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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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25. Kapitel: Jimmie Higgins kommt in Gefahr

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Während Jimmie durch die Straßen dieser französischen Stadt schlenderte und darauf wartete, dass sein zerschossener Arm wieder zu gebrauchen sein würde, dauerte das Todesringen des Krieges an. Mitte Juli wagten die Deutschen an der Marne einen letzten verzweifelten Vorstoß; sie wurden in ein paar Tagen von den vereinten Franzosen und Amerikanern zum Stehen gebracht, und dann schlug der Oberbefehlshaber der Alliierten zurück, brach seitlich in die deutsche Front ein und trieb den Feind vor sich her, der zwar noch immer wütend kämpfte, jedoch den Boden Frankreichs verließ. Ganz Frankreich hielt den Atem an vor Aufregung, vor Erleichterung, in die sich noch Furcht mischte. So viele Male hatten sie in diesen vier schweren, schrecklichen Jahren Hoffnung gefasst, und so viele Male waren ihre Hoffnungen wieder zunichte gemacht worden! Aber diesmal war es kein Irrtum - es war wirklich die Wende. Der Feind kämpfte um jeden Schritt, aber er gab den Frontbogen allmählich auf, und die Alliierten stießen nach - griffen einmal hier an, einmal dort und ließen den Gegner nicht zur Ruhe kommen. Jimmie las darüber in der Armeezeitung „Stars and Stripes" und war das erste Mal in den vier Jahren derselben Meinung über den Krieg. Auf jedem Schlachtfeld war Jimmie mit zusammengebissenen Zähnen, geballten Fäusten und mit ganzem Herzen dabei. Die Nachwirkung der Narkose hatte er überwunden, und den Schock über seine Verwundung vergaß er allmählich; ihm war klargeworden, dass Wunden, ja selbst der Tod, etwas waren, was man aushalten konnte - natürlich nicht frohen Sinnes, nicht leichten Herzens, aber doch immerhin aushalten konnte, wenn man nur sicher war, dass die Bestie dadurch unschädlich gemacht wurde.
Früher hatte Jimmie das Wort „deutsch" auf Männer wie Meissner und Forster und Schneider bezogen; doch jetzt bedeutete es eine riesenhafte graue Gestalt, die über dem Rand eines Granattrichters aufragte, das Gesicht hassverzerrt, das Bajonett erhoben, um zuzustechen. Vielleicht war das Eindrucksvollste in Jimmies ganzem Leben das Gefühl der Erleichterung, das er empfunden hatte, als ihm bewusst wurde, dass irgendein amerikanischer Landser dieser ragenden Gestalt eine Kugel in den Leib geschossen hatte. Mochte es doch noch mehr solche Landser geben, mehr und immer mehr, bis die letzte Gestalt erschossen war! Jimmie wusste natürlich, dass die Politik, der er in Amerika das Wort geredet hatte, nicht diesen Zweck verfolgte; wäre es in Leesville nach Jimmie gegangen, dann wären in Chatty Terry keine Landser zur Stelle gewesen, um Jimmie zu retten! Über diesen Punkt war sich Jimmie jetzt völlig im klaren, und für den Augenblick war der Pazifist in ihm tot.
Er hörte zu, was die Männer im Lazarett redeten. Sie waren alle durch die Mühle gegangen, sie waren verwundet worden, leicht oder schwer, aber das hatte ihren Kampfgeist nicht gebrochen - nicht ein bisschen; es gab kaum einen unter ihnen, der nicht hoffte, ausgeheilt zu werden und wieder mitmachen zu dürfen, bevor es vorbei war. So nahmen sie den Krieg - als ein Spiel, das sensationellste, aufregendste, das sie jemals spielen würden. Diese jungen Männer waren mit Football groß geworden, es war der Hauptsport
und das einzige echte Interesse im Leben Hunderttausender von jungen Amerikanern jahraus, jahrein. Sie hatten den Kampfgeist und die Methode des Football in die Armee übernommen und weitergegeben an jene weniger vom Glück begünstigten Millionen, die weder ein College noch eine höhere Schule besucht hatten: das Zusammenspiel, die Schnelligkeit, den fortgesetzten schonungslosen Drill, die völlige, unbedingte Verlässlichkeit, das dauernde Suchen aufgeweckter junger Köpfe nach neuen Kombinationen, neuen Tricks und vor allem die völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr, sich das Schlüsselbein zu brechen oder sich einen Herzfehler zu holen, sofern nur das Spiel gewonnen wurde!
Diese Armee griff nun einen Feind an, der sich auf seine Maschinengewehre verließ, um Truppenverbände zu zerschlagen und Zeit zu gewinnen, damit er Material und schwere Geschütze nach hinten in Sicherheit bringen konnte; folglich bestand das Leben der jungen Amerikaner für den Augenblick darin, alle Kniffe zu erlernen, wie man Maschinengewehre überrennt. Jimmie hörte zu, wie die neuen Männer sich unterhielten, und erlebte, wie sie die Technik vor seinen Augen entwickelten. Tanks waren nicht schlecht, Flugzeuge waren auch nicht schlecht, wenn man sie nur hatte; aber meistens waren sie nicht rechtzeitig da; darum lernte der Landser, Maschinengewehre mit dem Bajonett zu erobern. Man hatte seine kleine Gruppe, gedrillt wie eine Footballmannschaft, mit einem eigenen System der Verständigung durch Signale und mit einer eigenen Angriffstaktik, ausgetüftelt von jungen Leuten, die sich nächtelang zusammengesetzt hatten. Es war ein teures Spiel -man konnte schon froh sein, wenn ein Drittel der Spieler lebend davonkam; aber falls man es schaffte, dass einer davon mit einem Bajonett bis zu dem Maschinengewehr vordrang, hatte man das Spiel gewonnen - weil man dann das Maschinengewehr nehmen, es auf die zurückweichenden Deutschen richten und in einer Minute genügend von ihnen umbringen konnte, um die Verluste in der eigenen Gruppe wettzumachen.

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Lacey Granitchs Schulter heilte, und er ging zurück an seine Arbeit. Er sagte Jimmie, was es für ihn bedeutet habe, einem Sozialisten zu begegnen; wenn er an das glauben könnte, was Jimmie glaubte, dann hätte er gar nichts gegen das Leben, nicht einmal mit seiner Schande. Jimmie nannte ihm Bücher, die er lesen sollte, und Lacey versprach, sie zu lesen; natürlich war Jimmie stolz und glücklich - er sah im Geiste schon, wie die Empire Machine Shops in die Hand der Arbeiter gegeben wurden und wie das kapitalistische System wenigstens in einem amerikanischen Industriezweig Harakiri beging.
Von einem Arbeitskollegen aus dem Reparaturstützpunkt, wo er zuletzt gearbeitet hatte, erhielt Jimmie einen Brief, in dem stand, dass die Amerikaner diesen Sektor übernommen hätten und nun eine große Werkstatt eingerichtet würde und wann er denn zurückkäme? Aber Jimmie war nicht so versessen darauf, zurückzukehren; Motorräder zu reparieren schien keine so verlockende Aussicht für einen Mann, der die ganze Hunnenarmee aufgehalten und die Schlacht von Chatty Terry gewonnen hatte. Da Jimmie im Kampf gezeigt hatte, was er wert war, fragte er sich, ob es denn für ihn keine Möglichkeit gäbe, richtig in die Armee einzutreten und richtig seinen Mann zu stehen. Er schrieb an den Kommandeur seiner Kraftfahreinheit einen Brief, berichtete, was vorgefallen war, und fragte an, ob das wohl zu machen sei? Der Offizier antwortete, er würde der Sache nachgehen, und wenn sich die Wahrheit von Jimmies Geschichte heraustellen sollte, könne er einer ehrenvollen Erwähnung und seiner Beförderung gewiss sein. Und tatsächlich kam einen Monat später, als Jimmie so weit war, dass er das Lazarett verlassen konnte, ein offizielles Schreiben, dass er zum Sergeant im Kraftfahrdienst befördert sei und sich zwecks Dienstantritt in einem gewissen Hafen am Ärmelkanal beim Stab einzufinden habe. Sergeant Jimmie Higgins!
Jimmie fand sich natürlich ein und wurde mit der Führung eines Dutzends Motorradfahrer und -Schlosser betraut, die soeben mit einem Transportschiff eingetroffen waren. Diese Männer sahen zu Jimmie auf als zu einem Veteranen
und Helden, und Jimmie, der noch nie im Leben etwas zu sagen gehabt hatte - es sei denn, man bezieht Jimmie zwei und die beiden Babies mit ein -, wäre das vielleicht ein ganz kleines bisschen zu Kopfe gestiegen. Aber es war wirkliche Arbeit zu leisten und keine Zeit für Flausen. Es lag etwas in der Luft, wilde Gerüchte und Spekulationen liefen um; Jimmies kleine Einheit, die aus besonders befähigten Männern bestand, sollte einen Sonderauftrag bekommen und auf Expedition gehen, offenbar auf dem Seewege. Wohin es gehen sollte, erfuhr niemand - das war bei der Armee nicht üblich; doch kurz darauf wurden mit Schaffell gefütterte Mäntel und schwere, mit Wolle gefütterte Stiefel ausgegeben - mitten im August! So wussten sie denn, dass sie nach dem hohen Norden kamen, und das für längere Zeit. Handelte es sich vielleicht um einen Überraschungsangriff in der Ostsee? Entweder das, sagten die Neunmalklugen, oder aber Archangelsk. Jimmie hatte von diesem letzteren Ort noch nie gehört und musste sich erst danach erkundigen. Wie er erfuhr, hatten die Alliierten ungeheure Mengen von Material nach diesem Hafen im äußersten Norden Russlands geschafft, und nun, da die Russen aus dem Krieg ausgeschieden waren, bestand die Gefahr, dass die Deutschen davon Besitz ergriffen.
Jimmie bebte vor Aufregung bis in die Sohlen seiner neuen gefütterten Stiefel. Er würde nach Russland kommen, würde die Revolution sehen! Jimmie hatte bloß eine vage Vorstellung davon, wie es jetzt auf der Welt aussah, denn während der letzten drei, vier Monate hatte er nur offizielle Zeitungen gelesen, die sich ganz auf die Aufgabe konzentrierten, die zu erfüllen war, und Schwierigkeiten und Komplikationen mit Absicht unerwähnt ließen. Die Leute, mit denen er sprach, behaupteten beharrlich, es sei nötig, dass die Alliierten etwas gegen den Vertrag von Brest-Litowsk unternahmen; wenn man den Deutschen erlaubte, von dem hilflosen Russland Besitz zu ergreifen und es für ihre Zwecke auszunutzen, dann hielten sie womöglich noch hundert Jahre durch. Das russische Volk selbst musste das einsehen und die Hilfe der Alliierten begrüßen! Über diesen letzten Punkt war sich Jimmie nicht sicher, doch er erinnerte sich an die Brüder Rabin und an ihre Begeisterung für die Sache der Alliierten; so unterdrückte er seine Zweifel und half, seine Kraftfahreinheit an Bord eines Transporters zu verstauen.

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Es folgte eine Fahrt durch die Nordsee und hinauf zur Küste Norwegens; eine Region der Nebel und ruhelosen Winde und andauernder Todesangst durch U-Boote und Minen. Die Expedition bestand aus drei Transportern und ein paar Kriegsschiffen, die sie begleiteten, und einem halben Dutzend Zerstörern, die ihre Schaummuster hin und her webten. Jeden Tag wurde es kälter und die Tageslichtspanne kürzer; sie kamen ins Land der Mitternachtssonne, doch zu einer Jahreszeit, da die Mitternacht fast den Mittag erreichte. Die Männer hatten reichlich Zeit zum Lesen und Reden; Jimmie erörterte wieder einmal den Krieg vom sozialistischen Standpunkt, nahm die russischen Revolutionäre in Schutz, brachte wie gewöhnlich jemand damit in Rage und wurde wegen seiner aufrührerischen Ansichten gemeldet.
Jimmies Vorgesetzter war Lieutenant Gannet. Vor dem Krieg war er Angestellter in einer Baumwollfabrik gewesen und hatte nie etwas zu sagen gehabt. Nun musste er plötzlich lernen, Befehle zu erteilen, und seine Vorstellung davon war, sich besonders scharf und autoritär zu geben. Er war ein äußerst gewissenhafter junger Mann, kriegsbegeistert und bereit, in Erfüllung seiner Pflicht jede Härte, jede Gefahr auf sich zu nehmen; aber von Jimmie konnte man nicht erwarten, dass er das richtig einzuschätzen verstand -Jimmie bekam nur mit, dass sein Vorgesetzter eine Art hatte, durch seine Brillengläser zu funkeln, als ob er bestimmt wüsste, dass man ihn anlog.
Lieutenant Gannet fragte nicht etwa, was Jimmie gesagt hatte; er teilte Jimmie mit, was er gesagt hatte, und erklärte ihm, dass solches Gerede in der Armee nicht statthaft sei, solange er sich in Hörweite befinde. Jimmies Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass ein paar Motorräder in einwandfreiem Zustand blieben und ein paar Motorradfahrer ihre Arbeit machten; ansonsten habe er gefälligst den Mund zu halten und nicht zu versuchen, die Geschicke der Nation zu lenken. Jimmie wagte die Bemerkung, dass er nichts weiter gesagt habe, als was Präsident Wilson die ganze Zeit sage. Worauf der Lieutenant entgegnete, Sergeant Higgins' Ansichten über Präsident Wilsons Ansichten interessierten ihn nicht - Sergeant Higgins solle seine Ansichten für sich behalten, oder er würde ernstlich Schwierigkeiten bekommen. Jimmie trat weg, kochend vor Entrüstung, genauso sehr Rebell wie jemals zuvor in der Ortsgruppe Leesville. Was hatte ein Soldat denn überhaupt für Rechte? War er befugt, politische Fragen zu erörtern und sich mit den Äußerungen des Präsidenten seines Landes einverstanden zu erklären? Durfte er, gleich seinem Präsidenten, an einen gerechten Frieden glauben und an das Recht aller Völker auf Freiheit und Selbstbestimmung, selbst wenn viele von den Offizieren in der Armee solche Ideen hassten und verachteten? Jimmie wusste es nicht, und es war niemand da, der es ihm hätte sagen können; aber Jimmie wusste, dass er seine Rechte als Bürger nicht hatte aufgeben wollen, als er sich meldete, um für die Demokratie zu kämpfen, und wenn ihm diese Rechte genommen werden sollten, dann jedenfalls nicht ohne Widerstand.

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Die Transportschiffe kamen in das Gebiet der Eisberge, der tiefhängenden Nebel, der schneebedeckten Felsklippen und der über ihnen kreisenden Möwenschwärme. Tagelang, nächtelang dampften sie durch diese arktischen Gewässer und gelangten schließlich in das Weiße Meer und in den Hafen von Archangelsk.
Die Alliierten waren seit Kriegsbeginn hier und bauten Docks und Schuppen und Bahnanlagen; aber sie hatten nie genug davon bauen können, und da das Verkehrsministerium der korrupten russischen Regierung zusammengebrochen war, lag hier alles mögliche Material, das zur Versorgung einer Armee gehörte, bergeweise an der Küste herum. So zumindest hatte Jimmie es gehört; er hatte in den Zeitungen gelesen, dass diese Erklärung als Antwort auf Anfragen im britischen Parlament offiziell abgegeben worden sei.
Jimmie hatte daraus entnommen, dass er hier sei, um diese Materialberge vor den Deutschen zu retten, und war erstaunt, als er sich im Hafen umsah und überhaupt keine Berge irgendwelcher Art entdecken konnte. Weiter hinten im Landesinnern gab es ausgedehnte Fichtenwälder und moosbedeckte Sümpfe, in die der Mensch im Sommer bis zum Hals einsinken konnte. Jetzt, im September, waren sie schon fest zugefroren, und man fuhr in einem Schlitten mit einem Rentiergespann drüber hinweg, in Pelze eingemummt, so dass man, bis auf den fehlenden Backenbart, aussah wie der Weihnachtsmann auf den Bildern der Kinderzeit. Doch zum größten Teil wurde der Armeeverkehr auf den Flüssen, die die Wälder und Sümpfe durchschnitten, abgewickelt und auf dem einzigen Schienenweg, den man wieder in Betrieb nahm. Dieses Land hatte natürlich keine Straßen, auf denen man Motorräder hätte benutzen können, selbst nicht im Sommer. Jimmie stellte fest, dass seine Arbeit auf die Stadt und die Feldlager in der Nähe beschränkt bleiben würde. Nur ein paar Straßen würden schneefrei gehalten werden, und die kleine Gruppe von Meldern würde darauf herumflitzen, hin und wieder in eine Schneewehe rutschen und dabei die. Fahrzeuge ruinieren. Das war zu schaffen, und Jimmie hätte den Laden geschmissen und wäre so glücklich gewesen, wie er überhaupt zu sein vermochte - hätte er nur seinen Seelenfrieden finden können.
Die ersten paar Tage hatte er natürlich keine Zeit zum Nachdenken, er war geschäftig wie eine Ameise, um sich mit seinen Leuten an Land einzurichten und Werkbänke und Werkzeuge in einem Eisenschuppen aufzustellen, in dem sich an jedem Ende ein bullernder Ofen befand und ein großer Stapel Brennholz, das die Bauern auf schweren, flachen Rentierschlitten anfuhren. Jimmie und seine Einheit arbeiteten nicht nur bei Tageslicht, sondern auch während des größten Teils der lichtlosen Stunden, und machten sonntags keine Pause. Fünftausend Mann samt Material sollten an Land gebracht werden - noch dazu in größter Eile, als ob die Deutschen jede Stunde erwartet würden. Es dauerte eine Weile, bevor Jimmie Zeit fand, sich die Stadt anzusehen, die „Tommies" zu begrüßen, die schon einen Monat vor ihm hier angekommen waren,
und zu hören, was sie bisher gemacht hatten und was sie noch vorhatten.
Jimmie hatte es so aufgefasst, dass diese Expedition gegen die Deutschen kämpfen solle; aber nun wurde er misstrauisch; offenbar sollte sie gegen die Bolschewiki kämpfen! Die soziale Revolution war in Archangelsk vollzogen worden, und ein Arbeiter-und-Bauern-Rat hatte bereits die Macht übernommen, als die britische Armee und Marine überraschend angegriffen und den Hafen besetzt hatten, wobei sie die Revolutionäre in ungeordneter Flucht vor sich hertrieben. Nun schickten sie eine Expedition per Bahn hinterher und eine weitere zu Schiff die Dwina aufwärts nach Norden und verfolgten die russischen Sozialisten und trieben sie in die zugefrorenen Sümpfe zurück! Und da kamen nun die amerikanischen Truppen, wurden eilig an Land gebracht, bewaffnet und bereitgemacht, um gemeinsam mit ihnen, wie es Jimmie schien, gegen organisierte Arbeiter in den Kampf zu ziehen! Jimmie war völlig verwirrt. Es war alles so neu und fremd für ihn - und er hatte niemand, der ihm einen Rat geben konnte. Wenn zu Hause ein sozialistisches Problem aufgetaucht war, hatte er es Meissner oder Stankewitz vorgelegt oder Genossen Gerrity, dem Organisator, oder Genossin Mabel Smith, der Vorsitzenden des Literaturkomitees. Doch jetzt kannte Jimmie in dieser ganzen Expedition keinen einzigen, der eine Ahnung von Radikalismus hatte; sie betrachteten die Bolschewiki als wildgewordene Hunde, als Verräter, Kriminelle, Verrückte, jedes Wort war ihnen recht, das schlimm genug schien. Die Bolschewiki waren der Sache der Alliierten untreu geworden, sie waren ein Bündnis mit Deutschland eingegangen, um die Demokratie zu verraten; darum waren jetzt die Amerikaner gekommen, um ihnen beizubringen, was Recht und Ordnung hieß! Die Amerikaner sahen sich als Vortrupp einer großen Expedition, die nach Petrograd und Moskau marschieren und die Idee des Bolschewismus ausrotten sollte. Und Jimmie Higgins sollte dabei helfen! Jimmie Higgins, gebunden und geknebelt vor den Wagen des Militarismus gespannt, sollte dabei mitmachen, die erste proletarische Regierung in der Geschichte zu zerschlagen!
Je mehr Jimmie darüber nachdachte, desto empörter wurde er; er betrachtete es als persönliche Beleidigung - als einen hundsgemeinen Streich, den man ihm spielte. Er hatte ihre Propaganda geschluckt, er hatte sich vollfüllen lassen mit ihrem Patriotismus, er hatte alles stehen- und liegenlassen, um herzukommen und für die Demokratie zu kämpfen. Er war in die Schlacht gezogen, hatte sein Leben riskiert, hatte Verwundung und Schmerzen für sie erduldet. Und nun hatten sie ihren Vertrag mit ihm gebrochen, hatten ihn hierhergebracht und ihm befohlen, gegen Arbeiter zu kämpfen - ganz, als wäre er Milizsoldat bei sich zu Hause! Schöne Demokratie! Hier marschierten sie ein und waren noch stolz auf ihr Vorhaben, die russischen Revolutionäre zu besiegen!
Und Jimmie Higgins stand unter Kriegsrecht, musste gehorchen und den Mund halten! Jimmie dachte an all seine Freunde zu Hause, die die Militärmaschine verurteilt hatten; er dachte an Genossin Mary Allen, an Genossin Mabel Smith und Genossin Evelyn Baskerville und Genossen Gerrity; er hatte ihren Rat nicht annehmen wollen, und wenn sie jetzt sehen könnten, was er machte, wie würden sie ihn verachten! Jimmie wand sich, wenn er nur daran dachte; er war auch nicht zu trösten, als einer der Männer aus seiner Kompanie ihm „aus erster Quelle" erzählte, was hier eigentlich los sei - dass nämlich die Amerikaner, um die Engländer zu überreden, ihre Armeen der Führung eines französischen Generals zu unterstellen und so die Lage in Frankreich zu retten, gezwungen gewesen wären, ihre eigenen Armeen ebenfalls den Franzosen zu unterstellen, und nun erleben müssten, dass ihnen befohlen würde, hier einzumarschieren und gegen eine revolutionäre Regierung zu kämpfen, die ihre Schulden bei Frankreich nicht anerkannt und damit ein von Natur aus sparsames Volk gekränkt habe.

5

Jimmie begegnete einem Mann, den er fast für Deror Rabin gehalten hätte, so sehr ähnelte er dem kleinen jüdischen Schneider. Ein großer, schwarzbärtiger Bauer brachte eine Ladung Brennholz, und er hatte einen Juden bei sich, der ihm half - einen Burschen mit scharfen Gesichtszügen
und durchdringenden schwarzen Augen; seine Wangen waren eingesunken, als ob er seit Jahren nicht genügend zu essen gehabt hätte, und seine Brust wurde von Husten gequält. Er hatte Hände und Füße mit Lappen umwickelt, denn er hatte weder Stiefel noch Handschuhe; aber er war ganz fröhlich, und sofort, als er seine Ladung hingeschüttet hatte, nickte er und sagte: „Guten Tag!" „Guten Tag!" erwiderte Jimmie. „Ich kann Englisch", sagte der Bursche. Es überraschte Jimmie nicht, dass jemand Englisch konnte;
er war nur überrascht, wenn es einer nicht konnte. Er grinste also und sagte: „Na klar!"
„Ich war in Amerika", fuhr der andere fort. „Hab gearbeit' in Schwitzbude in Grand Street."
Man merkte ihm an, dass er sich lieber unterhielt als Holz trug; er trödelte herum und fragte: „Wo hast du gearbeit' in Amerika?" Als der Bauer ihn auf russisch anbrummte, ging er wieder an die Arbeit; aber im Weggehen sagte er: „Irgendwann werd ich reden mit dir von Amerika." Worauf Jimmie natürlich mit freundlicher Zustimmung antwortete.
Als er ein paar Stunden später nach getaner Arbeit hinausging, stieß er auf den kleinen Juden, der in der Dunkelheit auf ihn gewartet hatte. „Manchmal ich hab Sehnsucht für Amerika", sagte er und ging neben Jimmie die Straße hinunter, wobei er seine dünnen Arme um sich schlug, um sich warm zu halten.
„Warum bist du denn zurückgekommen?" wollte Jimmie wissen.
„Hab ich gelesen von Revolution. Denk ich, vielleicht ich werd reich."
„Oje!" sagte Jimmie und grinste. „Biste's denn geworden?"
„Geheerste zur Gewerkschaft in Amerika?" entgegnete der andere.
„Aber sicher!" sagte Jimmie. „Welche Gewerkschaft?" „Maschinenarbeiter."
„Haste schon mitgemacht bei en Streik?" „Aber immer!"
„Und haste Priegel gekriegt?"
„Und ob!"
„Streikbrecher warste nie, oder?" „Bestimmt nicht!"
„Biste - wie sagt man - klassenbewusst?" „Klar! Ich bin Sozialist!"
Der andere wandte sich ihm voll zu; seine Stimme zitterte
vor plötzlicher Erregung. „Haste rote Karte?"
„Na klar!" sagte Jimmie. „Sogar bei mir, hier in meiner
Jacke."
„Gott der Gerechte!" rief der andere. „E Genosse!" Er streckte Jimmie die mit altem Sacktuch umwickelten Hände entgegen. „Towaritsch!" rief er. Und obwohl sie hier in Finsternis und schneidender Kälte standen, spürten sie alle beide, wie das Herz ihnen warm wurde. Sogar hier am nördlichen Polarkreis, in dieser Wildnis von Eis und Trostlosigkeit, sogar hier tat der Geist der internationalen Brüderlichkeit seine Wunderwirkung!
Doch dann tappte der kleine Jude, zitternd vor Erregung, mit seinen umwickelten Händen nach Jimmie. „Wenn du bist e Sozialist, warum kämpfst du dann gegen de russischen Arbeiter?"
„Ich kämpfe doch gar nicht gegen sie!" „Du trägst aber de Uniform!" „Ich bin bloß Motorradschlosser." „Aber du hilfst! Tötest de russischen Menschen! Du machst de Sowjets kaputt! Warum?"
„Ich hab das nicht gewusst", verteidigte sich Jimmie. „Ich wollte gegen den Kaiser kämpfen, und sie haben mich hierhergebracht, ohne mir was zu sagen." „Ah! Ja, so ist es mit Militarismus, mit Kapitalismus! Wir sind Sklaven! Aber wir werden frei sein! Und du wirst helfen, du wirst nicht umbringen de russischen Arbeiter!" „Nein, bestimmt nicht!" rief Jimmie rasch. Und der kleine Fremde schob seinen Arm durch Jimmies. „Du komm mit, rasch! Ich zeig dir was, Towaritsch!"

6

Sie schlängelten sich durch die finsteren Straßen, bis sie zu einer Reihe von Arbeiterhütten kamen, verfertigt aus unbehauenen Baumstämmen, die Risse mit Lehm und Stroh verstopft - Löcher, in denen ein amerikanischer Farmer nicht einmal sein Vieh hätte unterbringen mögen. „So leben de Arbeiter", sagte der Fremde und klopfte an die Tür einer der Hütten. Eine Frau, an deren Röcken mehrere Kinder hingen, riegelte auf, und die Männer traten in eine von einer armseligen, blakenden Funzel erhellte Hütte. Auf der einen Seite befand sich ein riesiger Ofen, darauf ein Kessel, in dem Kohl kochte. Der Mann sagte kein Wort zu der Frau, sondern bedeutete Jimmie, vor dem Ofen Platz zu nehmen, und musterte ihn mit seinen durchdringenden
schwarzen Augen. „Zeigste mir de rote Karte?" sagte er plötzlich. Jimmie zog seinen schaffellgefütterten Mantel aus, knöpfte den Sweater darunter auf und zog aus einer Innentasche seines Waffenrocks die kostbare Karte mit den Beitragsstempeln, gegengezeichnet von den Sekretären der Orts-gruppe Leesville und der Ortsgruppe Hopeland und der Ortsgruppe Ironton. Der Fremde sah sie sich genau an und nickte dann. „Gut! Ich verlass mich auf dich." Als er die Karte zurückgab, bemerkte er: „Ich heiß Kalenkin. Ich bin Bolschewik."
Jimmie schlug das Herz höher - obwohl er es natürlich schon geahnt hatte. „Wir haben unserer Ortsgruppe in Ironton den Namen ,Bolschewik' gegeben", sagte er. „Sie haben uns vertrieben von hier", fuhr der Jude fort, „aber ich bin zurückgeblieben für de Propaganda. Ich suche Genossen unter de Amerikaner und de Briten. Ich sag: ,Kämpft nich gegen de Arbeiter, kämpft gegen de Herren, de Kapitalisten.' Verstehste?" „Klar!" sagte Jimmie.
„Wenn de Herren mich fassen, se bringen mich um. Aber ich verlass mich auf dich."
„Ich werd nichts sagen!" entgegnete Jimmie rasch. „Du hilfst mir", fuhr der andere fort. „Du gehst zu de amerikanischen Soldaten und sagst: ,Die russischen Menschen waren geknechtet so viele Jahre; nun sind sie frei, und da
kommt ihr sie töten oder wieder zu Knechte machen! Warum das?' Was werden sie sagen, Towaritsch?" Jimmie antwortete: „Sie werden sagen, sie wollen den Kaiser schlagen."
„Aber wir helfen den Kaiser schlagen! Wir kämpfen gegen ihn!"
„Sie sagen, ihr habt mit ihm Frieden geschlossen!" „Wir kämpfen mit Propaganda - die fürchtet der Kaiser am meisten. Wir geben dafür Millionen Rubel aus, wir drucken Zeitungen, Flugblätter - du weißt ja, Genosse, was Sozialisten machen. Wir schicken sie nach Deutschland, wir werfen sie ab aus Flugzeugen, wir haben Druckerpressen in -wie sagt ihr noch - de Schweiz, de Niederlande - überall. De Deutschen lesen, sie denken, sie sagen: Warum kämpfen wir für den Kaiser, warum sind wir nich frei wie de Russen? Ich weiß das, Towaritsch, ich hab geredet mit viele deutsche Soldaten. Es greift um sich wie Feuer in Deutschland. Kann sein, es braucht seine Zeit - ein Jahr - zwei Jahre, aber eines Tages wird das Volk sehn, de Bolschewiki hatten recht, sie kennen de Arbeiter, das Herz der Arbeiter
- sie haben das Leben, das Feuer, das nicht kann ausgelöscht werden im Herzen!"
„Bestimmt!" sagte Jimmie. „Aber so was kann man nicht zu den Landsern sagen."
„Gott der Gerechte!" sagte Kalenkin. „Als ob ich nich wüsst. Ich war doch in Amerika! Die denken, sie sind de Leut, was der große Gott selber gemacht hat! Sie wissen alles - sie brauchen nichts zu lernen. Sie sind de Demokratie; sie haben keine Klassen; Lohnsklaven - das is bloß ausländisches
- wie sagt man - Gesindel, nich wahr? Die schießen auf uns - hab ich doch gesehn, wie sie eingeschlagen haben auf de Arbeiter in Grand Street bei Streik." „Hab ich alles hinter mir", sagte Jimmie. „Was können wir machen?"
„Propaganda!" rief Kalenkin. „Es is das erste Mal, dass wir haben reichlich Geld für Propaganda - das Geld von ganz Russland für de Propaganda! Überall auf der Welt erreichen wir de Arbeiter - überall rufen wir ihnen zu: Steht auf! Steht auf und zerreißt eure Ketten! Glaubste, sie werden uns nich hören, Towaritsch? De Kapitalisten wissen, dass sie werden uns hören, die zittern, und darum sie schicken Armeen, dass sie uns sollen schlagen. Die glauben, die Armeen werden gehorchen - immer gehorchen - oder was?" „Sie glauben, das russische Volk wird gegen euch aufstehn."
Worauf der kleine Mann in wildes, vergnügtes Gelächter ausbrach. „Wir haben doch unsere eigene Regierung! Zum ersten Mal in Russland, zum ersten Mal in der Welt regieren de Arbeiter, und da werden die denken, dass wir werden meutern gegen uns selber! Sie haben hier aufgestellt - wie sagt man - Marionetten, was sie nennen Sozialisten, die machen hier in Archangelsk e Regierung, was sie nennen russisch! Die machen sich selber was vor, aber nichts vormachen tun se de Russen!"
„Sie glauben, diese Regierung wird sich durchsetzen", sagte Jimmie.
„Sie wird sich durchsetzen, so weit de Truppen reichen -so weit und nich weiter. Aber in Russland finden sich de Menschen alle zusammen. Und wenn sie sehn, de fremden Truppen kommen, dann sind sie alle Bolschewiki. Und warum, Towaritsch? Weil sie wissen, was das heißt, wenn Kapitalisten kommen und wollen neue Regierungen machen für Russland. Es heißt Staatsschulden - Schulden bei de Franzosen, Schulden bei de Engländer! Weißte das?" „Aber sicher weiß ich das", sagte Jimmie. „Es sind Milliarden, fünfzehn Milliarden Rubel allein an Frankreich. De Bolschewiki haben gesagt: ,Wir bezahlen die nich so schnell.' Und warum auch? Was haben sie gemacht mit dem Geld? Sie haben es geliehen an den Zaren, und für was? Um Sklaven zu machen aus den russischen Menschen, um sie zu stecken in die Armeen und sie kämpfen zu lassen gegen de Japaner, um aufzustellen e Polizeitruppe und hunderttausend russische Sozialisten zu schicken nach Sibirien! Nu, hab ich recht? Und solche Schulden sollen zahlen de russischen Sozialisten? So schnell nich! Wir sagen: ,Wir hatten nichts zu tun mit dem Geld! Ihr habt es geliehen dem Zaren, und nun holt es zurück vom Zaren!' Aber die sagen: ,Ihr müsst zahlen!' Und sie schicken Truppen, um Russland wegzunehmen das Land, um wegzunehmen das Öl und de Kohle und das Gold. So, Towaritsch! Sie wollen de Sowjets unterkriegen! Aber dazu müssen sie jede Stadt und jedes Dorf in Rußland einzeln nehmen - und die ganze Zeit machen wir Propaganda bei de Soldaten; wir machen sie bei de Franzosen und bei de Engländer und bei de Amerikaner, genau wie wir sie machen bei de Deutschen!"

7

Der kleine Mann hatte eine lange Rede gehalten und war erschöpft; er wurde vom Husten gepackt, presste die Hände gegen die Brust, und sein weißes Gesicht wurde krebsrot im Feuerschein. Die Frau brachte ihm Wasser zu trinken und blieb bei ihm stehen, die eine Hand auf seiner Schulter; ihr breites Bauerngesicht mit den tiefen Sorgenfalten bebte bei jedem neuen Hustenanfall des Mannes. Auch Jimmie bebte, während er dasaß und zusah und sich seiner hohen Bestimmung bewusst wurde. Er kannte jetzt die Lage, und er wusste, was seine Pflicht war. Es war alles ganz klar, ganz einfach - sein ganzes Leben war eine einzige lange Vorbereitung darauf gewesen. Irgendetwas in ihm schrie auf mit den Worten eines anderen proletarischen Märtyrers: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!", aber er brachte die Stimme seiner Schwäche zum Schweigen und fragte nach einer Weile: „Sag mir, was ich tun soll, Genosse."
Kalenkin fragte: „Haste gemacht Propaganda in Amerika?" „Klar", sagte Jimmie, „ich war schon mal im Knast, weil ich auf der Straße eine Rede gehalten habe." Da ging der andere in eine Ecke und wühlte unter einem halben Dutzend Kohlköpfen ein Paket hervor. Es enthielt Flugblätter, ein paar hundert vielleicht, und der Jude gab Jimmie eins davon und erklärte: „Sie fragen mich: ,Was solln wir machen, damit de Amerikaner begreifen?' Ich sage: ,Sie müssen wissen, wie wir machen Propaganda bei de Deutschen.' Ich sage: ,Druckt die Aufrufe, was wir geben de deutschen Truppen, und übersetzt sie ins Englische, damit auch de Amerikaner und de Engländer können lesen.' Glaubste, das wird helfen?"
Jimmie nahm das Flugblatt, rückte die Lampe ein bisschen näher und las:
Aufruf des Armeekomitees der Zwölften Russischen Armee (Bolschewiki), durch Anschlag überall verbreitet in der Stadt Riga während ihrer Räumung durch die Russen
Deutsche Soldaten!
Die russischen Soldaten der Zwölften Armee machen euch darauf aufmerksam, dass ihr für die Autokratie einen Krieg führt gegen die Revolution, gegen Freiheit und Gerechtigkeit. Der Sieg Wilhelms wird der Tod der Demokratie und der Freiheit sein. Wir räumen Riga in dem Bewusstsein, dass die Macht der Revolution sich schließlich doch stärker erweisen wird als die Macht der Kanonen. Wir wissen, dass auf die Dauer euer Gewissen sich durchsetzen wird und dass die deutschen Soldaten zusammen mit der russischen revolutionären Armee dem Sieg der Freiheit entgegen marschieren werden. Ihr seid im Augenblick stärker als wir, aber euer Sieg ist nur der Sieg der rohen Gewalt. Die moralische Kraft ist auf unserer Seite. Die Geschichte wird berichten, dass das deutsche Proletariat sich gegen seine revolutionären Brüder gestellt und die internationale Solidarität der Arbeiterklasse vergessen hat. Dieses Verbrechen könnt ihr nur auf eine Weise wiedergutmachen. Ihr müsst eure eigenen und gleichzeitig die internationalen Interessen erkennen und all eure gewaltige Kraft gegen den Imperialismus einsetzen und mit uns Hand in Hand gehen - in das Leben und in die Freiheit!
Jimmie sah auf.
„Was hältste davon?" rief Kalenkin gespannt. „Prima!" rief Jimmie. „Genau das, was sie brauchen! Dagegen kann niemand was haben. Es ist ja Tatsache, es ist genau das, was die Bolschewiki tun."
Der andere lächelte ingrimmig. „Towaritsch, wenn sie dich
finden mit dem Zettel, erschießen sie dich wie en Hund!
Sie werden erschießen uns alle!"
„Aber warum?"
„Weil es ist bolschewik."
Jimmie wollte schon sagen: Aber es ist doch die Wahrheit! Doch er merkte, wie naiv das klingen würde. So wartete er, während Kalenkin fortfuhr: „Zeig das nur Männern, was du
kannst vertrauen. Versteck den Stapel und nimm eins und mach es dreckig, und dann sagste: ,Das hab ich gefunden auf der Straße. Nu seht mal, kämpfen so de Bolschewiki gegen den Kaiser? Wenn das so ist, was müssen wir kämpfen gegen sie?' So gibst du die weg, und irgendwann komm ich mit was Neues."
Jimmie gab zu, dass man es so machen musste. Er faltete an die zwanzig Flugblätter zusammen, stopfte sie in eine Innentasche seines Waffenrocks und zog seinen schweren Mantel und seine Handschuhe an, die er gern dem elenden, halbverhungerten und halberfrorenen Bolschewiken geschenkt hätte. Er klopfte ihm ermunternd auf den Rücken und sagte: „Du kannst mir vertraun, Genosse; ich werde sie weitergeben, und sie werden Ergebnisse bringen, darauf kannst du dich verlassen."
„Du darfst nichts von mir sagen!" rief Kalenkin mit großer Eindringlichkeit.
Worauf Jimmie antwortete: „Nicht mal, wenn sie mich bei lebendigem Leibe rösten."

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