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Franz Jung - Arbeitsfriede (1922)
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Eine Versammlung, die mit dem Vorstand spricht

Der Mann, der sich zum Wortführer gegen den Graveur gemacht hatte, gehörte zu den wenigen in der Kolonie, die keine Arbeiter waren. Er war ehemals Kaufmann gewesen und jetzt Geschäftsführer der Siedlung. Mit den Arbeitern verband ihn das Interesse für Siedlungswesen, dessen über den Bezirk bekannter Agitator er war. Seine Tätigkeit in Arbeitsfriede warf nicht viel ab. Er hatte freie Wohnung, zwar die schönste und größte, im Verwaltungsgebäude, aber wenig Geld, so dass er mit knapper Not davon leben konnte. Er verdiente aber auch noch etwas nebenbei. Man kann indes nicht anders sagen, als dass er bisher es immer noch verstanden habe, die Fährnisse, in die die Genossenschaft hineingeriet, mit glücklicher Hand im Interesse der Mitglieder zu überwinden. Er setzte seinen ganzen Ehrgeiz daran, schon für die Gesamtbewegung eine Mustersiedlung zu schaffen, und die Mitglieder fuhren gut dabei. Das eine war nur, dass er mit der Zeit keinen Widerspruch mehr dulden wollte, und dass er sich über alle hinwegsetzte und sämtliche Geschäfte aus eigenen Entschlüssen regelte. Dagegen waren nun Stimmen laut geworden. Hinzu kam, dass die finanzielle Lage der Siedlung eine solche geworden war, dass der Zusammenbruch vor der Tür stand. Zwar nicht durch Schuld der
Geschäftsführung, denn es lag eben zumeist an den allgemeinen Verhältnissen, aber wie das dann so ist, zunächst fiel alles auf die Verwaltung, und diese sollte sich verantworten. In einer solchen Versammlung haben sich zudem alle möglichen Privatdinge noch aufgehäuft, kleine Zurücksetzungen, persönlicher Groll, nicht ganz eingestandener Neid und ähnliches mehr. Es waren fast alle Mitglieder erschienen. Wer nicht abkommen konnte, hatte die Frau geschickt. Nur ganz wenige fehlten noch, darunter auch Merkels. Man kann sich denken, wie über die hergezogen wurde. Der Kaufmann hatte sich Leute für den Vorstand selbst ausgesucht, man weiß, wie das gemacht wird. Das waren Leute, die durch Dick und Dünn gingen und zu allem Ja und Amen sagten. Die Biedermänner waren jetzt ziemlich im Druck. Sie hatten Angst, man wird von jedem Einzelnen Rechenschaft fordern, und sie hätten gar nichts zu sagen gewusst.
Der Kaufmann hielt eine lange Rede. Daraus ging hervor, welchen Aufschwung die Siedlung genommen, dass alles aufs beste eingerichtet sei, und dass jetzt Vorsorge getroffen werden müsste, diese Siedlung den Mitgliedern zu erhalten. Da ging der Krach los. Zuerst wollte schon niemand die genauen Zahlen hören und als die Gesamtschuldsumme erschien, die zwar zunächst noch durch Hypotheken gedeckt schien, aber jeder wusste, wie lange noch — da hätten sie den Vorstand von seinem Tisch vorn am liebsten runtergeholt und ihm handgreiflich die Meinung gesagt. Es war schwer, sich verständlich zu machen. Der Kaufmann wollte beteuern, dass ja die Versammlung einberufen war, um Mittel und Wege zu suchen. Aber der allgemeine Instinkt glaubte ihm nicht. Er hätte das früher wissen müssen, dafür hätten sie ihn angestellt, dafür saß er in seiner protzigen Wohnung und behandelte die Leute von oben herab. Die Vorstandsmitglieder wurden nicht weniger mit Esel und Schafskopf und Idioten tituliert. Die Lage war kritisch. Wenn auch nur ein Ausweg gewesen wäre, hätte man den Vorstand zum Teufel gejagt. Der Kaufmann konnte sich nicht mehr durchsetzen. Geld aus eigenen Mitteln aufzutreiben, war so gut wie unmöglich. Wenn wirklich der eine oder andere seinen Anteil um ein Mehrfaches hätte erhöhen können, das hätte für alle umgerechnet nicht allzu viel ausgemacht, auch wäre es fraglich gewesen, ob das überhaupt die einzelnen
Mitglieder getan hätten. Dazu fehlte vor allem jeder Zusammenhang untereinander. Irgend woher noch eine Anleihe oder Hypothek aufzunehmen, schien gänzlich ausgeschlossen. Auch stand es den Statuten entgegen, die hierfür die Genehmigung der Regierung vorgesehen hatten. Das hieß den Zusammenbruch nur beschleunigen. Denn worum es sich überhaupt handelte, war doch, sich dem Einfluss der Regierung, die jederzeit das Recht hatte einzugreifen und die Häuser an ihre Beamten zu vergeben, wenn die Finanzlage unsicher wurde, zu entziehen. Und sie wussten oder vielmehr fürchteten es als sicher, dass die Regierung davon Gebrauch machen würde. Arbeitsfriede war dann kein Einzelfall. Der Geschäftsführer gab sich Mühe, das Vertrauen zurückzugewinnen. Er hatte ja auch in der Tat schließlich nicht mehr Schuld als sie alle. Und sie hörten ihm wieder zu. Letzten Endes wird er doch vielleicht mehr wissen als sie alle. Denn er verstand sich doch auf solche Sachen. Aber viel Vernünftiges kam nicht ans Tageslicht. Alles nur Hoffnungen und immer wieder Hoffnungen. Vielleicht ging das, vielleicht ging jenes. Er versprach alles zu tun, was sie von ihm wollten. Ein neuer Vorstand wurde ihm hinzugewählt und ein Bewohnerausschuss, der die nächste Stelle für die Verwaltung der Siedlung war, auch Frauen saßen darin. Es sollte alles gemeinschaftlich angefasst werden. Viele neue Vorschläge wurden dann gemacht. In der nächsten Woche wollte man in dieser Angelegenheit nochmals zusammenkommen. Das andere blieb in der Schwebe. So gingen sie auseinander.


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