Verwandlung
»Du musst dich gänzlich umgestalten«, schrieb Ernst mir. »Du musst aufhören, zu sein. Du musst eine andere Frau werden — und zwar nicht nur in deiner Kleidung, sondern in deiner Haut unter den Kleidern. Du musst dich so umgestalten, dass selbst ich dich nicht wieder erkennen würde — deine Stimme, deine Gesten, deine Gewohnheiten, deine Haltung, deinen Gang, alles.«
Ich gehorchte diesem Befehl. Stundenlang übte ich mich täglich, die alte Avis Everhard unter der Haut einer anderen Frau, die ich mein anderes Ich nennen möchte, zu begraben. Erst nach langer Übung konnte ich einen Erfolg verzeichnen. Meine Stimme übte ich fast ununterbrochen, bis sie die feste Tonhöhe meines neuen Ichs erhielt. Die automatische Anpassung an meine Rolle war unbedingt notwendig. Man musste sich hineinleben, als gelte es, sich selbst zu täuschen. Es war, als ob man eine neue Sprache, sagen wir Französisch, lernt. Zunächst ist das Französischsprechen lediglich etwas Bewusstes, ein Willensakt. Der Studierende denkt englisch, übersetzt dann ins Französische, oder er liest französisch und übersetzt es, um es verstehen zu können, ins Englische. Wenn der Schüler aber erst eine feste Grundlage hat, liest, schreibt und denkt er französisch, ohne seine Zuflucht zum Englischen nehmen zu müssen.
Und ebenso ging es mit unseren Verstellungen. Wir mussten so lange üben, bis uns die angenommenen Rollen in Fleisch und Blut übergingen und eine wachsame, strenge Willensübung erforderlich gewesen wäre, um das ursprüngliche Ich wieder anzunehmen. Natürlich war vieles zuerst nur ein ungeschickter Versuch. Wir schufen eine neue Kunst, und da mussten wir vieles entdecken. Aber wir machten doch Fortschritte; wir entwickelten uns zu Meistern in dieser Kunst und sammelten einen Schatz von Kniffen und guten Hilfsmitteln. Dieser Schatz wurde eine Art Lehrbuch, das in der Schule der Revolution Verwendung fand(1).
In dieser Zeit verschwand mein Vater. Seine Briefe, die ich bisher regelmäßig erhalten hatte, blieben aus. Er erschien nicht mehr in unserer Wohnung in der Pellstreet. Unsere Genossen suchten ihn überall. Durch unseren Geheimdienst ließen wir alle Gefängnisse des Landes durchforschen. Aber er war so vollkommen verschwunden, als hätte ihn die Erde verschlungen, und bis auf den heutigen Tag haben wir nichts entdeckt, was Aufschluss über sein Ende geben könnte(2).
Sechs einsame Monate verbrachte ich an meinem Zufluchtsort, aber wir waren nicht müßig. Unsere Organisation machte sichtlich Fortschritte, und es gab immer Berge von Arbeit, die erledigt werden musste. Ernst und die anderen Führer gaben von den Gefängnissen aus Anweisungen, was geschehen sollte, und wir draußen hatten für die Ausführung zu sorgen. Es handelte sich dabei um die Organisation der mündlichen Propaganda, die Organisation des Spionagesystems mit all seinen Verzweigungen, die Einrichtung unserer geheimen Druckereien, ferner den Ausbau unserer unterirdischen Verbindungen; letzteres bedeutete das Zusammenfügen unserer unzähligen Zufluchtsplätze und die Bildung neuer Zufluchtsorte, wo in der Kette, die das ganze Land umschloss, Glieder fehlten.
Allerdings wurde die Arbeit nie zu Ende geführt. Nach Ablauf von sechs Monaten wurde meine Einsamkeit durch die Ankunft zweier Kameradinnen unterbrochen. Es waren mutige, von leidenschaftlicher Freiheitsliebe beseelte junge Mädchen: Lora Peterson, die im Jahre 1922 verschwand, und Kate Bierce, die später Du Bois(3) heiratete und heute noch zu uns gehört, und die ihre Augen zu der Sonne von morgen erhebt, welche die neue Zeit verkündet.
Die beiden jungen Mädchen trafen ein in einem Wirrwarr von Aufregung, Gefahr und Schrecken. In der Gesellschaft auf dem Fischerboot, das sie über die San-Pablo-Bucht brachte, befand sich ein Spion, ein Spitzel der Eisernen Ferse, der mit Erfolg die Maske eines Revolutionärs angelegt hatte und tief in die Geheimnisse unserer Organisation eingedrungen war. Zweifellos war er mir auf der Spur, denn wir wussten seit langem, dass mein Verschwinden dem Geheimdienst der Oligarchie schwere Sorge machte. Glücklicherweise hatte er seine Entdeckungen, wie sich herausstellte, keinem enthüllt. Er hatte offenbar seine Meldung verzögert, weil er lieber warten wollte, bis er alles zu einem erfolgreichen Ende gebracht hatte, und zwar durch Auffindung meines Verstecks und meine Festnahme. Sein Wissen starb mit ihm. Als die jungen Mädchen am Petaluma landeten und zu Pferde gestiegen waren, verschwand er vom Boote.
Auf dem Wege nach den Sonoma-Bergen übergab Carlson den jungen Mädchen sein Pferd, ließ sie allein weiterreiten und ging selbst zu Fuß zurück. Sein Argwohn war erregt worden. Er fing den Spion und gab uns über das, was weiter geschah, aufrichtigen Bescheid.
»Ich habe ihn erledigt«, lautete Carlsons kaltblütige Schilderung. »Ich habe ihn erledigt«, wiederholte er, wobei sich seine mächtigen, arbeitsharten Hände beredt öffneten und schlössen. »Er machte gar keinen Lärm. Ich erschlug ihn, und heute abend gehe ich zurück und scharre ihn ein.«
In dieser Zeit musste ich oft staunend über meine Veränderung nachdenken. Manchmal erschien es mir unmöglich, dass ich, die ich einst ein ruhiges, friedliches Leben in einer Universitätsstadt geführt hatte, nun eine Revolutionärin geworden war, der Gewalt und Tod kein Schrecken mehr boten. Eines oder das andere war unmöglich. Das eine war Wirklichkeit, das andere Traum; aber welches? War das jetzige Leben im Höhlenversteck ein schwerer Alp? Oder war ich eine Revolutionärin, die irgendwie, irgendwo geträumt hatte, in einem früheren Dasein in Berkeley gelebt und nie ein Leben gekannt zu haben, das stärkere Reize bot als Tee und Tanz, gesellschaftliche Unterhaltung und Lesezirkel? Aber dann denke ich wieder, dass so alle fühlen mussten, die sich unter dem Banner der menschlichen Brüderlichkeit gesammelt hatten.
Oft dachte ich an Gestalten aus jenem anderen Leben, und merkwürdigerweise kamen und gingen sie hin und wieder auch in meinem neuen Leben. Bischof Morehouse zum Beispiel. Nachdem unsere geheime Organisation sich entwickelt hatte, hatten wir vergebens nach ihm geforscht. Er war von einer Anstalt in die andere verschleppt worden. Wir verfolgten seine Spur von der staatlichen Irrenanstalt in Napa bis zu der in Stockton, und von hier nach Agnews im Santa-Clara-Tal, dort aber verlor sie sich. Eine Urkunde über seinen Tod war nicht zu finden. Er musste irgendwie entkommen sein. Ich ahnte nicht, unter welch traurigen Verhältnissen ich ihn noch einmal wieder sehen sollte — ganz flüchtig in dem wilden Gemetzel der Chicagoer Kommune.
Jackson, der seinen Arm in den Sierra-Spinnereien verloren hatte, und der die Ursache gewesen war, dass ich Revolutionärin wurde, habe ich nie wieder gesehen. Aber wir alle wussten, was er tat, ehe er starb. Er schloss sich nie den Revolutionären an. Erbittert durch sein Schicksal, über das ihm zugefügte Unrecht brütend, wurde er Anarchist — kein philosophischer, sondern ein rein tierischer, von Hass und Rachgier toller Anarchist. Und er hat fruchtbare Rache geübt. Nachts, als alles schlief, schlich er sich trotz der Wächter in den Palast Pertonwaithes und sprengte ihn in Atome. Niemand entkam. Nicht einmal die Wächter. Und im Gefängnis, wo er sein Urteil erwartete, erstickte er sich unter seinen Decken.
Ganz anders als das Schicksal Jacksons war das von Doktor Hammerfield und Doktor Bailingford. Sie wandelten weiter ihre alten Bahnen und wurden entsprechend mit kirchlichen Palästen belohnt, in denen sie heute noch in Frieden mit der Welt wohnen. Beide sind Verteidiger der Oligarchie, beide sind sehr dick geworden. »Doktor Hammerfield«, sagte Ernst einmal, »hat seine Metaphysik mit Erfolg so gedreht, als ob Gott die Eiserne Ferse gutheiße; er betet auch die Schönheit an und verwandelt das von Haeckel beschriebene, gestaltlose Wirbeltier in ein unsichtbares Gespenst. Der Unterschied zwischen ihm und Doktor Ballingford ist, dass der letzten Endes den Gott der Oligarchen noch etwas gestaltloser gemacht und mit weniger Rückenwirbeln versehen hat.«
Eine große Überraschung bereitete uns allen Peter Donnelly, der elende Werkmeister der Sierra-Spinnereien, den ich aus Anlass meiner Untersuchung des Falles Jackson kennen lernte. Im Jahre 1918 wohnte ich einer Versammlung der »Frisko-Roten« bei. Von allen unseren Kampfgruppen war dies die furchtbarste, wildeste und erbarmungsloseste. Eigentlich war sie kein Zweig unserer Organisation. Ihre Mitglieder waren Fanatiker, Wahnsinnige. Solchen Geist wagten wir nicht zu ermutigen. Wenn sie aber auch nicht zu uns gehörten, so unterhielten wir doch freundschaftliche Beziehungen zu ihnen. Es war eine Angelegenheit von Leben und Tod, die mich damals zu ihnen führte. Unter den vielen Männern war ich allein nicht maskiert. Nachdem die Angelegenheit, die mich hingeführt hatte, erledigt war, wurde ich von einem der Mitglieder fortbegleitet. In einem dunklen Gange zündete er ein Streichholz an, hielt es sich vor das Gesicht und schob seine Maske zurück. Ich sah einen Augenblick in die von Leidenschaft verzerrten Züge Peter Donnellys. Dann erlosch das Streichholz.
»Ich wollte nur, dass Sie mich erkennen sollten«, sagte er in der Dunkelheit. »Erinnern Sie sich noch an Dollas, den Generaldirektor? «
Ich nickte. Ich erinnerte mich noch gut an den fuchsäugigen Leiter der Sierra-Spinnereien.
»Den hab' ich zuerst gekillt«, sagte Donnelly stolz, »gleich nach meinem Eintritt bei den Roten.«
»Wie kommt es, dass Sie hier sind?« fragte ich. »Ihre Frau und Kinder?«
»Tot«, antwortete er. »Das ist der Grund. Nein«, fuhr er hastig fort, »es ist nicht Rache für sie. Sie starben ruhig in ihren Betten — Krankheit, wissen Sie, eines nach dem andern. Solange sie lebten, banden sie mir die Hände. Aber jetzt, da sie dahin sind, suche ich Rache für meine verdorrte Manneskraft. Einst war ich Peter Donnelly, der elende Werkmeister. Heute nacht aber bin ich Nummer siebenundzwanzig von den >Frisko-Roten<. Kommen Sie, ich will Sie jetzt hinausführen.«
Später sollte ich mehr von ihm hören. Er hatte auf seine Art die Wahrheit gesprochen, als er sagte, dass alle tot seien. Aber einer lebte, Timotheus, und er war für den Vater tot, weil er im Söldnerheer der Eisernen Ferse diente(4) Jedes Mitglied der »Frisko-Roten« war verpflichtet, zwölf Todesurteile jährlich zu vollziehen. Auf Misslingen stand Todesstrafe Ein Mitglied, das die Zahl nicht erreichte, beging Selbstmord. Die Vollstreckungen erfolgten nicht zufällig. Diese Gruppe Wahnsinniger kam häufig zusammen und fällte dann in Bausch und Bogen Urteile über missliebige Mitglieder und Diener der Oligarchie. Die Vollstreckung wurde durch das Los zugeteilt. Tatsächlich war der Grund, dass ich in jener Nacht hinging, dass ich einem solchen Gericht beiwohnen wollte. Einer unserer Genossen, der sich jahrelang im örtlichen Geheimdienst der Eisernen Ferse bewährt hatte, war dem Bann der »Frisko-Roten« verfallen und verurteilt worden. Natürlich war er nicht anwesend, und natürlich wussten seine Richter nicht, dass er einer der Unseren war. Meine Aufgabe war es, seine Identität und Treue zu bezeugen. Man wundert sich vielleicht, dass wir überhaupt von der ganzen Angelegenheit Kenntnis erhielten. Die Erklärung ist einfach. Einer unserer Geheimagenten war Mitglied der »Frisko-Roten«. Wir waren genötigt, Freund wie Feind im Auge zu behalten. Und diese Gruppe Wahnsinniger war uns bedeutend genug, um sie zu überwachen.
Aber zurück zu Peter Donnelly und seinem Sohn. Alles ging gut, bis Donnelly im folgenden Jahre auf der Liste der ihm zugeteilten Hinrichtungen den Namen Timotheus Donnelly fand. Da machte der Familiensinn, den er in so hohem Maße besaß, seine Rechte geltend. Um seinen Sohn zu retten, verriet er seine Genossen. Das gelang ihm nur zum Teil, aber ein Dutzend von den »Frisko-Roten« wurde hingerichtet und die Gruppe fast vernichtet. Zur Vergeltung verurteilten die Überlebenden Donnelly zum Tode, den er durch seinen Verrat verdient hatte.
Auch Thimotheus Donnelly lebte nicht mehr lange. Die »Frisko-Roten« verpflichteten sich, ihn hinzurichten. Die Oligarchie strengte alles an, um ihn zu retten. Er wurde von einem Teil des Landes in den anderen gebracht. Drei »Frisko-Rote« büßten bei dem fruchtlosen Versuch, ihn zu erwischen, ihr Leben ein. Die Gruppe bestand nur aus Männern. Schließlich nahmen sie ihre Zuflucht zu einer Frau, einer unserer Genossinnen, und zwar keiner anderen als Anna Roylston. Wir versagten ihr allerdings die Erlaubnis, aber sie hatte immer ihren eigenen Willen und hielt keine Disziplin. Sie war ein Genie und ein liebenswürdiges Wesen, aber Disziplin konnten wir ihr nie beibringen. Sie bildete eine Klasse für sich und kann nicht mit den Durchschnittsrevolutionären verglichen werden.
Trotz unserm Verbot nahm sie die Tat in Angriff. Anna Roylston war ein bestrickendes Weib. Sie brauchte einem Mann nur zu winken. Sie brach unzähligen unserer jungen Männer das Herz, und unzählige andere Männer bezauberte sie und führte sie auf diese Weise unserer Organisation zu. Aber sie weigerte sich standhaft, zu heiraten. Sie liebte Kinder zärtlich, meinte aber, dass ein eigenes Kind sie der Sache, der sie ihr Leben geweiht, entziehen würde.
Für Anna Roylston war es ein kleines, Timotheus Donnelly zu gewinnen. Ihr Gewissen bedrängte sie nicht, denn gerade damals fand das Massaker in Nashville statt, bei dem die Söldner unter dem Befehl Donnellys buchstäblich achthundert Weber jener Stadt ermordeten. Aber sie tötete Donnelly nicht. Sie übergab ihn als Gefangenen den »Frisko-Roten«. Das geschah erst vor einem Jahr, und jetzt hat man ihr einen neuen Namen gegeben. Überall nennen die Revolutionäre sie die »Rote Jungfrau«(5).
Zwei bekannte Persönlichkeiten, mit denen ich später zusammentraf, waren Oberst Ingram und Oberst Van Gilbert. Oberst Ingram stieg in der Oligarchie zu hohen Ehren und Würden auf. Er wurde Botschafter in Deutschland. Das Proletariat beider Länder hasste ihn aufrichtig. Ich traf ihn in Berlin, wo ich als beglaubigte internationale Spionin der Eisernen Ferse von ihm empfangen wurde und ihm manche Hilfe leistete. Nebenbei erwähne ich, dass ich in meiner Doppelrolle der Revolution einige wichtige Dienste leistete.
Oberst Van Gilbert wurde unter dem Namen der »Knurrer« bekannt. Am meisten trat er hervor, als er nach der Chicagoer Kommune das neue Gesetzbuch zusammenstellte. Schon vorher war wegen seiner teuflischen Bosheit als Untersuchungsrichter das Urteil über ihn gesprochen worden. Ich gehörte zu denen, die ihn verhörten und das Urteil fällten. Anna Roylston vollstreckte es.
Und noch eine Gestalt aus alten Zeiten steigt aus dem Dunkel hervor - der Verteidiger Jacksons. Am allerletzten hätte ich gedacht, dass ich diesen Mann, Joseph Hurd, je wieder sehen würde. Es war eine seltsame Begegnung. Zwei Jahre nach der Chicagoer Kommune kamen Ernst und ich eines Nachts spät an unserem Zufluchtsort in Benton Harbor an. Der lag in Michigan, über dem See von Chikago. Als wir eintrafen, war gerade das Verhör eines Mannes abgeschlossen. Das Todesurteil war gefällt, und der Spion sollte abgeführt werden. In diesem Augenblick kamen wir dazu. Da riss sich der Unglückliche von seinen Häschern los und stürzte sich mir zu Füßen. Seine Arme umpressten meine Knie wie ein Schraubstock, und er schrie rasend um Erbarmen . Als er mir das von Angst verzerrte Gesicht zuwandte, erkannte ich Joseph Hurd. Keiner von allen Schrecken, die ich je erlebt, hat so furchtbar auf mich gewirkt wie das Flehen dieses schreienden Geschöpfes um sein Leben. Er war toll. Es war zum Jammern. Er ließ mich nicht los, obgleich ein Dutzend Genossen an ihm zerrten. Als er schließlich schreiend fortgeschleppt wurde, sank ich ohnmächtig nieder. Es ist viel leichter, einen tapferen Mann sterben zu sehen, als einen Feigling um sein Leben winseln zu hören(6).
(1) Verkleidung wurde in dieser Zeit zu einer wirklichen Kunst. Die Revolutionäre unterhielten in all ihren Zufluchtsorten Schauspielschulen. Sie verachteten alles Zubehör wie Perücken und Barte, falsche Augenbrauen und ähnliche Hilfsmittel der Bühnendarsteller. Das Spiel der Revolutionäre war ein Spiel auf Leben und Tod, und derartige Hilfsmittel wären Fallen gewesen. Die Verkleidung musste grundlegend, innerlich, ein wesentlicher Bestandteil des eigenen Wesens sein, zur zweiten Natur werden. Von der Roten Jungfrau wird berichtet, dass sie eine der Geschicktesten in dieser Kunst gewesen sei. Diesem Umstand muss man ihre lange, erfolgreiche Laufbahn zuschreiben.
(2) Das Verschwinden von Menschen war einer der Schrecken jener Zeit. In Liedern und Erzählungen finden wir es immer wieder. Es war eine unvermeidliche Begleiterscheinung des unterirdischen Kampfes, der in diesen drei Jahrhunderten wütete, und kam beinahe ebenso häufig in der Oligarchie und den Arbeiterverbänden, wie in den Reihen der Revolutionäre vor. Ohne Warnung, spurlos verschwanden Männer, Frauen, ja selbst Kinder und wurden nicht mehr gesehen. Ihr Ende blieb in ein ewiges Dunkel gehüllt.
(3) Du Bois, der jetzige Bibliothekar von Ardis, stammt in gerader Linie von diesem revolutionären Paare ab.
(4) Außer den Arbeiterkasten entstand noch eine Kaste, die militärische. Ein stehendes Heer von Berufssoldaten wurde gegründet und von Mitgliedern der Oligarchie befehligt. Es trat an die Stelle der Miliz, die sich unter dem neuen Regime als unverwendbar erwiesen hatte. Außer dem regulären Geheimdienst der Eisernen Ferse wurde ein Geheimdienst der Söldner eingerichtet, die ein Bindeglied zwischen Polizei und Militär bildeten.
(5) Erst nach Unterdrückung der zweiten Revolution blühten die »Frisko-Roten« wieder auf. Zwei Generationen bestand die Gruppe. Dann gelang es einem Spitzel der Eisernen Ferse, sich bei ihr einzuschleichen, all ihre Geheimnisse kennen zu lernen und ihre völlige Vernichtung zu bewerkstelligen. Das geschah im Jahre 2002. Die Mitglieder wurden einzeln in Zwischenräumen von je drei Wochen hingerichtet und ihre Leichen in den Arbeitervierteln in San Franzisko ausgestellt.
(6) Der Zufluchtsort in Benton Harbor war eine Katakombe, deren Eingang durch eine Quelle bezeichnet wurde. Er ist heute noch gut erhalten, und der wissbegierige Besucher gelangt durch ein Labyrinth von Gängen in die Versammlungshalle, wo sich zweifellos die von Avis Everhard beschriebene Szene abspielte. Dahinter befinden sich die Gefängniszellen, in denen die Gefangenen eingesperrt wurden, und das kleine Zimmer, in dem die Hinrichtungen stattfanden. Weiter abwärts liegt ein Kirchhof — lange, gewundene, in den festen Fels gehauene Galerien mit Nischen zu beiden Seiten, in denen, Reihe an Reihe, Revolutionäre liegen, wie sie vor langen Jahren von ihren Genossen gebettet wurden. |
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