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Johannes Robert Becher - (CHCl=CH)3As (Levisite)  oder Der einzig gerechte Krieg (1925)
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Ich kann nicht schweigen, denn ich will nicht mitschuldig werden. Zola

Ich sage mich los: von der leichtsinnigen Hoffnung einer Errettung durch die Hand des Zufalls; von der dumpfen Erwartung der Zukunft, die ein stumpfer Sinn nicht erkennen will...
Clausewitz

De te fabula narrarur.
(Deine Sache, Leser, ist es, die hier verhandelt wird!)

EINLEITUNG

Hände weg!
Hände weg von diesem Buch, wenn Ihr damit, übersättigt und bis zum tödlichen Erbrechen gelangweilt, nur wieder einige Euerer müßigen Stunden totschlagen wollt!
Dem stinkenden Kadaver dieser Zeit flechte ich keine Kränze.
Das spannungslose Gesabber unserer offiziellen Poeten befriedigt schon übergenug solche Bedürfnisse.
Was heutzutage Not tut: das ist Begeisterung, Kühnheit, Todesverachtung der einzelnen, Nüchternheit, Zielsicherheit und Klarheit. Zusammenschluss, eine untrennbare Einheit aller im Schweiße ihres Angesichts Werktätigen. Dieser Zusammenschluss: das ist die große Sprengmine, die Tag für Tag aufplatzt und deren Sprenggänge die Fundamente dieser verrotteten Gesellschaft eines Tags völlig unterwühlt haben werden...
Es handelt sich hier nicht um poetische Erfindungen, phantastische Konstruktionen oder um Wahnbildungen. Es handelt sich hier um Tatsachen, um Taten, um Ereignisse.
Es geht um das, was ist.
Es geht hart auf hart.
Es geht um das, was gewesen ist.
Es geht um das, was sein wird. —

Dieses Buch ist sicher nicht Kind jenes Geistes, „der über den Wassern schwebt", es ist aus der Wirklichkeit geboren, und es trägt, unverschminkt allen sicht-
bar, noch deutlich das Zeichen dieser Marter-Hölle an sich. Auch der Sprachkörper: stahlgrau, gehackt, rissig: die Gelenke im Schmerzkrampf fest angezogen, die Arme an den Schulterstücken schwer hängend: Hämmer, Äxte, Brecheisen. Ein blutiges Muskelspiel zuckt... Das ist nicht der klassische wohlgepflegte Leib, nicht die parfümierte Tanzpuppe der Biedermeierzeit noch der verträumte Taugenichts der Romantik: es ist der mit Wundenlöchern über und über ausgefüllte Dulderleib des werktätigen Volks am Pfahl der Kreuzigung: mitten im Qualm von Gasschwaden, von Staub, Rauch, Russfetzen umschleiert, umschwirrt von giftigen Aasfliegen — das ist der Dulderleib des werktätigen Volks in jenem geschichtlichen Zeitabschnitt, da er sich vom Kreuzstamm losreißt, niedersteigt und das Gesindel seiner Peiniger vor sich in die Knie zwingt... Ein millionenstimmiger Schrei, ein Aufruhr- und Klagelied, gesungen von Millionen metallischen Feuerzungen. —
Dieses Buch möchte, ein lebendiges Wesen, künftig wieder selbst Anteil haben an den Kämpfen, deren Blutzeuge es ist, selbst wieder mit im Feuer stehen und mit seinen Blutteilen noch röter färben die rote Fahne, unter der es als ein Soldat der Revolution dient. —

Es wird nur wenig von „Liebe" die Rede sein.
Dieses Buch ist ein Heldengedicht.
Wo Millionen, „Hunger" schreiend — zuerst eine formlose Masse noch, dann aber immer deutlicher Gestalt gewinnend —, sich herauf auf das Plateau der Weltgeschichte bewegen: in der eisern gehackten Rhythmik solcher Tage tönt auch die Stimme des Bluts als Metall. Stirnen wölben sich gegeneinander, wie gemeißelt aus Granit.  Die Herztrommel wirbelt Kampftempo und
Marschtakt. Der Gedanke des kämpferischen Menschen stößt vor in die Zukunft als Stichflamme. Und ein anderer, als der, der einst du gewesen bist, findest plötzlich nach Jahren du dich wieder, neu geboren aus mörderischen Krisen, wie aus Schmelzglut. —

Die Riesendurchbruchsschlacht jener Menschen-Armeen in die Zukunft hat längst begonnen. Kampfplatz ist die Welt. Dieses Terrain ist nicht mehr nach Nationen oder Erdteilen abgesteckt. Alle Grenzpfähle der Welt schlottern gespenstisch im roten Sturmwind, wie Vogelscheuchen... Überall, wo Menschen im Arbeitsprozess untereinander verbunden sind, überall auf der ganzen Erde, auch in den tiefsten Tiefen der Kolonien, gewittert es...

Lernt kennen die Geschichte Europas, Europas am Rande des Abgrunds! —
Gewidmet der kommenden deutschen sozialen Revolution! —

Berlin, zum 4. August 1925        Johannes R. Becher

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