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Ludwig Renn - Nachkrieg (1930)
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Als Gehilfe des Schlosskommandanten

Wenige Tage später war eine Tagung der Sicherheitstruppenführer und der Soldatenräte, wieder in dem schönen weißen Saal im Schloss. Schon bevor die Versammlungsleitung kam, war der Saal voller Zigarettenrauch. Ans Ende der Tafel setzte sich ein Mitglied des Arbeiterrats und gab einen Bericht über die Lage.
„Wer wünscht dazu das Wort?"
Eine Menge Hände fuhren in die Höhe.
„Kamerad Leistner!"
Leistner erhob sich. Ich wusste, er war ein Unabhängiger. Er war mittelgroß und rief mit mächtiger Stimme: „Kameraden! Man treibt in unerhörter Weise Schindluder mit uns! Man hat uns einen Major an die Spitze gesetzt, einen Inspekteur der Sicherheitstruppen! Er heißt Major von Cornelius!"
„Hört, hört!"
„Gestern ist er eingesetzt worden!"
„Woher weißt du das?" rief ein Kompanieführer.
„Ich frage euch, warum wisst ihr das nicht? Weil man mit euch Schindluder treibt! Weil man euch verheimlichen will, was gespielt wird! Wir sind eine Wahlführertruppe, aber der Major wird uns ohne Wahl vor die Nase gesetzt! Ja, man benachrichtigt uns nicht einmal! Das ist ein Bruch des Systems! Da werden bald noch mehr Offiziere erscheinen!"
„Der Genosse Krause soll antworten!" schrie einer. Etliche waren von den Stühlen aufgesprungen und brüllten durcheinander. Der so genannte Kettenschulze, ein kleiner aufgeregter Mensch, schrie: „Du willst uns gegen den Arbeiterrat hetzen! Begreifst du denn die Lage nicht? Die Reaktionäre versuchen alles, uns wegzudrücken. Und in diesem Augenblick spaltest du die Truppe in zwei Lager!"
„Du elender Friedensprediger!" schrie ihn einer an. „Willst wohl einen Posten ergattern, was, dass du die Betrüger verteidigst?"
Einige verhielten sich still bei dem Streit, auch ich, denn so schnell konnte ich mir nicht klar werden.
Allmählich wurde die Diskussion wieder etwas geordneter. Der Kettenschulze sprach endlos mit lauter solchen Redensarten wie: „Ihr kennt mich doch! Fragt in meiner Kompanie nach, aber ..."
Furchtbar ermüdend war dieses Geschrei. Wir waren doch lauter Kerle mit Bären stimmen, und viele suchten auch noch etwas Besonderes darin, recht wie Räuberhauptleute aufzutreten. So wurde fünf Stunden über diesen Punkt diskutiert. Schon mehrmals war Antrag auf Schluss der Debatte gestellt, aber entrüstet zurückgewiesen worden. Als jetzt der Versammlungsleiter erklärte, dass noch eine Menge Angelegenheiten unter „Organisatorisches" zu erledigen wären, wurde gerufen: „Weiter in der Tagesordnung!"
Erst als ich ganz dumm und mit Leibschmerzen vor Hunger auf die Straße kam, fiel mir ein, dass aus der ganzen Empörung über den Inspekteur Major von Cornelius nichts geworden war. Die Lage war unklarer als vorher.
Eines Tages, es war Mitte April 1919, saß ich in der Kompanieschreibstube und beriet mit dem Feldwebel den Wachtturnus. Da kam ein Läufer. „Renn sofort zum Bataillonsführer Falbel! Ganz eilig!"
Ich stülpte die Mütze auf und rannte hinüber. Ein Major stand auf dem Gang vor dem Geschäftszimmer und sagte: „Renn?"
„Jawohl."
„Wollen Sie ohne Seitengewehr mitfahren?" Er sah misstrauisch an mir herunter.
„Ich weiß nicht, wovon die Rede ist"
„Sie sollen ins Schloss. Das Auto wartet."
Ich wusste noch immer nicht, was das bedeutete, und ging schnell zu Falbel hinein. „Was soll ich im Schloss?"
„Ach, dort sind Schweinereien passiert. Einigen ist da nicht recht zu trauen. Du sollst Schlosskommandant werden."
„Schlosskommandant? Was ist denn das für ein Major dort draußen?"
„Der neue Inspekteur der Sicherheitstruppe."
„Das ist er? Der sieht aber gar nicht so gemein aus!"
„Natürlich hat das Kriegsministerium keinen solchen Schnauzer hergeschickt. Aber deshalb müssen wir gerade besonders vorsichtig sein. Du musst dort im Schloss auch aufpassen."
„Soll ich gleich mit dem Major fort? Was wird denn da aus meiner Kompanie?"
„Du behältst die Führerstelle und wirst nur abkommandiert."
Ich rannte in meine Stube und schnallte um. Wie eilig mussten sie es haben, dass sie mich mit dem Auto abholten. Der Major saß schon drin. Dann wippte es uns über das schlechte Pflaster zum Tore hinaus, und wir sausten die glatte Straße in die Stadt hinein. Vor dem mächtigen grauen Schloss hielten wir und stiegen aus.
Der Major ging voran in einen gewölbten Gang, dann ein paar Stufen hinauf in ein düsteres Zimmer mit merkwürdigen alten Möbeln. Einige Männer standen darin in Zivil, andere in Uniformen ohne Abzeichen. Einer telefonierte. Das war derselbe breite Mann, der mich in den Januartagen in den Marstall geschickt hatte.
„Das hier ist der Vizefeldwebel Renn, mein Gehilfe", sagte der Major. „Er hat Ihnen, der Politischen Polizei, natürlich nichts zu sagen. Aber ich bitte Sie, ihn zu unterstützen." Der breite Zivilist nickte ernsthaft, ohne den Mund zu öffnen. Ich sah mich nach den anderen um. Das waren also alles staatlich angestellte Spitzel?
„Kommen Sie jetzt mit zum Arbeiterrat!" sagte der Major und ging mit langen Schritten hinaus, durch Gänge mit Bildern von alten Fürsten in allerhand riesigen Mänteln. Eine schmale Wendeltreppe aus Stein führte auf einen weißen Gang. Er klopfte an eine schlichte Tür und öffnete. Drin standen zwei Männer an einem reich eingelegten Schreibtisch und wandten sich zu uns.
„Herr Lindner, ich möchte Ihnen meinen Gehilfen, den Vizefeldwebel Renn, vorstellen."
Der Arbeiterrat Lindner in braunem Anzug kam freundlich auf mich zu. „Ich weiß schon von Ihnen. Haben Sie Zeit? Ich möchte etwas eingehender mit Ihnen sprechen."
„Gut", sagte der Major. „Renn, nachher kommen Sie zu mir in die Inspektion der Sicherheitstruppe, eine Treppe tiefer!"
Nachdem der Major gegangen war, fragte Lindner mit lächelndem Gesicht: „Als was sind Sie hier hergekommen?"
„Mein Bataillonsführer sagte mir, als Schlosskommandant."
„Diese Bezeichnung ist bedenklich. Sie müssen wissen -und dazu habe ich Sie sprechen wollen -, hier sind merkwürdige Verhältnisse. Ihr Major mag ja ein ganz wohlwollender Mann sein, und sogar für einen älteren Offizier recht vernünftig, aber er versteht doch nicht so ganz, den richtigen Ton zu treffen. - Die wichtigste Person hier im Schloss ist der Genosse Schladitz. Der ist gleich zu Beginn der Revolution Schlosskommandant geworden. Wenn Sie sich jetzt als Schlosskommandant aufspielen, so würde er Ihnen sofort jede Tätigkeit unmöglich machen - er ist etwas leicht erregbar. - Ich werde Sie mit ihm bekannt machen. Wir haben Sie angefordert, um die Verteidigung hier zu organisieren. Der Genosse Schladitz kann nämlich nicht mit den Soldaten umgehen. Sie müssen sich ihm also mehr oder weniger unterordnen. Dabei unterstehen Sie aber auch dem Major. Da kann es kommen, dass Sie nicht wissen, was Sie tun sollen. Kommen Sie dann zu mir. Ich kann als Vorsitzender des Arbeiterrats einen Druck auf den Major ausüben. - Wir gehen jetzt zum Genossen Schladitz."
Er öffnete eine Tür in der Wand, die ich noch nicht bemerkt hatte. Eine eiserne Wendeltreppe führte nach unten in einen großen leeren Raum. Ein riesiges Bild hing an der Wand mit einem furchtbar dicken Fürsten, in der feierlich erhobenen Hand einen Marschallstab. Wieder ging es durch Gänge und über Treppen.
Er klopfte an eine Tür und trat ein. Ich sah einen Mann von hinten, der eilig sein Tischfach zuschob. Vor ihm lag ein Revolver. In der Tür zum Nebenzimmer lehnte ein anderer und lachte uns an. Der Mann am Schreibtisch fuhr herum. „Ich habe wieder ein paar solche Dinger!" Er deutete auf den Revolver. „Meine Sammlung ist schon ziemlich groß!" Seine Augen zuckten nervös hinter den scharfen
Klemmergläsern. Mich streifte er misstrauisch mit einem Blick.
„Das hier ist der Renn. Er soll dir, Genosse Schladitz, helfen. Er ist uns als zuverlässig bekannt."
Worin zuverlässig? fragte ich mich. Das sieht ja hier aus wie eine Verbrecherbude. Das wohlwollende Lächeln des Arbeiterrates gefiel mir auch nicht mehr.
Schladitz sah an mir vorbei und entgegnete heftig: „Wozu brauche ich einen Gehilfen? Der hat doch keine Ahnung! Ich bin hier seit dem November, und habe ich euch nicht immer benachrichtigt, wenn die Kommunisten kamen?"
„Ja, aber du weißt selbst: wie der Minister in die Elbe geworfen wurde, warst du unterwegs. Und er hätte gerettet werden können, wenn jemand hier gewesen wäre, der wusste, wo die Maschinengewehre standen!"
„Ja, nur eine Minute fehlte! Ich war am Kriegsministerium, wie sie es stürmten! Ich bin überall, wo was los ist! Ich hierher gerannt! Türen aufgeschlossen! Hinauf! Aber wie ich oben am Maschinengewehr stehe - ist er schon im Wasser! Unten alles schwarz von Menschen. - Wir sind hier auf dem Damm! Das nächste Mal gibt's das nicht wieder! Da wird hineingefunkt!"
Lindner unterbrach ihn: „Du zeigst ihm, wo die Maschinengewehre stehen! Ich habe zu tun."
Ich verabredete mit Schladitz, dass er mich am Nachmittag durchs Schloss führte.
Jetzt ging ich zur Inspektion der Sicherheitstruppe. Dabei verlief ich mich ein paar Mal in den unübersichtlichen Gängen und Treppen.
Das Geschäftszimmer des Majors war ein hoher weißer Raum mit goldenen Zierleisten an den Wänden. Zwei Schreiber saßen darin. „Bist du der Neue hier im Schloss?" fragte der eine, ein blasser Kerl mit einem albernen Lachen.
„Ja. - Kann ich Herrn Major sprechen?"
„Nein. Der schläft jetzt. - Der schläft nämlich hier nebenan auf der Chaiselongue. Bett gibt's nicht!" Er lachte wieder albern.
„Sagt mal, wo esst ihr denn hier?"
„Wir gehen in die Kaserne, wenn unsere Geschäftszeit um ist."
Ich hatte Hunger. Ob es für mich eine Geschäftszeit gab, wusste ich nicht. Daher ging ich in eine Kneipe nebenan und aß verstimmt Knödel in einer rostbraunen Soße.
Als ich wieder ins Schloss wollte, hielt mich der Posten an. Er war von der Sicherheitstruppe.
„Ich bin der Gehilfe des Inspekteurs der Sicherheitstruppe", sagte ich.
Er wollte einen Ausweis sehen.
„Die Politische Polizei kennt mich."
„Ich weiß nichts von Politischer Polizei."
„Dann rufe einen von der Wache, dass er mich zur Inspektion der Sicherheitstruppe bringt!"
Jetzt endlich kam ich hinein. Der Major hatte keine Zeit für mich und ließ mir sagen, ich sollte zum Beauftragten der Kommandantur, Hamann, gehen. Der hätte schon lange ausziehen müssen. In seine Stube sollte ich ziehen.
Hamann wohnte Schladitz gegenüber. Auf mein Klopfen kam ein noch junger Mann heraus und stellte sich vor die Tür, dass ich dachte: Entweder hat er ein Mädel da, oder er hat sonst was zu verbergen.
„Das geht nicht", sagte er. „Der Major kann mich nicht einfach hinausschmeißen! - Sage mal", er flüsterte mir das zu, „weißt du vielleicht, ob er das mit dem Oberhofmarschall besprochen hat?"
„Ich habe nicht einmal gewusst, dass es hier noch einen Oberhofmarschall gibt."
„So? Siehst du, man muss hier auf seiner Hut sein! Es ist natürlich, dass der Major von Cornelius mit dem Oberhofmarschall Exzellenz von Borsig in Verbindung steht, und auch, dass die Exzellenz uns alle hier heraushaben will. Aber du darfst dich nicht zu ihren reaktionären Schiebungen missbrauchen lassen!" Er lachte mich an.
„Ich werde Herrn Schladitz fragen, wo ich unterkommen kann", sagte ich und ging zu dessen Tür. Aber da fiel mir ein: Wenn ich jetzt den Schladitz bitte - hier ist doch jeder gegen den andern -, dann habe ich vielleicht Schwierigkeiten mit dem Major. Sie wagen nicht, einander offen anzugreifen, sondern benutzten mich dazu! Da haben sie mir ja eine hübsche Stellung zugedacht! Aber was mache ich? -Wenn ich den Schladitz nicht unmittelbar wissen lasse, dass ich eine Unterkunft brauche, sondern gelegentlich bei einem Gespräch? Nein, ich hatte ein zu großes Misstrauen gegen diesen Menschen. Mochte der Major für meine Unterkunft sorgen!
Um drei klopfte ich bei Schladitz.
„Ich komme gleich!" rief er aufgeregt. Dann trat er aus der Tür und fuhr wild in seinen Lodenmantel. „Die Kommunisten sind im Anmarsch von Pirna! Ich muss sofort mit dem Auto ihnen entgegen, sehen, wohin sie sich wenden! Und ihr wisst wieder nichts, was? Lasst euch begraben mit eurem Major!"
Den Gang entlang kam ein Mann, dick durch seinen schmutzigen Schafspelz. Schladitz schoss auf ihn zu und wandte sich stolz an mich: „Auf diesen alten Sack hier kann man sich noch verlassen! - Hast du das kleine Auto unten? - Also dann los, den Kommunisten entgegen! Solange wir hier sind, kommen sie nicht ins Schloss!" Er redete wie auf dem Theater.
Ich lief zu der Inspektion und meldete den Anmarsch der Kommunisten. Der Major suchte aufgeregt nach seinem Hauptschlüssel und befahl mir, die Grenzschutzkompanie, die in einem Hause gegenüber läge, zu benachrichtigen.
Was? Grenzschutz liegt schon in der Stadt? Und heimlich hat man ihn hergezogen? Mal sehen, wie viel schon hier liegen. Das muss ich dem Falbel sofort mitteilen!
Ich rannte zum Schloss hinaus und öffnete die Tür des bezeichneten Hauses gegenüber. Hinter der Tür stand ein Soldat im Stahlhelm.
„Ich möchte euren Kompanieführer sprechen!" sagte ich barsch, denn ich konnte meine Wut nicht ganz verbergen.
Er sah misstrauisch auf meine rot-weiße Binde.
„Wichtige Mitteilung von Herrn Major von Cornelius!" schrie ich ihn an.
Da wurde er gleich nachgiebig und sagte: „Zwei Treppen! Dort müssen Sie fragen, Herr Feldwebel."
Ich lief die ausgetretene Treppe hinauf. Oben auf einem breiten Gang standen Soldaten umher. Die zeigten mir die Tür, an die ich klopfen sollte. Eine Klinke war nicht daran. Jemand öffnete von innen. Auf Stroh lagen am Boden zwei
Leutnants. Der eine von ihnen schrieb auf seinen Knien. Möbel gab es nicht im Raum. Natürlich, wer so heimlich ankommt, kann nicht schön untergebracht werden.
Ich meldete. Der Schreibende stand auf. „Ich komme gleich mit."
Der Posten der Sicherheitstruppe am Schlosstor, der mich vorhin nicht hatte einlassen wollen, ließ den Oberleutnant ohne weiteres durch. Soweit waren wir schon wieder?
Der Major schickte mich weiter zur Politischen Polizei und zur Bereitschaft der Sicherheitstruppe. Die lag in einem Saal mit reicher Stuckdecke. Gegen zweihundert Mann Sicherheitstruppe lagen hier in Bereitschaft und noch etwa ebensoviel vom Grenzschutz.
Als ich zurückkam, traf ich den Schladitz mit fliegendem Mantel. „Es war nichts!" rief er. „Wir können jetzt durch das Schloss gehen."
Er führte mich durch Gänge und Säle, treppauf, treppab. Hier musste es mindestens zehn Treppen geben, von der breiten Paradetreppe bis zu den engen Wendeltreppen.
Wir überquerten einen der Höfe des Schlosses und traten in eine kleine Tür. Links wand sich eine enge Steintreppe hinauf. Geradeaus verlor sich der Gang im Dunkel. Dort ging er voraus. Rechts schienen Dienerwohnungen zu sein. Wir kamen an ein eisernes Gitter, hinter dem eine Treppe hinabführte. Er schaltete das Licht ein, schloss die Gittertür auf und verschloss sie wieder hinter uns. Wir stiegen hinunter. Ich hörte ein Rollen über uns.
„Wir sind unter der Straße."
Es ging wieder hinauf. Eine neue Gittertür, und wir traten in eine helle Glashalle.
„Hier ist der ehemalige Turnierhof. Der hat zwei Ausgänge, durch die können wir unerwartet dort drüben auf dem Platz erscheinen, ohne überhaupt eine Straße zu berühren und gesehen zu werden. Natürlich können wir auch von dorther Verstärkungen ins Schloss bringen. Aber dazu haben wir noch bessere Wege! - Wir gehen jetzt wieder zurück."
Als wir die andere Gittertür hinter uns hatten, wandte er sich links um ins Dunkle und schaltete dort Licht ein. Vor uns versperrte eine schwarze Eisentür den Weg, neben der dicke Rohre aus der Wand quollen. Er schloss die Eisentür auf. Dahinter war wieder eine Treppe, von der eine Treibhauswärme nach oben schlug. Wir stiegen da hinunter. Es wurde noch wärmer. Auf dem Gang vor uns brannten weithin elektrische Birnen. Rechts hinter einem Gitter liefen elektrische Kabel, links die dicken Heizrohre.
Der Gang war übermannshoch und so breit, dass man darin bequem ein schweres Maschinengewehr tragen konnte. Als wir ein Stück gegangen waren, zweigte links ein Gang nach der Schlosskirche ab. Dann kam links eine vermauerte Tür.
„Hier und an anderen Stellen waren Ausgänge nach der Straße. Da sind manchmal welche von außen hereingekommen, nachdem sie die Eisendeckel ausgehoben hatten. - Im vorigen Jahre, als das alte Regiment wacklig wurde, hat die Regierung die Straßeneingänge vermauern lassen. Wir müssen auch aufpassen, dass die Kommunisten nicht hier hereinkommen! Aber auch den Grenzschutz lasse ich nicht herein! Die sollen erst mal den Schlüssel finden! Diese Reaktionäre haben sich schon wieder herangeschmuggelt! Und ihr von der Sicherheitstruppe merkt nichts davon! Ihr seid blind!"
„Wir sind blind, ja, und warum? Sie, Genosse Schladitz, wissen, dass hier heimlich Grenzschutz herangezogen worden ist! Und der Vorsitzende des Arbeiterrats weiß es sicher auch! Aber ihr verheimlicht es vor uns! - Ich bin allerdings jetzt bald der Meinung, dass wir einen Spitzeldienst gegen euch einrichten müssten!"
„Ich weiß alles!" lachte er böse und schritt hastig weiter. „Ich weiß alles! Das muss man eben können! Ich bin überall, wo es einen Auflauf gibt, aber ihr schlaft! Ihr wollt eure Ruhe haben!" Er prahlte wieder mit seiner Findigkeit.
Er zeigte mir noch den Gang nach dem Landtag und dem Polizeipräsidium. Dann gingen wir zurück.
Bei der Inspektion der Sicherheitstruppe ließ mich der Major in sein Zimmer kommen. „Wo waren Sie jetzt?"
„Herr Schladitz hat mir das Schloss und die unterirdischen Gänge gezeigt."
„Ach ja, das ist gut. Können Sie eine Skizze davon entwerfen? Ich komme ja zu nichts! Und der Schladitz hat nie für mich Zeit!"
So? dachte ich. Dir zeigt er die Gänge auch nicht? Und du denkst wohl, ich werde für dich und den Grenzschutz spitzeln?
„Wie steht es mit dem Volksbeauftragten Hamann?" fragte er.
Ich berichtete es ihm.
„So? Das Oberhofmarschallamt legt aber den größten Wert darauf, dass er die Stube räumt Es sind wertvolle Teppiche weggekommen, und man kann nichts feststellen, solange hier alle möglichen unkontrollierbaren Leute wohnen!"
„Wo soll ich übernachten, Herr Major?"
„Gehen Sie doch mal zum Oberhofmarschallamt. Sagen Sie dort einen Gruß von mir, und ich wäre Seiner Exzellenz sehr dankbar, wenn sie eine Unterkunft für meinen Gehilfen fände."
Das Oberhofmarschallamt lag in einem andern Hof zu ebner Erde. Zwei Herren kamen heraus, ein alter mit langem Gesicht, der mich gleichgültig ansah, und einer mit einem verkniffenen Beamtenmund. Der knurrte mich an: „Was wollen Sie hier?"
Ich brachte die Worte des Majors so höflich wie möglich heraus.
„Da sehen Exzellenz selbst", sagte der Beamte, „Herr Major von Cornelius möchte immer noch neue Räume des Schlosses belegen. So werden noch alle Gastzimmer heruntergewirtschaftet!"
„Es wird wohl seinen Grund haben, Herr Rechnungsrat", sagte Exzellenz nachlässig. „Ich muss mich jetzt verabschieden."
Mit leichter Neigung des Kopfes gab er dem andern die Hand.
Der fragte mich gereizt: „Wer sind Sie eigentlich?" „Ich bin hierher kommandiert als Gehilfe für Herrn Major."
„Haben Sie einen Ausweis?" „Ich habe noch keinen."
„Na, das ist natürlich unerlässlich! Sie können ja bei einer der Wachen Ihrer Truppe schlafen!" Damit ging er zum Tor hinaus. In mir kochte es. Der sollte erst mal mehrere Nächte hintereinander auf einer Wache schlafen, immer hart, immer im Zigarettenrauch, und alle zwei Stunden durch die Ablösung geweckt!
Ich ging wieder zum Major. Jetzt wurde auch er wütend und entlud es auf mich. Ich schlug ihm vor, dass ich diese Nacht noch einmal in der Kaserne schliefe. Ich wollte auch bei der Gelegenheit mit Falbel sprechen.
„Gut. Haben Sie Zivil?"
Jawohl, aber von 1913, bevor ich zum Militär kam. Das ist nicht mehr gut."
„Das ist gleich. Kommen Sie morgen in Zivil, bringen Sie aber auch die Uniform mit!"
Jemand polterte ins Nebenzimmer. „Ist Herr Major da?" schrie Schladitz und kam schon mit zuckenden Augen und Armen herein. „Wir haben ganz sichere Nachricht: mehrere hundert Kommunisten mit Maschinengewehren sammeln sich im Großen Garten. Wir fahren sofort mit dem Auto hin!" Er lief schon wieder hinaus.
„Herrgott!" rief der Major. „Und jetzt sind die Schreiber nicht mehr da! - Rennen Sie zu allen Wachen der Schlossverteidigung: Schlosswache, Schlossbereitschaft, Grenzschutzstoßkompanie, Landtagswache, und ordnen Sie in meinem Namen an: Erstens erhöhte Bereitschaft! Zweitens Aufstellen von Alarmposten neben den Dauerposten an den Haupteingängen! Drittens Einteilen von Stoßtrupps mit Handgranaten und Probealarm mit diesen Stoßtrupps! Ich benachrichtige unterdessen Kommandantur, Rathaus und Panzerautos!"
Ich rannte durch die Gänge, die Treppen hinunter. Der Schlosswachthabende wusste vor Schreck nicht was er tun sollte. Ich versprach ihm, wiederzukommen und ihm dann zu helfen.
Beim Grenzschutz erschraken die Offiziere bei der Nachricht Die Mannschaften hatten gerade zum ersten Mal Ausgang, nachdem sie heimlich herangezogen worden waren. Ein Teil konnte noch von der Straße zurückgeholt werden. Die Offiziere schrieen durcheinander. Die Mannschaften schwirrten umher, schnallten Koppel um, empfingen Handgranaten. Einige waren bei der Nachricht kreideweiß geworden.
Ich rannte weiter nach dem Landtag. Das Tor war schon geschlossen. Ich klingelte. Langsam kam der Pförtner und fragte durch das Gitter, was ich wollte. Ich teilte es ihm hastig mit.
„Ich kenne Sie nicht", sagte er ruhig. „Sie müssen schon warten, bis ich die Wache benachrichtigt habe." Er schloss das Guckfenster. Ich stand draußen, heiß vom Rennen und der Aufregung. Es war Dämmerung. Die Gebäude sahen schon sehr dunkel aus. Jetzt kamen innen Schritte. Das Guckfenster wurde geöffnet. „Die Spartakisten kommen?" fragte eine erschrockene Stimme.
„Ja. Ich habe Befehl vom Inspekteur der Sicherheitstruppe." Ich sagte das so feierlich, weil ich annahm, dass ich schneller hineinkäme. Die Tür öffnete sich auch gleich. Ich rannte mit dem Wachthabenden nach der Wachtstube und erklärte ihm: „Du stellst einen Posten ans Haupttor! -Wieviel Maschinengewehre habt ihr?"
„Zwei Stück."
„Und wie viel ausgebildete Schützen?" „Das muss ich erst feststellen." Auch ein Wachthabender!
Ich zeigte ihnen alles und rannte dann fort. Draußen kam um die Schlosskirche ein dickes Auto gepoltert mit merkwürdig großen Lichtaugen, eins unserer Panzerautos. Ich rannte weiter und stürzte zum dunkeln Schlosstor hinein, von dem nur die kleine Pforte halb offen stand. Da bekam ich einen Schlag vor die Brust. Zwei zerrten an mir herum.
„Lasst mich los! Kennt ihr mich nicht?"
„Das wäre bald ins Ooge gegangen!" lachten sie.
Ich lief weiter durch die Gänge, über Treppen zur Schlossbereitschaft. Dort war ein Sicherheitskompanieführer, den ich kannte. Er hörte ruhig zu und gab dann sofort Anweisungen. Endlich mal ein richtiger Führer! Auf der Schlosswache traf ich den Major und meldete ihm.
„Ich bleibe hier", sagte er. „Gehn Sie in den Landtag und übernehmen Sie dort das Kommando!"
Ich ging auf die Straße hinaus und fühlte auf einmal eine Schwäche. War es das Umherlaufen den ganzen Tag und die dauernde Spannung? Zwischen all diesen Menschen zu leben war ja kein Genuss. - Ich hatte auch den ganzen Tag noch nichts gegessen als die zwei Knödel in brauner Soße, während mein Brot in der Kaserne trocken wurde. Das Herz schlug mir heftig, und ich schwitzte vor Schwäche.
Auf der Landtagswache setzte ich mich still an den Tisch. Die Freiwilligen um mich freuten sich auf einen Kampf mit den Kommunisten. Mir machte das nur das Herz schwerer. Die Freiwilligen hier sind ja nur geschobene Puppen. Erbittert blies ich den Zigarettenrauch von mir und ging in meiner Erregung in die dunkle Vorhalle, wo jetzt rechts und links Maschinengewehre standen. Wenn man wenigstens einen einzigen Bundesgenossen hätte! Auch der Schreiber von meiner Kompanie - soviel er auch einsah - war doch vergiftet von den sozialdemokratischen Vorurteilen und glaubte an ihre Nebelschlösser, von denen sie täglich in ihrer Zeitung schrieben.
Meine Wut nahm noch zu, weil ich fühlte, wie ohnmächtig ich war. Ich begriff einiges noch nicht. Wie sollte ich auch, wo ich mich bis dahin nie um Politik gekümmert hatte?
Ich ging wieder in die Wachtstube und rauchte. Jetzt überwog bei mir der Hunger. Übrigens mussten jetzt doch auch die Kommunisten da sein, wenn sie überhaupt kamen.
Endlich nach Mitternacht kam ein Bote. „Du sollst zum Major kommen."
„Was ist mit den Kommunisten?"
„Ach, was der verrückte Kerl ist, der so genannte Schlosskommandant, der sagte, die hätten sich wieder zerstreut, aber ohne ihre Maschinengewehre. Das soll erst einer glauben!"
Den Major traf ich in seinem Geschäftszimmer. Er saß und schrieb. Warum schrieb er noch jetzt nach Mitternacht? Sein schmales Gesicht sah blass und ruhelos aus. Der ist persönlich nicht schlecht, dachte ich unwillkürlich. Vielleicht weiß er nicht einmal, was er für eine Rolle spielt.
Er wendete seinen Kopf zu mir und fragte: „Wo werden Sie nun schlafen?"
„Bei der Schlossbereitschaft."
„Gute Nacht", sagte er leise und lächelte. „Morgen haben wir viel zu tun."
Ich ging ganz langsam durch die spärlich beleuchteten Gänge und sah die Fürsten in ihren Prunkgewändern auf mich herabschauen. Was für ein sonderbarer Tag und was für sonderbare Verhältnisse!
Der Kopf war mir schwer. Im matt erleuchteten Bereitschaftssaal schnarchten sie. Das Stroh knisterte. Ich zog mir nur die Stiefel und den Rock aus und legte mich an eine leere Stelle, wo allerdings wenig Stroh war. Ich schlief traumlos, nur mit einem Gefühl von Unruhe um mich her. Beim Aufwachen hatte ich eine unangenehme Empfindung, Hunger war es.
Auf dem Hof stand das kleine Schlossauto, von dem Schladitz und sein Freund im Schafspelz Maschinengewehre abluden.
„Wir haben sie!" rief Schladitz und machte eine großartige Handbewegung. „Die Dinger hatten sie im Park eingegraben! Aber wir haben sie gefunden!"
Ich sah die Waffen mit einem gewissen technischen Bedauern an, ob nicht Erde in die Rückstoßverstärker oder sonst wo hineingekommen wäre. Man müsste sie gleich putzen, damit sie nicht rosteten. Aber wo ich auch hinsah, es war nicht ein Sandkorn zu sehen. Ich betrachtete mir das Gesicht von Schladitz genauer. Dem war ja jede Art von Betrug zuzutrauen. Wo hatte er aber die Dinger her? Ich wusste, er hatte ein heimliches Waffenlager am großen Schlachthof. Vielleicht waren sie von dort. Aber warum machte er solche Flausen? Wollte er damit beweisen, dass er unentbehrlich wäre? Hatte er vielleicht die Teppiche, von denen das Oberhofmarschallamt sprach, mit verschieben helfen und fürchtete, dass das einmal aufgedeckt würde? - Unterdessen schwatzte er allerhand Zeug über die Gefahren, die ihn bei seiner Tätigkeit stündlich umlauerten. Aber mir war jetzt das Wichtigste, etwas zu essen, und ich ging zu der Inspektion, um zu fragen, ob sie jetzt Dienst für mich hätten.
„Du sollst hier warten, bis der Major wiederkommt", sagte der eine Schreiber. - Ich setzte mich und wartete mit steigender Ungeduld. Lächerlich, sich über so ein bisschen Hunger so aufzuregen! Aber dieses nutzlose Warten brachte mich schon wieder in eine gereizte Stimmung.
Nach über drei Stunden kam der Major. Ich hatte mir alles mögliche ausgedacht, was ich ihm ins Gesicht spucken wollte, aber als er vor mir stand, hatte ich nur noch das Interesse fortzukommen, und sagte ihm nur, dass ich nach der Kaserne wollte, meine Sachen holen. Er hörte kaum darauf und nickte unaufmerksam. Wozu hatte er mich also drei Stunden warten lassen?
Wütend ging ich auf die Straße und stieg auf die Elektrische. Das kam von dem verfluchten Drill beim Militär, dass man so einem Krautkopf nicht die Wahrheit sagen konnte! Und schon als Kind haben sie einen eingefuchst auf Gehorsam und Liebe gegen die Eltern und Pastor und Lehrer! Das ist doch eine komische Liebe, die einen dumm macht! Man muss dieses eingebläute Gefühl zerstören! Dabei sind die Leute von gestern eben wieder im Begriff, diese Autorität neu aufzurichten.
In der Kaserne ging ich sofort zu Falbel. Ich wollte ihm sagen, was im Schloss los ist Hier musste man kämpfen!
„Der Falbel ist zum großen Soldatenrat", sagte der Bataillonsschreiber.
Ich ging zur Kompanie und sagte, dass man mir das Verpflegungsgeld auszahlen sollte, weil ich nicht zum Essen in die Kaserne kommen könnte. Dabei fiel mir ein, dass ich in meiner neuen Stellung neben allem Ärger auch noch Geld würde drauflegen müssen, denn mit dem Verpflegungsgeld konnte ich doch nicht in der Mohrenschänke auskommen! So zerfloss meine Wut und mein Wille zum Kampf in Verpflegungsgeld und anderem Dreck. Man kam nicht weiter hier. Der eine war zu schlapp, der andere ein Schieber, der dritte war nicht da.
Ich fuhr in Zivil ins Schloss. Der Major gab mir den Auftrag, die Verteidigungsmöglichkeiten des Landtagsgebäudes zu erkunden. In den nächsten Tagen sollte das ganze Kriegsministerium ins Schloss ziehen mit dem neuen sozialdemokratischen Kriegsminister Kirchhof, mit allen Offizieren und Schreibern. Und für die sollte ich die Bewachung
organisieren. Das ging mir sehr gegen den Strich. Aber ich wusste auch nicht, was ich machen sollte.
Ich ging in meinem ziemlich ruppigen Zivil ins Landtagsgebäude. Der Pförtner kannte mich ja schon und ließ mich ein. Im ersten Stock wollte ich feststellen, ob es dort ein geeignetes Fenster gäbe, um mit einem Maschinengewehr eine der Straßen entlang zu schießen. Ein Landtagsdiener betrachtete mich prüfend. - Dort hinten rechts schien es zu gehen. Ich trat dort in die Nische und warf einen Blick durchs Fenster. Sehr gut - ich sah mich um -, man konnte ein Maschinengewehr nicht fest auflegen.
„Was tun Sie hier?" Der Diener fasste mich am Arm.
„Hier ist mein Ausweis."
„Sie haben spioniert! Den Ausweis kann ich nicht prüfen! - Kommen Sie mit!"
Ich ließ mich abführen. Wie im Verbrecherfilm! dachte ich und musste lachen.
Der Diener sah mich empört an. „Sie scheinen mir ja ein ganz Ausgekochter zu sein!"
Er stieß mich in eine Tür hinein. Darin saß hinter einem Schreibtisch ein Herr mit Hornbrille.
„Dieser Mann hier ist der Spionage höchst verdächtig, Herr Direktor." Und er erzählte, wie ich überall herumgeschnüffelt hätte und schließlich ans Fenster getreten wäre, um wahrscheinlich meinen Spießgesellen ein Zeichen zu geben.
Der Herr am Schreibtisch zeigte merkwürdig wenig Aufregung.
Ich legte ihm meinen Ausweis hin. „Sie können sich durch ein Telefongespräch mit Herrn Major von Cornelius von der Richtigkeit überzeugen."
„Dessen bedarf es nicht. Aber es wäre klüger gewesen, vorher zu mir zu kommen. Es ist mir nur lieb, wenn der Landtag in die Schlossverteidigung mit einbezogen wird. -Sagen Sie auch Herrn Major, dass ich für die Neueröffnung des Landtags Unruhen befürchte. Er möchte mir etwa fünfzig Mann dazu stellen, die wir auf die Gänge und Tribünen verteilen - natürlich in Zivil. Revolver in der Tasche genügt."
Kaum war ich vom Landtag zurück, sollte ich mit Schladitz zwei neue Maschinengewehre aufstellen. Wieder ging es bis spät in die Nacht. Heute hatte ich aber ein Zimmer mit einem großen, breiten Bett. Nur kalt war es im Raum. Erst am Morgen bemerkte ich, woher das kam. Es war halbdunkel, durch einen niedrigen Bogengang, der davorlag und nie einen Strahl Sonne hereinließ. Selbst in den Bogengang kam nur zu Mittag ein dünner Streifen. Mich fröstelte. Das war wie in einem Gefängnis. Draußen begann der Frühling, und hier in den mittelalterlichen Räumen war ewiger Winter. Aber ich kam auch nicht dazu, viel in dem Zimmer zu sitzen.
Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht wurde ich von einer Stelle zur andern gerufen. Ein schlanker Kavallerieoffizier mit Monokel wollte wissen, wo die Abteilung IIIb des Kriegsministeriums hinkäme.
„Das weiß ich nicht, Herr Oberleutnant. Vielleicht verteilt das Oberhofmarschallamt die Räume."
Ein Hauptmann kam dazu und sah verächtlich auf meine rot-weiße Binde. Zuerst schien er etwas sagen zu wollen, aber dann ging er hochmütig weiter.
Der Schlossportier kam zu mir. „Unten am Tor warten Maurer. Die sollen vom Herrn Major bestellt sein."
„Ja, sie sollen den Durchgang vom Schloss zur Schlosskirche vermauern." Dazu musste ich den Major benachrichtigen. Dann holte ich Schladitz, weil der einen Hauptschlüssel hatte, der überall schloss. Nun endlich setzte sich unsere Kolonne in Bewegung, vorn der Major mit Schladitz, dahinter die Maurer und ich. Wir konnten nicht den nächsten Weg gehen, um nicht die Teppiche und das Parkett mit unsern schweren Stiefeln zu beschädigen. Es ging also über Nebentreppen und durch Gänge, in denen ich noch nicht gewesen war. Die Maurer staunten die unendlichen Bilder von Fürsten und Erzbischöfen an den Wänden an. Der Durchgang zur Kirche, der sich über eine Straße wegwölbte, ging von einem Zimmer aus, in dem Möbel mit geschwungenen Beinen standen. Die Teppiche wurden zusammengerollt, denn die Maurer mussten mit ihren Ziegeln und ihren Eimern da durch. Die dünne Ziegelmauer wurde auf der Kirchenseite eingezogen. Aber wir trauten ihrer Stärke noch nicht, und ich bekam den Auftrag, einen Spanischen Reiter zu bestellen, das heißt ein Holzgestell, mit Stacheldraht umspannt, das genau in den Gang passte. Wir hatten sowieso bei den Pionieren Spanische Reiter zu bestellen. Die sollten in den Schlosshöfen für jeden Fall bereitliegen.
Das Lastauto, das die Spanischen Reiter und eine große Last Stacheldrahtrollen brachte, fuhr in den Schlosshof herein. Da kam der Rechnungsrat aus dem Oberhofmarschallamt herausgestürzt und schnauzte: „Das geht doch nicht! Der Hof ist mit Sandsteinplatten belegt Den Druck eines so schweren Autos halten die nicht aus! - Sehen Sie, da sind schon zwei Platten zerbrochen! Wer soll das bezahlen? Ich habe kein Geld dafür, wo Sie schon das ganze Schloss verwüsten !"
Immer mehr Maschinengewehre wurden aufgebaut. Jede der Außenmauern konnte von einer vorspringenden Ecke flankiert werden. Über die Tore wurden Posten gestellt. Die sollten bei einem Sturm den Angreifern Handgranaten auf die Köpfe fallen lassen. Das Schloss lagerte sich um eine Reihe von Höfen, und jeder der Durchgänge war wieder zur Verteidigung eingerichtet. Wenn Angreifer zum Haupttor hereinkämen, befanden sie sich vor einem unsichtbaren Gegner. Gegenüber im ersten Stock hinter einem dünnen Vorhang standen auf Tischen zwei Maschinengewehre. Die waren dauernd besetzt Sie brauchten nicht einmal den Vorhang wegzuziehen und die Fenster aufzumachen, denn von dem düstern Raum aus konnte man alles auf dem hellen Hofe unten sehen. Meine Aufgabe war es, die Posten einzuweisen und zu kontrollieren. Ich hatte auch die Straßen und Plätze der Umgebung zu erkunden. Von der Bevölkerung wusste sicher niemand, wo wir überall vorgeschobene Posten und Maschinengewehre stehen hatten. Im Altertumsmuseum stand eins hinter einer silbernen Prachtrüstung. An manchen Tagen gingen Hunderte von Besuchern daran vorbei, ohne zu ahnen, dass hinter dem Vorhang ein schweres Maschinengewehr und ein Berg Munitionskästen standen. In staatlichen Büroräumen, auf Türmen, überall, wo man weithin Straßen entlangsehen konnte, standen Maschinengewehre oder waren Stellungen für sie erkundet Dreißig Stück waren eingebaut, und weitere dreißig hatten wir in Bereitschaft. Täglich, wenn die neuen Wachen aufzogen, musste ich sie einweisen und Probealarm machen.
Ein Schlossdiener kam gelaufen. „Im Quartier der Herzogin von Parma sind Stücke der seidenen Wandbespannung herausgeschnitten!" Ich rannte dorthin. Es handelte sich um eine Flucht leerstehender Zimmer. Ein Raum stand offen. Wer hatte vergessen, ihn zuzuschließen? Aus der roten Seidenbespannung war ein Stück herausgeschnitten, in Größe einer Aktentasche. Ich betastete die Bespannung. Das Zeug hielt so wenig, dass es der Abschneider nicht einmal verwenden konnte. Der Diener klagte und regte sich auf. Die riesige Wandbespannung, wohl vier Meter hoch und sieben lang, war hin! Flicken konnte man sie nicht, weil das Rot schon etwas verschossen war.
Bei einem Kontrollgang fand ich unser Munitionsdepot offen. Ich zählte sofort die Armeerevolver durch. Dreiundzwanzig Stück fehlten. Wer konnte sie haben? Ich traute dem Grenzschutz am wenigsten und ließ mir vom Major eine Anweisung zur Durchsuchung geben. Damit lief ich hinüber. Die Durchsuchung brachte wirklich acht Stück wieder. Über die andern wurde ein Protokoll aufgenommen.
„Warum haben Sie auch die Pistolen an einer so unsicheren Stelle untergebracht?" schimpfte der Major. Ich hätte ebenso gut sagen können: Warum hat der Schladitz noch immer den Hauptschlüssel, wo ihm doch niemand traut?
Immer wieder versuchte ich, einmal den Falbel zu sprechen. Wozu diese riesigen Vorbereitungen zum Kampf in der ruhigen Stadt? Aber Tag für Tag hatte ich von früh bis Abend zu tun und fiel abends todmüde ins Bett.
Bei der Eröffnung des Landtags verteilte ich fünfzig Sicherheitsfreiwillige in Zivil auf den Gängen und den Tribünen. Ich selbst war in Uniform, um leichter als Leiter erkannt zu werden. Ein junger Mann, elegant, von unangenehm weibischem Aussehen, redete mich an und ging mit mir auf und ab. Er wusste, wer ich war, und tat so, als müsste ich ihn auch kennen. Ich traute ihm nicht ganz und war zurückhaltend. Aber vielleicht war er einer von den vielen Sozialdemokraten, die täglich mit den Offizieren im Schloss ein und aus gingen.
Wir setzten uns auf die Tribüne und hörten uns die Reden unten an. Er zeigte mir die bekannten Persönlichkeiten und machte seine Bemerkungen über sie.
Ich sah mich auf den Tribünen um. Auf einen der harmlos aussehenden Besucher kamen mindestens zwei Sicherheitsfreiwillige mit Pistolen in den Taschen. Ich erkannte sie leicht an ihrem meist ruppigen Zivil. Auf den Gängen standen auch noch Freiwillige und betrachteten jeden Ankömmling etwas zu auffallend feindlich. Wenn ich nicht die Sache gewusst hätte, hätte ich angenommen, das wären die fanatisierten Kommunisten, die bei der Landtagseröffnung stören wollten. Übrigens hatte ich persönlich gar nichts gegen eine Störung. Dass man in Berlin in eine solche Quasselbude Stinkbomben geschmissen hatte und dass die Minister und Abgeordneten in sinnlosem Schrecken ausgerissen waren, weil sie an Explosivbomben geglaubt hatten, das hatte mich sehr gefreut. Ich wünschte ihnen nichts so sehr, als dass sie sich lächerlich machten. Hier freilich war ich gegen die Störung, einfach weil ich die Verantwortung hatte.
Lauter bekannte Politiker sprachen. Mich interessierte, wie sie aussahen und wie sie sprachen. Was sie sagten, berührte mich nicht. Es waren lauter solche Redensarten, wie sie solche Leute machen. Nur bei den Unabhängigen Sozialdemokraten waren sie etwas schärfer geschliffen.
Der sozialdemokratische Ministerpräsident war eine stattliche Erscheinung. Er redete auch so, als ob er einen Purpurmantel umhätte wie die Fürsten auf den alten Bildern im Schloss. Die Bürgerlichen dagegen schienen alle nicht reden zu können. Sie hatten solche kümmerliche Stimmen, dass man sie kaum verstand, und waren langweilig. Ich flüsterte dem neben mir ins Ohr: „Für jeden Menschen wäre es gut, sich einmal dieses Gerede anzuhören, damit ihnen etwas die Bewunderung für diese Jammergeister vergeht."
Er lächelte. „Haben Sie schon den neuen Kriegsminister gesehen? Dort unten, der kleine Graue neben dem Dicken." „Was ist das für einer?"
„Schneider von Beruf." Er lächelte boshaft. „Den bringen sie nicht um!" „Warum nicht?" „Ach, er spielt keine Rolle."
„Er zieht morgen ins Schloss, und ich soll ihn bewachen." „Machen Sie das eigentlich gern?" fragte er und sah mich gespannt an.
„Ich weiß nicht", wich ich aus. „Das ist alles Kotz!" „Aber es muss doch geschehen. Man muss die neue Ordnung schützen." „Die ist einen Dreck wert, scheint mir!" „Das sagen Sie?"
„Ja, ich!" sagte ich lauter, als es mein Amt, Störungen zu verhindern, zuließ. Aber all die aufgestapelte Wut wollte einmal hinaus. „Vor allem sollte man die Sozialdemokratie platzen lassen! Sie als Mitglied der Partei sollten ein Interesse daran haben, sie zu zerhauen, um sie dann gesund zu machen!"
„Aber ich bin doch Demokrat!" lachte er und fügte etwas zaghaft hinzu: „Und ich nahm bisher an, dass Sie Sozialdemokrat sind?"
„Nein, ich bin kein solcher Betrüger!" Ich konnte vor Erregung nicht sitzen bleiben. „Entschuldigen Sie, ich muss meine Posten nachsehen!"
Er schien erstaunt und auch etwas eingeschüchtert durch meine plötzliche Schroffheit und gab mir seine unangenehm weiche Hand. „Nu dann, auf Wiedersehen!" Auch er erhob sich und ging von der Tribüne. Wie ich dann sah, zeigte er unten seine Abgeordnetenkarte vor und wurde in den Saal eingelassen. Ach so? Er hatte eine Bekanntschaft machen wollen! Ich schämte mich, dass ich das nicht früher begriffen hatte.
Das Schloss, bisher nur die Residenz der führenden Sozialdemokraten, füllte sich täglich mehr mit Offizieren. Ich musste immer wieder bemerken, wie unfreundlich sie auf meine rot-weiße Binde sahen. Für den neuen Kriegsminister wurde ein Raum ausgesucht, in dem er Abordnungen empfangen sollte, wenn es sich durchaus nicht vermeiden ließe. Dazu war folgende Vorschrift gegeben. Alle Nebentore
waren verschlossen, und am Haupttor stand außer der starken Torwache noch der Schlossportier, der sofort die Politische Polizei und andere Kräfte alarmieren konnte. Wenn eine Abordnung ans Tor käme, sollte es zuerst der Schlossverteidigung gemeldet werden, das heißt dem Major, der Tag und Nacht da war und in seinem Geschäftszimmer schlief. Er sah auch blass und angegriffen aus. Er sollte dann das Ministerium benachrichtigen. Unterdessen wurden die mächtigen Innentore geschlossen und besetzt. Die waren nur dazu eben erst angefertigt worden. Außerdem wurde neben dem Empfangsraum des Ministers eine Leibwache für ihn bereitgestellt. Erst nach diesen Vorbereitungen durfte die Abordnung herein, aber nur drei Mann. Wenn mehr versuchten hereinzukommen, sollte geschossen werden.
Der Vorsitzende des Arbeiterrats suchte mit dem Major zusammen den Empfangsraum des Ministers auf.
„Sehen Sie", sagte der Major, „dieses Zimmer meine ich." Es war ein schöner, braun getäfelter Raum mit einem buntbezogenen Sofa und einem großen Eichentisch in der Mitte. „Es hat nur einen Ausgang, und die Sicherheitswache kann gegenüber untergebracht werden, so dass sie sich auf ein Klingelzeichen sofort auf die Besucher stürzt. Die Leibwache kann auch von der anderen Seite her abgelöst werden, so dass sie niemand sieht. Denn meiner Meinung nach darf doch niemand davon wissen."
„Weshalb nicht, Herr Major?" fragte der Arbeiterrat. „Aber ich bitte Sie! Wenn das in die Öffentlichkeit dränge! So eine Wache hat nie ein regierender Fürst gehabt wie Ihr Minister!"
„Es war damals auch keine Revolution!" schnitt der Arbeiterrat ab. „Renn lässt den Elektriker kommen, der die Klingelleitung von hier zur Ministerwache legt. Wir werden den großen Tisch dicht vor die hintere Wand rücken. Dahinter sitzt dann der Minister. Der Klingelknopf wird unter der Tischplatte angebracht."
„Es wäre noch zu besprechen", sagte der Major, „wie stark wir die Leibwache machen. Jetzt ist das Eindringen größerer Trupps so gut wie unmöglich. Außerdem würden sie sich in den Gängen und Winkeln hier nicht gleich zurechtfinden."
„Ich glaube, dass sechs Mann von der Sicherheitstruppe völlig genügen", sagte der Arbeiterrat und tat so, als sähe er das Lächeln des Majors nicht.
Am nächsten Tage kam der Minister selbst Er war ein kleiner dünner Mann mit grauem unangenehmem Gesicht. Ich wies gerade seine Leibwache ein. Er sah sich um, ohne uns überhaupt zu beachten. Das ärgerte mich, und ich fragte ihn: „Sollen wir jetzt gleich einen Probealarm machen, Herr Minister?"
„Nein," sagte er kalt und sah an mir vorbei.
Ist das ein boshafter Hund, dachte ich. Er ging fort, ohne zu grüßen.
„Jetzt üben wir Ministerschutz", sagte ich zu der Leibwache. „Einer bleibt hier als gefährlicher Besucher. Ich spiele Minister. Und ihr andern stellt euch drüben bereit!"
Ich setzte mich also auf das Ministersofa und wartete zwei Minuten. Dann sagte ich dem gefährlichen Besucher: „Jetzt greif mich mal an!"
Er suchte nach mir zu schlagen, aber der Tisch war sehr breit. Ich drückte unter der Tischplatte auf den Knopf. Die Tür krachte auf, und die fünf kamen hereingestürzt. Einer fiel auf dem glatten Parkett hin. Die andern packten den gefährlichen Besucher an und zerrten ihn unter lautem Gelächter hinaus.
Als sie sich von dem Spaß erholt hatten, sagte einer: „Das will nun ein Genosse sein und macht so ein Affentheater um seine Sicherheit! Und wenn er noch Reichswehrminister wäre! Aber was ist er denn?"
„Der will eben kein Wasser saufen wie sein Vorgänger! Das verstehst du nur nicht!"
Ich hinderte sie nicht in ihren Bemerkungen, denn das hatte ich ja gerade erreichen wollen.
In die Kaserne kam ich immer wieder nicht, und Falbel war nie da, wenn ich bei ihm anrief. Ich hätte ihm auch nicht telefonisch sagen können, was mir als das Wichtigste erschien. Denn wer konnte wissen, ob nicht alles abgehört wurde. Und er kam nicht zu mir ins Schloss, so oft ich ihn auch darum bitten ließ. Dabei war etwas geschehen, was mein Misstrauen noch mehr verstärkte. Der General Maerker war mit seiner Brigade in der Stadt. Das Freikorps Faupel und andere Freikorps lagen rings um das Schloss in Bürgerquartier. Der Major Faupel hatte mit den übrigen Freikorpsführern zusammen im Schloss selbst seine Geschäftszimmer, und zwar unmittelbar neben den Räumen des Arbeiterrats. Und der Verkehr zwischen ihnen war sehr freundschaftlich.
Auf den großen Plätzen, um das Schloss herum, wurden Drahthindernisse gebaut, an deren Durchgängen Posten der Freikorps im Stahlhelm standen, am Leibriemen Handgranaten. Jetzt stand auch der Grenzschutz offen in der Stadt und versteckte sich nicht mehr hinter verschlossenen Türen. Und die Sicherheitsfreiwilligen standen mit ihren Binden neben den Posten aller dieser verdächtigen Formationen, als wäre das ganz richtig so. Was wollten die neuen Truppen und die vielen Offiziere in ihren eleganten Stiefeln? Der Major erklärte es mir natürlich nicht.
Ich war jetzt einen Monat ununterbrochen im Dienst und musste mir die Nachtruhe beinah erschleichen, wurde aber auch nachts oft durch den Ruf: „Alarm!" aufgeschreckt, der durch die gewölbten Gänge hallte.
Schladitz, der ewig Unruhige, war jetzt seltener da. Er schien in irgendeiner Winkelkneipe in der Nähe mit seinen Freunden zu saufen und - wie ich überzeugt war - Waffen und anderes zu verschieben. Ich ahnte das alles und konnte doch nichts unternehmen, weil man hier keinem Menschen trauen konnte. Und wenn ich den Verdacht gegen Schladitz ausgesprochen hätte - das wäre den Offizieren nur recht gewesen! Sie hätten die letzten Posten hier mit ihren Leuten besetzt und Schladitz und vielleicht noch mehrere andere durch Prozesse unschädlich gemacht.
Das war Mitte Mai. Jeden Abend ging die Sonne über dem Platz vor dem Schlosse unter und hinterließ einen hellen Himmel, vor dem dunkel die Gebäude standen. Eine Sehnsucht packte mich dann, hinauszugehen ins Freie, einmal eine Wiese zu sehen und blühende Bäume, und nicht nur Steinpaläste und schwarzen Asphalt. Aber vielleicht waren es gar nicht die blühenden Bäume, nach denen ich mich sehnte. Wie soll man es aushalten, dauernd seiner ganzen Umgebung zu misstrauen, stets in einer erhitzten
Stimmung zu sein? Ich wollte wieder einmal bei meiner Kompanie sein, zu der ich gehörte.
Eines Tages war wieder Sitzung der Sicherheitstruppenführer und der Soldatenräte im Schloss. Ich war sehr beschäftigt und begrüßte die Kameraden nur flüchtig auf dem Hof.
„Kommt Falbel?" fragte ich einen von unserm Bataillon. „Nein, er konnte nicht. Er hat irgend etwas Dringendes zu tun."
Ich war wegen eines Postens, der an einen andern Platz gestellt werden sollte, in das Kriegsministerium bestellt. Dort stand ich im Vorraum. Ein griesgrämiger Kanzleibeamter betrachtete mich immer wieder mit gesenktem Kopf über die tiefhängende Brille weg, dabei musste er mich kennen. Ich ging unruhig auf und ab. Drüben verhandelten die Kameraden darüber, was mich so dringend anging und wovon ich in mancher Beziehung das meiste wusste. Und ich musste wegen so einem dummen Posten hier warten!
Schließlich öffnete sich die Tür, und der Oberleutnant, der mich bestellt hatte, ließ zwei Offiziere heraus. Ich wollte mich zur Stelle melden, da sagte er: „Einen Augenblick!", und die Tür war wieder zu. Meine Ungeduld stieg. Wenn ich nur nicht zu spät käme zu der Diskussion über die Lage!
Der Oberleutnant kam heraus. „Wozu hatte ich Sie bestellt? Ach ja, der Posten hier unten an der Treppe muss auch den Eingang dort rechts in der Ecke des Hofes bewachen. Da dürfen nur Hofbeamte aus und ein gehen. Kein Mensch hat sonst dort etwas zu suchen. Also instruieren Sie den Posten in diesem Sinne!"
Wegen so einer gleichgültigen Sache verhindern diese Menschen einen, zu einer so wichtigen Sitzung zu gehen! An dem Gang lagen stets verschlossene Vorratsräume. Sonst war da nichts von Bedeutung.
Ich unterrichtete den Posten und lief zu dem Saal, wo die Sicherheitstruppe tagte. Als ich eintrat, sprach ein Bataillonsführer mit dröhnender Stimme und, wie es schien, auch schon sehr lange, denn die übrigen hörten nicht recht darauf.
„Der Kamerad Wagner wirft uns vor, bei uns wäre Un-
Ordnung. Da müssen wir ihm schon sagen, dass solche Sachen wie bei seinem Bataillon bei uns nie vorgekommen sind! Eine Kompanie hat dort in zwei Wochen dreimal den Führer gewechselt."
„Welche Kompanie?" lachte einer. Die andern wurden auch lebendig.
„Bei der dritten ist das geschehen. Und ich will sagen, woher das kommt. Weil die Führer alles mögliche versprechen, nur um Führer zu werden. Wenn sie das dann nicht halten können, gibt's 'n Aufstand bei der Kompanie. Der Führer wird abgesetzt, und jetzt kommen wieder die Wahlreden. Wer die größte Schnauze hat und die dicksten Sachen verspricht, der wird gewählt. Nein, Kameraden! So geht das nicht weiter! Hier muss von Grund aus aufgeräumt werden. Es geht nicht, dass jeder Rotzjunge Kompanieführer werden kann, wenn er nur ein recht großes Maul hat! Aber, Kameraden, mit dem Entwurf des Kriegsministeriums können wir uns nicht einverstanden erklären. Bestätigung der Kompanie- und Bataillonsführer von oben, das ist richtig. Aber so, wie es das Ministerium vorschlägt, nein! Da machen wir nicht mit! Das kommt ja einer Einsetzung durch das Ministerium gleich!"
„Sehr richtig!"
„Wenn man das erzwingen will, treten wir in den Streik!"
Der Versammlungsleiter klingelte und sagte langsam und bestimmt: „Der Kriegsminister ist ein Genosse, das dürft ihr nicht vergessen."
„Ein schöner Genosse!" Einer sprang auf und schrie ihm ins Gesicht: „Ein Genosse, der nicht einmal die Führer seiner eigenen Parteitruppe empfängt! Wir konnten da neulich vor dem Tor stehen und wurden nicht hereingelassen! Nur drei Mann, sagte man uns. Und währenddem gingen die Offiziere in ganzen Haufen hinein und machten ihre höhnischen Bemerkungen über uns!"
„Wann ist das geschehen?" rief ich.
„Vorigen Freitag. Wir haben nach dir gefragt, aber du warst nicht da."
Der Versammlungsleiter klingelte wieder. „Zur Debatte steht der Entwurf des Ministeriums zur Änderung unserer Dienstvorschrift. Bleibt bei der Sache, Kameraden!"
Man rief mich zur Schlossbereitschaft. Es handelte sich darum, dass die Handgranaten noch nicht geschärft waren, wenigstens nur zwei Kisten. Das Schärfen dauerte einige Zeit. Dann ging ich zurück zum Sitzungssaal der Sicherheitstruppe. Sie sprachen wieder einmal über ihre Versorgungsansprüche. Ich saß da und ging hinaus, als die Sitzung zu Ende war.
Ich versuchte immer heftiger, von hier fortzukommen. Aber es war so viel zu tun, dass ich vor Arbeit alles vergaß. Ich fuhr mit einem Lastauto hinaus zum Munitionsdepot und holte Maschinengewehrmunition, Handgranaten und Revolverpatronen, als ob wir einer wochenlangen Belagerung entgegengingen.
Vom Schlossturm wurde eine Radioantenne nach dem großen Schlosshof gespannt. Die eigentliche Funkanlage kam in eine der ehemaligen Hofküchen, einen gewölbten Saal mit ungeheuren Herden. Wenn oben auf dem Turm gearbeitet wurde, musste ich immer mit hinauf. Man ging eine bestimmte Wendeltreppe hinauf - es gab allein an den Höfen sieben, die Treppen im Innern der Flügel gar nicht mitgerechnet. Ganz oben war eine eiserne Tür. Die führte unter das Dach. Da streckten sich die völlig leeren Bodenräume. Jede Wäscherei wäre darüber begeistert gewesen. Ich hörte auch von den Hofbeamten, dass darüber verhandelt wurde oder verhandelt worden war, sie zum Wäschetrocknen zu vermieten. Ganz klar erfuhr man das nicht, und ich hatte den Verdacht, dass da etwas nicht ganz stimmte.
Wieder ging es durch eiserne Türen und um eine Ecke. Dann kam der Turm mit seinen mächtigen Mauern. In seinem Innern führte eine breite hölzerne Treppe aus riesigen Balken hoch. Hinter einem Verschlag knackte laut die Turmuhr bei jedem Pendelschlag. Von dort führte eine schmale Treppe höher. Jeder Neuling war überrascht, hier oben in eine Küche und weiter in eine freundliche Wohnung mit altmodischen Tapeten zu kommen. Sie stand leer. Nachdem der Türmer abgeschafft worden war, hatte hier ein alter Junggeselle gewohnt, ein Aktuar oder so etwas. Aber seitdem er tot war, wollte niemand mehr hinein, nicht, weil es da oben kein Wasser gab, sondern weil die staatliche Stelle, die den Raum vermietete, so eine unverschämte Miete verlangte. Das hielt die einsamen und wohl meist armen Schwärmer ab. Noch weiter oben lag die Plattform, die jedes militärische Auge begeisterte, weil man von da aus so schön Straßen entlangschießen konnte.
Bei meinen Gängen durchs Schloss kam ich öfters mit den Hoflakaien ins Gespräch. Sie erzählten mir von den Festlichkeiten und dem Leben hier. Einer erzählte mir dabei, dass noch im Jahre 1913 die Minister bei einem Hochzeitsessen serviert hatten. Damals heiratete ein Prinz.
„Aber konnten denn die Minister richtig servieren? Die hatten doch nicht Kellner gelernt!"
„Nein, das müssen Sie sich so vorstellen. Wir standen vor der Tür mit den silbernen Schüsseln. Dann kamen die Minister. Wir gaben ihnen die Schüsseln auf den Arm, dass sie sich nicht verbrennen konnten. Dann gingen sie hinein und boten an. Aber die Herrschaften nahmen nur eilig etwas, damit das recht schnell ging. Es musste doch nur das Hofzeremoniell erfüllt werden! Dann kamen sie heraus, und nach dem Scheingericht haben wir dann richtig serviert."
„Was verlangte denn das Hofzeremoniell noch?"
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da gab es eine Unmenge Bestimmungen. Wir hatten hier das spanische Hofzeremoniell. Das war von Philipp dem Zweiten von Spanien. Ich habe viel darüber gelesen. Aber ich glaube, das wurde nicht mehr ganz eingehalten, weil es doch gar nicht mehr in unsere Zeit passte."
Ich stieg auch auf den Turm einer protestantischen Kirche. Da war der Aufgang aber reichlich eng, um ein Maschinengewehr hinaufzubringen. Als ich das dem Major meldete, befahl er mir, auch den Turm der katholischen Hofkirche zu erkunden. In der mächtigen Kirche war gerade Messe. Man läutete mit kleinen Glöckchen. Die Orgel brauste. Ich ging in dem linken Seitenschiff vor nach der Sakristei. Ein Priester im Ornat, der gerade hineinging, fragte, was ich wollte.
„Ich bin von der Schlossverteidigung geschickt, zu erkunden, ob sich der Turm zum Aufstellen von Maschinengewehren eignet. Hier ist mein Ausweis." Ich wollte noch hinzufügen: Natürlich kommt das nur im Notfall in Frage. Aber er antwortete schon: „Gleich schicke ich Ihnen den Kirchendiener. Selbstverständlich können Sie hinauf."
Auch der ältliche Kirchendiener schien gar nicht überrascht von der militärischen Erkundung, und ich war sogar in Uniform. Er schwätzte, ohne abzusetzen, von den Allerhöchsten Herrschaften, und ob sie denn wiederkämen. „Das undankbare Volk! Sie sollten nur wissen, wie gnädig die Prinzen stets waren, und so ganz ohne Stolz!"
Die Turmtreppe wand sich in einem Pfeiler hoch und war so eng, dass es gar keinen Zweck hatte, noch ganz hinaufzusteigen. Aber warum sollte ich mich nicht einmal umsonst führen lassen?
Als ich wieder ins Schloss kam, merkte ich gleich, dass da etwas Ungewöhnliches vorging. Die Torflügel der Paradetreppe standen weit offen, und da wurden von Lakaien Teppiche, Wäschekörbe und allerhand Möbel herausgetragen, die keinen besonderen Wert hatten.
„Das sieht ja aus wie Auktion?" fragte ich einen Lakaien, der immer besonders freundlich war.
„Ist auch so was. In Leipzig ist das gesamte Inventar des Schlosses versteigert worden. Und da haben die Leute solche Preise für königliche Möbel bezahlt, dass wir noch welche hinbringen." Er kam dicht heran und flüsterte: „Für Nachttöpfe sind Preise gezahlt worden, das glauben Sie gar nicht! Wenn nur gesagt worden ist, dass sie von den Herrschaften benutzt worden sind!"
Schon mehrmals hatte ich den Major gebeten, dass er mich doch einmal in die Kaserne ließe. Ich wollte endlich mit Falbel sprechen und ihm sagen, dass ich es hier nicht mehr aushielte.
Der Major saß an der Schreibmaschine, müde, und sah mich verständnislos an. „Was wollen Sie in der Kaserne? Wenn Sie mal ausgehen wollen, gehen Sie doch in eins der Lokale in der Nähe, dass man Sie gleich erreichen kann!" Er sah mich fragend an.
Was sollte ich darauf antworten? Die Kneipen waren mir gleichgültig. Er war ein einsamer Sonderling, vielleicht ebenso einsam wie ich, und ich wusste nicht, wie man mit ihm sprechen müsste. Ich sagte: „Ich gehe in die Mohrenschänke und bin um zehn wieder da." „Gut." Er tippte schon weiter.
Hoffnungslos ging ich. Trotzdem in die Kaserne? Der Falbel war jetzt zu Hause, bei seiner jungen Frau, und ich wusste nicht, wo er wohnte. - Ich hatte keinen Hunger und keinen Durst, Musik spielte auch nicht in der Mohrenschänke. Vor der Tür kehrte ich um und ging einen Posten nachsehen - um nur irgend etwas zu tun. Dann legte ich mich ins Bett, konnte aber nicht schlafen und stand wieder auf und schrieb dem Falbel, er sollte mich in den nächsten Tagen einmal zu sich bestellen.
Das tat er auch, und ich bekam Urlaub bis zum Abend. Ich stieg auf die Elektrische und sah mir jeden Baum an, der Blätter hatte, und jedes bisschen Gartengrün.
„Wie siehst du aus?" rief Falbel. „Bist du krank? So blass und abgemagert!"
„Nein." Ich suchte nach Worten, um ihm zu sagen, was da im Schloss vor sich ginge! Aber er musste es ja schon wissen. Ich sagte ihm nur, dass ich fort müsste, und er sollte mich anfordern.
Dann ging ich hinüber zu meiner Kompanie. Ich freute mich über die kahlen grauen Wände der Kasernengänge, über den Kommissgeruch. Die Soldaten, denen ich begegnete, waren gewiss keine wunderbaren Menschen, kein einziger von ihnen. Aber sie waren doch nicht so raffinierte und scheinheilige Betrüger wie die alle im Schloss.
Als ich ins Kompanierevier kam, riss einer eine Stubentür auf und rief hinein: „Der Ludwig ist da!"
Sie umringten mich. „Wer hat denn die rote Fahne auf dem Schloss aufgezogen?" fragte der Matrose und lachte über sein ganzes Gesicht.
„Rote Fahne? Auf dem Schloss?"
„Wie wir auf dem Rückweg von der Wache am Schloss vorbeikommen, da weht oben 'ne rote Fahne. Wir haben uns doch gefreut! Und die Spießer haben sich ja so geärgert! Was der Max ist, der hat gesagt: ,Ob die der Renn-Ludwig aufgezogen hat?"
Ich wusste nichts davon und fuhr gespannt zurück.
Auf dem Schloss wehte keine rote Fahne. Und ich hatte das Faupel und den andern Offizieren so gegönnt!
Der Major war sehr erregt. Er hatte die Fahne ebenso wenig bemerkt wie ich. Und dabei merkte ich, in welches Maß von Wut die Offiziere durch eine rote Fahne versetzt wurden. Das hatte ich noch gar nicht gewusst, und ich hatte die rote Fahne auf einmal selbst gern. Früher hatte ich mich eher drüber geärgert.
Die Fahne hatte schon seit dem Morgen gehangen. Ich tat sehr ernsthaft, aber konnte meine Freude kaum verbergen. Auch andere freuten sich heimlich, sogar einige von den ehemaligen Hoflakaien. Der Schladitz war so guter Laune, dass ich mich fragte, ob nicht er es gemacht hätte. Dann aber hatte ich wieder so viel zu tun, dass ich die Geschichte vergaß.
Am nächsten Morgen hatte ich die verschiedensten Gänge zu machen. Gegen Mittag traf ich den Major. „Was ist das mit Ihnen?" fuhr er mich an. „Warum haben Sie mir nicht gemeldet, dass wieder diese verfluchte Revolutionsfahne oben war!"
Er hatte einen roten Kopf vor Erregung. Ich stand verwundert vor ihm. Er schien überschnappen zu wollen vor Wut.
„Ist sie noch oben?" fragte ich und konnte nicht ganz ernst bleiben.
„Natürlich ist sie herunter!" schrie er. „Sie werden feststellen, wer das gemacht hat!"
Er ging mit großen Schritten davon.
Es war klar, dass er mir das nur aus Wut befohlen hatte. Aber ich musste schon sehen, wie das mit der Fahne sein konnte. Dazu stieg ich auf das Türmchen, auf dem der Fahnenmast stand. Dort betrachtete ich mir die Einrichtung zum Hochziehen und dachte mir, wie sich der Täter gefreut haben musste. Dann stieg ich wieder herunter, zufrieden, keinen Anhalt für ihn gefunden zu haben.
Die verschiedensten Offiziere redeten mich an - bisher hatte ich nach ihrem Benehmen geglaubt, dass sie mich gar nicht kannten - und wollten wissen, ob ich schon etwas herausbekommen hätte. Dann bestellte mich der Major.
Ein fremder Major saß bei ihm. Der fragte mich scharf: „Haben Sie einen Anhalt für den Täter? - Nein? - Man
muss eben Augen haben! Ich bin hinaufgestiegen, und da steht es mit Bleistift an der Wand. Der Vizefeldwebel Groh von der Politischen Polizei hat selbst angeschrieben, dass er es gemacht hat. - Ja, mein Lieber! Man muss einen Floh husten hören!" Er musste über seinen eigenen Witz lachen und wiederholte ihn.
Ich benutzte die Gelegenheit, mitzulachen. Ein feiner Kerl, der Groh! Ich kannte ihn. Er war lang, dünn und ernst. Hätte ich doch das früher gewusst! Das wäre vielleicht ein Mensch gewesen, mit dem ich hätte sprechen können! Aber wer ahnte auch so einen bei der Politischen Polizei?
Als ich vom Major fortging, traf ich Schladitz.
„Nu, Sie werden abgelöst?"
„Wissen Sie schon etwas davon?" fragte ich.
„Na, Mensch, sind Sie naiv! Denken Sie, dass man Sie dalassen wird, wenn Sie zweimal die rote Fahne übersehen?"
„Dann wissen Sie gar nichts Bestimmtes über die Ablösung?"
„Doch, irgend so ein Hauptmann wird kommen. Die wollen, wie's scheint, jetzt alles mit Offizieren besetzen. Aber der wird das bald satt haben!" Er setzte boshaft hinzu: „Mal sehen, ob er sich allein im Schlosse zurechtfindet!"
Ich hatte mir unwillkürlich einen langen dünnen Hauptmann mit Monokel vorgestellt. Zwei Tage darauf wurde ich in die Inspektion gerufen, weil der Neue da wäre. Auf einem Stuhl saß ein dicker Mann in Zivil und streckte das rechte Bein von sich. Das war steif.
„Das gefällt mir ja gar nicht hier!" sagte er ärgerlich. „Ich habe Familie und kann nicht Tag und Nacht hier hocken!"
Verflucht, dachte ich. Wenn der mich nur nicht weiter hier sitzenlässt, und ich fragte: „Kann ich Herrn Hauptmann gleich die Örtlichkeiten zeigen?"
Er kam mit. „Das hätte man mir aber sagen müssen!" murmelte er vor sich hin. „Das hätte man mir anständigerweise sagen müssen!"
Ich führte ihn in die unterirdischen Gänge und in die Säle, wo die Maschinengewehre standen, dann auf den Turm. Dort, wo die breite Treppe aufhörte und die enge begann, blieb er stehen. „Ich kann aber unmöglich soviel Treppen steigen mit meinem zerschossenen Bein! Laufen Sie denn täglich soviel herum?"
Ihm die Wahrheit sagen, dass es noch viel schlimmer war, durfte ich nicht. Sonst haute er gleich wieder ab.
Daher sagte ich: „Nein, das kommt einem nur im Anfang so schlimm vor."
Er warf einen bohrenden Blick auf mich. „Führen Sie mich sofort zu Herrn Major von Cornelius! Unmöglich kann ich soviel steigen! Ich muss auch heute noch einmal nach Hause. Ich bin ja Hals über Kopf hier hergefahren!"
Er war schon schlechter Laune, und der Weg vom Turm zur Inspektion war ausgerechnet so verzwickt, dass er immer wieder fragte: „Gibt es denn keinen direkten Weg?"
„Vielleicht durch die Räume des Arbeiterrats. Aber für dort habe ich keine Schlüssel."
„Ich werde Herrn Major sagen, dass das unmöglich geht! Das hätte man mir vorher sagen müssen!"
Ich brachte ihn zur Inspektion. Die Besprechung drin beim Major dauerte sehr lange. Schließlich kam er heraus. „Also morgen Nachmittag bin ich wieder hier, Herr Major."
Sehr verstimmt ging er zum Tor. Ich glaubte nicht, dass er wiederkommen würde. Aber er kam doch am nächsten Nachmittag.
„Ich bin heute zu müde zum Herumlaufen. Übergeben Sie mir nur die Wachtvorschriften und Skizzen! Dann können Sie gehen."
Das dachte er sich doch etwas zu einfach. Aber was hatte ich schließlich für ein Interesse daran, dass die Offiziere im Schloss geschützt wurden? Nach der Übergabe der Papiere meldete ich mich beim Major ab. Er stand auf und lächelte. „Sie haben's nicht ganz leicht gehabt. Lassen Sie sich's gut gehen."
Ich wusste, dass er es gut meinte, wenn er auch meist unnahbar war. Und doch hatte ich mich in seiner Nähe nie wohl gefühlt. Er war wohl ein überzeugter Republikaner und stand dadurch im Gegensatz zu den anderen Offizieren, die doch größtenteils Monarchisten waren. Ich glaube, er hielt sich sogar für revolutionär und hatte doch keine Ahnung von der Arbeiterbewegung.
Glücklich fuhr ich nach der Kaserne. Alle Menschen lachte ich an und unterhielt mich mit dem Schaffner über das schöne Wetter.
Kurze Zeit darauf erfuhr ich, dass der Hauptmann es nur drei Tage ausgehalten hatte. Dann hatte er gestreikt. An seine Stelle war ein anderer Offizier getreten.

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