Um die Sozialisierung
Schon am nächsten Tage merkte ich, dass bei der ganzen Sicherheitstruppe eine Unruhe war. Ich wusste, dass zwei Sicherheitskompanien im Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenrevier eingerückt waren. Aber warum, wusste ich nicht. Und weshalb die Aufregung, wo es nach allen Nachrichten zu keinen Kämpfen gekommen war? Das wurde mir erst auf der Sicherheitsführertagung richtig klar. Die fand diesmal im Schloss statt, in einem weißen Saal.
Der feierliche Raum und die wichtige Art, wie der Beauftragte der Kommandantur die Sitzung eröffnete, dämpfte anfangs die Reden. Auch ein Mitglied des Arbeiterrats war erschienen. Dann sprach ein Soldatenrat: „Ich stelle an die Kommandantur die Frage, auf wessen Befehl das Zeithainer Lager besetzt worden ist. Das gehört nicht zu unserem Korpsbereich. Es ist einfach mit Gewalt geraubt worden! Will die Regierung, nachdem sie die Spartakisten niedergeworfen hat und einen unerhörten Terror unterhält ..."
Der Beauftragte klingelte.
Einer rief: „Spartakus wollte Terror, jetzt hat er ihn!"
„Kameraden, ihr belügt euch doch selbst! Wer hat Liebknecht und Luxemburg ermorden lassen durch die Gardekavallerieschützendivision mit den Mordoffizieren? Wer hat Tausende von Arbeitern in Berlin durch die Ordnungsbestie abschlachten lassen? Noske!"
„Um das Kommunistengesindel wird es wohl nicht schade
sein!"
„Was du Kommunistengesindel nennst, sind Arbeiter, die um ihr Recht kämpfen, für den Sozialismus! Genau wie die Bergarbeiter im Steinkohlenrevier! Die Regierung hat erklärt - ihr habt überall die Aufrufe gelesen -, der Sozialismus marschiert! Der Betrug marschiert, Kameraden! Im Lugau-Oelsnitzer Kohlenrevier haben sie angeschlagen, an der Ruhr wäre schon sozialisiert! Und an der Ruhr haben sie angeschlagen, dass in Sachsen sozialisiert wäre. Wenn aber die Arbeiter die Sache selbst in die Hand nehmen, da schickt man die sozialistische Sicherheitstruppe hin und lässt durch die den Kohlenbaronen ihre Zechen wiedergeben!
Wenn das nicht Hohn auf den Sozialismus ist! Wir fordern von der Regierung eine Erklärung!"
Das Mitglied des Arbeiterrats hatte der hitzigen Rede kalt zugehört. Jetzt erhob er sich. „Kameraden! Was ist das für eine Demagogie! Sollten wir etwa die Sozialisierung dadurch gefährden lassen, dass einige spartakistische Hetzer mit Gewalt sozialisieren, was nach der Entwicklung der Dinge in kurzer Zeit den Arbeitern in den Schoß fällt? Haben die Sicherheitskompanien im Steinkohlenrevier Blut vergossen? Nein. Haben sie den Kohlenbaronen die Zechen zurückgegeben, wie der Kamerad sagte? Das ist eine demagogische Verdrehung! Die Sozialisierungskommission ist am Werke. Wer die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht abwarten kann, dem müssen wir schon sagen: schaff dir etwas mehr Ruhe an!" Das sagte er höhnisch. Einige lachten.
Die Diskussion verlor sich bald wieder in? Herumhacken auf Worten. Die Kameraden wurden unruhig. Am Schluss der Sitzung verkündigte der Beauftragte der Kommandantur: „Kameraden! Es ist uns gelungen, vom Kohlensyndikat etwas herauszuholen. Wir haben ihnen eingeredet, dass die Besetzung des Kohlenreviers für sie sehr günstig wäre, nun müssten sie auch etwas für die Sicherheitstruppe tun. Schließlich haben sie Geld herausgerückt, und ich lade euch alle zu einem Bankett am nächsten Sonnabend im Ratskeller ein. Der Kriegsminister wird auch erscheinen. Die Versammlung ist geschlossen."
„Ein schlauer Hund!" sagte einer. „Wie er denen das Geld aus der Tasche gezogen hat!"
„Wenn das nur nicht umgekehrt ist? Die Kohlenbarone wollen uns bestechen!"
„Na, dann brauchst du ja nicht hinzugehen!"
„Ich werde doch nicht so dumm sein! Wo ich umsonst zu fressen und zu saufen kriege, werde ich nicht den feinen Mann spielen!"
„Und das nennst du Grundsätze haben, Mensch?"
„Nee, Grundsätze sind ungesund. Wir sind Proleten. Wer unsere Arbeit bezahlt, dem müssen wir dienen. Schön ist es nicht, aber es ist so."
„Weißt du, wie man solche Ansichten nennt?"
„Nu?"
„Lumpenproletarisch."
„Wie du das nennst, ist mir ganz Wurscht!"
Am Sonnabend im Ratskeller wies mich ein Kellner nach dem Saal, wo das Bankett sein sollte.
Dort traten schon viele Sicherheitsführer hin und her und schwatzten. In U-Form war eine riesige Tafel gedeckt mit Tellern, Bestecken und Gläsern.
Der Leutnant Herling stellte mich einem Leutnant vor, dessen mageres Gesicht wie mit Fett eingerieben glänzte. Auch auf seinen Brillengläsern hatte er Glanzpunkte. Der Matrosenführer kam auf mich los in Zivil. „Nu, bist du auch gekommen, um dich von den Kohlenbaronen bestechen zu lassen, falls sie mal wieder einen Streikbrecherschutz unter sozialdemokratischer Fahne brauchen?"
„Weshalb bist du dann gekommen, wenn du diese Ansicht hast?"
„Hast du denn nicht die gleiche Ansicht? - Ich bin überhaupt nur hier bei der Sicherheitstruppe, weil es in unserm traurigen Lande nichts Besseres gibt. Wenn ich noch oben an der Wasserkante wäre, würde ich bei den Spartakisten sein! - Dort kommt übrigens der Kriegsminister. Ein gefährlicher Kerl!"
Der untersetzte Minister sprach lebhaft mit dem Beauftragten der Kommandantur.
„Worin gefährlich?" fragte ich.
„Gefährlich für die Revolution! Unter dem Schlagwort ,Die Revolution ist in Gefahr' unterdrückt er jeden Ansatz zu einer wirklichen Änderung unserer stinkenden Gesellschaftsordnung!"
Wir setzten uns zu Tisch. Viele waren in Zivil. Aber in was für einem Zivil! Sie sahen aus, als ob sie gerade vom Kohlenschaufeln kämen.
Kellner brachten die Suppe. Aber wir konnten sie noch nicht essen, weil sich der Kriegsminister erhoben hatte. „Meine Herren! Die Revolution hat einen gewissen Abschluss erreicht. Heute können wir rückblickend die Ereignisse noch einmal an uns vorbeiziehen lassen und uns über ihre Bedeutung klar werden ..." Er sprach lebhaft und teilte Einzelheiten über den Beginn der Revolution mit und über die Kämpfe mit Spartakus in Berlin. Für mich war es ganz neu, dass Ebert und Scheidemann gar keine Revolution gewollt hatten und dass sie es waren, die bereits in den ersten Tagen den radikalen Flügel um Liebknecht mit Gewalt und andern Mitteln unterdrückt hatten.
Am Schluss seiner Rede wurde er plötzlich begeistert und brachte ein Hoch auf die soziale Revolution aus. Der Saal brauste von Hochrufen. Ich sah mich nach dem Matrosenführer um, was er dazu sagte, fand ihn aber nicht mehr.
Die Kellner kamen mit dem Essen, das nach der langen Rede halb kalt geworden war. Wir aßen und tranken. Die leeren Weinflaschen wurden immer wieder durch volle ersetzt. Das Gespräch wurde lauter.
Nach dem Essen verteilten die Kellner auf die Tafel Zigarettenschachteln.
Der Minister war aufgestanden und sprach mit einer Gruppe. Die beiden Leutnants mit ihren Gläsern rückten hinüber. „Herr Minister", sagte Herling, „wir Leutnants möchten Ihnen noch besonders zutrinken und Ihnen wiederholen, dass wir immer treu für die Revolution kämpfen wollen!"
Der Minister drehte seine Augen nach der anderen Seite, lächelte und sagte, als hätte er gar nichts gehört: „War das Essen, das die Unternehmerschaft uns gegeben hat, nicht ausgezeichnet? Sehen Sie, diese Leute sind großzügig. Man muss sie zu nehmen wissen und wird mit ihnen gut auskommen können!" Er sprach gewandt und lebhaft weiter, ohne einen Bestimmten anzureden. Seinen eigentümlichen Gesichtsausdruck bei dem Trinkspruch der Leutnants deutete ich so: ihm waren sie zu radikal, obwohl sie vielleicht nur Stellenhascher waren. Selbst die revolutionäre Phrase war ihm zuviel.
Verschiedene sprachen mich an. Der Wein und der bunte Saal stimmten mich heiter.
Einer brüllte: „Mich kriegen sie nicht, die Hunde! Die Reaktionäre haben alle - einen Furz im Kopf, die ..." Das übrige war nicht mehr zu verstehen.
Ein anderer torkelte hinaus. Er war in Uniform, und draußen saßen die gut angezogenen Bürger und machten vermutlich ihre Bemerkungen über die besoffene SPD-Garde.
Die Betrunkenheit nahm jetzt erstaunlich schnell zu. Kurz vor elf waren nur noch wenige im Saal. Einer vom Nachbarregiment fragte mich: „Kommst du mit ins Cafe? Der Minister geht auch mit hin."
Wir gingen, so grade wir konnten, aus dem Ratskeller. Auf der Straße brüllte einer alles mögliche Zeug, torkelte vom Bürgersteig auf die Fahrbahn und wieder herauf. Die anderen lachten unbändig. Dann versuchte er zu singen.
Im hellerleuchteten Stadtcafe saß alles gestopft voll. Damen in auffallenden Toiletten und Herren in schwarzen Anzügen. Die sahen sich erstaunt nach uns um. Ich wusste gar nicht, dass es noch eine solche Eleganz gab! Und wir kamen herein wie eine Räuberbande, laut, in allen möglichen Uniformen oder in Halbzivil. Die Musik geigte irgendeinen schmachtenden Walzer. Das passte gar nicht zu unserer Erscheinung.
Der Minister kam mir jetzt auch recht schäbig angezogen vor. Er setzte sich in eine Ecke und wurde sofort von den Soldatenräten umringt. Sie bestürmten ihn mit Angelegenheiten. Warum mussten sie das gerade hier tun? Vorhin im Ratskeller, wo wir unter uns waren, waren sie ganz friedlich gewesen.
Was sie sprachen, konnte ich nicht verstehen. Einer lehnte über den Tisch weg und fuchtelte ihm mit der Hand vor dem Gesicht herum. Es machte den Eindruck, dass sie alle gegen ihn waren, außer dem Unabhängigen, der neulich die Rede gehalten hatte. Der glotzte stumpfsinnig vor sich hin.
Ich beugte mich zu ihm hinüber. „Was haben denn die für einen Streit?"
„Sie werfen ihm vor, dass er die Revolution abwürgt, und jetzt auch noch die Sozialisierung. Na, die Sorte Sozialisten wie der sind ja schlimmere Reaktionäre als mancher Offizier! Die Offiziere sind Dummköpfe und Kinder in der Politik, aber der hier? Mein Lieber, der ist gerissen! Denkst du, den kann unsereiner überhaupt sprechen in seinem Ministerium? Er sitzt da drin mit seinen Offizieren und schickt dir 'nen Schreiber raus: ,Der Herr Minister hat eine wichtige Sitzung!' Und man steht draußen als der Dumme. Und das nennt sich noch Sozialist!"
Ich war müde geworden und sah immer wieder nach der Gruppe des Ministers hinüber, ob sie nicht endlich gingen. Jetzt tranken sie auch noch Schnäpse. Sie waren schon besoffen genug!
Endlich Aufbruch. Noch auf der Straße wurde die laute Unterhaltung fortgesetzt.
Ein Zugführer der Artillerie hatte sich mir angehängt und erzählte mir seine Sorgen: „Ich bin Kapitulant. Der Regimentskommandeur will mich zwingen, von der Sicherheitstruppe fortzugehen. Aber ich habe mich doch hier verpflichtet. Die Regierung verspricht ja, unsere Rechte zu schützen, aber wie sieht denn das aus! Und der Oberst droht mir, ich würde der Rechte auf Zivilversorgung verlustig gehen, wenn ich bei der revolutionären Truppe bleibe! -Ja, wenn ich keine Frau hätte, und die drei Kinder!" Er war reichlich angetrunken. Aber was er sagte, war doch echt. Was sollte ich ihm sagen! Ich glaubte ja auch nicht mehr an alle Versprechungen. Todmüde und mit schweren Gedanken schleppte ich mich nach Hause.
An einem Tage im April wollte ich mit der Elektrischen nach dem Bahnhof fahren, um mich nach einem Zug zu erkundigen.
Ich stieg auf die hintere Plattform. Vom Anhänger riefen mir ein paar Burschen etwas zu, was ich nicht verstand. Einer beugte sich herüber. „Mach deine Binde ab! Sonst machen sie dich kalt!"
Dummer Junge! dachte ich und kümmerte mich nicht weiter darum.
„Drinnen in der Stadt schießen sie noch immer", sagte der Schaffner zu einem alten Mann und deutete mit dem Daumen. Ich hörte auch so etwas wie ferne Schüsse.
„Was ist da geschehen?" fragte ich bestürzt.
„Sie haben das Kriegsministerium gestürmt."
„Wer hat gestürmt?"
„Die Kriegsbeschädigten. Sie haben eine Demonstration gehabt, und da ist es zum Kampf gekommen." Die Kriegsbeschädigten? Unwahrscheinlich! Sollte ich zur Kaserne zurück? Meine Kompanie war gerade auf Wache gezogen, und ich hatte keine Truppe. Ich wäre ja auch in einer Stunde wieder in der Kaserne.
Ich tat so, als wäre mir alles gleichgültig, und fuhr weiter. Auf dem Albertplatz waren viele Menschen. Plötzlich ratterte ein Maschinengewehr. Das konnte wirklich am Kriegsministerium sein. Der Bahnhof, zu dem ich wollte, lag etwas abseits. Nachdem ich mir die Abfahrtszeit des Zuges aufgeschrieben hatte, fuhr ich nach der Kaserne zurück.
Im Kompanierevier traf ich einen, der erst vor anderthalb Stunden auf Wache gezogen war. „Bist du nicht auf Wache?'
Er sah mich nicht an. „Uns haben sie entwaffnet. Der Wachthabende ist in der Schreibstube." „Ist jemand verwundet?" „Nein."
Ich ging in die Schreibstube. Da sprachen sie alle durcheinander.
„Wie sind aber die Kriegskrüppel in die Wachtstube gekommen?" fragte der Soldatenrat.
„Das war so: Wie die Krüppel dastehen und warten, bis ihre Abordnung vom Minister zurückkommt, da sagt einer: ,Bringt doch den Lahmen Bänke aus der Wachtstube heraus, dass sie sich hinsetzen können!' Sie bringen die Bänke heraus und stellen sie auf den Waffenplatz, also innerhalb des Eisengitters, und lassen die Lahmen sich daraufsetzen. Wie es dann zum Krach kam, waren sie gleich bei den dort aufgestellten Gewehren und in der Wachtstube drin."
„Ihr seid also entwaffnet worden?" fragte ich mit klopfendem Herzen, obwohl ich es schon wusste.
„Ja", wandte er sich zu mir. „Wir sind wie immer mit der Elektrischen gefahren. Und wir hatten doch keine Ahnung, dass da was los ist! Auf der Hauptstraße kommt die Elektrische nicht weiter, so voll war die Straße mit Menschen. Wir halten da ein paar Minuten. Die Leute zeigen auf uns in den Wagen herein. Auf einmal kommen welche rauf. Wir waren vollkommen zusammengequetscht und konnten gar nichts machen, mussten die Gewehre einfach abgeben."
„Und was ist jetzt als Wache im Ministerium?"
Er zuckte mit den Achseln.
„Was nützt jetzt noch die Wache, wo sie den Minister totgemacht haben!" „Was? Welchen Minister?"
„Unsern Kriegsminister! Weißt du das noch nicht? Sie haben ihn aus dem Ministerium gezerrt..."
„Warte mal!" unterbrach ihn ein anderer. „Ich habe es doch gesehen. Ich stand auf der gegenüberliegenden Seite der Straße mitten in der Menschenmenge drin. Da kommen aus der Tür heraus einige von der Sicherheitstruppe und andere. Jetzt sehe ich: da ist auch der Kriegsminister. Den grünen Hut, den er immer aufhatte, hielt er in der Hand und winkte damit Wahrscheinlich wollte er sprechen. Aber die Kriegskrüppel waren so wütend und brüllten: ,Nieder mit ihm!' und ,Haut ihn!' Einige hoben ihre Krücken in die Luft. ,Schmeißt ihn in die Elbe!' Er versuchte wieder zu reden. Aber sie brüllten ihn nieder. Auf einmal bekam er einen Stoß von hinten und fiel die Stufen hinunter in die Menge hinein. Jetzt gab das ein tolles Gestoße. Von allen Seiten drängten sie auf ihn zu und wollten ihn verhauen. Das konnte ich nicht so genau sehen. Das ging hin und her. Er kriegte Hiebe auf den Kopf mit der Faust. Und dann zerrten sie ihn auf die Brücke. Dort wurde er ans Geländer gedrängt Einer brüllte: ,Er will doch zurücktreten von seinem Posten!' Da ging aber der Krach erst richtig los. ,Schlagt ihn tot!' schrieen sie. ,In die Elbe mit ihm!' Dann hoben sie ihn hoch und über das Geländer weg. Aber er hielt sich fest. Da haben sie ihm so lange auf die Hände geschlagen, bis er losgelassen hat. Ich sah nur, wie sich auf einmal alle über das Geländer beugten. Da ist er hinuntergefallen. Das übrige habe ich dann nicht sehen können. Wie er aus dem Wasser aufgetaucht ist, haben sie nach ihm geschossen, erst mit Gewehren, und dann vom Ministerium aus mit einem Maschinengewehr, bis er untergegangen ist."
„Weiß Falbel schon davon, dass auch die Wachtablösung entwaffnet ist?" fragte ich. „Ich weiß nicht."
Ich rannte durch die Gänge hinüber zu Falbel. „Weißt du, dass der Kriegsminister umgebracht worden ist?"
„Ja. Ich kann aber nicht recht begreifen, warum hat er nicht wenigstens den kriegsverletzten Genossen irgend etwas versprochen? Und dann so eine Dummheit zu machen! Die Menschenmassen stehen ganz friedlich unten. Da schmeißt einer eine Handgranate hinunter."
„Und die ist in der dichten Masse explodiert?"
„Nein, sie sollte nur zum Abschrecken dienen, es war eine Übungshandgranate. Die Leute fahren auseinander, und wie sie merken, das Ding geht nicht los, da fasst sie die Wut, und sie stürmen das Gebäude."
„Habt ihr jetzt neue Nachrichten aus der Stadt?"
„Die Kommunisten haben das Ministerium freiwillig geräumt."
„Die Kommunisten? Ich denke, Kriegsbeschädigte?"
Ein Freiwilliger mischte sich ins Gespräch: „Es weiß noch niemand so genau, wer da beteiligt war - und ihr wisst doch selbst, was Krach macht, wird immer Kommunisten oder Spartakisten genannt, ob es nun welche sind oder nicht! -Übrigens bin ich der Meinung, dass da gar nicht der Plan bestand, den Minister umzubringen, sondern das war ein richtiger Ausbruch der Volkswut. Ein bisschen Betrug lässt man sich ja gefallen, aber das war zuviel! Auch bei uns in der Kompanie sagen viele: Der sozialdemokratische Kriegsminister, das war ein richtiger Reaktionär, und es ist gut, dass sie's mal so einem gezeigt haben!"
Falbel hörte sich das mit gesenktem Kopf an und schwieg.
Am nächsten Morgen kam Falbel zu mir. „Hast du schon die heutige Zeitung gelesen? Wie auf Kommando fängt die ganze bürgerliche Presse an, gegen uns zu hetzen, gegen die Sicherheitstruppe und über die Unfähigkeit der Wahlführer. Teilweise rufen sie schon nach dem Grenzschutz. Sie wollen uns nicht als künftige Reichswehr haben, sondern den Grenzschutz mit seinen reaktionären Offizieren. Kannst du mir nicht helfen, gleich einen Artikel für die ,Volkszeitung' zu schreiben? Wir müssen die Verleumdungen richtig stellen und unsern Standpunkt klarlegen. Wenn die Reichswehr in die Städte einrückte, das gäbe einen Aufstand. Die Arbeiter würden sich das nicht gefallen lassen! Ich werde mich auch an unsern Abgeordneten Müller-Albendorf wenden."
Wir setzten uns hin und schrieben einen großen Artikel.
Am folgenden Morgen lief ich gleich nach der neuesten „Volkszeitung". Richtig, da stand der Artikel mit Falbel und meinem Namen gezeichnet. Ich war noch nie gedruckt worden.
Die bürgerliche Presse hörte aber nicht auf zu hetzen. |
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