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William Dudley Haywood - Unter Cowboys und Kumpels (1930)
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Zehntes Kapitel
„Deportation oder Tod"

Die AFL im Staat Colorado hatte einen Kongress nach Denver einberufen. Unter den dreihundertfünfzig Delegierten, Vertretern der verschiedensten Gewerkschaften, befanden sich auch die Delegierten der streikenden Kohlengrubenarbeiter und der streikenden Bergarbeiter aus Cripple Creek und Telluride. Man diskutierte über die verschiedenen Ereignisse, die im Verlaufe des Kampfes um den Achtstundentag vorgefallen waren, und ernannte ein Hilfskomitee, das soweit als möglich die Mittel zur Unterstützung der vielen Streikenden und ihrer Familien beschaffen sollte. In einer eingebrachten Resolution wurde gefordert, dass sämtliche Delegierte des Kongresses den Gouverneur Peabody aufsuchen und die Abberufung der Truppen, die Abschaffung der Verordnung gegen Landstreicherei und Schutz für alle deportierten Bergarbeiter, die nach Hause zurückkehren wollten, verlangen sollte. Es wurde schließlich beschlossen, dass eine Abordnung des Kongresses den Gouverneur aufsuchen und ihm diese Forderungen unterbreiten solle.
Die Abordnung traf den Gouverneur in seinem Amtsgebäude, das durch den Kampf der Bergarbeiter historische Bedeutung erhalten hat. Gouverneur Peabody erklärte den Delegierten kaltblütig, dass niemand, mit Ausnahme von Ausländern, Raufbolden und Leuten, die falsche Namen angenommen hätten, deportiert worden sei. Er ahnte nicht, dass der Abordnung selbst einige der Deportierten angehörten, so auch Guy Miller, Präsident des Bergarbeiterverbandes von Telluride. Er wusste wohl auch nicht, dass einige unserer besten Gewerkschafter gezwungen waren, ihren Namen zu wechseln, um die schwarze Liste der Unternehmer zu umgehen. Peabody erklärte dem Komitee, alle Bergarbeiter würden in ihren Rechten geschützt. Natürlich behielt es sich der Gouverneur selbst vor, zu entscheiden, welches die Rechte der Bergarbeiter seien.
Der Kongress nahm eine von dreizehn Delegierten, dar-
unter von mir unterzeichnete Resolution an, die feststellte, dass die organisierte Arbeiterschaft im Staate Colorado einen Kampf auf Leben und Tod um das Koalitionsrecht und um ihre Existenz führte, und in knappen Sätzen Punkt für Punkt die schändlichen Verbrechen der Unternehmer, der Behörden, der Miliz und des Pöbels aufzählte.
Eine Zeitlang hatte ich Schwierigkeiten mit dem Unterstützungskomitee der Hüttenarbeiter in Denver. Zuerst wurden so hohe Unterstützungen gewährt, dass ich dem Vorsitzenden sagen musste, er zahle den Hüttenarbeitern mehr aus, als sie bei der Arbeit verdienten. Darauf setzte er die Unterstützungssätze herab, bis schließlich die Frauen der Hüttenarbeiter sich zu beklagen begannen, sie hätten nicht genug zu essen. Jahre später, als ich seine Memoiren las, entdeckte ich, dass der Vorsitzende des Unterstützungskomitees ein Pinkertondetektiv war, der die Unterstützungsarbeit nach den Anweisungen seiner Detektivagentur leistete und bewusst versuchte, Missstimmung zwischen den Streikenden und dem Unterstützungskomitee zu schaffen.
Als Moyer sich in dieser Zeit anschickte, die Verbände in Ouray und anderen Orten im Süden des Staates zu besuchen, gab ich ihm den Rat, einen Reisegefährten mitzunehmen, da er mit den Revolverhelden von Telluride zusammengeraten könnte und zwei Männer besser mit ihnen fertig würden als einer. Gerade einige Tage vorher war ein Mitglied der Bergarbeiterföderation aus Cripple Creek zu uns ins Büro gekommen. Er erschien auch an diesem Nachmittag wieder, und Moyer schlug ihn als Reisebegleiter vor. Auf meine Frage, ob er ihn kenne, erwiderte Moyer, dass er Harry Orchard im „Creek" gesehen habe und dass er einer von der alten Garde aus Coeur d'Alene sei.
Ich fragte Orchard, ob er einen Revolver bei sich habe. Er zog ein sechsschüssiges, anderthalb Fuß langes Ding aus der Hosentasche. Ich sagte: „Das ist keine sehr praktische Kanone, du wirst dir ja die Hosen ausziehen müssen, wenn du sie gebrauchen willst!" Er sah mich an, als ob ihm meine Kritik nicht sehr gefiele, erwiderte jedoch nichts.
In der zweiten Nacht nach der Ankunft der beiden in Ouray wurde Moyer von Beamten des Bezirks San Miguel verhaftet. Er wurde der „Verunglimpfung der Flagge"  beschuldigt  und  nach  Telluride  gebracht. Orchard kam nach Denver zurück und erzählte mir die Einzelheiten von Moyers Verhaftung, die ich schon aus Telegrammen und Zeitungsberichten erfahren hatte. Mir wollte die Art, wie Moyer ohne Widerstand seines angeblichen Beschützers verhaftet worden war, gar nicht gefallen.
Orchard sah, dass ich ärgerlich war, und blieb nur einige Minuten. Vielleicht war ich übrigens nicht einmal so böse auf Orchard, als vielmehr darüber, dass Moyer wegen „Verunglimpfung der Flagge" verhaftet worden war, da ich ja wusste, dass er nichts mit dieser Angelegenheit zu tun gehabt hatte; er war nicht einmal im Büro, als das Plakat mit der Flagge hergestellt wurde. Dann fiel mir allerdings ein, dass seine Unterschrift mit unter dem Text stand, wodurch er natürlich ebenso verantwortlich gemacht werden konnte, als wenn er das Plakat selbst geschrieben hätte.
Mir wurde mitgeteilt, dass auf Grund derselben Anklage auch für mich ein Haftbefehl ausgestellt worden sei. Da John Murphy nicht in der Stadt war, suchte ich das Rechtsbüro Richardson und Hawkins auf, um zu erfahren, was ich tun könne, um mich einer Auslieferung nach Telluride zu entziehen. Hawkins meinte trocken, dass zum Beispiel ein des Mordes Beschuldigter als bürgschaftsunfähig gelte; wenn ich also in Denver des Mordes angeklagt würde, so könnte ich in keinen anderen Bezirk geschafft werden. Mir schien das ein wenig zu stark! Darauf sagte er:
„Nun, warum wollen Sie sich nicht hier in Denver selbst wegen Verunglimpfung der Flagge anklagen lassen?" „Ich möchte nicht gern ins Gefängnis wandern und die Sache so regeln, dass ich meine Arbeit im Büro weiterführen kann."
„Schön", erwiderte er, „wenn Sie einen Richter kennen, der Ihnen einen Beamten mitgibt, bis Sie die Bürgschaftssumme beschafft haben, könnte man die Sache so einrichten."
„Ich glaube, ich kann es mit Bill Hynes regeln", sagte ich, „er ist ein Freund der Gewerkschaftsbewegung." „Gut, lassen Sie mich wissen, wann der Fall verhandelt wird", erwiderte Hawkins.
Vom Rechtsanwalt ging ich zu Pettibone und teilte George mit, dass ich mich wegen Verunglimpfung der Flagge verhaften lassen wolle.
„Kannst du die Sache mit einem der Burschen hier regeln?"
„Gewiss", sagte er, „Jake Wolf wird einen Haftbefehl für dich ausstellen."
Dann ging ich zu Richter Hynes und erzählte ihm die ganze Geschichte. Er versprach nichts Bestimmtes, fragte mich aber, ob der Fall vor seinem Gericht verhandelt werden solle. Ich sagte ihm, dass ich es, wenn irgend möglich, so einrichten wolle. Noch am gleichen Nachmittag wurde der Haftbefehl ausgestellt, und am nächsten Morgen kam der Fall zur Verhandlung. Mr. Hawkins erklärte, dass er einige Zeit zur Untersuchung des Falles brauche, und ersuchte den Richter, eine Bürgschaftssumme zu bestimmen. Es wurden dreihundert Dollar festgesetzt. Ich erklärte dem Richter, dass ich einige Zeit benötigen werde, um diese Summe aufzutreiben. Der Richter rief einen Polizeidiener heran und befahl:
„Connolly, gehen Sie mit Mr. Haywood und bleiben Sie bei ihm, bis er die Bürgschaftssumme beschafft hat." Ich verließ das Gericht und nahm Connolly mit ins Büro. Er blieb Tag und Nacht bei mir, und als die Frist abgelaufen war, kehrten wir zum Gericht zurück; ich bat den Richter um eine weitere Frist, die er auch ohne Zögern gewährte.
Als mein Fall endlich zur Verhandlung vor den Richter Hynes kam, erschien ich vor Gericht mit allen möglichen Inseraten und Reklameartikeln, auf denen die amerikanische Flagge verwendet war. Unbekannte Freunde hatten mir mit jeder Post einige Exemplare zugeschickt. Ich muss wohl zwanzig bis dreißig Muster gehabt haben: Tabaksbeutel,    Zigarettenschachteln,    Etiketten   von Tomatenbüchsen, das Abzeichen eines politischen Negerklubs mit einer Flagge und Inschriften auf den Flaggenfeldern und die Geschäftskarte der Detektivagentur Pinkerton mit dem alles sehenden Auge in einem Kreis von Flaggen, von denen die größte das amerikanische Sternenbanner war.  Der Prozess  wurde eingestellt. Einige Zeit nachher wurde die Verwendung der Flagge zu Reklamezwecken gesetzlich verboten. Schon vor meinem Prozess war Moyer auf Bürgschaft freigelassen und zwei- oder dreimal wieder verhaftet worden, bis endlich die Miliz aus „militärischen Gründen" die Aufrechterhaltung der Haft anordnete. Ich veranlasste den Anwalt Richardson, sich beim Obersten Gerichtshof um eine Rückführung Moyers nach Denver zu verwenden, die auch gewährt wurde.
Am Morgen seiner Ankunft wollten die Stenotypistinnen aus unserem Büro mit zum Bahnhof gehen, um ihn zu empfangen. Ich fragte den Polizisten Connolly, der mich bewachte, wie er darüber dächte, wenn wir auch mitgingen. Er hatte nichts dagegen, und wir machten uns auf den Weg.
Die Mädchen hatten kleine Abbildungen des Flaggenplakats auf ihre Handtäschchen geklebt, und ich sagte ihnen, es wäre vielleicht ganz gut, wenn sie diese nicht gerade den Soldaten unter die Nase hielten. Als der Zug hielt, stieg zuerst eine Abteilung von zwölf Soldaten aus, dann Moyer allein und dann nochmals zwölf Soldaten und Offiziere.
Ich trat hinzu, schüttelte Moyer die Hand und ging mit ihm Arm in Arm auf und ab. Auf einmal fühlte ich einen Druck auf meiner Schulter und spürte, wie uns jemand auseinanderdrängen wollte. Ich sah mich um. Da stand Hauptmann Bulkeley Wells, derselbe Wells, der vor einigen Monaten ein Abkommen mit uns getroffen hatte, das die friedliche Beilegung des Streiks in Telluride herbeiführen sollte, das aber von den Unternehmern nicht gehalten wurde. Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, ich drehte mich um und gab dem Wells eine Ohrfeige mitten ins Gesicht.
Es war ein verrücktes Stückchen. Wie der Blitz kamen die Soldaten ihm zu Hilfe, schlugen mich mit ihren Gewehrkolben über den Kopf und drängten mich zwischen zwei Waggons. Einer legte das Gewehr auf mich an. Ich konnte in das Loch im Gewehrlauf sehen und rief: „Drück ab, du Hundesohn! Drück ab!" Einer der Offiziere schlug ihm das Gewehr aus der Hand und befahl in scharfem Tone:
„Zurück, zurück!" Und dann zu mir: „Haywood, Sie kommen mit Moyer mit!"
Wir marschierten zum Oxford-Hotel. Den Polizisten Connolly sah ich in der Reihe der Leute, an denen wir vorübermarschierten. Er sah verstört aus. Ich habe ihn seitdem nicht mehr wieder gesehen. Beim Oxford-Hotel angekommen, traten wir ein, und Moyer setzte sich. Ich stand mit meinem Ellbogen auf das Pult gestützt da, als Walter Kinley, einer der Revolverhelden von Telluride, auf mich zuschritt und sagte: „Setz dich!" „Ich habe keine Lust."
Er zog einen sechsschüssigen Revolver heraus, zielte auf mich und schrie:
„Setz dich hin, Gott verdamm dich!" Ich gab ihm, noch bevor er an mich herangekommen war, einen Stoß, und so traf mich der Schuss nicht. Sofort stürzten fünf oder sechs Soldaten herzu, schlugen auf mich los und stießen mich mehrere Male gegen die Wand. Kinley lief so lange hin und her, bis er an mich herankommen konnte, langte herüber und schlug mich mit dem Griff seines Revolvers auf den Kopf. Gleichzeitig versetzte mir einer der Soldaten einen Rippenstoß. In diesem Augenblick stürzte ein Offizier hinzu und rief, seinen Revolver schwingend:
„Zurück, ihr Burschen, zurück! Wie viel Leute braucht ihr, um mit diesem Mann fertig zu werden?" Ich fühlte, dass ich ermattete, und stolperte auf einen Stuhl zu, auf den ich mich jetzt ohne weitere Befehle setzte. Aus den Wunden am Kopf blutete ich wie ein gestochenes Schwein.
Bald wurde ich nach oben geführt. Einer der beiden Revolverhelden, die bei mir im Zimmer gelassen wurden, war Kinley, der mordsmäßig schimpfte, dass er den perlmutterbesetzten Griff seines Revolvers an meinem Kopf zerbrochen habe. Schon nach einigen Augenblicken erschienen auch die Reporter. Ich übergab meine Schlüssel und Papiere John Tierney von den „Denver Times". Bald darauf trafen reine Kleider von zu Hause ein, und ich kleidete mich von Kopf bis Fuß um. Meinen sechsschüssigen Revolver, den die Dummköpfe bei der Leibesvisitation übersehen hatten, behielt ich bei mir. Von einem Militärarzt wurden die Kopfwunden verbunden und mein rechtes Ohr, das etwas abgerissen war, mit sieben Stichen wieder genäht. Bald erschien auch Ham Armstrong, der Sheriff der Stadt und des Bezirkes Denver, und sagte: „Ich komme dich abholen, Bill." Ich stand auf und erwiderte: „Das freut mich zu hören!" Auf dem Weg in sein Büro meinte Armstrong: „Diesmal hast du dir eine üble Geschichte eingebrockt, Bill."
Ich fragte ihn: „Wieso?", worauf er erwiderte: „Sie wollen dich nach Telluride bringen." „Nein, das werden sie nicht tun!"
„Da kommt schon Sheriff Rutan die Straße herauf, um dich abzuholen", erwiderte er. Ich schaute nach Rutan aus, wandte mich dann wieder zu Ham und sagte: „Ich gehe aber nicht nach Telluride." Zusammen mit uns betrat auch Rutan das Büro des Sheriffs und setzte sich. Armstrong fragte mich: „Soll ich vielleicht Richardson anrufen?" Ich erwiderte: „Das wird wohl das beste sein."
Zufällig war Richardson der Rechtsanwalt des Sheriffs und gleichzeitig auch der Bergarbeiterföderation. Ich konnte zwar nur den einen Teil des Telefongesprächs mit anhören, sah aber, wie sich Armstrongs Gesicht aufhellte. Er hängte den Hörer auf und rief mich hinaus in den Korridor. Dort teilte er mir mit, dass Richardson angeordnet habe, er solle mich so lange im Bezirksgefängnis festhalten, bis er von Richardson Bescheid bekäme, dass er mich freilassen könne. Dann erst zog ich meinen Revolver heraus, übergab ihn Armstrong und bat ihn, die Waffe für mich aufzubewahren, bis ich sie mir holte:
„Ich habe dir ja gleich gesagt, dass ich nicht nach Telluride gehe. Sie würden mir hier in Denver wegen Tötung des Sheriffs da drinnen weniger tun, als in Telluride wegen Verunglimpfung der Flagge'." Ham starrte mich an und sagte: „Bei Gott, ist das dein Ernst?"
„Gewiss", erwiderte ich, „ich hätte ihn eher getötet, als dass ich nach Telluride mitgegangen wäre." Ham befahl nun einem Polizisten, einen Wagen zu holen und mich in das Bezirksgefängnis abzuführen. Auf dem Weg dorthin kaufte ich Zigarren und Rauchtabak, weil ich mir dachte, dass es im Gefängnis eine Menge Leute geben werde, die Rauchmaterial brauchen könnten. Bei der Ankunft im Gefängnis meinte der Vorsteher:
„Es tut mir leid, Mr. Haywood, dass wir Ihnen hier nicht so viel Bequemlichkeiten bieten können, wie wir gern möchten."
Ich wurde nach den Gefängnisregeln gewogen und gemessen. Als ich gerade von der Waage herunterstieg, kam der kleine Billy Green, der „Boss des Bezirkes Green", durch eine Seitentür herein und sagte: „Hallo, Bill! Komm doch einmal mit." Ich folgte ihm, in der Meinung, ich sollte in eine Zelle gebracht werden; statt dessen führte er mich in einen anschließenden Lagerraum, wo etwa fünfunddreißig bis vierzig Gewehre auf einem langen Tische lagen. „Such dir eins aus", sagte er, „auch für die anderen Knarren werden sich Männer finden, und wenn diese
gottverdammte Miliz sich zeigen sollte, wird sie den wärmsten Empfang erleben, den sie jemals gesehen hat!" Ich hängte mir ein Gewehr über die Schulter und bemerkte, dass wir hier im Gefängnis ganz hübsch verbarrikadiert seien. Dann gingen wir zurück in die Amtsstube, wo der Sheriff sagte:
„Hier ist ein Schreibtisch, den Sie verwenden können, Mr. Haywood. Durch das Telefon können Sie mit Ihrem Büro in Verbindung bleiben, und wenn Sie irgendeine besondere Arbeit zu erledigen haben, können Sie Ihre Stenotypistinnen kommen lassen." Noch am selben Nachmittag kamen Pettibone und einige andere Freunde auf Besuch. Pettibone übernahm es, meiner Frau die Nachricht von meiner Verhaftung zu bringen.
„Oh, das regt mich gar nicht auf. Jetzt weiß ich wenigstens jede Nacht, wo er ist", sagte sie. Seit Monaten hatte sie schon erwartet, dass ich ihr eines Nachts auf der Bahre nach Hause gebracht würde. Sobald die Gewerkschafter von Denver hörten, dass ich auf dem Bahnhof von der Miliz verhaftet worden war, begannen sie sich militärisch zu organisieren. Es wurden bewaffnete Abteilungen unter dem Befehl von Hauptleuten gebildet, die jederzeit bereitstanden, die Miliz zu hindern, mich aus der Stadt Denver fortzuschaffen. Das war auch wahrscheinlich der Grund, der Gouverneur Peabody veranlasst hatte, mich den Zivilbehörden zu übergeben.
Nachdem ich ungefähr zwei Wochen im Gefängnis verbracht hatte, telefonierte ich Richardson und teilte ihm mit, dass ich es satt hätte und in mein Büro zurück wollte.
„Sie wissen doch, dass Sie verhaftet werden, sobald Sie das Gefängnis verlassen", erwiderte er. „Sie genießen doch alle Bequemlichkeiten und haben Ihr ganzes Büro dort, nicht wahr?"
„Das stimmt", sagte ich. „Ich habe alles. Aber es ist doch nicht so, als wenn ich an meinem eigenen Schreibtisch arbeite. Ich möchte Sie bitten, die Sache mit dem Sheriff zu regeln."
Er tat es, und ich hörte nie wieder etwas von dem Haftbefehl von Telluride.
Einer der erster Bestechungsversuche, die man mit mir machte, wurde nicht direkt unternommen, sondern durch den Anwalt Richardson, der mir erzählte, Cass Harrington, der Anwalt einer der Kohlengesellschaften von Colorado, habe ihm gegenüber geäußert, ich könnte jedes Amt im Staate bekommen, wenn ich nur „diesen sozialistischen Unsinn" aufgeben wollte. Ich ließ ihm durch Richardson sagen, er könne mir den Buckel 'runterrutschen.
Wir setzten einen Antrag für einen Enthaftungsbefehl auf Grund der Habeaskorpusakte für Moyer auf, diesmal an das Landesgericht in St. Louis zu Händen des Richters Thayer. Bald nachher wurde Moyer freigelassen. Es schien nicht länger „aus militärischen Gründen notwendig", ihn zurückzuhalten. Später wurde er nochmals wegen angeblichen Mordverdachts verhaftet, aber da der Haftbefehl weder den Namen der Person angab, die er getötet haben sollte, noch Ort oder Zeit der Tat, war die Anklage hinfällig. Er wurde dann noch einmal wegen Mittäterschaft bei der Vindicator-Explosion verhaftet, die sich einige Zeit vorher in Cripple Creek zugetragen hatte. Aber auch mit dieser Tat konnte man ihn selbstverständlich nicht in Verbindung bringen, und bevor noch der entsprechende Befehl vom Bundesgericht eintraf, war er schon freigelassen worden. Während Moyer in Telluride im Gefängnis saß, fand in
Denver der Kongress der Bergarbeiterföderation des Westens für das Jahr 1904 statt. Viele von den Arbeitern, die an verschiedenen Orten im Gefängnis gesessen hatten, waren als Delegierte anwesend. Am 6. Juni waren schon zeitig am Morgen viele Delegierte im Saale versammelt. Einige hielten Zeitungen in der Hand, andere hatten sie gerade vor sich ausgebreitet. Aller Mienen waren schreckerfüllt: die Zeitungen meldeten, dass am Abend vorher die Bahnstation Independence von Cripple Creek durch eine Explosion zerstört Worden war.
Die Explosion wurde sofort als erster außerordentlicher Punkt auf die Tagesordnung gesetzt. Es ließ sich nicht viel dazu sagen, da niemand mehr wusste, als das, was in den Zeitungen stand. Man beschloss, eine Belohnung von fünftausend Dollar für die Verhaftung und Überführung der Personen festzusetzen, die für dieses schreckliche Unglück verantwortlich waren, ferner sofort eine Delegation vom Kongress nach Cripple Creek zu senden und ihren Bericht abzuwarten, bevor weitere Aktionen unternommen wurden.
Nach der Rückkehr berichtete die Delegation von unglaublichen Zuständen in Cripple Creek. Sheriff Robertson hatte mit seinen Untersheriffs am frühen Morgen den Schauplatz der Explosion aufgesucht und das Gebiet um die Station mit Seilen abgesperrt, um die Neugierigen am Betreten des Geländes zu hindern. Von Trinidad hatte er sofort Spürhunde angefordert. Die furchtbare Explosion hatte zwölf oder dreizehn Arbeiter getötet und viele andere verletzt. Sheriff Robertson wurde zu einer Konferenz von Bankiers und Zechenbesitzern geladen, auf der man seinen Rücktritt verlangte. Er verweigerte energisch die Niederlegung seines Amtes, bis man ihm einen Strick vor die Füße warf und ihm erklärte, man werde die draußen wartende Menge hereinlassen und ihn erhängen lassen, falls er nicht sofort zurücktrete. Erst dann gab Robertson klein bei. An seiner Stelle wurde eine der Kreaturen der Zechenbesitzer eingesetzt. Soweit hatten sich die Dinge bis zum Mittag des Tages nach der Explosion entwickelt. Die Delegation berichtete ferner, dass der Gerichtsbeamte Mike O'Connell von Victor über hundert Gewerkschafter zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmt und bewaffnet hatte und versuchte, die örtliche Miliz zu veranlassen, diese Arbeiter bei der Zerstreuung des Pöbels zu unterstützen, der sich an einer Ecke der Hauptstraße angesammelt hatte. Die Miliz verweigerte die Unterstützung. O'Connell wurde zu einer Konferenz von Geschäftsleuten geladen und aus seinem Amt entlassen, nachdem auch er sich geweigert hatte zurückzutreten.
Inzwischen waren die angeforderten Spürhunde eingetroffen, die zur demolierten Eisenbahnstation geführt und dort angesetzt wurden. Gleich der erste Hund lief direkt zum Hause eines Detektivs des Bürgerbundes. Beim zweiten Versuch folgte ein anderer Hund der selben Spur. Dann wurde ein dritter Hund von der Leine gelassen, der direkt zum Pulvermagazin einer der nicht gewerkschaftlich organisierten Gruben lief. Diese eindeutigen Fingerzeige auf die wahren Schuldigen wurden durch folgende Feststellungen unterstrichen: Einige Tage vor der Explosion war der Bankier von Victor, Carlton, dem Polizeihauptmann von Victor, William Graham, begegnet und hatte ihm gesagt: „Billy, du und ich waren immer gute Freunde, und du bist ein guter Offizier gewesen. Du hast dich aber weder für noch gegen den Bürgerbund erklärt, und wir werden darum deinen Rücktritt verlangen, da wir in der Stellung, die du innehast, keinen neutralen Mann brauchen können. Ich gebe dir jetzt hundert Dollar und eine Fahrkarte nach Kansas, und du wirst gut daran tun, so schnell wie möglich zu fahren. Hier gibt es Dinge zu tun, zu denen du nicht bereit sein wirst!" Graham weigerte sich jedoch, seinen Posten aufzugeben. Es hieß, dass Murphy, ein Aufseher der Findley-Grube, versucht hatte, die Arbeiter dieser Zeche zurückzuhalten. Sie sollten wenigstens eine Viertelstunde warten, bevor sie zum Bahnhof gingen. Die Arbeiter aber wollten mit einem bestimmten Zug nach Hause fahren, der bald abgehen musste; also liefen sie zur Station, viele davon in den Tod. Was hatte Murphy von der Sache gewusst? Die Leichenschaukommission stellte trotz alledem fest, dass „Mitglieder und Funktionäre der Bergarbeiterföderation des Westens" für die Explosion auf der Station Independence „verantwortlich sind". Unsere Untersuchungskommission erklärte, dass ihrer Meinung nach das Verbrechen in allen Einzelheiten vom Bürgerbund sorgfältig vorbereitet worden war, da alle Gruben gleich nach der Explosion geschlossen wurden und Streikbrecher und Revolverhelden in Victor versammelt und für diesen Zweck bewaffnet worden waren. Hamlin, der Sekretär der Vereinigung der Grubenherren, hielt eine Ansprache vor dem ,Pöbelhaufen, in der er die Bergarbeiterföderation heftig wegen der Explosion angriff und erklärte, dass wegen des Todes der braven Männer, die bei der Explosion umgekommen waren, fünfzig Gewerkschafter niedergeschossen, ebenso viele an einem Telegrafenmast aufgeknüpft und die übrigen über die Berge davongejagt werden - sollten. Einer der Streikenden in der Menge fragte: „Wen meinen Sie damit?" Und nun brach der Aufruhr los.
Mehrere Streikbrecher und Nichtorganisierte wurden getötet, und viele Gewerkschafter, die Zuflucht im Gewerkschaftssaal gesucht hatten, wurden von den durch Fenster und Luken hereinpfeifenden Kugeln schwer verletzt. Als der Sheriff in den Saal kam, ergaben sich die Gewerkschafter und wurden zum Zeughaus geführt, wo die Miliz ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte. In allen Gewerkschaftssälen war die Einrichtung demoliert worden. Der Saal des Metallarbeiterverbandes war vollkommen zertrümmert. Auf einer Tafel stand folgende Drohung geschrieben:
„Als Gewerkschafter hast du Deportierung oder Tod zu erwarten. Der Bürgerbund."
Die Delegation berichtete ferner mit großer Erregung von der Zerstörung der Gewerkschaftsläden in Anaconda, Goldfield, Victor und Cripple Creek. Ganze Tonnen von Waren waren von den Streikbrechern weggeschleppt worden. Bankiers und andere prominente Bürger hatten sich selbst an dem Kampf beteiligt und in den Läden alles, was ihnen in die Hände fiel, zerstört; die Teufel gossen Petroleum auf große Vorräte von Mehl, Zucker, Fleisch und anderen Nahrungsmitteln, zerrissen die Bücher und vernichteten die Kassen. Das Büro des „Victor Record" wurde wieder gestürmt, diesmal von einer stark bewaffneten Bande, die den ganzen Redaktionsstab verhaftete und in den „Bullenstall" steckte. Sie zertrümmerten die Setzmaschinen und richteten eine solche Zerstörung an, dass die weiteren Nummern des Blattes in der Druckerei des „Cripple Creek Star" hergestellt werden mussten. Der Herausgeber des „Record" hatte am gleichen Morgen, an dem die Druckerei zerstört wurde, einen Leitartikel veröffentlicht, in dem er die Bergarbeiterföderation aufforderte, den Streik einzustellen. Der Bürgerbund hatte darum
wahrscheinlich gedacht, die Öffentlichkeit werde glauben, dass unsere Gewerkschafter die Maschinen zerstört hätten. Der Herausgeber erhielt viertausend Dollar für den Schaden, und seine bisherige freundliche Haltung uns gegenüber verwandelte sich sofort in das Gegenteil. Die auf der Konferenz versammelten Bergarbeiter waren außer sich, als sie von all diesen Gewalttaten hörten. Während der nächsten Tage kamen viele Mitglieder aus Cripple Creek nach Denver, und alle brachten dieselben schlimmen Nachrichten. Die Leichenschaukommission hatte ein Gutachten abgegeben, dem zufolge die Führer der Bergarbeiterföderation für den Aufruhr mit verantwortlich gemacht wurden. Man sammelte Belastungsmaterial gegen Moyer, die Mitglieder des Exekutivausschusses, mich und ungefähr vierzig andere. Sobald ich die Nachricht erhielt, dass Beamte von Cripple Creek mit Haftbefehlen nach Denver gekommen waren, suchte ich Oberst Irvy, den Sekretär des Bürgermeisters von Denver, in seiner Wohnung auf. Dort blieb ich ein oder zwei Tage. Inzwischen hatte man Moyer und James Kirwin die Haftbefehle zugestellt. Sie zahlten eine Kaution, und die Beamten machten keinen weiteren Versuch, auch mich zu verhaften.
Mike O'Connell, der die hundert Bergarbeiter beordert hatte, den nach der Explosion zusammengelaufenen Mob zu zerstreuen, war einer der ersten unter den fünfzig Männern, die deportiert wurden. Wenige Tage nach seiner Deportation fiel er aus einem Fenster oder wurde, was viel wahrscheinlicher ist, hinausgestoßen. Er wurde tot vor dem Hause aufgefunden.
Von der Vereinigung der Grubenherren wurde eine Arbeitskarte ausgegeben und bestimmt, dass ohne dieselbe kein Arbeiter im Bezirk angestellt werden dürfe. Alle Mitglieder der Bergarbeiterföderation und der AFL standen auf der schwarzen Liste. Als man aber entdeckte, dass der Boykott auch die in den Zeitungsverlagen arbeitenden Mitglieder der AFL treffen würde, stellten die Unternehmer den Angriff gegen die AFL ein und wandten sich statt dessen gegen die Amerikanische Arbeiterunion. Dies geschah, ohne dass die AFL protestierte. Auch die Vereinigung der Grubenherren in Leadville führte die Arbeitskarte ein, obwohl damit eine von Richter Owers erlassene Verfügung übertreten wurde. Die Unternehmer erwarteten, dass ihnen mit diesem Streich die Vernichtung der Bergarbeiterföderation gelingen werde. Aber zu ihrem Erstaunen ließ sich jedes Mitglied des Verbandes eine Karte ausstellen, und alle blieben bei ihrer Arbeit.
Viele Monate lang wurden die verbrecherischen Gewalttaten fortgesetzt. Es wurde wieder der Ausnahmezustand verhängt, und Generaladjutant Sherman Bell setzte ein außerordentliches Gericht und einen obersten Feldrichter für den Bezirk ein. Eintausendsechshundert Männer wurden verhaftet und in die Schwitzkästen des Bürgerbundes gesteckt. Zweihundertfünfzig von ihnen wurden zur Deportation bestimmt und zweiundvierzig bis zum Prozess in Untersuchungshaft behalten. Jedoch kein einziges Mitglied der Bergarbeiterföderation wurde rechtsgültig verurteilt.
Der außerordentliche Gerichtshof erklärte sonder Scham, dass alle Deportierten Diebe, Spieler und ähnliche Subjekte seien. Die Mitglieder des Gerichts wussten wohl, dass dies eine Lüge war, da sich unter den Deportierten die geachtetsten Leute befanden: Männer, die ein Heim in Cripple Creek besaßen und dort schon jahrelang gelebt und gearbeitet hatten. Ihre Kinder waren dort geboren worden. Cripple Creek war ihre Heimat. Außer den Bergarbeitern waren unter den Deportierten ein früherer Generalstaatsanwalt, ein Veteran des Bürgerkrieges, General Engley, und Frank Hangs, Anwalt der Bergarbeiterföderation,  der  schon  lange  im  Bezirk wohnte, ferner J. C. Cole, der Bezirksstaatsanwalt, Richter Frost und der Bezirksschreiber Mannix. Der Bürgerbund nutzte die Gelegenheit aus, um nicht nur die aktiven Mitglieder der Bergarbeiterföderation loszuwerden, sondern auch alle anderen Männer, die er nicht im Bezirk gebrauchen konnte. Jeder Schurke, der eine alte Rechnung begleichen wollte, konnte sich des Bürgerbundes bedienen.
General Bell wurde mit der Zeit so größenwahnsinnig, dass er sich schließlich gebärdete, als sei er ein Offizier des russischen Zaren und die Einwohner von Colorado seine Leibeigenen. Seine Deportationsbefehle, durch die er Männer aus ihren Heimen in die Nachbarstaaten Kansas und Neumexiko ins Exil trieb, wurden mit despotischer Brutalität ausgeführt. Er erklärte: „Was für Schritte ich als militärischer Befehlshaber unternehme, geht niemanden etwas an - ausgenommen mich und meinen Oberbefehlshaber, den Gouverneur des Staates... Ich kann diese Leute nicht in Colorado brauchen." Bell hatte als einer der „Rauen Reiter" unter Präsident Theodore Roosevelt angefangen und war vom gleichen Größenwahn besessen wie sein Vorgesetzter. Er hatte die Gewohnheit, wie Napoleon einherzustolzieren, die Hand vor der Brust in den Mantel gesteckt. Dies war so allgemein bekannt, dass die Zeitungen von Denver ihn in seiner sonderbaren Haltung karikierten und mit der Begründung, dass sein Verstand angegriffen sei, seine Versetzung verlangten.
Die Verwalter unserer Verkaufsstellen in dem Kampfgebiet waren alle deportiert worden und kamen nach Denver. Sie waren entschlossen, zurückzukehren und das
Geschäft wieder zu eröffnen. Harter wandte sich nach der Rückkehr an General Bell mit dem Ersuchen um Schutz für die Wiedereröffnung der Geschäfte. Bell versprach, dass ihnen nichts geschehen werde. Nach kurzer Zeit aber überfielen ein paar Raufbolde die Läden und raubten sie alle wieder aus. Die Verbände in Butte, Montana, zeigten das größte Interesse an den Ereignissen in Cripple Creek. Sie organisierten die Zwischenstaatliche Handelsgesellschaft und schickten zwei Leute aus Butte, um die Organisation zu vertreten und die Verkaufsstellen in Cripple Creek zu leiten. Es wurde angenommen, dass eine Unternehmung, die in einem anderen Staate registriert war, nicht belästigt werden würde.
Die Läden wurden als Geschäfte der Zwischenstaatlichen Handelsgesellschaft wieder eröffnet und mit frischen Waren versehen. Aber auch diese Maßnahme erwies sich nicht als Schutz. Die Läden wurden abermals demoliert und ausgeplündert. Da es aber jetzt eine „fremde" Handelsgesellschaft war, die man geschädigt hatte, wurde beim Bundesgericht von Denver eine Klage gegen Carton, Hamlin und viele andere bekannte Bürger des Distrikts eingereicht. Dieser wurde stattgegeben, und wir hatten von nun ab keine weiteren Unannehmlichkeiten, außer einem Boykott.
Vom Oberst Verdeckberg erhielt ich einen Brief mit der Weisung, Unterstützungen in das Kampfgebiet von nun an nur durch Vermittlung des Militärs zu senden. Dem Brief war eine Kopie der zu diesem Zweck erlassenen Sonderveordnung beigefügt. Ein infamer Versuch, die Familien der Streikenden und Deportierten auszuhungern! Telegramme an den Präsidenten Roosevelt und an das Rote Kreuz blieben erfolglos, und so wurde die Unterstützungsarbeit im geheimen von den tapferen
Frauen des Bezirks weitergeführt. Acht dieser Frauen, Mitglieder der Frauenhilfsorganisation der Föderation, darunter Mrs. Hooten und Mrs. Estelle Nicholls, wurden Verdeckberg vorgeführt, der ihnen mitteilte, dass sie keine Unterstützung verteilen dürften. Aber sie ließen sich durch die militärische Verordnung nicht abhalten, ihre Arbeit wie bisher weiterzuführen. Eine Gruppe von „Weiß-Kappen", auch als „Ku-Klux-Klan" bekannt, drang in das Haus von George Seitz ein; einer von ihnen kam in die Küche, wo nur Seitz und seine beiden Töchter saßen, und befahl ihm, mitzukommen. Um Seitz zu erschrecken, gab er einen Schuss ab. Dieser aber, nicht faul, erwiderte mit einem Winchester-Gewehr und vertrieb die Bande. Am nächsten Morgen teilten die Zeitungen mit, dass zwei bekannte, namentlich angeführte Persönlichkeiten den Distrikt verlassen hätten und wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren würden. Es wurde allgemein angenommen, dass diese beiden der Horde angehört hatten und von Seitz verletzt oder getötet worden waren. Das war der letzte Fall eines Hausfriedensbruches. Seitz hatte gute Arbeit getan. Während alle diese furchtbaren Dinge in Cripple Creek geschahen, herrschte das gleiche wahnsinnige Regime der Goldbarone auch im Bezirk San Juan, und die Kohlenbarone im Süden des Staates taten ebenfalls alles, was sie nur konnten, um die Gewerkschaftsbewegung auszurotten.
Ich saß in unserem Zentralbüro fest, immer neue Gewalttaten erwartend. Es waren furchtbare Schläge, aber die Organisation schien nirgends zu erlahmen. Die Streikbewegung hatte ungebrochen und mit größter Intensität bereits über drei Jahre gedauert. Die ersten Merkmale der Ermattung zeigten sich nach der Entdeckung von Gold in Tonopah und Goldfield,
Nevada, und nach der freundlichen Einladung des Gouverneurs Sparks von Nevada an die Bergarbeiter von Cripple Creek, die Gastfreundschaft des Staates anzunehmen und seine Reichtümer mitzugenießen. Er fügte hinzu, dass er den Bergarbeitern von Colorado bis zur Grenze mit einem Sonderzug entgegenkommen werde. Es setzte keine sofortige Massenauswanderung ein, dennoch reiste eine große Zahl von Bergarbeitern nach Nevada ab, nicht so sehr vom Goldfieber getrieben, als von dem Wunsche nach Frieden und von der Aussicht, einmal wieder ohne die plagenden Gedanken an die Miliz, die Revolverhelden, die Gefängnisse und „Bullenställe" schlafen zu können.
Wir dachten ständig darüber nach, was wir zur Stärkung der Position der Bergarbeiterföderation tun könnten. Die strategischen Festungen der Grubenherren waren nicht gänzlich uneinnehmbar, aber sie beherrschten das Oberste Gericht und die Regierung des Staates Colorado. Sie verfügten zusammen mit den Hüttenherren über unbeschränkte Geldmittel sowohl für die Korruption wie für die Unterstützung der Rockefeller-Interessen und des skrupellosen Bürgerbundes, der unter militärischem und zivilem Schutz seine verbrecherischen Gewalttaten offen begehen konnte.
In einem Plakat mit der flammenden Überschrift: „Ist die Freiheit tot?", das ich zu dieser Zeit herausgab, führte ich viele Gewalttaten an, die sich in Cripple Creek ereignet hatten.
Während der Wahlen von 1904 erwies sich die von der AFL des Staates Colorado organisierte „Freiheitsliga" als recht aktiv. Sie hatte sich auf ein Arbeiterpartei-Programm geeinigt, dessen wichtigster Punkt der Sturz des Gouverneurs Peabody war. Ihre Parole lautete: „Jeden, nur nicht Peabody!" Diese Aktion führte allerdings nicht
zur Entwicklung einer Arbeiterpartei, sondern zur Unterstützung der Demokratischen Partei, die auf ihrem Kongress die Forderung der Freiheitsliga annahm. Theodore Roosevelt gewann eine große Mehrheit im Staate, aber Peabody wurde ausgeschifft. Statt seiner wurde Alva Adams, der demokratische Kandidat, Gouverneur. Die Republikanische Partei reichte sofort zugunsten Peabodys einen Protest beim Obersten Gerichtshof ein, der so korrumpiert war, dass er genügend Stimmzettel verschiedener Verwaltungsbezirke und Wahlbezirke kassierte, um erklären zu können, dass Peabody gewählt worden sei. Dieser trat sofort zurück, und der republikanische Gouverneurstellvertreter, Jesse MacDonald, trat an seine Stelle. So hatte Colorado innerhalb von vierundzwanzig Stunden drei Gouverneure!

 

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