Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Takidji Kobajaschi - Krabbenfischer (1929)
http://nemesis.marxists.org

6

Der Morgen war wieder grau und trüb, Schauer gingen nieder, die einförmige Fläche des Meeres geriet in Bewegung. Kurz nach zwölf Uhr tauchte am Horizont ein Zerstörer auf und hielt auf die „Hakkomaru" zu. Es war Arbeitspause, die Krabbenfischer und Saisonarbeiter standen an Deck herum oder lehnten an der Reling und erörterten das Ereignis. Es schien etwas in der Luft zu liegen.
Der Zerstörer setzte ein Boot aus. Es näherte sich mit mehreren Offizieren an Bord der „Hakkomaru". Am Fallreep wurden sie vom Kapitän, vom Leiter der Konservenfabrik, von Inspektor Asagawa und vom Chef der Saisonarbeiter erwartet. Als das Boot anlegte, grüßten die Offiziere. Der Kapitän des Zerstörers betrat als erster das Schiff. Asagawa runzelte plötzlich die Stirn, sein Mund verzog sich, er warf einen wütenden Blick zur Reling hinüber, an der die Krabbenfischer lehnten, machte eine heftige Bewegung mit der Hand und rief: „Was gibt es denn hier zu gaffen? Macht, dass ihr wegkommt!"
„Bilde dir nicht soviel ein, du Idiot!" murrten die Männer. Alle wollten die Offiziere sehen, die Hintenstehenden reckten die Hälse und drängten nach vorn. Dann verschwanden sie allmählich wieder im Fabrikraum. Dort, wo sie gestanden hatten, hielt sich noch lange ein übler Gestank. „Pfui Teufel!" sagte einer der jungen Offiziere. Er trug einen Stutzbart und hatte ein arrogantes Gesicht.
Asagawa trat, um den schlechten Eindruck wettzumachen, diensteifrig an ihn heran, scharwenzelte um ihn herum und verbeugte sich mehrmals tief vor ihm. Die Dolche, die die Offiziere an langen Gehängen trugen, baumelten ihnen um die Beine. Einige Krabbenfischer schauten noch immer aus der Entfernung zu und unterhielten sich, welchen Rang die Offiziere hätten. Sie gerieten in Streit darüber. „Auf jeden Fall sind sie alle viel mehr als Asagawa, sie sehen ihn offenbar nicht für voll an." Einer der Krabbenfischer machte nach, wie Asagawa vor den Offizieren katzbuckelte, und erntete dadurch den Beifall der anderen. Sie konnten sich vor Lachen nicht halten.
Asagawa und der Chef der Saisonarbeiter unterließen an diesem Tag die Kontrollgänge durch die Fabrikräume. Das nutzten die Arbeiter aus und richteten sich die Arbeit nach ihrem Gefallen ein. Einige fingen an zu singen, andere unterhielten sich bei der Arbeit. „So lässt sich's wenigstens arbeiten", sagten sie immer wieder.
Als sie nach der Arbeit an Deck stiegen und an der Offiziersmesse vorbeikamen, hörten sie von dort wüsten Lärm. Der Steward öffnete die Tür der Messe, eine Wolke von Zigarettenrauch drang heraus. Schweißtropfen standen dem Steward auf der Stirn. Er schleppte Bierflaschen, hatte beide Hände voll und wies auf seine Hosentasche. „Wischt mir die Stirn ab!"
Sie zogen ihm das Taschentuch aus der Tasche. „Was ist denn da drinnen los?" „Da drinnen geht es toll her", stöhnte der Steward. „Sie saufen und geilen sich an Weibergeschichten auf. So schnell kann ich das Zeug gar nicht heranschleppen, wie sie trinken. Nachher sind sie wieder sternhagelvoll und stürzen das Fallreep hinunter."
„Hast du herausgekriegt, weshalb der hohe Besuch gekommen ist?"
Der Steward schüttelte den Kopf und verschwand in Richtung der Kombüse. Die Krabbenfischer folgten ihm. Für sie gab es krümeligen Reis, den man kaum zwischen die Stäbchen bekam, und einen Löffel versalzener Bohnensauce. „Ausländische Speisen muss ich in der Offiziersmesse servieren, die ich noch nie gesehen, geschweige denn gegessen habe."
„Und die schlagen sich damit ihren Wanst voll!" An der Wand hingen Plakate: Über das Essen zu mäkeln ist ein Zeichen von schlechter Erziehung! — Nicht ein Körnchen Reis darf verlorengehen, denn es hat Blut und Schweiß gekostet! — Was du nicht ändern kannst, ertrage standhaft! ... Die Ränder der Plakate waren mit Zoten bekritzelt, wie man sie an den Wänden öffentlicher Bedürfnisanstalten findet.
Nach dem Essen saßen die Männer noch eine Weile um den Ofen. Die Ankunft des Zerstörers erinnerte sie an ihre Soldatenzeit. Die Bauernsöhne aus Akita, Aomori und Iwate wussten davon ein Lied zu singen.
Als im Jauchefass schon alle schliefen, ging der Lärm in der Offiziersmesse in lautes Toben über. Es war überall im Schiff zu hören, einige im Jauchefass wurden wieder wach.
Am Morgen hörten die Arbeiter über ihren Köpfen schlurfende Schritte. Sie überlegten, wer das wohl sein könnte. Als sie zur Arbeit gingen, waren die Offiziere auf den Zerstörer zurückgekehrt. Das Fallreep war noch heruntergelassen, es war von oben bis unten beschmutzt. Überall roch es nach Erbrochenem, so dass sogar den Krabbenfischern übel wurde.
Der Zerstörer lag auf dem Wasser wie ein großer grauer Vogel. Er hob und senkte sich in der flachen
Dünung. Eine leichte Rauchwolke stieg aus seinem vorderen Schornstein. Der Inspektor und der Chef der Saisonarbeiter schliefen noch. „Versoffenes Gesindel!" schimpften die Krabbenfischer. In der Kombüse häuften sich halbgeleerte Konservenbüchsen mit Krabbenfleisch, in den Ecken standen Dutzende leerer Bierflaschen. Die Köche konnten die Reste nicht allein essen und gaben daher einen Teil den Krabbenfischern.
Der Steward wusste gut Bescheid über das Privatleben des Kapitäns, des Inspektors und des Fabrikleiters, andererseits hatte er ständig das miserable Leben der Krabbenfischer vor Augen, die der Inspektor in seinen Reden immer nur als „Schweine" bezeichnete. Auch der Steward hielt die Menschen der oberen Klassen für arrogant und anmaßend. Sie scheuten sich nicht, des Geldes wegen Menschen wie Tiere zu behandeln. Es war nicht mit anzusehen, wie sie mit den Krabbenfischern und Matrosen umsprangen.
Das beste wäre, sich nicht darum zu kümmern, dachte der Steward manchmal. Gleichzeitig wurde ihm aber mit jedem Tag klarer, dass das nicht in alle Ewigkeit weitergehen konnte. Es musste bald etwas geschehen!
Als der Kapitän, der Inspektor und der Fabrikleiter schließlich an Deck erschienen, war es bereits zwei Uhr. Ihren Anzügen war anzusehen, dass sie eine lange Nacht hinter sich hatten. Die Matrosen mussten mehrere Kisten Konserven in der Barkasse verstauen, dann fuhren die drei zu dem Zerstörer hinüber.
Die Krabbenfischer, die an Deck mit dem Häuten der Krabben beschäftigt waren, sahen ihnen nach wie Gaffer bei einer Hochzeit.
„Wer weiß, was die wieder aushecken." — „Was wir in mühsamer Arbeit herstellen, verprassen die in einer Nacht."
„Nicht so hitzig", mahnte der ältere Krabbenfischer, der Mijagutschi angezeigt hatte. „Bei einer Fahrt in diesen gefährlichen Gewässern genießen wir den Schutz der Kriegsflotte. Wir müssen uns dafür schon etwas erkenntlich zeigen."
Am Abend entquollen den Schornsteinen des Zerstörers dicke Rauchwolken, Matrosen liefen auf seinem Deck geschäftig hin und her. Eine halbe Stunde später dampfte er los. Man hörte die Flagge am Heck knattern. Auf Kommando des Kapitäns wurden ihm Bansai-Rufe nachgeschickt. Nach dem Essen kam der Steward in das Jauchefass, wo die Männer, wie allabendlich, um den Ofen saßen. Ab und zu trat einer näher an die trüb leuchtende Glühlampe, um die Läuse besser sehen zu können, die er in einer Naht seiner Jacke gefunden hatte. Wie mit schwarzer Tusche gemalt, erschienen die Schatten der Männer auf der verräucherten
Wand, huschten hin und her, wurden bald kürzer, bald länger.
„Ich habe gehört", begann der Steward, „wie die Offiziere mit dem Kapitän und Asagawa verabredet haben, dass wir in den russischen Hoheitsgewässern unter dem Schutz des Zerstörers auf Fang gehen sollen. Sie wollen einen Zwischenfall provozieren. In Kamtschatka und auf Sachalin soll es Gold geben, in Tokio ist man scharf auf diese Gebiete. Die Methode mit den Zwischenfällen haben sie schon in China und in der Mandschurei ausprobiert. Jetzt wollen sie es hier im Ochotsker Meer genauso machen: unsere Firma und Mitsubischi. Beide Gesellschaften haben sich zusammengetan und rennen der Regierung die Türen ein, hat unser Alter erzählt. Wenn der Generaldirektor unserer Firma ins Parlament kommen sollte, dann wird er ganz schön dazwischenfahren. Nach seinen Plänen sollen die Zerstörer nicht nur den Schutz der Krabbenfangschiffe übernehmen, sondern auch in den Gewässern um Sachalin und um die Kurilen Messungen und Wetterbeobachtungen vornehmen. Das würde weitere Möglichkeiten für Zwischenfälle schaffen, falls es beim Krabbenfang nicht klappen sollte. Wenn es besonders geheim wurde, haben sie nur noch geflüstert, damit ich nichts hörte. Einiges habe ich trotzdem mitgekriegt. So bringen sie zum Beispiel jetzt Geschütze nach den Kurilen, außerdem werden dort
Treibstofflager gebaut. Mir ist der Schreck in die Glieder gefahren, als ich die Offiziere so reden hörte. Ich dachte an die früheren Kriege, die Japan geführt hat. Immer hatten die Geldsäcke ihre Finger drin. Wenn die Brüder riechen, dass es was zu erben gibt, lassen sie nichts unversucht, es in ihre Hand zu bekommen. Gefährliche Burschen sind das!"

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur