VIII.
Küche von Mutter Fent. Mitten in der Küche steht die Chaiselongue, als Bett hergerichtet, in dem Hete liegt. Sie ist sehr blass, sitzt halb auf und blickt auf einen Fleck. Mutter Fent kommt mit einer Tasse Milch. - Heller Tag.
Mutter Fent: Du musst was trinken, Kind ... hörst du? Hete sitzt reglos da.
Mutter Fent: Hete, Kind, ist's hier nicht besser als in de
Kammer? Hete: Mein Leib, Mutter!
Mutter Fent: Die Nachwehen, ja ... die Krämpfe; aber
jetzt ist's doch weg. Hete: Kommt der Doktor wieder?
Mutter Fent: Ja! Er sagt, du hast zuviel Blut verloren. Hete: Was sagt er noch?
Mutter Fent: Nichts, Kind, nichts! Was soll er denn sonst gesagt haben? Soviel Mensch wird er doch sein!
Frau Klee von links.
Hete: Die Angst ist weg ... die furchtbare Angst. Frau Klee: Na siehste! Zieht Mutter Fent beiseite. Du! Man
munkelt, es sei heraus; der Arzt hab es melden müssen! Mutter Fent: Nein!! Hete: Was redet ihr da? Die Angst ist weg, die große
Angst... das ist doch die Hauptsache, nicht wahr ... aber
müde bin ich und kalt, ganz kalt. Legt sich auf die Seite. Mutter Fent: Ja, leg dich aufs Ohr, Kind, und schlaf mal
rum! Deckt sie bis obenhin zu. Frau Klee: Die klappert ja mit den Zähnen? Plötzlich. Du
Mutter! Du musst wissen, was du nachher sagst, wenn di
kommen! Man hat Blutspuren gesehn von hier bis unten
zum Abtritt und auch im Mülleimer ...
Mutter Fent: Wer hat das verpfiffen?!
Frau Klee: Sie quasseln schon alle im Hause drüber.
Der Kuckuck schnell von links. Kuckuck leise: Dicke Luft, Herrschaften! Es wird untersucht! Die ganze Straße ist's rum; der Doktor hat ooch schon gequatscht ... Horcht. Also ich sage, Apfelsinen und Zitronensaft ist garantiert das Beste gegen das Fieber ...
Prosnik erregt hinein. Prosnik: Sauerei! In meinem Hause!! Frau Klee: Sie müssen grad reden, Sie! Prosnik: Mich schmeißt der Herr Kommerzienrat auf die
Straße, und Sie fliegen ins Zuchthaus! Da können Sie
Ihrer Freundin ja Gesellschaft leisten! Schnell ab. Frau Klee ihm nachrufend: Dann aber nicht alleene! -
Kuckuck, ihm nach, dass der's Gericht nicht beschmust,
wenn sie gleich kommen! Kuckuck vertattert: Warum ich?
Frau Klee: Weil du 'n Mann bist, Mensch, und 'n „Charakterkopf"! Packt ihn. Und überhaupt, Mensch, du sollst hinstehen! Steh doch mal senkrecht da, drück mal die Knie durch und der Polente fest in die Pupille geguckt! Draußen Schritte.
Kuckuck wird merklich kleiner und will abhaun.
Kuckuck: Soll ich jetzt runter? Frau Klee hält ihn: Nu bleib schon.
Von links treten ein: der Kriminalkommissar, ein vierzigjähriger, quadratischer Mann, mit ihm Dr. Moeller und Prosnik, dann ein Kriminalwachtmeister mit Mappe.
Kriminalkommissar: Bitte ... Witwe Emmi Fent! Mutter Fent tritt vor.
Kriminalkommissar: Frau Fent! Es sind im Laufe des gestrigen Tages Gerüchte zu uns gedrungen, die sich zu einer Anzeige verdichtet haben: Es soll in Ihrer Wohnung ein Verbrechen wider den § 218, ein Verbrechen wider das keimende Leben begangen worden sein. Ich habe als Kriminalkommissar den Tatbestand zu klären. Da Ihre Tochter nicht transportfähig ist und Verdunkelungsgefahr vorliegt, muss ich hier zur Vernehmung schreiten. Gegen
die anderen. Wohl Hausbewohner? Zum Kriminalbeamten. Draußen warten!
Kriminalwachtmeister übergibt dem Kommissar die Mappe; dann mit Frau Klee und Kuckuck ab. Prosnik redet leise auf den Kriminalkommissar ein.
Kriminalkommissar zu Prosnik: Schon vorgesehen! Wird in zehn Minuten hier sein! Bitte, sich ebenfalls draußen bis zum Aufruf bereitzuhalten! Während Prosnik abgeht, aus der Akte zu Mutter Fent: Frau Fent! Sie haben eine Tochte Hedwig?
Mutter Fent: Ja.
Kriminalkommissar: Ihre Tochter ist krank? Mutter Fent: Ja. Kriminalkommissar: Wie lange ist Ihre Tochter bei Ihnen Mutter Fent: Seit drei Tagen. Kriminalkommissar: Wo war sie vorher? Mutter Fent: Das weiß ich nicht. Kriminalkommissar zu Hete: Fräulein Fent! Können Si
meinen Fragen folgen? Hete nickt.
Kriminalkommissar: Wo waren Sie vor acht Tagen? Hete schweigt.
Kriminalkommissar zum Arzt: Herr Doktor! Die Kranke ist doch in der Lage, meine Fragestellung zu erfassen?
Dr. Moeller fühlt den Puls, prüft die Pupillarreflexe: Bitte, folgen Sie mir mit den Augen, sehen Sie nach der Nasenspitze. Verstehen Sie, was ich jetzt frage? Wie viel ist dreimal neun?
Hete: Reden Sie nicht solches Blech!
Dr. Moeller zum Kriminalkommissar: Die Kranke ist verhandlungsfähig.
Kriminalkommissar: Fräulein Fent, Sie hatten Umgang m einem gewissen Paul Krüger?
Hete schweigt.
Kriminalkommissar: Wann sahen Sie ihn das letzte Mal? Hete schweigt.
Kriminalkommissar: Sie wollen nicht antworten? - Herr Doktor! Welche Zeit muss verstrichen sein zwischen einem verbotenen Eingriff und der Infektion bis zum Ausbruch des Kindbettfiebers?
Dr.Moeller: Etwa eine Woche.
Kriminalkommissar: Also müsste vor zehn Tagen der Eingriff gemacht worden sein? Dr.Moeller: Jawohl.
Kriminalkommissar: Und gestern erst der Erfolg?
Dr. Moeller: Vermutlich ein zweiter Eingriff.
Kriminalkommissar im Jagdeifer: Komplizen! - Frau Fent! Nach der Untersuchung des Arztes handelt es sich bei Ihrer Tochter um den unsachgemäßen Versuch der Fruchtabtreibung mit allen Folgen bis zum Eintritt des Kindbettfiebers. Der erste Eingriff muss vor etwa zehn Tagen geschehen sein, der zweite vor drei Tagen. Der erste Täter ist uns bekannt. Der zweite eigentliche Täter muss ermittelt werden. Frau Fent, Sie genießen einen ausgezeichneten Leumund. Sie werden uns Ihre Mithilfe nicht versagen. Wir müssen die Person auffinden, die ein so schweres Verbrechen begangen, die Ihre Tochter auf den Tod geschädigt hat. Wer hat vor drei Tagen den zweiten Eingriff bei Ihrer Tochter vorgenommen?
Mutter Fent: Ich ... weiß es nicht.
Kriminalkommissar nach links: Den Hausverwalter! Prosnik tritt ein.
Kriminalkommissar: Herr Hausverwalter Prosnik! Die Blutspuren wurden erst gestern früh in Ihrem Haus beobachtet?
Prosnik zögernd: Ja.
Kriminalkommissar: Frau Fent! In Ihrer Wohnung ist der zweite Eingriff vorgenommen worden! Sie sind eine ordentliche Frau! Wer war der Täter? Von wem war die Spritze?
Mutter Fent nach kurzem Zögern: Das fragen Sie da den
Herrn Verwalter und die andern! Kriminalkommissar nach rückwärts: Die Hausbewohner!
Der Kriminalwachtmeister lässt Frau Klee und den Kuckuck herein.
Kriminalkommissar: Ihr wisst, wer das Instrument geliefert! Wir haben es eben erfahren! Zu Kuckuck: Heraus damit!
Kuckuck sehr erschrocken: Ich das Instrument?! Ich?! Herr Kommissar, der Kuckuck - das bin ich - der hat nie 'ne Spritze gehabt, und die andern Blattläuse auch nicht ...
Kriminalkommissar: Blattläuse? Kuckuck: Verzeihen Sie, das ist so 'n Patentausdruck; aber
der ... der Herr Verwalter, der kann vielleicht Auskunft
geben.
Prosnik: Sie sind alle toll, die Leute, Herr Kommissar!! Frau Klee heftig: Er soll sagen, ob er die Spritze hatte oder nicht?!
Prosnik erregt: Der Paul, der hat sie mir doch geklaut!! Kriminalkommissar: Das sind ja tolle Zustände! - Herr
Verwalter! Sie geben also zu, eine solche Spritze gehabt
zu haben! Zu welchem Zweck? Prosnik bricht gänzlich zusammen: Herr Kommissar, ich habe
alles nur für alle Fälle dagehabt, nie ein Unrecht getan,
alles nur nach bestem Wissen und Gewissen ... ich bin
doch kein Verbrecher, Herr Kommissar. Kriminalkommissar: So seid ihr!! Erst große Reden geschwungen, und nachher will es keiner gewesen sein!
Kriminalwachtmeister von links.
Kriminalwachtmeister: Der Gefangene ist da!
Kriminalkommissar: Vorführen!
Paul wird hereingeführt. Er sieht elend aus, trägt Sträflingskleidung und Handschellen; er stutzt, stürzt dann auf Hete zu.
Paul: Hete!!
Kriminalkommissar: Krüger! Krüger! Sie sind zum Verhör geladen! Nehmen Sie sich zusammen! - Sie kennen die Hedwig Fent und den Hausverwalter?
Paul: Allerdings.
Kriminalkommissar: Geben Sie zu, den Eingriff bei d
Fent gemacht zu haben? Paul: Das geht niemand was an. Dr. Moeller: Aber dass das Mädchen jetzt im Kindbettfieber daliegt, auf Leben und Tod, das rührt Sie wohl
nicht?
Paul vor ihm: Das sagen Sie? Weshalb haben Sie es denn nicht gemacht, als das Mädchen zu Ihnen kam, Sie ... Arzt?!
Kriminalkommissar: Fordern Sie von dem Arzt ein Verbrechen?
Paul: Hilfe, Herr Kommissar!! Herr Kommissar, fragen Sie den Arzt, ob er noch nie einer Frau Generaldirektor oder
auch der Frau Käsewarenhändler geholfen hat, wenn sie ihm dafür ... Dr. Moeller auf ihn zu: Lümmel!!
Kriminalkommissar: Strafgefangener Krüger, Sie haben nur auf Fragen zu antworten! - Waren Sie vor zehn Tagen mit dem Mädchen zusammen?
Paul schweigt.
Kriminalkommissar: Hat der Hausverwalter Ihnen die Spritze gegeben?
Paul: Lasst den miesen Hund doch laufen! Der ist doch genau so 'n verprügelter Köter wie wir alle! Zum Bett. Bist du denn wirklich so krank, Hete?
Kriminalkommissar: Das genügt mir. Zum Arzt. Aber ungeklärt ist der etwaige Eingriff vor drei Tagen. Spricht leise mit dem Arzt.
Hete leise zu Paul, streicht über die Fesseln: Tut das weh, du?
Paul: Ach was.
Hete: Wie lange musste denn brummen? Paul: Na, so 'n bisschen. Du, Hete, wenn ich dann aber rauskomme...
Kriminalkommissar: Krüger, antworten Sie jetzt dem Herrn Doktor!
Dr. Moeller: Wie haben Sie das Instrument gebraucht? Paul schweigt.
Dr. Moeller: Von wem hatten Sie die Spritze? Paul: Nicht von Ihnen!
Dr. Moeller: Mein Junge, die Schnauze wird Ihnen bald trocken werden! Wenn ihr wirklich im Recht wäret, und wir paar andern wären im Unrechte, bitte, euer demokratischer Staat gibt ja den Millionen die Möglichkeit, ihre Stimmen zu erheben und den Paragraphen wegzufegen mit einer Volksabstimmung!! Aber wo sind die Millionen?! Wo ist das Volk?!
Paul: Richtig! Sie dürfen uns noch verhöhnen! Noch tut keiner 'n Mucks! Alle schlafen sie noch; sehen Sie doch nur, wie sie dastehn ... die Mutter, die Minna, der Verwalter, der Kuckuck ... wie 'n Haufen Unglück ...
Kriminalkommissar: Schweigen Sie!!
Paul: Ja ... die schweigen noch, und vielleicht müssen noch 'n paar Jahre lang Tausende Frauen am Fieber verrecken ...
Dr. Moeller: Wie wollen Sie das ändern? Paul vor ihm: Geburtenregelung.
Dr. Moeller: Geburtenregelung! Und die unerwünschten Kinder werden, wie in Russland, von Ärzten in Kliniken beseitigt!!
Paul: Jawohl!! In Kliniken!! Aber nicht heimlich!! Kriminalkommissar: Das ist der Geist, der in jedem Jahr
achthunderttausend deutsche Mütter gegen das Gesetz
sich vergehen lässt!! Paul empört: Ein Gesetz, das in jedem Jahr achthundert
tausend Mütter zu Verbrechern macht, das Gesetz ist kein
Gesetz mehr!! Kriminalkommissar zu Kriminalwachtmeister: Abführen!! Paul: Wird dadurch etwas anders, Herr Kommissar?! Wird
dadurch etwas anders?! Wird vom Kriminalwachtmeister abgeführt.
Dr. Moeller: Moskau in Reinkultur! Kriminalkommissar erregt zu den andern: Draußen warten
Die Beamten werden Ihre Personalien aufnehmen! Zu
Mutter Fent: Sie bleiben!
Prosnik, Kuckuck und Frau Klee ab. Hete wirft sich hoch: Paul!
Mutter Fent: Ich bin bei dir, Kind! Lass man!
Hete: Mutter ...
Kriminalkommissar: Frau Fent, wir können auf das Verhör nicht verzichten. Wenn Sie klar und präzise antworten sind wir gleich zu Ende. Frau Fent! Was haben Sie mir über den Verwalter noch zu sagen?
Mutter Fent schweigt.
Kriminalkommissar: Völlig falsche Rücksichten!
Dr. Moeller: Oder Angst! Die kalte Angst liegt ja auf all diesen Menschen; ich sehe das doch hundertmal in meiner Praxis; man spürt das Verbrecherische der Tat!
Mutter Fent: Das Verbrecherische?! Außer sich: Wenn mein Kind zu mir kommt ... in Todesangst?!
Dr. Moeller: Dann fühlen Sie sich berechtigt...
Mutter Fent: Dann tue ich, was ich fühle!!
Dr. Moeller: Alles?
Mutter Fent: Alles!!
Dr. Moeller: Auch bei Ihrem Kinde!!
Mutter Fent: Gerade bei ihm!!
Kriminalkommissar: Sie tun ja gerade, als hätten Sie's selbst...
Mutter Fent vor ihm: Jawohl, ich hab's getan!! Immer wieder würde ich's tun!! Und alle sollten's tun, ehe wir alle dran verrecken!!
Kriminalkommissar erregt: Ich erkläre Sie für verhaftet!!
Mutter Fent: Verhaftet?? Ins Gefängnis?! Ich gehe nicht von meinem Kind!
Dr. Moeller leise zum Kriminalkommissar: Lassen Sie die Frau noch ein paar Stunden hier; es sind die letzten für das Mädchen!
Kriminalkommissar: Verdunklungsgefahr! Ich vermute noch Komplizen! An der Tür: Frau Fent! Ich muss Sie bitten, sich bereit zu halten! Für Ihr Kind ist Pflege bestellt.
Kriminalkommissar, Dr. Moeller und Kriminalwachtmeister ab. — Mutter Fent ist an Hetes Bett getreten, streicht ihr über Schulter und Arme. - Hete liegt erschöpft da.
Mutter Fent leise: Sie nehmen mich ja nur mit zum Protokoll, Kind ... morgen bin ich wieder da, sie können mich ja nicht dort behalten, wo du so krank bist und mich brauchst ...
Der Kriminalwachtmeister ist eingetreten, er bleibt an der Tür stehen.
Kriminalwachtmeister : Sie müssen mir folgen, Frau Fent!
Mutter Fent richtet sich mühsam auf und folgt schwer und müde dem Kriminalwachtmeister. - Stille. - Hete, die den letzten Worten nur mühsam gefolgt ist, beginnt unter dem Druck der Stille sich zu rühren; sie richtet sich etwas auf.
Hete: Zehntausend ... müssen ... sterben in Todesangst hilft uns ... denn niemand ... Sinkt nieder. |
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