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Willi Bredel - Rosenhofstraße (1931)
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Kapitel VI.

Fritz arbeitete seit einiger Zeit, da er in seinem Beruf als Elektrotechniker immer seltener Arbeit fand, als Arbeitsmann in der Versandabteilung einer Haferflockenfabrik. Neun Stunden lang musste er eineinhalb Zentner schwere Säcke schleppen. Als er am ersten Tage eine Stunde geschleppt hatte und ihm das Kreuz schmerzte, als wäre es gebrochen, schwor er: Heute noch wird ,in Sack gehauen'! Das halte aus wer kann, ich nicht! — Am Abend aber dachte er an Else, an ihren Zustand, sie erwartete ein Kind und wollte es austragen, dachte an den alten, gichtgeplagten Langfeld, dachte daran, dass er jetzt den kleinen Haushalt aufrechterhalten musste und dass auf seinen Verdienst gewartet, mit seinen Groschen gerechnet wurde. — —
Er kündigte das Arbeitsverhältnis nicht. Er schleppte sich nach' Hause, fiel, ohne sein Abendessen angerührt zu haben, zerschlagen und zerschunden, selbst wie ein lebloser Sack, aufs Bett ...
Voller Grauen, Schweiß auf der Stirn, quälte er sich am nächsten Morgen wieder zu den Eineinhalbzentnersäcken. So ging es mehrere Tage. Nach etwa zehn Tagen schmerzten ihm die Knochen nicht mehr so sehr. Er hatte sich an die Hunderfünfzigpfundlast gewöhnt»Doch die dumpfe Müdigkeit in den Gliedern blieb. Oft schlief er am Tisch über der Zeitung ein. —
Dann kam der Streik in der ,Nazibude'. Fritz musste zu Sitzungen, die bis in die Nacht dauerten. Die Streikzeitung musste fertig gestellt werden. Seine Augen schmerzten. Ein bleierner Druck lag ihm im Schädel. Er schlug den Genossen vor, ihm seine Funktion abzunehmen. Es wurde immer wieder hinausgezögert. Fritz selbst wollte sie ja gern behalten, denn die Arbeit in der Partei war doch noch das Einzige, was ihm Widerstandskraft gab.
Dann kam der Wahlkampf.
„Nein, Fritz, jetzt kannst Du uns nicht im Stich lassen. Mitten im Wahlkampf, ausgeschlossen! Nach der Wahl kannst du dich verschnaufen!"
So sprachen die Genossen. Fritz riss sich zusammen. Er kämpfte einen verzweifelten Kampf gegen die Eineinhalbzentnersäcke, gegen die Müdigkeit und die Schmerzen.
Der Straßenzelle Qu, Rosenhofstraße, wurden zur politischen Bearbeitung während der Wahlzeit auch noch einige Ortschaften in der Gegend von Stade an der Elbe von der Bezirksleitung der Partei zugewiesen. Fritz machte den Genossen folgenden Vorschlag: „Mit Lärm, Gesang und Parolegeschrei einmal durch die Ortschaften fahren, wie es andere Zellen oft taten, damit ist nichts geschafft und wird nichts erreicht. Am besten ist, diesen Sonntag fahren zwei Genossen hin und versuchen, mit unseren Genossen oder den Arbeitern dort auf den Gutshöfen oder in den kleinen Ortschaften Fühlung zu bekommen. Außerdem müssen sie politisches Material über die Arbeit der Gemeinderäte, die politische Einstellung der Gutsbesitzer, der Lehrer, der Pfaffen, der bekannteren Sozialdemokraten, über Arbeitszeit und Entlohnung sammeln. Also über alles, was den Arbeiter interessiert. Das Brauchbarste verwenden wir in Flugblättern, die wir selbst herstellen und dort verteilen werden. Auch können wir in unseren Wahlreden davon Gebrauch machen, denn wir müssen unbedingt Versammlungen in den Ortschaften organisieren!"
Römpter, der Seemann, stimmte Fritz bei. Er hatte in der Zelle fürs erste Olfers Funktion übernommen und fehlte bei der Kleinarbeit nie. „Wir können nicht", sagte er, „wie ich einmal von einem Referenten hörte, den Landarbeitern und Kleinbauern nur von der chinesischen Revolution erzählen. Sie wollen von Dingen hören, die sie selbst bedrücken, von Steuern, Löhnen und Arbeitszeit im eigenen Lande und von einem Ausweg aus dem kapitalistischen Schlamassel!"
„Alles schön und gut, Genossen!" meldete sich die Genossin Schenk. „Natürlich müssen wir fahren. Aber wir haben kein Geld! Drei Genossen am kommenden Sonntag und am übernächsten ein Lastauto! Was kostet das alles für Geld!"
„Da hilft alles nichts!" erwiderte Fritz. „Wir müssen alles selbst aufbringen. Vom rollenden russischen Rubel leben doch nur unsere Gegner in ihrer Einbildung! — Jeder Genosse, der die Landpropaganda mitmachen will, muss eine Mark Fahrgeld zahlen. Damit kann dann das Auto nach meiner Schätzung bezahlt werden!"
„Gibt denn die Partei gar kein Geld?" fragte noch einmal die Genossin Schenk.
„Du kannst ja mal den Versuch machen!" lachte Fritz.
„Aber was kostet denn schon die Fahrt nach Stade für drei Genossen? Die dazu bestimmt werden, können es doch nicht selbst aufbringen!"
„Das kostet fast nichts!" bemerkte trocken der Buchbinder. „Wa-as?" fauchte ihn die Genossin Schenk an. „Du bist wohl nicht recht bei Trost!"
Kernatzki lächelte listig, als er das wütende Gesicht der Genossin sah. „Es ist doch ganz einfach!" sagte er dann. „Die Genossen werden Sonntagfrüh auf Fahrrädern die Orte abkloppen! Bei gutem Wetter ist das ein herrlicher Ausflug!"
Dann kannst Du aber auch mit ausfliegen!"
100
„Tu' ich auch!" lachte der Buchbinder, „wenn ich dazu bestimmt
werde!"
Und er wurde dazu bestimmt, dafür sorgte schon die Genossin
Schenk. -------
Kernatzki, Pohl und ein Jungkommunist mit Namen Bottier sollten nun am kommenden Sonntag ins Stader Gebiet fahren. Da Pohl kein Fahrrad besaß, wollte der Genosse Kernatzki ihm für den Sonntag ein solches beschaffen.

Fast vier Wochen streikten schon die Pianoarbeiter bei Sternberg & Söhne. Die fortgesetzten Bemühungen der Reformisten des Holzarbeiterverbandes, den Streik zu liquidieren, scheiterten an der Halsstarrigkeit der Aktionäre und zugleich an dem Kampfwillen der Arbeiter.
Der ,Kämpfende nationale Pianobauer' aber war schon mächtig kleinlaut geworden. Vertreter der Schwerindustrie hatten bereits in den ersten Tagen des Streiks Beschwerde bei der Reichsleitung der NSDAP über die Haltung der Hamburger Ortsgruppe diesem ,wilden' Streik gegenüber eingelegt. Die Reichsleitung hatte den Rüffel an die Ortsgruppenleitung weitergegeben, und die versuchte nun, sich so geschickt wie möglich aus der unangenehmen Affäre herauszuwinden. Bei ihrem taktischen Täuschungsmanöver hatte sie über die Stränge geschlagen. Wer konnte auch ahnen, dass dieser isolierte Belegschaftsstreik sich Wochen hinziehen würde. Der ,Kämpfende nationale Pianobauer' sprach nicht mehr von Kampf und gerechtem Streik der Belegschaft, er jammerte nur noch über die unseligen Auswirkungen solcher Streiks, die dem deutschen Wirtschaftsleben das letzte Mark kosten, er klagte in verlogener Heuchelei über die unnatürliche Feindschaft zwischen Unternehmern und Arbeitern, die doch nur eine teuflische Erfindung der Marxisten sei, und dass deren Beseitigung der Nationalsozialismus auf sein Banner geschrieben habe. In kläglichen Redensarten wurden die verblendeten Unternehmer gerügt und in niederträchtigen Ausfällen die revolutionären Arbeiter bekämpft, die nur streikten, weil Stalin im Kreml es angeordnet habe oder aber, weil sie Spaß daran fänden. „Die Marxisten kämpfen verantwortungslos gegen Staat und Gesellschaft»Nationalsozialisten aber handeln und kämpfen verantwortungsbewusst".
Mit solchem Geschwätz entlarvten sich die Nazis bei den streikenden Arbeitern. Die Geschäftsleute der Rosenhofstraße aber bewunderten größtenteils die kluge Taktik dieser Unternehmerknechte und stimmten eifrig ein in die Hetze gegen die Marxisten. Unter den Arbeitern aber stieg der Hass gegen die gekauften Hakenkreuzmordriegen. —
„Die Zeit des Diskutierens ist vorbei. Kommt mir einer dieser Burschen in die Quere, gibt's was an den Fresskorb!"
Pohl, der Schauermann, stand mit mehreren Arbeitern vor der Rosenhofterrasse und diskutierte.
„Na, na, nicht so hart, Korl!" lachte Pohl. „Eins, zwei, drei, ist Deines Genossen Polizeisenators Polizei da, gibt Dir was mit dem Radiergummi über die Rübe und schleppt Dich ins Kittchen!"
„Diese Anpflaumereien spar' Dir man!"
„Stimmt es nicht, was ich Dir sage?" lachte der Schauermann.
„Nur, weil wir Arbeiter uneinig sind, können diese Burschen so frech werden!" antwortete hitzig der andere, der Karl Kruse hieß, und Schweißer und Mitglied des Reichsbanners war.
„Richtig!" nickte Pohl.
„Richtig?" schrie jetzt der Schweißer. „Ja, richtig! Aber Ihr Kommunisten seid ja gerade Schuld daran. Die Nazis sind die Zwillingsbrüder von Euch. Eure Wühlereien gegen die Republik haben sie großgezüchtet!"
„Mensch, Du quatschst da allerhand zusammen!" Pohl wurde jetzt auch wütend. „Seit der Revolution haben Deine Führer unsere Partei unterdrückt, unsere Funktionäre in die Gefängnisse geworfen, unsere Zeitungen verboten, unseren Roten Frontkämpferbund verboten. Den Nazis wurde noch nie ein Haar gekrümmt, ihre Organisationen werden nicht verboten, und sie werden nicht in die Gefängnisse geworfen. Sie können sich alles erlauben, und nur durch die Politik Deiner Führer und ihrer Demokratie, dieser korrupten, verlogenen Demokratie!"
Der Schauermann hatte sich erregt. Solche Diskussionen kosteten ihn mehr Schweiß, als das Hantieren mit Säcken oder Kisten. Aber er hatte in den letzten Wochen manches gelernt und war immer bereit, einen ihm hingeworfenen Fehdehandschuh anzunehmen.
„Du kannst reden, was Du willst, es kommt darauf an, dass die Hakenkreuzpest bekämpft wird. Es kann zwischen denen und uns keine Gemeinschaft geben!"
„Ganz meine Meinung!" antwortete Pohl.
„Und ich sage Dir nochmals, kommt mir persönlich einer von den Brüdern dumm, dann ist dicke Luft!"
Pohl riss nach diesen Worten seine Augen sperrangelweit auf. Es war unglaublich, fast lächerlich, als in dem nächsten Augenblick drei Kerle in braunen Hemden und Käppis, mit der Hakenkreuzbinde um den Arm, die Rosenhofstraße heraufkamen.
„Herrgottsakra!" brüllte Pohl lachend. „Dort kommt Deine Hakenkreuzpest!"
Karl Kruse, der Reichsbannermann, bekam einen roten Kopf, aber es fiel nicht auf, denn alle Augen waren auf die daherkommenden Nazis gerichtet. Die merkten, dass sie betrachtet wurden und schritten so forsch als möglich heran. Als sie an den Arbeitern vorbeigingen, grinste der eine, weil er die Reichsbannerkokarde an der Mütze des Schweißers gesehen hatte und spuckte aus.
„Lass' nur Dein Grinsen, Du Dreckkerl!" schrie dieser ihn mit hochrotem Kopf an.
Wie auf Kommando standen die drei
Pohl schlug das Herz im Halse. Er bewunderte doch die Courage dieser Burschen. Landknechtscourage mit verkorksten Ehrbegriffen, dachte er.
„Sagten Sie etwas?" trat mit ironisch übertriebener Höflichkeit der Nazi, der über die Reichsbannerkokarde gegrinst hatte, an den Reichsbannermann heran.
Der war sprachlos. Pohl fand das fast komisch.
„Wir lassen uns nicht anöden!"
Im selben Augenblick schlug einer von den Arbeitern, die bisher zuhörend um Pohl und den Reichsbannermann gestanden hatten, dem Nazi die geballte Faust ins Gesicht.
Pohl sah noch, wie der Getroffene zurücktaumelte, dann war alles ein wilder Knäuel schlagender Arme und Beine. Er selbst riss, schlug, trat, ließ seine Arme wie Kolben nach allen Seiten niederschlagen. Menschen liefen herbei. Geschrei. Einer zerrte Pohl am Bein. Er fühlte, wie er gleich den Halt verlieren und dass er rücklings hinschlagen würde. Bevor er aber fiel, schlug er mit voller Wucht seinen freien Fuß dem, der sein Bein umklammerte, an den Schädel. Er fiel hintenüber, aber er war frei. Als er aufstand, war schon Polizei da Mit einem raffinierten Griff drehte ihm ein Blauer den Arm fast nach Schulterhöhe. Pohl schrie gellend auf.
Von allen Seiten kamen Polizisten herbeigerannt. Auch die Menschenmasse wurde immer größer. Alles schrie durcheinander.
„Die Nazis sind schuld! Die Nazis sind schuld!" schrieen einige Arbeiterfrauen.
„Nazi verrecke!" brüllte jemand. Es war ein riesiger Tumult.
Pohl sah sich um. Neben ihm stand Kruse, der Reichsbannermann, ruhig und heil, als wäre er an der ganzen Prügelei überhaupt nicht beteiligt gewesen. Auch die anderen Kollegen standen dort mit den Polizisten.
Etwas abseits standen die drei Nazis. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Leibe, und zwei von ihnen wischten sich ununterbrochen das blutverschmierte Gesicht. Der dritte hatte ein tiefblau geschlagenes Auge.
Verflucht, die haben Hiebe gekriegt, dachte Pohl bei sich. Und wie schnell das alles ging. Unglaublich schnell. Man ist kaum klug daraus geworden.
Unter starker Polizeibewachung wurden die Nazis und die Arbeiter zur Polizeiwache geführt. Eine schreiende Menschenmenge begleitete sie.
„Mensch, wo kommen plötzlich alle die Blauen her?" flüsterte Pohl dem Reichsbannermann zu.
Aber der gab keine Antwort, sondern schritt schweigend dahin.
„Wir kommen wieder! Rache!" schrie es gellend hinter Pohl.
Er drehte sich um.
„O-o-o-oh!" schrie die Menschenmenge höhnisch.
„Nazi verrecke!" brüllten einige.
„Seien Sie ruhig!" fuhr der eine Polizist den schreienden Nazi an.
Gott verflucht, ist die Rosenhofstraße aber lebendig geworden, dachte Pohl. Wo kommen bloß die ganzen Menschen her?
„Rache! Rache!" schrie der eine Nazi wieder und heulte nahezu vor Wut.
Ein Hohngebrüll aus Hunderten von Kehlen war die Antwort.
Die Brothändlerin Kuhlmann war wieder soweit gesund, da3 sie selbst ihre Kunden bedienen konnte. Trotzdem stöhnte sie noch dauernd und fragte immer und immer wieder ihren Mann, warum sie so gestraft worden sei.
Der wusste darauf nun auch keine Antwort. Und wenn er eine wusste, verschwieg er sie lieber. —
Am Nachmittag kam die Gemüsehändlerin Kafka und brachte der Brotfrau einen Kopf Rotkohl. Dabei klagte sie der, wie sicher jedem Menschen, dem sie begegnete, ihr Leid.
„Oh, Frau Kuhlmann, Sie haben doch gestern von dem Überfall hier in der Rosenhofstraße gehört?"
„Die Prügelei?" flüsterte mit schwacher Stimme die Brothändlerin.
„Das war ein planmäßiger Überfall der Reichsbannermenschen auf unsere Jungens!"
„Unsere Jungens?" sagte erstaunt die Kuhlmann, aber dann fiel ihr ein, dass der junge Kafka ja bei den Nazis war, und sie sagte: „Das waren Kommunisten, Frau Kafka!"
„Nein, das war Reichsbanner!"
„Der Pohl aus der Terrasse hier war doch dabei, und der ist Kommunist!' beharrte eigensinnig die Brothändlerin.
„Dann waren es eben Kommunisten und Reichsbanner!" erwiderte die Gemüsehändlerin. „Mit fünfzehn Mann fielen sie über drei Jungen her. Schlagzeuge und Totschläger soll man sogar bei den Rowdies gefunden haben!"
„Ja, das hat wohl jeder Kommunist bei sich!" meinte die Kuhlmann.
„Ich habe ja solche Angst um meinen Arthur!" jammerte die Gemüsehändlerin. „Dieser Pohl wollte ihn schon einmal ermorden!"
„Nun, nun, Frau Kafka, so schnell mordet sich das nicht!"
„Das sagen Sie nicht. Sie kennen diese Leute scheinbar noch nicht. Die sind zu allem fähig!"
„Und ob ich sie kenne!" erwiderte wichtig die Brothändlerin. „Eine von dieser Sorte, die mit einem Kommunisten wild zusammenlebt, hab' ich aus meinem Geschäft geworfen. Solchem Gesindel verkaufe ich kein Brot!"
Kuhlmann, der den Laden fegte, starrte mit aufgerissenem Mund seine Frau an. Sie war akkurat dieselbe geblieben, trotz der Krankheit
„Ach, wenn doch jeder so denken würde!" seufzte die Grünhökerin. „Aber Sie müssen richtig wählen, Frau Kuhlmann. Unsereins kann nur eins wählen!"
„Oh, ich wähle schon richtig!" antwortete die, und ihr Mann spitzte wieder erstaunt die Ohren.
„Ach, Sie wählen auch Hitler?" flötete die Kafka.
„Wieso? Ist der denn hier auch aufgestellt?"
„Nein, nein, der darf doch überhaupt nicht in den Reichstag, ich meine doch nur die Partei!"
„Warum darf denn der nicht in den Reichstag?" fragte wieder die Kuhlmann.
„Weil sie Angst vor ihm haben. Den fürchten sie alle!" „So-o-o!" machte die Brothändlerin.
„Wir werden riesig gewinnen. Mein Arthur meint, wir werden die stärkste Partei!"
„Ja, das mag wohl sein!"-----------
Als die Kafka fort war, wandte sich die Brothändlerin an ihren Mann: „Merke dir: Hitlerpartei! Die wählen wir. Wenn die in Berlin alle Angst vor dem haben, ist das der Richtige!"
Kuhlmann brummte: „... verrückt... verflucht . . . Mmmmm!"
„Was hast Du?" jammerte sie. „Willst Du mich denn wieder aufregen und ganz kaputt machen? — Ooh, mein Kopf! Mein Kopf!"
„Ich wähle keine Nazis!" raffte sich Emil endlich auf.
„Sei doch bloß ruhig. Du machst mich ganz nervös!" schrie die Brothändlerin heiser.
Emil schwieg und fegte weiter.
„Wähl' Du Esel man Deine Wirtschaftspartei! Haben die uns denn geholfen, he?"
Emil schwieg und fegte weiter.
„Aber das merke Dir: Ich wähle Hitlerpartei. Ich lass' mich nicht von Dir tyrannisieren!"
Emil seufzte, aber er schwieg und fegte weiter.
Nach Aufnahme der Personalien wurden am selben Abend noch Pohl und die anderen Arbeiter wieder entlassen. Die Nazis wurden einige Stunden später ebenfalls freigelassen. Der eine Wachtmeister wollte bei seiner Meldung das trotz seines Verbotes erfolgte Racherufen als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt wissen. Aber der Oberwachtmeister, der das Protokoll aufnahm, winkte ab. Der Polizist machte ihn darauf aufmerksam, dass vor einiger Zeit ein ähnlicher Fall mit rotfrontrufenden Kommunisten so ausgelegt wurde.
Der Oberwachtmeister blitzte ihn wütend an und fauchte: „Da waren die Umstände aber andere!"
Pohl hätte von der Unterhaltung gern mehr gehört, aber der Polizist schwieg und ging in die Mannschaftsstube. —
Fritz lachte, als Pohl abends zu ihm in die Wohnung kam.
„Die sollen ja jämmerlich vertrimmt worden sein?"
„Das kannst Du glauben!"
„Und die ganze Rosenhofstraße war in Aufruhr!"
„Also so was hätte ich glatt für unmöglich gehalten!" bestätigte der Schauermann. „Wo kamen plötzlich die vielen Menschen her?"
„Ja, so ist es, wenn die Proleten mal aus ihren Mietslöchern kommen, merkt man erst, wie viel es überhaupt sind!"
„Nach der Stimmung heute nachmittag gewinnen die Nazis hier keinen Blumentopf!" mischte sich Walter Heuberger, der bei Fritz saß, ins Gespräch.
„Aber nun erzähl' doch mal, wie alles kam!" drängte Fritz.
Und Pohl erzählte. Erzählte vom Reichsbannermann Karl Kruse" aus der Theresienterrasse, von seinem Kraftmeiertum und den dann wie auf Bestellung daherkommenden Nazis.
Fritz griente vergnügt.
Als aber Pohl von dem Zwischenfall in der Polizeiwache mit dem Blauen und dem Oberwachtmeister berichtete, erklärte Fritz, das sei eine vorzügliche Korrespondenz für die Zeitung.
Trotzdem er hundsmüde war, setzte er sich sogleich hin und schrieb.
„Kannst von Glück sagen, dass Reichsbannerleute dabei waren, Karl!" meinte Heuberger.
„Wieso?"
„Na, vielleicht kommst Du billiger davon!" lachte der Junge. „Die werden vor dem Klassengericht auch gerade darauf Rücksicht nehmen!" antwortete der Schauermann.
„Hast recht!" stimmte Fritz zu. „Es waren ja keine Prominenten, sondern nur einfache Proleten der Sozialdemokratie! Politisch aber ist es so ausgezeichnet!"
„Du, die wollen Rache nehmen!"
„Die sind viel zu feige!" rief Heuberger.
„Das glaube ich nun gerade nicht!" meinte Pohl. „Man muss schon vor diesen Burschen auf der Hut sein!"-----------
Pohl und Heuberger wollten noch, trotzdem es bereits Mitternacht war, vor der Terrasse eine Zigarette paffen. Nachdem sie eine Weile schweigend beieinander standen, fragte der Schauermann: „Was hast Du jetzt eigentlich für einen merkwürdigen Freund, der sieht aus, als wenn er Gigolo wäre?"
„Der wohnt hier in der Straße — da unten!"
„Ja, das weiß ich, aber der gefällt mir nicht. Der gehört doch nicht zu uns?"
„Nein!" meinte etwas kleinlaut Heuberger. „Der ist total unpolitisch."
„Mir gefällt dieser Lackaffe nicht!"
Heuberger schwieg.
„Dabei meine ich, ihn irgendwie mal anders gesehen zu haben!"
„Anders? Wie?" stieß der Junge heraus.
„Das weiß ich eben nicht!"
„Von dem kann man viel lernen!" meinte Heuberger leise.
„So-o-o?" erwiderte langgedehnt der Schauermann „Was denn?"
„Der kann eigentlich alles!"
„Eben sagst Du, er sei unpolitisch!"
„Von Politik versteht er auch nichts, davon muss ich ihm immer was erzählen!"
„Soso!" Diesmal klang es aber nicht ironisch.
„Aber sonst weiß der aber auch alles. Am Theater war er mal selbst, und Bücher kennt der! — Was der alles gelesen hat! Der wettet sogar auf Pferde!"
„Feiner Mann, der sich das erlauben kann!"
Heuberger schwieg wieder.
„Und die Weiber?" fragte Pohl.
„Auf die ist er mächtig scharf!" lachte der Junge.
„Das kann man sehen!"
„Wieso kann man das sehen, Karl!"
„Sonst würde er doch nicht so gestriegelt und geschniegelt herumlaufen!"
„Das bringt sein Beruf mit sich!"
„Richtig, was hat er denn eigentlich für einen Beruf?" „Er ist Expedient bei einer großen Firma!" Pohl schwieg und zog an seinem Zigarettenstummel. Als sie durch den Torweg zurückgingen, brach der Junge das Schweigen.
„Das Ganze war wie ein Verhör! Soll ich mit dem Kerl Schluss machen, Karl? Ich habe ja selbst eigentlich ein merkwürdiges Misstrauen gegen ihn!"
„Ich trau' dem nicht!" antwortete Pohl. „Aber bleibe nur um ihn und horche ihn aus!"
Am Treppenaufgang ermahnte Pohl den Jungen noch einmal. „Vorsichtig, Walter! — Gute Nacht!"
Am kommenden Sonntagmorgen sammelten sich in aller Frühe die kommunistischen Arbeiter und Arbeiterinnen und die „Roten Wahlhelfer" aus der Rosenhofstraße zur Landpropaganda. Die Straßen waren noch menschenleer, aber gut drei Dutzend Arbeiter standen bereits am unteren Ende der Straße um zwei Lastwagen herum. Rote Transparente wurden an den Wagenseiten befestigt und vor den Kühler des Motors banden einige einen riesigen roten Stern mit Sichel und Hammer.
„Er hängt schief!"
„Noch etwas mehr nach links!"
„So ist es gut!"
„Hinten am zweiten Wagen muss das Plakat mit der großen Schrift: »Wählt Kommunisten!' hängen", meinte einer und stampfte beim Zusehen von einem Bein auf das andere, denn von der häuserfreien Seite her, wo die Schrebergärten waren, pfiff ein scharfer Ostwind.
„Komm' und pack' mit an! Wirst warm dabei!" erwiderte lachend einer der Helfer.
„Auf Nachzügler wird nicht gewartet!" rief die Genossin Schenk, die immer eine Viertelstunde vor der verabredeten Zeit da war. „Punkt halb sausen wir los!"
„Dort kommt ja Burmester mit der Zellenfahne!"
Fritz, Else und der Schauermann kamen. Mit lebhaften Rot-Front-Grüßen wurden sie empfangen. Römpter fischte sich Fritz sofort aus dem Haufen Genossen heraus.
„Natürlich, Genosse Römpter, die BL. wollte einen Referenten mitschicken!"
„Glaubst Du, dass einer kommt?"
„Ich hoffe!"
„Ich glaub's nicht!" erwiderte brummig der Seehundbärtige.
„Versteh' mich recht!" begann er nach einer Weile erneut. „Ich meine nicht, dass es böser Wille der BL. ist, oder Schlamperei, sondern einfach Mangel an Rednern, jetzt mitten in der Wahlarbeit. Die Partei hat zu wenig Referenten!"
„Schließlich muss es auch so gehen. Einer von uns spricht dann eben so gut er kann. Material haben wir genug, die Hernedorfer und Stader werden ihre Äuglein aufreißen!"
„Ich habe so was gehört, als wenn der Hernedorfer Pastor abgeledert werden soll, nicht wahr?"
„Und nicht zu knapp!" lachte Fritz. „Das ist der reinste Menschenschinder und Sklavenhalter. Ein richtiger Vampir. In diesem Jahre hat er bereits sieben Dienstmädchen verbraucht. Mit Dreien musste er vors Arbeitsgericht, da der fromme Herr nicht zahlen wollte. Eine hat er in einem Wutanfall sogar verprügelt. Natürlich ist dieser Gottesmann ein treudeutscher Nazi und plärrt jeden Sonntag seinen arischen Christenquatsch von der Kanzel herunter. Aber heimlich flüstert bereits das ganze Dorf von seinem Treiben« Und hier steht alles drin!" Damit klopfte Fritz lachend an die dickbäuchige Aktentasche, die er bei sich trug.
„Und Stade?"
„Das ist unsere Bombe. Du weißt, hier hat die Bezirksleitung vorgearbeitet, wochenlang schon. Ein langjähriger Vorsitzender der SPD., der in Stade als ehrlicher Arbeiter allgemein bekannt und beliebt ist, hat seinen Übertritt zu uns angemeldet. Er hat nun versprochen, einen größeren Teil Arbeiter mit herüberzuziehen und heute mit unserer Unterstützung eine Ortsgruppe der Partei aufzumachen. Feine Sache, was? Zwölf Abonnenten für die Zeitung hat er schon gewonnen!"
Römpter strich sich zufrieden seinen Schnauzbart.
„Haben wir auch darüber Material?"
„Meinst Du denn nicht? Er hat einen „Offenen Brief" an alle Stader Arbeiter verfasst, den haben wir vervielfältigt und werden ihn heute mit dem übrigen Wahlmaterial verteilen!"
„Es ist halb! Ich bin dafür, dass wir fahren!" rief die Genossin Schenk.
„Dann ist also heute nachmittag in Stade die Gründungsversammlung unserer neuen Ortsgruppe?"
„Seid ihr nicht für pünktliches Abfahren?" drängte sich die Zappelige an die beiden heran.
„Geb' drei Minuten zu!" antwortete Fritz.
„Nie wird Pünktlichkeit... ." knurrend schob die Genossin ab.
„Es kommt doch kein Referent!" stellte Römpter fest.
„Wir schaffend auch ohne. Was meinst Du?"
„Na ja, natürlich!"----------
Langsam fuhr der mit roten Wahlplakaten und Transparenten geschmückte Lastkraftwagen mit dem Anhänger durch die sonntäglich unbelebten Straßen der Stadt. Zwei große rote Fahnen flatterten von den Wagen. Im ersten Wagen standen die Mitglieder der Abteilung 12 der „Antifaschistischen Arbeiterwehr". Im Anhänger standen die Roten Wahlhelfer und die Frauen.
Auf der Fahrt durch die Stadt kamen sie an einem Platz vorbei, auf dem sich uniformierte Reichsbannermitglieder zu einem Wahlumzug gruppierten.
„Nieder mit den Panzerkreuzersozialisten!" rief Fritz.
„Nieder!-------" rief es vom Wagen.
„Dem von Severing verbotenen Roten Frontkämpferbund ein dreifaches Rot... !"
„Front!"
„Rot!"
„Front!"
„Rot!"
„Front!" fielen die Arbeiter in den von Römpters rauer Seemannskehle ausgestoßenen Ruf ein.
Die Reichsbannerleute sahen den vorbeifahrenden Lastwagen
Hinter der Eibbrücke ging es in schnellerem Tempo durch die Vororte Veddel und Wilhelmsburg nach Harburg. Es richtete sich nun jeder so gut ein, wie es ging. An den Seiten der Wagen waren Bänke, aber für alle boten sie keinen Platz. So wurde gewechselt. Solche Propagandafahrten waren wirklich kein Vergnügen, sondern Strapazen, zumal einige erwerbslose Arbeiter trotz der kalten Morgenluft nur notdürftig bekleidet waren. Aber ein echter, kerniger Humor half alle Unannehmlichkeiten überwinden. Besonders im Anhänger war ununterbrochenes Gelächter und Gejuch. Die Genossin Schenk hatte einen ihrer besten Tage, Sie erzählte in ihrer urkomischen Art Schnurren und Scherze, dass die anderen aus dem Lachen nicht herauskamen.
Im ersten Wagen wurde vornehmlich politisiert. Eine Thermosflasche mit heißem Kaffee machte dabei die Runde.
Oft begegneten ihnen einzelne Arbeiter auf der Landstraße. Einige zeigten die geballte Faust zum Gruß. —
Dann kam die zweite Eibbrücke und bald darauf Harburg.
Die „Antifaschistische Arbeiterwehr" sang das italienische Kampflied Bandiera rossa" In den Harburger Straßen blieben viele Leute stehen und lasen die Wahlparolen.
An einer Kreuzung stand ein Sipo und betrachtete die rotgeschmückten Wagen.
„Rot Front, Sipo!" rief übermütig der Schauermann,
Der winkte vor Verlegenheit mit der Hand.
Die Arbeiter lachten aus vollem Halse.
Dann ging es in rasendem Tempo an den Wäldern der Haake vorbei durch die Eibdörfer, Das Wetter war inzwischen herrlich geworden. Die Sonne hatte sich durchgearbeitet und verbreitete wohltuende Wärme. Die Stimmung unter den Arbeitern wurde immer lebendiger Im Anhänger herrschte sogar Ausgelassenheit.
Auf dem Marktplatz in Hernedorf wurde Rast gemacht. „In zehn Minuten wird angetreten zur Hauspropaganda!" bestimmte Fritz.
Die Genossen frühstückten oder gingen in Gruppen auf dem Marktplatz spazieren und unterhielten sich mit einigen neugierig herbeigekommenen Einwohnern des kleinen Ortes,
Fritz und Römpter rechneten inzwischen.
„Zweiundsiebzig Teilnehmer!" stellte Fritz fest. „Davon haben sechs erwerbslose Genossen nicht gezahlt, macht 66 Mark. Der wagen kostet 60 Mark. Bleiben 6 Mark!"
„Geb' dem Schofför man etwas!" meinte Römpter.
„n Taler?"
„Ja!"
„Bleiben drei Mark für die Zellenkasse!"-------—
Nach zehn Minuten traten die Genossen der Arbeiterwehr an. Flugzettel wurden pro Mann ausgegeben. Fritz verteilte die Arbeit: „Eine Stunde Hauspropaganda und Flugblattverteilung! Je drei Genossen nehmen eine Straße, Um 11 Uhr wieder allgemeines Antreten hier auf dem Marktplatz!" —
„Die übrigen Genossen bleiben bei den Wagen!" rief Römpter.
Die Flugblattverteiler zerstreuten sich nach allen Richtungen.
„Karl, vergeß' den Paster nicht!" rief Fritz dem Schauermann nach.
„Nee, nee!" rief der zurück. „Dor go ick sülms hen!" —
Nachher ging's weiter nach Stade.
Die Stader Arbeiter erwarteten die Wagen schon auf dem Marktplatz. Immer wieder wurden die Hamburger Arbeiter mit lauten Rot-Front-Rufen begrüßt. Der kleine Platz wimmelte von Menschen. Ein älterer Arbeiter ging auf den Buchbinder Kernatzki zu und gab ihm die Hand. Dieser machte ihn mit Fritz bekannt. Er war bisher Vorsitzender der sozialdemokratischen Ortsgruppe und jetzt Genosse.
„Sämtliche Wirte boykottieren uns, Genosse!" Er hatte ein gelbliches Gesicht, mit einer merkwürdig kleinen Stupsnase und war nur ein wenig größer, als Fritz. „Als SPD.-Mann konnte ich jedes Lokal bekommen, aber jetzt rücken alle ab. Die Nazis sind in einer solchen Kleinstadt mächtiger, als Ihr ahnt!"
„Oh!" antwortete Fritz, „das ist nicht das erste Mal, dass uns die Säle verweigert werden!"
„Und die Nazis haben hier gearbeitet! Fast jeden Tag machen sie eine Versammlung!"
„Wir halten unsere Versammlung dann eben hier auf dem Marktplatz ab!" unterbrach ihn Fritz.
„Verboten!" entgegnete der Stader Genosse. „Ich war gestern noch beim Bürgermeister. Er hat die Genehmigung mit Hinweis auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit abgelehnt!"
„Das werden wir ja sehen!" meinte Fritz.
Dann wurden die Genossen wieder zu einer einstündigen Hauspropaganda eingeteilt. Einige Stader Arbeiter stellten sich sofort als Führer zur Verfügung. Mit Flugblättern, dem ,Offenen Brief des ehemaligen Stader Sozialdemokraten, Zeitungen und Parteibroschüren bepackt, zogen die Genossen ab.
Kaum waren die ersten fort, als auf Fahrrädern sechs Gendarmen auf dem Marktplatz ankamen. Die Karabiner hatten sie an die Räder gebunden. Viele der Herumstehenden liefen ihnen sogleich entgegen. Sie stiegen vor einem Gasthaus am Ende des Marktes ab.
„Was wollt Ihr denn hier?" fragte sie die Genossin Schenk.
„Nur dafür sorgen, dass alles ruhig abgeht!" antwortete verlegen lächelnd einer von ihnen.
„Das geht ohne Euch besser!"
Die Gendarmen schwiegen. Die ersten schoben ihre Räder ins Gasthaus.
„Und was wollt Ihr mit den Flinten da?" begann die Schenk wieder.
Einige der Gendarmen grinsten.
„Spatzen schießen?" fragte ironisch die Zappelige weiter und Stellte sich breitbeinig vor den Grünen auf.
Alles um sie herum lachte.
„Lasst bloß diese Dinger an den Rädern hängen!" rief sie noch ins Lokal, „sonst ist die Ruhe und Sicherheit zum Deubel!"
Die biederen Kleinstädter betrachteten mit ehrlicher Bewunderung die kleine, resolute Kommunistin. Die aber machte Sich nun gleich daran, den Umstehenden die Grundbegriffe des Kommunismus
zu erklären.-----------
Um drei Uhr nachmittags sollte auf dem Marktplatz die öffentliche Wahlversammlung stattfinden, die aber vom Bürgermeister verboten worden war; dennoch sammelten sich um die angesetzte Stunde zahlreiche Arbeiter und Neugierige auf dem Platz an. Fritz besprach sich mit den Stader Genossen. Sie rieten ab, die Versammlung trotz Verbot abzuhalten. Es wäre nicht gut, wenn die erste Versammlung der jungen Ortsgruppe gleich mit Zusammenstößen mit der Polizei begänne. Besser wäre, dem Bürgermeister und seiner Sippe ein Schnippchen zu schlagen. Fritz und Römpter waren schließlich einverstanden, und nun berieten sie das Wie.
Inzwischen mochten einige hundert Menschen den Marktplatz bevölkern. Die Arbeiter kamen an die Wagen heran, unterhielten sich mit den Genossen und kauften Zeitungen und Broschüren. Die Kleinbürger der Stadt hielten sich etwas abseits und benutzten den traditionellen Sonntagnachmittagsspaziergang, um einmal richtige Bolschewiki zu betrachten. Vor dem Wirtshaus am Ende des Marktes standen die Gendarmen. Ohne Gewehre, die wahrscheinlich noch an den Rädern hingen.
Da stieg Römpter auf das Dach des Führersitzes vom Lastkraftwagen und rief mit seiner rauen Stimme: „Der Bürgermeister hat unsere Wahlversammlung hier auf dem Platz widerrechtlich verboten. Wir verlegen sie und werden auf dem Eibdeich vor der Stadt sprechen!"
„Bravo!" riefen einige Arbeiter, und unter den Stadern entstand eine Bewegung. Die Gendarmen aber rührten sich nicht von der; Stelle.
Sofort stellte sich die Abteilung der ,Antifaschistischen Arbeiterwehr' marschbereit auf. Die Roten Wahlhelfer und die Frauen, sowie viele Stader und aus der Umgebung herbeigekommene Arbeiter schlossen sich an, und mit dem Gesang der ,Internationale' marschierten sie vom Markt durch die Stadt zum Deich. Hinterher bewegte sich die Menge. — — —
Die Versammlung auf dem Eibdeich bot ein malerisches Bild. An der Wasserseite lagen und saßen am Deichabhang die Arbeiter. Oben auf dem Deich standen die Kleinbürger und die Neugierigen. Und bei dem Lastkraftwagen, der hinter den Menschen hergefahren war und nun auf dem Deiche hielt, standen die ratlosen Gendarmen, die nicht wussten, was sie beginnen sollten.
Fritz stand mit einigen Genossen unten am Wasser auf einem größeren Stein. Die Genossin Schenk war von dieser ,romantischen Wahlversammlung', wie sie es nannte, ganz begeistert und rannte bald hierhin, bald dorthin. Dann eröffnete Fritz die Wahlkundgebung der Kommunistischen Partei Stade.
Er sprach erst von der allgemeinen politischen Situation in Deutschland, knöpfte sich die Stellungnahme jeder einzelnen bürgerlichen Partei vor, bewies an praktischen Beispielen den fortgesetzten Arbeiterverrat der Sozialdemokratie und die verlogene Heuchelei der Hitlerleute. Dann ging er auf die Stader Verhältnisse ein.
Alle politischen Attentate der herrschenden Klasse auf die Lebenshaltung der Werktätigen im Reich finden in jeder einzelnen Stadt ihren Widerhall, auch in Stade. Auch hier herrschen", fuhr Fritz fort, „wie im Reiche, die bürgerlichen Parteien, und der Bürgermeister fühlt sich schon als Stader Diktator. Sein willkürliches Verbot der uns nach der Verfassung zustehenden Wahlkundgebung beweist es. Sie reden alle von der deutschen Wirtschaftsnot, bejammern in heuchlerischen Redensarten die Not der Arbeiterklasse und des Mittelstandes, bürden dabei aber praktisch dem Arbeiter und dem kleinen Manne immer neue Lasten auf. Sie wettern scheinbar gegen die diktatorischen Notverordnungen, die ein unverschämter Raubzug auf die Taschen der Ärmsten der Armen seien, zum Vorteil der Hochfinanz und der Schwerindustrie und zur Erhaltung des räuberischen kapitalistischen Systems und dabei helfen sie praktisch in den Gemeinden und den Stadtvertretungen, diese Raubpläne der Regierung zu verwirklichen. Ihr alle kennt den Dr. Schmaltz... !"
„Dr. Schmalzkuchen!" rief einer und alle lachten.
„Da nennt ihr ihn richtig!" erwiderte Fritz, „nur, dass dieser Schmalzkuchen schon verflucht ranzig ist!"
Wieder setzte Gelächter ein, und einige riefen sich etwas zu.
„Ist dieser Dr. Schmaltz nicht eine jämmerliche Figur? Seine Hugenbergpartei mimt Opposition gegen die Republik, und er ist in Stade eine ihrer ergebensten Stützen. Es gibt keine Gemeinheit, die er nicht in der Stadtvertretung mit seinem Namen deckt. Es gibt keine Maßnahme gegen den kleinen Geschäftsmann, den selbständigen Handwerker, von den Arbeitern ganz zu schweigen, die er nicht unterstützt und gutheißt. Aber in den Wahlversammlungen stellt er sich hin als Patriot und Freund aller Leidenden!"
Die neugierige Menge auf dem Deich war langsam immer näher gerückt. Alle blickten interessiert auf den kleinen redenden Kommunisten. Ein großes dänisches Motorschiff fuhr langsam die Elbe hinab.
„Und die Sozialdemokratie," fuhr Fritz fort, „die wird in Stade wohl bald ihren letzten Seufzer getan haben. Die Arbeiter rücken von diesen korrumpierten Verrätern in Massen ab. Wer skrupellos mit der Bourgeoisie gegen die Arbeiterschaft durch dick und dünn geht, hat den Namen Arbeiterpartei verloren. Ihre so genannten Führer sind nicht Führer, sondern Verführer der Arbeiterschaft!"
„Sehr richtig!" rief es vom Deich.
„Die Arbeiter der Stadt Stade haben dies gründlich erkannt, und die besten unter ihnen haben demonstrativ dieser Partei den Rücken gekehrt und suchen den Anschluss an die ehrliche, rote Klassenfront!"
„Bravo! Bravo!" dröhnte es von allen Seiten.
„Zwanzig ehemalige Mitglieder der Sozialdemokratie in Stade wollen heute eine Ortsgruppe der Kommunistischen Partei gründen, Wir begrüßen unsere neuen Genossen, reichen ihnen unsere Bruderhand und geloben... .!"
Fritz' Worte gingen in den Beifallrufen unter. Einige klatschten, andere schüttelten sich die Hände. Fritz sah, wie die Genossin Schenk oben auf dem Deich stand und eine junge Stader Arbeiterfrau schwesterlich am Arm hielt.
Nach Fritz sprach der ehemalige Vorsitzende der SPD.-Ortsgruppe und forderte die Anwesenden auf, sich der neuen kommunistischen Ortsgruppe anzuschließen, denn nur die Kommunistische Partei vertrete als einzige Partei noch die Interessen der Arbeiter. Ich weiß", schloss er seine Ausführungen, „als Kommunisten werden wir Kleinstadtarbeiter einen schweren Stand haben, aber wir werden uns durchbeißen und die rote Fahne, die von der sozialdemokratischen Führerschaft schamlos besudelt und verraten wurde, in Ehren hochhalten. Am kommenden Wahltag werden wir allen Arbeiterfeinden schon die erste Antwort erteilen!"
Unter starkem Beifall und einem Hoch auf die proletarische Revolution und ein sozialistisches Sowjetdeutschland wurde die Wahlkundgebung geschlossen.------------
Langsam zerstreuten sich die Neugierigen. Die Arbeiter blieben noch eine Zeitlang zusammen. Fritz und Römpter und der Buchbinder Kernatzki unterhielten sich mit einigen Stader Genossen, gaben Ratschläge, überließen ihnen Wahlmaterial und versprachen, auch nach der Wahl zu einer gemeinsamen Veranstaltung wiederzukommen.
Die Stunde des geselligen Beisammenseins ging aber schnell vorüber. Die Stader Arbeiter wollten gern noch einige revolutionäre Lieder hören, und nun saßen sie mit den Hamburger Genossen am Deich und hörten andächtig den deutschen und russischen Revolutionsliedern zu, die ihnen vorgesungen wurden. —
Als es zu Dunkeln anfing, rüsteten die Hamburger Arbeiter zur Abfahrt. Bis ans Ende der Stadt gaben ihnen die Stader das Geleit, dann ging’s mit allen Motorenkräften zurück nach Hamburg.
Die Arbeiter kauerten sich, so gut es ging, in den Wagen hin. Alle waren erschöpft, aber alle hatten das frohe Bewusstsein, an einer für die Partei außerordentlich erfolgreichen Agitationsfahrt teilgenommen zu haben. —
„Die Stader Genossen sind mutige Kerle!"
„Wenn man sich vorstellt, dass es noch vor wenigen Wochen sozialdemokratische Parteigänger waren, kann man das kaum begreifen!" sagte, in Gedanken versunken, Römpter.
„Wieso?" rief der Buchbinder, „wir werden ihnen alle ehrlichen Arbeiter entreißen. Und gerade auf dem Lande und in den kleinen Städten arbeiten wir längst nicht zielbewusst und intensiv genug. Sonst würden wir mehr Erfolg haben!"
„Du warst doch auch mal Sozialdemokrat!" neckte Fritz den Römpter.
„Das kann ich mir eben auch gar nicht mehr vorstellen!" erwiderte der lachend.
„Das darf man aber nicht vergessen!" meinte der Buchbinder« Im Anhänger sang man.
Die Wagen fuhren über die Harburger Eibbrücke. Kraftvoll erklang der Gesang über das Wasser, das breit und gemächlich unten dem Meer zufloss.

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