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Jack London - Die eiserne Ferse (1906)
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Die scharlachrote Livree

Mit der Zerstörung der Bauernstaaten verschwanden deren Abgeordnete aus dem Kongress. Sie wurden wegen Hochverrats angeklagt und ihre Sitze von Kreaturen der Eisernen Ferse eingenommen. Die Sozialisten befanden sich in einer kläglichen Minderheit, und sie wussten, dass ihr Ende nahe war. Kongress und Senat waren leere Vorwände und Farcen. Gemeinnützige Fragen wurden feierlich debattiert und nach den alten Regeln verabschiedet, während in Wirklichkeit alles, was geschah, nur darauf hinauslief, den Befehlen der Oligarchie den Stempel verfassungsmäßigen Verfahrens aufzuprägen.
Ernst befand sich im dichtesten Kampfgewühl, als das Ende kam. Es war in der Debatte über das Gesetz zur Unterstützung Arbeitsloser. Die schweren Zeiten des vergangenen Jahres hatten große Massen des Proletariats gänzlich verelenden lassen, und die fortdauernde, sich immer mehr ausbreitende Verwirrung ließ sie noch tiefer sinken. Millionen hungerten, während die Oligarchen und ihr Anhang übersättigt waren(1). Wir nannten diese verelendeten Massen das »Volk des Abgrunds«(2), und zur Linderung dieser schrecklichen Qualen hatten die Sozialisten ein Gesetz beantragt, das die Unterstützung der Arbeitslosen betraf. Doch das war nicht nach dem Sinn der Eisernen Ferse. Die traf zwar auf ihre Weise Vorbereitungen, diesen Millionen Arbeit zu geben, aber ihr Weg war nicht der unsere, und deshalb hatten sie Befehl erteilt, unseren Antrag niederzustimmen. Ernst und seine Genossen wussten, dass ihre Anstrengungen zwecklos waren, aber sie waren des Hinausschiebens müde. Sie wollten, dass etwas geschehen sollte. Sie wussten, dass sie nichts erreichen konnten, aber sie hofften wenigstens, dieser gesetzlichen Posse, bei der sie unfreiwillig mitspielen mussten, ein Ende zu machen. Wie das Ende sein würde, wussten sie nicht, aber ein schlimmeres als das, welches wirklich kam, hatten sie sicher nicht erwartet.
Ich saß an diesem Tage auf der Galerie. Wir wussten alle, dass etwas Furchtbares drohte. Es lag in der Luft und wurde durch bewaffnete Soldaten, die in Gliedern in den Gängen, und durch Offiziere, die gruppenweise an den Eingängen des Kongressgebäudes standen, unterstrichen. Die Oligarchie streikte. Ernst sprach. Er schilderte die Leiden der Arbeitslosen in der Absicht, irgendwie die Herzen und das Gewissen der Mitglieder des Hauses aufzurütteln. Aber die Demokraten und Republikaner grinsten und verhöhnten ihn, und es gab Lärm und Durcheinander. Ernst schlug plötzlich einen anderen Ton an.
»Ich weiß, dass keines meiner Worte Sie rührt«, sagte er. »Sie haben keine Herzen, die sich rühren lassen. Sie sind rückgratlose, schlaffe Geschöpfe. Sie nennen sich hochtrabend Republikaner und Demokraten. Es gibt keine republikanische Partei. Es gibt keine demokratische Partei. Es gibt keinen Republikaner oder Demokraten in diesem Hause. Sie sind Speichellecker und Schmeichler, Kreaturen der Plutokratie. Sie schwatzen in den Redewendungen einer vergangenen Zeit von Ihrer Freiheitsliebe und tragen dabei die scharlachrote Livree der Eisernen Ferse.«
Jetzt übertönten wildes Geschrei und die Rufe »Ordnung! Ordnung!« Ernsts Stimme, aber er blieb mit geringschätzigem Ausdruck stehen, bis der Lärm sich einigermaßen gelegt hatte. Er machte eine Handbewegung, als wolle er sie alle umfassen, wandte sich dann zu seinen Genossen und sagte:
»Hört das Bellen der gemästeten Bestien!«
Ein Höllenlärm brach los. Der Präsident rief zur Ordnung und warf einen erwartungsvollen Blick auf die Offiziere in den Türeingängen. Man hörte den Ruf »Empörung«, und ein großer, kugelrunder New-Yorker Abgeordneter brüllte Ernst das Wort »Anarchist« zu. Aber Ernst achtete nicht darauf. Er bebte vor Kampfeseifer, und sein Gesicht war wie das eines kämpfenden Tieres, aber er blieb kühl und gefasst.
»Vergessen Sie nicht«, sagte er so laut, dass er den Lärm übertönte, »dass das Proletariat, wenn Sie jetzt Mitleid mit ihm haben, eines Tages auch Mitleid mit Ihnen haben wird.«
Die Rufe »Empörer« und »Anarchist« verdoppelten sich.
»Ich weiß, dass Sie nicht für die Vorlage stimmen werden«, fuhr Ernst fort. »Sie haben von Ihren Herren den Befehl bekommen, dagegen zu stimmen. Und mich nennen Sie einen Anarchisten! Sie, die Sie die Volksregierung vernichtet haben und mit Ihrer scharlachroten Schmach schamlos auf öffentlichen Plätzen prunken, nennen mich einen Anarchisten. Ich glaube nicht an Feuer und Schwefel der Hölle, aber in einem Augenblick wie dem jetzigen tut es mir leid, dass ich ungläubig bin. Nein, in einem Augenblick wie dem jetzigen bin ich gläubig. Es muss eine Hölle geben, denn nirgends sonst könnte es möglich sein, Strafen, die Ihren Verbrechen angemessen wären, an Ihnen zu vollziehen. Solange Sie und Ihresgleichen leben, braucht das Weltall ein Höllenfeuer.«
In den Türeingängen gab es Bewegung. Ernst, der Präsident und alle Abgeordneten blickten dorthin.
»Warum rufen Sie nicht Ihre Soldaten herein und befehlen ihnen, ihre Arbeit zu tun?« fragte Ernst. »Sie würden Ihre Pläne schnell zur Ausführung bringen.«
»Es sind andere Pläne«, lautete die Antwort, »weswegen die Soldaten hier sind.«
»Unsere Pläne vermutlich«, höhnte Ernst. »Meuchelmord oder dergleichen.«
Aber bei dem Worte »Meuchelmord« brach der Lärm von neuem los. Ernst konnte sich kein Gehör verschaffen, blieb aber ruhig auf seinem Platz und wartete, dass Ruhe einträte.
Und da geschah es. Ich konnte von meinem Platz auf der Galerie nichts sehen als das Aufblitzen der Explosion. Der Donner erfüllte meine Ohren, und ich sah, wie Ernst in einer dichten Rauchwolke schwankte und fiel, und wie die Soldaten hereinstürzten. Seine Genossen sprangen auf, rasend vor Zorn und zu jeder Gewalttat bereit. Aber Ernst richtete sich einen Augenblick auf und hob die Arme, um Ruhe zu gebieten.
»Es ist ein Komplott«, warnte er seine Genossen. »Tut nichts, sonst seid ihr verloren.«
Dann sank er langsam nieder, und die Soldaten waren bei ihm. Im nächsten Augenblick wurden die Galerien geräumt, und ich sah nichts mehr.
Obwohl er mein Gatte war, wurde ich nicht zu ihm gelassen. Als ich meinen Namen nannte, wurde ich sofort festgenommen. Und gleichzeitig wurden alle in Washington anwesenden sozialistischen Abgeordneten verhaftet, selbst der unglückliche Simpson, der in seinem Hotel an Typhus erkrankt daniederlag.
Das gerichtliche Verfahren war kurz und bündig. Die Leute wurden verurteilt. Es war ein Wunder, dass Ernst nicht hingerichtet wurde. Seitens der Oligarchie war dies ein schwerer Fehler und ein kostspieliger dazu. Aber die Oligarchie war in jenen Tagen zuversichtlich. Sie war trunken von Erfolg und ließ sich nicht träumen, dass diese kleine Handvoll Helden die Kraft in sich hatte, die Grundfesten der Oligarchie zum Wanken zu bringen. Morgen, wenn die große Revolution ausbricht und die ganze Welt widerhallt von dem Tritt der Millionen, wird die Oligarchie, aber zu spät, erfahren, wie mächtig diese Heldenschar angewachsen ist(3).
Selbst Revolutionärin, und zwar eine, die in alle Hoffnungen, Sorgen und geheimen Pläne der Revolutionäre eingeweiht war, bin ich wie wenige in der Lage, die Anschuldigung zurückzuweisen, dass wir, die Sozialisten, die Schuld an der Bombenexplosion im Kongress tragen. Und ich kann rundweg, ohne Einschränkung und ohne einen Zweifel, erklären, dass die Sozialisten weder im Kongress noch außerhalb ihre Hand im Spiel hatten. Wer die Bombe warf, wissen wir nicht, nur das wissen wir sicher, dass wir es nicht taten.
Andererseits ist es klar, dass die Eiserne Ferse für die Tat verantwortlich zu machen ist. Wir können es allerdings nicht beweisen. Unsere Annahme beruht nur auf Mutmaßungen. Aber das wissen wir: Durch Geheimagenten der Regierung war dem Präsidenten mitgeteilt worden, dass die sozialistischen Abgeordneten ihre Zuflucht zum Terrorismus nehmen wollten, und dass sie den Tag" bereits festgesetzt hätten, an dem sie damit beginnen würden. Und dieser Tag war eben der, an dem die Explosion stattfand. Deshalb hatte man schon im voraus Truppen im Kapitol zusammengezogen. Da wir nichts von der Bombe wussten, da sie wirklich explodierte, und da sich die Behörden schon im voraus darauf vorbereitet hatten, ist die Annahme, dass die Eiserne Ferse davon wusste, nur zu berechtigt. Wir behaupten ferner, dass die Eiserne Ferse schuld an den Ausschreitungen trug, dass sie sie vorbereitet und begangen hat mit der Absicht, die Schuld auf uns zu wälzen, um uns zu vernichten.
Der Präsident gab allen Anwesenden im Hause, die die scharlachrote Livree trugen, den nötigen Wink. Sie wussten, dass der Gewaltakt geschehen würde, während Ernst sprach. Und um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir sagen, dass sie aufrichtig glaubten, die Sozialisten hätten diesen Gewaltakt ausgeführt. Bei der Verhandlung sagten mehrere, ebenfalls in ehrlicher Überzeugung, aus, dass Ernst sich angeschickt hätte, die Bombe zu werfen, dass sie jedoch zu früh explodiert sei! Natürlich hatten sie gar nichts dergleichen gesehen, aber in ihrer fieberhaften Angst bildeten sie sich ein, es gesehen zu haben. Das ist alles.
Es war, wie Ernst beim Verhör sagte: »Kann ein vernünftiger Mensch glauben, dass ich, wenn ich eine Bombe werfen wollte, dazu einen harmlosen kleinen Kanonenschlag verwenden würde? Er enthielt nicht genügend Pulver. Er machte eine Menge Rauch, verwundete aber keinen außer mir. Er explodierte gerade vor meinen Füßen, tötete mich aber nicht. Glauben Sie mir: Wenn ich Bomben werfe, dann gibt es Schaden. In meinen Petarden wird etwas anderes sein als Rauch.«
Von der Anklage wurde dagegen gefolgert, dass die Kraftlosigkeit der Bombe auf ein Versehen der Sozialisten zurückzuführen sei, ebenso wie ihre vorzeitige Explosion, die dadurch verursacht worden sei, dass Ernst seine Nerven verlor und die Bombe fallen ließ. Und zur Bekräftigung dieses Arguments bezeugten mehrere Abgeordnete, gesehen zu haben, dass Ernst mit der Bombe spielte und sie fallen ließ.
Von uns weiß keiner, wie die Bombe geworfen wurde. Ernst sagte mir, dass er sie den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie explodierte, vor seine Füße habe fliegen sehen. Er erklärte das vor Gericht, aber man schenkte ihm keinen Glauben. Die Eiserne Ferse hatte beschlossen, uns zu vernichten, und jeder Widerstand war nutzlos.
Man sagt, dass die Wahrheit stets an den Tag komme. Ich zweifle heute daran. Neunzehn Jahre sind vergangen, und trotz unserer unermüdlichen Anstrengungen haben wir nie herausbekommen, wer die Bombe geworfen hat. Zweifellos war es ein Spitzel der Eisernen Ferse, aber er ist der Entdeckung entgangen. Wir haben nie den leisesten Anhaltspunkt zu seiner Feststellung finden können. Und jetzt, nach so langer Zeit, bleibt nichts übrig, als die ganze Angelegenheit unter die Geheimnisse der Weltgeschichte zu reihen(4).

(1) Dieselben Zustände herrschten im neunzehnten Jahrhundert unter der britischen Herrschaft in Indien. Die Eingeborenen verhungerten zu Millionen, während ihre Herren ihnen die Frucht ihrer Arbeit raubten und einen ungeheuren Aufwand trieben sowie sich den ärgsten Ausschweifungen hingaben. In unserm erleuchteten Zeitalter müssen wir über viele Taten unserer Vorfahren erörtern, unser einziger Trost ist die Philosophie. Wir müssen das kapitalistische Stadium in der sozialistischen Entwicklung etwa mit dem frühen Affenstadium vergleichen. Die Menschheit musste bei ihrem Aufstieg aus dem Schlamm und Schleim des tief erstehenden organischen Lebens über diese Stufe hinweg. Es war unvermeidlich, dass viel Schlamm und Schleim haften blieb und nicht leicht abzuschütteln war.
(2) »Das Volk des Abgrunds« — ein Ausdruck, der von dem genialen H.G. Wells gegen Ende des 19. Jahrhunderts geprägt wurde. Wells war ein soziologischer Prophet von ebensoviel Vernunft wie Menschenliebe. Viele Bruchstücke seiner Werke sind uns überkommen, und zwei seiner größten Werke, »Vorahnungen« und »Menschheit im Werden«, sogar unversehrt. Schon vor den Oligarchen und Everhard dachte Wells an den Bau von Wunderstädten, wenn er sie auch in seinen Schriften nur als »Städte der Freuden« bezeichnete.
(3) Avis Everhard hielt es für ausgemacht, dass ihre Erzählung in ihrer eigenen Zeit gelesen werden würde, und unterließ es daher, den Ausgang des Gerichtsverfahrens wegen Hochverrats zu erwähnen. In dem Manuskript machen sich überhaupt viele ähnliche störende Auslassungen bemerkbar. Zweiundfünfzig sozialistische Abgeordnete wurden vor Gericht gestellt und alle schuldig befunden. Es ist merkwürdig, dass kein einziger zum Tode verurteilt wurde. Everhard und elf andere, unter ihnen Theodore Donneisen und Matthew Kent, erhielten lebenslängliches Zuchthaus. Die übrigen vierzig wurden zu Zuchthausstrafen zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahren verurteilt, während Arthur Simpson, der in dem Manuskript zu diesem Zeitpunkt als typhuskrank erwähnt wird, mit fünfzehn Jahren davonkam. Der Überlieferung nach soll er in der Einzelhaft verhungert sein, und diese harte Behandlung wurde durch seinen unnachgiebigen Trotz und seinen stolzen Hass gegen alle Diener des Despotismus erklärt. Er starb in Cabanas auf Cuba, wo drei seiner Genossen ebenfalls eingesperrt waren. Die zweiundfünfzig sozialistischen Abgeordneten wurden in militärischen Festungen, über die ganzen Vereinigten Staaten verstreut, eingesperrt. Thus, Du Bois und Woods wurden in Porto Rico eingekerkert, während Everhard und Merryweather in Alcatraz, einer Insel in der Bucht von San Franzisko.in einem Gebäude untergebracht wurden, das schon seit vielen Jahren als Militärgefängnis diente.
(4) Avis Everhard hätte viele Generationen leben müssen, um die Aufklärung dieses eigenartigen Mysteriums zu erfahren. Erst vor kaum hundert Jahren, also mehr als sechs Jahrhunderte nach ihrem Tode, wurde das Geständnis Pervaises in den Geheimarchiven des Vatikans entdeckt. Es ist vielleicht angebracht, ein wenig von diesem Geheimdokument zu erzählen, wenn es auch in der Hauptsache nur für den Historiker Interesse hat.
Pervaise war ein Amerikaner französischer Abstammung, der im Jahre 1913, wegen Mordes angeklagt, im New-Yorker Gefängnis lag und auf die Verhandlung wartete. Aus einer Beichte erfahren wir, dass er kein Verbrecher war. Er war heißblütig, leidenschaftlich, weichherzig, leicht zu rühren. In einem krankhaften Anfall von Eifersucht tötete er seine Frau — in damaliger Zeit etwas ganz Alltägliches. Pervaise war, wie er des langen und breiten in seiner Beichte erzählt, von Todesfurcht gepackt. Um dem Tode zu entgehen, würde er jede Tat begangen haben, und die politischen Agenten präparierten ihn, indem sie ihm versicherten, dass er bei der Gerichtsverhandlung seiner Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes kaum entgehen würde. Vorsätzlicher Mord war damals ein Kapitalverbrechen. Der oder die Schuldige wurde in einen eigens dazu konstruierten Todesstuhl gesetzt und unter Aufsicht von Ärzten durch den elektrischen Strom hingerichtet. Man nannte das Hinrichtung mittels Elektrizität, und sie war damals sehr volkstümlich. Anästhesie beim Zwangstod wurde erst später eingeführt.
Dieser gutmütige, aber gänzlich unbeherrschte Mann wurde, im Gefängnis schmachtend und nichts als den Tod erwartend, von den Spitzeln der Eisernen Ferse überredet, die Bombe im Kongress zu werfen. In seiner Beichte betonte er, dass man ihm gesagt hätte, die Bombe sei schwach und nicht lebensgefährlich. Das deckt sich mit der Tatsache, dass sie offenbar nur eine leichte Pulverladung enthielt, und dass sie zu Everhards Füßen explodierte, ohne ihn zu töten.
Pervaise wurde unter dem Vorwand, Reparaturen auszuführen, in eine der Galerien eingeschmuggelt. Der Zeitpunkt für das Werfen der Bombe wurde ihm überlassen, und er gesteht offen, dass er bei seinem Interesse für die Rede Everhards und bei der dadurch entstandenen allgemeinen Erregung seine Aufgabe fast vergessen hätte.
Zum Lohn für seine Tat entließ man ihn nicht nur aus dem Gefängnis, sondern bewilligte ihm sogar eine lebenslängliche Rente. Er sollte sie jedoch nicht lange genießen. Im September 1914 erkrankte er an Herzrheumatismus und starb nach drei Tagen. Vorher verlangte er noch nach dem katholischen Priester, Vater Peter Durban und beichtete ihm. Diese Beichte erschien dem Priester so wichtig, dass er sie zu Protokoll nahm und beschwören ließ. Was dann geschah, können wir nur vermuten. Das Dokument war sicher wichtig genug, um seinen Weg nach Rom zu finden, aber mächtige Einflüsse müssen sich geltend gemacht haben, so dass es unterdrückt wurde. Erst vor etwa hundert Jahren fand es Lorbia, der ausgezeichnete italienische Gelehrte, ganz zufällig bei seiner Durchforschung des Vatikans.
Heute besteht kein Zweifel mehr, dass die Eiserne Ferse verantwortlich war für die Bombe, die im Jahre 1913 im Kongress explodierte. Wenn die Beichte Pervaises auch nicht ans Licht kam, so konnte doch kein vernünftiger Mensch hieran zweifeln, denn die Tat, die zweiundfünfzig Abgeordnete ins Gefängnis! brachte, glich ganz den ändern Taten, die die Oligarchien und vor ihnen die Kapitalisten begingen.
So haben wir das klassische Beispiel von dem grausamen und leichtfertigen Justizmord an den unschuldigen so genannten Haymarket-Anarchisten in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in Chikago. Eine Kategorie für sich bildet das wohlerwogene Niederbrennen und Zerstören kapitalistischen Eigentums durch die Kapitalisten selbst (siehe Fußnote l auf Seite 157). Für solche Zerstörungen wurden oft Unschuldige bestraft.
In den Arbeiterunruhen des ersten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts — die Grubenarbeiter in den westlichen Distrikten erhoben sich gegen die Kapitalisten— wurde eine ähnliche, nur blutigere Taktik angewandt. Kapitalistische Spitzel sprengten den Bahnhof von Independance in die Luft. Dreizehn Menschen wurden dabei getötet — eine weit größere Anzahl verwundet. Und dann bezichtigten die Kapitalisten, die die gesetzgebende und gerichtliche Maschinerie des Staates Kolorado beherrschten, die Grubenarbeiter des Verbrechens und hätten sie fast überführt.
Romaines, wie Pervaise ein Werkzeug der Oligarchie, lag im Gefängnis eines ändern Staates, Kansas, und wartete auf seine Aburteilung, als die Agenten der Kapitalisten an ihn herantraten. Aber anders als im Fall Pervaise, wurde das Geständnis Romaines noch zu seinen Lebzeiten bekannt.
Zur selben Zeit ereigneten sich die Fälle Moyer und Haywood, zwei starker, furchtloser Arbeiterführer. Der eine war Vorsitzender, der andere Sekretär des westlichen Grubenarbeiterverbandes. Der Exgouverneur von Idaho war auf mysteriöse Art und Weise ermordet worden. Sozialisten und Grubenarbeiter legten das Verbrechen offen den Grubenbesitzern zur Last. Nichtsdestoweniger wurden, mit Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte und durch Verabredung der Gouverneure von Idaho und Kolorado, Moyer und Haywood ins Gefängnis geworfen und des Mordes bezichtigt. Diese Angelegenheit war es, die Eugene V. Debs, dem damaligen Führer der amerikanischen Sozialisten, folgende Worte entriss: »Die Arbeiterführer, die nicht zu bestechen oder einzuschüchtern sind, müssen in den Hinterhalt gelockt und ermordet werden. Das einzige Verbrechen Moyers und Haywoods war, dass sie unerschütterlich treu zur Arbeiterklasse hielten. Die Kapitalisten haben unser Land gestohlen, unsere Politik verdorben, unsere Rechtsprechung besudelt und uns mit ihren scharf beschlagenen Pferden überritten; jetzt wollen sie die morden, die sich verwerflicherweise ihrer brutalen Herrschaft nicht fügen wollen. Die Gouverneure von Kolorado und Idaho führen nur die Befehle ihrer Herren aus. Es heißt: Arbeit gegen Plutokratie! Führen sie den ersten Schlag, so werden wir den letzten austeilen.«

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