mehr Wagen zu schaffen. Irgendwo war etwas faul im Staate! Henry Ford wollte die Übeltäter demaskieren, die dafür verantwortlich waren.
Boris Brasol, ein Exilrusse, kam Henry Ford wie gelegen. Er hatte die bösen Kräfte erforscht, die jetzt versuchten, Europa zu vernichten. In Brasols Heimat war ihnen das schon gelungen. Jetzt streckten sie in Ungarn die Hand nach der Macht aus, und in Deutschland waren sie auch schon nahe daran. Die Bolschewisten? Oh ja, das schon - aber wer stand hinter den Bolschewisten? Diese Frage leuchtete Henry Ford ein. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, folglich konnte er nicht anders denken: Es musste Geld dahinterstecken, wenn Dinge in größerem Ausmaß geschahen. So war es in der Politik, so war es auch im Weltkrieg gewesen. Bei der >Weltrevolution< konnte es zweifellos nicht anders sein.
Ein ehemaliger Agent der >Schwarzen Hundertschaft< lieferte Unterlagen. Sie waren sorgfältig zusammengestellt, sauber mit der Maschine geschrieben und mit einem Index versehen. Das vereinfachte das Zitieren. Henry Ford war entschlossen, jedem Menschen zu beweisen, dass die Übel der Welt ihre Ursache in einer Verschwörung der Juden hatten, dieser egoistischen und übelsinnigen Rasse, die nach der Weltherrschaft strebte.
Sehen Sie nur, Mr. Ford! Die Bankiers haben doch versucht, Ihnen Ihr Geschäft fortzunehmen. Wer sind sie denn, diese Bankiers? Juden! Alle internationalen Bankiers sind Juden! Rothschilds, Samuels, Barings, Belmonts und die Baruchs, Strauß', Warburgs und Kuhns, die Loebs, Kahns und Schiffs. Die Liste der Rüstungsmagnaten, die den Krieg anzettelten, liest sich wie die Gemeindeliste einer Synagoge. Und werfen Sie einen Blick auf die Liste der Revolutionäre - Trotzki und Radek, Sinowiew, Bela Kun, Liebknecht und Luxemburg. Wundert es Sie, dass die Juden Streiks und Revolutionen benutzen, um die Nationen ihrem Willen zu unterwerfen?
Hier sind die Beweise, Mr. Ford, die vor jedem Gericht bestehen können. Wir haben die Originaldokumente an einem sicheren Ort in einem Geheimfach: die Aussagen der Verschwörer selbst, die >Protokolle der Weisen von Zion<. Protokolle! Was ist denn ein Protokoll?

Henry Ford veröffentlichte im >Dearborn Independent< eine Artikelserie über das >Internationale Judentum<! Er legte die Protokolle der Weisen von Zion einem entsetzten Amerika vor. Er berichtete dem Land alles über das Jüdische Weltprogramm<, >das umfassendste Programm zur Unterjochung der Welt, das jemals ersonnen wurde<. Jüdische Agenten arbeiteten im geheimen daran, die arische Gesellschaft zu zerstören. Alle Übel der Welt, Kriege, Streiks, Aufstände, alle Revolutionen und Verbrechen, Trunkenheit, Epidemien, Katastrophen waren das Werk verworfener, boshafter Juden.
Die Zeitung blieb zwanzig Wochen lang bei diesem Thema. Sie schrieb: >Die Tatsachen in dieser Serie veröffentlichen wir nach strengster und sorgfältigster Prüfung.< Das amerikanische Volk, das Henry Ford als ehrlichen und tüchtigen Geschäftsmann kannte, war bereit, diese Wahrheit zu glauben, er gab sein Wort dafür.
Einige Juden in Amerika protestierten und versuchten sogar, auf diese Artikel zu antworten. Da begann Henry, der nie eine Arbeit nur halb tat, Material über die amerikanischen Juden und ihr Tun zu sammeln. Er verlegte den größeren Teil seiner Spionageabteilung von Dearborn nach New York. Er veröffentlichte eine Artikelreihe >Die Aktivität der Juden in den Vereinigten Staaten<. Dann folgte eine andere: Jüdischer Einfluss auf das amerikanische Leben<, dann Betrachtungen über die Macht der Juden in den Vereinigten Staaten. Er wies nach, dass die Juden Bühne und Leinwand beherrschten und so die Moral Amerikas zerstörten. Das taten sie nicht etwa, weil es Geld einbrachte. O, nein! Alles war nur ein perfides Mittel, die amerikanische Zivilisation zu zerstören. Trunksucht breitete sich aus und nicht etwa deshalb, weil die Juden am Alkohol Geld verdienten, sondern weil sie wünschten, dass Amerika sich dem Trunke ergäbe. Juden beherrschten den Textilhandel, deshalb trugen die amerikanischen Mädchen kurze Röcke. Juden beherrschten die Musik, deshalb lauschte das amerikanische Volk dem Jazz und tanzte sich verrückt. Der weiße Sklavenhandel, der Anstieg des Bodenzinses, die Abwanderung vom Lande in die überfüllten Städte, die Ausbreitung des Bolschewismus und der Evolutionstheorie, all das waren nur Mittel der Verschwörung der Juden gegen die arische Menschheit.
Henry führte diesen Kreuzzug fast drei Jahre lang. Nachdem die Artikel in der Zeitung erschienen waren, wurden sie als Broschüren gedruckt. Das gab fünf Bände mit je 250 Seiten. Sie kosteten 25 Cent pro Band - noch ein Erzeugnis der Massenproduktion. Die Landbevölkerung Amerikas und die >reinblütigen< Amerikaner in den Städten, die den >Dearborn Independent< bezogen, kauften diese Broschüren und studierten und befragten sie wie die Heilige Schrift.
Henry hatte einmal gesagt, »Geschichte ist wertloses Zeug«; aber damit war natürlich nicht die Geschichte gemeint, wie sie in den >Protokollen der Weisen von Zion< vorlag. Oder gar die Geschichte des Benedikt Arnold und seines >jüdischen Verführers<, der Quartiermeister der amerikanischen Armee war und den unglücklichen jungen Offizier ins Verderben stürzte. Henry hatte Benedikt Arnold kennen gelernt und konnte ihn jetzt auch von Arnold Bennett unterscheiden. Er hatte auch alles Material über die Bolschewisten und ihre Revolution in Russland aufgetrieben. Diese Art >Geschichte< erzählte er den einfachen Menschen Amerikas; und das war kein wertloses Zeug<.
»Alle jüdischen Bankiers leben noch in Russland. Nur die Nichtjuden wurden damals erschossen, nur ihr Eigentum wurde beschlagnahmt. Der Bolschewismus hat nicht das Kapital abgeschafft, er hat nur das Kapital der Nationalen Russen gestohlen. So wird es jeder jüdische Sozialismus, Anarchismus oder Bolschewismus machen. Jeder Bankier, den man mit Dollarnoten am Rock in den Zeitschriften karikiert, ist ein Nationaler Bankier; jeder Kapitalist, der in roten Streitschriften öffentlich beschuldigt wird, ist ein Nationaler Kapitalist. Jeder große Streik bei den Eisenbahnen, bei Stahl und Kohle ist gegen die Nationale Industrie gerichtet. Das ist der Zweck der Roten Bewegung. Sie sind Verbündete, der Jude und der Antichrist.«

Abner Shutt bezog den >Dearborn Independent<. Er kostete einen Dollar fünfzig im Jahr, also noch nicht einmal drei Cent pro Ausgabe. Es war die einzige Zeitschrift, auf die er je abonniert war, außer dem Wochenblatt der >Wahren Gläubigen<. Er las gutgläubig jedes Wort, und als die Broschüren im >Independent< angekündigt wurden, bestellte er sie. Es war das erste Buch, das er sich in seinem Leben kaufte. Die Familienbibel hatte Milly zur Heirat als Geschenk bekommen. So vieles von den Vorgängen in der Welt war ihm geheimnisvoll gewesen. Hier wurde es ihm erklärt! Er sprach darüber mit seinen Kollegen im Werk, die die Wahrheit dieser Schrift bezweifelten.
Abner selbst hatte bisher nichts mit Juden zu tun gehabt. Aber von nun an sah er sich die Gesichter der Handelsvertreter, die an seine Tür kamen, genau an und lernte jüdische Züge erkennen. Aus dem >Dearborn Independent< kannte er nun jüdische Namen. Bemerkte er solche auf einem Schild über einem Laden, so trat er dort nicht ein und musste häufig ziemlich lange herumsuchen, bis er sich eine neue Mütze oder ein Paar Socken in Highland Park kaufen konnte.
Er warnte auch die Kinder davor, sich mit dieser üblen Rasse einzulassen. So erfuhr er jetzt auch, dass der Anführer der Bande, welche die Lastwagen beraubt hatte, Levy hieß. Damit war natürlich alles erklärt, und das machte Abner etwas geneigter, seinem Sohn zu verzeihen. Abner sprach mit ihm darüber und erfuhr die Namen von Leuten hier in der Stadt, die durch Spiel, Whisky und Verkauf gestohlener Waren Geld machten. Einige Juden waren darunter. Abner merkte sich ihre Namen.
Er merkte sich auch eine Lehrerin, die es wagte, seinem Sohn Tommy zu erzählen, Mr. Fords Material über die Juden sei nicht stichhaltig. Der Name der jungen Lehrerin war O'Toole. Das war zwar nicht verfänglich, aber darauf konnte man sich nicht verlassen. Abner war durch Henry darauf hingewiesen worden, wie oft die Juden ihren Namen verdeckten. Wenn man nachforschte, fand man wahrscheinlich heraus, dass die Lehrerin ursprünglich Otulinski hieß oder sonst irgendwie so ausländisch. Als er diese Informationen sammelte, war es noch nicht viel mehr als Neugier. Eines Abends aber kam ein Mann zu ihm, der Abners Namen aus der Subskriptionsliste der Zeitung hatte. Dieser Mann gehörte einer Bürgergruppe an, die sich mit Worten allein nicht zufrieden geben wollten, sondern Taten verlangten. Die Verräter und Revolutionäre waren organisiert, Amerika musste ein Gleiches tun. Früher gab es einen Bund, den Ku Klux Klan, dessen Trachten es gewesen war, die Negeraufstände im Süden niederzuhalten. Das war ein Stück Geschichte, kein wertloses Zeug<. Jetzt sollte dieser Bund wieder ins Leben gerufen werden, um Juden, Katholiken, Rote und ähnliche Feinde niederzuschlagen. Sie suchten Leute wie Abner, und dieser versicherte, er hätte selbst schon nach solch einem Bund Ausschau gehalten.
Er zahlte zwanzig Dollar, seinen halben Wochenlohn. Man führte ihn in einen Saal, kleidete ihn in ein weißes Gewand mit Kapuze und einem roten Kreuz auf der Brust. Er ließ ein feierliches Zeremoniell über sich ergehen und schwor gräuliche Eide, die er sich Wort für Wort zu Herzen nahm. Man lehrte ihn geheime Losungsworte und gab ihm Namen und Adresse seines >Führers<. Dann schickte man ihn los, um Informationen über die Verräter in Amerika zu sammeln.
Wenn er einen gefunden hatte, wurde eine Versammlung der Klanmänner einberufen. Man fertigte ein Schild an, mit Kreuzen darauf und Worten in roter Schrift, nagelte es an die Tür des Verräters: >Der Klan wacht!<. Um die Verräter in Furcht zu versetzen, versammelten sich von Zeit zu Zeit des Nachts Hunderte weiß gekleideter Gestalten auf einem Felde. Sie trugen ein hohes Kreuz, das sie aufrichteten und anzündeten, damit alle Welt es sehen könnte. War das Feuer niedergebrannt, so ging Abner heim und hatte wieder das sichere Gefühl, das Nationale Protestantische Amerika sei gerettet.

Henry suchte weiter nach dem Schmutz der Juden. Er nahm sich einen Fall nach dem anderen vor und präsentierte ihn der Öffentlichkeit. Natürlich geschah das nie ohne gewissenhafte und gründlichste Prüfung. Bis er schließlich an einen Juden mit Namen William Fox, einen Hersteller von Wochenschauen, geriet. Henry sammelte viel Material über die Geschäftsmethoden von Fox und die Unmoral seiner Bilder. Fox erfuhr von den Nachforschungen Fords. Er schickte ihm einen Boten, der Mr. Ford mitteilte, er, Fox, habe auch Untersuchungen angestellt. William Fox hatte eine Wochenschau, die zweimal in der Woche zu Tausenden von Kinos fuhr. Fox ließ Mr. Ford mitteilen, dass erschreckend viele Fordwagen Unfälle gehabt hätten. Er werde seine Kameraleute, und er hatte Hunderte davon, im ganzen Lande Nachrichten und Berichte über Unfälle von Fordwagen sammeln lassen. Auch Bilder der zerstörten Wagen mit allen Einzelheiten sollten sie bringen und wie viele Leute getötet wurden, wie viele Hinterbliebene es gab und so weiter. Fachleute sollten dann untersuchen, welcher Defekt den Unfall verursacht hatte. Die Kameraleute würden jede Woche Hunderte von Berichten schicken, und William wolle nur die besten für seine Wochenschau auswählen.
Diese Botschaft wirkte sofort. Henry sandte William eine Antwort: »Ich habe mich entschlossen, den Kampf gegen die Juden einzustellen.«
Er wurde eingestellt, und Abner Shutt, der gläubige Abonnent, las nichts mehr über die Verbrechen der Juden. Das betrübte ihn nicht, er hatte ja die fünf Bände, in denen er stets nachlesen konnte. Der Ku Klux Klan verbrannte weiter seine Kreuze und graulte einige jüdische Händler fort, die die Preise unterboten hatten. Außerdem verschreckten sie ein paar Männer, die im Verdacht standen, außerehelich mit Weibspersonen zu verkehren.
Ein Jude namens Sapiro hatte gegen Henry Ford einen Verleumdungsprozess angestrengt und fünf Millionen Dollar Schadensersatz verlangt. Einige Jahre lang nutzte Henry jedes nur mögliche Mittel, um zu verhindern, dass der Fall zur Verhandlung käme. Doch schließlich hatten die Bemühungen keinen Erfolg mehr, und als ersten Schritt zu einem Vergleich gab der Automagnat eine Presseerklärung heraus: Er habe bis heute keine Zeit gefunden, all das zu lesen, was der >Dearborn Independent< veröffentlichte. Jetzt hätten ihm einige Freunde erklärt, die Anschuldigungen und Anklagen gegen die Juden seien unwahr. Daraufhin habe er nun zum ersten Mal dieses Blatt gelesen, und er sei »tief erschüttert, dass dieses Blatt, das dem Aufbau dienen sollte, zu einem Werkzeug gemacht worden sei, erfundene Anschuldigungen zu verbreiten.« Es treffe nicht zu, dass die Juden eine Verschwörung planten, um die Welt zu unterjochen. Die >Protokolle der Weisen von Zion< hätten sich als Schwindel erwiesen. Hätte Henry vorher ihren wahren Charakter gekannt, so »würde ich ihre Veröffentlichung ohne auch nur eine Sekunde Zögern untersagt haben«. Henry fuhr fort und schlug sich an die Brust:
»Ich halte es für meine Pflicht als Ehrenmann, die Juden für das Unrecht, das ihnen als Mitmenschen und Brüdern geschehen ist, zu entschädigen. Ich bitte sie daher um Vergebung für das Unrecht, das ich ihnen ohne Absicht zugefügt habe, und, soweit es in meiner Macht liegt, nehme ich die beleidigenden Anschuldigungen zurück, die man ihnen zur Last gelegt hat. Ich gebe ihnen die uneingeschränkte Versicherung, dass sie fortan auf mich in Sachen der Freundschaft und des guten Willens rechnen können.«
Sehr schön, wirklich sehr schön! Aber Henry Ford hatte auch eine Autobiographie unter dem Titel >Mein Leben und Werk< veröffentlicht. Darin sprach er in der ersten Person, erklärte sich eins mit dem antisemitischen Feldzug; ja, die schlimmsten Anschuldigungen waren darin angeführt und nochmals hervorgehoben. In diesem Buch wurde der jüdische Einfluss als >schmutziger Orientalismus< gebrandmarkt, >der jede Ader der öffentlichen Meinung heimtückisch vergiftet habe<. In diesem Buch forderte Henry die besseren Juden auf, >die überholten Ideen rassischer Überlegenheit fallenzulassen, die in einem wirtschaftlichen oder moralischen Vernichtungskrieg gegen die christliche Gesellschaft noch aufrechterhalten werden.< Von sich selbst erklärte er in dieser Biographie, er habe in seinen antisemitischen Schriften verderbliche Ideen ans Licht gezerrt, welche die Volksmoral untergrüben. Er forderte das amerikanische Volk zu der Einsicht auf, >es handele sich dabei nicht um naturbedingten Verfall, sondern um wohlberechnete Heimtücke, die uns zerstören soll<.
Hatte Henry Ford keine Ahnung von dem, was er in seiner eigenen Biographie geschrieben hatte? Oder war er jetzt schon so groß, dass die Wahrheit ihn nicht mehr kümmerte?

Tom Shutt, der Jüngste, war jetzt fünfzehn und sollte bald die Highschool besuchen. Ein kräftiger Bursche - war er doch in einer Zeit aufgewachsen, als die Familie reichlich zu essen hatte. Er besaß zwei große Vorderzähne wie sein Vater, aber die blauen Augen hatte er von seiner Mutter und auch das lockige braune Haar, das den Mädchen so gut gefiel. Abner fand es schlimm, dass Tom nicht wie er dachte. Der teilte die allgemeine Dankbarkeit der Familie gegen Henry Ford nicht, sondern behauptete, Ford habe aus seinen Arbeitern mehr herausgeholt als sie jemals aus ihm. Er hielt auch nichts von dem >Klan<, im Gegenteil - er nannte ihn eine gemeine Bande. Abner wollte ihn deshalb verprügeln, aber Milly hatte noch genug von den Erfahrungen mit Hank. Sie schlang die Arme um ihren Jungen und schrie.
Abner lernte seinen Mund halten und musste die Kinder reden lassen, was sie wollten. Er sprach mit seinen Freunden darüber und kam zu der Überzeugung, die Schuld daran hätten die Lehrer in der Schule. Die >Roten< hatten sich dort eingeschlichen und setzten den Kindern >unamerikanische Ideen< in den Kopf. Bald müsste man etwas dagegen tun, erklärten die hundertprozentigen protestantischen Stammamerikaner.
Der Klan >wachte< weiter und bereitete sich auf seinen größten Kampf seit seinem Bestehen vor. Man wollte im Weißen Haus Fuß fassen. Im ganzen Lande hatten die Klan-Männer, die auch zur Kundschaft Fords gehörten, den Gedanken gefasst, Henry Ford zu ihrem Kandidaten zu machen. Hier im Ort war ein Klub gegründet worden: >Ford aus Dearborn - unser Präsident!< Dieser Klub hielt Versammlungen ab und machte in den Zeitungen unablässig Propaganda. Alle Mitglieder trugen ein Hutband mit der Aufschrift >Wir wollen Henry<. Eins dieser Bänder bekam auch Abner, er fragte aber nie, mit wessen Geld es wohl bezahlt war. Milly musste es ihm auf die Mütze nähen, und er trug es stolz zur Arbeit.
Es war ein seltsamer Wahlfeldzug. Niemand wusste, ob der Kandidat Demokrat oder Republikaner war. Der Kandidat erklärte sich nicht. Wahrscheinlich wusste er es selbst nicht. Henry baute weiter Wagen. Eineinhalb Millionen waren es jetzt pro Jahr, und man näherte sich zwei Millionen. Obwohl er den Preis immer wieder herabsetzte, hatte er jährlich einen Gewinn von hundert Millionen Dollar. Er war einer der zwei oder drei Milliardäre geworden, die es auf der Welt gab.
Schon hatte er den zehnmillionsten Fordwagen hergestellt und schickte in auf eine Werbefahrt durch die Vereinigten Staaten. Da zeigte sich, wie populär er war! Wohin das Auto auch kam, empfing ihn die Bevölkerung mit Paraden und Musikkapellen. Die stolzen Besitzer der uralten Fords - Abner hatte ihnen noch eigenhändig die alten Wagenlaternen aufgeschraubt und die gepolsterten Sitze aufgelegt - holten ihre alten Karren aus dem hintersten Winkel hervor und holperten mit ihnen dem Ururenkel zur Begrüßung entgegen. Als der Wagen nach Hollywood kam, machte er seinen Weg durch alle Studios. Die Filmstars kamen heraus, begrüßten ihn und wollten am Steuer fotografiert werden.
Hunderte von Vereinen >Ford, unser Präsident< wurden gegründet, und die Meinungsumfragen der Zeitungen und Zeitschriften zeigten Henry mit weitem Vorsprung vor allen anderen Kandidaten, sogar vor Präsident Harding. Riesige Summen wurden für diese Kampagne ausgegeben. Woher kam das Geld eigentlich? Man war klug genug, das zu verschweigen. Soviel war klar: Henry konnte bei dieser Sache nichts verlieren. Denn gab es eine bessere Reklame als durch die Stimmzettel einer nationalen Wahl? Wallstreet fürchtete seine Kandidatur so sehr, dass ein Börsianer dort eine Versicherung gegen seine Wahl über 400000 Dollar abschloss.
Präsident Harding, ein Politiker von Kleinstadtformat, von Betrügern umgeben, starb an gebrochenem Herzen. Der Vizepräsident nahm seinen Platz ein, und damit war das Problem für Henry und den Klan gelöst. Dies war ja ihr Mann! Und sogar schon in Amt und Würden! Ein weißer Stammamerikaner, Protestant und hundertprozentiger Vermont-Yankee, handfest, schweigsam - der starke, verschwiegene Staatsmann Cautious Calvin. In seinem kleinen Farmhaus im Gebirge weckten sie ihn im Morgengrauen und ließen ihn den Amtseid schwören. Dann brachten sie ihn rasch nach Washington, damit er sich einer Nation annähme, die durch Ausbeuter, Spekulanten, Juden, Neger, Katholiken und Bolschewisten bedroht war.
Henry besuchte Calvin, und sie hatten eine Geheimkonferenz. Das Resultat war, dass Calvin alle Vorschläge des Henry Ford billigte. Dafür trat Henry von seiner Präsidentschaftskandidatur zurück. >Zeigt Coolidge die kalte Schulter!< Mit diesem Motto betrieben der Autokönig und der Klan nun die Wiederwahl ihres Mannes.

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