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Klaus Neukrantz - Barrikaden am Wedding (1931)
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VIII. Der Maurer Tölle geht zum „Alex"

Am Dienstagmorgen merkte Kurt schon in der Baubude beim Umziehen, dass unter den Kollegen etwas los war. Er war zu müde, um jetzt schon wieder anzufangen mit den anderen zu sprechen. Kaum zum Schlafen war er gekommen. Die Häuserblockzeitung der Straßenzelle „Der Wedding-Prolet" musste zusammengelegt und geheftet werden. Anna hatte mitgeholfen, aber es war doch nach drei Uhr geworden, bis endlich die Stöße fertig dalagen, die von den arbeitslosen Genossen am Dienstag früh vor die Betriebe und in die Häuser des Kösliner Viertels gebracht werden sollten. — Zudem war hier auf dem Bau längst alles vorbereitet und erledigt. Auf sämtlichen Arbeitsstellen der großen Baufirma würde morgen kein Stein angefasst werden, das war selbstverständlich. Die Kollegen auf dem fast fertigen Hochhausbau des Warenhauses Karstadt in Neukölln hatten sogar beschlossen, morgen auf dem Turm eine große rote Fahne zu hissen. So leicht würde da oben keiner ran kommen können, um sie zu entfernen ... Wenn nur erst dieser letzte Arbeitstag vorübergewesen wäre! Von Tag zu Tag wurde ihm die anstrengende Arbeit schwerer, selten war er in der letzten Woche mehr als höchstens drei bis vier Stunden ins Bett gekommen. Nun — nach dem 1. Mai war Zeit genug dazu. Es half nichts, die Parteiarbeit in diesen Tagen war wichtiger als Schlafen und Essen. Er zog den Lederriemen über die alte Arbeitshose eng zusammen. Das hält die Knochen ein bisschen beieinander.
„. . „det hätte Jagow nich besser machen können!" „Nee — der hat nich vorausjesagt, det et Blut jibt!" „Nu hör doch bloß mal: „... wer trotzdem am 1. Mai die Straße zum Tummelplatz seiner politischen Leidenschaften zu machen versucht... " Dieses Aaskröt... „politische Leidenschaften" nennt der die Maidemonstration!"
Wütend warf der Maurer Tölle das Zeitungsblatt, aus dem er den Satz vorgelesen hatte, auf den Boden und wischte seine breiten Hände an der Hose ab, als wenn er Schmutz angefasst hätte.
Kurt drehte sich um. Was hat der da eben vorgelesen... ?! „Fritz, gib doch mal her, wat is denn det?" sagte er zu dem alten Tölle, von dem er wusste, dass er der SPD. angehörte.
„Haste det noch nich jelesen, Kurt... : Der Polizeipräsident von Berlin an sein Volk?" antwortete Tölle höhnisch und nahm die Zeitung wieder auf.... „dotschämen du ick mir ja, det so eener in meine Partei is." Er spuckte den Priemsaft durch die offene Tür der Baubude.
Kurt nahm den „Vorwärts" von der Erde auf und während er las, stieg ihm die kalte Wut hoch:
„... so soll nach dem Willen der Kommunisten am 1. Mai in den Straßen Berlins Blut fließen! Das darf nicht sein! Und deshalb weise ich noch einmal mit vollem Nachdruck darauf hin, dass für Berlin ein Verbot der Demonstrationen und Umzüge unter freiem Himmel nicht zuletzt dank der schweren Mitschuld der Kommunisten besteht. Wer trotzdem am 1. Mai die Straße zum Tummelplatz seiner politischen Leidenschaften zu machen versucht, muss sich darüber klar sein, dass er damit für sich und die anderen eine schlimme Gefahr heraufbeschwört! — An die friedliebende Bevölkerung Berlins, besonders an Frauen und Kinder, richte ich die dringende Bitte, am 1. Mai allen Versuchen fernzubleiben, sich nicht unnötig auf den Straßen aufzuhalten und die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu unterstützen. Zörgiebel."
Die anderen Arbeiter sahen zu Kurt herüber. Kurt war oppositioneller Gewerkschaftsobmann und hatte sich durch sein rücksichtsloses Eintreten für die Kollegen eine gewisse Autorität unter den Arbeitern verschafft. Vor acht Tagen war er von der Belegschaft einstimmig zum Delegierten der Baufirma in das Maikomitee gewählt worden.
Kurt ließ das Blatt sinken und sah hoch. „Junge... Junge... is det ein Bursche... , der will uff uns schießen und macht schon vorher bekannt, det nur de Kommunisten daran schuld sind!"
Draußen tönte die Pfeife des Poliers zum Arbeitsbeginn. Einige standen auf und gingen zum Ausgang.
„Halt mal, stopp, Kollegen . . ", rief Kurt, „... der Olle kann heute ruhig ein bisschen warten... ick gloobe nämlich, wir haben noch vorher wat zu besprechen... "
Die Arbeiter blieben stehen und sahen ihn an... „Ick schlage euch vor, det wir von unserem Betrieb een Wort mit dem Herrn Präsidenten da oben sprechen. Ob et wat hilft, weeß ick nich, aber et is unsere Pflicht als Betriebsproleten."
„Willste vielleicht bitten, det er morgen mit Bonbons schießen läßt, Kurt?"
„Ruff jehn in Alex und ein paar in de Schnauze hauen, det war det einzig Richtige... !"
Tölle stand schwerfällig auf, man sah, es wurde ihm nicht so leicht, zu sprechen. „Kollegen, — Kurt hat janz recht. Ick schlage vor, in de Vesperpause die Kollegen zusammenzurufen und eine Delejazion zu wählen, die in't Polizeipräsidium jeht und eenen letzten Protest von uns hinbringt. Ick gloobe bestimmt, Kollegen, det er sich sprechen lassen wird, und gloob och, det et vielleicht wat nützen wird."
„Denkste dir, Tölle!"
„Jeh man selber zu dein Jenossen."
Tölle drehte sich langsam zu dem jungen Kollegen um und antwortete ernst: „Det ... mache ick ooch... ick will selber mitjehn... wenn ihr mir dazu bestimmt."
Die Pfeife des Poliers gellte zum zweiten Mal scharf und ungeduldig über den Bauplatz.
„Man sachte — immer sachte — oller Proppen, de Arbeit looft nich weg... "
„Gut, Kollegen, sagt den anderen Bescheid. Bei Vesper alles drüben zusammenkommen in die jroße Bude", sagte Kurt kurz und zog sich die alte Mütze, voll Betonstaub, über den Kopf. — Er wusste, dass die Sache bestimmt keinen praktischen Zweck haben würde, aber desto wichtiger war sie politisch. Der alte Tölle — ein anständiger Kerl — sollte selber sehen, was da oben gespielt wurde
Die 1 1/4 Zentnersäcke wurden ihm heute leichter, als er gefürchtet hatte. Wo er hinkam, sprach er kurz mit den Kollegen. Bis zum Vesper hatte der ganze Bau den „Vorwärts"-Artikel des Polizeipräsidenten gelesen. —
In der Pause beschloss man einstimmig die Absendung einer Delegation der Belegschaft in das Polizeipräsidium. Gewählt wurden der alte Tölle, ein parteiloser Arbeiter und Kurt. Der Polier machte zwar ein verblüfftes Gesicht, als sich die drei Kollegen auf eine Stunde bei ihm abmeldeten, aber was sollte er schon machen!
Auf dem Alexanderplatz dröhnten und fauchten die Dampfhämmer des Untergrundbahnbaus. Polternd und schwankend fuhren die Autobusse über die dicken Holzbohlen, unter denen die Arbeiter in den Stollen und Schächten umherkrochen. Durch die engen Passagen zwischen den Bretterzäunen schoben sich die Menschen. Über die mit mächtigen Balkenpfosten gestützte Eisenbahnbrücke ratterten die Stadtbahnzüge und hielten mit kreischenden Bremsen in der Bahnhofshalle. Alexanderplatz — ein Tag und Nacht wild hämmernder Pulsschlag der Arbeit, umspült von Rauch, Schmutz und Lärm, von hastenden und gehetzten Menschen...
An der Südseite des Platzes lag der große schmutzigrote gewaltige Häuserblock — das Berliner Polizeipräsidium. Hier waren Hirn und Herz der Ordnung Berlins. Tausend Fäden und Linien führten unsichtbar und unterirdisch aus allen Winkeln und Ecken der Millionenstadt zusammen: In die grauen nüchternen Amtsstuben, in die Kartotheken, in die aufgestapelten Aktenbündel mit Steckbriefen, Fotografien und Fingerabdrücken. Hier waren die Räume der politischen Abteilung IA, mit den Namen sämtlicher kommunistischer Funktionäre auf den Aktendeckeln.
Der große rote Ziegelbau auf dem „Alex", in dem es wimmelte von Ungeziefer und hohen Beamten. „Wanzenburg" nannten die Berliner das Haus. Hier hatte einmal der rote Polizeipräsident Emil Eichhorn regiert, hier hatte Spartakus gekämpft, hier waren zahllose revolutionäre Arbeiter misshandelt und verurteilt worden
und hier wohnte und herrschte heute der Mann, der geschrieben hat: „So soll... am 1. Mai in den Straßen Berlins Blut fließen!"
Der Polizeiposten am Eingang des Präsidiums blickte misstrauisch den drei Arbeitern nach, die glatt an ihm vorbeigegangen und in einem der zahllosen langen Korridore verschwunden waren. Vielleicht hätte er die drei verdächtigen Gestalten jetzt vor dem 1. Mai doch nicht so ohne weiteres durchlassen sollen ... 1
Dem alten Tölle war nicht sehr wohl zu Mute. Die vielen Türen mit ihren unverständlichen, verrückten Aufschriften machten ihn unruhig. Herren, mit scharfen, randlosen Gläsern im Gesicht, liefen durch die Gänge und sahen die drei Arbeiter so merkwürdig an. — Aus einer Tür kam ein Polizeioffizier ohne Mütze und Koppel heraus und rief einem Zivilbeamten, der sofort kehrt machte und schnell zurück lief, etwas nach.
„Wie meinen, Herr Oberst... ?" Dabei klappte der Zivilmensch hörbar die schiefen Absätze zusammen.
Tölle hatte noch nie einen Offizier ohne Kopfbedeckung gesehen. Aber hier waren die Herren schließlich zu Hause, genau so wie er zu Hause ja auch nicht mit einem Hut auf dem Kopf herumlief. Irgendwie verwirrte ihn dieser glattgeschorene blanke Kopf des Offiziers...
Sie wollten nicht nach dem Zimmer des Präsidenten fragen und gingen weiter, als wenn sie wie alle anderen in dem großen Hause genau Bescheid wüssten. Die schweren Stiefel der drei Bauarbeiter hallten auf dem Steinboden.
Sie hatten Glück und standen plötzlich vor einer hohen graugestrichenen Tür, an der ein kleines weißes Pappschild mit schwarzen Lackbuchstaben hing:
„Polizeipräsident" Anmeldung Zimmer 209.
Tölle fühlte nach dem Papier in seiner Rocktasche, auf dem sie sauber und ordentlich die Protestresolution der Belegschaft aufgeschrieben hatten. — Er war auf sich selber wütend. Zum Donnerwetter... schließlich war der Polizeipräsident auch nur ein Parteigenosse von ihm, den die Arbeiter dazu gemacht hatten, was er jetzt war. Er würde einfach zu ihm reingehen und sagen: Guten Tag Genosse Präsident, hier wollen wir dir eine Resolution übergeben. Sehen Sie mal, Genosse, es wird Ihnen sicher daran liegen, zu wissen, wie ein sozialdemokratischer Arbeiter über Ihren Erlass denkt. So geht das wirklich nicht, Genosse Polizeipräsident... !
Er hatte schon ganz vergessen, dass er noch vor einer Stunde mächtig ausgespuckt hatte vor diesem „Genossen."
„Zimmer 209" — sie klopften an und öffneten die Tür. — Tölle wunderte sich, wie behaglich und hübsch das Vorzimmer des Präsidenten aussah. Er hatte sich das viel nüchterner und strenger gedacht, etwa wie die Wachstuben auf dem Polizeirevier, wo man sich bei einem Wohnungswechsel an- und abmelden musste.
Hinter einem Schreibtisch am Fenster saß ein Herr, der sie
etwas erstaunt ansah.
„Bitte, Sie wünschen, meine Herren?!"
Kurt hielt sich absichtlich etwas im Hintergrund. Hier sollte Tölle die Sache mal lieber selbst machen. Er schob den Maurer nach vorn.
„Wir wollen zu dem Herrn Polizeipräsidenten", sagte Tölle sicher und selbstbewusst. Der Herr hinter dem Schreibtisch machte ein höfliches Gesicht.
„Darf ich bitten, in welcher Angelegenheit Sie den Herrn Polizeipräsidenten zu sprechen wünschen?" Der alte Tölle wurde ein bisschen unruhig. Der Mensch hatte eine so unangenehm höfliche Art.
„Wir sind eene Delejazion von de Belegschaft der Firma Bergemann & Co. und haben den Auftrag, wat zu überjeben."
Mit einem flüchtigen Lächeln erhob sich der Beamte und sagte in einem liebenswürdig bedauernden Ton: „Ja, meine Herren, tut mir unendlich leid, aber Herr Polizeipräsident sind gerade in einer wichtigen Besprechung und kann jetzt nicht empfangen. Aber wenn Sie mir vielleicht Ihre Angelegenheit übergeben wollen, will ich sie natürlich gerne weiterleiten."
„Nee, Herr... , det jeht nich", mischte sich Kurt ein, „wir haben den Auftrag, nur mit dem Polizeipräsidenten allein zu sprechen." —
Tölle kramte in seiner Brusttasche herum und legte ein altes, abgegriffenes Mitgliedsbuch der SPD. auf den Schreibtisch. „Hier... schicken Se det man rein zu ihm, denn wird er sich schon sprechen lassen", sagte er und sah den Beamten ein wenig von oben herab an. Siehst du, mein Freund... , du hast nich jewust, wen de vor dir hast... aber nun mach mal ein bisschen fix... dein Herr Polizeipräsident ist nämlich mein Genosse!
Der Herr hinter dem Schreibtisch nahm interessiert das kleine Heft in die Hand, schlug es auf und las aufmerksam den Namen des Inhabers. Mit dem Bleistift machte er sich auf dem Rand des weißen Löschpapiers eine flüchtige Notiz. — Dann lächelte er wieder höflich und gab das Buch mit einer kleinen verbindlichen Verbeugung zurück. „Bedaure wirklich sehr, meine Herren, das Beste wird sein, Sie lassen mir Ihr Schreiben hier."
Tölle sah sich fragend nach seinen beiden Kollegen um.
„Nee, nee... bestelln Se man Ihrem Chef eenen schönen Gruß von uns und wa wissen schon Bescheid", sagte Kurt kurz und grob. Ihm war das hier schon viel zu viel. Natürlich würde der nicht ausgerechnet heute drei einfache Proleten in seinen geheiligten Räumen empfangen, der hatte jetzt Wichtigeres zu tun! — Er zog den alten Tölle mit aus dem Zimmer und schlug die Tür wütend hinter sich zu.
„Bande, verfluchte!... da haste deinen „Genossen" Präsidenten, Kollege Tölle... , der sitzt jetzt mit den Offizieren an eenen Tisch und macht seinen Schlachtplan für morgen. Denkste, der wird sich von soenen popligen, sozialdemokratischen Arbeiter ooch bloß vor eene Minute stören lassen —?!"
Wenn der alte Tölle richtig die Wut hatte, sagte er überhaupt nichts, höchstens spuckte er wortlos den Priemsaft aus. Aber er hatte seinen Priem, bevor sie in das Präsidium gingen, herausgenommen und sorgfältig in einer kleinen Blechschachtel verstaut. —
Der junge parteilose Arbeiter lachte. „Na, Tölle... , kiek dir det mal hier'n bisken genauer an, vielleicht bis'te morgen schon wieder drin, in die Wanzenburg, bei dein' Jenossen — aber hinter de Traillen... .!" —
Ein paar Türen weiter las Kurt ein Schild: Vizepolizeipräsident Dr. Weiß, Anmeldung Zimmer 203.
„Kommt, Jungs, wir versuchen et noch mal bei dem da drin," sagte er entschlossen und hatte schon an die Tür geklopft. — Dieses Mal hielten sie sich erst gar nicht lange bei dem Sekretär im Vorzimmer auf, sondern gingen, als sie die Tür zu dem großen, danebenliegenden Zimmer offen sahen, einfach durch, ohne sich um den verzweifelten Protest des Beamten zu kümmern.
Meine Herren... , ich bitte Sie... , das ist doch gegen jede Vorschrift!"
„Schieht uff deine Vorschrift", dachte Tölle grimmig, und schob mit seinen breiten Schultern das dünne Männchen beiseite. — Die groben Stiefel der drei versanken lautlos in einem weichen, großen Teppich.
Am Fenster stand hinter den langen, herabhängenden Vorhängen ein kleiner, untersetzter Herr, der sich langsam umdrehte. Ein Paar zusammengekniffene Augen sahen durch den Zwicker mit einem prüfenden Blick zu den drei Arbeitern herüber, die plötzlich, so ohne jede Formalität, in seinem Arbeitszimmer standen.
„Sie wünschen... ?!"
Jetzt nahm Kurt die Sache in die Hand. Er ging ein paar Schritte auf den Herrn zu.
„Sie sind der Vizepolizeipräsident Dr. Weiß, nicht wahr?"
„Allerdings — bin ich."
„Wir kommen als Delegation der Bauarbeiter der Firma „Bergemann & Co." und protestieren im Namen der Belegschaft gegen das Demonstrationsverbot am 1. Mai und gegen die Schießankündigung des Berliner Polizeipräsidenten!"
Der Vizepolizeipräsident nahm langsam und ruhig die dünne, schwarze, grüngefleckte Zigarre aus dem Mund, blies den Rauch in das Zimmer und hob mit einem lässigen Achselzucken die Hand.
„Bedaure wirklich, meine Herren, aber dafür bin ich doch gar nicht zuständig. Da müssen Sie sich schon an den Herrn Polizeipräsidenten selber wenden." — Genau dasselbe — dachte er — habe ich bereits der Delegation von „Josetti — Manoli" und den Arbeitern der „Berliner Anschaffungsgesellschaft" gesagt. Was wollen die Leute bloß immer von mir? Und der nächste Gedanke war: Der Mann im Vorzimmer ist ein Idiot, er fliegt bei der nächsten Gelegenheit!
„Der Polizeipräsident ist nicht für die Berliner Arbeiter zu sprechen, und da Sie sein Vertreter sind, wollen wir wenigstens Ihre Antwort unserer Belegschaft bringen."
Der Vizepolizeipräsident sah Kurt erstaunt an. Dann drehte er sich etwas zur Seite, streifte sorgfältig die schneeweiße Asche seiner Zigarre an der schweren Bronzeschale ab und sagte: „Meine Antwort... ?! Ja — ich sagte doch schon, ich bin da absolut nicht zuständig , meine Herren." —
Kurt wurde wütend. „Na — Sie haben doch schließlich ooch was dabei mitzureden! Billigen Sie denn det Verbot und dieses Erlass, Herr Doktor, oder wie denken Sie eigentlich darüber?"
Der Vizepräsident sah die drei der Reihe nach einen Augenblick schweigend an. Von dem ernsten Gesicht des alten Tolle glitt sein Blick langsam nach unten bis auf die runzligen, verarbeiteten Maurerhände, die schwer herabhingen.
„... ja, meine Herren", antwortete er schließlich mit einer merkwürdig farblosen Stimme, „wenn ich sagen soll, was ich denke ..?
— ich denke überhaupt nicht I" und nach einer kleinen Pause setzte er kurz hinzu: „Sprechen Sie mit dem Chef darüber ich kann gar nichts machen."
Am liebsten hätte Kurt draußen laut losgelacht. „Haste jehört. Tölle... , der denkt überhaupt nich, ha ha... wat macht er denn überhaupt hier? — Mit de Hände braucht er nich arbeiten und mit'n Kopp kann er nich... roocht die schwarzen Giftnudeln und kiekt
aus't Fenster.....sprechen Se mit dem Chef", sprechen Se mit
meen Vater, zu deutsch, mach du, ick kann nich... ! — Schweinebande, alle miteinander —!"
Der junge, parteilose Arbeiter lachte höhnisch und Tölle war still. Er dachte nur, dass sie ihm das in der nächsten Mitgliederversammlung, wenn er es erzählen würde, und er nahm sich vor, es bestimmt zu tun, einfach nicht glauben würden.
„Der Vizepräsident ohne Koop", lachte der junge Arbeiter. „Nee... , der hat schon een Kopp", antwortete Kurt, „... aber wisst ihr, det is so een „anständiger" Demokrat, der sich Watte in de Ohren stoppt, wenn sein Chef knallen läßt Blut kann er nich sehen
— er kiekt so lange aus't Fenster und roocht — allet een Jesindel!"
Auf einmal hatte der alte Tölle vor diesen unheimlichen Korridoren mit den vielen verschlossenen Türen keine Furcht mehr, er hasste die glattrasierten Beamtengesichter, die ihn misstrauisch ansahen, er hasste die Offiziere, die mit ihren hohen, blanken Stiefeln vorbeiliefen Das waren also die, mit denen der „Genosse" Polizeipräsident zusammensaß, die vor ihm die Hacken zusammenrissen und die im Namen seiner alten Partei morgen auf ihn und seine Klassengenossen schießen würden...
„Pfui Deibel... pfui Deibel... !!" Es war das einzige, was er sagte. —
Draußen auf dem Alexanderplatz brüllten die Niethämmer. An der Ecke der Neuen Königstraße hing oben an dem fauchenden Dampfhammer, der mitten auf der Straße stand, eine kleine blutrote Fahne...

 

 

 

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