Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
http://nemesis.marxists.org

Ein guter Anfang, wenngleich auf Umwegen

Sie waren beide müde, denn sie hatten sich gezankt. Eine plötzliche Schläfrigkeit kommt über einen. Ah, mags gehen wie's will.
Da stand er noch am Ofen gelehnt. Der Mann, wie nun ein Mann in solchen Lagen steht - die Hände in den Taschen, Kinn runtergezogen, dass die Backenknochen spitzer vortreten, und den ganzen Oberkörper etwas vornüberhängenlassend. Groß und kräftig sah er beileibe nicht aus, Hans Merkel, Konstruktionszeichner war er jetzt.
Die Frau dagegen saß an der gegenüberliegenden Seite der Stube am Fenster, auf der Bank. Eine breite Fensterbank, die sich in jeder Bauernstube hätte sehen lassen können. Die Frau hatte die Hände über einander gelegt auf dem Schoß, saß ganz in sich versunken, den Kopf gesenkt. Es war eine nicht eben große blasse schmale Frau. Sie hatte schwarzbraune Haare. Wenn man ihr gesagt hätte, jetzt kommt jemand und trägt hier alles raus, oder wird sie beide als Sklaven nach Amerika verkaufen, es hätte sie nicht wundergenommen. Sie war vollkommen ermattet und wie ausgebrannt. Der Kopf war leer, und das Herz bebte.
So ist das, wenn zwei sich zanken und nicht mehr wissen, wohin.
Es ergibt sich nämlich, dass der Grund des eigentlichen Streites fortwährend wechselt. Er verschiebt sich ständig nach der Seite, die in der letzten Antwort unterlegen scheint und nun den neuen Faden zu spinnen beginnt. Man zieht ständig alle Register, um den immer wieder neuen Unterton von vornherein einzufangen. Das strengt an. So handelt es sich dann bald nicht mehr um die Äußerungen, die aufzunehmen sind und die der Verstand sprechen braucht, sondern die das Gefühl nachmisst, die die Miene oder die Handbewegung spricht; die Steigerung des Gesichts wird wichtiger als das Wort und die eigene Stimme, die unaufhaltsam spricht. Man hört sich laut antworten, lauscht indessen auf das eilende Flüstern, das ungehört und nur geahnt zwischen den Worten gleitet, glüht und blutet, stöhnt, faucht und in einer wahnsinnigen Angst um Antwort bettelt, um Frieden, um Liebe, um Glück. Gerade diejenigen, die wunder wie glauben gut mit einander zu stehen, trumpfen
dann erst recht auf. Sie beschuldigen sich gegenseitig einander in Harnisch gebracht zu haben. Man findet so schwer zurück. Es ist auch unwichtig, denn sie haben sich doch beide etwas gefragt, die Frage bleibt bestehen. Sie wird schärfer, sie drückt. Es ist nicht gerade Hass, was bleibt — obwohl es sich dahin noch entwickelt, sondern das Gefühl, wir verstehen uns letzten Endes doch nicht. Man wird sich unbequem und — sieht sich daraufhin an. Dieser Blick ist nicht gut, auch wenn er freundlich, nachgebend scheint. Es gibt nichts zu handeln, wenn zwei Menschen miteinander um ihr Lebensglück ringen. Denn das ist das Seltsame: Zanke Dich, um was Du willst, es mag noch so geringfügig sein, im Nu wirst Du alles im Mittelpunkt sehen, das Leben sozusagen schlechthin. Mancher hat schon den Kram dabei hingeschmissen. Verflucht hinterher. So standen die beiden sich jetzt gegenüber. Dicke Wehmut quillt auf: verkannt, verleumdet, verschmäht und verstoßen, dazwischen Wut über die Dummheit des andern, der Trotz: er wird niemals nachgeben, nie hört er, nie tut er, nie denkt er daran und das und jenes und die gemeinsame Angst, was soll werden, was wird noch kommen. Und tiefe Müdigkeit. Es ist alles so leer, das Blut wie abgezapft. Und die Erkenntnis: Es brauchte nicht zu sein. Die quält, und das tut weh. Der Schmerz macht die Menschen böse. Wenn sie noch weiter streiten, dann lieber ein Schluss mit Donnerknall. Man belauert sich. Sie passen jetzt aufeinander. Wer sagt das erste Wort. Denn jeder spitzt sich noch mit der letzten Kraft, darauf die Antwort nicht schuldig zu bleiben, den Schluss. Und dann mag gleich alles gleich sein. —
Die dummen blonden Haare stehen in einzelnen Büschen dem Hans über die Stirn. Die Gesichtsmuskeln zucken. Die Frau sitzt still, ergeben in ihr Los. Wer sich da täuschen ließe. Es brodelt und kocht, und die Seele windet sich. Die Gedanken und Bilder darin splittern hoch. Aber auch Hans denkt an vielerlei, ganz zusammengedrängt in wenige Sekunden, und dass die Anna vor ihm da scheint’s sehr unglücklich ist. Wie immer die Frauen, wenn genug gestritten ist. Und die Anna denkt zuletzt, wenn ich nur wüsste, worauf er überhaupt hinaus will, was das in Wirklichkeit zu bedeuten hat. Verdammt bockig ist die, stellt Hans bei sich fest. Anna aber fühlt, der hat einen Schädel wie Eisen, etwas Trotz mag ganz gut sein, gerade
für so einen Mann, aber so gleich, nur brutal und rücksichtslos, mit Füßen wird er mich noch treten wollen. Aber Hans hat schon einen toten Punkt überwunden. Der Spuk ist im Verschwinden. Es wird ihm schon etwas warm ums Herz. Eigentlich Blödsinn, sich deswegen so in den Haaren zu liegen. Aber die Beine sind ihm so schwer. Es sind Klumpen dran. Etwas könnte sie schließlich auch dazu tun — da muss er noch die ganze Länge des Tisches und noch ein Stück, die Fenster im Zimmer sind noch da, und zwei Stühle und — na, die Sonne bricht durch — er geht, er schreitet. Anna zuckt noch ein klein wenig, klingt es nicht so drohend und zittert etwas, den Kopf tiefer gebeugt. Zittert noch mehr, aber schon nicht mehr so in Angst. Dann presst sich eine dicke heiße Träne los und zerspritzt auf dem Knie, man hört es deutlich, und es ist wie ein sehr willkommener Ruf. Denn Hans hat seine Hand auf die schwarzen Haarsträhnen gelegt und streichelt sie, noch unsicher. Vergibt er sich nichts, werden sie nicht brennen — Und dann hat er noch mehr Zutrauen und drückt einen Kuss drauf. Na also. Sie hebt den Kopf, noch widerstrebend, wird gehoben unterm Kinn und dann sieht sie den Hans an, wie der gerade eine neue dicke Träne in ihrem Lauf einhalten will. Hans sieht, wie die grauen und grünen Augen groß werden und schwimmen und schillern und glänzen und dann leuchten - den ganzen Menschen bringen sie dar: Nimm ihn in Menschlichkeit, und Hans fühlt sich sehr klein. Und das Gleichgewicht kehrt wieder, indem man findet, dass es nicht geschwunden war. Dann setzen sie sich wieder zusammen auf die Bank und besprechen sich, Freude im Herzen, und die Worte sind gleichgültig.


Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur