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Ludwig Renn - Nachkrieg (1930)
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Nachwort

Es ist über dreißig Jahre her, dass ich mit der Niederschrift meines Buches „Krieg" begann, und fast zwanzig Jahre, seit ich das Buch „Nachkrieg" beendete. In dieser langen Zeit ist so viel geschehen, dass die beiden Bücher heute eine andere Wirkung haben als damals, und daher will ich erklären, was ich mit ihnen wollte.
Man hatte uns in der Familie, in der Schule und beim Militär vieles erzählt: über die nationalen Pflichten eines Mannes, vom Heldentum und der erhebenden Wirkung des Einsatzes des Lebens im Kriege. Aber als wir in den Krieg kamen, da zeigte sich all das nur als ein leeres Geschwätz. Und darüber, was es wirklich im Kriege an Großem gab, hatte uns niemand gesprochen, über diese ganz kleinen Taten der ganz unscheinbaren Menschen. Nicht nur mir, allen Kriegsteilnehmern ging es so, dass wir es nicht ausstehen konnten, wenn man uns nach unsern Heldentaten fragte. Dann versuchte ich manchmal davon zu sprechen, wie der Krieg wirklich ist. Aber man wollte mich nicht hören, und ich konnte auch nicht gut sprechen - habe es bis heute nicht gelernt. Deshalb trieb es mich immer wieder zu meinen Niederschriften, die ich schon während des Krieges begonnen und immer wieder liegengelassen hatte, weil mir das noch nicht gelungen war, worauf es mir ankam. Das war aber nicht nur mein Hass gegen die dummen Redensarten und die Illusionen, mit denen man das Volk schon bald wieder zu füttern begann. Ich wurde noch viel mehr von meiner Liebe zum Volke getrieben. Nicht der Offizier war es gewesen, dessen Handlungen mir an der Front imponiert hatten, sondern der namenlose Soldat, dessen Wärme und
Hilfsbereitschaft ich in der schwersten Not der Kämpfe so stark miterlebt hatte. Ihn zu ehren, machte ich zum Helden meines Buches nicht einen Offizier, wie ich es gewesen war, sondern einen Soldaten aus der Masse.
Bei dem Umwandeln eigner und fremder Erlebnisse und dem Hineingießen in den von mir erdachten und doch auch nicht ganz erdachten Ludwig Renn beging ich nun einen Fehler, der mir damals nicht als Fehler bewusst wurde: mein Held hat keine richtigen Vergangenheiten. Wie die Liebe an ihn herangetreten ist, ob er je in einer Gewerkschaft war, das erfährt man nicht. Kann es denn so voraussetzungslose Menschen geben?
Dieser Fehler zeigte sich in der Fortsetzung des „Krieges", im „Nachkrieg". Er musste sich zeigen, weil das Zivilleben und die Politik an den Renn herantreten und ihn zum Handeln mit eigner Verantwortung zwingen. Ich selbst hatte diese Zeit noch als Offizier erlebt, als ein Mensch mit vielen Traditionen. Hätte ich noch die Hände frei gehabt, so wäre der „Nachkrieg" anders ausgefallen. Da mein Renn aber nur Vizefeldwebel war, so konnte ich mit ihm als Helden den Bruch nicht in der Stärke darstellen, wie ich, der adlige Offizier, ihn hatte vollziehen müssen.
Am „Nachkrieg" habe ich auch sonst nicht mit der leichten Hand arbeiten können wie am „Krieg". Denn ich bin in den Jahren 1919 und 1920 nur Leuten begegnet, die ich als negativ empfand. Es war quälend, sich in diese Zeit zurückzuversetzen. Wie gern hätte ich irgendwo einen Lichtpunkt aufgesetzt. Aber sobald ich es versuchte, stimmte alles nicht mehr. Dann hätte ich ja selbst eine bessere, eine bewusstere Rolle in diesen Jahren spielen müssen.
Manche haben geglaubt, dieses Buch „Nachkrieg" wäre gegen die Sozialdemokratie geschrieben worden. Aber interessanterweise haben gerade die Sozialdemokraten Dresdens, der Stadt, in der „Nachkrieg" spielt, in ihren Kritiken die Richtigkeit meiner Darstellung anerkannt. Ihre Bereitschaft zur Selbstkritik hat mich tief beeindruckt. Sie zogen augenscheinlich dieselben Schlussfolgerungen wie ich. Und war denn ich besser gewesen als sie? Nein, für mich war diese Zeit dieselbe Zeit des bitteren Lernens gewesen. Ich konnte damals keine erfreulichen Persönlichkeiten finden, weil ich selbst unerfreulich, unentschieden war. Daher konnte ich auch meinem Helden keinen Schwung geben, und das Buch träufelt schwer in Niederungen dahin. Darin aber erblicke ich keinen Fehler. Denn wir sehen heute wieder Menschen unseres Volkes Zugeständnisse an die Leute von gestern machen, von kleinen zu immer gefährlicheren. Das muss dort enden, wo der Nachkrieg anderthalb Jahrzehnte später  endete,  beim  Faschismus und  der Zerstörung Deutschlands. Das zu verhindern, schrieb ich nicht nur „Nachkrieg", sondern deshalb auch hatte ich vorher mit etwas anderer Blickrichtung den „Krieg" geschrieben. Deshalb auch veröffentliche ich heute beide von neuem.


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