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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Im Suff

Dann kam der Teufel über ihn. Wohin sollte er gehen, ins Haus, da saß die vergrämte und verheulte Frau, zu andern Leuten, vorbeugen, sich verteidigen, wie sah das aus, sie kamen ihm ja auch nicht entgegen — er schwankte noch — dann ging er nach der Station zu. Wie einer, der etwas Drückendes beizeiten hinter sich geworfen hat, heiter und guter Dinge. Jenseits der Station, über den Bahndamm weg, wo die Sonntagsausflügler aus der Stadt in den Wald rein zu gehen pflegten, hatte seit einiger Zeit ein Gastwirt seine Bude aufgeschlagen. Vorläufig waren nur die Bretter roh aneinander gefügt, es sah noch mehr aus wie ein Schuppen, innen drin — draußen war der Sommergarten aufgestellt. Im Herbst wollte der Wirt bauen und ganz hier draußen bleiben. Er hatte daher schon einige Bekanntschaft mit den Bewohnern in der Umgegend angeknüpft, um sich besser einzuführen. Das Geschäft entwickelte sich aber nicht erwartungsgemäß. Die Leute zogen es vor, zu Haus zu bleiben und das, was sie bei ihm holten, war nicht der Rede wert. Hans war wohl schon im Vorübergehen mal eingekehrt kannte aber den Wirt nicht, dagegen begrüßte ihn dieser um so herzlicher, denn der hatte ihn sicher öfter gesehen, auch wusste er, dass er in der Werkstätte einer der Hauptmacher war. Er zog ihn gleich an den Schanktisch. Sie wurden bald wie die vertrautesten Freunde.
Merkel hatte sich seit langem nicht so befreit gefühlt. Er konnte einmal sein ganzes Herz ausschütten. Es hörte ihm jemand eifrig zu und bekräftigte alles. Sie tranken Kognak, dänischen Korn und immer dazwischen einen Bittern. Hans packte gründlich aus. Aber er hätte besser getan, das vor seinen Kollegen zu tun. Denn es war keine Spur von Hochmut mehr drin, in dem was er sagte. Er versuchte eher alles zu erklären, warum er mit denen auseinander gekommen war. Und er setzte dem Wirt eingehend auseinander, was er mit dem Ausbau der Kolonie beabsichtigt hätte und wie ein Rad ins andere greifen müsse. Der war ganz begeistert, denn es konnte nicht ausbleiben, dass, wenn jeder erst hier mal seine Arbeit hatte, auch das Geschäft besser ging. Er überschlug schon in Gedanken, ob es sich nicht verlohnen würde, ein Doppelhaus zu bauen, in denen einige Läden Platz finden könnten. Zweifellos hatte der Ort eine Zukunft. Zwischendurch verzog sich gelegentlich Merkels Gesicht für einen Augenblick, Schatten huschten drüber hin, und der Mund kniff sich zusammen. Aber um so eifriger freundete sich der Wirt an und erwies sich als ein verständiger sozial denkender Mann, der auch seine Leute leben ließ. Verschiedene Lagen hatte der Wirt schon ausgegeben. Sie waren in der Bude allein. Die Dämmerung kroch aus den Winkeln. Der Mensch windet sich in seinen Fesseln, reißt an den Gittern. Schmerz frisst sich ein und eine wahnwitzige Wut wird lebendig. Wie Gewittersturm geht es über das Herz und es nützt nichts, dass es sich zusammenkrampft. Das Blut kann nicht heraus, es ist eingesperrt und bohrt nur tiefer, wie man sich auch dreht und wendet. Und Merkel goss noch einen Schnaps drauf. Dass er die Stellung aufgegeben hat, fühlte er, war ja ganz gut. Wenn er sich Mühe gibt, wird er eine andere finden, und das wird er bestimmt. Er konnte schließlich überall anfangen. So einer ist nicht auf den Kopf gefallen, sagte er zu sich selbst. Mochten die anderen dann in der Partei arbeiten. Ich kann das nicht mehr mitmachen. Es geht alles so schrecklich langsam, es ist noch genau wie vor einem Jahr. Nichts hat sich geändert, wenn man die Leute sieht, verliert man alle Hoffnung, am liebsten möchten sie einander selber auffressen. Und er goss noch einen Schnaps drauf. Am besten ist es, einfach loszugehen, den ganzen Kram liegen zu lassen. Hat er denn Glück gehabt mit der Frau — die Kinder sind krank, sie sieht ihn immer an, als wolle er sie umbringen, dass sie um ihr Leben bitten muss. Und dann zum Teufel, sicher hat sie noch immer den andern Kerl im Kopf, der so dämlich war, sich erschießen zu lassen. An ihm hängt sie nicht, denkt er. Und er goss wieder einen Schnaps drauf. Dann ist das auch so eine Sache  überhaupt,   mit Menschen so nahe beieinander zu leben. Immer stehen sie sich im Wege und fängt der eine gerade an zu pfeifen, heult der andere, und das soll auch der Teufel
fertig bringen, sich nach der Decke zu strecken, wenn schon die Wände auf einen fallen. Und er musste an seinen Vater denken, wie der die ganze Familie fest in Ordnung hielt und manchmal war es dort so still, dass man den Atem hörte. Mochte es gewesen sein wie es wolle, eine verdammte Feldwebelnatur, er hatte sich nicht unterkriegen lassen, und es schien Hans jetzt, als hätte dort allein Ordnung geherrscht. Von der Mutter konnte er sich keine rechte Vorstellung mehr machen. Sicher hat sie mit den andern Weibern gejammert und geklatscht, aber sonst hatte sie in der Wirtschaft gearbeitet, dass er noch heute Lärm und Hast davon in den Ohren hatte, die Kinder aufgezogen und alles getan, was der Vater angeordnet hatte. Die brauchten nicht daran zu denken, wie sie miteinander auskommen, grübelte Hans. Dann schämte er sich wieder, denn das war ja eben das Elend in einer solchen Familie. Daraus konnte ja ein vernünftiger Mensch sich nicht entwickeln. Das war so klar, da braucht man erst keine Bücher darüber zu lesen. Seine Geschwister kannte er gar nicht mehr, wusste nicht, wo sie hingekommen waren. Und er goss einen neuen Schnaps drauf. Die See rauschte, die Welt tat sich auf. Die Städte und Menschen, in die man sich hineinstürzen, verschwinden konnte, taten ihm nichts. Sie ließen ihn frei und die Sehnsucht kam, wieder zur See zu gehen. Schmeiß alles hinter dich, hier ist nicht dein Platz, raunte es. Die Leute wollen dich nicht, und du hast mit den Leuten nichts zu schaffen, du bist weder Packesel, noch hast du Lust, hier den Schulmeister zu spielen und dir die Galle an den Hals zu ärgern. Und er sprach sich tapfer Mut zu und vergaß das Trinken nicht. Das besorgte zwar schon der Wirt, doch hatte der nicht die Lust, das gleiche Tempo, in dem sie angefangen hatten, fortzusetzen. Er goss mehr wie einen, den Hans für ihn ausgegeben hatte, in das Wasserbecken, in dem die Gläser gespült wurden, und Hans, der eifersüchtig darauf wachte, dass der Wirt sich auch mit einschenkte, musste mehr als einmal mahnen. Der Wirt hatte schon einen roten Kopf und wusste nicht mehr viel auf die Freundschafts- und Kameradschaftsbeteuerungen zu sagen. Und zur Politik schwieg er grundsätzlich, auch wenn er noch so sehr angezapft wurde.
Er hatte auch diesmal Glück. Wer weiß, wie sie noch auseinander gekommen wären, wenn nicht zwei Arbeitsfrieder mit hinzugekommen wären, die im Vorbeigehen einen trinken wollten. Die zog nun Hans mit einer lärmenden Geschäftigkeit mit an den Tisch. Es wurde Licht gemacht, denn es war schon spät, und die Arbeitsfrieder wären gern bald wieder nach Haus gegangen. Aber Hans ließ das nicht zu. Er suchte alle möglichen Punkte, sie zu fesseln, von der Kolonie, von der Partei, von der nächsten Zukunft und wie genau er voraussagen könne, wie sich alles entwickeln würde. Er tat sich mächtig groß. Die waren das von ihm gar nicht gewöhnt, auch dass er so kameradschaftlich und lustig war und taten ihm mit ein paar Lagen Bescheid. Auch der Wirt war wieder aufgetaut und sorgte für die Unterhaltung. So verging noch eine Weile, dann wurden aber die beiden merklich unruhig, und Hans hatte etwas auf der Zunge, das alles zwischen ihm und Arbeitsfriede wieder gut machen sollte. Aber er bekam es nicht heraus. Und wenn er recht ansetzte wurde es so lächerlich und klang so demütig winselnd, dass er bald wieder stoppte. Die anderen konnten sich keinen Begriff davon machen, sie sahen nur, dass Merkel inzwischen ziemlich betrunken war, Merkel aber fühlte immer brennender, wie wichtig es war, dass er alles gutmache und hier die Kolonie in Fahrt brachte und seinen alten Platz wieder einnahm, denn hier musste er Wurzel fassen oder nirgends. Er bekam plötzlich eine schreckliche Angst, dass etwas vorgefallen sein könnte, etwas Unwiderrufliches. Er überfiel die beiden mit Freundschaftsbeteuerungen und strich die Arbeitsfrieder ordentlich heraus und beschwor sie, bei ihm zu bleiben und das mit bekräftigen zu helfen. Die aber fanden das albern und widerwärtig und drückten sich. Wie man sagt ohne Abschied. Hans war mal rausgegangen und als er wiederkam, waren die andern fort. Er sagte erst gar nichts. Denn seine wirren Gedanken brauchten geraume Zeit sich zu ordnen. Dann aber wollte er eine Wut aufbringen. Es gelang nicht. Dazu fehlte es bereits an innerer Kraft. Schließlich hätte er weinen mögen wie ein kleines Kind, hilflos und unaufhörlich und immer stärker. Wenn ihn der Wirt nicht gestört hätte, der auf ihn einsprach, mit der Absicht Schluss zu machen. Davon aber wollte Hans nichts wissen, und sie tranken noch verschiedene, bis der Wirt immer einsilbiger und schließlich sogar grob wurde. Ob er denn noch Geld genug habe. Und wirklich Merkel hatte nicht genug, denn es war eine ganz anständige Zeche aufgelaufen. Sie kamen noch in einen heftigen Wortwechsel, der damit endete, dass der Wirt Merkel an die Luft setzte und hinter ihm die Tür abschloss. Er verrechnete sich aber, Merkel machte draußen keinen Skandal, zerschlug auch nicht die Scheiben, wie er gedroht hatte, sondern torkelte die Straße nach der Kolonie zu, den Kopf tief auf die Brust hängen lassend. Er ging und ging und er hatte nicht viel andre Gedanken, als dass er bald nach Haus müsse, denn dort wäre Ruhe. Dann war die letzte Kraft am Ende. Er stolperte über einen Stein und blieb liegen. Leute kamen noch von der Station. Die sahen ihn liegen und wandten sich voller Verachtung weg. So also sah der aus. Da erkannten sie, man konnte nicht vorsichtig genug sein, bald hätten sie sich den ganz aufgeladen. Und einer aus der Werkstätte nahm sich vor, dafür zu sorgen, dass dieser Kerl ihre Bude nicht mehr betritt. Mit dem musste man beizeiten Schluss machen. Sich so vollzusaufen wie ein Schwein, sagte eine Frau. Wo er nur das Geld dazu her hat, vom Arbeiten doch sicher nicht. Und alle verachteten ihn. Die Frau des Klinger kam noch spät nachts rum zur Merkein mit der Botschaft, dass Hans unten am Wege liegt. Er hatte sich schon ein Stück weiter gearbeitet. Und die beiden Frauen gingen und holten den Mann rein. Es war ein schweres Stück Arbeit. Er drückte sie beide mit seiner Last, die sich wie ein Klotz an sie hing, nieder. Sie mussten ihn schleifen. Die Nacht war still. Der Frühling war da. Die Gärten blühten und das Glück lag in der Luft. Das letzte Stück Weg begann Hans zu singen. Er grölte und gurgelte und kotzte dann erbärmlich.


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