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Larissa Reisner - Oktober (1924)
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SCHWARZE UND WEISSE KOHLE
(Kiselstroi)

Die grünen Wälder sind in der Mitte aufgeschlagen wie ein Buch. Und damit das Buch nicht wieder zuschlägt, ist zwischen zwei Blätter ein blaues Buchzeichen gelegt - der klare fröhliche Uralfluss Kosjwa. Die gebirgigen Schultern ihrer Ufer - alles, was ringsum in den blauen Dunst der Ferne gehüllt wird, ist Kohle und Erz, Erz und Kohle. Dieser natürliche Speicher ist vorläufig noch wenig erforscht, die Industrie ist schwach und verschlingt noch nicht einmal die Hälfte von dem, was ihr die leistungsfähigen Jegorschinsker Gruben, die Schächte von Kisel, Gubacha und Tscheljabinsk hätten liefern können. An eine Erweiterung ist vorläufig nicht zu denken. In zwanzig Jahren werden die Bärenberge von Kisel zu einer großen Industriemetropole werden. Heute ist das noch Taiga, wo man, statt Kohle zu fördern, Himbeeren sammelt und, statt Erz zu gewinnen, schlanke Fichten als Bauholz schlägt. Vorläufig sind im ganzen Bezirk nur die Gruben von Kisel in Betrieb. Freilich ist das ein Riesenbetrieb mit drei Schächten im Zentrum, einem starken Schacht in Polowinka und drei Schächten in Gubacha, etwa zwanzig Werst von Kisel entfernt. Solche Entfernungen rechnen nicht, die Untertagearbeiten werden hier nach Dutzenden Werst bemessen, die Jahresförderung - nach Millionen Pud. Die Kisel-Grube ist ein ganzes unterirdisches Reich mit einer Hauptstadt, dem Leninschacht, der in breiten und abschüssigen Gängen in eine Tiefe von zweihundert Klafter hinabsteigt; mit einem zweiten Förderschacht, wo die Flöze in launischen und schwachen Schichten verlaufen, mit niedriger Decke, mit Strecken, in denen man gebückt, kniend, mit eingezogenem Kopf arbeitet und der Kohle tückische Schläge von unten her versetzt. Kisel hat seine Zentren und seine Randgebiete, das entlegene Polowinka, seine unterirdischen Chausseen, über die Elektroloks mit dem typischen Straßenbahngeläute rasen; seine Feldwege, seine Pfade, die sich in der schwarzen, unterirdischen Taiga verlieren, wo in der ewigen Nacht ein kurzsichtiges Pferd vorwärts stolpert. Es gibt Plätze, umgeben von einer Zweieinhaib-Klafter-Mauer reichsten Brennstoffs, glänzend wie ein Küraß, ebenmäßig wie die Granitverkleidung der Quais rings um den Kohlensee. Kisel hat seine Zeit, seine Ewigkeit, die der über Tage nicht gleicht. Dort gibt es keine Sonne, kein Tag und keine Nacht. Es gibt nur die Arbeit, immer schwarz, immer nächtlich, auseinander gebrochen in drei gleiche Achtstundenstücke, von denen jedes Hunderte von Pud wiegt. Über Tage, wo es Grünes und Weißes, wo es Licht und Sommer gibt, fällt zu Beginn des Tages der Tau. Der unterirdische Tau trocknet niemals. Die Erde schwitzt ununterbrochen, die Strecken werden umso feuchter, je tiefer man hinabsteigt. Die Geländer werden eisig und feucht wie lasterhafte Hände; das Schweigen der Erde wird kontrastiert durch den gleichgültigen und hellen Tropfenfall, dann durch leichtes Flüstern, dann durch lautes Geschwätz munterer Bächlein und schließlich durch das kalte und drohende Prasseln der Gewässer, die sich ununterbrochen in die Tiefe ergießen. Das unterirdische Kisel hat seine Zeitrechnung, seinen Tau, seine Gewässer und, schließlich, sein Feuer. Unter Tage leben Flammen und Wasser in Eintracht, sie helfen sich gegenseitig gegen die Menschen. In den feuchtesten Strecken beginnt die Flamme der ruhigen Bergarbeiterlampen plötzlich zu flattern, aufgeregt fährt sie mit ihrem gelben Zünglein ans Netz: sie beunruhigt der beizende Geruch unterirdischen Brandes. In der ihnen zusetzenden Hitze sind die Menschen doppelt überströmt: mit Wasser und mit Schweiß.
Und die Luft in den Gruben ist auch besonders, mit nichts zu vergleichen. Mag sich der Bergmann verirrt haben, aber wenn er stehen bleibt und in die Dunkelheit hineinlauscht, dann hört er durch das Plätschern, Rascheln und Schweigen das kaum wahrnehmbare Zischen der Luft, die aus unsichtbaren Löchern dem Bewetterungsrohr entweicht. Mag die Laterne erloschen sein, die ausgestreckte Hand wird in der Dunkelheit diese Gurgel, diesen langen, gestreckten roheisernen Hals, durch den die Luft unter die Erde geblasen wird, doch noch finden und ertasten. Er ist allgegenwärtig: Im Einstiegstollen, neben dem steilaufragenden Geländer, das aus der Tiefe zum Licht emporführt, im Sumpf feuchter Orte, in den Blindschächten, wo Wasser und Schweigen herrschen, in der Hitze der Strecken, die von unsichtbarer Glut verbrannt werden; überall, wo der Mensch den Schlägel schwingt oder die Harpune des kreischenden Bohrhammers in die Kohle hineinstößt; überall, wo er erschöpft die Laterne hebt, um über seinem Kopf die noch zu steigenden Stufen zu zählen; überall, wo die Arbeit mit den eisernen Krallen der Maschinen Kohle aus dem Gestein reißt; überall, wo er sich verschnauft, schweißüberströmt, die Brust hochgewölbt, fast gesprengt vom Ansturm des Blutes gegen den knarrenden Rippenkäfig -überall zieht an der Seite des Bergarbeiters sein treuer Verbündeter in den Kampf gegen die schwarzen, glänzenden Mauern - die lebensspendende Luft. Die Maschine, die den Lebensatem unter die Erde presst, lebt hoch, in einem der hellen, aristokratischen Stockwerke, in einem ruhigen, sauberen Raum. Die Menschen haben alles in ihren Kräften stehende getan, damit sie, die Kostbare, ihre Gefangenschaft nicht spüre. Ihr Haus ist lichtüberflutet. Die Decke wölbt sich hoch über ihrem Haupt. Die Kohle ist mit Beton überzogen und darf die Schwelle dieses weißen Gefängnisses nicht übertreten. Eine ganze Werst weit ist die feuchte und lastende Finsternis von der trockenen und gesunden Wärme der lebendig begrabenen Maschine erwärmt. Die von allen Seiten wuchtende Erde spürt in ihrem ewigen Schlaf dumpf das ununterbrochene, mächtige und freudige Beben der Kraft, die von der Einzelzelle des Kompressors ausgeht. Die ewige Nacht weicht taumelnd und mit ihren vor Feuchtigkeit verquollenen Augen blinzelnd vor dem göttlichen Glanz der Elektrizität zurück, der aus der Tür dieser einsamen Wohnung sprüht.
Doch Kisels Kraftwerke sind abgenutzt und überlastet. Ihre Energie reicht kaum, um die arbeitenden Lungenflügel der Kiselgruben mit Luft zu füllen. Es häufen sich Unterbrechungen, Stillstände, Brüche, die sich zwar nach einigen Stunden fieberhafter Arbeit beheben lassen, aber immer häufiger schwimmen die Orte und Strecken am Grunde der Gruben im dichten grünlichen Qualm: Das sind die giftigen Gase der Sprengungen, die langsam von Stufe zu Stufe klettern, auf allen vieren die Wände entlangkriechen und dabei ihre zottige Rauchmähne schütteln. Die Laternen der Steiger weichen beunruhigt vor ihnen zurück. Dieser süßliche, an Vanille erinnernde und bittere Geruch hat etwas Gewalttätiges an sich, das mit würgenden und bösen Pranken das Leben an der Kehle packt. Im Kraftwerk aber gibt es wiederum eine Panne - die Bewetterung setzt aus, die Gruben werden von Schwindel befallen. In der Wolodarski-Grube, wo man arbeitet, ohne sich aufzurichten, wo Menschen, wie Weihnachtsbäume die qualvoll gekrümmte Spitze, den Kopf gegen die Decke stemmen, huschen die Laternen beunruhigt von Ort zu Ort. Kein Strom! Vergeblich stemmen sich die Kumpel mit der Brust gegen die Griffe der Presslufthämmer. Ihre Waffe lässt nach und fällt kraftlos aus der Wunde, die dem Kohlenmassiv geschlagen worden ist. Schwüle Trägheit kriecht durch die Strecke, die gereizten, nach Luft gierenden Menschen rauchen, auf der Kohle ausgestreckt. Das Blut hämmert heftig in den Schläfen, wie ein verschütteter Bergmann, der auf vergeblicher Suche nach einem Ausweg die Wände abklopft. Die Alten unterbrechen die Arbeit, schirmen die Augen - als seien sie geblendet - mit der Hand ab und steigen etwa hundert Klafter höher, um zu trinken und Luft zu schnappen. Die Jungen, durch die Luftknappheit gereizt, ziehen die Hemden aus und halten den Kopf und die Brust unter das schwefelhaltige Wasser, das von den Wänden rinnt und die Haut sich röten und - wie eine Zitrone den Speichel -zusammenziehen, dann aber sich lösen und platzen lässt. Wieder kein Strom!
Die Pumpen ziehen übersättigt und unwillig das Wasser ab, das rauscht und steigt. Der ganze Berg hat einen Asthmaanfall.
Die ersten Stickanfälle in den Kiselgruben begannen schon zu Zeiten des Bürgerkrieges. Möglicherweise haben damals der Hunger und die ihn begleitende Gleichgültigkeit weniger darauf achten lassen. Außerdem hat man nicht so angespannt gearbeitet wie heute: nur um selbst nicht umzukommen und die Gruben nicht umkommen zu Sassen. Aber jetzt, da die ganze Grube vom Fördermann bis zum Direktor am Kampf für die Steigerung der Arbeitsproduktivität teilnimmt, da auf dem Kohlenmarkt plötzlich der Koks aus dem Kusnezbecken aufgetaucht ist, der Tausende Werst per Eisenbahn zurückgelegt und dennoch billig zu bleiben verstanden hat, da die Grube innerhalb von zwei Wochen - um sich zu behaupten - fast drei Kopeken je Pud nachlassen musste - jetzt ist jeder Stillstand in der Arbeit eine Katastrophe. Die Zeit ist kostbar geworden, ja, sie wird immer kostbarer. Und da muss die Grube, von Brechreiz befallen, den Spaten fortwerfen und zum Ausgang kriechen, um bei Bewusstsein zu bleiben. Luft, Luft, Luft.
Schließlich ist Polowinka dieser Tage fast ganz zum Stillstand gekommen. Die Ingenieure fühlten den kranken Maschinen mit der Uhr in der Hand den Puls, rechneten die Stunde aus, da sie aussetzen werden. Die Verantwortlichen hingen am Telefon, Boten ritten Pferde zuschanden, Elektriker blieben, mit dringenden Reparaturen beschäftigt, Tag und Nacht in der Grube. Das kleine Kraftwerk regte sich noch, aber immer ungleichmäßiger, immer schwächer. In der Minute höchster Gefahr, als die unteren Sohlen von Wasser und Qualm überschwemmt wurden, flutete durch Polowinkas greisenhafte Leitungen eine mächtige, verjüngende Welle Elektrizität. Woher?
Vor zwei Jahren, in der Zeit der größten Hungersnot und Typhusgefahr, wurde zwanzig Werst von Kisel entfernt, am gleichen ungebändigten, reißenden Fluss Kosjwa, der sich kopfüber von den Bergen herabstürzt, der Grundstein für ein leistungsfähiges Rayonkraftwerk gelegt. Dieses sollte vor allem den altersschwachen Maschinen der Gruben zur Hilfe kommen, doch geplant und erbaut wurde es nicht um der 600 Kilowatt willen, die das Kraftwerk heute schon Polowinka beisteuert, ja, nicht einmal um der 6000 Kilowatt willen, die ihm der ganze Trust abnehmen wird. Mit dem Bau dieses Kraftbrunnens in den Kiselbergen sicherte sich die Republik billige Energie für einen ganzen Industriebezirk, 300 Werst im Umkreis. Die Entstehung von Kiselstroi oder GRES, wie seine Initialen lauten, sichert nicht nur eine Verbilligung der 40 Millionen Pud Kohle, die Genosse Sashin in diesem Jahre zu fördern hofft, die Geburt von GRES bestimmt vielmehr, dass in der nächsten Zukunft ein neues Kohlenrevier, eine ganze Reihe von Schächten, Erzgruben und Betrieben mit hochmechanisierter Fertigung und billiger Produktion entstehen werden. Vom Glasdach des Kraftwerks aus überblickt man viele Werst im Umkreis. Links auf dem dichtbewaldeten Berg zeichnet sich hell eine breite Schneise ab - der Luftweg, den der Strom nach Kisel nehmen wird. In fünf Jahren werden diese Wälder verschwunden sein; dort, wo jetzt wie Erdbeeren im Gras das rote Dach des Spitals leuchtet, dieses elenden Feldspitals, mit Holzbetten, in denen innerhalb von zwei Jahren mehr als 300 Bauarbeiter gestorben sind, an die Stelle dieser Baracke wird möglicherweise ein Werk oder eine Eisenbahnstation kommen. Rechts erstrecken sich die gedrängten Reihen der Arbeiterbaracken, wo Menschen schlafen, essen und im Schmutz ersticken, wo die Familien mit Ledigen durcheinander hausen und auf diese Weise keine Minute Ruhe haben, wo man überhaupt so lebt, wie das Proletariat im ganzen Ural, wenn nicht gar im ganzen industriellen Russland, um unter unmenschlichen Anstrengungen und im Elend die sowjetische Industrie aus dem Elend herauszuziehen. Was wird an Stelle dieser Kasernen stehen - ein Werk, eine neue Grube oder ein Palast der Arbeit? Wenn es dem russischen Proletariat in den Jahren dieses Elends nicht darauf angekommen ist, dreihundert Menschenleben für ein herrliches Kraftwerk zu zahlen, das ihm in den nächsten Jahrzehnten neugeborene Werke großpäppeln wird, was wird da erst sein, wenn es dazu kommt, sich ein wenig zu erholen, satt zu essen, Wohnungen zu bauen und zu studieren? Man kann toll werden vor Stolz, wenn man um dieses herrliche graue Gebäude rennt, das aus klafterhohen Fenstern in die zottige Taiga starrt, die gelichtet, auf das andere Ufer zurückgeworfen, durch die Schläge der Beile und die Stimmen der Maschinen eingeschüchtert ist.
Das Kraftwerk ist noch nicht ganz aufgeräumt. Das ganze Baugelände trägt Spuren und Reste der Geburt. Erschöpfte chinesische Arbeiter holen schwankend mit einer Trage Gerümpel zusammen und verbrennen es. Aus dem Wasser ragen die feuchten Köpfe der Pfeiler, die das Hochwasser noch nicht fortgetragen hat: Das ist eine Erinnerung an den schwersten Abschnitt der Arbeit, als ein zweihundert Meter langer und fünf Klafter tiefer Kanal ausgehoben werden musste, um den Fluss in das Kraftwerk hineinzuleiten. Die betonierte Rinne musste unter dem Flusspegel bei starkem Druck der von den Bergen herabstürzenden Gewässer, bei Rationen und Löhnen des grimmigen Jahres 21/22 gebaut werden, fast ohne Hilfe der Maschinen, ohne Berufskleidung und ohne Geld, und das in Kisel mit seinem harten, veränderlichen Klima, wo bis heute trotz der besseren Lebensbedingungen 90 Prozent der Kinder mit ausgeprägten Anzeichen der Tuberkulose geboren werden. Der Ausbau des Gebäudes steht kurz vor der Vollendung. Im Aschekeller ist es trotz des leisen Ascheregens am Fuße der vier Kessel und eines starken Schwefelgehalts der Kohle hell und luftig. Im Kesselhaus ein fröhliches Durcheinander frischer Gerüste. Von dem mit Beton bestäubten Boden bis zur gläsernen Decke ragen in der Halle Gerüste aus weißem Fichtenholz empor; auf den Gerüsten, die unter der schweren Last der nach oben beförderten Maschinenteile zittern, wimmelt es von Menschen. Die vier Kessel (Babcock - Wilcox, Schiffstyp aus dem Jahre 17, Erhitzungsfläche - 350 qm) nehmen nur die Hälfte des Palastes ein, die andere Hälfte ist leer, steht bereit, eine zweite Kesselreihe aufzunehmen. Es ist heil und geräumig wie in der Kinderstube bei Giganten: Die Halle kann jede Erweiterung, jedes Wachstum vertragen. Die Loren mit Kohle kommen vorläufig noch in das Gebäude gerannt, um ihre kümmerlichen 5 bis 6 Pud den Öfen in den Schlund zu stürzen. Die Kesselwärter räumen verstimmt den Dreck fort, der von den schmutzigen Handlangern, den Loren, in das helle Maschinenhaus getragen wird. Bald werden sie vertrieben sein. Die Bunker und die Fallkanäle, über die die Kohle mechanisch in die Feuerung befördert wird, stehen kurz vor der Vollendung. Ganze Regimenter von Hilfsarbeitern tragen behutsam schwere Einzelteile von Maschinen vorbei. Auf den Gerüsten, zwischen Holz und feuchtem Kalk, zwischen Sägen, Hämmern und biegsamen Holzlatten singen die Zimmerleute. Eine kleine, provisorische Schmiede dröhnt wie ein ganzes Wasserwerk. Ein schlanker Monteur in hohen Uralstiefeln klettert vorsichtig nach oben, wo in besonderen Behältern eine Wasserreserve gespeichert wird. Erst wenn man ganz nach oben gestiegen ist, empfindet man die ganze herrliche Vierzig-Meter-Höhe dieses Gebäudes. Aber auch hier mischt sich dem Triumph und der Fieberhast der letzten Arbeiten die Sorge des Dorfes, die Mahnung an Acker und Brot bei und nicht an dieses hochherrschaftliche Haus, in dem allein die Elektrizität wohnen wird. Ein Maurer murrt leise, während er das Gesims verputzt: „Bin in diesen zwei Jahren im ganzen Bau herumgekommen. Von den unsrigen ist noch der alte Jakimow hier gewesen, mit ihm zusammen habe ich das Fundament bis unter den Sockel hochgezogen. Hat sich erkältet, sage ich, und ist verstorben."
„ich will nach Kasanskaja zurück. Wer aus der Scholle geboren wurde, der muss in die Scholle zurück. Wenn alle Proletarier sein werden, wer soll da das Brot machen?" So werkt ein Bauer am Vorabend des Arbeitssieges hoch oben auf seinem Bau und jammert nach der Scholle. Die Turbogeneratoren. Schwarz, glänzend, jeder mit 8000 Volt, ruhen sie wie ein Löwenpaar. Ihre Brücke wird von Betonpfeilern gestützt, um die sich die Äste der Gebläserohre winden. Jede Maschine hat ihren Herzschlag und ihre Stimme, aber mit nichts zu vergleichen ist das gleichmäßige, kraftvolle und ruhige Dröhnen, mit dem die Turbinen das ganze Haus erfüllen. Sie haben keine Zeit, um abzuwarten, bis der Boden trocken ist. Sie brauchen nichts als ein Fundament, das ihr majestätisches Gewicht und die Vibration zu tragen vermag, die zwar kaum merklich ist, aber einen Felsen zerrütten kann. Mögen die Betonierer da unten ihre Arbeit an dem noch feuchten Boden beenden; kaum sind die Turbinen über die Schwelle, kaum haben sie die schwere Reisekleidung abgelegt, da nehmen sie auch schon die Arbeit auf, zwischen nackten Wänden, unmittelbar vor einem riesigen Fenster, das mit Himmel gefüllt ist.
Die Arbeiter in dieser Abteilung sind keine Bauern in der Fabrik, sondern echte Proletarier. Betonierer und Stuckateure. Genosse Schewrin war bei der Einnahme von Perekop dabei und hob dann den Kanal des Kiselstroi mit aus. In die Armee kann er nicht mehr zurück. Der Rheumatismus hat seine Kavalleristenbeine geschwächt und anschwellen lassen. Genosse Anjapow kämpfte um Polozk, dann baute er die Decke des Aschekellers, legte die Fußböden, zog die Mauern des Kraftwerks hoch. Jetzt bereiten diese zwei Soldaten in Maurerschürzen, mit mineralischem Mehl dicht bestäubt, den Boden, auf den sich in wenigen Jahren weitere 16 000 Volt stützen werden.
Jetzt etwas über das Allerheiligste von Kiselstroi, über sein Schalthaus, die Schaltzelle für den Eigenbedarf, die abgeschlossenen Zellen, in denen die Umformer leben; wie soll ein unwissender und selbstbewusster Journalist die stillen Säle beschreiben, wo man nichts anfassen darf, wo die Wände mit einem Flechtwerk blauer, roter und weißer Adern überzogen sind, durch die Bewegung, Kraft und Licht weitergeleitet werden? Man müsste ein Techniker, und zwar ein hochqualifizierter Techniker sein, um die Tafel mit Messgeräten einzuschätzen, um das Zittern der Zeiger mit ihrem gleichen Ausschlag zu deuten, um die ausdrucksvolle Sprache der Zifferblätter, die den rosa Marmor der Tafel wie eine Schar weißer Sonnenblumen umgeben, zu verstehen. Die hellen und menschenleeren Räume, die kleinen, empfindlichen Maschinen, von denen der warme Wind der Stärke ausgeht, geben den an ihnen beschäftigten Menschen ein besonderes Gepräge. Beim Anblick der schweigsamen Gestalten an den Tischen, die jede halbe Stunde das Zittern dieser für den Laien unbegreiflichen Volts und Amperes in das Buch des Lebens eintragen, der bläulich angestrahlten Gesichter, der hängenden Schultern und der feinen Hände der Mathematiker, dürfte man wohl kaum sagen, dass auch sie alte Soldaten der Revolution sind, die vier Jahre lang das Gewehr getragen haben. Da ist Genosse Olechow, der Diensthabende im Schalthaus, Kommunist seit 1918, Soldat der 5. Armee, der mit ihr den Weg von Glasow bis zum Baikal zurückgelegt hat. Da ist Pschennikow, der für das Funktionieren aller Geräte Verantwortliche, der in Ufa gekämpft hat, und viele andere, die dieses Kraftwerk zwei Jahre lang splitterweise, faserweise zusammengetragen und nun ihren Platz in den lautlosen Sälen eingenommen haben, wo die andächtige Stille gleichsam zerschnitten wird durch diese 6000 Volt, die sie mit den sorgfältig in Seide gewickelten Leitungssträngen durchkreuzen.
Der Genosse, der an der Spitze des Kiselstroi gestanden hat, vereint ebenso wie die Männer an den Schalttafeln selten Vereintes in sich: Kommunismus und Erfahrungen eines glänzenden Ingenieurs. Das ist Genosse Tiszewski, ein altes Mitglied des Zentralkomitees und einer der besten polnischen Elektrotechniker.
Zu dem Gerümpel, das jetzt neben dem Kraftwerk verbrannt wird, gehört eine kleine Holzbude, die ihren Standort je nach Bedarf oft gewechselt hat. Das war das Werkkomitee der Partei von Kiselstroi. Die Genossen haben in dieser tragbaren Eierschale nicht nur gearbeitet, viele von ihnen haben darin auch gewohnt, um jederzeit auf der Baustelle zu sein. Leider kann ich aus Platzmangel auf die Arbeit, auf die ungemein schwere Arbeit (im Jahre 1922 begonnen, wurde der Bau von Kisel in zwei Jahren nicht nur einwandfrei, sondern auch sehr schnell abgeschlossen) eines jeden nicht ausführlicher eingehen. Über einen dieser Menschen, die alle ihre Kräfte dem Kraftwerk hingegeben haben, möchte ich jedoch noch etwas sagen; er ist aus dem zweijährigen Arbeitskrieg als Invalide hervorgegangen -der Genosse Polygalow (Mitglied oder Vorsitzender des Werkkomttees). Charakteristisch ist, dass Genosse Polygalow selber gar nicht merkt, wie überarbeitet und nervös er ist. Sein kurzer Lebenslauf: Mitglied der Partei seit 1917, seit August in der Roten Garde, später in der 30. Division Blüchers. Feldzug von Bogojawlensk aus bereits als stellvertretender Kriegskommissar des 263. Regiments; 1921 ist Polygalow Kriegskommissar einer Abteilung zur Bandenbekämpfung, 1922 - Einsatz beim Bau des Kisel-Kraftwerkes und 1925 entweder Urlaub und ein Jahr Sanatorium oder Ende.

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