Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Larissa Reisner - Oktober (1924)
http://nemesis.marxists.org

KYTLYM
(Platin)

Kytlym heißt in der Wotjakensprache Kessel. Das ist es auch, eine große Bergschale, eingebettet im ewigen Schnee. Die Wolken streichen über seine gezackten Ränder hinweg und lassen Fetzen schaumiger Säume ihrer wallenden Gewänder daran. Außer den Wolken kamen seit alters Jäger über die Berge gezogen - nach Rauch-wild, nach Bären, nach Wildvögeln. Doch übrigens - nicht viele: wegen der beschwerlichen Pfade, wegen der Waldbrände, wegen des Gutsherrn, der sein Fleckchen Tundra eifersüchtig bewachte. Wozu war denn dieser Worobjow überhaupt gut? Da saß er auf seinem Grund und Boden neben dem Monsieur Du Parque und führte wegen der Straße einen Krieg. Wenn du schon, so sagte er, Grundbesitzer und Edelmann bist, dann schlage dir gefälligst eine eigene Straße. Viele Tage lauerte also der Edelmann und Ordensträger im Gebüsch und wartete auf Du Parques Glöckchen, Rappengespann und Kutsche, um ihm eine gute Ladung Schrot zu verpassen oder, wenn man den Nachbarn verfehlt hat, wenigstens den neben der Kutsche rennenden Barsoirüden des Franzosen zu treffen. Du Parque wiederum machte das Leben in Kytlym sehr müde. Da hockte und hockte er wochenlang ohne auszufahren in seinem Hause, doch dann preschte er wieder einmal kurzentschlossen - in Kissen verpackt - über die verbotene Worobjowsche Straße, über die Schlaglöcher hinweg, eine Wotjakenfellmütze über die Ohren gezogen und den Sitz noch durch ein besonderes Federbett geschützt. Doch die Schrotkörner des Herrn Worobjow schlugen auch dieses Federbett durch. Er war ein guter Jäger und goss seine Munition im eigenen Hause aus einem weißlichen Metall, das reichlich gefunden wurde auf freiem Felde, aber auch im moosüberzogenen Sumpf, der den größeren Teil seiner nutzlosen Ländereien ausmachte. Gewiss war es nicht der Adlige selbst, der durch die Wildnis zog, um dort sein Auch-Silber zu sammeln, aber er gab den Jungen je eine Kopeke, und dafür brachten sie es tütenweise ins Gutshaus, wo die gnädige Herrin den größeren Teil auf den Müllhaufen zu werfen befahl. Sie konnte diesen selbstgegossenen Schrot in den Taschen des Gatten nicht leiden: Dieses Metall, das nicht edel, aber dafür außerordentlich schwer war, durchlöcherte selbst die festesten, neuen Taschen an einem Vormittag. Wie dem auch sei, aber Worobjows Schrot war hart, sein Auge und seine Hand hingegen waren sicher, und daher musste Du Parque tatsächlich eine neue Straße durch den völlig unpassierbaren Sumpf schlagen.
Herr Worobjow halte aber weiterhin seine Freude, denn der Franzose geizte beim Bau mit Geld, der dünne Bohlenbelag faulte bald durch und wurde morsch. Gleich im ersten Jahr brach sich ein prächtiger Hengst das Vorderbein, als er im Sumpf einsackte. Im gleichen Jahr verschwand plötzlich Herrn Worobjows Verwalter, nachdem er - betrunken und unwissend - von den Bauern einen Sack weißen Schrotes für 50 Kopeken gekauft hatte. Die Dummen haben Glück. Bald darauf sprach man von seinem Reichtum, auf unbekannte Weise erworben. Das Leben in der Taiga verharrte noch zwei weitere Jahre im friedlichen Bärenschlaf, bis Herr Worobjow plötzlich ein unerhörtes Geschäft tätigte. Für drei Silberrubel kaufte er einem Jäger ein Geheimnis ab. Erstens: das Metall, mit dem man seit alters auf Rebhühner oder auch auf die Kutsche und den Barsoirüden des Nachbarn Du Parque geschossen hatte, war nichts anderes als pures Platin, Weißgold, das kostbarste der Edelmetalle. Und zweitens: in allen benachbarten Schluchten, auf Sewerny und Sosnowka, wo man nur hinspuckt, überall reiche Platinvorkommen. Von allen Nachbarbergen rinnen schäumende Flüsschen in den Kessel von Kytlym, und jedes trägt Platin mit sich, um es nachlässig, unter einer dünnen Moosschicht, unter Steinen oder einfach auf dem Grunde eines klaren Baches zu verstecken und zu vergessen. Viel Geld haben Engländer und Franzosen Worobjow für sein kahles Gestein gegeben. Wie es heißt, fünftausend Rubel in bar, eine Wohnung mit Heizung, Beleuchtung und trockenem Abort, dazu noch lebenslängliche Versorgung in Form eines Postens „zur besonderen Verwendung" bei der Gesellschaft. Dann erschütterte Kytlym, die durch himmelstürmende Berge von der Welt abgetrennte Wald- und Sumpfwildnis von Kytlym, die Welt durch den Ruhm seiner Platinvorkommen, durch die Legende von den über Dutzende Werst verstreuten Reichtümern, von den mit Millionen spielenden Flüsschen, von den Sümpfen, auf denen Barbaren Wildenten mit Kugeln aus purem Gold schießen. Keine anderen als Urquharts allmächtige Hände machten sich an die Schaffung des Platinreiches am Ural. Auch russisches Kapital trat in die Gesellschaft ein, aber nur in unbedeutender Menge. Ihm wurde gnädig gestattet, sich dem Triumphzug der Aktionäre anzuschließen. Fünf Bagger überquerten den Kytlym-Pass. Jeder von ihnen hatte über dreihunderttausend Goldrubel gekostet. Sie wurden auf Bärenpfaden befördert, und die eisernen Fuhrwerke sanken auf Schritt und Tritt unter dem unvorstellbaren Gewicht der Motoren, Räder, Gehäuse und Kessel im Moor ein.
Die Maschinen unternahmen ihre Reise mit einem Prunk, der früher nur die Hochzeitszüge der kleinen Anhalt-Zerbster Prinzessinnen auszeichnete, die von irgendwoher, aus Riga oder Reval, als angehende Zarinnen, zu uns fuhren, in goldenen Karossen, die Knie in Zobelpelz gehüllt, den sie in ihrer Heimat gar nicht zu Gesicht bekommen hatten, und mit den letzten Preisen für Schnupftabak, Fleisch und Gemüse in ihrem Jungfern-Tagebuch. Aber erst der Zug der Maschinen! Vor jedes Fuhrwerk waren zweihundert Pferde gespannt, und abends erinnerte das von den Fuhrleuten aufgeschlagene Lager an den Rastplatz des Moguls auf Reisen. Noch ein Jahr danach brannte im Umkreis von Hunderten Werst die Taiga, in Brand gesteckt von den Wachposten, die brennende Äste in die Dunkelheit warfen, um die sie übermannende Furcht und die Finsternis der kurzen Wolfsnächte zu verscheuchen. In den Jahren 1904 und 1905 begann die Gesellschaft sagenhafte Dividenden aus dem Boden zu saugen. Beinahe schon im ersten Jahr machten sich alle Maschinen und die ganzen Ausgaben für ihre Beförderung nach Russland bezahlt. Zu einer Zeit, da das Land seine erste Revolution erlebte - in dem Jahr unerhörten finanziellen Zusammenbruchs und völliger Zerrüttung der gesamten Wirtschaft - raste einmal in der Woche ein tolles Dreigespann durch die Taiga und brachte aus Kytlym die siebentägige Förderung fort - rund eine Million Rubel. Ob es eben dieses leichtverdiente Geld war, das Europa später unserer an seiner Tür bettelnden Zarenregierung lieh? Den Höhepunkt erreichte der Raubbau in den Jahren unmittelbar vor dem Krieg! 1912, 1913 und 1914. Buchstäblich mit den Kytlymer Millionen und Milliarden wurde der erste Weltkrieg vorbereitet, den noch einmal zu bezahlen wir heute aufgefordert werden. Die Beute erreichte die phantastische Zahl von zwanzig bis einundzwanzig Pud jährlich. Russland eroberte den Weltmarkt, indem es 90 Prozent des gesamten auf der Erde geförderten Platins lieferte. Der Platinregen wurde immer dichter, immer schwerer, immer reichlicher. Erfahrene Geologen erkundeten die benachbarten Berge. Und obwohl die Ergebnisse dieser Exkursionen streng geheim gehalten wurden, verbreitete sich sehr schnell das Gerücht, dass alles rings um Kytlym - Lehmböden und Wälder, Sümpfe und Steine - pures Platin sei. Ein Rausch erfasste alles ringsum. Rasch nacheinander entdeckte man Tylai, Kosjwa, Sosnowka, Obodranny Loshok. Rings um die systematisch arbeitenden Bagger ließ sich eine Armee von Platingräbern nieder, die barbarisch im Boden stocherte. Die Hälfte von ihnen richtete sich völlig zugrunde, fiel den Aufkäufern und der Polizei in die Klauen, soff, ging mit Messern aufeinander los, fand und versteckte - da sie keine Mittel hatte, um die Arbeiten sorgfältiger zu führen - ihre Funde, schüttete einsame, Gräbern gleichende Schurfstellen mit Moos und Laub zu. Doch nicht jeder, der die Luft des Platinfiebers geatmet hatte, fiel ihm zum Opfer. Mochte der Kessel von Kytlym noch so sehr brodeln - mitten in seinem Herzen saßen Menschen, die die Schurfarbeit wie jede andere verrichteten, nur um für den Lohn Brot und einige Bücher zu kaufen: Auf den ersten Baggern, von der Gesellschaft in Betrieb genommen, arbeiteten, bauten und lernten künftige Kytlymer Partisanen, seine Kommissare und Wirtschaftler. Und schließlich der Geologe Ditkowski - ein Bolschewik, den die Gesellschaft ruhig in ihre Pläne und Funde einweihte, ohne freilich zu ahnen, dass dieser Sonderling, von den Ideen der sozialen Gleichheit hingerissen - im übrigen ein kenntnisreicher Spezialist -, keine drei Jahre später der Konzession des Zaren einen harten Schlag versetzen wird.
Die Ausländer können das Jahr 1917 bis heute nicht vergessen. Welche Profite! Welche Perspektiven! Wohlwollende Regierung, die Arbeitskräfte so billig, wie das dem kolonialen Russland eigen war, die Taiga und 500 Arbeiter, von der Welt abgeschnitten, dem Unternehmer ganz und gar ausgeliefert. Und plötzlich - war all dem ein Ende. Was hatte Koltschak in Kytlym zu suchen? Was veranlasste ihn, die Sümpfe mit Leichen zu pflastern, den beizenden Qualm der Waldbrände zu atmen, von allen Seiten die Stiche der Partisanen hinzunehmen, mit den Geschützen und dem Train im Moor einzusinken? Über den Feldtelegraf, über die stählerne Schnur, die sich von Tanne zu Tanne zog, kamen aus Paris und London lange und gebieterische Befehle.
„Teufel noch mal, Admiral, wozu haben wir Sie eigentlich engagiert?"
Der Telegraf bekam ein Schluckauf von den ausländischen Worten, von diesem wütenden „urgent, urgent, urgent", mit dem Europa zum silbrig schimmernden Platin drängte, das friedlich in der Erde, unter der zerfetzten Decke aus Moos, Fichtennadeln und Schnee schlummerte. Vom Auslande her angespornt, näherten sich die Weißen im Dezember 1918 tatsächlich Kytlym. Den Arbeitern, die es gewagt hatten, dem Haufen hergelaufener Ausländer ein Jahr lang ihre märchenhaften Profite zu entziehen, wurde eine harte Lehre erteilt. Erschossen wurden: Orechow, Sergejew, Ikanin, Schumajew, Naimuschin. Und später: Gribenkin, Jaroslawzew, Ismogilow - Vater und Sohn -, der junge Zuschläger Kassatkin, Senkow, der Bäcker Korobkow, Chomuty, Beloglasy, Dyldin, Nowoselow, Alexander Starzew, der Schlosser Krjukow, der Platingräber Polosnikow, Pokryschkin, Rogatschew, Mansurow, Wanjuschka Sergejew und Kolodkin. Angesichts dieser Massaker wollte das verbitterte Platingräbervolk fort. Gebirgsdörfer machten sich mit Kind und Vieh auf den Weg. Ganz Sosnowka brach auf, ungeachtet des Winters und der starken Schneefälle. Aber die riesigen Trains waren nicht fortzubringen, es gab ganze fünf Pferde - die Kytlymer spannten selbst ein. Die Familien machten kehrt, die Männer gingen weiter. Eben da organisierte Ditkowski seine Abteilung zur besonderen Verwendung. Zwar waren seine Burschen fast wehrlos. Für die ganze Abteilung zehn Gewehre, die anderen ohne Waffen, mit bloßen Fäusten. Stiegen ins Tal hinunter, aber zu spät, der Weg war an der Solikamsker Landstraße verlegt. Der Ausgang aus dem Kessel war versperrt. Nun musste man im Winter querfeldein über zwei Meter tiefen Schnee stampfen. Bei den schlechten Wegeverhältnissen fiel die Abteilung auseinander, verlor bald die Hälfte des Bestandes. An der Kosjma, nach der Berührung mit Dutows erstem Spähtrupp, ließ man den Train stehen. Die Abteilung teilte sich, Reiter und Fußvolk auf der einen Route, siebzehn Mann mit Ditkowski auf der anderen. Darüber berichtete Genosse Jermakow, ein stattlicher Mensch mit rundem, festem Kopf, wie mit hellblonden Spänen bestreut: „Wie sollen wir wieder zusammenkommen? Hören in etwa hundert Sashen Entfernung Kugeln pfeifen. Gehen ohne Zögern weiter. Begegnen niemandem, werden von niemandem verfolgt. Schnee. Wälder. Essen ein Pferd auf. Der Schnee wird tiefer. Da lassen wir die Pferde stehen, die nicht mehr vorankommen. Bei den Pferden bleiben die Alten... Statt der Pferdchen fällen wir einige Bäumchen. Schnitzen uns Skier zurecht, wenn auch roh, so doch zu gebrauchen. Dreizehn Mann stark ziehen wir weiter. Weiß selber nicht wie, aber wir kommen voran. Am sechsten Tag höre ich Schüsse. Alle sind in einem Zustand, dass sie nichts mehr recht begreifen. Ditkowski aber: ,Sag, was du willst - ich höre Maschinengewehrfeuer!' Nun, gut. Schlagen diese Richtung ein...
Plötzlich werden wir beschossen. Die Burschen weinen bald vor Verzweiflung, greifen aber nach ihren schweren Skiern. Da hören wir Räder knarren. Ein Train ist unterwegs. Wohin? Nach Kosjwa? Zu wem? Zur Armee. Zu welcher? Zur Roten. Da gibt er uns zwei Laibe Brot für dreizehn Mann, aber mehr nicht. Drei Schritt vor ihrem Kommandeur meldet Silin, der Zugführer: ,So und so. Die und die Abteilung auf dem Marsch.' Haben uns aufgenommen, wie es sich gehört. MGs aufgestellt, eine Sicherungskette. Sehen, da heizt ein Weib den Ofen an, um Plätzchen zu backen. Während Ditkowski sein Dokument vorweist, lassen wir uns in den Schnee fallen, ein ordentliches Feuerchen wagen wir nicht anzulegen, beugen uns vor, wärmen uns am Rauch, alle ganz schwarz und schaurig anzusehen. Da kommt der Abteilungskommandeur heraus und schreit: ,Alle mal herkommen!' Wir heben die Bewusstlosen auf. Der Arzt flößt ihnen Brühe ein. Rohes Fleisch sind sie gewesen - keine Soldaten mehr!"
Ein Jahr später nahm die Republik zum zweiten und letzten Mal die Platinfelder von Kytlym ein.

Der Prozess der Platinförderung ist widerlich, absurd und empörend. Man stelle sich das vor, durch die Taiga, über unpassierbare Sümpfe und Pässe, werden in die Wildnis herrliche Maschinen geschleppt. Sie werden in einem Gebirgskessel eingesetzt, wo Dutzende Werst Sumpfmoder mit Millionen Pud Gestein angerührt sind. In der Mitte wird ein Erdloch mit schmutzig-gelbem Wasser ausgehoben, auf dieses wird ein Ponton hinabgelassen. Auf diesem Floß kaut ein zwei Stockwerk hoher elektrischer Eimerbagger knirschend und kreischend 90 bis 140 Kubikmeter Stein, Schmutz, Moos, Sand und Wasser durch, um zu guter Letzt auf dem feuchten Filz der Schleuse ein kaum sichtbares Häuflein Metall zurückzulassen. Der Bagger kratzt und schluckt Tag und Nacht, verschlingt Berge von Erde, Steinbrocken, Bäume und Haine; das ganze Tal wird zu einem Friedhof um einiger Körner willen, die die Menschheit aus irgendeinem Grunde für kostbar zu halten beschlossen hat. Vergisst man einen Augenblick lang diesen relativen Wert - und es bietet sich einem das Bild wahnsinniger Vergeudung dar.
In einem Lande, wo die Produktion Mangel an Elektrizität hat, sind fast dreitausend Kilowatt in den Sumpf, in ein Loch voller Lehm und Dreck geworfen, das im Winter unbewohnt und im Sommer mit Mückenwolken und -schwärmen überzogen ist, gesundheitsschädlich, kalt, vom ewigen Schnee umgeben. Ein ganzer Kontinent von Ackerland wird mit hausgemachten Pflügen gekratzt, während fünf Giganten, in trüben Löchern wie Schwachsinnige in eigenen Exkrementen schwimmend, den Moder mit der Beharrlichkeit eines Besessenen umgraben, die eigenen Ufer fressen und sie hinter sich mit gleichmäßigen Reihen abgenagter, verdauter und ausgebrochener Steine belegen. Dabei treiben die Bagger ein sonderbares Spiel. Von Sumpfmassiven eingekreist, Hunderte und Tausende Werst weit von Festland umgeben, spielen sie in ihren trüben Pfützen Schifffahrt. Schreien mit den Stimmen regelrechter Schiffe, werfen Anker aus von ihrem Deck, das von Ufer zu Ufer wetzt, und lichten sie wieder, blicken mit ihren hochmütigen Kapitänsbrücken aufs Land hinaus. Die breiten, grauen Eimer steigen ununterbrochen zum Wasser hinunter, den nassen, eisernen Kleidersaum über den Kopf gehoben. Dicht über dem Wasser gehen sie in die Hocke, schießen Kobolz und tauchen mit leichtem Plätschern unter. Unermüdliche, zähe Kröten, die, das Maul mit Dreck und Steinen voll gestopft, an die Wasseroberfläche kommen. Eigentlich besteht der ganze Bagger aus eben solchen Eimern und einem riesigen metallischen Darm, den sie mit Erde stopfen. Wasserströme peitschen jedem neuen Eimer wütend entgegen. Sie ergießen sich über den Zylinder, der seine durchlöcherten Rundungen geruhsam der Dusche aussetzt. Der Sand schlägt wie durch ein Sieb in eine besondere Rinne durch und setzt sich unter Wasser auf Filzpolstern ab.
Die Speiseröhre des Baggers stößt die Steine gemächlich zum Ausgang bis ein Gummiriemen, lang und schmal wie ein Schweif, sie ans Ufer trägt. Das ist die gleiche alte Goldwäscherpfanne, lediglich in gigantischen Ausmaßen. Erdberge werden im Bauch des Baggers verdaut, ein ganzer Fluss wäscht aus ihnen einige Pfund Platin aus. Die Kammer, in der das endgültige Waschen erfolgt, heißt Schleuse und ist von den übrigen Arbeiten durch Gitter getrennt. Die Tür ist verschlossen und versiegelt. Das Siegel wird am Ende jeder Schicht entfernt. Der Kontrolleur, ein Kommunist, setzt sich auf den Querbalken unmittelbar über dem Waschtisch und lässt - die Hand am Revolver - seine Beine in Gummistiefeln hinunterbaumeln. Ein zweiter Kontrolleur steht an der Tür. Der sonst fast menschenleere Bagger füllt sich mit Arbeitern. Ein Artel, wie Taucher in Segeltuch und Leder eingenäht, betritt diesen Löwenkäfig, in dem nur unsichtbare, im Schlamm verlorene Platinkörner eingesperrt sind. Aus dem nassen Wasserbett werden die verschmutzten Polster herausgehoben und umgedreht ins Hauptbecken getaucht. Das Wasser schlägt in Fontänen und spuckt Schaum, während seine rauen Decken entwendet und gewendet, die vom Fluss zurückgelassenen Körner herausgeklopft werden. Die Kräne sind geschlossen, die Rinnen gesperrt. Es würde Stille eintreten, würde der Bagger nicht mit dem Getöse eines Erdbebens weiterarbeiten, würden die Eimer nicht von unten nach oben und oben nach unten kriechen, kreischend und schmatzend wie eiserne Schweine.
Das Platingräberfieber schüttelt die ganze Abteilung. Das Artel ist, ohne es selbst zu merken, trunken von der Nähe des Wassers, das das Weißgold berührt hat. Trunken vom Anblick der Tische, von denen das Wasser gleitet, leichte Steine forttragend und schweren, überschweren Schmutz hinterlassend. Volltrunken, heimlich, ohne Wein - berauscht ist das Artel, wie ganz Kytlym berauscht ist. Werden hier doch alle unheilbar vom Goldgräberfieber gepackt. Die Kommunisten suchen Schutz hinter Büchern, lesen Lenin bis spät in die Nacht, nach dem langen Arbeitstag, wenn die elektrischen Alleen Kytlyms in der Uraler nächtlichen Wildnis glänzen; Kommunisten schlucken Lenin wie Chinin gegen Fieber. Alle sind krank. Ein Bauer, der des hohen Lohnes wegen nach Kytlym kam, um sich Geld für ein Pferd, ein neues Badehaus und einen Pflug zu verdienen, und im nächsten Jahr zurückkehrte, ohne selbst zu wissen warum, von der Platinsucht hingezogen. Er ist ebenso süchtig wie die Arbeiter; ein Kommunist, der an der staatlichen Universität war, glänzend studierte, aber, da ihm die Mittel für den Unterhalt seiner Familie fehlten, zurückfiel in die Kaserne, hoffnungslos - auch er ist vom Platin gepackt und für immer gezeichnet. Und der sonderbare Arbeiter, der möglicherweise gar keiner ist; oder der wegen Vergehen entlassene Tschekist oder der verbannte Kriminelle, der sich mit heißem Ziegeltee, gelb wie Harn, grimmig die Kehle spült und an der Sowjetmacht mit der verhaltenen Verbitterung eines Hinausgesäuberten herumnörgelt - auch er gehört zu Kytlym. Und die Hunderte Arbeiter, die auf den stinkenden und verwanzten Pritschen ihrer Kasernen - nachdem sie die durchnässten, glitschigen Stiefel auf den gemeinsamen Herd gestellt haben -schlummern, vom Schlaf betäubt, auf ihren Brettern ausgestreckt, den Kopf mit dem Halbpelz zugedeckt und die vom Baggerwasser durchgefrorenen Füße entblößt - auch sie atmen alle Platin, für das Platin, nur des Platins willen. Wer ist denn frei davon? Außer dem kleinen Häuflein Arbeiter, der Kommunarden, die sich retten, indem sie die großen Weltereignisse im trüben Spiegel der allwöchentlichen Referate verfolgen; außer diesen Menschen, die von ihren Sümpfen, von ihren Baggern zehn Werst weit zur Versammlung der Zelle laufen, um dort den Bericht der Gebietskonferenz zu lesen, dieses einzige, sicherheitshalber am Tisch festgemachte Exemplar, außer diesen wenigen Menschen, die die Partei dem Platin abgerungen hat - wer ist denn noch frei davon?
Vielleicht nur Gurion Malzew, der älteste Spieler und Abenteurer Kytlyms. In der Schleuse bewahrt er als einziger Ruhe. Er ist nicht zu verkennen: Abstehende Ohren und auf dem feuchten Tisch die hellen, empfindsamen Hände eines Spielers, die vorsichtig und leidenschaftlich im Sande wühlen. Er allein sieht das unsichtbare Platin in dem Haufen Schmutz. Seine Scharre spielt mit ungemeiner Kühnheit. Nachdem er die letzten Steinchen ausgekämmt und in die Strömung geworfen hat, verstreicht er plötzlich den ganzen Rest, alles, was vom endlosen Waschen übrig geblieben ist, gleichmütig über den Tisch, lässt es vom Wasser auflecken und forttragen. Dann säubert er mit einer Bürste, einer einfachen Küchenbürste, die Ränder seiner Rinne, und seine Hände jagen vorsichtig, wie weiße Katzen, die Silbermaus zurück, unter den glatten, sanften, gleitenden Wasserstrom. Das Platin ist immer noch nicht zu sehen, aber er behandelt es noch behutsamer, spielt mit dem Platin im Wasser wie mit einer Liebhaberin, kitzelt das Platin wie ein Kind, jagt und fängt es wie ein Wild. Diese erstaunlichen Finger könnte man stundenlang betrachten - und das ganze Artel betrachtet sie wie verzaubert -, diese Finger mit einem verfeinerten Tastgefühl, wie bei zehn Blinden, die sich ohne Blindenführer behelfen, wie bei zehn schneeweißen Hetzhunden, die der Spur eines silbernen Hirschen folgen. Schließlich hält er es, das Platin, zaust und streut es, wie aufgelöstes Haar. Im Wasser sammelt sich ein bläulich-weißes Häuflein mit matten Funken. Es liegt ruhig, und keine Strömung wird es forttragen. Es ist schwer wie Eisen, noch schwerer. Die Menschen zittern, als der Kontrolleur es mit einer Schippe aufnimmt, über dem Feuer trocknet und dabei schüttelt wie der Krämer das Mehl. Gurion ist das aber völlig gleichgültig. Er hat das selbstlose Gesicht eines Spielers ohne Glück, eines Spielers, der nicht mehr spielt. Sein ganzes Leben lang hat Malzew Platin gesucht und viel davon gefunden. Mit Kleinigkeiten gab er sich nicht ab, eine große Beute packte er zusammen mit der Staatskasse und ließ bei dieser die Hälfte zwischen den Zähnen, die andere Hälfte verlor er beim nächsten, missglückten Einsatz. Malzew rannte dem Feuer davon und entkam. Und das ist doch gar nicht so leicht. Alljährlich brennt die Taiga um Kytlym - niemand weiß weshalb. Der Brand entfernt sich und kommt wieder. Frisst einhundert Werst kahl und macht auf einmal skrupellos kehrt, um eine Mastenfichte zu fällen, um die grünen Finger einer Tanne zu brechen, die sie wie zum Schwur erhoben hat, obwohl ihre Füße schon in Flammen stehen. Der Waldbrand hat seine Launen wie ein wildes Tier. Was er heute nicht anrührt, reißt er morgen. Auf verbranntem Boden ausgestreckt, die Arme unter dem Kopf verschränkt, schmaucht er ruhig irgendeinen wie eine Pfeife verbogenen Baumstamm zu Ende und beaufsichtigt seine Kinder, die flammenden Eichkätzchen, die über die benachbarten Wipfel hüpfen. Er lässt einen Fußgänger und einen Reiter auf dem scheuen Pferd vorbei, er lässt sie laufen - und der Rauch seiner brennenden Pfeife schwebt friedlich über der versengten Taiga. Doch man darf dem Brand nicht trauen. Er ist der Tod. Wegen nichts und wieder nichts wird er rasend, sein rotes, ungeheuerlich-böses Gesicht schlägt plötzlich aus dem Stamm einer gestürzten Birke, dem weißen Stamm, in dem er einen ganzen Tag lang gewühlt hat, um den Regen abzuwarten. Wie ein Matrose mit flammendroten Händen stürmt er den Stamm hinauf, um im Wipfel seine lange Rauchflagge zu entfalten und im Wind flattern zu lassen. Ringsum - ein Schlachtfeld. Tausende von Bäumen mit verkohlter Wurzel, mit abgerindetem Stamm stürzen quer über die Taigapfade. Es gibt Wälder wie kaum verheilte Wunden, mit einer zarten grünen Haut überzogen. Statt der alten Fichten wächst junger Laubwald. Von Zeit zu Zeit stoßen die toten Bäume ein knarrendes Stöhnen aus - sie werden stürzen müssen. Zum Andenken an den erlebten Brand streut der Wald kleine schwarzweiße Schmetterlinge, schwarz-weiß wie Sondermarken zum Andenken an eine Katastrophe. Sie haben Flügel weißer als Bast und schwärzer als Kohle. Solcher wieder belebten Wälder bemächtigt sich das Feuer mit besonderer Freude. Es kehrt zurück wie eine Horde von Eroberern in die gerade erst eingenommene, niedergebrannte und verlassene Stadt, um jene, die sich gerettet haben, zu fangen, um die Flüchtlinge, die unvorsichtigerweise in die Ruinen zurückgekehrt sind, zu greifen. Er sucht seine alten Standplätze auf, macht seine mit wilden Rosensträuchern überwucherten Wachfeuer, die Kampfstätten ausfindig, wo die gigantischen Gerippe der Bäume noch nicht verfault sind. Da entkommt kein Rebhuhn, kein Hase rettet sich, kein Pferd trägt einen davon.
Gurion sah die Brände und entging ihnen. Er folgte der Platinspur und wurde selbst verfolgt. Doch im Jahre 1917, in der Revolution, packte ihn die große Sehnsucht nach Wandlungen. Der Platingräber ließ das Graben sein und ging davon, um etwas Besseres zu suchen. Kämpfte als Soldat, kam nach Sibirien, fand nichts, wurde taub, kehrte zurück. Möglicherweise suchte der alte Jäger die Erneuerung des Lebens wie einen Zufall, wie eine neue, reiche Fundstätte. Grub an einer Stelle im menschlichen Gestein, stieß auf Schmutz, auf Granit, auf Wasser - und gab die Suche auf. Allenfalls ist Gurion nicht mehr zur Platinsuche zurückgekehrt. Die Revolution hat das Platinfieber gedämpft. Der Alte kam und nahm seinen Platz auf einem sowjetischer Bagger ein. Sein Gesicht eines Spielers beugt sich in vollkommener Ruhe über das schäumende, feuchte, aufgewühlte Bett des Platins. Er greift es mit zitterfreien Händen, legt es bloß und wäscht es wie ein Neugeborenes. Rund 600 Arbeiter leben in Kytlym, in seinen Kasernen, die so schmutzig, morsch und eng sind, dass man darüber gar nicht schreiben möchte. 600 Menschen, von der Welt abgeschnitten, von einem miserablen Konsumladen versorgt, wo es weder Grütze noch Rosinen gibt, doch dafür Puder und Haarfarbe. 600 Menschen in den Bergen, im Sumpf auf den ohrenbetäubenden Baggern. 600 Menschen, die stets durchnässt und häufig krank sind, denn Kytlyms Klima ist hart und veränderlich. Was sagen sie da? Die Bewohner der Kaserne murren dumpf und - was soll man es verheimlichen - sie murren noch zuwenig, weil sie völlig im Recht sind. Es geht nicht, man darf Arbeiter unmöglich in den alten, von der ausländischen Gesellschaft hinterlassenen Baracken wohnen lassen. Das heißt Groschen sparen und eine konterrevolutionäre Agitation betreiben, wie sie sich die Weißgardisten nicht einmal träumen lassen. Zwei Schritte von der Kaserne entfernt lebt der Platindieb, der Platingräber, von dem man weiß, dass er einige Pfund Platin gestohlen hat - er lebt sauber und hell, in einem gemauerten Haus, trinkt mit seiner Familie tagtäglich zwei fette Kühe leer, braut Bier und spielt eine zweireihige Ziehharmonika. Und daneben verkommt der Kommunist, der Partisan Ditkowski, der in den Jahren 1920, 1921 und 1922 auf dem Gold sitzend fast verhungert wäre, der sich auf dem Bagger Gelenkrheumatismus oder Tuberkulose zugezogen hat, widerspruchslos in einer unvorstellbaren Kaserne und kann sich nicht das Geld für ein Haus zusammenverdienen. Ringsum, Hunderte von Werst im Umkreis brennen Wälder im Werte von Millionen Rubeln, ohne auf irgendwelche Pläne der Forstverwaltung Rücksicht zu nehmen, der Arbeiter aber kann es nicht durchsetzen, dass ihm Bauholz kostenlos oder sehr billig zur Verfügung gestellt wird.
Das ist in der Tat etwas Absurdes. Da sitzen die Menschen in der Taiga, wo die Bäume zu Tausenden an Altersschwäche sterben, wo es niemanden gibt, um sie zu fällen, um sie vom Boden aufzuheben (die so genannte Säuberung der Wälder, die wir vorläufig als Ideal anstreben, besteht darin, den gestürzten Baum zu entasten, damit er dem Boden anliegt und so schneller verfault), der Arbeiter aber ist in eine Wanzenritze gezwängt, weil wir jetzt plötzlich beschlossen haben, die zerrüttete Forstwirtschaft zu retten. Und was geschieht, wenn irgendwo neben Kytlym, sagen wir, ein Konzessionsbetrieb Urquharts entsteht, Stiefel an die Arbeiter verteilt, innerhalb von 24 Stunden helles Bauholz fällt, sonnige Häuser mit großen Fenstern errichtet, Berufskleidung und Konserven heranschafft?... Die Menschen werden davonrennen, oder sie werden sich vor Neid giften... Ein alter Kytlym-Arbeiter, auch einer von den Partisanengruppen, sprach mit mir darüber mit erschütterndem Ernst wie über eine heraufziehende konterrevolutionäre Gefahr. Man hält es manchmal für eine Kleinigkeit: Da sind doch im Ural so genannte Bergbaueisenbahnen in Betrieb, Spielzeugbahnen, ausgeleiert, langsam, denen es nicht darauf ankommt, wegen eines Kuhfladens oder einer Sonnenblumenkernschale zu entgleisen. Sie stürzen alle Augenblicke den Bahndamm hinunter. Es gibt keinen ordentlichen Uraler, der nicht eine Beule oder Schramme an der Stirn hätte. Doch nicht darum geht es, sondern darum, dass diese berühmten Bahnen der Republik alljährlich mehrere Millionen Goldrubel kosten. Es gibt ein Dekret, irgendwer hat es irgendwo erlassen: Den Lokomotiven sind auf die Schornsteine unbedingt besondere Maulkörbe gegen den Funkenflug aufzusetzen. Keiner besitzt sie, keiner hat sie jemals aufgesetzt, keiner kann sie kaufen, da die „entsprechen den Summen" fehlen. Der bürokratische Ring schließt sich mit dem Gefühl tiefer Befriedigung, und die alten Lokomotiven setzen ihre ungeheuerliche Brandstiftungskampagne fort. Der Arbeiter aber zahlt für einen Balken 18 Rubel, bei einem Monatslohn von, sagen wir, 11 Rubel 50 (als Lehrling), er kann also freudig arbeiten und im Monat minus 6 Rubel 50 Kopeken zurücklegen.
Bei uns arbeitet man stets in Sprüngen, unter krampfhafter Anstrengung in irgendeiner Richtung. Erstaunliche Ergebnisse sind in der Produktion erreicht worden. Mit eigenen Kräften wurden nicht nur die alten Bagger in Gang gebracht, sondern noch zwei neue in Betrieb genommen. Die Leistung der Kraftanlage wurde von 1400 Kilowatt auf 2900 Kilowatt erhöht; bei einem kürzeren Arbeitstag blieb die Produktion auf dem Höchststand, wie er von der Gesellschaft in den Jahren 1913-1914 festgesetzt worden war. Und was noch wichtiger ist, Kytlym wurde aus einem Tummelplatz für Platingräber zu einer Produktionsstätte. Das Platin ist gebändigt worden, anstelle des abenteuerlichen Raubzuges ist das klare, nüchterne, intensive Wirtschaften zur Triebkraft geworden. Die Förderung hat den penetranten Beigeschmack der Tollheit verloren. Man fördert in der Atmosphäre ruhigen Besitzes und mit sauberen Händen. Man stiehlt nicht - das ist alles. 60 Menschen nehmen die Not gelassen hin, auch wenn sie auf diesem sowjetischen, allen und niemandem gehörenden Platin sitzen. Die Platinsucht, der sündige, sinnesverwirrende Geruch, das verführerische weiße Gleißen des Platins sind abgetötet worden vor fünf Jahren, als die Arbeiter von Kytlym, die sich in Parteiprogrammen noch nicht auskannten, für die Liste 6 stimmten. Schon damals, insgeheim von dem Gedanken an die Nationalisierung besessen, ließen sie nicht zu, dass Ditkowski von der Leitung abgelehnt wurde. „Damals hieß es: Es wird über die Bolschewiki abgestimmt. Da sahen wir also, es gibt einen Knall, es geht auf die Entscheidung zu. Die Aktionäre setzten ihn unter Druck, wollten ihn davonjagen. Das Volk nahm ihn in Schulz, wählte ihn zum Vorsitzenden des Sowjets. Unterschriften wurden gesammelt, wir brauchten ihn, um die Bagger in unsere Hände zu nehmen. Alle waren für ihn." Seitdem ist Kytlym gesund, darauf achtet Schljachiin, der Sekretär der Parteizelle, der Partisan Solowjow, der Chef der Miliz, der ehemalige Matrose und politische Häftling, der außerordentlich standhafte und lautere Mensch, Genosse Gawrilow, der stellvertretende Direktor; aber alles, was zum Alltagsleben des Arbeiters gehört, wird völlig vernachlässigt. Hier vertragen sich miteinander die strengste Disziplin, Verantwortungsgefühl und phantastische Schlamperei, alle Grenzen überschreitende Missachtung dessen, dass die Menschen bei geringstem Aufwand eine neue Lebensweise erhalten können und müssen. Das soll Kytlym nicht zum Vorwurf gemacht werden -es ist in dieser Hinsicht um nichts schlechter als eine solche Industriemetropole des Urals wie das herrliche Nadeshdinski-Werk...
Rings um Kytlym haben sich etwa 200 Platingräber niedergelassen und arbeiten. Das ist unsere Platinfelder-NÖP. Erstens fehlt das Geld für neue Bagger, obwohl selbst die Straße, die Kytlym mit dem Kraftwerk verbindet, auf reinstem Platin gebaut ist. Das ist ein ganzer Kontinent, ein ganzes Amerika im Bärenschlaf, das da im Sumpf versenkt ist. In der schlaflosen Uralnacht stehen die Wälder und Gewässer, die Gräser und Sümpfe in stetigem, weißlichem Schein, sie leuchten vor Platin, schimmern in silbrigem Glanz unermesslicher Reichtümer, die im breiigen Boden versenkt sind, aber wir haben vorläufig kein Geld, um für jeden Rubel, in diesen Sumpf geworfen, hundert oder tausend Rubel herauszuholen. Es sind keine dreihunderttausend Rubel frei, um sie diesem Boden gegen ungeheuerliche Wucherzinsen, gegen die Bürgschaft der vier Bergflüsse, der vier Berge reinen Dunits und des gesamten mit Platin gefüllten Kytlymkessels vorzuschießen. Auf die kleinen Platinfelder, hoch oben in den Bergen, lohnt es sich überhaupt nicht, Bagger hinaufzuschaffen. Die Vorkommen sind oberflächlich, die Mechanisierung der Förderung würde sich möglicherweise nicht lohnen. Überall, wo wir die Bagger jetzt nicht aufstellen können oder wollen, werden die Arbeiten von Gräberarteis durchgeführt. Die Sümpfe erstrecken sich bis zu den Gipfeln der höchsten Bergzüge. Sümpfe gibt es auf Kosjwa, Konshak und Sosnowka. Die alten Berge leiden an einer Schädelerweichung. Ihr Scheitel ist fett, feucht, mit Steinen vermischt. Die Pferde klettern wie Hunde von Stein zu Stein, den Kopf tief gesenkt und nach einem Halt für die Hufe schnuppernd. Erst gegen Ende Juni, wenn schon die Ralle in den Wäldern schnarrt und die Rebhühner sich zum Brüten auf die Eier setzen, beginnt die Taiga Fußgänger durchzulassen. Dann wirft Genosse Solowjow die Flinte über die Schulter, greift nach der silbernen Lockpfeife und beginnt die Platingräbernester abzureiten. Die von den Platinfeldern kommenden Mädchen, die alles wissen und den Mund halten, erkennen ihn bei der Begegnung im Sumpfgelände und grüßen mit lustigen Augen. Der alte Kontrolleur auf Kosjwa, der frühere Verwalter von Abamelek-Lasarew, ein gerissener, nicht ein einziges Mal ertappter Dieb mit salbungsvollem Gesicht, setzt ihm eine Fischsuppe vor. Aber ein Pferd hat der Alte nicht. „Wir reiten gleich zum Platinfeld", sagt Solowjow und gibt seinem sibirischen Pferdchen die Nagaika. „Sie aber gehen zu Fuß hin, es sind doch nicht mehr als drei Werst." Und obwohl die Pferde durchwegs leichten Trab gehen, ist der Alte fünf Minuten nach uns da. An seine safrangelbe Stirn sind nur wenige Tropfen Kirchenlämpchenöl getreten, seine Lippen eines ikonenheiligen lächeln, und der Artelälteste liest von ihnen mit dem Samtblick seiner Zigeuneraugen eine lautlose Abmachung ab.
Solowjow bindet das Pferd mit einem losen Knoten fest, um jederzeit lospreschen zu können, betastet den Revolver und geht zur Waschanlage.
Langsam arbeitet dieses Artel und mit tierischer Beharrlichkeit. Zu faul zum Schürfen. Fördert Platin, wie ein Bär Himbeeren nascht: vor allem auf eine möglichst reiche Fundstelle stoßen, dann sich mitten hineinsetzen und Beute grapschen, ohne sich vom Fleck zu rühren. Der Älteste ordnet an, dass geschürft wird, dass Proben gewaschen werden, doch die Gräber, lauter junge Bauernburschen, parieren schlecht, wollen nicht eine Kopeke auf das Ungewisse setzen; sie werden das erschöpfte Feld mit der Beharrlichkeit eines Stiers um- und umwühlen, nur um ja nicht das Alte gegen Neues tauschen zu müssen. In dieser Jagd nach unsichtbarer Beute, wo es auf Instinkt, auf Spürsinn, auf Fingerspitzengefühl ankommt, trotten sie störrisch hinter ihrem Ältesten her, schätzen seine geheimen Kenntnisse und hassen ihn auf den Tod wegen seiner diebischen Beweglichkeit, seiner Unruhe, seiner Rastlosigkeit. So hasst ein eingesessener Bauer den Nomaden. Die heutige Förderung liegt über dem Durchschnitt und ist fast doppelt so hoch wie die im gestrigen Bericht angegebene. Aber der Vorarbeiter lügt mit ruhiger Frechheit: Der Abschnitt sei schwach, von zehn Kubikmetern nur soundso viel Unzen Platin. Von zehn oder fünf Kubikmetern? Solowjow wird nicht laut, doch die Burschen, die sich nach dem Mittagessen ermattet rings um das Feuer ausgestreckt haben und die Waage des Kontrolleurs unverwandt beobachten, richten sich plötzlich auf und blicken ihn aus ihren gierigen Augen an.
„Ja, übrigens", sagt Solowjow, „ihr werdet einen neuen Kontrolleur bekommen, einen Kommunisten." Jenseits des erhitzten Flusses streift ein Rotarmistenmantel mit Mappe und Revolver durch die Sträucher. Unter der durchgeschwitzten Mütze sieht man ein braungebranntes Gesicht mit quadratischem Kinn. Das Artel rührt sich nicht - die ganze Bande, die ein Tierleben führt, keine Bedürfnisse und keine Interessen hat, es sei denn solche, die sich auf der Hornschale der Taschenwaage unterbringen lassen, wälzt sich schwerfällig auf die Seite, um einzuschätzen, was die von ihm verkörperte Gefahr bedeutet. Mit Fremden lässt es sich schwer in einem Artel arbeiten. Alte erfahrene Männer graben sich in die Erde ein mit der ganzen Familie, mit Söhnen, mit Schwiegertöchtern, die sich in die schweren Gräberkarren spannen müssen. Ihr Arbeitstag endet mit dem Anbruch der Nacht. Die auszehrende Arbeit ist zäh, mühselig und geduldig, sie wird weder von einem Gespräch noch von einem Lied, noch von einer Rastpause unterbrochen. Die Weiber mit verschlossenen, gierigen Gesichtern, reißen an der Erde wie am trockenen Euter einer kranken Kuh. Die Männer schlagen wütend das Gestein; sie hassen diese verkäufliche Erde, die sich jedem hingibt und lange unfruchtbar bleibt. Ganz alte Platingräber, Alleingänger, gleichen Alchemisten. Von der Sonne ausgedorrt und von den ewigen Wechselfällen des Lebens so leicht wie eine Vogelfeder geworden, sitzen sie mit skeptischer Miene am Rande der Schurfstellen, lassen die Beine ins Wasser hängen und treiben die unerfahrenen Lehrlinge zur schweren Arbeit an: „Grab tiefer, Mitjucha, tiefer, bis unters Wasser!" Und Mitjucha hebt schweißüberströmt, von seiner jungen Habgier angetrieben, Kubikmeter um Kubikmeter aus, wäscht ein Sieb nach dem anderen und stürzt sich, ohne etwas gefunden zu haben, mit neuer Wut über den Sumpf her. Der Alte aber raucht und lächelt über die Eitelkeiten des Lebens. Selbst der größte Glückstreffer würde ihm nichts mehr geben: Haben doch das Leben und er schon lange aufgehört, im Ernst miteinander zu spielen. Das Leben schreibt seine jämmerlichen Schulden nirgends mehr an, aber es zahlt auch die eigenen Verluste nicht aus. Niemand wird von Gott so sehr betrogen wie der Gläubige. Zumeist ist das kein Russe, sondern ein Wotjake. Er rennt dem Platin mit unwandelbarer Treue nach, erträgt geduldig dessen Fußtritte und dessen Untreue, jahrzehntelang nimmt er Misserfolge hin, überzeugt davon, dass sich das Glück einmal seiner erbarmen und das ihm zugefügte Leid mit einem Schlag wiedergutmachen wird. Zu guter Letzt nimmt der alte Platingräber immer neue Niederlagen freudig hin und sammelt sie liebevoll; jede Niederlage erhöht die schwindelerregende Summe, die das Glück bei ihm als Anleihe aufgenommen hat. Jede verlorene Hoffnung gibt Anrecht auf Gewinn. Jede Kränkung rückt die Tage der Wunder näher. So gehen Jahrzehnte erniedrigten, unbelohnt gebliebenen Fleißes dahin. Der Platingräber ist mutterseelenallein. Er jagt immer noch ungebetene Kompagnons fort. Was braucht er fremde Menschen? Er will ihnen nicht einen Deut von dem Schatz an Unglück abgeben, der sich eines Tages in einen Platinfund von unerhörter Größe verwandeln wird. Aber Sumpf bleibt weiterhin Sumpf. Das Wasser wird von Tag zu Tag kälter, und die verschwollenen Augen im mückenzerstochenen Gesicht suchen im Moder vergeblich nach der silbrigen Ernte. An einem heißen Tag, da der Sumpf dampft und, von dichter Vegetation überzogen, mit verliebtem Vogelgeschrei gurgelt, steht der Wotjake schließlich auf dicken, rheumatisch geschwollenen Beinen vor dem Kontrolleur mit dem Ikonengesicht, bittet um einen Platz im Krankenhaus und weint. Er ist davon überzeugt, dass er auf dem Grunde des letzten Erdloches, das er heute aufgeben muss, sein ihm zustehendes Glück verliert. Das Schicksal bleibt dort, im Erdloch, wo die hineingestürzten Frösche, die Paddel der Hinterbeine weit auseinandergespreizt, herumschwimmen und wo die trägen Sumpfblasen platzen. Pitschugin, der berühmte Platingräber von Sosnowka, gleicht einem Pferdedieb. Er hat unaussprechlich listige Zigeuneraugen und einen Bart wie ein Zigeuner. Wenn er an einem Blättchen Zigarettenpapier leckt, um sich eine Zigarette zu drehen, gleicht er einer großen schwarzen Flasche mit dem an die Lippe geklebten weißen Rezept. Fragt man ihn aus, so verhält er sich mit weiser Vorsicht. Wie ein schlaues Tier zieht er sich, kaum dass er die Fragen beschnüffelt hat, vom Fangeisen zurück und tritt dabei unwandelbar in die eigene Spur. Und erst aus sicherer Entfernung blickt er einen an mit freundlichem Schweifwedeln in den Augen und mit gespitzten Wolfsohren. Kaum hat sich die Tür hinter dem Genossen Solowjow geschlossen, da wendet er sich mir zu mit dem lautlosen Lachen eines alten Jagdhundes, mit einem Lächeln, bei dem Gutmütigkeit an den schneeweißen Eckzähnen von den Lefzen trieft.
„Wissen Sie, wie viel Platin ich tatsächlich habe? Zwanzig Pfund. Findet es Solowjow, ist es seins, findet er es nicht -tut's mir sehr leid."
Gewöhnlich baut ein Platingräber, kaum dass er reich geworden ist, sofort ein gemauertes Haus mit einem grünen Dach. Pitschugin ist im alten Hause geblieben, seine Familie isst nach wie vor Kohlsuppe ohne Fleisch, und mit dem Bräutigam der Tochter schachert er - wie im ganzen Kreis bekannt - erbittert um die Mitgift.
„Warum leben sie in solchem Dreck, Pitschugin? Wollen Sie es nicht besser haben?" „Dafür reicht's für meine Söhne und Enkel." Er dachte liebevoll an die Familie, die von Generation zu Generation im kargen Bauernwohlstand leben wird, dieses Platin wie ein erwürgtes Neugeborenes unter der Diele versteckt, mit einem Stück sauren Brots, das für hundert Jahre gesichert ist, mit dem Recht für drei Generationen, das Leben mit der Gemächlichkeit und Ruhe einer satten Wanze zurückzulegen, die über die Wand kriecht. „Wissen Sie, Genosse Solowjow, Pitschugin hat zwanzig Pfund Platin. Er hat es mir soeben gestanden." Der Zigeuner nahm die Mütze ab, suchte mit dem Blick das Leninbild, das statt der Ikone in der Ecke hing, schaute sich mit Augen voller Fröhlichkeit, Sicherheit und Spott um, bekreuzigte sich und sagte:
„Wie kommst du denn bloß darauf, Mütterchen? So wahr mir Gott helfe - ich habe niemals derartiges gesagt. Kann mir denn einer was nachweisen?"

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur