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Walter Schönstedt - Kämpfende Jugend (1932)
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V.

Die Gruppen ,Kreuzberg' und ,Nostizstraße' hatten je drei Genossen als Stoßbrigade nach Langendorf geschickt. Es waren alles Arbeitslose. Am Donnerstag waren sie mit der Bahn losgefahren, um mit den dortigen Genossen eine Betriebszeitung für die Jutespinnerei anzufertigen, eine Jugendbelegschaftsversammlung zu organisieren und alle Vorbereitungen für die Agitation am Sonntag zu treffen. Drei Langendorfer Genossen waren vor kurzem bei der Abwehr eines faschistischen Überfalls verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden, der Leiter der Jugendgruppe hatte als so genannter Rädelsführer acht Monate bekommen. Die Arbeit der Gruppe wurde schlechter. Der Mann, um den sich alles geschart hatte, saß im Gefängnis, die Gruppe war ihres Motors beraubt, man sah in Langendorf vom Kommunistischen Jugendverband sehr wenig. Die Partei war schwach, zählte in den Betrieben nur wenige Mitglieder, und obwohl die RGO. in der Jutespinnerei bei den letzten Betriebsratswahlen die meisten Stimmen erhalten hatte, existierte keine Betriebszelle.
Am Sonnabend kam Leben in die Bude, das halbe Nest wartete auf die Berliner, die Stoßbrigade saß schon seit sechs Uhr abends drei Kilometer vor dem Dorf im Chausseegraben. Der Gendarm hatte noch nichts bemerkt, er nahm sich mit seinem struppigen Schnauzbart recht harmlos und gemütlich aus, saß im „Gasthaus zur Krone" und trank irgendein Schlossbräu. Neben ihm saß sein Schäferhund, blinzelte ihn ab und zu schläfrig an und leckte sich die Schnauze. Draußen auf der Treppe lag ein Betrunkener und grölte. Im Arbeiterquartier hingen vereinzelte rote Fahnen, sie blähten sich, wenn ein leichter Wind blies. Pferde scharrten in den Ställen, Kühe brüllten, wurden gemolken und legten sich dann schwerfällig aufs frische Stroh. Ein paar Bauern kamen gemächlich, die Pfeife schief im Mundwinkel, von der Feldarbeit zurück. Der Frieden des Abends breitete sich über dem Dorf aus. Blauer Rauch stieg kerzengrade aus den Schornsteinen hoch, irgendwo quakten Frösche, ein Knecht dengelte die Sense . , .

In der Garage am Kaiser-Friedrich-Platz versammelten sich nach und nach die Genossen. Einige Meter vor dem Eingang stand Karl Langscheidt und gab den Leuten, die mit Tornistern und gelben Hemden kamen, Zeichen. Von weitem sah er einen Trupp von mindestens acht Genossen anrücken. Wütend rannte er ihnen entgegen:
„Seid Ihr verrückt geworden! Acht Mann hoch, ein Wunder, dass Ihr nicht noch singt dabei! Los, verteilen!"
Verdattert sahen sich die Jungens an, wurden rot und gingen mit gesenkten Köpfen auseinander. Und dabei waren sie vorher so heiter gewesen, hatten sich schon alles so schön ausgemalt: Kommen wir an, Abteilung halt! Wir begrüßen die Genossen mit einem kräftigen Rot Front! und dann freuen sich die anderen... Und nun hieß es: Seid ihr denn verrückt geworden! Na, macht nichts. Hat recht, der Karl. Wir sind Ochsen gewesen.
An der Tür stand der Leiter der Gruppe ,Kreuzberg' und schloss sie sofort wieder hinter den Neuangekommenen. In der Garage wurde leise geflüstert. Die Fachleute besahen sich den Wagen, klopften daran herum, nickten wie Greise mit den Köpfen und gaben ihre Erläuterungen:
„Hm, ein ganz guter Kasten. Wird schon durchhalten. Bloß die Bereifung ist zu schwach. Müsste Zwillingsreifen haben... "
„Oder drei Achsen. Mit unserem Mercedes-Benz kommt der aber nicht mit. Mensch, ist der gefahren! Achtzig Kilometer in der Kurve, wir haben gedacht, uns fliegt der Kopf ab."
„Gib doch nich so an, wer gloobt Dir denn det, achtzig Sachen. Det kannste mir doch nich erzählen. Ick habe doch schon öfter als Du Autofahrten mitgemacht."
Der Chauffeur trieb die Jungens auseinander: „Geht da los, Ihr Fachmänner!" Und dann sagte er zu einem hageren Burschen mit gewaltiger strohblonder Mähne: „Du setzt Dir auf den Kühler als Teddybär." Die anderen lachten. „Siehste, Teddybär. Mensch, wat denken Se, der heeßt ja schon Teddy", prustete ein stämmiger Bursche heraus. „Halt mir mal fest, ick muss wiehern. — Jut. Dufte. Teddybär... "
Trude verteilte Bonbons. Die anderen Mädels standen in einer Ecke. Trude lächelte ein stilles, gewinnendes Lächeln. Der blaue Rock reichte ihr knapp bis an die Knie, die Haare fielen in breiten Strähnen über ihr Gesicht.
Dreißig Genossen hatten sich inzwischen eingefunden, verhältnismäßig viel Mädels unter ihnen. Gruppe ,Kreuzberg' wurde überhaupt von Mädels beherrscht und war mit acht Genossinnen erschienen, außerdem Elly, Trude und Grete von der Gruppe ,Nostizstraße'.
Erich stand etwas abseits und sah in das Halbdunkel der Garage. Er hatte keinen Tornister und auch nichts zu essen mit. Da kam Elly, drückte ihm fest die Hand und gab ihm drei Mark:
„Hier, hol Dir was zu essen für unterwegs, das andere ist Fahrgeld. Und wenn Du dort Hunger hast, komm zu mir, ich hab genug mit. Meinetwegen kauf Dir auch Zigaretten."
„Ach, lass doch! Behalt nur Dein Geld!"
„Geh, Mensch! Wir haben nicht mehr viel Zeit,"
Erich machte keine Miene zu gehen und stand unentschlossen da. Elly wurde schließlich wütend, fasste ihn ärgerlich am Arm und zog ihn hinter sich her auf die Straße. Bei einem Bäcker holte sie zehn Semmeln und vom Schlächter ein halbes Pfund Hartwurst. Sie legte alles in den Arm des verwirrten Jungen, ließ ihn stehen und rannte Zigaretten holen.
„So, hier hast Du noch zehn ,Juno'. Wir bleiben zusammen, denn ich will auch rauchen,"
Der Wagen war besetzt, als sie zurückkamen. Theo schnauzte beide an. Es gab keine Sitzplätze, und die Leute meuterten.
„Erst erklären sie groß, es gibt Sitzplätze, und nun steht man die ganze Zeit!" sagte ein kleines Mädchen. Sie hatte Kulleraugen und sah in ihrer Entrüstung niedlich wie ein beleidigtes Baby aus.
„Ach, lass doch! Wirst schon nicht umfallen." Karl, der vorn stand und mit leiser Stimme Instruktionen gab, beruhigte die Kleine: „Setz Dir nachher auf den Boden, wir werden schon Platz schaffen. Die Bänke sind ja da, aber wenn wir sie mitnehmen, ist es noch viel enger." Er streichelte ihr langsam übers Haar, und die Kulleraugen wurden wieder fröhlich.
Das Verdeck wurde heruntergezogen, nur durch zwei kleine Zelluloidfenster an beiden Seiten fiel spärliches Licht. Der Wagen fuhr langsam an, leise und gleichmäßig arbeitete der Motor. Es gab einen Ruck, als der Wagen den Prellstein streifte. Das Tageslicht drang durch die Plane. An Straßenkreuzungen wurde manchmal gehalten. Nach und nach wurde das Branden des Verkehrs schwächer. Ernst erklärte, ohne hinauszusehen, den Genossen, durch welche Straßen man fuhr. „Passt auf, jetzt gehts über die Brücke in Friedrichsfelde. Da — eine kleine Steigung,"
Ungehindert erreichte das Auto die Chaussee. Genau so ungehindert wie jeder andere Lastwagen, der irgendwelche Stückgüter in der Richtung Frankfurt an der Oder fuhr.
Durch einen kleinen Schlitz an der vorderen Holzwand konnte ein Genosse den Tachometer beobachten, eifrig rief er nach hinten: „Fünfundvierzig — fünfzig — dreiundfünfzig Kilometer! Meine Herren, der brummt ja ganz schön los!"
Der Wagen zitterte, immer stickiger wurde die Luft unter dem Verdeck. Theo drängte sich von der Mitte nach hinten und rollte das Verdeck ein Stück hoch. Frische Luft drang herein, bisweilen auch eine dicke Wolke beißender Chausseestaub. Jemand erzählte eine Episode von einer anderen Autofahrt:
„Da hatten wir Panne, det olle Ding lief einfach nich mehr. Aber trotzdem war eine gute Stimmung. Schließlich fing es auch noch an zu regnen. Wir ließen zehn Mann beim Gepäck und Wagen zurück und marschierten los. Als wir an ein Dorf kamen, sprang ein kleiner Junge aus dem Chausseegraben und rannte rasch vor uns her ins Kaff. Dabei brüllte er immer: ,Mutta! Mutta! Sperr die Hühner ein, die Kommunisten kommen'!"
„Oeh!? Glaubst Du wohl alleine nich. Mensch, erzähl doch keene Märchen...."
„Doch, doch, und nachher hat uns der Bürgermeister empfangen, hat Ehrenjungfrauen aufgestellt, Bier aus der Gemeindekasse bezahlt, und wir haben gefressen und gesoffen auf Deibel komm raus. Dann hat jeder ne verrostete Mark bekommen und ne anständige Wurst..."
„Du spinnst ja schon wieder, Karl."
Die Kleine mit den Kulleraugen hatte sich hingesetzt. Nach und nach machte es sich einer nach dem anderen auf dem Wagenboden bequem. Die meisten standen bald wieder auf, denn die Erschütterungen des Wagens ließen sich im Stehen besser ertragen.
„Du, Karl, wie alt bist Du eigentlich?"
„Wer? Icke? Neunzehn Lenze, mein Lieber", antwortete Karl ahnungslos,
„Und da kannst Du noch nich mal auf Deine eigenen Füße stehen? Meine Güte, so ein fettes Vieh, wie Du bist!"
„Entschuldige! Ich dachte, es wäre ein Brett. So ungefähr steht es sich nämlich auf Deine Plattfüße."
„Kinder, los, singen wir doch eins!" schlug Karl vor. Und drei, vier Jungens, die immer zusammenhielten, sangen mit vollen Stimmen:

„Junge, wenn du willst,
Junge, wenn du willst,
spiel auf meine Geige!
Junge, wenn du willst,
spiel auf mein Klavier!

Im Rheinland wächst der Sauerkohl,
die Welt ist kugelrund,
da sah ich mal ein Mägdlein steh'n
von hundertachtzig Pfund.

So nehme, was du nehmen kannst,
du holder Abendstern,
und hau die Olle mit der Pfanne vorn Kopp,
das ist der Tag des Herrn!

Freut eu-euch des Lebens!
Großmutter wird mit der Sense rasiert,
Freut euch des Lebens,
ehe das Unglück passiert!

Zwei Schwiegermütter gingen ins Wasser
au, au, au!
Sie wurden nass und immer nasser,
au, au, au!
Die eine, die wer bald ersoffen..."

„Aufhörn! Aufhörn!" protestierten die Mädels und machten einen solchen Lärm, dass man die drei Sänger nicht mehr hören konnte. Einer packte Trude und hielt ihr den Mund zu. „Willst Du stille sein!"
Mit einem lauten Aufschrei zog er die Hand wieder weg. „Das Biest beißt ja, die Kröte!"
„Siehste, vergreif Dir nich an andrer Leute Kinder!"
Weiter ging die Fahrt. Rascher, immer rascher. Von hinten drangen dicke Staubwolken in den Wagen, bedeckten die Gesichter mit einer grauen Puderschicht. Das Auto musste halten, ein Zug fuhr gemächlich über die Chaussee. Karl sprang als erster vom Wagen und brüllte: „Absteigen! Pinkelpause!"
Die Jungens blieben gleich am Wagen stehen. „Meine Herren, det wurde ooch Zeit. Junge, hat mir die Blase jedrückt!" Die Mädels schlichen sich abseits in ein kleines Gehölz.
Nachdem der Zug vorübergekeucht war, ging es weiter.
Die Kleine stand wieder auf, sie wurde im Sitzen doch zu sehr durchgeschüttelt. Teddy, der hinter ihr stand, zog sie kameradschaftlich an sich: „Weine nich, Du armes Kind, komm an meinen Busen!" Sie legte ihren Kopf an seine Brust. So war die Fahrt auszuhalten.
Die Räder schleuderten kleine Kieselsteine an die Schutzbleche. Die Chausseebäume rasten vorüber, von vorn schrie einer: „Kinder, sechzig Sachen die Stunde!"
„Sag ma dem Chauffeur, Trude is schwindlig jeworden, sie will lieber mit ein Roller fahren."
„Ach Du! Wejen mir kanns noch schneller jehn", erwiderte Trude behäbig, sie bekam den Mund beim Sprechen nicht mehr auseinander. Den ganzen Tag hatte sie an der Schreibmaschine gesessen und war jetzt schrecklich müde. Aber die andern waren noch lustig, unterhielten sich leise, rauchten oder machten Witze
„... Sagt der Olle: ,nu hau doch zu, Peter' — Peter lief langsam um sie herum, wie ein kleiner Köter, und sagte: ,wer mich schwer hüten, kost mich ja sechzig Taler!'...."
„Fangt Ihr schon wieder mit die ollen Schweinereien an?"
„Sind doch keine Schweinereien, Mädel. Das hat sich wirklich zugetragen, ich hab doch die Lampe gehalten."
Erich stand neben Elly. Ihr Kopf reichte gerade ein kleines Stück über seine Schulter. Er spürte ihren Körper durch die Windjacke und merkte, dass sie sich ganz ungeniert an ihn anlehnte. Sie rauchten beide.
„Ist gut, so eine Zigarette, nich Erich?"
„Ja. — Aber warum Du rauchst, verstehe ich nicht. Hast Da denn etwas davon?"
„Hm. Warum soll ich nicht rauchen? Ich habe wahrscheinlich den gleichen Genuss wie Du."
Darauf wusste er nichts zu antworten. Bei jedem Zug, den sie an der Zigarette machte, glomm ein roter Schein über ihr Gesicht. Die scharfen Konturen traten dann deutlich hervor, und sie erschien schöner als sonst. Umständlich zerdrückte sie den Stummel.
„Frierst Du nicht', nur in dem Hemd, Erich?"
„Doch, aber nicht sehr."
Sie zog ihre Windjacke aus. „So. Damit decken wir uns beide die Schultern zu." Mollig war es unter der Windjacke, Er merkte, wie sie ihren Arm um ihn legte, und kam sich vor wie ein unbeholfener Junge. Ihm war sonderbar zumute. Eine Freude stieg in ihm hoch, die er bis dahin nie gekannt hatte. „Bist ein guter Kerl, Erich."
Hin und her, hin und her schaukelten die Körper. Erich musste an eine Szene im (Panzerkreuzer Potemkin' denken: wie der Offizier die Schaukelbewegungen der hängenden Tischplatten im Speiseraum nachahmte...
„Wie lange werden wir noch fahren?"
„Vielleicht eine halbe Stunde", antwortete Ernst.
Die Stimmung wurde immer schläfriger.
Einer kroch schimpfend auf den Knien herum und suchte seinen Brotbeutel. „Wenn ich doch bloß wüsste, wo mein Brotbeutel ist. — Mensch, wer hat ihn? Dem reiße ich die Gedärme aus dem Leib . . ." Der strohblonde Teddy drehte sich halb um, hinter ihm hing an der Verdeckstange ein Brotbeutel.
„... Mein Brotbeutel mein Brotbeutel! Und da sind zwei Eier drin! Ungekocht. Wenn i . doch bloß wüsste..."
„Ach, hör auf! Hier hängt er ja."
Ernst erzählte in einem fort, Glaubhaftes und Unwahrscheinliches, „. . . Ach so, Genossen, ich wollte Euch ja noch etwas erzählen. Da, wo wir jetzt hinfahren, ist in der Nähe ein großer versumpfter See. Rundherum leben in großem Elend kleine Fischer. Ein alter Mann fuhr abends allein raus, Aalschnüre legen. Dabei ist er ertrunken. Seine beiden Söhne fischten nach ihm drei Tage und fanden ihn am vierten. Aber Herrgott, wie sah der Alte aus: überall an ihm hatten' sich dicke Aale fettgefressen. So dick wie mein Arm. Da sagte der eine Sohn zu dem andern: ,Du, den Alten schmeißen wir wieder rein. Das wird ein gutes Geschäft.' Der andere war einverstanden, und sie banden dem Alten eine Leine um den Bauch. Jeden Abend zogen sie ihn ans Ufer und hatten immer zwanzig Pfund Aale... "
„Lüge doch nicht!" rief kreischend die kleine Grete.
„Doch! Ist wahr. Die Genossen aus Langendorf haben es mir selbst erzählt, Du kannst ja dort fragen. Fechter hieß der Fischer."
„Aeh, brrr. Da freß ich keene Aale mehr."
„Das ganze Essen versaut der einem."
Nach dreistündiger Fahrt hielt der Wagen plötzlich mitten auf der Chaussee. Vor dem Kühler standen sechs verwegen aussehende dunkle Burschen.
„Haut doch die Bande auf den Kopp! Los, weiterfahren!"
„Ruhe, Ruhe! Hab nich so eine große Fresse, Männe. Los, absteigen, wollt Ihr noch weiterfahren?"
„Ach, Ihr wolltet uns wohl einen Schreck einjagen. Ihr Schleimscheißer? Euch hätten wir... "
„Alles absteigen!"
Verschlafen räkelten sich die Genossen vor dem Wagen, gähnten und bewegten komisch Arme und Oberkörper.

Im Arbeitersportlokal brannte noch Licht, Leute standen vor der Tür, etwa fünfzig Mann warteten im Gastzimmer. Von den Berlinern brüllte einer: „Wir begrüßen die Langendorfer mit einem dreifachen, kräftigen..."
Eine harte Pfand legte sich auf seinen Mund, und jemand sagte: „Nicht doch, nicht doch, Mensch!"
„Mein Gott, beklecker Dir man nicht!"
„Schläft doch schon alles. Warum seid Ihr denn nicht früher gekommen?"
„Ja, unser Flugzeug war im letzten Moment kaputtgegangen, da mussten wir mit unserem Wagen fahren, hat aber durchgehalten, das gute Vieh."
Jeder Langendorfer wollte Einquartierung haben. Ein braungebrannter riesengroßer Jugendgenosse saß an einem Tisch und verteilte die Berliner.
„Mir ein Mädel und zwei Jungens!"
„Mir einen Musiker!"
„Was wollen Sie denn, Mutter Schulze, das Ist doch nicht der RFB. Musik ist nicht mit."
„Ach, schade!"
„Mir einen Genossen!"
„Mir auch einen!"
„Und mir auch!"
„Schluss, ist keiner mehr da. Also hört mal her, Berliner! Morgen früh um neun treffen wir uns hier zur Agitation."
„Wat, steht Ihr denn in det Kaff so früh uff?"
„Halt doch mal Dein Maul!" Und Karl fügte hinzu: „Die Funktionäre treffen sich gemeinsam mit den Langendorfern um acht Uhr hier zu einer Vorbesprechung. Den Genossen empfehle ich, recht früh aufzustehen, in der Nähe ist ein wunderbarer See zum Baden."
„Da, wo die Leiche rum schwimmt?"
Viele Menschen mussten ohne Einquartierung umkehren, sie waren ärgerlich darüber. Eine verhutzelte, freundliche Frau schimpfte: „Und ich habe einen Eimer voll Kartoffelsalat gemacht. Und jetzt habe ich bloß einen."
Erich kam zu Mutter Schulze. Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn wie einen Schuljungen, der vom Lande in die Großstadt zu Besuch gekommen ist. Vor einem kleinen Häuschen machte sie halt.
„So, da wohne ich. Mein Mann ist Nachtwächter, der kommt noch. Das hier sind alles Gemeindehäuser."
Im zweiten Stock schloss sie eine Tür auf. „Komisch, die Luft hier", dachte Erich, „gar nicht wie auf dem Lande." Man kam gleich in die Küche. In einer Ecke stand ein altertümlicher Herd aus rohen Backsteinen. Ein schwarzer Kater kam schnurrend geschlichen und fuhr schmeichelnd mit dem Kopf über Erichs Waden. Von der Decke war stellenweise der Kalk abgeplatzt, durch die Wände drang schimmelnde Feuchtigkeit. Die elektrische Birne brannte düster wie in einem Berliner Pissoir.
„Hast Hunger, Junge?"
„Nee, ich hab gegessen."
„Nu, nu, Du wirst doch noch was vertragen! Einen Kaffee und ein paar Wurststullen... "
Sie stellte alles vor ihm auf den Tisch. Langsam begann er zu essen. Die Wurst war gut.
„Ist selbst geschlachtet. Von meinem Bruder. Mein Mann hat sie heute geholt"
Erich wurde heiß, seine Kehle brannte, und er hörte einen Moment auf mit Kauen. Die Alte schaute ihn unentwegt an.
„Kennst Du den Otto Mirke aus der sechsten Abteilung?"
„Nee, Berlin ist ja- so groß, Frau Schulze."
„Ach, das war ein feiner Junge, der schreibt mir noch immer. Wenn Du ihn mal siehst, grüß ihn von mir. Er war Trompeter und konnte gut blasen. Was waren das für Kerls damals... "
Schwere Schritte tappten von unten herauf, ein vermummtet Mann trat ein.
„Da seid Ihr ja. Ich habe Euch gar nicht kommen hören. Hast Du Deine Trompete hier?"
„Nicht doch, Vater, die haben doch keine — Du musst nämlich wissen, Junge, mein Mann war Trompeter bei den Preußen."
Der Alte war erst ein bisschen enttäuscht, doch dann taute er auf. Sein ruhiger, fast harter Blick prüfte Erich. „Was macht Ihr denn in Berlin? Geht’s noch nicht bald los? Sind die Sozialdemokraten noch immer so stark? Und wie ist denn das mit den Kirchen, stürmen die Kommunisten immer noch rein? Das ist es eben, damit bin ich nicht einverstanden..."
„Was? Kirchen stürmen? Davon weiß ich nichts, und es stimmt auch nicht. Es wird wohl eifrig Propaganda gemacht gegen die Kirche, aber Stürmen — nee, das stimmt nicht. Wo haben sie denn das her?"
„Jo, det les ick in unsern ,Volksfreund'. Unser Sonntagsblatt. Da steht det all drin. — Also stimmt wohl nich, wat, Junge?"
„Nee, stimmt nich. Es ist doch klar, dass man die Landbevölkerung falsch unterrichtet, um kein Bündnis zwischen Stadt- und Landarbeitern Zustandekommen zu lassen."
„Das kommt zustande, Genosse. Du siehst doch, wir machen den Anfang. Wenn wir ooch noch nich so weit sind, wie Ihr. Aber es kommt zustande! Na, gute Nacht! Du wirst müde sein, und ich muss jetzt gehen."
Herrlich hatte Erich geschlafen in dem alten, molligen Bauernbett. Er streckte sich wohlig, dass die Glieder knackten, eine originelle Kuckucksuhr an der Wand schlug acht Uhr. Er sprang aus dem Bett und zog sich rasch an, Frau Schulze kam von unten mit einem Eimer Wasser heraufgekeucht. Gemeinsam tranken sie Kaffee. Erich musste unbedingt ein paar Stullen für unterwegs mitnehmen.
„Um zwölf Uhr essen wir. Dann wirst Du meinen Mann wieder sehen."
„Was, Mittagessen? Na ja, ja. Ich werde hier sein."

Die Funktionäre und zwei Mann von der Stoßbrigade saßen im Hinterzimmer des Arbeiterlokals. Der große, braune Langendorfer Kerl leitete die Sitzung. Er sprach unsicher, weil er sich einbildete, die Berliner könnten alle besser sprechen. Er gab einen kurzen Überblick über die Arbeit im Ort, alle hörten aufmerksam zu. Trude, die Kassiererin der Gruppe ,Nostizstraße' kritisierte stark die schlechte Betriebsarbeit.
„Ja, na ja, Genossin, Du hast schon recht. Aber wir haben keine Mittel. Man muss doch außer all den Broschüren lokales Material haben. Ein Genosse von Euch ist mit dem Rad nach Frankfurt gefahren und hat dort die Betriebszeitung abgezogen. Gestern morgen wurde sie verteilt. Es ist die erste in der Jutespinnerei, und sie hat eingeschlagen wie eine Bombe, in der Frühstückspause hat alles über die ,Rote Knute' diskutiert. Wir müssen die Zeitung auf alle Fälle weiter herausbringen. Aber wie?"
„Schön, dann mache ich den Vorschlag", sagte Trude, „dass der Überschuss der Broschüren und Zeitungen, die wir bei der Agitation nachher verkaufen, der Ortsgruppe zur Verfügung gestellt wird. Sie kann sich dann einen Apparat kaufen und die Zeitung herausgeben."
„Eine alte Schreibmaschine haben wir hier."
„Na, seht ihr!"
Etliche Berliner Leute protestierten, aber nur versteckt. Sie murmelten, trauten sich aber nicht, offen zu widersprechen. Trude schlug so energisch auf den Tisch und bestand so nachdrücklich auf ihre Forderung, dass sie damit jeden Widerstand brach. Die Langendorfer freuten sich, und Trude hatte sofort ihre Sympathien gewonnen.
Der Braune fuhr fort, schon etwas sicherer geworden: „Wir stellen fest, dass Eure Stoßbrigade gut gearbeitet hat. Alle unsere Genossen sind begeistert, wir haben Irischen Mut bekommen und nehmen an, dass später die Arbeit noch besser vorwärts geht. Wir versprechen Euch, jetzt wirklich zu arbeiten. Die Demonstration ist vorbereitet durch Handzettel, kleine Plakatstreifen, und auch die ,Volkswacht' hat dazu aufgerufen. Zu unserer Unterstützung kommen heute mittag fünfzig Küstriner Genossen. Es ist notwendig, dass nachher beim Materialverkaufen nochmals darauf aufmerksam gemacht wird: Heute nachmittag zwei Uhr auf dem Marktplatz! Da wir mit Überfällen auf Gruppen von Lileraturverkäufern rechnen, schlage ich vor, fünf Mann im Lokal zu lassen. Für den Fall der Fälle."
„Schön, habt Ihr einen Referenten bestellt?" „Ja, natürlich. Ist alles gemacht, Genosse Karl." Hinten am Ofen saß ein kleiner Langendorfer Genosse mit Stupsnase in einem echten Bauerngesicht. Er trat an den Tisch heran und begann umständlich, aber mit wohlklingender Stimme zu sprechen: „Hört mal her, Berliner! Ihr quatscht immer so viel vom Bündnis zwischen Stadt und Land. Schön. Ihr verlangt auch von uns, dass wir diese und jene Arbeit durchführen. Auch schön. Das tun wir ja auch. Deshalb sind wir ja Kommunisten. Aber es genügt nicht, wenn ihr alle Jubeljahre mal hier rauskommt. Ihr könnt Euch gar keinen Begriff machen, welche Schwierigkeiten, wir hier haben. Hier ist eine verflucht schwarze Ecke. Wenn die Leute auch nicht mehr so wie früher in die Kirche rennen, aber der Pfaffe ist ihnen alles. Dann die Gutsbesitzer. Sie üben den schlimmsten Terror aus. Außerdem ist unsere Position in der Jutespinnerei sehr schlecht und unsere Ortsgruppe schwach. Der Genosse Hans sitzt jetzt, das wisst Ihr ja, und seitdem er weg ist, gebt bei uns alles schief. Wir werden natürlich, wenn Ihr wieder Tort seid, mit verstärkten Kräften an die Arbeit gehen. Das ist klar. Aber zum Donnerwetter, macht uns doch mal Vorschläge! Ihr habt doch mehr Erfahrung als wir."
Die Berliner nickten Zustimmung. Karl zerpolkte langsam einen Bieruntersatz zu kleinen Fetzen, Theo überlegte. Er wollte gerade zu sprechen anfangen, da kam Trude ihm zuvor. Jeder beobachtete sie gespannt. Ihre etwas dicken Finger schlugen auf den Tisch den Takt zu ihren Worten:
„Ja, Genossen, ich habe mir folgendes überlegt: wenn wir von hier zwei bis drei Leute mit nach Berlin nehmen, ungefähr für vier Wochen, und zwei bis drei Berliner vier Wochen hier lassen könnten, das wäre eine feine Sache. Unsere Genossen könnten ihre Erfahrungen hier im Dorf sehr gut praktisch verwerten, und sie kommen als Landspezialisten zurück. Die Langendorfer machen bei uns eine gute Schule durch, wir werden sie natürlich nach Möglichkeit ausbilden und mitnehmen zu unseren Wochenendschulen. Ich glaube, das lässt sich bei guter Organisation sehr leicht durchführen. In Frage kommen natürlich nur arbeitslose Genossen. Stempeln, Geldholen, wenn sie noch etwas bekommen, ist kein Problem. Das können andere machen während dieser Zeit. Und Schlafgelegenheiten müssen eben geschaffen werden!"
Eine Weile war es still. „Die Trude ist doch ein Kerl" dachten die meisten. Stühle wurden gerückt, und der kleine Bauer steckte sich eine mächtige Tabakspfeife an. Er schmunzelte, machte ein paar Züge und platzte dann los;
„Siehst Du, das wär was. Ja, das wär was."
Der Braune meinte so leichthin: „Ich werde Euch was sagen: bei uns gibt’s keine Schwierigkeiten! Da will unsere ganze Ortsgruppe nach Berlin. Und drei Berliner verpflegen wir, und Schlafgelegenheit ist auch vorhanden."
Jetzt wurde es unruhig im Raum. Karl ging raus und kam mit einer Flasche Seiter zurück. Trude sah eindringlich von einem zum andern.
„Ja, ja, ist sehr nett. Wenn das so ginge... "
„Warum soll’s denn nicht gehen?"
„Ich meine nur so... "
Karl zuckte ein paar mal die Achseln. Er goss sein Glas voll und trank Schluck für Schluck. Er machte den Eindruck, als hätte er schwere Bedenken. „Ist gut, der Vorschlag", sagte er dann, „wirklich sehr gut. Ein Auswechseln der Kräfte. Sehr gut. Aber es ist auf alle Fälle ein Experiment. Wir haben da keine Erfahrung drin."
Da polterte Theo los: „Unsinn. Quatsch! Was heißt denn Erfahrung? So müssten wir immer reden bei der Schaffung neuer Arbeitsmethoden Hier liegt doch alles klar auf der Hand. Trude hat uns da einen guten Vorschlag gemacht und gleichzeitig gezeigt, wie man ihn durchführen kann. Ich weiß genau, dass wir mindestens drei Genossen haben, die dafür in Frage kommen. Die Langendorfer werden wir schon unterbringen, das sind wirklich keine Schwierigkeiten. Jeder Genosse muss damit unbedingt einverstanden sein."
„Sind wir ja auch alle."
„Natürlich. Da kann doch keiner was dagegen haben."
„Und Du, Karl?"
„Was denn? Ich bin natürlich prinzipiell damit einverstanden,
weiß aber nicht, ob es prinzipiell richtig ist... " „Was redest Du heute nur für einen Unsinn?" „Ja, man merkt, es ist schon wieder sehr warm." An den Fenstern zeigten sich Gesichter. Erst vereinzelt, dann
immer mehr. Schließlich wurde an die Scheiben getrommelt und
gebrüllt:
„Los, der Stab soll rauskommen!"
„Wir verlangen auch von Euch Pünktlichkeit!"
„Na los, gehn wir."
Der Kleine, der aussah wie ein Bauer, tanzte um Trude herum, schlug sie klatschend auf den Hintern und lachte dabei.
„Dufte, Mädel. Du hast von mir direkt einen Kuss verdient. Ich komm mit, ich komm mit nach Berlin... "
„Na komm, gib mir einen!"
Jetzt traute sich der Kleine auf einmal nicht...
Rasch wurde draußen das Werbematerial verteilt. Immer in Gruppen zu vier Mann ging es los. Zu jeder Gruppe gehörte ein Langendorfer als Führer. Standen auf beiden Seiten der Straße Häuser, teilten sich die Gruppen wieder. Erich lief mit Theo. Sie hatten vorwiegend kleine Bauernhöfe zu bearbeiten.
„Guten Tag. Hier ist eine Broschüre, die Sie sicher interessieren wird: ,Das Bauernhilfsprogramm der KPD.' "
„Unser Herr ist nicht zu Hause. Ich kann nicht."
„Nu, dann kaufen Sie doch!"
„Och, lesen? Nee! Haben Sie nicht etwas, wo Bilder drin sind", sagte die große, starke Dienstmagd.
„Ja, natürlich. Hier haben Sie die ,AIZ.' Und kommen Sie heute um zwei Uhr auf den Marktplatz!"
„Was ist denn da los?"
„Versammlung und Demonstration."
„Tanz is woll nich?"
„Nee", sagte Theo lachend, „dazu sind wir nicht hergekommen, hübsches Fräulein."
Sie stießen überall auf Misstrauen. Ein alter Bauer schrie sie an:
„Raus hier! Raus hier! Ihr habt uns genug verraten mit Euren Notverordnungen, ihr Sozis!"
„Die sind wir doch gar nicht. Wir sind Kommunisten."
„Das ist doch alles dasselbe, die machen doch alles zusammen mit den Sozialdemokraten."
„Ach wo!"
Theo debattierte mindestens eine Viertelstunde mit dem Bauern, schließlich kaufte er eine Broschüre und versprach zum Marktplatz zu kommen.
In einem kleinen Häuschen kamen sie gleich vom Vorgarten in die Küche. Eine Frau rührte geschäftig im Kochtopf herum und rief: „Karl, komm doch mal her, die Kommunisten sind da." Karl kam in Filzpantoffeln, er lächelte und kaufte gleich eine Broschüre und ein Exemplar der „Jungen Garde".
Nach ungefähr zwei Stunden hatten die beiden alles verkauft bis auf eine Zeitung. Die bezahlte Theo aus seiner eigenen Tasche und schenkte sie einem jungen Melker.
Die Genossen waren schon alle zurück. Trude saß im Garten an einem Tisch und nahm das Geld in Empfang, neugierig standen die anderen um sie herum. Nach einer Weile sprang sie auf:
„Wir haben alles verkauft. Es ist viel zu wenig mitgenommen worden. 215 Broschüren, 50 ,AIZ' und 175 ,Junge Garden'. Die Stoßbrigade hat auch gut verkauft: 180 Broschüren, 30 ,AIZ' und 85 ,Junge Garden."
Die Genossen zerstreuten sich allmählich, froh über diesen schönen Erfolg
Trude rechnete weiter: „Wir haben einen Überschuss von 21 Mark. Also können wir der Ortsgruppe 20 Mark geben. Die eine Mark behalten wir für unsere Kasse."
„Schön!" sagten Theo und Karl gleichzeitig, dann schoben die drei untergefasst los.
Um ein Uhr trafen sich die Genossen zur Demonstration. In aller Eile waren große rote Transparente gemalt worden, für die Spitze des Zuges die Losung der russischen Bolschewiken: ,Alles Land den kleinen Bauern! Aufteilung der großen Güter, Kampfbündnis zwischen Stadt und Land!', für das Ende: ,Der Kommunismus will nicht den Reichtum abschaffen, sondern die Armut.'
Die Küstriner kamen mit Gesang anmarschiert, der Zug begann sich zu formieren. Eine riesige rote Fahne flatterte hoch über den Demonstranten, schloss sie zur Einheit zusammen.

„Links, links, links und links,
Die Trommeln werden gerührt.
Links, links, links und links.
Der rote Kreuzberg marschiert!"

Kurz hinter der Spitze des Zuges marschierte Erich. Er drückte Karls Arm.
„Du, das ist ein komisches Gefühl, das Marschieren."
„Ja, Erich, ein herrliches Gefühl."
Der Zug zog durch das ganze Dorf. Aus den Fenstern der Arbeiterwohnungen grüßten kernige Fäuste und Kinderhändchen. Immer mehr Menschen schlossen sich den Demonstrierenden an. Von vorn kam der braune Genosse gerannt und meinte: „Das hat Langendorf noch nicht gesehen!"
Hin und wieder im Chor ein Ruf:
„Nieder mit der Regierung Brüning!"
„Bauern aufgepasst! Junge Kommunisten sagen: Nur der Sozialismus kann Euch retten!"
Immer weiter. Die Sonne brannte, Staub wirbelte auf. Immer weiter: „Links, links, links und links...."
Plötzlich kam der Gendarm angerannt. Er stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor den Zug und schrie mit heiserer Stimme: „Halt! Halt! Die Demonstration ist nicht angemeldet! Halt! Halt!"
Jemand packte ihn unter den Armen und stellte ihn beiseite.
Weiter wogte der Zug. Der Gendarm staunte viel trauriger als sonst hing sein Bart nach unten. Sein Hund wedelte mit dem Schwanz, bellte und lief in eiligen Sprüngen neben dem Zug her Die Berliner und die Küstriner sangen abwechselnd.

„Wir sind die erste Reihe,
Wir gehen drauf und dran!
Wir sind die junge Garde,
Wir greifen, greifen an!"

Am Marktplatz machten die Demonstranten Halt. Viele Leute standen da, neugierig und unschlüssig. Zögernd kamen sie näher, scharten sich um den schnell aufgebauten Rednertisch. Aufgeregt kam der Braune gerannt: „Mensch, ich finde den Referenten doch nicht!"
„Der wird noch jarnich da sein!"
„Helft doch suchen!"
„Wir wissen ja nicht, wie er überhaupt aussieht."
„Ist es nicht der da mit dem Hut?"
„Wer? Der Pausbäckige da? — Das ist doch der Inspektor von dem Gut."
Unschlüssig standen sie eine Weile da. Die Leute brachten in großen Eimern Trinkwasser.
„Karl, Du musst sprechen!"
„Ich, Theo? Ich kann nicht, ich bin heiser..."
„Ach Gott, Du Schlappschwanz! Schön, dann gehe ich..."
Theo sprang auf den Tisch. Er begrüßte die Massen:
„Wir Jungkommunisten aus der Stadt begrüßen die Arbeiter, Bauern und Landarbeiter mit einem kräftigen Rot Front!"
Dreimal schallte der Kampfruf über den Platz. Dann sprach Theo weiter, erst stockend, dann immer lebhafter, seine Stimme wurde klarer. Er sprach über das Bauernhilfsprogramm der KPD., über Russland und den Sozialismus. Oft wurde er von erregten Zurufen unterbrochen. „Jawohl, schlagt endlich zu, wir machen mit!"
Auch der Gendarm hatte sich wieder eingefunden und kreiste in großem Bogen um die Menge.
Nach Theos Rede sprach der Braune in seiner harten, bäuerischen Sprache:
„...Jawohl, gerade bei uns in Langendorf kommt alle Wochen der Gerichtsvollzieher und holt manchem die letzte Kuh aus dem Stall. Die Sozialdemokraten haben Euch verraten. Ihr habt Hitler gewählt, Hitler hat Euch die Revolution versprochen, Hitler denkt heute nicht mehr daran. Hitler braucht keine Revolution zu machen, um den Faschismus einzuführen, denn was heute ist, das ist der brutale Faschismus. Schluss damit! Es gibt nur eins: Kampf, Kampf und nochmals Kampf! Der Kleinbauer gemeinsam mit dem Industriearbeiter, dem Erwerbslosen. Kein Kampf, kein Widerstand, das bedeutete noch mehr Elend, hieße Untergang in Barbarei!"
„Bravo, bravo!"
Lange noch, nachdem die ,Internationale' verklungen war, standen die Genossen in kleinen Gruppen mit der Bevölkerung zusammen und debattierten. Drei junge Landarbeiter füllten Aufnahmescheine für den Jugendverband aus.
„Die wollten schön lange kommen. Heute endlich kamen sie; War gut der Aufmarsch, sehr gut."
Als die Berliner abfuhren, war der Wagen von vielen Menschen umringt. Frau Schulze brachte Erich noch ein paar Stullen und einen großer. Strauß roter Nelken. „Und seh zu, dass Du den Otto Mirke triffst." ..
„Kommt bald wieder, Berliner!"
„Ja, aber feste. Hauptsache: Ihr lasst nicht nach, bei uns ist alles in Butter."
Drei Genossen aus Langendorf fuhren mit, der kleine Bauer mit der großen Tabakspfeife und noch zwei starke Burschen mit gebräunten Gesichtern.
Leise surrte der Motor, endlich sprang der Wagen an. Der Gendarm atmete auf und lief zum Telefon...

„Rot Front Genossen!" — „Rot Front! Rot Front!" Auf der Fahrt wurde wenig gesprochen. Der Bauer machte mit seinem Tabaksqualm die Bude blau und wurde ganz nach hinten geschoben. Erich hatte die Nelken hochgehangen. „War aber schon ziemlich alt, Deine Braut."
„Ja, aber wie sollte sie anders ihre Freude ausdrucken..."
Kurz hinter Kaulsdorf stand ein Radfahrer quer auf der Chaussee. Mit einem Ruck hielt der Wagen.
„Was ist denn los?"
„Seid Ihr KJ.?"
„Ja, warum denn?"
„An der Friedrichsfelder Brücke steht ein Überfall, die wollen Euch abfangen."
„So, dann fahren wir eben links über Karlshorst. Danke schön!"
„Rot Front, Genossen!" Der Radfahrer verschwand wieder.
Leise und vorsichtig schlichen um elf Uhr abends die dunklen Gestalten aus der Garage heraus. Die Straßen waren wenig belebt.
Erich lief mit Elly gemeinsam nach Hause. Vor ihrer Haustür blieben sie stehen, fest und warm sahen sie sich an. Er nahm ihre Hand. „Du, Du — Elly, ich muss Dir was sagen." — „Quatsch, ich weiß schon. Komm mit rauf, ich habe ein eigenes Zimmer." Erich liebte das Leben wieder.

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