Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Friedrich Wolf - Cyankali (§ 218) (1929)
http://nemesis.marxists.org

III.

Küche bei Mutter Fent. Um den Tisch sitzen: Mutter Fent, Frau Klee, der Kuckuck und Hete. Alle brocken schweigend trockne Brotstücke in ihre Kaffeetassen.
Frau Klee: Ja, ja ... „schnell tritt der Tod den Menschen an"; ich sagte doch gleich, man solle die Witt nicht alleine lassen ... die hatte 'ne ganz weiße Nase, und in ihrer Pupille war ein Kreuz...
Kuckuck: Nase hin, Pupille her, liebe Blattlaus... die Sache hängt mit den roten Blutkörperchen zusammen ... wer die „Koralle" liest, der weiß genau, dass der Mensch fünf Millionen rote Blutkörperchen hat; fehlt aber davon ein Teil, sagen wir eine Million, so gibt zuerst die Leber ihre aufgespeicherten Blutzellen her...
Frau Klee: Red keine Brühe, Kuckuck! Darum brauchte die Witt doch nicht 'ne Viertelstunde drauf aus dem dritten Stock 'nen Kopfsprung aufs Straßenpflaster zu machen, dass man sie nachher zusammenrollen konnte wie 'n Gasschlauch!
Kuckuck brockt und trinkt: Minderwertigkeitsgefühle.
Mutter Fent: Man soll 'ne Tote nicht beschimpfen!
Kuckuck: Beschimpfen? Schiebt seine Tasse fort: Die Sache ist doch so: Wenn statt fünf Millionen Blutkörperchen infolge mangelnden Betriebsstoffes nur drei Millionen da sind, so gibt zuerst die Leber ihre Vorräte her, das dauert so zwei bis drei Wochen; dann in der vierten Woche kommen die Muskeln dran und schließlich der Herzmuskel, der wird dann immer dünner und schrumpft, weil die roten Blutkörperchen...
Frau Klee: Hör auf mit deinen Blutkörperchen, olle Mistkrähe ... Will der Geist entweichen schon, Trink die schwarze Volksbouillon!
Gießt Kaffee ein.
Mutter Fent: Wenn die Blutkörperchen aber nun immer weniger werden, dann ... „schrumpft" der Herzmuskel?
Kuckuck feierlich: Er schrumpft!
Mutter Fent unruhig: Hete, musst du nicht aufs Büro?
Hete : Heut nicht.
Mutter Fent: Warum?
Frau Klee: Den Morgen ist die ganze Direktion abgerückt, als würde sie schon in 'ner Stunde zu Hackepeter verarbeitet.
Kuckuck: Man könnte sich 'n Monogramm in den Hintern beißen!
Er legt den Kopf auf den Tisch. Alle sitzen da und brüten vor sich hin. Frau Klee und Kuckuck, die ganz vorn hocken, legen den Kopf auf die Arme, als wollten sie schlafen; sie sprechen dann leise, ohne ihre Haltung zu ändern.
Frau Klee: Hast noch 'nen Brocken, Kuckuck?
Kuckuck gibt ihr aus der Tasche.
Frau Klee: Zementsteine sind Butter dagegen.
Kuckuck: Nicht so schlingen, liebe Lerche! Hartes Brot macht Wangen rot! Gut im Mund herumwälzen ... immer wieder von rechts nach links, von links nach rechts ... sättigt enorm.
Frau Klee: Kuckuck ... müssen wir denn alle verrecken?
Kuckuck: Nicht alle ... nein ... höchstens ein Drittel oder die Hälfte, verstehst du ... und dann „verrecken", das ist so eine eurer Übertreibungen; die Organe trocknen ein bisschen ein, das Darmfett schwindet - soll übrigens gesund sein gegen Gicht - und dann schrumpft die Leber und der Herzmuskel...
Frau Klee: Und die Blutkörperchen! Springt auf; zu Mutter Fent. Zur Kantine!! Zu fressen will ich haben!! Wo sind denn die all mit ihrer großen Klappe, der Paul und der Maxe...
Hete: Der Paul hat nicht so 'ne Revolverschnauze wie du; der handelt...
Frau Klee: Jawohl, der handelt; der mimt Ordnung, wenn
uns die Rippen durch die Haut spießen! Scheibenhonig alles, was ihr da quasselt! Es gibt nur eins auf der Welt, was kein Schwindel ist: Fressen, Pennen und Kinderkriegen...
Kuckuck hat, um abzulenken, aus der Ecke die „Gewehrgeige" geholt: ein Militärgewehr 08, dessen Lauf entfernt ist; statt de. Laufes sind von dem Schaft her über das Visier - über Kim zum Korn - ein paar dicke Stahlseiten gespannt. Pause. Sammlung! Wie denken die Herrschaften über ein Lied. Stimmt die Geige. Präludium geschenkt... während der Vorführung bleiben die Saaltüren geschlossen ... also singt:
Der Heizer Christian Schulze, sonst ein rechtlicher Mann, Eines Tages er zu seiner Arbeitsstelle kam: Betriebseinschränkung! - Er ward nochmals entlohnt; Dann stand er auf der Straße und guckte in den Mond. Wir müssen sparen und rationalisieren, Die Wirtschaft neu aufbaun und sanieren, Klar, Mensch!
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Alle, während der Kuckuck mit bumsendem Kolben den Takt angibt:
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Kuckuck:
Der Heizer Christian Schulze nun stempeln ging, Achtzehn Mark die Woche ein Jahr lang er empfing, Achtzehn Mark die Woche für fünf Kinder, Weib und sich; Eines Tags 'ne Grippe bei ihm sich einschlich. Da änderte er das Datum für das Krankengeld, Da ward er ob Betrugs vor Gericht gestellt, Klar, Mensch!
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Frau Klee: Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann...
Kuckuck: Na ... was singt ihr nicht?
Frau Klee: Morgen kommen auch du und ich daran ... Du, das ist schon kein Lied mehr.
Hete: Wir machen wohl doch noch 'nen Kaffee, Mutter!
Mutter Fent: Meinetwegen ... wenn's alle ist, ist's alle.
Hete beginnt Kaffee zu mahlen; alle sitzen schweigend da. - Auf einmal hört man Schritte. Langsam sieht einer nach dem andern auf. Frau Klee zu Kuckuck: „Polente?" - Hete hat die Kaffeemühle auf den Boden gestellt und ist nach links zur Tür gelaufen ...
Hete: Paul!!
Von links Paul und Max; sie gehen langsam vor und bleiben stehen.
Paul: Kohldampf, Mensch!
Kuckuck: Herzlichstes Beileid! Unser Diner ist eben beendet; wir sind grade bei der Nachspeise: Fletschere mit Luft!
Paul: Los, Hete, zwei Schwerarbeiter kommen zum Schanzen!
Hete: Nichts da.
Paul: Na was, Maxe?
Max: So 'n Beschiss!
Frau Klee hoch: Ihr müsst grad reden, ihr!! Lasst euch als Betriebsräte wählen, die Arbeiterinteressen zu vertreten, und jetzt, wo wir ausgesperrt sind, lasst ihr keinen an die Kantine, bis wir alle verrecken, ihr Arschwedel!
Paul hat aus Rock und Hosen schnell Würste, Büchsenmilch, Konserven hervorgezogen, haut Frau Klee eine Wurst über die Schulter. Fangen wir mit dem Verrecken mal an, liebe Lerche.
Frau Klee zupackend: Würste, Milch! Rollmöpse!!
Max zieht aus seinen Knickerbockers ebenfalls Würste, Brötchen, Eier, Käse: Jawohl, wir bringen was mit in die Ehe!
Kuckuck: Da staunen die Blattläuse! Manna vom Himmel! Beginnt.
Frau Klee springt auf, gibt Max einen Kuss: Liebling! Herzchen!!
Paul zu Frau Klee, die mit Macht isst: Langsam, Minna, du frisst dir 'nen Bruch!
Frau Klee mampfend: Lass mich, Herzchen, lass mich...
Kuckuck ebenfalls mit breiten Armen überm Tisch: So 'n Rollmops, 'n wundervolles Tier ... Entbüchst, streicht Brötchen,
wickelt Käse aus. ... 'n wahrer Lebensretter ... da sprudeln die Magensäfte, da feiern die Blutkörperchen Hochzeit, enorme Vermehrung, mindestens fünf Millionen ... da lacht das Herze und wird wieder gut ... Mutter, die Volksbouillon!
Der Kaffee wird herangebracht, Hete gießt ein, alle haben sich um den Tisch gesetzt, greifen sich, was grade vor ihnen liegt, und beginnen stumm und mit ganzer Kraft zu essen; Hete versucht einen Bissen, legt ihn aber wieder hin und trinkt nur ab und zu einen Schluck Kaffee; sie sitzt wie unbeteiligt da. Die andern essen in mächtigem Rhythmus; die folgenden Sätze fallen nur wie Brocken ihnen aus dem Mund.
Max: Endlich!
Paul: War höchste Eisenbahn!
Mutter Fent immer essend: Woher habt ihr das?
Kuckuck zu Frau Klee, die sich kauend zur Wand abgewandt: Minna, friss nicht so! Das ist unfein und gibt Leberkrebs! Dreht sie dem Zimmer zu: sie hat in der einen Hand eine Wurst, in der andern eine Gurke und beißt abwechselnd hinein. Seht nur, ihre Augen sind geschlossen, ihr Gesicht ist ganz verklärt!
Mutter Fent: Quassel nicht; aber ruhiger macht das. Immer essend zu Paul: Ist das ausgeteilt?
Max: Jawohl, Mutter ... „ausgeteilt".
Paul: Aus der Kantine.
Mutter Fent: Wieder offen?
Paul mit Geste: Klar.
Frau Klee: Gekrampft, Herzchen, gekrampft!
Hete: Gekrampft, Paul?
Mutter Fent: Eingebrochen?!
Paul: 'n Schloss ging schon hops dabei. Aber nun feste ran an die Mutter! Hete, 'ne Pfanne her, acht Eier hineingeblättert und Wurst drüber...
Mutter Fent steht auf: Fünfzig Jahre bin ich ehrlich gewesen ...
Frau Klee kauend: Und jetzt haste Hunger!
Paul zu ihr: Mutter, hör mal, wir machen's doch wahrhaftig nicht zum Spaß oder um Kies draus zu schlagen ... nee, aber kann man euch denn langsam hier verrecken sehn ... die Sache ist doch nicht von heute oder morgen, die geht über Monate!
Mutter Fent: Und wenn wir das hier verdrückt haben,
was dann? Paul : Wird sich finden.
Kuckuck ganz versunken mit Frau Klee essend: Zauberhaft, liebe Blattlaus, wunderbar... weißte, Minna, mit drei Millionen Blutkörperchen, da biste 'n hungriges Biest, 'n Verbrecher, mit vier Millionen biste einer, der stempeln geht, aber mit fünf Millionen Blutkörperchen, da bist du ein sittliches Wesen, ein Mensch.
Frau Klee isst mit ganzer Wucht: Großartig, Herzchen, großartig!
Max: Minna, du schaufelst ja wie 'ne Baggermaschine! Minna, Täubchen, denkst du auch an deine Kinder?
Frau Klee füllt ihre Schürze mit Sachen: Klar, aber man muss doch erst wieder Betriebsstoff haben in der Untergrundbahn!
Mutter Fent: Das sind Grundsätze!
Kuckuck: Still, Mutter! Verdirb nicht die Akustik! Zieht sie zu sich. Dein Wohl, Max, alter Räuber! Winkt ihm mit einer Wurst.
Max empfindlich: Räuber?! Wir haben Ordnung geschafft!
Frau Klee steckt ihm eine Wurstecke in den Mund: Still, mein Junge, iss, Bruderherz ... mir ist so sanft jetzt, kein Streit! -Kuckuck, die Klimperminna, die Hallelujakiste ... lasst uns singen, liebe Andächtigen...
Kuckuck holt die Gewehrgeige und stimmt sie: So lustig heute, die jungen Leute! Na ja, man ist ein andrer Mensch, wenn man was im Bauch hat... obschon man zu großen Taten hungrig sein soll! Aber alle den Refrain jetzt mitsingen, wenn ich „peng" mache! Singt:
Der Heizer Christian Schulze, ein Betrüger von Rufe,
Schnell sank er jetzt tiefer von Stufe zu Stufe:
Er stahl, stach, schoss, bekam sehr schlechte Manieren,
Drei Schupos killte er, hatte nichts zu verlieren;
Sogar ein besseres Fräulein er in die Ewigkeit sandte,
Bis ihn der Arm der Gerechtigkeit übermannte,
Gottlob!
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Alle:
Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte nicht drängeln!
Kuckuck:
Der Mörder Christian Schulze, ohne Spur von Qual Verzehrt er in Ruhe sein Henkersmahl: Kraut, Braten und einen halben Liter Wein; Da spricht er: „Nun lasst uns einmal ganz fröhlich sein! Zum ersten Mal in meinem Leben aß ich mich knüppelsatt,
Nicht jeder in seinem Leben das Glück je hat! - Fertig! Los!"
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Alle wild:
Mit Christian Schulze der Neuaufbau begann, Morgen kommen auch du und ich daran, Bitte, nicht drängeln!
Frau Klee aufspringend: Kuckuck! Gerührt. Komm her, ich muss dich lieben! Küsst ihn.
Max: Aber diese Welt sollte man in Klump hauen, wo man schießen und krampfen muss, um zu seinem Fraß zu kommen...
Frau Klee: Reg dich nicht auf, Maxe, mein Süßer... solange nicht die Hose am Kronleuchter hängt, ist das alles... Kinder, mir ist so wohl ... ha, schau, die Mutter, wie sie stopft! Da schweigen alle Geigen!
Mutter Fent essend: Man wird ruhiger...
Kuckuck: Oder verrückt ... Hat seine Gewehrgeige genommen und tanzt mit ihr:
Hullala, tirallala ... Die Geige ist des Kuckucks Liebe, In ihr da schlummern all seine Triebe, Hullala, tirallala ... ich glaube, der Geist kommt über mich!
Frau Klee: Kommen lassen! Kommen lassen! Tanzt mit ihm.
Paul, der mit Hete beiseite gestanden: Total besoffen!
Max: Kannste wohl werden, vom bloßen Fressen kannste besoffen werden, wenn du 'ne Woche gehungert hast!
Frau Klee sinkt erschöpft auf ihren Platz: Dufte, dufte, Jungens... direkt 'n Gedanke mit Backobst ... Plötzlich: Aber jetzt muss ich zu meinen Gören!
Packt Essen ein; schnell ab. Die andern sitzen wieder um den Tisch; sie essen weiter oder legen den Kopf auf den Arm, um zu nicken. Hete ist zum Herd getreten; Paul ihr nach.
Paul: Du hast ja keinen Bissen gegessen!
Hete: Mir ist so übel.
Paul: Wie siehst du denn aus?
Hete: Sei doch still! Wenn's jemand hört! - Du, Paul, ist die Direktion wirklich abgerückt?
Paul: Total vergast!
Hete: Jetzt verdienen wir alle nichts mehr.
Paul leise: Du! Geh doch mal zum Arzt.
Hete: Meinste wirklich?
Draußen Stimmen. Frau Klee mit Prosnik von links.
Frau Klee: Keine Geheimnisse, Herr Prosnik! In diesem Palast zieht der Schmalzparföng durch alle Dielen und Ritzen! Tief atmen, Herr Prosnik; das alleine macht schon satt!
Prosnik: Gute Stimmung, scheint's.
Kuckuck immer noch essend: Einfach himmlisch, Herr Verwalter; bitte sich zu bedienen; es ist reichlich!
Prosnik: Es soll eingebrochen sein.
Frau Klee: Unglaublich!
Prosnik: Ihr fühlt euch verdammt sicher!
Max auf der Bank liegend, spielt Mundharmonika: Was kann uns schon passieren?
Paul vor ihm: Verpfeift uns der Herr Verwalter, so tät's mir leid um ihn!
Hete dazwischen: Paul!!!
Prosnik: Ist wohl alles gekauft, was da liegt?
Paul: Gegen so 'n krummen Hund bin ich mir zu schade! Dreht sich weg.
Prosnik wild: Aber nicht zu schade, 'nem Mädel 'nen dicken Bauch zu machen!
Paul fährt herum; hält an sich; ruhig: Los, Max; hier tritt man auf Wanzen. Komm!
Mutter Fent: Was habt ihr nur?
Paul: Lass gut sein, Mutter! Leise zu Hete: Zum Abend! Mi Max ab.
Prosnik auflachend: Guten Rutsch, meine Herren!
Hete erregt gegen ihn: Was haben Sie? Was lachen Sie so?
Prosnik: Man wird sich doch noch seines Lebens freuen dürfen, Fräulein Hete!
Paul und Max im Sprung herein.
Max: Polente! Hof und Straße besetzt!
Frau Klee gegen Prosnik: Der Hund! Lach doch! Lach doch! Gebt ihm zu lachen!!
Paul bei Hete: Bleiben?
Hete: Übers Dach!!
Paul springt mit Max rechts in die Kammer. Man hört Schritte und Rufe.
Frau Klee zu Mutter Fent: Mutter ... auf den Flur, die Kerle anquasseln, und quatschen, quatschen, quatschen, bis die beiden vergast sind!!
Zieht Mutter Fent und Kuckuck mit hinaus. Man hört draußen erregte Worte und Rufe, die sich entfernen. Dann Stille Prosnik steht in einer Ecke. Hete räumt den Tisch ab.
Hete: Weshalb stehen Sie noch da?
Prosnik: Weshalb nicht?
Hete: Muss Paul Ihnen noch mal eine hinfunken?
Prosnik: Hat er Ihnen schon...
Hete: Biest!
Prosnik: Vielleicht kann dir das „Biest" mal nützen, nachdem der Freund verschütt ging.
Hete: Der kommt wieder!
Prosnik: Zweifelhaft! Landfriedensbruch, Einbruch, Raub Fräulein Hete.
Hete: Ich bin nicht „Hete" für Sie, verstehen Sie mich!
Prosnik: Ich vergreife mich nicht an dir, keine Angst...
Rufe im Hof.
Hete am Fenster: Lauf, Paul! Lauf, lauf! Sie laufen auf den Dächern! Duck dich! Halte dich!
Mutter Fent herein.
Mutter Fent: Verduftet!
Prosnik: Sie werden auch so noch geklappt...
Hete: Sie ... Schuft!
Prosnik: Es fragt sich, wer der größere Schuft ist: der ein Mädel hops macht, oder der ihm helfen will!
Mutter Fent: Was heißt das?
Prosnik auf Hete: Fragen Sie die!
Mutter Fent vor ihr: Du! Was ist?!
Hete schweigt.
Mutter Fent packt sie: Das ist nicht wahr!!
Hete: Doch, Mutter.
Mutter Fent: Gelogen!
Hete: Mutter, Mutter, Angst habe ich, vor dem, was kommt, wenn niemand mir hilft und dem Kind, Mutter ... Angst!!
Mutter Fent: Und ich? Und dein toter Vater?
Hete: Mein Vater, mein Vater ... meinem Vater, dem tut es nicht mehr weh, Mutter. Heftig. Aber mir tut es weh, mir und dem Kind in meinem Leib und auch dem Paul, der tausendmal sauberer ist als alle, die ihm was anschmeißen wollen!
Mutter Fent: Halt den Mund! Glaubst du, du kannst noch 'nen Fresser zu Tisch bringen, der nichts verdient!
Hete: Mutter!!
Mutter Fent: Ach was: Mutter!! Hast du mich gefragt? Meinst du, du kannst hier niederkommen, dass die ganze Straße mit Fingern auf mich alte Frau zeigt!
Hete: Das glaubst du ja selbst nicht, Mutter!!
Mutter Fent: Red nicht so doof!
Prosnik nimmt sie beiseite: Ich will Ihnen mal was sagen: Sie sollten vielleicht doch anders reden, Frau Fent! Ich habe da unten bei mir 'ne Kammer, 'ne ruhige, stille Kammer ... sie wird da nicht hungern und nicht frieren und vor Blicken geschützt sein.
Hete: Sie sind verrückt!
Mutter Fent gibt ihr eine Ohrfeige: Auch noch frech ist die
Schlampe!
Hete steht starr; nimmt schnell ihre Mütze, rennt hinaus. Prosnik: Wo wollen Sie hin? Ihr nach.
Mutter Fent steht ratlos: Muss man dazu Kinder haben?

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur