19. Kapitel:  Jimmie Higgins zieht Khaki an
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  Es waren sieben Mann, die an jenem Abend unter der vorläufigen  Aufsicht eines Schmieds aus der dortigen Gegend in den Zug stiegen. Am  anderen Morgen um sieben zeigten sie ihre Papiere am Eingangstor des  Ausbildungslagers vor und wurden von einem Soldaten die Hauptstraße  hinuntergeführt, wobei sie sich an ihre Bündel und Koffer klammerten  und neugierig ihre Umgebung betrachteten. Es war eine Stadt, in der  rund vierzigtausend Mann lebten, auf einem Gelände, das ein Jahr zuvor  noch ödes Buschland gewesen war. In alle Richtungen erstreckten sich  lange Reihen von Holzbauten - Unterkünfte, Speiseräume,  Unterrichtsräume, Büros, Lagerschuppen - mit großen Freiflächen von  Ausbildungs- und Übungsgelände dazwischen. Diese Stadt auch nur zu  sehen - mit ihrer wimmelnden Einwohnerschaft von jungen Männern, alle  in Uniform, aufrecht, eifrig, gut in Form und strotzend vor Gesundheit,  jedermann geschäftig, und jedermann offensichtlich ganz in Anspruch  genommen von seiner Aufgabe -, das war ein Erlebnis, das sich lohnte.  Es war ein neuer Typ von Stadt -eine Stadt ohne Müßiggänger, ohne  Trunkenbolde, ohne Parasiten. Die sieben Arbeiter aus Leesville kamen  sich plötzlich verlottert und zweitklassig vor in ihrer schlecht  sitzenden Zivilkleidung und mit ihrer Sammlung von Bündeln und Koffern. 
    Als erstes wurden Neuankömmlinge gesäubert, desinfiziert und geimpft.  In einer Ortsgruppe der Sozialisten begegnet man allen möglichen  Exzentrikern, den überdrehten Randfiguren der Bewegung, und so hatte  Jimmie auch schon mal eine Schmährede gegen die teuflische Sitte des  Impfens zu hören bekommen, das mehr tödliche Krankheiten hervorbrächte,  als es verhindern sollte. Aber die Sanitätsoffiziere dieses Camps  hielten sich nicht damit auf, Jimmie nach seinen Ansichten über dieses  so hochwichtige Thema zu fragen; sie sagten ihm einfach, er solle an  seinem linken Arm den Ärmel aufrollen, und machten sich dann daran, 
    seine Haut sauberzuwischen und sie mit einer Nadel zu  ritzen. 
    Und dann kam der Schneider, um ihn in Khaki einzukleiden. Auch das war  etwas, womit der kleine Maschinenarbeiter nicht gerechnet hatte; er  hatte es für selbstverständlich gehalten, dass er für Uncle Sam in  irgendwelchen alten Lumpen arbeiten dürfe, geradeso, wie er es für Abel  Granitch getan hatte. Aber nein - er musste eine Ausrüstung haben,  vollständig bis zur Zahnbürste, deren Benutzung sie ihm zeigen würden.  Als er dann sauber und stramm in Khaki eingekleidet war, auf dem Ärmel  ein Autorad, um die Waffengattung zu bezeichnen, stand er vor dem  Spiegel, betrachtete sich und spürte dabei eine demoralisierende,  unwürdige Erregung. Er sah kein bisschen weniger gut aus als Genosse  Stankewitz! Wenn er die Straße langging, ob dann wohl die Mädchen auch  kichern und sich nach ihm umdrehen würden, wie sie das bei dem  gesetzten und korrekten Genossen Emil taten? So wurde das Netz des  Militarismus um Jimmie Higgins' Seele geknüpft. 
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  Jimmie stand unter Quarantäne und durfte wegen seiner Impfungen  gegen Typhus und anderes das Camp nicht verlassen. Es gab auch genug  Interessantes für ihn an Ort und Stelle; doch dann wurde er plötzlich  sehr krank und stellte bestürzt fest, dass der Impfgegner wohl doch  recht gehabt haben müsse. Seine Gesundheit war für immer untergraben,  er würde an einem Dutzend obskurer Krankheiten leiden! Elend am Körper  und noch elender an der Seele, ging er ins Lazarett; doch nach ein paar  Tagen begann er sich besser zu fühlen und hörte auf die  Krankenschwestern, die ihm aufmunternd erzählten, dass jeder sich ein  Weilchen so fühle. Dann stand er auf und bekam mehrere Tage frei, um  sich völlig zu erholen - Tage, die er damit zubrachte, im Lager  herumzuspazieren und das faszinierende Treiben zu beobachten. 
    Es  glich einem Zirkus mit Hunderten von Manegen. Das Drillen und  Marschieren, das er auf dem Platz in Leesville gesehen hatte, ging hier  im großen Maßstab vor sich. Hunderte von Gruppen wurden durch das  Zugexerzieren und das „kleine Handbuch" geschleust, während andere  Gruppen sich mit SpezialÜbungen befassten - Eskaladierwände  hochkletterten. Schützengräben aushoben, Straßen bauten und nach  Scheiben schossen. Jeden zweiten Tag regnete es, und der Boden war ein  einziger Matsch, doch das störte niemand im Geringsten; die Männer  kamen dreckverkrustet zurück, dampfend wie Schmalztiegel. Es machte  ihnen anscheinend Spaß; nichts konnte ihnen die Lust zum Necken und  Scherzen nehmen. 
    Jimmie sah ihnen mit einem Gemisch aus Neugier und Entsetzen zu; denn  was hier getan wurde, führte ihm den Krieg in seiner grenzenlosen und  vielgestaltigen Schlechtigkeit unmittelbar vor Augen. Hier wurde einer  Gruppe von Leuten beigebracht, wie man unter Beschuss vorrückt; sie  krochen auf dem Bauch über den Boden, sprangen von einem Hügel zum  andern, warfen sich hin und taten so, als ob sie feuerten. Ein Mann an  der Spitze, der ein imaginäres Maschinengewehr betätigte, brüllte, wenn  er sie „erwischt" hatte. Jetzt schnallten sie ihr kleines Schanzzeug ab  und begannen sich wie Maulwürfe in den Boden einzubuddeln. „Grabt, ihr  Scheißkerle, grabt!" schrie der Offizier. „Schädel runter, Smith! Lass  den Dreck fliegen! Mehr Musike rein! Na also!" 
    Jimmie hatte noch nie eine Footballmannschaft trainieren sehen; daher  hatte er keine Ahnung, zu welchen Leistungen man Männer durch  Härtetraining antreiben konnte. Es war abscheulich - doch auch  faszinierend, es schlug ihn in Bann. Er sah, was diese Männer taten;  sie lernten, als Masse zu handeln, mit lähmender, furchtbarer Gewalt zu  handeln. Was sie auch taten, sie taten es mit der Vernichtungskraft  eines Sturmbocks. Man sah das Feuer in ihren Augen, den grimmigen,  entschlossenen Ausdruck auf ihren Gesichtern; man wusste, sie gingen  ohne Zögern und Zagen in den Krieg. 
    Man kam über eine Bodenerhebung und stieß auf einen Haufen Soldaten bei  Bajonettübungen. Man brauchte nicht viel Phantasie, um zu begreifen,  was hier gespielt wurde; sie hatten lederne Attrappen und stürzten sich  auf diese Figuren, hauend, stechend und - was das allermerkwürdigste  war - brüllend vor Wut. Die Offiziere hielten sie direkt an, 
    zu schreien, zu knurren und sich in echte Wut hineinzusteigern! Das  ließ einem das Blut erstarren - Jimmie wandte sich ab, weil ihm übel  war. Gerade das war ja seine Rede seit dreieinhalb Jahren - man musste  sich in eine wilde Bestie verwandeln, um in den Krieg zu ziehen! Jimmie  sah sich auch die Schießstände an, von denen den ganzen Tag ein  Geknatter von Schüssen herüberdrang wie das Klappern vieler  Schreibmaschinen. Kompanien von Männern kamen anmarschiert und  verteilten sich auf die Schützenstände und begannen unter der Leitung  ihrer Ausbilder, ihr Teil zu dem Lärm beizusteuern. Hinten bei den  Schießscheiben waren andere, die die Treffer zählten und telefonisch  die Ergebnisse durchgaben; so lernten die Männer den ganzen Tag lang,  ob Winter oder Sommer, Regen öder Sonnenschein, wie man seine  Mitmenschen tötet, mechanisch, als wäre es eine Sache fabrikmäßiger  Routine. Auf anderen Plätzen gab es bewegliche Schießscheiben, wo sich  Scharfschützen ihre Fähigkeiten erwarben; man bemerkte, dass ihre Ziele  niemals Vögel oder Wild waren, wie bei den Schießbuden, die Jimmie an  der See auf Ausflügen der Ortsgruppe gesehen hatte. Nein, es waren  Menschenköpfe oder Menschenleiber, und jede Figur war graugrün  angemalt, damit es aussah wie die Umformen des Feindes 
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  So lebte Jimmie Tag für Tag mit der Vorstellung des Tötens, hatte  das harte und grausame Gesicht des Krieges vor sich. Er hatte geglaubt,  dass das Reparieren von Motorrädern überall gleich sei, wo man es auch  tat; aber jetzt stellte er fest, dass es etwas ganz anderes war, ob man  Motorräder reparierte für Botenjungen und für Arbeiter, die mit ihrer  Liebsten in den Urlaub fahren wollten, oder ob man sie für Frontkämpfer  und Meldefahrer reparierte. Nachdrücklicher als je wurde Jimmie dazu  gedrängt, über den Krieg mit sich ins reine zu kommen. Es wurde für ihn  täglich schwieriger, zwei einander widersprechende Meinungen  nebeneinander zu haben. 
    Alle Männer, denen er jetzt begegnete,  waren einer Meinung und ließen sich auf gar keine Weise dazu bewegen,  eine andere auch nur in Erwägung zu ziehen. Jimmie stellte fest, dass  er sie dazu bringen konnte, einzuräumen, dass es nach diesem Krieg, was  die Demokratie betraf, ungeheure Veränderungen auf dieser Welt geben  würde, dass das Volk sich danach nicht mehr reinlegen und ausbeuten  lassen würde, wie es das bisher getan hatte; er stellte fest, dass er  ihnen den Gedanken schmackhaft machen konnte, die Regierung solle die  großen Industrieunternehmen führen und Nahrungsmittel und Kleidung für  das Volk produzieren, so wie sie jetzt Nahrungsmittel und Kleidung für  die Truppen produzierte. Aber wenn er versuchte, diesem Programm den  Namen Sozialismus zu geben, dann ging der Ärger los. Waren die  Sozialisten nicht diese Irren, die wollten, dass Amerika die Waffen  „niederlegte" wie Russland? Die Voraussetzung jeder Diskussion mit  diesen Männern war, dass Amerika den Krieg gewinnen würde; wenn man  auch nur vorsichtig andeutete, dass das vielleicht noch gar nicht so  ganz sicher war, dann begegnete man zuerst scharfem Spott und dann  bösen Blicken und bekam den Rat, eine Pille zu nehmen, damit man das  Hunnengift aus dem Gedärm kriegte. 
    Es hatte auch nicht den geringsten Sinn, wenn man versuchte, von den  Gefahren des Militarismus zu reden. Diese Männer wussten alles über die  Gefahren des Militarismus -für den Kaiser. Der Mann, der am Abzugsende  eines Gewehrs sitzt und mit dem Ding so zu zielen versteht, dass er auf  sechshundert Meter eine Katze wegputzen kann - so ein Mann überlässt  der Katze das Grübeln. So jedenfalls erschien die Sache diesen robusten  jungen Rekruten, die lernten, wie man im Schlamm marschierte und im  Regen schlief und Teppichnägel kaute und aus Hunnen Leberwurst machte.  Sie erfüllten ihre Aufgabe mit einer ungestümen, erschreckenden  Fröhlichkeit; sie schwelgten in ihrer Härte, nannten sich  „Grizzlybären" und „Wildkatzen" und was nicht noch alles; sie sangen  wilde Lieder über ihre Reizbarkeit, und ihr Motto war: „Immer feste  drauf!" Es war eine beängstigende Atmosphäre für einen Träumer und  Utopisten; Jimmie Higgins zog sich in sich selbst zurück, zu ängstlich  sogar, die Hand nach einem sozialistischen Genossen auszustrecken, mit  dem er über die Ereignisse in der Welt draußen hätte reden können. 
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  An den Abenden gab es Filmvorführungen, Konzerte, Vorträge - die  sich natürlich fast alle mit dem Krieg befassten. Sie fanden in großen  Sälen statt, die vom Christlichen Verein junger Männer gebaut worden  waren, einer Organisation, für die Jimmie herzliche Verachtung empfand.  Er hielt sie für eine Erfindung der ausbeutenden Klassen, um auch das  Stehkragenproletariat das Kuschen zu lehren. Doch niemand konnte in  einem Ausbildungslager leben, ohne von dem „Verein" Kenntnis zu nehmen.  Jimmie bekam eine Einladung zu einem Vortrag und ging aus Langeweile  hin. 
    Sergeant Ebenezer Collins, aus Flandern importiert, hatte die  Aufgabe, den amerikanischen Landsern etwas über die Tücke der Hunnen zu  erzählen. Sergeant Collins sprach eine komische Sprache, die Jimmie  noch nie gehört hatte und die er auch nicht immer verstand; sie diente  jedoch dazu, ihn zu überzeugen, dass der Sergeant echt war, denn es  hätte sich einer unmöglich eine solche Sprechweise zurechtmachen  können! „Wenn man nu in Ypern reinjeht", sagte der Redner, „dann sieht  man alte grauhaarige Damens und Kinderchens wie kleine Jeister, und  wenn man denn zu ihnen sagt: Jehn Se weg, der Hunne kann schon heute  hier sin', dann wolln se nich jehn, denn se ham keene Bleibe, wo se  hinjehn könn!" 
    Doch trotz der Schwierigkeiten einer fremden Sprache erkannte man, dass  dieser Londoner Sergeant ein ganze Mann war. Zunächst einmal hatte er  Sinn für Humor; den hatte er sich inmitten von Angst und Tod bewahrt -  hatte ihn sich bewahrt, während er nächtelang in Schützengräben voll  eiskaltem Wasser stand und ihm eiskaltes Wasser in den Kragen lief.  Außerdem hatte der Sergeant Sinn für Ehre - es gab Dinge, die konnte er  einem Hunnen nicht antun, selbst wenn der Hunne sie ihm vielleicht  antun würde. Jimmie hatte in der Ortsgruppe Leesville erregten Debatten  zugehört, ob die Alliierten wirklich besser wären als die Deutschen; ob  zum Beispiel die Alliierten Passagierschiffe mit Frauen und Kindern an  Bord versenkt hätten, wenn es notwendig gewesen wäre, um den Krieg zu  gewinnen. Sergeant Collins diskutierte diese Frage nicht, er entpuppte  sich nur schlicht und einfach als Kämpfer. „Det is, weil wir Sport  treiben und die nich", erklärte er. „Wenn eener Sport treibt, denn weeß  er, wat fair is." Drei Jahre und acht Monate lang hatte Jimmie  Geschichten über Gräueltaten gehört, und drei Jahre und acht Monate  lang hatte er sich geweigert, sie zu glauben. Doch jetzt erzählte der  Londoner Sergeant von einem Kameraden, der bei einem Nachtangriff von  den Hunnen verwundet worden war; der Sergeant hatte versucht, ihn  zurückzutragen, hatte ihn aber zurücklassen müssen; gegen Morgengrauen  hatten sie einen Gegenangriff gemacht und das Dorf wieder eingenommen,  und dort hatten sie den Kameraden des Sergeanten gefunden, noch am  Leben trotz der Tatsache, dass er mit Bajonetten durch Hände und Füße  an eine Scheunentür genagelt war. Als diese Geschichte erzählt wurde,  hörte man ein leises Murmeln durch den Saal gehen und sah ein paar  tausend junge Männer die Fäuste ballen, die Zähne zusammenbeißen und  sich bereitmachen für ihre große Aufgabe in Frankreich. 
    Gerade jetzt, sagte der Sergeant, seien die Deutschen zum schlimmsten  Angriff des Krieges übergegangen. Die Briten, die sich verzweifelt  wehrten, seien in die Enge getrieben. Die Entscheidung liege jetzt bei  den Männern in den Ausbildungslagern Amerikas; niemand als sie könne  die Lage noch retten, die übrige Welt davor bewahren, unter die Hufe  des Hunnenungeheuers zu geraten. Würden sie ihre Schuldigkeit tun?  Jimmie Higgins hörte die Antwort aus diesen zweitausend jungen Kehlen,  und der Pazifist in ihm schrumpfte noch weiter zusammen. 
    Aber ganz verstummte der Pazifist niemals. Krieg war unrecht! Krieg war  unrecht! Es war schlecht und grausam, wenn die Menschen ihre  Streitigkeiten auf solche Art beilegten. Und wenn die Menschen noch  nicht einsichtig genug waren, um auf die Stimme der Vernunft zu hören  -nun, selbst das machte den Krieg noch nicht gerecht! Ein Mann musste  Prinzipien haben und ihnen treu bleiben -wie anders konnte er sonst die  Welt verändern? Jawohl, Krieg war unrecht! Doch der Krieg war nun mal  da; und ihn unrecht nennen hieß noch nicht, ihm ein Ende machen! Was  zum Teufel sollte einer da tun? 
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  Sobald Jimmie in der Lage war zu arbeiten, brachten sie ihn in den  Teil des Lagers, wo eine Motorradabteilung ausgebildet wurde. Hier gab  es eine große Reparaturwerkstatt mit vielen beschädigten Maschinen, an  denen er seine Fähigkeiten beweisen konnte. Den speziellen  Maschinentyp, der hier verwendet wurde, kannte er nicht, war aber bald  eingeweiht in seine Geheimnisse und überzeugte die verantwortlichen  Offiziere, dass er die Maschine auseinandernehmen und wieder  zusammensetzen, Reifen wechseln und flicken, Kugellager reinigen und  verbogene Felgen wieder richten konnte. „Sie sind in Ordnung", sagten  die Offiziere. „So was wie Sie hat man drüben verdammt nötig. Sie  brauchen nicht lange zu warten." 
    Es gab da einen Bahnsteig, wo die  Züge im Lager ankamen, und alle paar Stunden traf jetzt ein langer Zug  ein, der mit Männern beladen wurde. Jimmie erhielt seinen Marschbefehl,  packte sein Zeug, meldete sich beim Appell und nahm seinen Platz im Zug  ein; am nächsten Tag bei Sonnenuntergang wurde er an einem  „Mobilmachungslager" ausgeladen 
    - wieder eine riesenhafte Stadt, die im vorsichtigen Militärstil als  „Irgendwo in New Jersey" bezeichnet wurde, obwohl jeder im Umkreis von  hundert Meilen ihre genaue Lage kannte. Hier gab es einen Hafen, für  Kriegszwecke geschaffen, mit Dock- und Kaianlagen, wo die  Transportflotten mit Material und Truppen beladen wurden. Die Schiffe  fuhren in Flottenverbänden und transportierten dreißig- bis  vierzigtausend Mann auf einmal nach Europa. Allein vom New-Yorker Hafen  ging jede Woche eine solche Flotte ab 
    - die Antwort Amerikas auf die neue Offensive der Hunnen. 
    Hier traf man nicht nur die kämpfende Truppe an, sondern auch die  Verbände des ganzen komplizierten rückwärtigen Dienstes: Trupps von  Holzfällern aus dem fernen Nordwesten, die in Frankreich die Wälder  fällen und sie zu Eisenbahnschwellen und Zimmerung für Schützengräben  verarbeiten sollten; Eisenbahner, Bergleute und Bautrupps, Ingenieure  und Bahnwärter, Brückenbauer und Straßenbauer, Telefonleitungsleger und  Telefonisten, die Fahrer von vierzigtausend Autos und fünftausend  Lokomotiven; Bäcker und Köche, Schuster und Schneider, Bauern, die den  französischen Boden bestellen, und Ärzte und Pfleger, die die Kranken  und Verwundeten versorgen sollten. Nichts von dem, was das Können und  Wissen eines Hundertmillionenvolkes anzubieten hatte, fehlte hier in  diesem riesigen Lager. Die Jüngsten und Begeisterungsfähigsten waren  sämtlich hier, eifrig darauf bedacht, das Ihrige zu tun, der Gefahr  spottend, nervös vor prickelnder Erregung, bebend vor Neugier und Lust.  Jimmie Higgins, der sie beobachtete, merkte, dass seine Zweifel  dahinschmolzen wie Schnee im April. Wie konnte einer dieses Leben und  Treiben mit ansehen, ohne davon angesteckt zu werden? Wie konnte er mit  diesen lachenden Jungen zusammen sein und nicht ihre Stimmung teilen? 
    Jimmie selbst hatte keine frohe Kindheit gehabt, er kannte die Jugend  seines eigenen Landes nicht - die kesse, Slang redende, ziemlich  respektlose, überhaupt nicht zu bändigende Jugend dieser demokratischen  Welt. Wenn sie etwas nicht wussten - nun, dann wussten sie es eben  nicht; wenn sie etwas nicht konnten - dann war ihre Devise: „Zeig es  mir!" Jimmie, der keine Schule besucht hatte, kam schlecht zurecht mit  ihrem merkwürdigen Slang. Wenn einer von den Burschen zur Begrüßung  sagte: „Na, du Lude!", so hieß das nicht unbedingt, dass er einen nicht  leiden konnte, und wenn er sagte: „Hallo, Süßer!", so hieß das nicht,  dass er überwältigende Zuneigung zu einem empfand. Wenn er von seinem  Offizier als „hartgesotten" sprach, dann meinte er nicht, dass dieser  Offizier der Einwirkung von Wasser bei hundert Grad Celsius ausgesetzt  gewesen war; er meinte bloß, dass der Offizier ein Snob war. Wenn er am  helllichten Tag „Gute Nacht!" sagte, war das so zu verstehen, dass er  mit einem nicht einer Meinung war. 
    Es gab häufige und stürmische Meinungsverschiedenheiten mit Jimmie  Higgins, wenn der den Unterschied zwischen den deutschen Machthabern  und dem deutschen Volk klarmachen wollte! Für solche Spitzfindigkeiten  hatten diese allwissenden Knaben kein Interesse. Wenn Jimmie sich nicht  beirren ließ, nannten sie ihn eine „doofe Nuss", einen „armen Irren";  sie sagten, bei ihm „piepe" es, er hätte wohl „einen Knick in der  Oberleitung"; sie machten Kurbelbewegungen mit den Händen, um  anzudeuten, dass er „Räder im 
    Kopf" habe, sie machten über ihm Flügelschläge, um kundzutun, dass er  „Fledermäuse im Oberstübchen" habe. So gab Jimmie Frieden und ließ sie  ihre eigene Sprache reden -ließ sie einander auffordern, „sich am  Riemen zu reißen" oder „erst mal Durchblick zu kriegen" oder „zackzack  zu machen" oder „nicht den wilden Mann zu markieren". Und er saß da und  hörte zu, während sie mit Genuss ein Lied sangen, das erzählte, was sie  machen wollten, wenn sie nach Frankreich kämen: 
  Heraus mit der Trompete, Jungs, ein neues Lied hebt an, 
    Und dieses neue Lied, das singen zwei Millionen Mann, 
    Und wer ein rechter Kerl ist, der singt mit, so laut er  kann - 
    Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!  
  Refrain: 
    Willy, ach Willy, nimm dich vor uns in acht; 
    Willy, ach Willy, wir kommen über Nacht. 
    Und wer uns in den Weg tritt, wird zu Hackefleisch gemacht  
    – Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne! 
  Auf Frankreichs hellen Straßen zieht ein Heer aus aller  Welt: 
    Der Tommy hat sich brüderlich zum Poilu gesellt,  
    Und Afrika zieht ebenso wie Schottland mit ins Feld  
    - Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!  
    (Refrain) 
  Ein Schiff sticht von New York in See und bringt uns  die Kanonen. 
    Aus Boston kommt ein andres Schiff mit Schweinefleisch  und Bohnen. 
    Und noch ein Schiff bringt Traubensaft und Sprudel mit  Zitronen - 
    Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne! 
    (Refrain) 
  Ob ihr zu Haus in Dixieland, in Maine das Holz gefällt, 
    Ob ihr in Texas Cowboys wart, ob Felder habt bestellt,  Kommt, Leute, her von überall, der Yankee sieht die Welt 
    - Denn wir haun  den Kaiser in die Pfanne!  
    (Refrain) 
  Und was wir einmal angefangen, führen wir zu Ende. Wir  jagen alle Fürsten fort, es kommt die große Wende. 
    Helft uns das Volk vom Joch befrein; wir brauchen alle  Hände - 
    Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!  
  Refrain: 
    Willy, ach Willy, nimm dich vor uns in acht; 
    Willy, ach Willy, wir kommen über Nacht. 
    Und wer uns in den Weg tritt, wird zu Hackefleisch 
    gemacht -Denn wir haun den Kaiser in die Pfanne!  | 
  
    
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