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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Ein Gespräch im Dunkeln

Im Verwaltungsgebäude hatten sie sich noch etwas verweilt, waren noch unten im Hausflur stehen geblieben und hatten alles noch einmal durchgesprochen, welche Aussichten noch gegeben wären, und auf welche Weise die Interessen der Mitglieder am besten wahrgenommen würden. Es war wenig Hoffnung. Draußen war pechschwarze Nacht, der engere Vorstand war jetzt oft zusammen, aber in der Gesamtlage kamen sie keinen Schritt vorwärts. Das stand fest, und es war auch richtig, dass sie sich das immer vor Augen hielten. Dafür saßen sie im Vorstand. Es waren drei Arbeiter, die lange gedrängt hatten werden müssen, überhaupt den Posten anzunehmen. Zu beiden Seiten der breiten Straße, die ein dicker Grasteppich war, kaum von Räderspuren gefurcht, standen die Häuser, gespenstisch und doch blieb der Eindruck des Friedens. Nur sehr wenige brannten noch Licht. Es war doch alles mehr wie ein einziges Haus, alles gehörte so zusammen wie die Steine in den Baukasten. Eine gütige Schöpferlaune hatte wohl mitgespielt. Das fühlte man. Und man dachte nicht so sehr an die Menschen, die als Bewohner das Ganze so einheitlich machen. Die kleinen Vorgärten tauchten empor und verschwanden wieder, aus allem kam noch der Atem frischer Arbeit, die Hoffnungen und Seufzer, die das Grabscheit mitgeführt hatten. Wenn man richtig hinsah, lagen die Gärten da trotziger, wie ihre Bearbeiter sicherlich waren. Überall war der Boden schon umgeworfen, teilweise die ersten Pflanzen schon in den Beeten, die Bäume rüsteten zur Blüte. Noch ein warmer Regen, und die Arbeit der Mutter Erde konnte beginnen. Dem Boden war es gleich, wem er die Früchte trug und wer ihn bearbeitete.
Seine Bestimmung war fruchtbar zu sein. In ihrer Ruhe und der Gleichmäßigkeit ihrer Anlage schien die Siedlung wie die Überbrückung von Stadt und Land. Das Dorf, in seiner Zufallszweckmäßigkeit aus den Generationen der einzelnen Bauerngeschlechter entwickelt, war verschwunden, und die Stadt hatte sich dem Land angepasst. Hunde hatten die Bewohner nicht. Sie waren sich alle selbst Schutz genug, und es wurde auch lange Zeit nichts gestohlen, bis einzelne Raubbanden aus der Stadt ihre Streifzüge bis hier heraus ausdehnten, um Vieh zu holen. Aber sie wurden auch bald vertrieben, zudem lohnte die Beute nicht. Sicher waren indessen die Bestohlenen, dass es nicht Diebe aus der Siedlung selbst gewesen waren. Dumpf gingen solche Gedanken den Dreien durch den Kopf, wie sie so langsam dahinschritten und Ausschau hielten und keiner eigentlich so recht zu sprechen wusste, was ihn gerade bewegte. Denn alle drei dachten dasselbe: Wie wird es möglich sein, die Kolonie halten zu können. Es ging über ihre Kraft, das fühlten sie, und woher sollte das rettende Wunder kommen. Mit dem Geschäftsführer waren sie zwar wieder ganz zufrieden, aber er gehörte doch nicht zu ihnen. Es war ja gut, wenn seine optimistischen Berechnungen ihnen zustatten kamen, aber erst wollten sie die Grundlage sehen, und die war nicht da. Das beste wird sein, sagte der eine, wir ziehen aus den Mitgliedern noch tüchtige Kräfte mit heran. Der Bewohnerausschuss arbeitet noch zu schwerfällig, wir müssen die Aufgaben noch teilen, und für jede einen fähigen Genossen bestimmen. Damit mehr getan und weniger beraten wird.
Es fragt sich nur, ob wir welche finden, antwortete der andere. Alles das war ja in den Statuten längst vorgesehen, nur hat man sich nicht danach gerichtet; jetzt wird es ja besser, fügte er hinzu. Und der Dritte warf ein: Wir sind eben nur zu wenig hier. Und dann kann man im Kopf nicht alles gleich so zusammenfassen. Wenn ich so einen ausgeruhten Kopf habe wie der Doktor da, dann kann ich auch leicht Lehrer spielen. Worauf der andere unwirsch zurückgab: Es kann eben auch nicht jeder Lehrer sein, und wir sind Gott sei Dank Arbeiter. Ich wünschte mir gar nichts anderes. Und den Doktor lass nur in Ruhe, der ist ganz gut. Man muss nur die Leute kennen lernen. Eben, das mein ich auch, warf da der erste ein, und deswegen sage ich, wir müssen uns noch welche hinzuholen, den Merkel zum Beispiel, der ist weit rumgekommen, und auch mit dem Schreiben gewandt, der könnte unseren Geschäftsführer ganz gut ersetzen, müsste sich natürlich erst einarbeiten. Und als die anderen schwiegen, setzte der seine Betrachtung fort. Ich weiß, er hat sich bisher nicht gerade um den Ort gekümmert, und ist überhaupt manchmal ein ganz eigentümlicher Geselle, er tut so, als läuft er uns mit Fleiß aus dem Wege, aber wir sollten mal mit ihm sprechen, wer weiß, woran das liegt. Ich hab Kollegen gesprochen, die ihn von früher her kennen, auch mal schon im gleichen Betrieb gearbeitet haben. Die kennen ihn als einen ganz andern Menschen, und verlasst Euch drauf, gerade so einen brauchen wir noch, der uns den Karren jetzt aus dem Dreck schiebt. Die andern sagten dann auch, wenngleich zögernd, nun wenn er meine, so solle er doch mal mit ihm sprechen, in der Werkstätte sei er auch schon so eine Art Hauptperson. Nur den Kaufmann dürfe man nichts wissen lassen, sonst ließe sie der schon vorher im Drecke sitzen. Aber warum, sagte der erste, die Schlussrechnung kann er uns immer noch machen, und was sonst noch ist, wo wir nicht firm genug sind, dafür lassen wir ihm die Wohnung billig, nicht? Das schien ein ganz guter Ausweg. Aber der Dritte sagte: Und wenn wir jedem einen Posten geben, deswegen halten wir den Bankrott doch nicht auf. Das stimmt allerdings, sagte der andere. Weil sie eben mit uns machen können, was sie wollen, bekräftigte der wieder. Ich muss immer noch daran denken, wie ich heiratete. Da war meine Frau damals Dienstmädchen bei solchen reichgewordenen Schlächtersleuten in der Stadt, und die sagten, sie solle doch um Gotteswillen keinen Arbeiter heiraten, dem man drei Schritte aus dem Wege geht. Es war direkt zum Lachen, sie fragten nur noch, ob sie es nicht gut genug habe, sie hätte doch Lohn genug und auch genug zu fressen, sie solle doch nicht unzufrieden sein und weiter dienen bleiben. Ja, und sie hätten das dumme Ding auch   beinahe   breitgeschlagen,   aber  gerade  dessentwegen setzte ich mir erst recht die Geschichte in den Kopf. Na, Carl, sagte der andere, heute denkst Du wohl auch anders darüber — und lachte. Ach, und doch nicht, wehrte der andere, das mein ich nicht. Nein, aber es ist doch einmal so, wir bringen den Menschen einmal nichts besseres von uns als Arbeit bei. Da sagte der andere: Wir nicht, jedenfalls aber unsere Jungens.
Wart mal ab, die werden sich schon durchsetzen. Man hat ordentlich seine Freude dran. Die sind von anderm Holz als wir. Da fuhr der erste dazwischen: Was sprecht Ihr denn da für Unsinn. Wenn wir den ernstlichen Willen haben, unsere Lage zu ändern, müssen wirs schaffen. Von uns hängt doch alles ab, der Staat und der ganze Plunder. Jetzt heißt's nur eins, nicht nachlassen, und immer fester werden. Dann kommt die Kameradschaftlichkeit mit allen andern von selber. Die anderen nickten. Der eine aber setzte noch hinzu: Ja, ja, an der fehlts noch verdammt. Dann trennten sie sich.
Ein anderer, aber höchst unglücklicher Streit
Merkel wurde auch richtig von solchen Absichten in Kenntnis gesetzt und war sehr überrascht. Er fand im ersten Augenblick kaum eine passende Antwort. Das wäre allerdings was für ihn, dachte er. Schon die beiden letzten Wochen war er ganz anders aus sich herausgegangen. Die Werkstätte stand fest auf den Beinen. Man trug sich schon mit dem Gedanken, zwei Leute ganz aus ihrem Betriebe herauszunehmen und ständig arbeiten zu lassen. Hans hatte es fertig gebracht, die ersten kleinen Aufträge von außerhalb hereinzuholen. Der Betrieb näherte sich bereits dem Punkte, wo es notwendig schien, einen Motor aufzustellen. Man sah sich schon danach um, vielleicht wird man einen zuerst noch leihen können. Werkzeuge hatten sie sonst genug, die meisten brachten unter der Hand aus ihrem Betrieb etwas mit. Die Kollegen drücken ein Auge zu, wenn sie wissen, für welchen Zweck. Der Versuch war gar nicht so unbekannt geblieben, wie man hätte annehmen sollen. Viele sprachen davon und beurteilten nicht ohne innere Spannung die Aussichten. Hans hatte in der Partei eine Diskussion darüber mit Erfolg durchgekämpft. Es handelte sich schließlich darum, inwieweit dieser Art Selbsthilfe vom Standpunkte der allgemeinen Arbeiterbewegung gewisse theoretische Grenzen gezogen werden müssten. Wie so immer beurteilt man schon ein mögliches Endziel und übersah dabei, den Anfang richtig einzuschätzen. Es wurde doch in einer Zeit, wo alles müde und verzweifelt die Hände in den Schoß zu legen begann, etwas getan. Gedanken keimten zu einer Bewegung, die aus dem Sumpf herauszuführen man in Angriff nahm. Man soll die Ruhe bewahren und abwarten, sagte Hans, die Kräfte werden gestählt.
Er selbst aber wartete nicht ab. Er schmiss seine Arbeit hin. Er hielt es an seinem Zeichentisch nicht mehr aus. Er konnte seine Zeit besser verwerten, dachte er. Bevor er noch über die Möglichkeit, in der Kolonie selbst sich zu betätigen, richtig im klaren war. Man muss überall gleich mit zwei Beinen stehen, pflegte er zu sagen. Die Folge war, dass er in der Luft hing. Aber er warb der Siedlung in der Partei viele Freunde. Der Vorgang ihrer finanziellen Entwicklung, die Selbsthilfeversuche, die neu gewonnene Form von Kameradschaftlichkeit konnte zu einem neuen Hebelpunkt ausgenutzt werden, gelegentlich. In den Massen fand der Gedanke guten Eingang. Die Arbeitsfrieder blieben bei alledem mehr Zuschauer, nicht ohne gewissen Stolz, dass sich auch andere mit ihnen beschäftigten. Sie ließen Merkel gewähren, und seine Stellung bei ihnen festigte sich. Trotzdem es nicht leicht war, mit ihm im Guten umzugehen. Er fing an, alles alleine machen zu wollen, er war schnell in seinen Reden oben raus, und es hätte ihm manchmal ein Dämpfer gehört. Aber noch ging alles gut, der Erfolg war zu nah. Er ersetzt häufig die fehlenden menschlichen Verbindungen der Arbeitenden untereinander. Alles war auf dem besten Weg.
Da ereignete sich dieser blödsinnige Streit. Dieser blanke Unsinn, der mit seinen Folgeerscheinungen das ganze Gebäude erschütterte und wie mit einem Schlage alles umzuwerfen und zu vernichten schien. Der das so mühsam niedergerungene Misstrauen aller gegen alle gewaltsam hochtrieb und überwuchern ließ.
Selbstverständlich fing Merkel auch an, sich Gedanken zu machen, wie er wieder zu Gelde kam. Die Frau verdiente zwar etwas, noch reichte auch alles, aber dieser „später dann" frisst sich in die Menschen zu tief ein, was wird in 14 Tagen sein, in 4 Wochen — Aussichten sind doch nicht genug, um davon Brot zu kaufen. Vielleicht hatte die Frau darüber noch keine Bemerkungen fallen lassen, aber Hans fühlte doch einen ständigen Vorwurf, wenn sie saß und mehr nähte als sonst, und das erbitterte ihn, machte ihn unruhiger und unsicher. Es ist eben das Elend, dass die Menschen nicht offen von dem sprechen können, was sie im Grunde bewegt. Sie
schämen sich noch in einer ganz unsinnigen Weise so sehr vor einander. Hans suchte in der Stadt noch nebenher Arbeit, die etwas einbrachte und ihm doch den größten Teil des Tages für die Siedlung freiließ. Er war unerschöpflich darin, Möglichkeiten aufzutun, aber immer ohne Erfolg. Es zog sich alles so lange hin. Er verlor in der Stadt die beste Zeit. Und die Lust. In solcher Stimmung war er kaum zu genießen. In der Stube stand er unschlüssig herum, im Garten fing er bald da bald dort etwas an, und am liebsten hätte er alles in Klumpen gehauen. Da kam ihm sein Nachbar, ein Hüne von einem Kerl, in die Arme. Sein Nachbar Schulze arbeitete nicht nur mit in der Werkstätte, sondern war auch einer von denen, die jetzt das neue Leben in der Siedlung am tatkräftigsten unterstützten. Hatte er früher, ebenso wie Hans ihn, Merkel überhaupt nicht beachtet, so tat er jetzt doppelt freundlich und suchte jede Gelegenheit, mit ihm in ein längeres Gespräch zu kommen. Hans war wütend auf ihn, denn er hielt ihn für dumm. Er begriff nicht, dass Dummheit eine sehr irrige Wertbezeichnung ist. Mancher denkt nicht mit dem Kopf, sondern mit den Knien, die Dichter sagen: mit dem Herzen. Der Mann verstand nur nicht sich auszudrücken, und er war vielleicht schwerfällig, wie so viele andere. Und es kommt dann so, dass solch einer die andern für sich denken und mitbestimmen lässt, weil er ja gar keine Zeit hat, sich selbst ein Urteil zu bilden. Wo die meisten waren, da war auch Schulze. In der ökonomischen Lage, in der sich die Arbeiterschaft befand, und der damit zusammenhängenden Absperrung von allen kulturellen Bildungsmitteln war das gar kein Wunder. Im Gegenteil, es war besser, als wenn er sich um jeden Preis querköpfig gestellt hätte, wie auch manche tun. Darin Wandel zu schaffen und jeden mehr auf sich selbst zu stellen und zum Nachdenken über sich selbst und seine Lage zu bringen, war ja gerade eine der Hauptaufgaben der Arbeiterpartei. Merkel hätte das auch eingesehen, wenn man es ihm gesagt hätte. Darauf kommt keiner, wenn zwei gegenüberstehen und die harten Schädel aufeinander prallen.
Schulze fing sogleich an, von allen möglichen Dingen zu sprechen. Wenn man sich die raue Schale und die grob-unbeholfene Art weggedacht hätte, würde man denken können, ein vertrauensseliges Kind reden zu hören, das sich freut, endlich mal frei lossprechen zu können. Merkel aber gab nur kurze und barsche Antworten. Zuerst wurde der andere darauf gar nicht aufmerksam. Aber mit Fleiß würzte Merkel seine bissigen Worte mit Hohn und allmählich mit Geringschätzung und Verachtung. Das hörte der andere, wurde stutzig und zog sich mehr in sich zurück. Nun wurde Hans erst gereizt und begann von der Leber weg zu schimpfen, auf die Siedlung, auf die Bewohner und auf die Arbeiterschaft schlechthin. Er vergaß nur sich selbst dabei zu nennen, obwohl man ihn ja auch dazu leicht hätte bringen können. Da bekam Schulze einen roten Kopf, denn überheben brauchte sich dieser da, weil er jetzt etwas für sie rumlief, noch lange nicht. Solche könnte man nicht brauchen, und es ist gut, dass man gleich sehe, wohin die Fahrt gehe. Für Hans war es jetzt schon zu spät, zurück. Warum kam ihm auch nicht der andere entgegen, ging auf ihn ein. Vielleicht wollte Hans selbst nur hören, dass es nicht so ist, wie er redet. Der andere aber war längst beleidigt und drohend. Merkel fürchtete sich nun, als er sah, was er angerichtet hatte, vor der daraus folgenden Verallgemeinerung und schränkte plötzlich alles auf Schulze ein, der am Zaun ihm gegenüber stand und wie ein wütiges Tier auf ihn los wollte. Ja du, du bist gerade der richtige, schrie er. Du blöder Dickschädel - und da er schon gar nichts mehr zu sagen wusste, kam er auf die unglückliche Idee, noch das Familienleben heranzuziehen. Nun sehe er doch, wie er es treibe; die arme Frau könne nicht Kinder genug gebären, und er wisse gar nicht, ob er sie ernähren könne. Die Frau sehe schon sowieso aus wie ein ausgewundener Strumpf. Der aber rief, er solle sich um seinen Flederwisch kümmern, und dass seine Kinder die Strümpfe hätten. Darauf ließe sich auch mancherlei schließen. Und sie bearbeiteten sich mit Worten, schlimmer als wenn sie mit Messern auf einander losgegangen wären. Und es blieb schließlich bei ihren beiden Frauen, denen sie gegenseitig aus der Vergangenheit und Gegenwart alles mögliche andichteten. Bis diese auf den Wortschwall hin selbst auf der Bildfläche erschienen und mit hineingezogen wurden, wenn sie auch nur die Wut dämpfen wollten durch ein: Lass dich doch nicht mit dem Lump ein, den kennt man doch, oder: ich werde ihn schon rausfegen, wenn er noch mal ins Haus kommt. Und die Frauen schrieen sich auch an, die sich nie weiter im Wege gewesen waren und beide stille Naturen waren, die Schulzen, die acht Kinder hatte, sah wirklich klein und verhunzelt, zum Absterben aus. Und die Merkein begann sogar zu heulen, als hätte man ihr etwas besonderes angetan. Worauf die Schulzes hohnlachend im Haus verschwanden. Nur Merkel blieb und kaute an einem dürren Ast, den er abgebrochen hatte.


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