Die deutschen Militaristen hatten ihre Kriegsmaschine raffiniert aufgebaut. Aber sie verstanden sich nur halb so gut auf die Mentalität anderer Völker. Ihre Diplomaten hatten versagt und die halbe Welt in den Krieg mit Deutschland gedrängt. Sie wären vielleicht froh gewesen, wenn sie eine Gelegenheit gehabt hätten, sich jetzt aus dem Schlamassel zurückzuziehen, um den Krieg später und besser geplant wieder anzufangen. Aber die britischen Marineexperten, die mit angesehen hatten, wie man vor ihrer Haustür eine feindliche Flotte baute, waren um keinen Preis bereit, den Krieg aufzugeben, bevor diese Flotte zerstört war. Das war ihr Ziel, dafür setzten sie alle Macht und das Prestige ihres Empires ein - nicht nur Kanonen und Gold, auch die Beredsamkeit ihrer Literatur, die Frömmigkeit ihrer Moral, die Heiligkeit ihrer Kirche und das wahrhaft majestätisch-süffisante Selbstbewusstsein ihrer herrschenden Klasse.
Diese Mächte hatten in New York Einfluss, und es gab starke Kräfte im Lande, die sie unterstützten. Wallstreet hatte eine Hausse, wie es sie in der Weltgeschichte noch nicht gegeben hatte. Was nur irgend in einem Weltkrieg gebraucht werden konnte, zog an. Siebzehntausend neue Millionäre wurden in den Vereinigten Staaten gemacht. Das alte Bankhaus J.P. Morgan und Co., das noch immer an der Ecke Broadway und Wallstreet residierte, handelte mit den Dollarmilliarden der Alliierten und überwachte ihre Verteilung unter die >Kriegskinder< der Industrie. Alle Banken in Wallstreet waren mit Geld voll gestopft. Die großen New Yorker Zeitungen und Zeitschriften aber, entweder Kunden dieser Banken oder direkt von ihnen beherrscht, eiferten für die Fortsetzung des Krieges und die Zerstörung der deutschen Flotte. Man hatte die Lösung ausgegeben, Henry Ford als Affen hinzustellen und sein Friedensschiff als Affenkäfig. Dieser Auftrag wurde mit einer Gründlichkeit ausgeführt, die man nur in generationenlanger Übung in Zynismus und Bosheit erwirbt.
Ein anständiger Mensch konnte in jenen Tagen durchaus sagen, dass Henry Ford für die Aufgabe, die er sich vorgenommen hatte, ungeeignet war. Aber er musste doch seinen Mut und seine Selbstlosigkeit bewundern. Ein ehrlicher Mensch konnte auch glauben, Ford sei im Irrtum, und es sei besser, dass der Krieg ausgefochten und der Kaiser geschlagen werde. So konnte man es auch sehen. Wenn aber die Historiker heute von dem besseren Blickpunkt, den der Abstand der Jahre verleiht, auf die Ereignisse jener Tage schauen und feststellen, was unsere alliierten Staatsmänner aus ihren Gelegenheiten gemacht haben, und sich dabei gar an die Ideen von Wahrheit und Gerechtigkeit erinnern, die ihnen damals angeblich vorschwebten, wenn sie gar den Frieden betrachten, den man dann schloss, und was letztlich dabei herauskam - dann könnten sich die Historiker fragen, ob Henry Ford und sein Narrenschiff nicht mehr Vernunft zeigten als alle Staatskanzleien Europas und des britischen Empires zusammen.
Abner Shutt kam eines Nachmittags nach Hause, zog seine Schuhe aus, wärmte seine Füße am Küchenherd und las von der Welt und was in ihr geschah. Als er erfuhr, dass Mr. Ford auszog, den Krieg zu beenden, war er nicht überrascht, im Gegenteil - es schien ihm nur richtig und vernünftig. Er hatte längst bei sich entschieden, dass sein Arbeitgeber der größte Mann der Welt sei, und wenn jetzt die gekrönten Häupter und Potentaten Europas Mr. Fords Wahrheit erkannten, so war das für sie und ihre unglücklichen Völker das beste. Mr. Ford würde ihnen schon zeigen, wie man die Sache anpacken musste, und schon bald würden alle Arbeiter wie Abner fünf Doller achtundvierzig pro Tag verdienen.
Der Inspektor für das Verschrauben der Räder las von den Szenen, die sich beim Ablegen des Friedensschiffes abgespielt hatten. Da war das große Schiff, >Frieden um jeden Preis< stand darauf. Berühmte Leute waren gekommen, um mitzufahren oder Abschied zu nehmen. Große Menschenmassen und Musikkapellen hatten sich eingefunden. Ein Rufen und Singen war das, und Reden wurden gehalten. Mr. Ford kam in einem dicken braunen Mantel, der mit Pelz gefüttert war. Seine Freunde Bryan und Edison, die von ihm Abschied nehmen wollten, begleiteten ihn. Irgend jemand überreichte ihm einen Armvoll Rosen, und Ford verteilte sie an seine Freunde, während er an der Reeling stand. Die Kapelle auf dem Steg spielte Jungs, es ist Zeit für die Heimat<.
Ein theatralischer Mensch in schwerem Ulster postierte sich auf dem Oberdeck, spielte den Zeremonienmeister und schrie seine Anweisungen durch ein Megaphon. »Ah, da ist der Mann, der euch das Licht gebracht hat, auf dass ihr sehen könnt! Meine Damen und Herren, ein dreifaches Hoch für Thomas Alva Edison, hipp, hipp, hurra! Und jetzt ist die Kapelle wohl so nett und spielt das rührende Lied >Ich habe einen Jungen, aber nicht für den Krieg<.«
Zwei Friedenspilger ließen sich an Bord trauen; Ford und Bryan waren Trauzeugen. Ein Mann mit einer neuen Religionsphilosophie war mit an Bord gekommen und ein Dichter mit einer Manuskriptrolle, darauf stand eine Ode an die Friedensgöttin. Es kamen Vegetarier, Antialkoholiker und der Präsident der Liga der Nichtraucher an Bord. Ein Mann erschien mit einem Eichhörnchen im Käfig, das er Mr. Bryan getauft hatte. Als das Schiff ablegte, sprang ein Mann ins Wasser und schwamm hinterher.
Friedenskämpfer aller Schattierungen waren an Bord dieses Schiffes, bedeutende und Schwärmer: Ein Richter, der sein Leben der Einrichtung des ersten Jugendgerichts gewidmet hatte. Der erste weibliche Senator der USA.
Der erste Landarbeiter, der Gouverneur geworden war. Die Witwe eines Fabrikanten, die ihr Vermögen für die Durchführung der Steuerreform gestiftet hatte. Eine junge Dame, die bei der ersten Suffragetten-Demonstration auf einem Schimmel durch die Fifth Avenue geritten war. Auch ein pazifistischer Geistlicher, dessen gespreizte weiße Schnurrbartspitzen etwas komisch wirkten. Und endlich ein Mann, der einmal im Central Park eine Margarinekiste bestiegen und die Arbeitslosen aufgefordert hatte, ihm zu folgen und die Regierung über den Haufen zu werfen.
Mr. Ford bekam die Grippe und musste in seiner Kabine bleiben, was mitten auf dem Ozean und im Spätherbst kein Vergnügen war. Die Berichte sprachen von geheimen Konferenzen, und jede Fraktion versuchte, ihre Position durchzusetzen. Sie erzählten aber nicht, wie die Reporter in Mr. Fords Kabine eindrangen und ihn sehen wollten. Sie fühlten sich dazu berechtigt, man hatte sie schon einmal, nämlich bei dem Tode des älteren Morgan, hinters Licht geführt. Sie wollten sich schließlich nicht auch noch den Tod des Henry Ford aus der Nase gehen lassen!
Es waren 45 Reporter der verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften als Henry Fords Gäste an Bord. Er glaubte an die Freiheit der Meinungsäußerung und dass das Volk ein Recht habe, alles zu erfahren. Ein Journalist der Londoner >Daily Mail< meldete sich an; als man ihn abwies, hatte er ein Billett zweiter Klasse als Passagier gekauft. Der gütige Mr. Ford hörte davon und lud den Herrn selbstverständlich zu der Reise ein. Er war recht
naiv, dieser Mr. Ford! Er wusste weder, wer dieser Journalist war noch welche Zeitung er vertrat.
Der Verleger der Londoner >Daily Mail< war in ähnlich schneller und Aufsehen erregender Art zum Erfolg gekommen wie Henry Ford selbst. Nur, statt solide Maschinen zu verkaufen, hatte er sein Geschäft mit Sensationen und Skandalen gemacht. Er war jetzt Multimillionär, er hatte Macht, und da dies in England geschah, war aus Alfred Harmsworth ein Lord Northcliffe geworden. Sein Reporter erkannte die Einfalt des Farmerssohns aus Michigan und funkte über den nicht zensierten Telegraphen des Friedensschiffes detaillierte Berichte über Streit und Eifersüchteleien zwischen den Pazifisten, gespickt mit allen erdenklichen Lügen, Verdrehungen und Übertreibungen. Diese Berichte gingen an alle neutralen Länder. Durch die Presse des >erhabensten< aller Länder, dieses Weltreichs durch Waffengewalt, wurden die >Skandale< verbreitet, und man erzählte der Welt, Henry Ford sei >ein Gefangener in seiner Staatskabine<, werde von dem Dekan Marquis im Bett festgehalten und von bewaffneten Revolverhelden bewacht.
Präsident Wilson hatte im Kongress gerade einen Antrag eingebracht, darin forderte er eine starke Vermehrung der militärischen und maritimen Streitkräfte des Landes. Das gefiel Wallstreet natürlich, und entsprechend verzweifelt waren die Pazifisten. Auf den Dauersitzungen, die auf dem Schiff abgehalten wurden, hatten die Freunde Rosika Schwimmers eine Resolution gegen Wilsons Vorlage eingebracht und erklärt, man werde jeden im nächsten Hafen an Land setzen, der diese Resolution nicht unterschreibe.
Nun waren einige Amerikaner an Bord, die zwar bereit gewesen waren, ihre Geschäfte im Stich zu lassen und die stürmische See um der Sache der Vermittlung willen zu überqueren, die aber durchaus nicht der Meinung waren, Amerika solle angesichts der U-Boot-Gefahr schutzlos bleiben, und sich erst recht dagegen verwahrten, dass eine Dame aus Ungarn die Politik ihres Landes bestimmte. Heftige Auseinandersetzungen über diese Streitfragen gaben den Reportern Stoff genug und machten es ihnen leicht, die Welt davon zu überzeugen, auf der Friedensarche herrsche ein Kampf bis aufs Messer.
Als das Schiff in Christiania anlegte, wurde Henry Ford in ein Hotelzimmer gesperrt und von seinen Freunden und Sekretären bewacht. Sein treuer Dekan Marquis, der Geistliche, der seine Soziale Abteilung leitete, hatte von diesem Unternehmen abgeraten. Aber er war dennoch mitgekommen, um seinem Chef zu helfen. Er drang jetzt in ihn, in die Heimat zurückzukehren, Mrs. Ford schickte Telegramme und bat ihn ebenfalls. Bald wurde erklärt, dass Henry aus Krankheitsgründen das nächste Schiff in die Heimat nehme. Aber er werde Komitees einsetzen, um die Angelegenheiten des Friedensunternehmens weiter zu bearbeiten, und einen Geschäftsführer bestimmen, der die Kosten begleichen werde.
Die betrübten Pazifisten fuhren weiter. Sie hielten ihre Versammlungen ab und taten, was sie konnten, um in den neutralen Ländern Begeisterung für die Sache zu entfachen. Doch das Licht der Scheinwerfer auf ihrer Mission war erloschen. Es folgte jetzt dem Automagnaten auf seiner Heimreise. Als er in New York ankam, erklärte er, er sei mehr denn je ein Pazifist. Er veröffentlichte ganzseitige Anzeigen in 250 Zeitungen, die gespickt waren mit Angriffen gegen die Rüstungsindustrie. Die Navy League(Anm.: Navy League - entspricht etwa dem Deutschen Flottenverein der Kaiserzeit.) verklagte ihn daraufhin wegen Verleumdung.
Henry Ford war wieder in Highland Park und überwachte die Fertigung seiner zweiten Million Wagen. Abner Shutt überwachte noch immer seinen Teil des Fließbandes. Das mochte keine große Aufgabe sein, aber Abner hatte viel Mühe damit. Die Arbeit wurde immer einfacher und beziehungsloser. Abner, der Vorarbeiter, vertrat ganz den Standpunkt seines Arbeitgebers und wunderte sich nur: Wie stellten diese faulen und schwerfälligen Burschen sich das eigentlich vor? Wie sollte die Firma bei ihrer Trägheit denn weiterkommen? Glaubten sie etwa, Mr. Ford betreibe sein Geschäft nur, um sie mit seidenen Hemden und Socken zu versorgen?
Außerdem hatte er daheim Sorgen. Sein Vater war nun sechzig. Zwanzig Jahre lang hatte er tagsüber geschlafen, in den sieben Nächten der Woche aber die Gänge der Desmond-Wagenfabrik abgeschritten, einen Revolver in der Tasche und eine elektrische Lampe in der Hand. Alle zwei Minuten musste er stehen bleiben, einen Schalter drehen und einen Klingelknopf drücken, um dadurch kundzutun, dass er sich nicht etwa hingesetzt habe, um seine müden Beine auszuruhen. Jetzt konnten diese Beine nicht mehr. Der alte Tom wurde derart von Rheumatismus geplagt, dass er im Bett bleiben musste; nur hin und wieder stand er auf, um ein bisschen herumzuhumpeln.
Tom Shutt hatte für seine Gesellschaft über zwanzig Jahre gearbeitet. Jetzt warfen sie ihn ohne ein Wort des Dankes hinaus, und nur ein Stempel auf seiner Lohntüte verzeichnete seinen Abgang. Er hatte etwas Geld gespart, aber die beiden Alten hatten keinen Platz, wo sie nun bleiben konnten. Abner und Milly mussten sie aufnehmen. Abner war ein ordentlicher Sohn und machte sich nichts draus. Bald aber zeigte sich, dass es eine schlechte Lösung für Milly und die Kinder war. Milly war durch die Jahre der Sorgen und harten Arbeit mürrisch geworden. Dagegen war die Großmutter sanft und gütig. Bald schon wandten sich die Kinder an sie, wenn sie etwas haben wollten. Das machte Milly eifersüchtig: »Das kann jeder«, behauptete sie, »wenn man die Kinder verzieht, kann man sie leicht gewinnen.« Was nun falsch oder richtig an all dem sein mochte, so ein Haushalt mit doppelter Autorität war Jedenfalls keine schöne Sache. Der zweite Sohn, Hank, war jetzt elf und entfaltete seine unbeherrschte Natur, die ihn und seine Eltern später unglücklich machen sollte. Hatte Milly ihn geschlagen, so gab seine Großmutter ihm Bonbons und verteidigte ihn, und Milly beklagte sich bei Abner: »Nur die alte Frau ist schuld an allen Sorgen, die der Junge uns macht.«
Der Vater tat, was er konnte, um Frieden zu stiften. Das war nicht klug gehandelt: Ein Arbeiter, dessen Leben schon unsicher genug ist, der jeden Tag so viele Sorgen hat, darf das nicht. Er darf sich nicht damit trösten, die Zeit werde alles regeln. Und das tat Abner. Frauen mussten sich zanken, daran war nichts zu ändern, meinte er, und Kinder kamen eben in die Flegeljahre. Aber schließlich würden sie sich schon zurechtwachsen und arbeiten. Abners Lohn wurde wieder erhöht. Er bekam jetzt sechs und einen halben Dollar! Das konnte wohl einem Haufen Sorgen die Waage halten, meinte er. Er brachte seiner Frau das Geld und wusste, dass sie es zusammenhielt. Wenn es ihr gut tat, ein bisschen zu murren und zu schelten, dann sollte sie es tun. Abner kam schließlich so müde nach Hause, dass er selbst bei einem Gewitter durchgeschlafen hätte.
Die Preise stiegen und mit ihnen auch die Wünsche der Familie. Die Kinder wollten jetzt so vieles haben, das sie sich in Abners Jugend nicht zu wünschen gewagt hätten. Die drei Jungen wollten ein Fahrrad haben, und Abner sagte ihnen: »Arbeitet in eurer Freizeit und verdient euch selbst Geld.« Sie waren ja glücklicher dran als er. Sie konnten zur Schule gehen und hatten zu essen, wenn sie heimkamen. Er erzählte ihnen, wie die schlechten Zeiten damals gewesen waren. Wer konnte wissen, ob solche Zeiten nicht wiederkommen würden?
Einen Luxus hatten sie ja, das Familienauto. Sonntags und feiertags fuhr Abner mit ihnen hinaus, und sie besuchten die Familie seines Bruders oder eine von Millys Schwestern. Jahrelang hatte er damit gerechnet, die Landprodukte billiger einzukaufen und jedes Mal eine ganze Ladung mitzubringen. Aber damit war es nichts. So viele Arbeiter hatten jetzt Wagen, und die Bauern waren schlau geworden. Sie bauten Verkaufsstände an der Straße auf und nahmen die gleichen Preise wie die Läden in der Stadt. Aber man hoffte immer wieder, eine billige Quelle zu finden.
Im Highland-Park-Werk wuchsen immer neue riesige Schornsteine empor, die schwarze Rauchwolken in den Himmel pafften. Henry Ford stellte Stahl her, er baute neue Maschinen und neue Gebäude, um sie darin aufzustellen. Sechzehn Stunden am Tag stieß das Werk Ketten von Automobilen aus, alle 25 Sekunden einen Wagen. Ford kaufte Grundbesitz und drang nach und nach in alle Industrien ein, um die Rohmaterialien und Produktionsmittel zur Herstellung seiner Wagen beherrschen und kontrollieren zu können: Stahl, Eisenerz, Kohle, Glas, Gummi, Zement - um ein Auto zu bauen, musste er eine ganze Welt beherrschen.
Beide, Abner und Henry, lasen auch weiterhin die Nachrichten über die Ereignisse der Welt, und jeder erklärte sie sich so, wie er es verstand. So seltsam es scheinen mag - ihre Anschauungen waren recht ähnlich und machten zu gleicher Zeit die gleiche Wandlung durch. Anfang 1916 waren beide noch überzeugt, dass der Krieg eine kollektive Dummheit sei. Das einzig Gute war eben nur, dass die Vereinigten Staaten sich herausgehalten hatten. Aber Anfang 1917 spielte jeder mit Schlagworten wie >Freiheit der Meere< und >nationale Ehre<. Man hörte auch schon, >man müsse den Krieg durch einen Krieg beenden<.
Es war ein bitterer Scherz, den das Weltreich der Waffen und seine Bankiers sich mit unseren beiden geleistet hatte. Nur dadurch, dass sie den Alliierten soviel Geld borgten und ihnen soviel Waren verkauften, hatten sie einen Zustand heraufbeschworen, wo ein verlorener Krieg den Zusammenbruch der amerikanischen Wirtschaft zur Folge gehabt hätte. Kein Mensch würde dann auch nur noch einen Dollar besitzen, um ein Auto zu kaufen. Henry würde seine Werke dann schließen müssen, Abner und seine Familie aber hungern.
Ganz so einfach wurde die Sache in den Zeitungen zwar nicht dargestellt, doch Ton und Inhalt änderten sich, um auf die neue Lage vorzubereiten. Wo Abner und Henry 1916 von den Schrecken des Krieges gelesen hatten, da lasen sie 1917 nur noch von den Schrecken des U-Boot-Krieges. Man las jetzt auch von den Ruhmestaten der französischen Zivilisation und den humanen Idealen, die die herrschende englische Klasse immer verteidigt habe. So kam es, dass Abner Shutt bald zu seinen Kameraden im Werk sagte: »Bei Gott, diese Hunnen müssen geschlagen werden!« Ja, im Februar ließ Henry Ford, der Pazifist, einen Reporter der >New York Times< wissen, er habe eine glänzende Idee für ein Ein-Mann-U-Boot. Er nannte es >eine Pille auf der Stange<. Die Stange sollte vorn an dem U-Boot befestigt werden, und die Pille war eine Bombe.
Begeistert durch die Beredsamkeit Woodrow Wilsons stürzte Amerika sich endlich in den Krieg, um die Welt für die Demokratie reif zu machen. Abner Shutt verdoppelte seine Wachsamkeit und achtete darauf, dass deutsche Spione dem Strom der Autos keinen Schaden täten, die jetzt ganz frei an die alliierten Nationen verkauft wurden - d.h. sie wurden gegen ihre Wechsel eingehandelt, die später bezahlt werden sollten. Die Zeitungen klärten Abner über die Gefahren der Spionage auf und beschrieben ihm, wie die Agenten des Kaisers zu Werke gingen, um amerikanische Fabriken zu zerstören. Diese Scheußlichkeit hieß Sabotage, und Abner hätte sein Leben gern dafür eingesetzt, sie zu verhindern. Aber in der Abteilung für Radmontage gab es nie eine Gelegenheit dazu.
Henry tat auch sein Teil. Er stellte zwar weiter Personenwagen her, opferte aber die übliche Erhöhung der Produktion und baute statt dessen Heeresfahrzeuge, Artilleriewagen, Krankenwagen und eine halbe Million Zylinder für >Freiheitsmotoren<; so nannte man die Motoren der Flugzeuge. Er fertigte Stahlhelme und Horchgeräte an, er machte Versuche mit Panzerplatten für Menschen und Schiffe. Er baute fünftausend Traktoren, die nach England gebracht werden sollten, um die Gefahr einer Hungersnot abzuwenden, die durch die U-Boot-Blockade drohte. Er kaufte eine Strecke Land am Rouge River im Distrikt von Detroit und errichtete eine Halle, die eine Drittelmeile lang und etliche Häuserblocks breit war. Dort begann er den Massenbau von U-Boot-Zerstörern. Sie hießen >Eagle-Boote< und waren einige hundert Fuß lang; ihr Rumpf war ganz aus Stahl. Es hallte wüst in diesen Schiffen - und es war eine scheußliche Tortur für
die Seeleute, die auf diesen Dingern gefangen waren. Das Hirn einer Landratte hatte sie erdacht.
So hatte Abner zwei Jahre lang Arbeit genug, und sein Lohn stieg auf acht und einen viertel Dollar pro Tag. Das schien eine astronomische Zahl, aber in Wahrheit war es nicht gar soviel, denn gelernte Zimmerer und Maurer bekamen achtzehn, und der Preis für alle Dinge des täglichen Bedarfs stieg ebenso schnell wie die Löhne. Einen wirklichen Vorteil hatte die Familie jetzt: Die Zahlungen für das Haus waren fest, kein Grundbesitzer konnte sie erhöhen, wie das so viele jetzt mit ihren Mieten machten. Jedes Mal wenn Abner bei der Bank vorsprach, um seine Abzahlung zu leisten, beglückwünschte er sich, dass er sein Geld so gut angelegt hatte.
Der Vorarbeiter fuhr stolz in seinem Wagen zur Arbeit und nahm ein paar Kollegen mit, wenn das Wetter schlecht war. Sie zahlten ihm dann jedes Mal eine Kleinigkeit. Das war für die Straßenbahngesellschaften ein Verlust, und sie versuchten eine städtische Verfügung zu erreichen, die diese Gepflogenheit verbieten sollte. Dadurch bekamen Leute wie Abner wieder Interesse an der Politik. Der zweite Grund war, dass Mr. Ford für Michigan als Senator in Washington vorgeschlagen war. Es gab einen heißen Wahlfeldzug, bei dem es zum ersten und letzten Male gestattet war, im Werk über Politik zu reden. Henrys Gegner war ein Marineoffizier, und der Wahlfeldzug war in Wahrheit der Versuch der Navy League, einen Ketzer abzustrafen. Die Opposition gab fünf Millionen Dollar für Wahlwerbung aus und kaufte so den Sitz. Henry gab auch einen Haufen Geld aus, aber es kostete ihn bei weitem mehr, Material über die Ausgaben seines Gegners zu sammeln. Später hatte er die Genugtuung, dass dieser vor Gericht kam und wegen Bestechung verurteilt wurde.
Dank Henrys und Abners Anstrengungen gewann Amerika den Krieg. Aber aus irgendeinem Grunde schien die Welt doch noch nicht ganz reif für die Demokratie. Jetzt kam eine neue Gefahr- eine neue Art Menschen, von denen man bisher noch nicht gehört hatte: die Bolschewisten! Davon tauchten jetzt viele in Amerika auf, und man fürchtete sie mehr als früher die deutschen Spione. Abner wurde in den Zeitungen immer wieder gepredigt, er solle wachsam sein. Abner wollte sein Bestes tun; man erschwerte ihm die Aufgabe sehr, weil man ihm die Bolschewisten stets als Menschen mit dichten schwarzen Bärten schilderte. Jedoch die einzige Person mit einem solchen Bart war ein jüdischer Händler, der eines Tages an ihre Haustür kam und Milly beschwatzen wollte, Spitzen und seidene Strümpfe zu kaufen.
Natürlich gab es Unzufriedene in den Werken, aber die hatte es immer gegeben, und sie sahen aus, wie sie immer ausgesehen hatten - nämlich wie müde, erschöpfte Arbeiter. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie jetzt im Solde Moskaus standen. Die Leute waren unruhig, das war es; der Krieg hatte sie an einen hohen Standard gewöhnt, und all das hörte jetzt abrupt auf, ohne dass sie Gelegenheit hatten, all die großen Taten zu vollbringen, auf die man sie vorbereitet hatte. Abner sah Leute an den Straßenecken, die vor dichten Menschenmengen Reden hielten. Er fuhr in seinem Wagen vorüber, aber er hielt nie an. Nur hin und wieder las er, dass die Polizei solche Leute festgenommen und dass es Schlägereien gegeben hatte.
Henry Ford, der mehr als sein Teil für den Krieg getan hatte, nahm Urlaub und ging nach Südkalifornien. Er mietete ein bescheidenes Haus in einer Provinzstadt namens Altadena. Dort verbrachte er mit seiner Frau und Edsel, der jetzt fünfundzwanzig war, einen ruhigen Winter.
In der Nachbarschaft lebte ein Schriftsteller, der ihnen einen Besuch machte. Er fand Vater und Sohn in der Garage. Sie hatten dort eine Werkstatt eingerichtet. Da konnten sie nach Herzenslust herumhämmern - wie Henry es in der alten Bagley Street gemacht hatte, damals, als Edsel noch nicht geboren war. Hier hatten sie die Reste eines alten Vergasers gefunden, dessen Konstruktion ihnen nicht bekannt war. Es war so, als ob Agassiz (Anm.: Louis Agassiz, Schweizer Paläontologe 1807-1873.) das Skelett eines fossilen Geschöpfes aus einem Knochenstück rekonstruierte. Henry war von einer gewissen Bohrung, deren Sinn sie nicht erkennen konnten, ganz in Anspruch genommen. Sie zeigten das Ding dem Schriftsteller und fragten ihn, was er davon hielte? Aber leider fuhr dieser nur ein Fahrrad und wusste nicht einmal, was ein Vergaser war.
Der Schriftsteller war Idealist wie Ford und träumte von Frieden und Brüderlichkeit. Er sah die Welt von Gewalt beherrscht und ahnte, dass es in der Zukunft noch schlimmer werden würde. Er suchte einen Weg, wie man das verhindern könnte, und wollte die Menschen überzeugen, dass sie zusammenarbeiten müssten, um Nahrung und Sicherheit für alle zu schaffen. Er hoffte Henry für seine Ideen zu gewinnen. Da Henry gut in Form war, wanderten sie stundenlang in den Vorgebirgen der Sierra Madre, sahen zu den schneebedeckten Gipfeln auf und blickten in Täler, die grün waren vom Laub der Orangen. Sie unterhielten sich über das Problem, wie man den Veredelungsprozess der Welt in Gang setzen könnte.
Henry Ford war jetzt 55 Jahre alt. Er war schlank, sein Haar schon grau, seine Züge waren lebhaft, seine Bewegungen schnell und energisch. Seine langen, schmalen Hände waren niemals ruhig, stets spielten sie mit irgendeinem Gegenstand. Er war ein gütiger, anspruchsloser Mensch, und sein großer Erfolg hatte ihn nicht verändert. Da er nicht einmal eine gründliche Elementarschulbildung besaß, hatte seine Sprache noch immer all die Eigentümlichkeiten der einfachen Leute aus dem mittleren Westen. Er hatte nie gelernt, sich in Theorien zurechtzufinden. Wenn er aber doch einmal damit zu tun hatte, so wandte er sich rasch wieder den Tatsachen zu, wie ein Kaninchen zu seinem Bau zurückläuft. Was er wusste, hatte er durch Erfahrung gelernt, und wenn er noch etwas lernen sollte, dann nur auf die gleiche Art.
Der Schriftsteller fragte, was er von dem Profitsystem halte. Henry schaute erstaunt drein. »Was ist das?« Der andere fand, dies sei die seltsamste aller Fragen. Der größte Meister des Profits wusste nicht, dass es ein Profitsystem gab? Er glich Monsieur Jourdain in Molieres Schauspiel, der entzückt entdeckt, dass man die Sprache, die er sein Leben lang gesprochen hat, Prosa nennt. Als Henry Ford das Wort begriffen hatte, behauptete er: »Profit muss sein. Wer würde denn ohne ihn arbeiten? Wofür sonst arbeitet man denn?«
In den Köpfen solcher Männer können die größten Widersprüche nebeneinander bestehen. Kurz nach seiner Behauptung, niemand würde, könnte und sollte ohne Gewinn arbeiten, erzählte Henry Ford, dass er an dem Abend, als die diplomatischen Beziehungen mit Deutschland abgebrochen wurden, im Hause des Marineministers diniert habe, und zwar mit dem Präsidenten und dessen Frau. Da habe er ihnen eröffnet, dass es seine Absicht sei, sein Werk und all seine Rohstoffquellen ohne Gewinn an den Staat zu überschreiben.
Als der Schriftsteller ihn auf diesen Widerspruch zum Profitsystem aufmerksam machte, erklärte Henry: »Ja, aber damals hatten wir Krieg!«
»Warum«, sagte der andere, »soll man nicht auch im Frieden der Öffentlichkeit dienen? Warum sollen wir nicht die gleiche Begeisterung dafür aufbringen, Menschen zu nähren und zu kleiden, wie dafür, sie zu töten?«
Ingenieure und Erfinder arbeiteten um der Sache selbst willen, das wollte Ford gern zugeben. Sie seien nicht die Typen, die Geld machten. Das gleiche mochte für Dichter und ähnliche Leute stimmen - Henry kenne sich da nicht so aus. Er selbst wolle mit seinem Geld auch etwas schaffen. Wenn die Gesellschaft ihm die Gelegenheit gebe, ein großes Unternehmen zu leiten, so sei er durchaus damit zufrieden. Als daraufhin der Schriftsteller vorschlug, die Öffentlichkeit solle die Autoindustrie übernehmen und Henry zum Beauftragten der Unternehmen machen, berührte er allerdings die empfindlichste Saite des Industriellen. Henry wünschte nicht, dass irgendein Politiker sich in seine Arbeit mischte. Er kenne Beispiele genug für Ausbeutung, Unfähigkeit und Klüngelwirtschaft: so etwas gebe es im Fordwerk nicht.
Er führte die Eisenbahnen an. Im Kriege waren sie zusammengebrochen, und die Regierung musste sie übernehmen. Man hätte sie von Grund auf reorganisieren müssen. Henry war mit dem zuständigen Minister zusammengetroffen. Der forderte ihn auf, Vorschläge zu machen und Zahlen zu nennen. Henry hatte das auch getan, aber nichts war daraufhin geschehen. Der Finanzminister war ein Mann Wallstreets. Er glaubte an die
Wallstreetbanken und diente ihnen. Da konnte er sich natürlich nicht dem öffentlichen Interesse widmen.
»Genau da liegt das Problem«, stimmte der Schriftsteller zu. »Das Privatinteresse lähmt die Politik und schöpft Gewinne ab, indem es die Volksvertreter für seine eigenen Ziele kauft.«
Aber dieser Gedankensprung war für Henry Ford zu groß. Abschöpfung war für ihn ja gerade das Wort für Politik, sprich Vergeudung und Unfähigkeit. Er behauptete, er könnte die Post in privater Hand besser betreiben als der Staat zur Zeit. Er wollte nicht einmal zugeben, dass die Feuerwehr von Altadena etwas sei, das unbedingt in öffentlicher Hand sein müsse. Man solle ruhig einmal einen tüchtigen Geschäftsmann damit beauftragen, die Brände zu löschen.
Der Schriftsteller erzählte ihm, wie er sich den Weg durch diese Probleme gesucht hatte. Als junger Mann fand er beim Studium der Geschichte heraus, dass die Monarchie eine gute Sache ist, wenn man zufällig einen guten König hat. Das Unglück beginnt, wenn er nichts taugt und man ihn nicht wieder austauschen kann. Darum sei das Geschäft der Könige schließlich in Verfall geraten, und das Geschäft der industriellen Monarchen werde genauso zusammenbrechen, weil es so wenige Henry Fords gebe. Aus Bescheidenheit wollte Henry dies erst nicht zugeben, stimmte dann aber doch zu. Er erklärte, dass es in den Fordwerken keine Gewerkschaften gebe, weil die Arbeiter keine wollten. Wenn sie sie wünschten, so könnten sie sie bekommen.
Theodore Roosevelt war einer der härtesten Kritiker Henry Fords gewesen. So war Henry jetzt nicht wenig erstaunt, als der Schriftsteller behauptete, Ford und Roosevelt hätten die gleiche Geisteshaltung. »Ich habe mit ihm gesprochen, Mr. Ford, und ich musste den Versuch aufgeben, ihm die Augen über die wirtschaftlichen Kräfte und soziologischen Gruppen zu öffnen. Er kennt nur Individuen, gute und schlechte. Er sah Männer, die mit ihrem großen Reichtum in Wallstreet Verbrechen begingen, und er bekämpfte sie. Aber es war ein Krieg mit Worten, denn er wusste nicht, was er sonst gegen sie tun sollte. Nun ist seine Aufmerksamkeit auf die fremden Mächte gerichtet, und er möchte die Rute in Europa schwingen. Das aber bedeutet, dass er den Rest seines Lebens auf seiten der Reaktion kämpfen wird. Nehmen Sie sich in acht, sonst tun Sie das gleiche, Mr. Ford!«
In diesem Land des Sonnenscheins und der Orangenblüte lebte noch ein anderer amerikanischer Industrieller. Er war zwar nicht ganz so reich wie Ford, aber ebenso berühmt, denn sein Bild schmückte jede Packung Rasierklingen, die man in jenen Tagen kaufte. Auch er träumte von Brüderlichkeit und Frieden. Bis ins einzelne hatte er einen Plan ausgearbeitet, durch den die Industrieherren Amerikas den Wechsel von privater Anarchie zu öffentlicher Ordnung vollziehen könnten, ohne dass Zerstörung und Schaden entstünden. Sie sollten eine große >Volksgesellschaft< gründen, die das Geld des Volkes dazu benutzen sollte, die Aktien aller wichtigen Industrien aufzukaufen, um diese zum Nutzen der Allgemeinheit zu betreiben.
König Gillette war jetzt ein alter Mann und konnte diesen Plan nicht mehr selbst ausführen. Aber es war sein Traum, er möge einen führenden Mann der Geschäftswelt finden, der diese Aufgabe übernehmen wollte. Er musste mit Ford darüber sprechen. Sie trafen sich im Haus des Schriftstellers und tauschten dort zwei Stunden am Kamin ihre Gedanken aus. Es war wie der Zusammenstoß zweier Billardkugeln: Es gab einen scharfen Klick, sie flogen wieder auseinander, und keiner hatte etwas von der Farbe, Gestalt oder Substanz des anderen angenommen.
Henry Ford blieb der Superindividualist; am liebsten hätte er sogar die öffentlichen Schulen in private verwandelt. Er war überzeugt, früher oder später würde jeder die Richtigkeit seiner Methode einsehen: die besten Waren herstellen und sie zum niedrigsten Preis verkaufen. War das erst geschehen, so bedeutete dies Überfluss und Sicherheit der Existenz für alle. Niemand konnte ihn überzeugen, dass das Auto, diese neue Erfindung mit weltweiten Marktchancen, ein Sonderfall auf dem Gebiete der Industrie sei. Er behauptete, das gleiche gelte für Stahl, Zement, Gummi und Glas, ja für jede Art von Produktion, und er versicherte, er könnte alles und jedes zu einem billigen Marktpreis herstellen und dennoch jedem Arbeiter sechs oder sieben Dollar pro Tag zahlen.
Gillette war ein großer und starker Mann. Er sah so aus, wie der Zeichner sich einen Plutokraten vorstellt. Aber in diesem robusten Körper wohnten eine zarte Seele und die Empfindlichkeit eines Kindes. Er konnte den Gedanken, dass andere litten, nicht ertragen; er schrak vor dem Lärm der Meinungen und dem Wüten der Welt zurück. So lebte er ganz in seine Ideen versponnen - ein Sozialtheoretiker, der die Entwicklung des Kapitalismus von seinen primitiven Anfängen über seinen jetzigen Wirbel der Verwirrung bis zum unausbleiblichen und schrecklichen Zusammenbruch analysierte. Vierzig Jahre lang hatte er sich Notizen über die unendlich vielschichtigen Schäden gemacht, die der Kapitalismus verursachte. Er hatte so viel darüber geschrieben, dass er eigens einen Sekretär benötigte, um seine Bemerkungen und Notizen zu ordnen und seine Bleistifte anzuspitzen, damit er noch mehr Notizen machen könnte.
Der >Rasierklingen-König< vergeudete etwa eine Stunde damit, dem >Karren-König< den Irrsinn des Wettbewerbssystems begreiflich zu machen. Da stellte man blindlings Waren her, und jeder tat sein möglichstes, um dem anderen zu verheimlichen, was er wirklich herstellte. Und das Publikum täuschte man über die wahre Natur seiner Waren. Für jedes Beispiel von Schaden aber, der so der Allgemeinheit entstand, hatte der >Karren-König< eine Antwort, die sich bald auf den knappen Satz beschränkte: so etwas sei doch >erzieherisch<: »Die Leute werden daraus lernen, Mr. Gillette.«
»Ja, Mr. Ford, aber was werden sie lernen? Sie sagen, das ist erzieherisch, aber damit darf man sich nicht begnügen. Lernen heißt doch >belehrt werden<. Bevor man aber etwas lehrt, muss man zunächst doch wissen, woran man glaubt.«
»Das werden die Leute schon selbst herausfinden, Mr. Gillette!«
»Aber warum sollten Sie und ich es dann nicht auch für uns herausfinden? Sie sagen, man lernt aus seinen Fehlern. Nun, was haben wir denn beispielsweise aus dem Weltkrieg gelernt?«
Nach einigem Zögern erwiderte Henry Ford, der Weltkrieg habe die Völker gelehrt, dass sie einen Völkerbund brauchten.
»Also eine politische Organisation der Staaten. Aber sehen Sie denn nicht ein, dass diese Staaten sich verbünden und Machtpolitik treiben müssen, wenn deren Regierungen die Interessen ihrer Wirtschaften vertreten, die um Rohstoffe und Märkte miteinander im Wettstreit liegen? Und hat uns nicht gerade das den Krieg gebracht?«
Henry konnte das nicht einsehen. Und wenn er es auch einsah, so wollte er es doch nicht zugeben, nicht einmal vor sich selbst. Was sollte dann aus seinen ganzen Plänen werden? Er wollte doch Neuland erobern, neue Entwicklungen anbahnen, die Wasserkräfte neu nutzbar machen, die Produktion vermehren und die Erzeugnisse verbessern. Was würde aus all diesen Plänen werden, wenn er letzten Endes doch zugeben musste, dass, wie sehr man diese Dinge unter dem Profitsystem auch beschleunigte, man doch nur Überproduktion schaffe und Millionen von Menschen arbeitslos mache?
Irgendeiner der Neuen Propheten hatte Henrys Gedanken beeinflusst, sein Glaube an das Profitsystem grenzte an Mystizismus. Er hatte auch Jack Londons >Star Rover< gelesen und sich den Gedanken der Reinkarnation zu eigen gemacht. »Wir leben immer in der Ewigkeit«, sagte er jetzt. Gillette war bereit, jedem seine Ewigkeit zuzugestehen. Aber was sollte das hier? Warum diesen Gedanken hier einwerfen und damit das Denken über Erzeugung und Verteilung materieller Güter noch mehr verwirren? Am Ende dieser ergebnislosen Zusammenkunft sagte der Rasierklingen-König zum Karren-König: »Mr. Ford, in Ihrem Werk halten Sie auf Ordnung und dulden keine Vergeudung. Aber in der übrigen Welt sehen Sie Chaos und Anarchie, die verteidigen Sie, und diese Verteidigung nennen Sie Optimismus.«
Henry Ford kehrte im Frühjahr nach Detroit zurück. Es gab dort verschiedene Dinge, die seine Anwesenheit verlangten, unter anderem zwei Prozesse.
In den unruhigen Tagen des Jahres 1916, als es so aussah, als würden die Vereinigten Staaten mit Mexiko Krieg führen, hatte Henry Ford verkündet, jeder seiner Arbeiter, der sich zur Armee melde, werde seine Stellung verlieren. Die >Chicago Tribune< hatte ihn daraufhin einen Anarchisten genannt, und Henry war in Zorn geraten und hatte eine Klage über eine Million Dollar wegen Verleumdung angestrengt, obwohl er nicht einmal genau wusste, was ein Anarchist eigentlich war. Allerdings wussten die >Tribune< und ihre Leser ebenso wenig, dass das beste Beispiel für einen aktiven Anarchisten Jesus Christus gewesen wäre. Aber die Leser der >Chicago Tribune< würden jeden gelyncht haben, der ihnen das erzählt hätte. Für sie war das Wort eine Bezeichnung für einen gefährlichen Menschen, der sich nicht an die Gesetze hielt. Das beste Beispiel für einen solchen Menschen hätten sie jedoch in ihrer direkten Nachbarschaft finden können, nämlich im Verleger der >Chicago Tribune< selbst; sein Blatt, das sich >das größte der Welt< nannte, strebte mit allen Mitteln danach, Amerikas gehässigste und gemeinste Zeitung zu werden.
Die Verhandlung fand im Gerichtsgebäude der kleinen Stadt Mt. Clemens in Michigan statt. Es war wieder ein Schauspiel wie bei der >Friedensarche<, mit Texas Rangers und anderen Patrioten als Zeugen. Scharen von Reportern waren gekommen, die ganze Welt hörte aus der Ferne zu. Eine Verleumdungsklage verlangt die Erforschung der Lebensgeschichte, der moralischen und geistigen Entwicklung desjenigen, der die Klage vorbringt, und der arme Henry fühlte sich zwei oder drei Monate recht unwohl. Eine große Detektei war seit drei Jahren bemüht, alle Dummheiten und Fehler aufzudecken, die er jemals in seinem Leben gesagt oder begangen hatte. Die gerissensten Anwälte, die man nur auftreiben konnte, nahmen ihn jetzt ins Kreuzverhör und prüften ihn auf Herz und Nieren.
Sie legten Bücher mit vielen Fremdwörtern vor und forderten Henry auf, daraus vorzulesen - so wollten sie ihn lächerlich machen. Henry ließ einfach seine Brille zu Hause. Mochten die Leute nur glauben, er könne gar nicht lesen! Es war nämlich so: Er konnte zwar lesen, aber nur langsam, und er wusste nicht genau, wie er die Fremdwörter betonen sollte.
Auch vieles andere wusste er nicht. So antwortete er, als der Rechtsanwalt ihn nach Benedikt Arnold fragte, das sei wohl ein Schriftsteller. Die Englisch sprechende Welt jauchzte vor Vergnügen! Millionen Menschen mit Bücherweisheit durften sich einem Multimillionär überlegen fühlen. Aber der Durchschnittsamerikaner, der seine Wagen kaufte und mit ihnen fuhr, war weit mehr daran interessiert, dass er einen guten Starter baute, als dass er in amerikanischer Geschichte und englischer Dichtung beschlagen war. »Ich könnte in fünf Minuten einen Mann finden, der mir alles Wissenswerte darüber erzählt«, sagte Henry, und die meisten seiner Käufer meinten, das sei eine durchaus vernünftige Antwort.
Henry gewann seinen Prozess. Das Gericht entschied, er sei kein Anarchist, fand jedoch nicht, dass er eine Million Dollar verlangen dürfe, und billigte ihm nur sechs Cent zu. Henry fuhr heim und war um vieles weiser geworden. Er kannte jetzt nicht nur den Unterschied zwischen Benedikt Arnold und Arnold Bennett, er wusste jetzt auch, wie nutzlos Prozesse sind. Mochten die Zeitungen von nun an über ihn soviel lügen, wie sie wollten, er würde sich nicht drum kümmern und weiter Automobile bauen. |
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