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Upton Sinclair - Jimmie Higgins (1919)
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14. Kapitel: Jimmie Higgins geht auf Wanderschaft

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Jimmie Higgins trottete ziellos die Straße entlang, als er auf den Wilden Bill stieß, der natürlich äußerst erstaunt war, seinen Freund betrunken zu sehen. Als er den Grund
erfuhr, enthüllte er eine unerwartete Seite seines Wesens. Wenn man den Wilden Bill nach seinen Reden beurteilte, hielt man ihn für einen durch und durch verkommenen Menschen, für eine von Neid, Hass und Bosheit zersetzte Seele und die Hartherzigkeit in Person. Aber jetzt traten ihm die Tränen in die Augen, und er legte seinen Arm um Jimmies Schulter. „Au Mann, so ein Scheißdreck! Mein Gott, tut mir das leid!" Und Jimmie, der nichts so sehr brauchte wie einen Menschen, der mit ihm traurig war, fiel Bill um den Hals und brach in Tränen aus, erzählte immer wieder von vorn, wie er hatte nach Hause gehen wollen und dort bloß noch einen Riesenexplosionstrichter vorgefunden hatte und wie er umhergeirrt war und nach seiner Frau und seinen Kindern gerufen hatte, bis sie ihm schließlich das eine Bein von seiner Frau gebracht hatten. Der Wilde Bill hörte zu, bis er die Geschichte auswendig kannte, und sagte dann: „Weißt du was, Kumpel, lass uns beide hier verschwinden aus dieser Stadt." „Verschwinden?" fragte Jimmie verständnislos. „Ich brauch nur den Mund aufzumachen, und schon stürzen sich die Polizisten auf mich. Leesville ist ein Mistkaff, sage ich dir. Lass uns abhaun." „Und wo wollen wir hin?"
„Irgendwohin - ist doch ganz egal. Es wird bald Sommer. Machen wir hier Schluss."
Jimmie war einverstanden - warum sollte er nicht? Sie gingen zu der Pension, wo Bill wohnte; dort schnürte er seine irdischen Güter in einen Sack - sie bestanden zum größten Teil aus einem Tagebuch, in dem er seine Abenteuer als Anführer eines Arbeitslosenheers verzeichnet hatte, das vor etwa vier Jahren von Kalifornien nach Washington, D. C., marschiert war. Sie nahmen die Straßenbahn und wanderten, nachdem sie draußen auf dem Land ausgestiegen waren, am Fluss entlang. Jimmie, noch immer schluchzend, und Bill, geschüttelt von einem seiner furchtbaren Hustenanfälle. Schließlich ließen sie sich am Ufer nieder, und zwar gar nicht weit von der Stelle entfernt, wo Jimmie mit dem Kandidaten schwimmen gewesen war; er gab einen ergreifenden Bericht von diesem Abenteuer, schlief jedoch mittendrin ein. Bill zog los und erbettelte in einem Bauernhaus etwas zu essen, wobei ihm sein Husten als erwünschtes
Mittel diente, das Herz der Hausfrau zu erweichen. Als es Nacht wurde, gingen sie zur Bahnstrecke und sprangen auf einen in Richtung Süden fahrenden Güterzug; so kehrte Jimmie Higgins zu dem Landstreicherleben -zurück, mit
dem er einen beträchtlichen Teil seiner Jugend zugebracht hatte.
Aber ein Unterschied war da jetzt: Er war nicht mehr das blinde und hilflose Opfer eines falschen ökonomischen Systems, sondern ein Revolutionär, zutiefst klassenbewusst, in harter Schule erzogen. Das Land zog in den Krieg, und Jimmie zog in den Krieg gegen das Land. Die beiden Agitatoren sprangen bei einem Bergwerkscamp vom Zug, besorgten sich einen Job als „Übertageleute" und schickten sich an, den Arbeitern in einer verdreckten firmeneigenen Pension ihr Evangelium des Aufruhrs zu predigen. Als man sie entdeckte, sprangen sie auf einen anderen Güterzug auf und wiederholten die Vorstellung in einer anderen Gegend des Distrikts.
Die Firmen waren zu wachsam, als dass sich irgendeine Möglichkeit für einen Streik geboten hätte; aber der Wilde Bill flüsterte den jungen Arbeitern zu, er wüsste einen Trick, der doppelt soviel wert sei - er würde ihnen die Kunst beibringen, wie man am Arbeitsplatz streikte! Dieser Gedanke war natürlich bestechend für aufgebrachte Männer; sie konnten so dem Boss Kontra geben, ohne dass er sie von der Lohnliste strich. Bill hatte ganze Bücher gelesen über Theorie und Praxis der „Sabotage", und er kannte alle möglichen Kniffe, die ein Arbeiter anwenden konnte, damit sein Arbeitgeber Blut schwitzte. Wenn man in einer Maschinenfabrik arbeitete, dann schüttete man Schmirgelpulver in die Achslager: wenn man auf einer Farm arbeitete, schlug man Kupfernägel in die Obstbäume, wovon sie eingingen; wenn man Äpfel verpackte, drückte man in einen davon seinen Daumennagel und konnte sicher sein, dass bei
der Ankunft die ganze Kiste verfault war; wenn man in einer Sägemühle arbeitete, schlug man einen langen Nagel in einen Stamm; wenn man in einem Restaurant arbeitete, trug man doppelte Portionen auf, um den Besitzer zu ruinieren, und spuckte in jede Portion, um sicher zu sein, dass der Gast davon nicht profitierte. Das alles tat man in leidenschaftlicher Erregung, in einer Stimmung von rasendem
Opfermut, weil einem in der Seele die lodernde Flamme des Hasses angefacht worden war, durch ein Gesellschaftssystem, das auf Unterdrückung und Schurkerei beruhte.

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Solange Jimmie das unauffällige und vergleichsweise friedliche Leben eines Propagandisten des Sozialismus geführt hatte, war für ihn die Frage „Sabotage, Gewalttat und Verbrechen" eine mehr oder weniger akademische gewesen, eine Frage, die die Genossen erbittert debattiert und die sie mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt hatten. Aber jetzt war Jimmie draußen unter den „Wobblies", den „Tippelbrüdern" - den ungelernten Arbeitern, die buchstäblich nichts als ihre Muskelkraft zu verkaufen hatten; hier war er in den vordersten Gräben des Klassenkampfes. Diese Männer zogen durchs Land, von einer Gelegenheitsarbeit zur anderen, ganz nach der Laune der Jahreszeiten und den Schwankungen der Industrie. Ihnen war das Wahlrecht genommen und damit auch ihre Stellung als Staatsbürger; sie hatten keine Möglichkeit, sich zu organisieren, und damit auch, keine Rechte als Menschen. Sie wurden in verdreckten Baracken untergebracht, bekamen verdorbenen Fraß vorgesetzt und wurden beim geringsten Won des Aufbegehrens verprügelt oder eingesperrt. Also bekämpften sie ihre Unterdrücker mit jeder Waffe, deren sie habhaft werden konnten.
Im Terpentinölgebiet stießen Jimmie und sein Kumpel in einem Wald auf einen „Dschungel", einen Ort, wo sich die Wobblies sammelten und von dem lebten, was die Umgegend ihnen so bot. Hier an den Lagerfeuern begegnete Jimmie den Guerillas des Klassenkampfes und lernte die aufrührerischen Lieder, die sie sangen - manche waren Parodien von Kirchenliedern, bei denen die Rechtgläubigen und Ehrbaren vor Schreck in Ohnmacht gefallen wären. Hier ruhten sie sich aus, tauschten Nachrichten aus darüber, wie es mit ihrem Kampf voranging, diskutierten über die Taktik, fluchten auf die Sozialisten und die anderen „Leisetreter" und „Labourbonzen" und sangen ein Loblied auf die „eine große Gewerkschaft", den „Massenstreik" und die „direkte Aktion" gegen die Herren der Industrie. Sie erzählten Geschichten von ihren Leiden und ihren Taten, und Jimmie saß und hörte zu. Manchmal bekam er vor Bestürzung ganz große Augen, denn noch nie waren ihm Männer begegnet, die so desperat waren. Zum Beispiel „Erdbeer-Curran" - so genannt wegen seiner roten Haare und seiner unzähligen Sommersprossen -, ein junger Ire mit dem Gesicht eines Chorknaben und mit Augen, die glatt aus dem Blau des Himmelszelts genommen worden sein mussten. Dieser Halbwüchsige erzählte von einem „Redefreiheitskrawall" in einer Stadt weit drüben im Westen und wie der Polizeichef die Prügelattacke angeführt habe und wie sie es ihm heimgezahlt hätten. „Wir haben ihn sauber umgelegt", sagte Erdbeere; es war dies eine seiner Lieblingsredensarten - immer, wenn ihm jemand in den Weg kam, „legte er ihn um". Und daraufhin wollte „Plattkopf-Joe", der aus dem Indianergebiet kam, mit ihm gleichziehen und erzählte, wie er in einem Bergwerk Dynamit unter den Sockel eines Brechers gelegt habe und die ganze Anlage den Hang hinunter in den eine Meile tiefer liegenden Canon gerutscht sei. Und dann erzählte ein lahmer Bursche, ein gewisser „Chuck" Peterson, wie im Hopfengebiet von Kalifornien zwei Streikführer eingesperrt worden seien und danach ein paar Jahre lang in der Gegend eine Epidemie von Bränden und Zerstörungen gewütet habe.
Von all diesen Vorfällen redeten die Männer ganz beiläufig, so wie etwa Soldaten über die Ereignisse des letzten Feldzugs sprechen würden. Dieser Klassenkampf dauerte schon eine Ewigkeit und hatte seine eigene Moral und seine eigenen Traditionen; wer an ihm teilnahm, hatte seinen Heroismus und seine Größe, genau wie jeder andere Soldat. Sie hätten ihren Kampf ja gerne offen geführt, aber die Gegenseite hatte allein die Schusswaffen. Jedesmal wenn es die Wobblies schafften, die Arbeiter zu organisieren und einen großen Streik auszurufen, wurden alle Hilfsmittel kapitalistischer Unterdrückung gegen sie eingesetzt - kapitalistische Polizisten verprügelten sie, kapitalistische Sheriffs schossen auf sie, in kapitalistischen Gefängnissen hungerten und froren sie, und so wurde ihr Streik zerschlagen, und ihre Kräfte wurden zersplittert. Nach vielen Erfahrungen dieser Art war es unvermeidlich, dass die Hitzköpfe sich auf die geheime Rache verlegten und zu Verschwörern gegen die kapitalistische Gesellschaft wurden. Und die Gesellschaft vergaß alle Provokationen, die von ihr gekommen waren, nannte die Wobblies Verbrecher und ließ es damit bewenden. Aber es waren Verbrecher ganz eigener Art, die im Dienst eines fernen Traums standen. Sie hatten ihren Humor und ihre Kultur, ihre Literatur, ihre Musik und ihre bildenden Künste. Es gehörten gebildete Männer zu ihnen, Absolventen amerikanischer und ausländischer Universitäten; man konnte erleben, dass einer aus der Gruppe um diese Lagerfeuer von Sklavenaufständen im alten Ägypten oder Griechenland erzählte oder dass einer Strindberg und Stirner zitierte oder dass er eine Szene von Synge vortrug oder berichtete, wie er in einem einsamen Farmhaus die Familie verblüfft habe, indem er ihnen auf einem arg verstimmten Klavier das „Prélude" von Rachmaninow vorspielte.
Ebenso traf man unter ihnen Männer, die sich ihre Freundlichkeit, ihre Herzensgüte bewahrt hatten, Männer von bewundernswerter Geduld, deren Traum von der Bruderschaft aller Menschen keine Verfolgung und keine Schändlichkeit hatten zerstören können. Sie hielten fest an ihrer Vision einer erlösten, einer von den Ausgestoßenen und Niedrigen erneuerten Welt, einer Vision, die einst von einem gewissen jüdischen Zimmermann ins Leben gerufen wurde und seitdem der Welt schon neunzehnhundert Jahre keine Ruhe lässt. Der Unterschied war, dass diese Männer ganz genau wussten, wie sie es anfangen wollten; sie hatten eine feste Weltanschauung, ein festes Programm, das sie als frohe Botschaft unter die Lohnsklaven der Welt trugen. Und sie wussten, dass diese frohe Botschaft nie sterben würde - alle Kerker und Schlagstöcke und Maschinengewehre des Landes konnten sie nicht umbringen, auch nicht Spott und Verleumdung, nicht Hunger, Kälte und Krankheit. Nein! Denn die Arbeiter hörten und begriffen, sie lernten die unschätzbare Lektion der Solidarität. Sie formierten die „eine grolle Gewerkschaft", bereiteten den Augenblick vor, da sie die Industrie übernehmen und sie durch ihre eigenen Arbeiterräte statt durch Parlamente und gesetzgebende Körperschaften verwalten würden. Das war die große Idee, die dem Verband der Industriearbeiter der Welt zugrunde lag; das war es, was sie unter „direkter Aktion" verstanden, und nicht das Anrüchige, was die kapitalistischen Zeitungen aus diesem Schlagwort machten.

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Das Land zog jetzt in seinen eigenen Krieg, den es für wichtig hielt, und rief Jimmie Higgins und den Rest seiner Gefährten auf, sich zum Militärdienst zu melden. Im Monat Juni gehorchten zehn Millionen Männer diesem Ruf -doch Jimmie war selbstredend nicht unter ihnen. Jimmie und seine Gefährten fanden, das sei der größte Witz des Jahrhunderts. Wenn das Vaterland sie haben wollte, dann sollte es doch kommen und sie holen. Und tatsächlich kam das Vaterland auch - ein Sheriff mit einigen dreißig Farmern und Terpentinarbeitern, die als Hilfssheriffs vereidigt und mit Schrotflinten und Gewehren bewaffnet waren. Sollten ihre Söhne vielleicht nach Übersee gehen und sich auf dem Schlachtfeld umbringen lassen, während diese Desperados hier weiter Picknick im Freien machten und Schweine und Hühner auffraßen, die anständige Menschen mühsam großgefüttert hatten? Sie hatten mit diesem „Dschungel" schon lange aufräumen wollen; jetzt konnten
sie es im Namen des Patriotismus tun. Sie umzingelten das Lager, schossen einen Mann an, der sich im Dunkeln davonmachen wollte, durchsuchten die übrigen nach Waffen, verluden sie dann in ein halbes Dutzend Autos und schafften sie fort zum nächsten Spritzenhaus. So stand Jimmie denn also vor einer dörflichen Musterungskommission. Wie alt war er? Ehrlich gesagt, wusste Jimmie das selbst nicht genau, aber nach seiner Schätzung war er ungefähr sechsundzwanzig. Die Altersgrenze für die Einberufung war dreißig, also schwor er, er sei zweiunddreißig. Und was sollten sie dagegen machen? Sie wussten ja nicht, wo er geboren war, und konnten ihn nicht zwingen, es zu sagen - weil er es selbst nicht wusste! Sein Gesicht war von vielen Sorgen zerfurcht, und er hatte ein paar graue Haare seit jener Schreckensnacht, als seine Lieben ausgelöscht worden waren. Diese Bauern wussten zwar, wie man das Alter eines Pferdes schätzte, aber nicht, wie man das Alter eines Menschen schätzte! „Wir ziehn dich so oder so ein!" versicherte der Vorsitzende der Kommission, der der Friedensrichter am Ort war ein alter Knabe mit einem Bart wie ein Ziegenbock. „All right", sagte Jimmie, „aber von mir habt ihr nichts." „Was soll das heißen?"
„Das soll heißen, dass ich nicht kämpfen werde; ich bin aus Gewissensgründen gegen den Krieg." „Dann wird man dich erschießen!" „Schießt nur, wenn's euch Spaß macht!" „Man wird dich auf Lebenszeit ins Gefängnis stecken." „Das kümmert mich einen Scheißdreck!" Es war schwer zu sagen, was man mit so einem Menschen anfangen sollte. Steckte man ihn tatsächlich ins Gefängnis, würde man ihn bloß auf Gemeindekosten durchfüttern müssen, und es würde nicht helfen, die Deutschen zu besiegen. An dem Blitzen seiner Augen konnte man erkennen, dass er nicht leicht kleinzukriegen sein würde. Das lokalpatriotische Interesse behielt die Oberhand, und der Alte mit dem Wippebart fragte: „Wenn wir dich laufenlassen, verschwindest du dann aus diesem County?" „Was zum Teufel liegt mir an eurem blöden County?" antwortete Jimmie.
Also ließen sie ihn gehen, und den Wilden Bill ebenfalls, weil man auf einen Blick sehen konnte, dass er's in dieser Welt und ihren Kriegen nicht mehr lange machen würde. Die beiden brachen in einen leeren Güterwagen ein und donnerten die ganze Nacht darin über die Schienen. Während sie dort noch so in der Dunkelheit lagen, wurde Jimmie durch einen entsetzlichen Aufschrei seines Gefährten geweckt, und als er die Hand ausstreckte, fasste er in etwas Warmes, Nasses.
„O mein Gott!" keuchte Bill. „Ich bin geliefert." „Was ist denn?" „Ein Blutsturz."
Der erschrockene Jimmie wusste nicht einmal, was das war. Er konnte nichts weiter tun als dasitzen, seines Freundes zitternde Hand halten und auf sein Stöhnen lauschen. Als der Zug hielt, sprang Jimmie hinaus und rannte zu einem der Bremser. Der kam mit seiner Laterne und sah den Wilden Bill in einer Blutlache liegen, schon so geschwächt, dass er nicht mehr den Kopf heben konnte. „Jesses!" rief der Bremser. „Der ist ja tatsächlich hin!"
Der da „hin" war, versuchte etwas zu sagen, und Jimmie beugte sich mit einem Ohr zu ihm hinunter. „Good-bye, Kumpel", flüsterte Bill. Das war alles, aber es brachte Jimmie zum Schluchzen.
Die Lokomotive pfiff. „Was, verdammt noch mal, habt ihr Penner auf diesem Zug zu suchen?" fragte der Bremser -aber nicht so grob, wie es dem Wortlaut nach scheinen konnte. Er hob den Sterbenden hoch - keine sehr große Last - und legte ihn auf dem Bahnsteig nieder. „Tut mir leid", sagte er, „aber wir haben Verspätung." Er schwenkte seine Laterne, die quietschenden Wagen setzten sich in Bewegung, der Zug fuhr davon, und Jimmie blieb zurück und saß da bei seinem toten Kumpel. Einsam und verlassen schien die Welt in dieser langen Nacht. Am Morgen kam der Stationsvorsteher und verständigte die nächste Behörde, und im Laufe des Tages kam dann ein Wagen, um die Leiche abzuholen. Was hätte es für einen Sinn gehabt, wenn Jimmie noch gewartet hätte? Ein Armenfriedhof war wie der andere, und die Beerdigung würde keine großartige Angelegenheit sein. Der Mann, der den Wagen fuhr, beäugte Jimmie misstrauisch und fragte ihn nach seinem Alter; in dieser Gegend wären sie knapp dran mit Arbeitskräften, sagte er - bei ihnen hieß es: „Arbeite oder kämpfe!" Jimmie sah eine weitere Musterung auf sich zukommen und sprang daher wieder auf einen Güterzug; als Erbschaft nahm er des Wilden Bills Tagebuch über das Arbeitslosenheer mit.

4

Es war Erntezeit, und Jimmie fuhr nach Westen ins Weizengebiet. Die Arbeit war hart, aber bei dem Lohn bekam man Stielaugen. Jimmie erkannte, dass der Krieg gar nicht so schlecht war - für die, die zu Hause blieben! Wenn man bei einem Farmer die Art nicht schätzte, wie er mit einem redete, oder die Kekse nicht mochte, die seine Frau einem anbot, konnte man weiterziehen zum nächsten, und der stellte einen dann für einen halben Dollar mehr pro Tag ein. Für einen Arbeiter war es fast das Paradies, ein Zustand, wie ihn Jimmie noch nie erlebt hatte. Ungünstig war eigentlich nur eins: diese lästigen Musterungskommissionen, die nie aufhörten herumzuschnüffeln. Immerfort luden sie einen vor, drohten einem und fragten einen aus -drehten einen immer wieder durch dieselbe Mühle. Warum konnten diese Schwachköpfe einem nicht eine Karte geben, die zeigte, dass man durch die Mühle durch war, und es damit gut sein lassen? Aber nein, sie gaben einem keine Karte - sie wollten einen lieber immer wieder hochjagen, weil man keine Karte hatte. Das war alles so ein Dreh, dachte Jimmie, um ihn zu zermürben und ihn auf Biegen und Brechen in ihre Armee zu pressen. Aber hier würden sie eben mal kein Glück damit haben!
Jedoch war Jimmie Higgins nun, da der Wilde Bill aus seinem Leben verschwunden war, nicht mehr halb so gefährlich. Es lag eigentlich nicht in seiner Natur, Hassgefühle zu hegen oder sich vorsätzlich rächen zu wollen. Jimmie war Sozialist im wahren Sinne des Wortes - er fühlte sich als Teil der Gesellschaft, und den Frieden und den Überfluss und die Freundlichkeit, die er für sich selber wünschte, wünschte er für die ganze Menschheit. Er träumte nicht von einem Zeitpunkt, da er die Kapitalisten von der Macht vertreiben und sie so behandeln könnte, wie sie jetzt ihn behandelten; er wünschte sich die Welt so, dass sie für die Kapitalisten ein ebenso angenehmer Ort wäre wie für die Arbeiter - alle würden gleichmäßig miteinander teilen, und Jimmie war bereit, die alte Rechnung zu löschen und jederzeit auf faire Weise neu anzufangen. Seine Propaganda nahm wieder die alte idealistische Tönung an, und nur wenn jemand ihn auf die Schlachtbank zerren wollte, bekam er Zähne und Krallen.
So wurde er wieder leidlich froh - froher, als er es je für möglich gehalten hätte. Vergebens sagte er sich, dass er nichts hatte, wofür er leben konnte; er hatte das Großartigste auf der Welt, für das man leben konnte, die Vision einer gerechten und vernünftigen und glücklichen Welt. Solange sich jemand fand, der zuhörte, wenn er davon redete und erklärte, wie man das erreichen könnte, war das Leben die Mühe wert, war das Leben real. Nur dann und wann quälte ihn sein bitterer Kummer wieder - wenn er des Nachts aufwachte und in der Erinnerung die Arme um den weichen, warmen, lieben Körper Elisa Betusers geschlungen hatte; oder wenn er zu einer Farm kam, wo Kinder waren, deren Geplapper ihn an den kleinen Knirps erinnerte, der für ihn der Hauptgrund gewesen war, sich eine gerechte und vernünftige und glückliche Welt zu wünschen. Auf einer solchen Farm, wo Kinder waren, musste Jimmie feststellen, dass er dort nicht arbeiten konnte, und als er der Farmersfrau den Grund verriet, schlossen er und die Frau einen zeitweiligen Waffenstillstand im Klassenkampf und feierten das mit einer halben Apfeltorte.

5

Die Sozialisten hielten in St. Louis einen Parteitag ab und arbeiteten eine Deklaration zum Krieg aus. Sie nannten ihn den ungerechtesten Krieg der Geschichte, „ein Verbrechen am Volk der Vereinigten Staaten"; sie riefen die Arbeiter des Landes auf, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, und verpflichteten sich „zur Unterstützung aller Massenbewegungen gegen die Wehrpflicht". Das war natürlich in einer solchen Zeit ein folgenschwerer Schritt; dessen waren sich die Genossen auch bewusst, und es gab ernste Diskussionen über den Entwurf und recht erhebliche Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Klugheit einer solchen Deklaration. In der Stadt Hopeland, in deren Nähe Jimmie arbeitete, bestand eine Ortsgruppe, und er ließ sich von Leesville nach dort überweisen, bezahlte seine rückständigen Beiträge und ließ seine kostbare rote Karte auf den neuesten Stand bringen. Und dann ging er hin und hörte sich die Debatten an, die genauso aufregend und verwirrend waren wie diejenigen, die er bei Ausbruch des Krieges mit angehört hatte.
Ein paar Leute wiesen darauf hin, was die Worte „alle Massenbewegungen gegen die Wehrpflicht" genaugenommen eigentlich bedeuteten. Der führende Textilkaufmann der Stadt, der Sozialist war, erklärte, dass diese Worte Aufruhr und Gewalttätigkeit des Pöbels bedeuteten und dass die Resolution als Aufruf zum Hochverrat angesehen werden würde. Worauf ein russisch-jüdischer Schneider, Rabin mit Namen, aufsprang; sein Vorname war Scholem, was Frieden bedeutet, und er rief in großer Aufregung: „Wos hobn wer Sozialisten ze schaffen mit solchene Wörter? Die können wer doch überlassen dem Feind, oder was?" Man hätte meinen können, man wäre in Leesville und hörte den Genossen Stankewitz. Der einzige Unterschied war, dass es in dieser Stadt nicht viele Deutsche gab und dass diese wenigen sich in ihren Diskussionen auf Irland und Indien beschränkten.
Jimmie hörte sich die Argumente an, hin und her und wieder hin, und das Durcheinander in seinem Kopf wurde immer größer. Er haßte den Krieg genauso sehr wie bisher; aber andererseits lernte er auch, die Deutschen zu hassen. Die amerikanische Regierung, die in den Krieg eintrat, sah sich genötigt, ihren Schritt zu erklären, und die Läden und Reklameflächen waren voll von Parolen und Plakaten, und die Zeitungen waren voll von Schilderungen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Deutschland begangen hatte. Jimmie mochte es zwar ablehnen, solchen „Wall-Street-Schmus", wie er das nannte, zu lesen - die Arbeiter mit denen er zusammen war, lasen ihn aber und bombardierten ihn jedesmal damit, wenn er sich mit ihnen in eine Diskussion einließ. Dazu die Tagesereignisse in den Nachrichtendepeschen - das Versenken von Lazarettschiffen mit Verwundeten, der Beschuss von Rettungsbooten, das Verschleppen dreizehn-, vierzehnjähriger belgischer Kinder zur Sklavenarbeit in Kohlenbergwerken! Wie konnte man denn anders als eine Regierung hassen und fürchten die solche Gräueltaten beging? Wie konnte er ruhig bleiben bei dem Gedanken, dass er vielleicht einer solchen Regierung zum Sieg verhalf?
Jimmie war ehrlich, er versuchte sich vor den Tatsachen, so wie er sie sah, nicht zu drücken, und wenn er es sich richtig überlegte, wenn er daran dachte, was er zusammen mit dem Wilden Bill und Erdbeer-Curran und Plattkopf-Joe und Chuck Peterson angestellt hatte, konnte er nicht leugnen dass er, wenn auch unbeabsichtigt, dem Kaiser geholfen hatte, den Krieg zu gewinnen. In seinen Diskussionen mit anderen traute sich Jimmie nicht, alles zu sagen, was er über solche Dinge wusste; doch wenn er mit sich selbst zu
Rate ging, war sein Gewissen belastet, und an seiner Seele nagte der Zweifel. Angenommen, es wäre wahr, was Genosse Dr. Service ihm hatte beweisen wollen, nämlich dass ein Sieg des Kaisers bedeuten würde, dass Amerika die nächsten zwanzig, dreißig Jahre damit beschäftigt wäre, für den nächsten Krieg zu rüsten? War es dann nicht vielleicht doch besser, eine Weile auf die revolutionäre Agitation zu verzichten, bis der Kaiser außer Gefecht gesetzt war? Nicht wenige Sozialisten argumentierten so - Männer, die in der Bewegung aktiv gewesen waren und von denen Jimmie vor dem Krieg eine hohe Meinung gehabt hatte. Nun sprachen sie sich gegen die Resolution von St. Louis aus -den „Majoritätsreport", wie er genannt wurde. Als dieser Report mit einem Stimmenverhältnis von etwa acht zu eins in der Abstimmung angenommen wurde, zogen sich diese Genossen aus der Partei zurück, und einige griffen ihre früheren Freunde erbittert an. Derartige Äußerungen wurden von der kapitalistischen Presse aufgegriffen, und das wiederum empörte Jimmie Higgins. Schöne Sozialisten, die das Schiff in der Stunde der Gefahr verließen! Renegaten nannte Jimmie sie und verglich sie mit Judas Ischariot und Benedict Arnold und dergleichen Berühmtheiten vergangener Zeiten. Da die anderen aus genau demselben Holz geschnitzt waren wie Jimmie, blieben sie ihm die Antwort nicht schuldig und schimpften Jimmie einen Deutschenfreund und Verräter, was es nicht eben leichter machte, Jimmie zu überreden, sich ihre Argumente wenigstens anzuhören. So waren beide Seiten vor Wut verblendet, vergaßen, worum es eigentlich ging, und dachten nur daran, einem verhassten Widersacher eins auszuwischen.

6

Im ganzen Land schickten jetzt Männer ihre Söhne in die Ausbildungslager und steckten ihr Geld in „Freiheitsobligationen". Sie waren deshalb nicht in der Stimmung, sich Argumente anzuhören - bei der leisesten Andeutung, dass die Sache, für die sie Opfer brachten, nicht vollkommen richtig und gerecht sei, gerieten sie in Wut. Es gab da eine Organisation, die sich „Volksrat für Frieden und Demokratie" nannte. Sie versuchte einen Kongress abzuhalten; die Zusammenkunft wurde vom Pöbel unterbrochen, und die Delegierten irrten im Lande umher und versuchten vergeblich zusammenzukommen. Der Bürgermeister von Chicago gab ihnen die Erlaubnis, in der Stadt ein Treffen durchzuführen, aber der Gouverneur des Staates Illinois schickte Truppen, um es zu verhindern! Man muss wissen, dass die Menschen im Lande alles über die Organisation erfahren hatten, für die Jerry Coleman tätig gewesen war - über den „Nationalen Friedensrat der Arbeiter", und hier gab es nun eine andere Organisation, die praktisch denselben Namen trug, und führte eine Agitation durch, die für den Durchschnittsbürger dasselbe war. Der Unterschied zwischen gedungenem Verrat und Superidealismus war viel zu fein, als dass ihn die Menschen in einer solchen Gefahrenzeit festgestellt hätten.
Es kam immer mehr in Mode, Sozialisten zu verhaften und ihre Zeitungen zu verbieten; an manchen Orten erklärten die Behörden den „Majoritätsreport" für „durch die Post nicht beförderbar" und stellten die Sekretäre von Einzelstaaten und Bund vor Gericht, weil sie ihn in der täglichen Routine ihrer Geschäfte verschickt hatten. Jimmie erhielt vom Genossen Meissner aus Leesville einen Brief, in dem er ihm mitteilte, dass der Genosse Jack Smith für seine Rede in der Oper zwei Jahre Zuchthaus bekommen habe und dass die anderen verhinderten Redner zu einer Geldstrafe von je fünfhundert Dollar verurteilt worden seien. Mehrere Nummern des „Worker" hatten nicht durch die Post befördert werden dürfen, und nun hatte die Polizei die Büros gestürmt und ein einstweiliges Druckverbot erwirkt. Überall im Land geschah Ähnliches; wenn man darum jetzt Jimmie gegenüber für den Krieg eintrat, war seine Antwort, dass Amerika preußischer sei als Preußen selbst, und was habe es denn für einen Sinn, für die Demokratie im Ausland zu kämpfen, wenn man zu Hause jedes Stückchen Demokratie opfern müsse, um den Kampf zu gewinnen?
Jimmie glaubte das wirklich - glaubte es mit verzweifeltet, leidenschaftlicher Intensität. Er rechnete mit einem Krieg, der zugunsten der Bedrückung im eigenen Land gewonnen werden würde; er sah voraus, dass das System des Militarismus und der Unterdrückung dem amerikanischen Volk für immer aufgezwungen bleiben würde. Jimmie räumte ein, dass es dem Präsidenten persönlich mit den schönen Worten, die er über die Demokratie sagte, vielleicht ernst sein mochte; doch die großen Machthaber der Wall Street, die das Land seit vielen Jahrzehnten regierten - sie hatten ihre geheimen Ziele, für die die Kriegsbegeisterung als bequemer Deckmantel diente. Sie wollten die allgemeine Wehrpflicht in Amerika einführen; sie wollten dafür sorgen, dass jedes Schulkind die militärischen Lektionen von Gehorsamkeit und Subordination lernte. Außerdem wollten sie die radikalen Zeitungen aus dem Verkehr ziehen und aller radikalen Propaganda ein Ende machen. Diejenigen Sozialisten, die sich hatten verleiten lassen, das Kriegsprogramm des Präsidenten zu unterstützen, würden eines Morgens mit einem gallebitteren Geschmack im Mund aufwachen.
Nein, sagte Jimmie Higgins, die richtige Art, den Krieg zu bekämpfen, war, die Vorwände zu bekämpfen, durch die man überredet werden sollte, den Krieg mitzumachen, so geschickt und einleuchtend sie auch immer sein mochten. Die richtige Art, den Krieg zu bekämpfen, war die Art, wie es die Russen machten. Die Propaganda für die proletarische Revolution, das glorreiche Beispiel, das die russischen Arbeiter gegeben hatten, würden mehr dazu beitragen, die Macht des Kaisers zu zerstören, als alle Kanonen und Granaten der Welt. Doch die Militaristen wollten sie nicht auf die Art zerstört haben - Jimmie hatte den Verdacht, dass es vielen von ihnen lieber war, wenn der Kaiser den Krieg gewänne, als wenn ihn die Sozialisten gewännen. Die Regierungen verweigerten den Sozialisten, die sich in einem neutralen Land treffen und die Grundlage für eine Regelung erarbeiten wollten, durch die alle Völker der Welt zu einer Einigung gelangen könnten, die Ausreisepässe, und Jimmie hielt das Verbot dieser Sozialistenkonferenz für das größte Verbrechen des Weltkapitalismus; es war der Beweis, dass der Weltkapitalismus seinen wahren Feind kannte und den Krieg als Vorwand benutzen wollte, um diesen Feind niederzuhalten.

7

Mit jedem Tag setzte Jimmie mehr Hoffnung auf Russland. Sein kleiner Freund Rabin, der Schneider, hielt eine russische Zeitung, die in New York erschien, den „Nowy Mir", und übersetzte immer die darin abgedruckten Meldungen und Kommentare. Dadurch angeregt, beschloss die Ortsgruppe Hopeland, den russischen Arbeitern in einer Botschaft ihre brüderliche Sympathie auszudrücken. Wie sich herausstellte, war in Petrograd und Moskau ein Kampf im Gange zwischen den proalliierten Sozialisten und den Internationalisten, den wahren, hundertprozentigen, nicht nach rechts, nicht nach links abweichenden, waschechten Proletariern. Die ersteren hießen Menschewiki, die letzteren Bolschewiki, und natürlich war Jimmie voll und ganz für die letzteren. Kannte er denn nicht die Lockvogelsozialisten im eigenen Land, die sich vom Kapitalismus benutzen ließen?
Zwei große Fragen standen zur Debatte - erstens der Grund und Boden, den die Bauern den Grundbesitzern wegnehmen wollten, und zweitens die Auslandsschulden. Der russische Zar hatte von Frankreich vier Milliarden Dollar und von England ein oder zwei Milliarden geliehen, die dazu verwendet werden sollten, die russischen Arbeiter zu versklaven und mehrere Millionen von ihnen auf dem Schlachtfeld in den Tod zu treiben. Sollten sich da die russischen Arbeiter zur Rückzahlung dieser Schulden verpflichtet fühlen? Wenn jemand Jimmie Higgins diese Frage stellte, antwortete er mit einem donnernden „Nein", und er hielt alle Sozialisten, die für Kerenski in Russland eintraten, für von der Wall Street bezahlte oder hereingelegte Elemente.
Als die amerikanische Regierung in dem Wunsch, das russische Volk zur Bündnistreue im Krieg aufzurufen, eine Kommission hinüberschickte und als deren Leiter einen der berüchtigtsten Kapitalistenanwälte Amerikas einsetzte, einen Mann, von dem die Jimmies sagten, er habe sein ganzes Leben im Sold der Freiheitsgegner gestanden, da wurde Jimmie Higgins' schrille Stimme ein Aufschrei von Hohn und Wut. Natürlich sorgte Jimmies Organisation dafür, dass die Bolschewiki über den Charakter dieser Kommission im
voraus unterrichtet wurden - was sich aber als überflüssig erwies, denn gleich nach dem Sturz des Zaren hatte eine Wallfahrt russischer Sozialisten von New York und San Francisco her eingesetzt; Menschen, die in den Slums der großen Städte die Schattenseite des amerikanischen Kapitalismus kennengelernt hatten und die keine Zeit verloren, die russischen Radikalen mit ausführlichen Informationen über die Wall Street zu versorgen!
Es traf sich, dass in San Francisco ein bekannter Arbeiterführer angeklagt worden war, er habe eine Bombe gelegt, um eine Kriegsbereitschaftsdemonstration zu vereiteln. Man hatte ihn auf Grund von Zeugenaussagen verurteilt, die nachweislich Meineide waren, und die Gewerkschaften des Landes hatten eine Kampagne geführt, um sein Leben zu retten - eine Kampagne, die die kapitalistischen Zeitungen nach alter Gewohnheit geflissentlich übersehen hatten. Jetzt aber nahmen sich die heimgekehrten Flüchtlinge in Petrograd der Sache an, organisierten einen Marsch zur amerikanischen Botschaft und forderten die Freilassung dieses „Munis". Die Nachricht davon kam natürlich nach Amerika zurück - zum größten Erstaunen des amerikanischen Volkes, das noch nie etwas von diesem „Muni" gehört hatte. Jimmie Higgins hielt es für den tollsten Witz von der Welt, dass da ein großer Arbeiterkampf in San Francisco im Gange war und die Amerikaner die erste Meldung darüber aus Petrograd bekamen! „Da seht ihr's", rief er, „wie viel echte Demokratie es in Amerika gibt, wie viel Sorge um die Werktätigen!"
So klang diesen ganzen Sommer und Herbst, da Jimmie Higgins sich auf den Feldern abrackerte, um für sein Vaterland erst die Weizenernte und dann die Maisernte einzubringen, in seinem Herzen ein Lied des Jubels und der wachsenden Hoffnung. Weit drüben jenseits des Meeres nahmen Menschen seiner Art die Zügel der Macht in die Hand, zum ersten mal in der Weltgeschichte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch hier in Amerika die Arbeiter diese wunderbare Lektion lernen würden, bis sie gepackt werden würden von dem Gedanken, dass Freiheit und Überfluss wirklich auch ihnen beschieden sein könnten!

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