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Weitab backbord lag über dem Meer eine fahlgraue Nebelbank. An Steuerbord sah man durch den Dunst den silbrigen Lichtkegel des Leuchtturms von Iwaitsu sich drehen und blitzartig aufleuchten.
Auf der Höhe von Rjuho fing es an zu regnen. Den Männern starben vor Kälte die Hände ab, ihre Finger wurden unbeholfen wie Krebsscheren. Sie hauchten in die Hände oder steckten sie in die Taschen und verschafften dem Körper auf alle möglichen Arten Bewegung. Es regnete immer stärker, schließlich goss es in Strömen, rauschend prasselten die Tropfen auf die düstere, einförmig graue Wasserfläche. Als sie Tschinai passierten, fielen dicke Hagelkörner. Die weite Ebene des Meeres bauschte sich wie eine große Fahne, die von einem Windstoß erfasst wird. In den Masten begann es unheimlich zu singen. Ein Zittern lief durch das Schiff, es ächzte, als wollte es aus den Fugen gehen. Bei der Einfahrt in die Enge zwischen Hokkaido und Sachalin tobte das Meer, als wäre der Teufel losgelassen. Die Wogen spielten mit dem dreitausend Tonnen großen Schiff wie mit einer Nussschale. Eine Riesenkraft trug es hoch empor und schleuderte es im nächsten Augenblick hinunter in ein tiefes Wellental. Dabei spürte man jedesmal ein widerwärtiges Kitzeln in den Eingeweiden, als säße man in einem abwärtsgleitenden Fahrstuhl. Nicht nur die Neulinge, auch die meisten der erfahrenen Kamtschatkafahrer wurden quittegelb im Gesicht und bekamen die Seekrankheit, dass ihnen die Augäpfel hervorquollen. An den Bullaugenscheiben brachen sich schäumend und brodelnd die Wellen, hochauf spritzte der weiße Gischt. Die Küste von Sachalin am Horizont sah durch die Bullaugen aus wie ein mächtiges Gebirge, dessen Gipfel von einem Schneesturm umtobt werden. Mit dunklem Wald bestandene Täler rollten von fern heran, kamen näher und zerstoben schließlich berstend und krachend an der Bullaugenscheibe. Wie auf dem Schirm einer Zauberlampe glitten immer neue Bilder vorüber, von unsichtbarer Geisterhand hingezaubert und von derselben Hand wieder hinweggewischt. Das Schiff schlingerte und rollte wie ein von Kinderhand gefaltetes Papierschiffchen in der Badewanne. Gegenstände fielen polternd von den Wandbrettern und zersprangen klirrend am Boden. Aber alles wurde übertönt von dem Donnern der Wogen, die gegen die Schiffswand prallten. Im Maschinenraum tobte scheinbar ein Erdbeben, Geräusche drangen von dort herauf, als flögen Eisenteile durcheinander. Manchmal, wenn sich das Schiff auf einem Wellenberg befand, drehte sich die Schiffsschraube zur Hälfte in der Luft, und die Schraubenflügel peitschten die Wogen mit dem Sturm um die Wette.
Immer stärker blies der Wind. Die beiden Masten bogen sich wie Angelruten, ächzten und knarrten. Rings um sie tanzten die Wogen wie eine Schar wilder Gesellen und versuchten, sie in ihren Wirbel hineinzureißen. Über die Deckaufbauten ergossen sich Wasserfälle und schäumende Strudel. Ja, es war, als säße man in einem Papierschiffchen, das querliegend eine schiefe Ebene hinunterrutschte. Wenn man schon dachte, jetzt kentert das Schiff, läuft voll Wasser und sackt ab, fuhr eine Woge dazwischen, schlug krachend gegen die Bordwand und richtete das Schiff wieder auf, als forderte sie es höhnisch zu neuem grausamem Spiel heraus.
Als die „Hakkomaru" in das Ochotsker Meer einfuhr, wechselte die Farbe des Wassers und wurde düster und grau. Die Kälte drang von oben her in die Kleider. Schneetreiben setzte ein. Wenn die feinen weißen Kristalle auf die Haut trafen, verursachten sie einen prickelnden Schmerz. Wie Glassplitter drangen sie den auf Deck arbeitenden Männern in die Hände und ins Gesicht. Rollte ein
Brecher über das Schiff, bildete sich sofort überall Eis Auf Schritt und Tritt glitten die Leute aus. Um ihnen bei der Arbeit einen Halt zu geben, wurden Taue über das Deck gespannt, an denen sie sich in allen möglichen Lagen entlang hangelten. Es sah aus, als hingen nasse Handtücher auf der Leine. Der Inspektor trug immer einen Knüppel in der Hand, mit dem man Lachse totschlägt. Bei dem geringsten Anlass fluchte er wie ein Fuhrknecht und schlug mit dem Knüppel blindlings um sich. Das Krabbenfangschiff „Tschidjimaru", ein Schwesterschiff der „Hakkomaru", das gleichzeitig mit ihr von Hakodate ausgelaufen war, hatte zunächst einen anderen Kurs eingeschlagen und sich immer weiter von der „Hakkomaru" entfernt. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreichte, kam es wieder in Sicht. Es tanzte hilflos auf den Wellenbergen, seine Masten waren in die Luft gereckt wie die Arme eines Ertrinkenden. Dann verschwand es von neuem, nur noch Rauchfetzen waren zu sehen. Im Getöse des Sturmes hörte man ab und zu schrille Pfiffe wie das Heulen einer Sirene. Offenbar rührten sie von der „Tschidjimaru" her. Aber im nächsten Augenblick, wenn die „Hakkomaru" wieder in einem Wellental versank, gingen alle Geräusche im Tosen des Sturmes unter.
Das Krabbenfangschiff führte acht Fangboote mit sich. Die Besatzungen der Krabbenfangschiffe
— Matrosen, Krabbenfischer und Saisonarbeiter — waren dem Konzern nicht soviel wert wie die wimmelnden Krabbenhaufen, die die Fangboote einbrachten. Gegen den Verlust eines Schiffes war der Konzern hoch versichert. Aber davon hatten die Krabbenfischer nichts, im Gegenteil. „Der Einsatz muss so hoch wie möglich sein", sagte der Inspektor, „auf ein paar mehr oder weniger von diesem Pack kommt es nicht an, wir können uns nicht den Verlust eines einzigen Fangbootes leisten." Kamtschatka rückte näher, es war, als sähe man schon seinen Schatten. Das Meer von Kamtschatka schien auf das Schiff zu warten und es zu rufen; wie ein hungriger Löwe sperrte es seinen Rachen auf, drohend und herausfordernd. Neben diesem Ungeheuer wirkte das Schiff wie ein winziges Tier, wie ein Hase auf der Flucht. Der Himmel über dem Meer war voll wirbelnder Flocken, als flatterte ein ungeheures Tuch in der Luft. Auch in der Nacht hielten Sturm und Unwetter an. Als die Männer ihre Arbeit an Decks beendet hatten, kehrten sie mit steifgefrorenen Armen und Beinen in das „Jauchefass" zurück. Wie Raupen krochen sie in ihre Logis und hielten sich an den Streben fest. Sie waren so müde, dass keiner mehr ein Wort sagte, sie schliefen schon, bevor sie ihre Kojen erreichten. Das Schiff zitterte in allen Fugen, als schüttelte sich ein von Bremsen gequältes Pferd.
Einige Männer, die nicht schlafen konnten, starrten wie geistesabwesend zu der schmutzig gelben Decke hinauf, oder ihr Blick blieb am Bullauge hängen, das jetzt fast ganz unter Wasser war und dunkelgrün schimmerte. Manche hielten wie ein Irrer den Mund halb geöffnet, vor Müdigkeit unfähig zu denken. Andere waren angesichts der sie umtobenden Gewalten voll dumpfer Bangigkeit. Einer suchte Vergessen im Schnaps, sein Kopf sank um so weiter nach hinten, je mehr sich die Flasche leerte, die er an seine Lippen presste. In den Kanten der Flasche spiegelte sich das trübe Licht der Glühlampe in bunten, dauernd wechselnden Farben. Plötzlich flog die leere Flasche krachend in den „Abfallgraben" auf dem Gang. In den Kojen wurden Flüche laut, einige Köpfe fuhren hoch und wandten sich nach der polternden Flasche um. Mit einer Stimme, die in dem Getöse des Sturmes kaum zu hören war, sagte einer wie in tiefem Sinnen: „Ja, so sieht das aus, wenn die Heimat fern ist..." Im „Jauchefass" qualmte der Ofen. Dieser Raum hatte überhaupt viel Ähnlichkeit mit einer Räucherei. Wie dort die Lachse oder Schellfische zuweilen noch zuckende Bewegungen machen, so zuckte auch hier manchmal einer der erschöpften Fischer im Schlaf. Die Einstiegluke war mit einem Stück Segeltuch abgedeckt. Wenn die mannshohen Brecher über das Deck rollten, hallte es zwischen den Stahlwänden des Jauchefasses wie im Inneren einer Trommel. Neben den Schlafkojen dröhnte es, als wuchtete ein starker Mann mit den Schultern dagegen. Das Schiff bäumte sich wie ein Wal, der im Todeskampf mit dem Schwanz um sich schlägt.
Die Tür wurde aufgerissen. Der Kombüsenjunge steckte den Kopf herein, legte die Hände an den Mund und brüllte, dass es bis in den entferntesten Winkel zu hören war: „Essen empfangen! Wegen des Sturms gibt es heute keine Suppe." „Was gibt es denn?" „Gekochten Fisch."
Der Kopf verschwand, die Tür schlug zu. In den Kojen richtete sich einer nach dem anderen auf. Wie die Häftlinge eines Gefängnisses, so nahmen auch die Krabbenfischer die Mahlzeiten sehr wichtig. Heißhungrig hielten sie die Schüsseln mit dem Salzfisch zwischen den Knien, pusteten auf die heißen Bissen und schlangen sie gierig hinunter. Mancher verbrannte sich die Zunge und schob den Bissen im Munde hin und her, bis er kühler war. Steckte er das nächste Stück des dampfenden Fisches nicht sofort in den Mund, dann bildeten sich an der Nasenspitze rasch hellglänzende Perlen und tropften in die Schüssel.
Als die Fischer aßen, erschien der Inspektor. Sein Gesicht verzog sich zu einer höhnischen Fratze. „Da sitzt ihr auf euren Hintern und fresst euch den
Wanst voll! Und dann noch Dorschfilet. Dabei hat es für euch noch gar keine richtige Arbeit gegeben." Er warf ihnen einen giftigen Blick zu, zuckte mit den Schultern und verließ den Raum.
„Was erlaubt sich der Kerl?" sagte ein jüngerer Arbeiter, der ganz blass aussah, so hatte ihn die Seekrankheit mitgenommen.
„Asagawa kann sich auf diesem Schiff alles erlauben."
,Der Kaiser ist ein guter Mann und thronet in den Wolken. Pfeift auf den Kaiser, aber mit Asagawa ist nicht gut Kirschen essen!"
„Dieser Teufel piesackt uns, wo er kann. Jetzt gönnt er uns nicht einmal eine Schüssel Reis. An den Kopf schmeißen müsste man ihm das Fressen." Der das sagte, hatte eine Hasenscharte. Das schien einen anderen zu reizen, denn er schnitt ihm das Wort ab: „Du Maulheld! Das hättest du Asagawa ins Gesicht sagen sollen, als er hier war. Aber da hattest du die Hosen voll."
Trotz der allgemeinen Wut und Erbitterung lachten einige.
Lange nach Mitternacht kam der Inspektor, mit einem Regenmantel bekleidet, noch einmal in das Logis der Saisonarbeiter. Er musste sich an den Pfosten festhalten, so heftig schlingerte das Schiff. Mit einer Laterne leuchtete er in jeden Winkel. Im tanzenden Lichtschein sah sein Kopf gespenstisch groß aus, wie ein hin und her wackelnder Kürbis. Asagawa schien jemanden zu suchen, denn er blickte in alle Kojen.
Die Leute schliefen wie die Toten. Man hätte auf ihnen herumtrampeln können, sie wären nicht aufgewacht. Der Inspektor blieb in der Mitte des Raumes stehen und biss sich ratlos auf die Lippen. Er hatte offenbar nicht gefunden, was er suchte. Eine Abteilung nach der anderen kontrollierte er. Der bläuliche Schein seiner Laterne huschte über verstaubte Wandbretter, kroch unter die Kojen, unter denen die Gummistiefel standen, tastete sich an den Pfeilern hoch über die zerrissenen Jacken, die dort hingen, und glitt wieder abwärts bis hinter die Kleiderkisten. Dann schwankte der Lichtkegel vor Asagawas Füßen und kletterte an der nächsten Tür hoch, die aus dem Dunkel auftauchte. Erst am Tage erfuhren die Arbeiter, dass einer von ihnen vermisst wurde. Von diesem Augenblick an drehten sich alle ihre Gespräche nur um sein Schicksal, soweit sie Zeit fanden, miteinander zu reden; sie wurden ja schon vor Tagesanbruch an die Arbeit getrieben, und die Arbeit hielt sie den ganzen Tag über in Atem.
Es war nicht ausgeschlossen, dass er im Dunkeln den Halt verloren hatte und von einer Woge über Bord gespült wurde. Der Gedanke an sein Schicksal lastete wie eine dunkle Ahnung auf den Männern.
Wenn er sich versteckt hat und vor der Arbeit drücken will, schlägt Asagawa ihn halbtot", sagte einer, der die Dinge nüchterner betrachtete. Asagawa schien in der Tat so etwas vorzuhaben, denn er durchstöberte mit seinem Knüppel das ganze Schiff.
Endlich ließ der Sturm nach. Aber die Brecher stoben noch immer über das Deck, so dass dort nicht gearbeitet werden konnte. Viele Schäden waren auszubessern. Überall rumpelte und polterte es, als wäre das Schiff bei seinem Kampf mit den Wogen zum Krüppel geschlagen worden. Wolkenfetzen zogen wie dünner Rauch über die Masten, so niedrig, dass man glaubte, sie mit den Händen greifen zu können. Es regnete weiter, ringsum schlugen die Tropfen auf das Wasser. Die Stimmung war trostlos. So mochte es sein, wenn es im Urwald zur Regenzeit wochenlang vom Himmel strömte. Die Taue waren steifgefroren. Wenn man sie anfasste, glaubte man ein Stück Eisenrohr in der Hand zu haben.
Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend und sich an den Tauen festhaltend, schlich einer der Studenten über das vereiste Deck. Er stieß auf den Steward, der die Treppe von der Messe heraufkam. Die Stelle war geschützt, sie blieben stehen. „Du", sagte der Steward, „halt dich gut fest! Ich muss dir eine neue Schurkerei von Asagawa erzählen." Der Steward berichtete, was er gesehen hatte, als er die Nacht über in der Kapitänskajüte Dienst tun musste. „Es war um zwei Uhr. Die Wellen gingen so hoch, dass sie das Bootsdeck erreichten, immer wieder stürzten ganze Wasserfälle über das Deck. Die weißen Schaumkronen leuchteten wie zähnefletschende Gespenster. Die Mannschaften waren alle in ihren Kojen. In der Kapitänskajüte waren nur der Alte und Asagawa. Plötzlich erschien der Funker und meldete, dass er SOS-Rufe aufgefangen habe.
,SOS-Rufe? Von welchem Schiff?' fragte der Kapitän erschrocken.
,Von der »Tschidjimaru«, die mit uns ausgelaufen ist', antwortete der Funker.
Asagawa saß mit umgehängtem Regenmantel auf seinem Stuhl, die Beine weit von sich gestreckt, und wippte mit der Stiefelspitze. Sein Gesicht war verkniffen, er war schlechter Laune. ,Von diesem alten Kasten?' mischte er sich in das Gespräch. ,Übrigens, unser Kahn ist auch nicht viel besser. Diese Krabbenfangschiffe sind alle morsch.' Dann erzählte der Funker, dass er eine Viertelstunde lang vergebens versucht habe, Verbindung mit der ,Tschidjimaru' zu bekommen. Den Kapitän beeindruckte der Bericht des Funkers. Er sprang auf und stürzte zur Tür, wahrscheinlich, um auf die Kommandobrücke zu eilen. Aber bevor er die
Klinke ergreifen konnte, packte Asagawa ihn an der Schulter. ,Sie wollen doch nicht etwa den Kurs ändern? Wer hat hier zu befehlen, he?' schrie er den Kapitän an.
Der Kapitän war betroffen. Es war beleidigend für ihn dass jemand seine Befehlsgewalt anzweifelte. Er wollte auffahren und Asagawa in seine Schranken weisen. Aber unter Asagawas starrem Blick sank ihm der Mut, er setzte sich wieder auf seinen Stuhl. Es klang sehr kleinlaut, als er sagte: ,Schließlich bin ich der Kapitän.'
So so! Sie sind der Kapitän', äffte Asagawa ihn nach. ,Und wem gehört dieses Schiff, Herr Kapitän? Dieses Schiff hat der Konzern gechartert und schweres Geld dafür bezahlt. Es gibt nur zwei Leute, die hier etwas zu sagen haben: der Vertreter des Konzerns, Herr Sugita, und ich. Ihr Kapitänspatent, auf das Sie so mächtig pochen, ist ein Fetzen Klosettpapier! Haben Sie verstanden? Wir verlieren eine ganze Woche Zeit, wenn wir uns auf eine Bergungsaktion einlassen. Unterstehen Sie sich ja nicht, auch nur einen Tag zu opfern! Übrigens ist die »Tschidjimaru« sehr hoch versichert. Wenn der alte Kasten absäuft, verdient der Konzern mehr daran, als wenn er geborgen wird.' Jetzt müsste es passieren, jetzt müsste es einen Mordskrach geben, dachte ich. Das konnte sich doch der Kapitän nicht gefallen lassen. Aber der Kapitän rührte sich nicht, er schien die Sprache verloren zu haben. So hatte er noch nie ausgesehen. Er stand da wie ein begossener Pudel und protestierte nicht einmal. ,In einem Kampf zwischen zwei Ländern ist für Gefühlsduselei kein Platz!'Das waren die letzten Worte des Inspektors. Er spuckte aus, verzog den Mund und grinste höhnisch. Dann verließen sie alle drei die Kapitänskajüte und begaben sich in die Funkerkabine, um zu erfahren, was mit der ,Tschidjimaru' weiter geschehen sei. An dem Empfänger blitzte von Zeit zu Zeit eine kleine Lampe auf. ,Sehen Sie', sagte der Funker zu dem Kapitän und dem Inspektor, die ihm über die Schulter zusahen, ,sie rufen immer wieder.' Der Kapitän und der Inspektor folgten mit den Augen seinen Fingern, die über die Schalter und Hebel glitten.
Die Helligkeit der Lampe an der Wand schwankte mit den Schlingerbewegungen des Schiffes. Durch die Eisentür war das Tosen der Wogen zu hören, die gegen die Bordwand schlugen, und das Heulen der Sirene, manchmal wie aus weiter Ferne, manchmal unmittelbar über ihren Köpfen. Aus dem Empfänger kamen Summtöne und kurze Signale. Plötzlich hörten die Signale auf, es war totenstill. Das Dröhnen der Wogen klang wie fernes, dumpfes Grollen. Da wandte sich der Funker auf seinem Drehsitz mit einer jähen Bewegung um und sagte mit leiser
Stimme: Jetzt ist sie gesunken...' Er nahm den Kopfhörer ab, seine Stimme war fast tonlos, als er fortfuhr: ,Das Schiff hat... vierhundertfünfundzwanzig Menschen an Bord... Das war das Ende. Nun gibt es keine Rettung mehr für sie. Dreimal hintereinander haben sie SOS gefunkt. Nun ist alles still.'
Der Kapitän fuhr sich mit den Fingern beider Hände in den Rockkragen, als drohte er zu ersticken. Mit gesenktem Kopf verließ er die Funkkabine. Nie zuvor habe ich den Kapitän so gesehen", schloss der Steward seine Erzählung. Der Student hatte in atemloser Spannung zugehört. Jetzt blickte er auf das Meer, Tränen des Schmerzes und der Wut standen in seinen Augen. Das Schiff wogte auf und ab. Bald schien es, als läge der Horizont zu ihren Füßen, bald, als schwebte er hoch in der Luft und das Schiff läge tief unten wie in einem Graben. „Die ,Tschidjimaru' ist untergegangen", murmelte der Student vor sich hin. Da kam ihm zum Bewusstsein, wie bedrohlich die eigene Lage war. Ihr Schiff war ja ebenso morsch wie die „Tschidjimaru". „Alte Kästen sind das", hatte der Inspektor gesagt. Aber für die Konzernherren im Marunoutschi-Hochhaus in Tokio waren auch die „alten Kästen" noch Wertobjekte. Diesen Leuten war es gleichgültig, ob die Schiffsbesatzungen und die Hunderte von Krabbenfischern und Arbeitern im Ochotsker Meer zugrunde gingen oder nicht. Geschäftsleute kalkulieren alles ein. Ob hohe oder niedrige Zinsen, ob „Hausse" oder „Baisse", sie kommen immer zu ihrem Profit. Wenn ein mit mehreren Millionen versichertes Krabbenfangschiff verlorengeht, verdienen sie mehr als an den Fängen, die es einbringen würde; daher kann man mit Sicherheit annehmen, dass es eines Tages in den Tod geschickt wird. Wer könnte die Konzernherren daran hindern? Ein Krabbenfangschiff ist kein Schiff im eigentlichen Sinne, sondern eine „schwimmende Fabrik". Was auf ihm geschieht, das unterliegt daher auch nicht dem Seerecht, dessen oberster Grundsatz fordert, in Seenot befindlichen Schiffen zu Hilfe zu eilen.
Zwanzig Jahre dauerte es im allgemeinen, bis ein Krabbenfangschiff so mitgenommen war, dass es, vom Tode gezeichnet, nach Hakodate auf die letzte Station seines Lebens gebracht wurde. Dem Studenten fielen Geschichten ein, die er über den Russisch-Japanischen Krieg gehört hatte. Damals hatte man ausgediente Lazarett- und Transportschiffe wieder in Dienst gestellt und auf Fahrt geschickt — wie ein Stück Aas, das man den Haien zum Fraße überlässt. Wenn diese Schiffe mit Volldampf den russischen Kriegsschiffen zu entkommen versuchten, zischte der Dampf aus allen Leitungen. „Den Kasten hat der Schlag getroffen", sagten dann die Matrosen...
Wie diese Schiffe, so war auch die „Tschidjimaru" auf ihre letzte Fahrt geschickt worden. Wenn es der „Hakkomaru" eines Tages ebenso ging, würde kein Hahn nach ihr krähen. Ein Krabbenfangschiff ist eben weder ein Schiff, das unter dem Schutz des Seerechts steht, noch eine Fabrik, deren Arbeiter das Recht auf Arbeitsschutz genießen. Ein Krabbenfangschiff steht außerhalb aller Gesetze, es ist vogelfrei.
So kam es, dass zu derselben Zeit, da die Herren der Konzernleitung in den weichen Polstern ihrer Autos nach Marunoutschi in ihre Büros fuhren, mehr als vierhundert Krabbenfischer in den eisigen Wellen des Ochotsker Meeres ertranken. Das geht uns alle an, das werde ich den Männern im Jauchefass erzählen, es wird sie aufrütteln, dachte der Student, als er durch die Luke hinunterstieg. Am Eingang des Jauchefasses klebte ein Zettel mit der Aufschrift: „Wer mir Auskunft über den Verbleib des Saisonarbeiters Mijagutschi gibt, erhält zur Belohnung zwei Päckchen Zigaretten und ein Handtuch. |
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