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Hans Marchwitza - Sturm auf Essen (1930)
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Fünftes Kapitel

Es ist der 16. März.
Die Werke und Schächte im ganzen Ruhrland liegen still. Die Gewerkschaften und die nach Stuttgart geflüchtete Regierung hatten zum Generalstreik aufgerufen. Die „Grüne Polizei" hatte sich neutral erklärt, auch General Watter, der Kommandierende der in Münster stationierten Reichswehrtruppen, sprach von Neutralität. Aber Watter hatte erklärt, dass er einrücken würde, wenn Ruhe und Ordnung gefährdet seien. Das bedeutete, dass er seine Truppen jederzeit einmarschieren lassen konnte; aber er schien noch abzuwägen, ob er sich zu der alten oder zu der Kapp-Lüttwitz-Regierung schlagen solle. Die Lage war jedenfalls so, dass es jeden Tag zu schweren Kämpfen kommen konnte.
Im Haus Nr. 35, wo die Kreusats wohnten, hallte das gleichmäßige... Hub... hub... hub... hub... des auf-und abschlenkernden Schwengels einer Waschmaschine, den Frau Naumann mit ihren unermüdlichen Händen hin- und herschwang.
Ein Berg besserer Wäsche, die nicht ihre war, und ein zweiter Berg Arbeitswäsche, Bettzeug, Windeln und sonstigen Krams lag vor dem dampfenden Waschfass getürmt. In dem Wäscheberg rollte der jüngste Naumann, ein Bengel von vielleicht einem Jahr; er riss die eilig schaffende Mutter am Rock und plapperte in seiner
Sprache, die nur die Mutter verstehen konnte. „Ja, mein Junge, spiel nur", sagte sie im Takt ihrer Arbeit -„die Mama hat keine Zeit..." - und riss den Schwengel ohne Unterbrechung hin und her, dass es bis zum Dachboden dröhnte.
Im Hofe knallten Axtschläge, Naumann zerkleinerte dort die Holzabfälle, die er unter dem Rock von der Zeche mitgebracht hatte.
Die vierzehnjährige Liese kam mit einer Schürze voll Holz herauf.
„Der Vadder haut fürs ganze Jahr", sagte das Mädel.
„Wir können's brauchen, Kind", meinte die Mutter. „Die grusligen Buden sind ja kaum warm zu kriegen. Durch alle Wände pfeift der Wind. Herrgott, unsre vielen Träume", seufzte sie und schwenkte eiliger den Hebel, während sich die Falten auf ihrer Stirn um einige vermehrten.
Ihre vier Buben von sechs bis zwölf Jahren stürmten aufgeregt und schreiend herauf. „Wir haben in der Stadt die Grünen gesehn! Huh, wie die Stiere guckten sie uns an!" erzählte der älteste, der sich schon ganz männlich gebärdete.
„Ihr sollt nicht immer in die Stadt rennen!" schimpfte Frau Naumann. „Da sind jetzt alle Teufel los!"
„Die Grünen haben die Straßen mit Spanischen Reitern abgesperrt. Dahinter lauern sie, huh! mit welchem Blick!" erzählte der Junge.
„Geht jetzt rein und ins Bett!" schrie die Frau, über den Haufen noch wartender Arbeit ergrimmt, und schlug mit dem nassen Wäschestück auf die davonjagende Rotte ein.
„Gibt's was zu essen?"
„Rüben!"
„Huh, wieder Rüben!"
„Geht, fresst was da ist", schrie die Frau, ich kann mir nichts Besseres aus den Rippen schneiden!"
Auf der Treppe klapperten Naumanns Holzschuhe. „Lasst die verfressene Gesellschaft warten, bis alle zusammen sind", hörte sie ihn murren. „Sonst, wenn sie sich gleich mit den Mäulern drüberherstürzen, dann bleibt für die letzten gar nichts übrig."
„Mühlsteine!" brummte der kleine, magere Mann, während er mit einem größeren Holzvorrat auf dem Treppenabsatz stehen blieb. „Komm auch du", sagte er zu der arbeitenden Frau, „lass den Kram eine Weile liegen. Er läuft nicht weg."
„Er läuft nicht weg, aber es kommt auch kein anderer und wäscht ihn zu Ende", antwortete die Frau aufseufzend. Sie trocknete die Stirn mit der Schürze ab und staute einen neuen Haufen Wäsche in das Fass. Naumann murrte: „Dann schind dich weiter", und ging mit dem Holz in die Wohnung, wo Liese die Suppe verteilte und mit den Ermahnungen einer Erwachsenen den um die Nahrung neu ausbrechenden Streit zu schlichten versuchte.
„Na, schlagt euch doch nicht gleich die Köpfe ein, seid doch nicht so gierig. Denkt an die Mutter, die muss auch ihren Teil haben."
„Entsetzliche Gesellschaft", seufzte die kleine Mutter, wie die große, denn sie hatte trotz ihrer Jugend bereits einen gewichtigen Anteil der häuslichen Sorgen mitzutragen.
Naumann, ein von der Grubenarbeit ausgedorrter Mensch von vielleicht fünfundvierzig Jahren, schlang die Suppe. Er schlug, mit seinen Gedanken immer in der Grube, da und dort noch ein fehlendes Holz unter den bröckelnden Stein. Der Tod lauerte noch in allen diesen Löchern, er knirschte und kaute mit seinen steinernen Kinnladen über den Leibern der Männer, die sich an der Kohle hetzten, um wenigstens das Stück Brot und diese Rübensuppe auf den Tisch zu bringen. Dem alten Kohlenhauer war diese plötzliche Stille ungewohnt, und er lauschte immer hinaus, ob der Signalhammer am Schacht nicht gleich wieder schlüge. Er war nicht mit den anderen Männern in die Versammlung gegangen. Er beteiligte sich auch sonst an nichts; er war das Gegenteil von seiner Frau, die gewiss auch in diese Versammlung gerannt wäre, wenn sie die Wäsche nicht gehabt hätte.
„Du Faulenzer!" schrie sie draußen, „du sitzt zu Hause, während die anderen auch für dich rumrennen müssen."
Er brummte: „Was willst du, ich streik' doch, genügt dir das nicht?"
„Oh, du verdammter Kerl!" schrie sie, „ich muss mich wirklich für dich schämen."
„Ich streik' doch, was will sie noch!" knurrte er und schlang weiter seine Suppe.
„Ich will noch vor Nachteinbruch aufhängen, sonst werde ich mit der übrigen Arbeit heut nicht mehr fertig", trieb sich draußen die Frau selber an. Aber sie wusste: war der eine Berg der Arbeit bewältigt, lag ein anderer Berg Arbeit wieder vor ihr. So war es einst der Bauernmagd Marie ergangen, die nur harte, hoffnungslose Arbeit gekannt, nur Sorge um andere, während sie ihre eigenen Sorgen und Wünsche stets auf morgen verschob, und so erging es heut der Bergarbeiterfrau Marie Naumann: Steigerwäsche, Krämerwäsche, Bürgerwäsche, Dämchenwäsche... „Bitte, Frau Naumann, achten sie ja darauf, dass Sie in die teuren Sachen keine Löcher reißen." „Gute Frau, achten Sie bitte darauf, dass die Wäsche keine Rostflecke bekommt, hängen Sie sie ja behutsam auf." Behutsam, sorgsam, es ist fremde, es ist gute, feine Wäsche... Hub... hub... hub...
Es wurde dunkel. Sie hörte die Männer aus der Versammlung kommen und schalt wieder: „Du hättest auch hingehen sollen. Die anderen müssen ja auch in die Kälte hinaus."
Naumann war still. „Nächstens muss ich doch hingehen, das Weib gibt ja keine Ruh!" brummte er und schrie die Kinder an: „Macht doch nicht solchen Lärm, man kann ja nichts hören!" Er war zornig und wusste nicht, ob auf die Frau oder auf die streitenden Plagen oder auf diese ungewohnte Ruhe. Franz Kreusat kam herauf.
„Na, was wird es geben?" fragte Frau Naumann, die ihre Arbeit unterbrach.
„Die Grünen gehen in der Stadt mit Handgranaten umher, das bedeutet keinen Frieden!" antwortete Franz.
„Ach, die verfluchten Hunde!" schrie sie. „Wann geben sie uns armen Menschen endlich Ruhe! Ei, Gott! Gott!"
... Hub... hub... hub... rappelte der Schwengel wuchtiger. „Und morgen früh wieder mit der Zeitung", sagte die schuftende Frau.
„Die Zeitung", rief die alte Kreusatsche ärgerlich von oben, „ich bestell die Zeitung bald ab. Die Kerle werden nur verrückt, weil sie diese Zeitung lesen."
„Du bestellst nichts ab", antwortete ihr der Junge. „Nichts bestellst du ab, die Zeitung wird gebracht." Er ging hinauf, groß, mager und düster. „Wir haben die Zeitung mit Groschen zusammengebracht, niemand bestellt sie ab."
„Ach Gott, man kommt aus den Sorgen nie raus!" schalt die alte Frau. „Bleibst jeden Tag länger aus."
„Ich hab' zu tun!" sagte er.
Die Mutter setzte ihm die Bratkartoffeln hin, mit einem ergatterten Stück Blutwurst, das sie angeröstet hatte. „Nun sei still und iss erst. Der Vater hat auch wieder seinen schlechten Tag. Wann gibt es überhaupt noch einen guten Tag für unsersgleichen?" seufzte sie und trippelte, noch erregt, zum Herd und zurück zum Tisch, an dem der Sohn über den Teller geneigt saß. „Der Doktor sagt ihm, er braucht gutes Essen und bessere Luft. Schaff' ein Mensch heut das gute Essen ran. Eier soll er essen und gute Brühe trinken."
„Chae... chae... chae...", hüstelte Kreusat in der anderen Kammer. „Wie Zement sitzt es auf der Brust. Die mit ihren guten Ratschlägen." Er schwankte, groß und hager, aus der Kammer, mit galligem Gesicht und Blicken, in denen Zorn, Kränkung und die letzte Auflehnung eines einmal sehr starken Menschen gegen den Tod zu sehen waren. „Die binden einen an die elende Bude. Ich sag', ich kann noch etwas tun. Nein, sagt der Doktor, ich sei mit der Grube fertig. Ich mit der Grube fertig - wenn man fünfunddreißig Jahre dringesteckt hat, ist man damit nie fertig. Liegen soll ich, sagt er. Eier solltest du beschaffen, sagt er. Und wenn sie mich im Bett festbinden, ich werde auch nächstens rausgehn." Der Alte hatte sich brummend an dem warmen Herd hingehockt. Er sah nach dem Jungen. „Nicht, dass ihr euch wieder festrennt", sagte er. „Oder glaubst du, dass die Oberen gegen die Stillegung des Schachtes nichts unternehmen werden? Täuscht euch nur nicht."
„Es steht ja nicht nur unser Schacht allein still", antwortete der Sohn. „Alle Arbeit liegt still, überall."
„Alle Arbeit?" Der alte Kohlenhauer starrte den Sohn an. „Alle Arbeit?"
Ja, alles ruht: die Schächte, die Werke, die Eisenbahn, alles."
Kreusat hüstelte. Nach einigen Minuten Grübelns stand er auf, schwankte zum Fenster und blickte nach der Stadt. Der gewohnte Flammenschein war nicht zu sehen. Er schien noch eine Weile zu horchen - alles war still. Er schüttelte den Kopf und schwankte zu seiner Herdbank zurück.
Ja, es geschieht ihnen recht", sagte er nach einem Nachdenken in Groll. „Sie pressen auch den Menschen so aus, dass er zusammenbrechen oder sich zur Wehr setzen muss." Er sah den Sohn an. „Wenn ihr diesmal so begonnen habt, dann bleibt auch dabei und lasst euch nicht wieder kleinkriegen! Einmal muss sich der arme Mensch behaupten!" Er ging wieder zum Fenster und sah hinaus. „Alles liegt still. Ich gönn' es der Gesellschaft. Sie sollen wissen, dass auch unsereins noch Mensch ist."
„Jetzt fängst auch du an?" sagte die Frau vorwurfsvoll.
Kreusat wandte sich um: „Was willst du? Sei still. Die Menschen haben recht, wenn sie sich wehren! Unsereins hat alles geduldig hingenommen, und darum haben sie einem jede Last aufgepackt. Der Junge hat recht, wenn er anders denkt und sich nicht wieder totjagen will."
Franz fiel eine Last vom Herzen. Er hatte sich gesorgt, der Vater würde es nicht verstehen. Sie waren sich eins. Er sah den alten Mann dankbar an.
Er griff nach der Jacke und nach seinem Wollschal. „Wo geht es wieder hin?" schrie die Mutter ängstlich.
„Ich muss noch weg!" sagte er.
„Jeden Abend weg!" jammerte sie. „Wo musst du denn wieder hinrennen?"
Er fasste nach ihrem ergrauten Kopf, zog ihn an sich, streichelte ihr zum Weinen verzogenes Gesicht. „Ich muss weg. Frag nicht!"
Franz ging zu Raup hinüber. Er traf den Kumpel in Aufregung an. „Nun, was ist mit dir?" fragte er.
„Ach, die Weibsbilder heulen einem immer was vor!" Raup sah nach seiner Frau, die den drei Kindern das Essen aufschöpfte. „Geh, lass dich nur umbringen", schalt sie wieder. „Jetzt zieht es ihn schon nachts hinaus!"
Raup lachte ärgerlich. „Es ist doch nicht das erste Mal, dass ich hinausgehe, Weib. Sei doch vernünftig." -„Geh, aber pass mir ja auf, dass du wieder heil zurückkommst. Immer muss er mit seiner Nase vornean sein. Können denn das nicht die Jüngeren tun, die noch nichts zu versorgen haben?"
„Das ist nicht nur eine Sache der Jüngeren", entgegnete er unwillig, „es trifft alle. Schick die Kinder ins Bett und leg auch du dich hin." -
„Gut, geh", sagte sie noch einmal. „Aber ich werde warten, bis du kommst."
Sie gingen zu Hoffrone. Miller hatte sie hinbestellt. Als sie in den kleinen, noch fast dunklen Saal eintraten, sahen sie drinnen schon an die fünfzig Genossen sitzen. Sie sprachen wenig. Über allen lag die Spannung einer ungewöhnlichen Stunde.
Wenn einer hinzukam, fragte er unter einem Zwang leise: „Was gibt das?"
Auch Fritz Raup und Franz Kreusat fragten, als sie sich hingesetzt hatten, den Zermack: „Was gibt das?" Zermack sagte: „Der Miller ist nach dem Parteibüro, er muss bald kommen."
Sie saßen wohl noch eine halbe Stunde lang schweigsam. Aber jeder brannte vor Ungeduld, und auf manchem der nachdenklichen Gesichter war die heimliche Angst zu lesen, die solche Ungewissen Stunden mit sich bringen. Auch Franz Kreusat konnte sich dieses Gefühls nicht ganz erwehren. „Verdammt", sagte auch er, „wenn der Mensch doch bald käme!"
Endlich kam Miller. Er erklärte stehend: „Geht nach Hause und benachrichtigt die anderen, wir werden diese Nacht wohl aufbleiben müssen. Wer ein Gewehr hat, der bringe es mit. Aber seid vorsichtig, es könnte sein, dass die Polizei Haussuchungen vornehmen wird. Bleibt nach Möglichkeit zusammen", ordnete er weiter an, „wenn wir von Essen mehr hören, werde ich euch gleich Nachricht schicken."
Miller hatte wohl wieder einen schweren Kampf mit sich durchgerungen, denn er sagte alles, als hätte ein anderer diese Anweisungen gegeben.
„Gewehre? Wer hat Gewehre?" meldeten sich mehrere aufgeregt.
Franz Kreusat fragte: „Warum sind die anderen nicht hier, der Kramm und der Christian Wolny?"
Miller hörte nicht darauf. Er befahl noch einmal: „Geht jetzt nach Hause und haltet euch bereit, wenn man euch rufen muss!"
Sie gingen in Abständen.
Franz Kreusat fragte auf dem Heimwege Zermack: „Warum hat Miller die anderen nicht gerufen?"
Zermack antwortete ärgerlich: „Weil er jetzt wieder alles allein machen möchte. Es ist der Eigensinn, der manchen unserer Genossen noch innewohnt. Ich bin auch der Meinung, dass wir jetzt alle zusammengehören. Sonst scheitern wir."
„Ich werde Kramm benachrichtigen!" erbot sich Franz Kreusat und lief gleich querfeld nach der Salkenberg-Kolonie. Kramm war zu Hause. „Ich weiß schon!" empfing er ihn. „Wir haben schon alle Vorkehrungen getroffen", sagte er, „dass sie uns nicht nachts die Dinger herausholen. Sie stöbern überall in der Stadt umher. Seid auch ihr auf der Hut." Sie drückten sich die Hände.
Franz Kreusat ging rasch noch zu Christian. Der umarmte ihn: „Franz, verdammt, jetzt sagen wir uns: Glückauf! Karl und Rosa, weißt du, ich vergess' es den Canaillen nicht! Und du bleibst bei mir, verstehst du?"
„Wir bleiben zusammen", versprach Franz. Und Miller wollte sie nicht dabei haben! dachte er erzürnt. Er saß noch eine Weile bei Christian, der wieder ganz der Kieler Kuli war und alle früheren, großen, schönen Geschichten von seinem Kasten auskramte. „Weißt du, dieses Mal werden wir die Gewehre nicht wieder so schnell abgeben", schwor er, „wir werden uns jetzt nicht mehr so rasch beugen. Jetzt haben wir doch wohl Erfahrungen genug. Mensch, ich würde wahnsinnig, wenn sich jetzt noch mal jemand fände, der uns wieder verkauft - das wär' das Furchtbarste für mich. - Nein, wir werden diesmal stärker sein!"
Franz Kreusat zog es heute zu Therese. Er hatte nachmittags Tauten getroffen, der mit überheblichem Ton die Macht der Gewerkschaften lobte. Und Franz spürte diese gewaltige Gemeinsamkeit selber - ihm war, als hätte eine mächtige Hand alles in diese fast feierliche Ruhe versetzt. Tauten hatte ihm noch, versöhnlicher, nachgerufen: „Lass dich wieder sehen. Ich glaub', das Mädel wartet!" -
Therese wartete.
Aber Zermack ermahnte, sie müssten zusammenbleiben. „Benachrichtige unsere Unionisten", befahl er ihm, sie sollen in ihren Wohnungen beisammenbleiben."
Franz holte Edy Koschewa, Kahlstein und Bruno Freising und lief noch zu einer Anzahl anderer Kumpels. Dann begab er sich zu Fritz Raup. Sie saßen mit etwa zehn in der Küche mit der gleichen gespannten Erwartung wie vorher bei Hoffrone.
„Was gibt es denn?" fragte Edy Koschewa. Franz Kreusat hatte ihn aus dem Schlaf geholt, und Edy war verdrießlich.
Auch Bruno Freising sagte: „Leute, ihr tut so geheimnisvoll. Ohne Licht, und alles schweigsam! Was soll das denn geben?"
Zermack sagte: „Seid nicht ungeduldig. Es kann sein, dass wir noch manche Nächte opfern müssen. Oder wollt ihr, dass sie uns einzeln aus den Betten holen und totschlagen?"
Die Murrenden schwiegen.
Franz Kreusat wurde zu Miller geschickt, um dort zu hören, was sich an Neuem ereignet habe.
Miller saß da, ganz angezogen, und wachte. „Komm, setz dich", sagte er freundlicher. - „Es sind jetzt keine leichten Tage!" erklärte er nachdenklich, „und wir müssen uns aufeinander verlassen können. - Es geht heute um die Entscheidung", sagte er wieder nach einer Weile, „wenn jetzt der Zwiespalt nicht behoben wird, dann können wir uns auf schwere Tage vorbereiten."
„Warum willst du die anderen nicht mit hinzuziehen?" warf Franz ein. „Kramm hat die Kumpels oben in der Kolonie zusammengeholt, er erwartet, dass wir einander helfen."
Miller furchte unwillig die Stirn. Dann sagte er: „Gut, wir werden auch mit Kramm sprechen."
„Bestell Zermack", sagte er, „unsere Kumpels haben in Wetter die Reichswehr entwaffnet, und es kann vielleicht morgen schon auch hier losgehen!"
„Die Reichswehr entwaffnet!" Franz wollte gleich losstürmen. „Warte", sagte Miller, „habt ihr Gewehre?"
Franz Kreusat zögerte erst einen Moment, dann sagte er: „Einige haben wir. Aber der Kramm hat eine größere Anzahl, und Christian Wolny hat ein Maschinengewehr aufgehoben 1"
Miller blickte auf. „So, und ich weiß nichts davon?"
Franz Kreusat antwortete zögernd: „Weil du dich nie dafür interessiert hattest."
Miller senkte den Blick. „Gut, ich seh' es ein, ich habe mich bislang wenig um diese Kumpels gekümmert. Das kommt davon, dass man oft mit sich selbst nicht ganz fertig wird. Geh, sag den Genossen, dass wir einander unterstützen müssen."
Franz Kreusat lief wieder eilig querfeld nach dem Salkenberg und klopfte bei Christian an. Frau Wolny machte auf und erkannte ihn. „Ich dachte, die andere Gesellschaft ist wieder da", sagte sie noch erschrocken. „Vor einer Stunde waren sie hier und haben im Stall gesucht. Christian muss irgendwo draußen sein."
Da kam Christian aus dem Dunkel: „Komm, Franz, hier wird es heiß. Wir sitzen bei Gutschnick", sagte er voller Eifer und zog ihn mit sich.
Mehrere Männer, darunter auch Renteleit, lagen in ihren Mänteln in Gutschnicks Küche. Kramm drückte Franz die Hand. „Wisst ihr schon von Wetter? Den Lichtschlag haben Unsere entwaffnet!" Es war ein Handdruck und ein Blick aus diesen wilden, guten, immer grimmigen Augen, dass Franz Kreusat eine Wärme durchströmte. „Ich möchte am liebsten bei euch bleiben", sagte er, „aber die anderen warten."
„Sag ihnen, dass wir hier wach sind", sagte Kramm. „Und wenn es euch da unten zu einsam wird, dann kommt her, hier ist alles Notwendige!"
Auf dem Heimwege sah Franz auf der Straße die Blauen. Sie gingen mit mehreren. Einige andere Nichtuniformierte kamen hinterher. Er erkannte den Heumisch. Franz hatte diesen „verhüllten" Mann schon einige Male nach den Versammlungen in ihrer Nähe bemerkt. Der Kerl spionierte sicherlich. Und auch die Blauen hatten anscheinend den Auftrag, die Wohnungen der Bergleute zu überwachen.
Diese Nacht verlief aber, ohne dass sich etwas Besonderes ereignete. Die Genossen trennten sich gegen Morgen. Sie hatten die Gewehre in sicheren Verstecken untergebracht und gingen in ihre Wohnungen zu den ängstlich wartenden Frauen.
Franz Kreusat streckte sich eine Stunde aus. „Ich hätte zu Therese gehen müssen", sagte er sich; doch gleich beschäftigte ihn die Geschichte in Wetter. Die Kumpels hätten dort das Korps Lichtschlag entwaffnet, und das war das Signal, dass der offene Kampf begonnen hatte. Er schlief eine Weile, aber als die Naumannsche gegen die Tür pochte, sprang er wieder auf. Er war noch angezogen. Frau Kreusat jammerte: „Nu, schlaf doch aus. Renn nicht wieder los!"
„Dortmund haben Unsere!" berichtete Frau Naumann. „Gott sei Dank!" schrie sie. „Der Teufel soll die Gendarmen alle holen! Man kommt doch in der Stadt nicht mehr durch. Alles haben sie jetzt abgesperrt und drohen gleich mit dem Gewehr, wenn man wegen der Zeitung durch will!" Während sie noch redete, kam auch Martin Kaminski. „Die Kumpels von Wetter und Hagen haben Dortmund besetzt und die Polizei entwaffnet!" erzählte auch er. „Wir müssen uns jetzt vorsehn, denn die Grünen bereiten sich auf etwas vor", sagte er besorgt. Er war schon ganz früh in der Stadt gewesen und hatte gesehen, dass die Grünen in der Stadt sich verschanzt hatten.
Franz Kreusat aß eilig das Stück Brot und rannte zu Raup. Zermack stand in der Küche. „Wir müssen uns bereithalten", sagte Zermack. „Am besten ist, wir suchen uns einige Unterkünfte, wo wir ungestörter sind. Wir werden die nächsten Nächte bestimmt durchwachen müssen. Auf jeden Fall müssen noch mehr Kumpels benachrichtigt werden, damit wir im Notfalle nicht allein dastehen."
Franz Kreusat zog es nach der Stadt. Trotz der Gefahr, dass die Grünen schossen oder Handgranaten warfen, zogen immerfort Scharen hin, um sich die Polizisten in ihren Verschanzungen anzusehen. Die „Neutralität" der Grünen hatte sich in einen offenen Kriegszustand verwandelt. Der Jägeruniformen waren mehr geworden. Man hatte aus den umliegenden Städten Verstärkungen herangezogen, und auch die Einwohnerwehr war mobilisiert worden.
Franz Kreusat und Kahlstein kamen nur bis zum Viehhofer Platz. Dort standen die ersten Grünen mit Karabinern und Handgranaten. Die Menge wurde mit Drohungen zurückgejagt und staute sich in den Eingangsstraßen. Frauen schrien empört: „Wir müssen doch einkaufen gehen!"
„Was ist das für eine Art. Wir haben doch keinen Krieg mehr. Geht zum Teufel, wir müssen in die Stadt!"
„Zurück! Hier kommt keiner durch!" Die Karabiner erhoben sich drohend.
Franz Kreusat erblickte Miller, der übernächtigt in der Menge stand. „Ich muss unbedingt zum Parteibüro!" sagte er. „Komm, wir müssen einen Durchschlupf suchen!" Sie suchten durch Nebenstraßen das Parteibüro zu erreichen, sie stießen aber wieder auf neue Sperren der Grünen und mussten umkehren. Wieder auf dem Viehhofer Platz angekommen, hörten sie die Knalle mehrerer krepierender Handgranaten und Schreie in einer der Querstraßen, die in die Kettwiger Straße führte. Eine zurückflüchtende Menge riss sie mit. „Sie schlagen ja die Menschen tot!" schrien mehrere der Männer. „Man sollte die Gewehre holen", sagte Kahlstein.
Miller zog ihn und Franz mit. „Kommt nach Hause. Rennt jetzt nicht in das Feuer, es hat keinen Zweck. Es kostet nur unnütze Opfer."
Kahlstein ging nur widerstrebend zurück. „Verflucht, sie haben wieder unsere Menschen totgeschlagen. Diese neuen Söldner unterscheiden sich in nichts von den Ehrhardt-Banditen im Februar."
Miller war wieder merklich still geworden. Hatte ihn der Anblick der schreienden und flüchtenden Menge erschreckt? Er schüttelte den Kopf und sagte in Bedenken: „Ich weiß nicht, ob wir gegen diese gutbewaffnete Polizei mit unseren wenigen Gewehren etwas ausrichten werden. Ich sehe ziemlich schwarz."
Es wurde wieder Nachmittag und Abend. Quälende Stunden. Franz Kreusat hielt sich in Millers Wohnung in der Ernestinenstraße auf. Es war ein kleines, altes Haus. Seine Frau, eine junge, stille Person, lebte wie Frau Tauten anscheinend nur ihrer Häuslichkeit. Die Wohnung, die aus einer Küche und einer Stube bestand, sah sauber und behaglich aus. In der Stube standen ein Plüschsofa und eine hohe Standuhr, und überall hingen Wandtücher mit Sprüchen und lagen gehäkelte Deckchen. Auf dem Vertiko standen Figürchen und Bücher, und an dem Fenster hingen lange Gardinen. So werden wir uns auch später einrichten, dachte Franz und beschäftigte sich wieder mit Therese. Er fühlte jetzt, da er sie weniger sah, dass er sie sehr gern hatte. Er war fest entschlossen, wenn diese schweren Tage wieder vorbei waren, mit ihr gleich nach dem Standesamt zu gehen. Die Mutter sollte die Kammer einrichten.
Miller lag in voller Kleidung auf dem Sofa. Mehrere Male kamen Genossen vom Zollverein und aus der Mittelstraße und berieten mit ihm.
Es war ungefähr zehn Uhr geworden, da pochte es an Millers Fensterläden.
Miller stand auf und sah hinaus. Ein fremder Mann stand draußen. Aber Miller schien ihn zu kennen, denn er sagte: „Gott sei Dank! Komm rein!" Es war ein Bote der Parteileitung.
„Es war verdammt schwer", sagte der Bote, als er sich setzte. „Die Parteileitung hat sich ein anderes Quartier suchen müssen, weil die Grünen viele in der Stadt verhaften."
„Es wäre vielleicht besser, du suchtest dir auch ein sicheres Haus", bemerkte der Genosse, „draußen traf ich einige Kerle, die mir nicht gefielen."
„Ja, man müsste hier weg", besann sich Miller und horchte hinaus. Es waren noch zwei andere Männer hinzugekommen: der Siebert, ein breiter, rotgesichtiger Genosse aus der Grabenstraße, und der Heinrich Buskühl aus der Mittelstraße. Miller wollte sie über Nacht bei sich behalten. Beide waren Genossen aus der Soldatenwehr und Betriebsräte von den Zollvereingruben. Nach den Informationen des Essener Genossen kämpften die Hagener und Dortmunder Arbeiter weiter und bewegten sich nach Bochum zu, und jede Stunde konnte auch hier der Kampf losgehen.
Während sie noch berieten, pochte es wieder gegen die Fensterläden. Miller zögerte, er ging dann aber hinaus und öffnete. Heumisch stand draußen mit mehreren Blauen und Zivilisten. Sie drängten sich gleich in die Wohnung.
„Ich bedaure", sagte Heumisch, während er sich umsah, „ich habe den Auftrag, Sie zu verhaften."
Franz Kreusat stand wie erstarrt. Miller schüttelte den Kopf und sah den Essener Genossen und die beiden anderen an. Aber Heumisch und die fremden Männer hatten die Revolver bereit. Ein Widerstand war nicht möglich.
Miller schüttelte ergrimmt den Kopf: „Spione!"
Frau Miller, die auf der Schwelle erschien, stieß einen Schrei aus: „Mein Gott, was ist denn los?" Sie starrte entsetzt auf die Polizisten, die Miller, Franz und die anderen abtasteten und hinausschoben...
Als Zermack, einer dumpfen Ahnung folgend, nachsehen wollte, warum Franz nicht wieder zurückkam, hielt ihn in der Nähe der Hoffrone-Kneipe der dort im Dunkeln stehende Gaida an, ein Genosse vom Zollvereinschacht. „Wo willst du hin, zu Miller? Lass dich da lieber nicht sehen", warnte Gaida, „sie sind gerade von der Polizei weggeholt worden."
Zermack trat in die Hauseinfahrt. Er konnte im Augenblick kein Wort hervorbringen. Er dachte nur: Was tun wir jetzt? Was jetzt?
Gaida, ein großer Mann in dem gleichen Kanonierrock wie ihn Zermack trug, erzählte ihm, man habe wohl ihre Versammlung überwacht und sei über die Zusammenkunft ihrer Gruppe unterrichtet gewesen. Noch vorsichtiger müsse man sein.
Was jetzt? fragte sich Zermack noch einmal.
Gaida sagte: „Es bleibt wohl nichts übrig, als die Leute zusammenzuhalten. Man kann uns jetzt unmöglich im Ungewissen lassen. Ich denke, die Partei muss sich noch mal melden."
Nach langem Schwanken sagte Zermack: „Dann geh' und sag' es deinen Leuten, und ich werde auch unsere warnen lassen." Er ging eilig zurück. Die Nacht schien noch dunkler geworden zu sein, und er fröstelte. Er sah zu seiner Wohnung hinauf, da war noch Licht. Alles andere lag im Dunkel.
Jeder einzelne Schritt in dieser Nacht ließ ihn zusammenschrecken. Die Mörder waren ihnen nahe, ganz nahe.
Er ging in Raups Haus und klopfte an seine Tür. Die Frau machte auf und sagte zu ihm: „Er ist draußen irgendwo."
Zermack ging wieder durch die Dunkelheit. Eine furchtbare, eine einsame Nacht, man wusste nicht, wie viel der. Jagdhunde sich schon im Ort aufhielten. Das Ende? Sie hatten noch kaum angefangen.
Die schwarzen Schatten der grauen Zechenhäuser schienen alles begraben zu haben.
Aus einer der langen, scheunenartigen Bauten tönte Musik. Dort wohnte der Labisch; Zermack wusste, dass sich dort die Diebe und Schleichhändler, die mit Labisch vom Grenzschutz zurückgekommen waren, trafen und soffen. Man tanzte dort.
Zermack murmelte erbost: „Wir kämpfen um unser Leben, und sie tanzen! Uns sitzt die Schlinge am Hals, und diese Lumpen helfen, sie noch enger zu ziehen."
Er traf eine Gruppe in einem der dunklen Hausflure. Die Leute wurden ungeduldig. Mehrere fragten, ob sie die ganze Nacht draußen herumliegen sollten. Dieses Ungewisse Warten war voller Schrecken.
Die Frauen bringen sich vor Angst um. Wir müssen etwas unternehmen, oder wir gehen wieder heim."
„Was ist mit Miller? Warum lässt er uns hier warten? Er sitzt wohl schön zu Hause, und wir verbringen hier die Nacht schlaflos mit dem sinnlosen Warten."
Zermack sagte: „Miller und Franz sind verhaftet. Wir können die Geschichte jetzt nicht aufgeben. Wir müssen abwarten. Geh in die Kolonie und sag das den anderen!" befahl er Kahlstein, „vielleicht stehen wir in den nächsten Stunden schon in einem schweren Kampf."
Hermann Kahlstein machte sich wortlos auf den Weg nach der Kolonie. Die ganze Geschichte ist wieder zu Ende, dachte er bedrückt, alles ist wieder aus!
Als er Kramm von Millers und Franz' Verhaftung erzählte und seine Bedenken aussprach, sagte Kramm: „Es ist noch nichts aus. Wir müssen jetzt erst recht die Stadt bekommen, wenn wir nicht wollen, dass es uns auch so ergeht." Er befahl seinen Leuten, sich draußen vor die Kolonie in die Brüche zu legen. Am Abend hatten die Grünen bereits den vor der Stadt nach Stoppenberg hinaus Hegenden Viehhof besetzt und sich dort verschanzt. Kramm sagte zu Kahlstein: „Sag dem Zermack und Raup, sie sollen ja nicht schlafen gehn, ich befürchte, dass sich da im Viehhof was vorbereitet."
Kahlstein lief zurück. Zermack hatte Posten ausgestellt, damit sie von den Blauen nicht überrumpelt werden konnten, und machte selber mit Fritz Raup und einigen der Jüngeren einen Rundgang durch den unheimlich stillen Ort.
Er kam zurück und erklärte: „Sie haben sich jetzt in ihre Löcher verkrochen. Aber es wird dabei nicht bleiben, drüben in der Stadt scheint allerhand im Gange zu sein. Dort sind schon Schüsse gefallen."
Als Kahlstein abgehetzt in Raups Wohnung trat, sah er drinnen einen Katernberger Genossen sitzen.
Raup erklärte ihm: „Die Hagener und Dortmunder haben die Bochumer Polizei entwaffnet und ziehen nach Gelsenkirchen."
Kahlstein umarmte fast heulend den fremden Kumpel. „Gott sei Dank! Dann müssen wir auch hier sofort losschlagen", bestürmte er Zermack und Raup.
Zermack sagte: „Wir müssen uns noch eine Weile gedulden. Behaltet ruhige Köpfe, wir werden nicht sinnlos drauflosrasen. Wir warten, bis wir hier mehr sind! Es geht diesmal um vieles!"
Kahlstein schickte sich nur unwillig darein. „Warten! Warten! Inzwischen haben sie die verhafteten Genossen umgebracht!" protestierte er wütend. „Aber dann erleben die verfluchten Jäger etwas!"
Franz fiel, als sie zur Wache schritten, die Mutter ein.
Wenn die von meiner Verhaftung erfährt, wird sie sich umbringen! dachte er besorgt. Er glaubte nicht gleich das Schlimmste, aber als er sich heimlich umsah, fühlte er seine Hoffnung sinken. Die Polizeigesichter versprachen nichts Gutes. Einmal kam ihm der Gedanke: Sie werden uns vielleicht erschießen!
„Sie knallen uns ab!" flüsterte auch der Buskühl. „Dass man sich nicht besser vorsah!"
Auch Franz dachte jetzt: Dass man sich nicht besser vorgesehen hatte!
„Wie konnten Sie so dumm sein!" versuchte sich ein Blauer vor Miller zu entschuldigen. „Meinen Sie, uns ist es recht, bekannte Kumpels einzusperren?"
Miller blieb still.
Heumisch wandte sich um. Er sagte jetzt mit unverhülltem Hass: „Ja, Herr Miller, wenn Sie gescheit gewesen wären, dann hätten Sie sich's wohl überlegt. Wir hielten Sie zumindest für einen klügeren Mann."
„Glauben Sie nicht, dass Sie mit unserer Verhaftung etwas gewonnen haben!" regte sich Miller endlich. „Es kann sich schon in wenigen Stunden vieles ändern!"
Heumisch schwieg darauf.
Auf der Wache wurden sie nochmals durchsucht. Heumisch ging zum Telephon.
„Was habt ihr mit uns vor?" fragte Miller einen der Blauen. Der Polizist zuckte mit den Schultern, ohne zu antworten.
„Er spricht mit dem Präsidium!" sagte der Essener Genosse leise zu Miller. Millers Gesicht erstarrte. Nach einer Weile Schweigens sagte er gepresst: „Habt keine Angst. Sie werden sich noch besinnen."
Heumisch hängte den Hörer auf und sagte zu den Blauen: „Die Verhafteten werden nach Essen abgeholt!"
Er verließ die Wachstube.
„Sie hätten sich in acht nehmen sollen", wandte sich der Wachthabende aufgeregt an Miller. „Es ist heute gefährlich, solche Geschichten zu machen, von wegen Viehhof stürmen und so was!"
Da raffte sich der Essener Genosse auf. Er sagte: „Es ist noch gefährlicher, in dieser Zeit Arbeiter zu verhaften!"
Der Wachthabende antwortete verlegen: „Das liegt nicht an uns! Befehl ist Befehl! Wir können auch nicht so, wie wir möchten!"
„Ü berlegt's euch", sagte der Essener Genosse noch einmal. „Das Blatt kann sich schon morgen gewendet haben!"
„Verdammte Sauerei!" fluchte einer der Blauen. „Man sollte einfach die Brocken hinschmeißen."
Franz hoffte, die Genossen kämen und würden sie in letzter Minute noch befreien.
Es kam niemand.
Es war eine qualvolle halbe Stunde. Die Blauen atmeten sichtlich auf, als eine Abteilung Einwohnerwehr ankam.
Der Wachthabende sah an den Verhafteten vorbei. „Ich kann nichts dran ändern, Leute", entschuldigte er sich.
Sie mussten zu zweien vorgehen. Acht Mann Einwohnerwehr folgten mit Gewehren. Franz Kreusat grübelte vor sich hin. Er glaubte noch immer, dass er träume. Er hoffte, dass sie unterwegs auf Genossen stießen, und die schreckliche Geschichte wende sich noch zum Guten. Er durchdrang mit seinen Augen das Dunkel. Hier und da huschten Schatten, aber niemand kam ihnen zu Hilfe. Niemand!
Schon hatten sie die Stadtgrenze erreicht. Essen! Die Henker! Gespenstisch erschienen die Häuserreihen in der Dunkelheit. Nur am Bahnübergang brannten Lampen. Blechschilder klapperten im Wind. Weiter, zwischen den Schienensträngen, die sich nach der Schachtanlage „Königin Elisabeth" zogen, hüpfte ein winziges rotes Licht. Rechts von der Straße lag wie ein großes, schlafendes Tier die Freistein-Ziegelei. Wie beschwörend reckte sie ihren schlanken, brüchigen Steinkamin in den wolkigen Horizont. Irgendwo schrie die Sirene einer Lokomotive. Sie erschreckte die stumm gehenden Männer aus den quälenden Gedanken. Sie zögerten und sahen sich verzweifelt an.
„Los, weiter!"
Franz Kreusat stieß einen Seufzer aus. Er schüttelte den hämmernden Kopf.
Sie waren in der Stadt. Franz hoffte nicht mehr. Sie sahen nur Uniformen und die scheuen oder neugierigen Gesichter der Einwohnerwehr. Als sie einen Teil der Viehhofer Straße durchschritten hatten, tauchte im Fahllicht des Mondes das Rathaus auf. Auf der hohen, breiten Treppe standen Uniformierte. Andere liefen in die angrenzenden Straßen. Alle waren schwerbewaffnet.
„Aaah!"
„Was sind das für Galgenvögel?"
„In Stoppenberg festgenommen!"
„Bewaffnet?"
„Jawoll!"
„Los, rein!"
Unter Stößen stolperten die Verhafteten die Treppe hinauf. „Hände hoch! Wollt ihr die Knochen heben!" Im Korridor standen die Grünen Spalier, mit Gummischläuchen und Knüppeln.
„Marsch!"
Die Gummischläuche sausten auf Franz' Kopf, auf seinen geduckten Rücken, auf die zum Schutz vorgehaltenen Hände und Arme.
„Willst du laufen, du rotes Schwein!" - Und wieder Schläge.
Miller ging fast aufrecht hindurch. Sein Gesicht blutete.
Er ging trotzdem nicht schneller. Die Grünen brüllten: „Willst du laufen?"
Miller taumelte, er lief aber nicht. „Ruhig, Genossen", sagte er zu den anderen, „wenn wir Angst zeigen, werden sie uns totschlagen."
Auch Franz Kreusat richtete sich wieder auf. In seine Augen floss das Blut von dem zerschlagenen Kopf: „Ruhig, ruhig, Franz", ermahnte er sich selber. „Einmal muss es ein Ende haben!"
Er hatte sich bei dem letzten Schlage die Zunge zerbissen. Die lag dick in seinem Mund, der sich mit Blut füllte.
Er spuckte das Blut aus.
Der Grüne schlug ihn wieder ins Gesicht. Das Blut tropfte auf seinen Rock. Er wurde in einen Raum wie in eine Zelle hineingetreten. In einer Ecke stöhnte Buskühl. Auch Miller stand da. „Ich bin schuld", sagte er. „Ich habe den Schergen noch Menschlichkeit zugetraut."
Durch die finstere Essener Straße gingen Jupp Zermack, Raup und einige andere. Sie bogen nach dem Salkenberg ein, wo Kramm mit seinen Leuten wartete. Raup und Zermack hatten durch die Katernberger die Nachricht bekommen, dass die Hagener mit den Dortmunder und Bochumer Kumpels auf Gelsenkirchen marschierten.
In der Mühlenkuhle - einem Brachland - hatten sich etwa fünfzig Mann versammelt. Schon von weitem drang das Gemurmel der Ungeduldigen herüber. Ein Posten hielt die Kommenden an.
„Ich bin es, Zermack!"
„Na, habt ihr euch zu etwas entschieden?" empfing ihn Kramm.
Zermack erzählte, was ihm von den Katernbergern berichtet worden war, und befahl: „Verteilt euch mit den Gewehren am Bahndamm und lasst keinen der Blauen oder andere Spione mehr auf den Salkenberg kommen." Er ließ an der Brücke, die über die Ernestinenstraße führte, und an der Straßenkreuzung nach Frillendorf Wachen aufstellen. Christian Wolny legte sich mit seinem Maschinengewehr und einigen Leuten in eine Grube, aus der er die Essener Straße überschauen konnte.
Zermack ging darauf mit Raup auf Umwegen nach der Mittelstraße, wo die Zollvereiner warteten, und gab auch denen Anweisungen, alles, was sie erreichten, zu alarmieren.
Die Katernberger wollten gleich wieder einen Kurier schicken, wenn Neues zu melden war.
„Merkst du nicht", bemerkte Zermack, als er mit Raup querfeld nach der Grabenstraße ging, „die Blauen lassen sich heute merkwürdigerweise nicht sehen!"
„Die haben ein schlechtes Gewissen!" lachte Raup ergrimmt. „Sie ahnen, dass es jetzt Ernst wird, und spielen wieder die Lämmer!"
Es begann schon wieder zu dämmern. Zermack besann sich, dass die Kreusats noch nichts von der Verhaftung ihres Jungen wussten, und er entschloss sich, wenn auch schwer, dieses den beiden alten Leuten zu sagen.
Mutter Kreusat wartete. Jeden Augenblick lag sie im Fenster und spähte hinaus. Bei jedem Aufknarren der Treppe lief sie mit der Petroleumlampe raus, in der Meinung, dass Franz käme. So ging es bis in den grauen Morgen hinein. Da konnte sie die Sorge nicht mehr mit sich allein schleppen. Sie trat an ihres Mannes Bett und rüttelte ihn: „Hörst du, Martin! Der Junge ist noch nicht hier! Es ist schon Morgen, was mag mit ihm los sein?"
Kreusat sah sie wach an.
„Der Franz ist noch nicht zu Haus!" weinte sie. Er brummte: „Er wird schon noch kommen, er ist alt genug, um nach Haus zu finden!" Er legte sich auf die andere Seite.
„Dass du so gleichgültig bist", jammerte sie, „du schläfst, und ich zerbreche mir den Kopf, wo er steckt." Sie ging seufzend in die Küche. Kreusat hatte nicht geschlafen. Auch er hatte die ganze Zeit mit der Sorge gekämpft, wo der Junge so lange blieb. Er stand auf, zog sich an und ging in die Küche.
Da kam Zermack. Als Mutter Kreusat begriff, dass Franz verhaftet sei, fing sie an, laut zu jammern: „Dann lebt er nicht mehr. Ich ahne, dann lebt er nicht mehr!"
„Sei ruhig!" sagte der alte Mann, dem selber das Erschrecken im Gesicht stand, „er wird schon wiederkommen. Und wenn's schlimmer ist", sagte er schwer, „dann müssen wir uns auch damit abfinden, wir haben uns ja auch abfinden müssen, als sie ihn dir in den Krieg holten. Aber ich hoffe noch, dass er kommt!"
„Er kommt wieder, seid ruhig!" beruhigte auch Zermack die alte Frau. „Und wenn wir die Verhafteten mit den Gewehren herausholen müssen, wir werden euch den Jungen wiederbringen!"
„Und ich werde, wenn's sein muss, auch noch mitgehn", sagte Kreusat grollend. „Ja, ich alter Mann werde mitkommen und meinen Sohn wiederholen!"
Zermack drückte ihm die Hand. „Das lass unsre Sorge sein, Martin. Der Junge ist uns ebensoviel wert wie dir. Vielleicht haben wir ihn schon heute oder schon morgen wieder frei, verlasst euch darauf!"
Zermack hatte sich der schweren Pflicht entledigt und ging wieder zu Fritz Raup. Er horchte draußen auf. Aus der Richtung von Gelsenkirchen fielen mehrere Schüsse. Er ging eiliger, um mit Raup die wartenden Kumpels zu verständigen, dass ihre Stunde heranrückte.
Die Wanduhr in der Wachstube schlug siebenmal. Die Verhafteten waren steif und todmatt von dem Stehen und Auf-die-Wand-Stieren. Es war eine furchtbare Nacht. Dieses Hinhören nach der Stadt, dieses Warten. Worauf? Man wusste es nicht. Wenn diese Ungewissheit noch länger so anhielt, musste man wahnsinnig werden. Sie waren noch mehrere Male in der Nacht geschlagen worden; die Grünen wollten durchaus erfahren, was sie in dieser Nacht vorgehabt hatten. Weil keiner von ihnen etwas verriet, war ihnen Erschießen in Aussicht gestellt worden.
Franz Kreusat sah schräg nach Miller. Der stand mit geschwollenem, fremdem Gesicht starr und still, als schliefe er mit offenen Augen. Bewegte sich Franz, war der wütende Schmerz wieder da. Nur einen Tropfen Wasser! Der Wunsch quälte ihn seit Stunden.
Auch die anderen Gefangenen plagte der Durst. Franz hörte Buskühl reden. „Ich ersticke!"
Franz Kreusat hatte einmal einen der Grünen um Wasser gebeten. „Das gibt es nicht!" schrie der Grüne. „Wasser kriegste, wenn du sagst, was ihr die Nacht vorhattet!"
Der andere Zollvereiner hustete trocken. Er blickte zu den anderen hin. „Eine Ewigkeit dauert's! Ich falle bald um - verflucht!"
Die Grünen passten trotz ihrer Schläfrigkeit auf. Der Essener Genosse taumelte im Halbschlaf hin und her.
Er mühte sich, nicht umzufallen. Auch der Buskühl stöhnte.
Der Essener Genosse war ein schmaler, blasser Mann mit den ausdrucksvollen Zügen eines Gelehrten. Die Grubenluft hatte früh die Farbe der Jugend aus seinem Gesicht gesogen. In den müden Augen, die sich zuweilen ermutigend Miller oder Franz zuwandten, brannte Fieber.
Einer von den Grünen gähnte krächzend und machte die Blendladen auf. Grau-trübes Licht kroch in den dunstigen Raum. Der kalte Luftzug berührte die brennenden Gesichter, kühlte die aufgeschlagenen Wunden. Der Morgen weckte sie aus der Erstarrung.
„Es ist Tag!" sagte sich Franz. „Was kommt jetzt?" Der Morgen -, ging es wohl auch durch die Gedanken der anderen Genossen.
„Na, ausgeschlafen?" - Ein Stoß traf Franz Kreusats Rücken. Es stieg heiß in seinen Kopf. „Das Ende!"
„Kehrt!" Sie drehten sich schwerfällig herum. Zwinkerten, da ihre Augen das plötzliche Licht nicht vertragen konnten. Auf der Pritsche wälzten sich die verschlafenen Grünen. Sie gähnten und sahen feindselig nach den Gefangenen.
„Wegen euch, ihr Schweine, muss man sich hier herumdrücken!" -„Wartet! Die Kugel ist euch sicher!" sagte einer. Sie holten frisches Wasser herein und tranken. Das Wasser floss ihnen die Mundwinkel herab, tropfte auf den schmutzigen Fußboden. Franz hätte gern die Tropfen aufgesogen, die da herabfielen. Buskühl bat um einen Schluck.
„In die Fresse kannste eine kriegen!" sagte der Grüne, der zuletzt getrunken hatte, und wollte ihm den Krug wütend ins Gesicht schlagen.
„Na, gib ihm schon was!" sagte ein anderer. Buskühl griff nach dem Krug.
„Nein!" schrie der erste: „Sie sollen reden, was sie diese Nacht vorhatten!" Er stellte den Krug fort. Der andere Polizist zuckte mit den Schultern und machte den Gefangenen eine verstohlene Gebärde; es sollte wohl heißen: „Ich trage keine Schuld!"
Der Wachthabende sah nach Miller. Der war einen Schein blasser, doch noch ebenso ruhig wie vor Stunden. „Noch immer nicht überlegt?" fragte der Grüne.
„Ich habe nichts zu überlegen!" erwiderte Miller.
„Sie könnten freikommen!" Miller gab keine Antwort.
„Hat keinen Zweck!" brummte ein anderer Grüner. „Wenn sie das Maul nicht aufmachen, kriegen sie eine gebrannt!"
„Dann müsst ihr euch beeilen, dass euch nicht andere zuvorkommen!" sagte Miller. Er war merklich verwandelt und fand selbst in der furchtbaren Lage den Mut, den Grünen öfters in dieser Weise zu antworten.
Die anderen stöhnten nicht mehr. Sie standen mit aufeinandergebissenen Zähnen da. Mag kommen, was will! Franz Kreusat beschäftigte sich mit dem Gedanken, dass er sterben müsste. Er dachte ganz ernsthaft, dass man sie erschießen würde. Es wird wohl unser Ende sein. Hatte er es sich nicht oft im Felde, in den irrsinnig geführten Offensiven gewünscht, als er hoffnungslos inmitten der zerrissenen toten und ächzenden, sterbenden Soldaten lag? Als die Schützengrabengongs wimmerten: Gasalarm! - und er mit seiner undichten Maske an den Leichen herumkroch, um eine gute zu finden?
Ja, da erschien ihm oft der Tod wie eine Erlösung. Der Tod konnte nicht entsetzlicher sein als das unendliche Grauen des Krieges. Damals dachte Franz, trotz seiner Jugend, recht ernsthaft an den Tod. Sterben - Sterben? Nein! Nein! Therese, die Mutter - nein!
Er hörte zum Fenster hin. Hart knallten die nagelbeschlagenen Stiefel der um das Rathaus postierten Polizisten auf den Steinen. Harte, befehlende Stimmen, ein „Jawoll" oder Hackenklappen. Sonst nichts. Keine frohen, gesprächigen Menschen, kein sorgloser Gruß oder Mädchenlachen. Belagerungszustand! Schweigen - warten! Ein schreckliches, unheimliches Warten!
Einige der Polizisten kamen herein, flüsterten untereinander. Ihre Gesichter waren nicht mehr so zuversichtlich. Sie schienen besorgt zu sein. Franz Kreusats Ohren nahmen Wortfetzen auf: „Dortmunder" - „Auch aus Bochum" - „Polizei entwaffnet".
„Idiotie! Parolen!" sagte einer der Grünen und stieß ein gedrücktes Lachen aus.
„Nein", sagte der von draußen. - „Es soll wahr sein!" Miller stieß Franz Kreusat an: „Hast du verstanden?" Franz nickte.
„Bitte keine Unterhaltung, Herrschaften!" drohte der Wachthabende. An seiner Stimme merkten sie Unruhe. Da kam wieder ein Grüner herein: „Komm mal mit!" winkte er Franz Kreusat. Franz sah Miller bestürzt an und ging vor dem Grünen hinaus. Es ging durch den halbdunklen Korridor, dann rechts in einen anderen Raum.
„Hier ist einer der Stoppenberger, Herr Leutnant!" meldete der Polizist in strammer Haltung an der Tür und stieß Franz nach vorn. Es war der Offizier mit dem Monokelgesicht, der ihn schon einmal während der Nacht verhört hatte. Er sah bleich und nicht gerade mutig aus.
„Was planten Sie in der vergangenen Nacht?"
„Nichts!"
„Schwindle nicht, mein Junge!" Das spitze Gesicht zuckte nervös. Die schmalen Hände spielten mit einem Lineal. „Sage die Wahrheit!"
Franz Kreusat antwortete nicht mehr. Der Offizier stand auf und warf einen Blick zum Fenster. Draußen ratterte ein Motorrad. Franz Kreusat hörte aufgeregte Stimmen und Flüche. Er strengte sich an, den Wortwechsel zu verstehen. Er hörte: „Sie ziehen nach Gelsenkirchen - zum Flugplatz!"
Eine Ordonnanz stürzte ins Zimmer. „Herr Leutnant... !" Der Offizier schnitt ihm das Wort mit einer Handbewegung ab. „Nicht hier!"
Sie gingen auf den Korridor hinaus. Franz hörte aufgeregtes Sprechen. Der Grüne an der Tür merkte, dass Franz zuhörte, und schrie ihn an: „Pass auf, du Schwein! Ich horch'dir bald!"
Dann kam der Leutnant wieder herein. Er war blass und schien verwirrt. Um den dünnen Mund zuckte es. Er gab dem wartenden Grünen einen Wink: „Ab! Die Gefangenen sofort abtransportieren!"
Der Grüne sah ihn erstaunt an.
„Los, blöden Sie nicht!" schrie ihn der Leutnant an. „Los, weg!"
Der Grüne lief mit Franz wieder in den anderen Raum. Auch hier herrschte unter den Grünen steigende Unruhe. Sie machten sich marschfertig. Ihr ganzes Verhalten verriet Unsicherheit.
„Freut euch nur nicht!" drohte der Wachthabende den Gefangenen. „Wir sind noch nicht soweit! Die Ladung ist euch trotzdem sicher. Wenn ihr hier heil wegkommt, fress' ich einen Besen."
Franz Kreusat hatte aus den wirren Gesprächen erraten können: Die Arbeiter marschieren auf Essen zu und entwaffnen überall die Polizei!
Buskühl sagte erstickt: „Jetzt kriegen wir eine Kugel!"
Der Essener Genosse antwortete irgendwie sicher: „Jetzt nicht mehr."
Mehrere Grüne kamen und stießen sie hinaus. Wie bei der Einlieferung: überall das grüne Spalier. „Los! Eilig!" Wieder Schläge. Auf die zerschlagenen Knochen wieder Schläge und nochmals Schläge.
Hinter Franz Kreusat schrie Buskühl. Ein Grüner hatte ihn mit dem Gewehrkolben die Treppe hinabgestoßen.
„Los, auf! Hände hoch! Marsch!"
Ein Lastkraftwagen wurde angehalten. „Los, hinein!" Die Gefangenen wurden hineingestoßen. Die Grünen stiegen mit auf.
„Los, kniet euch hin!" befahl der Führer. Die Gefangenen mussten sich ducken. In den Straßen, durch die sie fuhren, wohnten anscheinend Arbeiter. Die Grünen wollten wohl nicht, dass die Gefangenen gesehen wurden. Sie hatten Angst vor den stillen Häusern.
Vollgepackte Lastwagen rasten nach dem Stadtinnern. Oben auf dem Führerkasten standen Maschinengewehre. Abteilungen der Grünen marschierten wie bei einer Mobilmachung. Die stumpfen, roten Gesichter verrieten Angst.
Oben in Rüttenscheid, an der Klarastraße, mussten sie aussteigen. Der Führer der Abteilung machte eine Handbewegung nach rechts. Die frische Märzluft belebte sie. Es war wie ein wohltuendes Bad nach harten, schmutzigen Stunden. Es durchströmte die steifen Glieder. Ganz tief, wie ein zitternder schwacher Funke, glomm auch in Franz Kreusat neue Hoffnung. Die Straßen waren breit und mit Bäumen bepflanzt, von hohen vornehmen Villen spaliert, an deren Haustüren weiße und messingne Schildchen hingen. Die Dächer waren bekuppelt und betürmt. Weiter im Vordergrund der Straße erhob sich das große Gerichtsgebäude, graue Quadern, ernst, hart und wuchtig.
In den Kupferteilen der Bedachung spiegelte sich die Märzsonne.
Ein wenig seitwärts stand ein gleichförmiges Ziegelgebäude mit Gitterfenstern, von der Außenwelt durch eine hohe Mauer mit eisernen Toren getrennt: das Untersuchungsgefängnis ! „Der Haumannshof!" sagte Miller. „Ihr kommt vor das Kriegsgericht!" drohte der sie begleitende Offizier voller Hass und zerschlug die winzige Hoffnung in den Gefangenen.
„Ruhig, wir kommen noch raus!" hoffte der Essener Genosse, als sie durch das knarrende Tor und den kalten, lichtlosen Gefängnishof gingen. Dann - Franz hörte irgendwo eine Sirene, lang und laut - schloss sich die dicke Tür einer Zelle hinter ihm.

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