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K. Olectiv - Die letzten Tage von ... (1932)
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25. KAPITEL

Die Briefe von der "Roten Fahne" waren geschrieben und abgeschickt worden. Fritz und Käte hatten sie bekommen. Als sie sich abends trafen, stand dieses Thema natürlich im Vordergrund der Unterhaltung. "Hast du denn den Roman überhaupt gelesen? Ich habe ihn ausgeschnitten zu Hause, da kannst du ihn vollständig nachlesen, " meinte Fritz.
" Nicht nötig, " sagte Käte triumphierend. "Wenn mein Herr und Gebieter nicht Lust und Zeit genug hat, mir die "Rote Fahne" zu bringen -- ich habe sie seit einigen Wochen schon jeden Tag gekauft. Den Roman musste ich doch natürlich lesen. "
" Donnerwetter", Fritz staunte. "Na, desto besser. " Aber Käte hatte doch ein bisschen Bange, in die Redaktion zu gehen. Sie stellte sich das noch ein bisschen so vor, wie sie Redaktionen aus dem Film kannte: Lauter Hornbrillenjünglinge mit sehr bedeutenden Gesichtern hinter den Gläsern. Telegraphenboten geben sich die Klinke in die Hand. Boten sausten wie die Verrückten durch die Zimmer. Einige Dutzend Reporter mit Shagpfeifen und Pumphosen sind damit beschäftigt, teils ihre Beine auf den Schreibtischen herumzulümmeln, teils aus ellenlangen Notizblocks Berichte abzudiktieren. Fritz wusste es besser. "So sieht's ja nicht mal in einer bürgerlichen Redaktion aus. Und erst in unserer..."
Er erzählte ihr, wie es dort aussieht. Da sitzen Redakteure, die kommen aus der Parteiarbeit. Das sind keine Leute, die sich besonders wichtig machen. "Wenn du sie auf der Straße siehst, kannst du sie von anderen Leuten nicht unterscheiden", meinte Fritz lächelnd. "Aber was soll ich ihnen denn erzählen? Wie ich mir die Zukunft denke? " fragte Käte, leicht verzweifelt. "Ich habe mir doch noch gar keine Gedanken darüber gemacht. "
" Du musst nicht immer so schrecklich übertreiben, " neckt sie Fritz. "Hättest du dir keine Gedanken darüber gemacht, dann würdest du nicht in Betriebsversammlungen gehen, Zeitungen lesen usw. Aber wenn die Gedanken noch nicht ausreichen, so wirst du eben freundlichst noch ein bisschen nachdenken."
Käte schüttelte den Kopf. Ihr war nicht ganz ordentlich bei dem Gedanken, so über sich und ihre Pläne erzählen zu sollen. Fritz meinte: "Schreibe doch gleich ein bisschen auf. Dann hast du einen Anhaltspunkt, wenn wir hingehen."
" Ach schreiben! Ich habe doch nie was Vernünftiges geschrieben und werde auch nie was schreiben."
Fritz lachte: "Du übertreibst schon wieder. Wie kannst du denn wissen, dass du niemals wirst schreiben könne? Da haben schon ganz andere Leute schreiben gelernt. Erst haben sie's mal probiert, dann hat man ihnen freundschaftlich geholfen. So ein bisschen Kritik ist ganz gesund. Und dann ging es immer besser. Wie meinst du denn, dass die Arbeiterkorrespondentenbewegung zusammengekommen ist? " Ja, die Arbeiterkorrespondenten. Fritz erzählte davon. Da passt einem Kollegen etwas nicht im Betrieb. Er schreibt ein paar unbeholfene Zeilen an die "Rote Fahne". Die bearbeitet sie, lädt den Genossen Korrespondenten ein und zeigt ihm, wie man's machen muss. Aus diesen Kreisen sind schon bekannte Arbeiterschriftsteller hervorgegangen. Die haben nur das Handwerk lernen müssen. Den Stoff haben sie aus ihrer Alltagspraxis überreichlich zur Verfügung gehabt. "Na also, " meinte Fritz. "Da kommen jeden Tag ein paar Dutzend Arbeiterkorrespondenten und andere Leser der Fahne in die Redaktion. Bis jetzt ist noch keiner aufgefressen worden, trotzdem sie manchmal sicher nicht die reinste Weisheit von sich gegeben haben. Dich werden sie auch nicht auffressen.'
Sie verabredeten sich für Donnerstag abend. Da wollten sie hingehen. Fritz wollte sie anmelden. Er brummte: "Das hätten sie auch wissen können, dass so ein Warenhausmädchen am Nachmittag keine Zeit hat. " Aber er beruhigte sich selber: "Es geht auch abends. Da ist ja immer jemand da. " Aber trotzdem schrieb er eine Karte, dass sie Donnerstag abend gegen acht kommen wollten. Das Kollektiv sollte da sein. Und dann setzten sich beide auf seine Bude und überlegten sich, was sie sagen sollten. Das war gar nicht so einfach. Sie saßen bis tief in die Nacht hinein und waren mit ihren Gedanken keineswegs fertig, als sie sich entschlossen, zu Bett zu gehen.


26. KAPITEL

In Kätes Warenhaus war jetzt viel zu tun. Nicht, dass so besonders viel Kunden gekommen wären. Aber das Weihnachtsgeschäft wurde vorbereitet. Ein großer Posten Korsetts war bei einem Konkurs billig aufgekauft worden. Jetzt wurden die Korsetts vornehm an den Eingang gepackt. Wer soll die Dinger eigentlich tragen? Die Arbeiterfrauen, die hier meist kaufen? Die alten können auch damit ihre Figur, die von Arbeit und Kinderkriegen elend verdorben ist, nicht mehr entscheidend bessern. Und die Jungen brauchen sie noch nicht. Ein Posten Frottiertücher waren auf dem gleichen Wege über den Konkurs eines Lieferanten billig hereingekommen. Sie wurden aufgestapelt und verhältnismäßig billig ausgezeichnet. Schön - das waren Sachen, die jeder brauchte und die man, wenn überhaupt noch etwas, auch bezahlen konnte.
Nun würden sich also Mutter und Vater Schulze zu Weihnachten gegenseitig Frottiertücher schenken, die sie gemeinsam benutzten. Das hat es früher zu Weihnachten nicht gegeben-. Da hat man erst einmal ein
paar Pakete Lebkuchen gekauft. Käte dachte an die vorigen Jahre. Da wurden die Lebkuchen, zu Haufen getürmt, gleich am Eingang, da, wo jetzt die Korsetts lagen, verkauft. Diesmal hatte man nur einen kleinen Stand hingebaut, und der war nicht sehr überlaufen.


FORTSETZUNG 26.11.1931, Donnerstag

Ach Weihnachten! Käte verscheuchte diesen Gedanken. Was geht uns das an. Für die Geschäftsleute ist das ein Geschäft, bis sie am so genannten Heiligen Abend zu ihrer Familie nach Hause gingen. Aber für Proleten hat das doch keinen Sinn. Wer glaubt denn noch an Jesus Christus und an die Göttliche Gnade im Diesseits?
Dann kam ein Riesenhaufen Schlüpfer dran. Rote, grüne, blaue, gelbe, schwarze. In allen erdenklichen Farben und knallig. Die würden gehen, dachte Käte. Billig und notwendig.
Als sie die Schlüpfer aufgebaut hatte, wollte sie sich verpusten. Der Rücken tat ihr weh. Die Bluse war aufgegangen, und die Haare hingen ihr wild ins Gesicht.
Aber kaum hatte sie sich etwas aufgerichtet, als von weitem Herr Schneidig herannahte, um zu sehen, ob sie auch "ordentlich bei der Arbeit war", wie er sich ausdrückte.
Schneidig war guter Laune. Er nickte ihr zu und hatte die Güte, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Aber Käte war nicht erstaunt über diesen Wandel im Charakter des Herrn Schneidig. Das war jedes Jahr so um diese Zeit. Man nannte es die Weihnachtslaune des Herrn Schneidig.
Eine ganze Reihe neuer Kräfte war für das Weihnachtsgeschäft eingestellt worden, und Schneidig hatte eine Riesenauswahl. Jeden Abend war er mit einem anderen Mädel aus, und die festangestellten Mädel hatten Ruhe vor ihm bis nach der Weihnachtszeit. Ganz ähnlich stand es mit Herrn Goldstrom aus der Nebenabteilung. Nur hatte die Wandlung seines Lebens um Weihnachten eine etwas andere Wirkung auf ihn. Er magerte ab und wurde nervös. Pinke und Panke machte es jedes Jahr um diese Zeit die größte Freude, zum Beispiel mit sausender Geschwindigkeit ganz dicht hinter Herrn Goldstrom mit ihrem Wagen dahinzusausen, oder mit einem Riesenkrach zu stolpern und dabei um ein Haar irgend etwas dicht vor Herrn Goldstrom umzukippen.
Als Schneidig Käte passiert hatte, ging es mit der Arbeit weiter. Immer neue Kleidungsstücke wurden aufgestapelt und mit Preisen versehen. Immer müder wurde sie. Aber obgleich doch acht neue Kräfte in ihrer Abteilung eingestellt waren, musste sie weiterschuften. Endlich um 10 Uhr abends war Schluss.
Müde schlich sie nach Hause. Fritz würde nicht da sein. Der hatte anderes zu tun, als auf sie zu warten.
Als sie ins Zimmer trat, war es warm und eine Broschüre über die Frau in der Sowjetunion lag auf dem Tisch. Also war Fritz doch dagewesen, hatte den Ofen angezündet und die Broschüre mitgebracht. Schade, dass er nicht geblieben war. Aber wegen der Wirtin konnte er ja nicht länger als bis 10 Uhr bleiben. Richtig, das hatte sie ganz vergessen.
Aber sie müsste ihn eigentlich sehen, denn morgen abend wollten sie doch zur Redaktion der Fahne. Nun, es muss auch so gehen.


27. KAPITEL

Unten zeigte Fritz sein Parteibuch. Käte den Brief der Redaktion. Dann wurden sie reingelassen.
An der Poststelle fragte sie ein Genosse, was sie wollten, und sie erklärten, warum sie gekommen waren. Der Genosse telefonierte mit der Feuilletonredaktion, und der Feuilletonredakteur kam angesaust und holte sie in sein Redaktionszimmer.
Die Konferenz sollte erst in einer Viertelstunde beginnen, und so setzten sie sich zusammen und sprachen von diesem und jenem. Nur nicht darüber, weswegen die beiden gekommen waren, denn das sollte natürlich erst in der Redaktionskonferenz geschehen. Käte war zuerst etwas still. Sie fand die Unordnung auf den Tischen geradezu unglaublich. Hunderte von Manuskripten in scheinbar wüstem Durcheinander. Dazwischen Briefe, Theateranzeigen, Zeitungen, Bücher. Sie dachte, sie sei in einen Altpapierladen gekommen. Aber der Redakteur erklärte ihr ganz genau, wie alles angeordnet ist, und dass das gerade das gute sei, dass er sich in dieser Unordnung zurechtfinden kann.
Allmählich taute Käte auf. Sie fragte, ob man auch die anderen Redaktionsräume sehen kann, und ob da die gleiche Unordnung herrsche. Der Redakteur sagte, vielleicht sind einige Zimmer frei. Wenn jemand drinsitzt, dann können wir sie natürlich nicht stören. Schräg gegenüber war das Chefzimmer. Da der Chef nicht da war, gingen sie rein. Natürlich durfte nichts angefasst werden. Da stand ein Sofa - Käte wollte wissen, ob der Chef darauf schläft. Fritz meinte, das ist doch nur dazu da, wenn einer krank wird. Aber warum sie das dann gerade beim Chef hinstellen, fragte Käte wieder. Man erklärte ihnen, dass manche Genossen die halbe Nacht durcharbeiten müssen, oder solange arbeiten, dass sie keine Fahrverbindung mehr haben, und dass sie sich dann darauf ausruhen.
Käte war sehr erstaunt darüber, dass Redakteure so lange arbeiten müssen. Sie wollte gerade weiter fragen, was das für ein Bild an der Wand sei. Da kam der Chef in sein Zimmer. Der Redakteur sagte ihm ein paar Worte, wer Käte und Fritz sei, worauf der Chef sie begrüßte und sagte, dass er jetzt noch schnell die Konferenz vorbereiten müsse, und dass sie sich ja nachher ausführlich sprechen würden.
Vom Chefzimmer gingen sie in das Zimmer der Wirtschaftsredaktion. Das sah blitzsauber aus. Nichts lag herum. Ja, man konnte denken, das Zimmer sei überhaupt nicht bewohnt. An dem Tisch saß der Wirtschaftsredakteur und rechnete dauernd herum. Käte sah, dass der Bogen vor ihm voller Zahlen war, und dachte bei sich: Der gehörte sicher nicht zu dem Romankollektiv.
Als sie aus der Wirtschaftsredaktion kamen, ging gerade der Redaktionssekretär an ihnen vorbei und rief mit lauter Stimme: Redaktionskonferenz! - Redaktionskonferenz! Jetzt war also der Moment gekommen.
Käte dachte, dass sich jetzt alle Türen öffnen würden, und die Redakteure blitzschnell alle in einen Saal laufen würden. Aber kaum eine Türe öffnete sich.
" Sind denn die Zimmer alle leer? " fragte Fritz.
" Ach nee, aber das dauert immer ein Weilchen", sagte der Feuilletonredakteur.
Sie begaben sich in das Redaktionszimmer, das etwas größer war, als die meisten anderen, sich sonst aber nicht von den anderen Räumen unterschied. An der einen Wand standen eine Reihe Stühle, an der gegenüberliegenden Wand stand wieder ein Sofa, auf dem schon einige Genossen saßen. Links am Fenster war ein Schreibtisch, an den sich der Chef setzen würde, wenn die anderen alle gekommen sind.


FORTSETZUNG 27. 11. 1931, Freitag

Alle zwei Minuten kam ein Genosse mit einem Stapel Zeitungen unter dem Arm hereingestürmt. Man unterhielt sich, tauschte Meinungen über die neuesten Neuigkeiten aus, lachte auch hier und da. Einige begrüßten Käte und Fritz. Einer, der keine Zeit zum Abendbrot gefunden hatte, packte seine Stullen aus, vertiefte sich beim Essen in den "Angriff". Ja, natürlich muss man die gegnerische Presse mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, wenn man sie bekämpfen will. An einem kleinen runden Tisch saß ein Genosse, dem ein paar ganz scharf gespitzte Bleistifte aus der Rocktasche guckten. Der holte ein paar Blatt Papier heraus und malte herrliche Ornamente auf. Nicht eine Sekunde ließ er sich von dieser Beschäftigung abhalten. Ein anderer hatte einen Zettel mit lauter kleinen Kästen vor sich. In jeden Kasten war ein Vorschlag für die neue Nummer der "Fahne" geschrieben.
Endlich war es soweit. Der Genosse Chef räusperte sich kräftig, um den Lärm der Unterhaltung zu dämmen, und begann ausnahmsweise
nicht mit der genauen Besprechung der nächsten Nummer. Sondern er sagte: "Genossen! Wir haben heute das seltene Vergnügen, zwei Genossen, die nicht der Redaktion angehören, begrüßen zu können. Das sind unsere beiden Romanfiguren, die Genossen Fritz und Käte. Sie wollen uns heute erzählen, was sie über ihre Zukunft denken. Wir freuen uns darüber, dass auch dadurch wieder die Verbindung mit den Massen unserer Leser enger gestaltet wird. So tragen auch Fritz und Käte zum Vormarsch der revolutionären Front in Deutschland bei. " Genossin Käte war über und über rot geworden. Sie war es nicht gewohnt, dass man über sie sprach. Sie hielt den Kopf gesenkt. Fritz warf ab und zu einen Seitenblick auf sie, sah dann den Sprecher an und blinzelte ihm lächelnd zu.
Kätes Schüchternheit war nicht leicht zu überwinden. Aber als sie hörte, wie Fritz sprach, als sie die ihr bekannte und vertraute Stimme vernahm, wurde es ihr wesentlich leichter. Fritz begann etwas stockend von seinem Betrieb. Er schilderte unter allgemeiner Aufmerksamkeit die täglichen Sorgen und Kämpfe eines Betriebszellenleitungsmitglieds. Mit bolschewistischer Offenheit gab er die Fehler der Arbeit zu. "Aber aus unseren Fehlern müssen wir lernen. Wir haben gelernt. Die Arbeit geht langsam aber gut vorwärts. Wir sind uns bewusst, dass das Schwergewicht auf den Betrieben liegt, Genossen. Aber was erzähle ich euch da. Ihr wisst es doch viel besser... "
Man überzeugte Fritz, dass kein Funktionär der Partei gut genug über die Betriebsarbeit informiert sein kann. Und so erzählte Fritz weiter. In kurzen Zügen schilderte er die Meinung der Arbeiter des Riesenbetriebes. "Sie werden schon schlau werden. Sie müssen ja schlau werden. Was wir dazu tun können, das tun wir schon. " "Habt ihr auch tüchtig für den kommunistischen Zeitüngsblock geworben? " fragte ein Genosse.
" Ja, " meinte Fritz, "langsam geht auch das vorwärts. "Rote Post" -das ging bis jetzt am besten. Mit der Fahne kommen wir ja nur sachte voran. Aber keine Bange, das schaffen wir auch noch. Bis jetzt habe ich in der Schraubenabteilung drei neue Abonnenten geholt. Einer ist wieder abgesprungen. Dafür sind bald zwei neue reif. " "Und der Abgesprungene? " fragte jemand.
" Ach, der.....An dem ist nichts verloren, " erwiderte Fritz. Und er zeigte damit, dass es auch bei ihm noch Lücken in der bolschewistischen Klarheit über unsere Arbeit gab.
Fritz sprach noch eine ganze Weile. Dann hatte er das Thema seiner Betriebsarbeit erschöpft. Er hat etwas daran gelernt, die Redaktion hat auch etwas daran gelernt. Nun müssten auch die Leser lernen. Das werden sie auch. Nur darf man, Herrn Brünings wegen, nicht alles hierher schreiben, was sich Fritz über die Zukunft seines Betriebes für Gedanken gemacht hat.
Und jetzt kam Käte an die Reihe. Ein Genosse musste ihr zuerst die Würmer aus der Nase ziehen. Über ihren Betrieb sagte sie nur sehr langsam aus. Und das meiste war aus der Vergangenheit. Und die Zukunft? Ja, Genossin Käte versprach, fleißig mitzuarbeiten und sich zu schulen. Die RGO? Ja, da muss sie noch heute eintreten. Fritz winkte schon strahlend mit einem Aufnahme schein herüber. Und die Partei? Käte schwankte. Sie konnte sich noch nicht entschließen. Und die Genossen wussten, dass das Zureden in diesem Kreise nichts nützen würde. Aber Fritz meinte: "Parteieintritt? Das zählt auch bloß noch nach Tagen. "
" Na also, dann wollen wir doch mal das private Gebiet aufsuchen, " sagte einer der Genossen vom Kollektiv. "Genossin Käte, willst du uns nicht mal erzählen, wie du dir da deine Zukunft vorstellst? " Käte stotterte ein wenig herum. Sie brachte nichts Zusammenhängendes heraus.
" Wie denkst du zum Beispiel übers Heiraten? " fragt der Genosse wieder.
" Ach, heiraten! Quatsch! Wo soll man denn die Wohnung und die Möbel hernehmen?... . Und wo wir doch gar keine Kinder haben. Das geht auch ohne heiraten. "
" Also Wohnung ist nicht!? Und wenn die Wohnungen billiger werden? Das soll doch jetzt kommen. " Diese Frage führte die gute Käte ein bisschen aufs Glatteis.
Aber Käte rutschte nicht aus: "Erst sollen sie einmal billiger sein. Und dann bleiben immer noch die Möbel.... Ach wo, " sie gab sich einen Ruck, "wir werden uns zusammen eine möblierte Bude nehmen. Das gibt's ja jetzt. Und dann muss es eben so gehen. Wo ich doch den ganzen Tag arbeiten muss. Wer soll denn da die Wohnung sauber halten? " Man merkte dem tapferen Mädel an, dass es sie doch ein wenig schmerzte, auf die Annehmlichkeit einer Wohnung zu verzichten. Aber sie hatte es sich abgewöhnt, Pläne auf blauen Dunst hin zu machen. Sie hatte sich doch schon davon überzeugt, dass die Pläne da anfangen mussten, wo der Kapitalismus aufhören würde. Privatleben gibt es im herrschendem System nur für die Reichen. Deshalb müssen die Pläne der Proleten erst einmal auf die Befreiung vom Joch gehen.


FORTSETZUNG 28. 11. 1931, Samstag

Das alles wollte Käte sagen. Aber sie brachte es nicht deutlich heraus. Immerhin verstanden die Genossen auch so, was sie meinte. Aber die Frage der Kinder - - - das war eine Klippe für Käte. Sie wehrte sich zwar tapfer dagegen, das merken zu lassen. Aber in Wirklichkeit war es ihr außerordentlich schmerzlich, dass für sie keine Möglichkeit bestand, Mutter zu werden. Mutterschaft bedeutete für sie Kündigung! Das heißt: Dauererwerbslosigkeit. Und wovon sollte sie dann ein Kind oder mehrere ernähren? Wohin sollte sie sie stecken? Ins möblierte Zimmer? Nein, damit musste sie sich abfinden: erst die Befreiung, dann das Privatleben. Es ging nicht anders. Schon oft hatte sie sich früher überlegt, sogar noch bevor sie Fritz kannte, dass es doch eigentlich ein wahnsinniger Unfug sei, mit dem Paragraphen 218 zu operieren. Wollten denn die Frauen der Arbeiter keine Kinder kriegen? Wollten die Mädchen im Betrieb nicht Mutter werden? Nein, am Willen lag es gewiss nicht, sondern an der Frage: wohin mit den Kindern, und wovon soll man sie ernähren? Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, wird keine Frau ein Interesse daran haben, hungernd heranwachsende Erwerbslose in die schöne Welt zu setzen. Und da gab es Staatsanwälte, die den Proletarierfrauen empfehlen: "Wenn Sie keine Kinder kriegen wollen, dann halten Sie sich doch ein bisschen zurück. Niemand kann alles tun, was er möchte...." Ja, und wofür hatte die Natur eigentlich dem Menschen den Trieb eingepflanzt? Damit er ihn krampfhaft verdrängt? Aus diesen Gedanken wurde Käte durch die Frage aufgeschreckt: "Genossin Käte, hast du eigentlich eine Ahnung über die Sowjetunion? Hast du dich schon mal mit richtigen Sowjetfeinden darüber unterhalten? "
Käte konnte zuerst nicht antworten. Dann aber musste sie gestehen, dass sie sich selbst noch nicht richtig klar geworden sei, dass ihre Liebe zur Sowjetunion mehr aus dem Gefühl als aus dem wirklichen Wissen entsprang. Den Diskussionen darüber sei sie, sobald sie ernsthaft wurden, vorsichtig aus dem Weg gegangen.
Die Genossen meinten, das sei nicht richtig. Aber der Vorwurf richtete sich mehr gegen Fritz, der als bewusster Klassenkämpfer seine Genossin zuallererst hätte aufklären müssen. Fritz gab den Fehler offen zu:"Ich habe ja erst angefangen mit ihrer Bearbeitung, Genossen. Eine ganze Weile habe ich einen Strich gezogen: hier Betrieb und Partei - hier Privatleben."
Nun, Fritz hat eingesehen, dass es so nicht geht. Entweder man ist Kommunist, dann ist man es auch nach Feierabend und in jeder Minute. Oder man ist keiner, sondern man nennt sich nur so. Der Chefredakteur nahm das Wort: "Genossen, wir müssen zum Schluss kommen. Wir haben noch viel zu tun. Also, wir wollten die Genossen Fritz und Käte bitten, uns zu erzählen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Das haben sie zum größten Teil getan. Die Zukunft: das ist der Kampf um die Befreiung aller Werktätigen vom Joch des Kapitalismus. Und dann erst fängt die Zukunft jedes einzelnen Proleten an. Das wollen wir festhalten. Und nun schlage ich vor, dass die Genossen, die dem Romankollektiv angehören, sie einmal mit unserer ganzen Arbeit, mit dem ganzen Betrieb bekannt machen, bevor sie sich an die Arbeit setzen. "
Zwei Kollektivmitglieder standen auf und nahmen Käte und Fritz mit, die anderen Redakteure blieben noch im Zimmer, um die aktuellen Fragen zu besprechen. Da war wieder eine ganze Menge los. wie alle Tage. Denn für die kommunistische Presse gibt es das nicht, was die bürgerlichen Redakteure Saure-Gurken-Zeit nennen. Gerade war die Nachricht von dem großen Nazi-Skandal aus Darmstadt gekommen. Eigentlich - - wieso Skandal? Eine Partei hatte einen Plan ausgearbeitet, wie sie regieren würde, wenn sie zur Macht kommt. Der Oberreichsanwalt kann da nichts Skandalöses entdecken. Aber wir sehen genug Skandalöses. Denn die Nazis machen erst das Terrorregiment vollständig. Diese Arbeiterpartei hat für alle, die arbeiten, die Todesstrafe parat. Den Unternehmern aber lässt sie das Eigentum. Das wurde ja in dem Darmstädter Schriftstück gesagt.
Und dann gab es noch allerlei andere Sachen. Aus der Sowjetunion, aus Japan, aus England und Frankreich. Man brauchte sich nicht den Kopf zu zerbrechen, woher man den Stoff nehmen sollte, sondern welche wichtigsten Sachen man sich herausklaubt zur Veröffentlichung.


28. KAPITEL

Käte und Fritz standen einen Augenblick im Korridor, da die Genossen Redakteure noch etwas holen wollten. Käte strahlte ihren Fritz ganz glücklich an. Die Sache war gut gegangen. Man war nett zu ihnen gewesen. Was heißt: nett? Man war unter seinesgleichen gewesen. Und jetzt guckten sie sich die Rohrpost an, die die Manuskripte in die Druckerei beförderte. Lange Rohre gingen an der Decke des Korridors entlang, um sich dann durch die Decke in Untergeschoß zu schlängeln. Zwei Minuten später standen sie zu viert am Ausgang der Rohrpost. Ein Genosse war damit beschäftigt, die Rohrposthüllen zu entleeren, die Manuskripte zu kennzeichnen, zu zerschneiden und die einzelnen Stücke an die verschiedenen Setzmaschinen zu verteilen, da der Artikel zu gleicher Zeit fertig gestellt werden muss. Am gleichen Tisch nahm ein anderer Genosse den fertigen Satz in Empfang, um ihn abzuziehen und wegzubringen.
" Aber zuerst wollen wir uns mal die Setzmaschinen angucken, " sagte ein Genosse. "Hier drüben ist das beste Licht." Sie gingen nach drüben. Da tippte einer von den Setzern wie auf einer Schreibmaschine. Das heißt: er berührte die Tasten nur mit den Fingerspitzen. Es ging sehr schnell. Jedes Mal wenn er getippt hatte, fiel aus einem großen breiten Magazin ein dünner Metallstempel herunter, der sich sofort einreihte. Eine Reihe solcher Stempel wurde gefüllt, dann zog der Setzer einen Hebel, die Stempelchen verschwanden nach unten, wo, was man nicht sehen kann, ihr Schriftbild in Blei abgegossen wird. Die fertige Zeile wird selbsttätig auf ein "Schiff" geschoben, immer eine nach der anderen. Ein Riesenarm greift herunter und holt die Stempel wieder hoch, von wo sie sich auf ihre Ställchen verteilen. Das geht alles ganz automatisch, während der Setzer schon fast eine ganze Zeile wieder fertig hat.
Käte machte die Sache einen ungeheuren Spaß. Aber sie fürchtete, dass sie die Arbeit störe. Sie meinte, dass es eine große Ausnahme sei, dass Leser der "Fahne" die Druckerei besichtigten. Aber sie wurde eines besseren belehrt: "Natürlich kann nicht jeder einfach hier hereinkommen und gucken. Das würde unsere Arbeit stören. Aber wenn eine Zelle oder ein Betrieb sich verabredet und sich rechtzeitig anmeldet, dann freuen wir uns immer, wenn wir Besuch bekommen."


FORTSETZUNG 29. 11. 1931, Sonntag

Nun verließen sie die Setzmaschine, als der Genosse Setzer gerade einen fertigen Artikel abliefern ging. Er stellte ihn auf den Tisch, legte das Manuskript daneben und entfernte sich mit einem neuen Manuskript an seine Maschine. Über den fertigen Satz stürzte sich sofort ein anderer Genosse, schob ihn auf ein Spaltenschiff, stellte das in die Abziehpresse und fuhr mit einer kleinen Druckerschwärzenwalze darüber, legte angefeuchtete Papierstreifen darauf und drückte dann den Satz in zwei Exemplaren roh ab. Ein Exemplar ging weiter an die Korrektoren, die die Druckfehler ausmerzen müssen, ein anderes an den Redakteur, der wissen muss, welches Material er in die Seite hineinzubauen hat.
Käte sah den Satz auf dem Tisch stehen und versuchte, ihn zu lesen. Aber alles stand irgendwie schief und auf dem Kopf. Sie buchstabierte los:
" Ob - Ober - Oberreich - Oberreichsant - Oberreichsanwalt Wr -Werner." Nee, das ging doch zu schwer.
Ein Genosse Setzer, der ihre vergeblichen Bemühungen sah, half ihr und las: "Oberreichsanwalt Werner tritt für die Nazis ein." Er las so wie in einer Zeitung. Jeden Tag musste er so lesen, dass er es fast besser konnte als die gewöhnliche Schrift.
Oben in der Redaktion hatte sich schon der Chef den Artikel gründlich angesehen: einmal, ob er politisch richtig war, und dann auch, ob nichts darin stand, wodurch ein Verbot der Zeitung kommen könnte. Denn das war in dieser Zeit der Notverordnungen, der Presseverbote und Presseunfreiheit von größter Bedeutung. Das Berliner Proletariat, das rote Berlin musste und sollte seine "Fahne" haben. Wenn die "Fahne" nicht erschien, dann hatten Hunderttausende von Proleten nicht die Zeitung, die sie wollten. Und darum musste man mit einem Maulkorb, oder, wie Lenin sagte, in der Sklavensprache schreiben.
Immerhin war alles Wesentliche gesagt.
Immer neue Artikel wurden gesetzt, und Käte begann schon etwas müde zu werden. Da geschah etwas Neues. Der Genosse, der nach den Chef die wichtigsten Funktionen zu haben schien, kam heruntergestürzt und rief: "Umbruch, Kinder. Lasst uns umbrechen!" Dabei schwenkte er eine Milchflasche herum, aus der er vermittels eines Strohhalms Kraft für die bevorstehende Arbeit sog. "Umbruch? Was ist das?" fragte Käte. Der Fritz wusste auch nicht recht, was das ist und so gingen sie an den Tisch, wo der Umbruch gemacht wurde.
Das war die zweite Seite Politik, die umbrochen werden sollte. Die Zeitung zerfällt doch in verschiedene Teile. Auf der einen Seite stehen die Auslandsnachrichten. "Die macht der Genosse, der immerfort mit dem Zigarrenstummel herumläuft", erklärte einer der Genossen Setzer. Dann gibt es die Seite Lokalnachrichten. Dann die Seiten, auf denen die politischen Sachen stehen, usw.
" Die zweite Seite Politik ist die zweite Seite von der Zeitung. Weil die Politik das Wichtigste ist, darum nehmen wir auf die erste und zweite Seite die politischen Nachrichten. "
" Was heißt aber umbrechen? " fragte Käte den Genossen. "Das wirst du gleich sehen. Siehst du, da liegen vor dem Genossen Redakteur alle die verschiedenen Artikel, die auf diese Seite sollen, und jetzt stellt er sie zusammen, damit sie alle auf die Seite passen und gut darauf aussehen. "
Das war diesmal nicht ganz leicht. Der eine Artikel war etwas zu lang, und musste um zwei Zeilen gekürzt werden. Der Redakteur sog immer heftiger an seiner Milchflasche, aber ihm fiel nicht ein, welche Zeilen er streichen solle, und wie der Artikel zu ändern sei. Immer wieder schrieb er mit krakliger Schrift auf einem Stück Papier Sätze hin - und endlich war er mit einem zufrieden. So war die zweite politische Seite endlich umbrochen, und erleichtert machte der Redakteur faule Witze mit den Setzern.
Dann aber fiel ihm ein, dass er noch etwas zu schreiben hatte, und er sauste nach oben. Fast hätte er dabei den Auslandsredakteur, der wieder mild und voller Freude an seinem Stummel sog, umgerannt. Der kam nämlich gerade runter in die Druckerei, um seine Seite zu umbrechen.
Als er sich den Raum auf dem Satzschiff ansah, in dem seine Seite hereingesetzt werden sollte, bekam er ein schmerzliches Gesicht. Es war keine Überraschung für ihn, aber es traf ihn doch wieder hart, als er es mit eigenen Augen sah. Unten auf dem Schiff war ein Metallstab aufgestellt. In das so abgeteilte Stück durften keine Zeilen kommen. Da sollte nämlich eine Anzeige hin: Wascht mit Persil, sowohl zur Sommerzeit als auch im Winter, wenn es schneit.
Das war nämlich ein Inserat. Und die Inserate werden auf die verschiedenen Seiten verteilt. Nun bekam nicht jeder Redakteur jeden Tag eine Annonce auf seine Seite, mal traf es den, mal den anderen. Jeder aber war natürlich schwer enttäuscht, wenn er eine mitbekam, denn dann konnte er natürlich weniger schreiben, und es gab doch soviel wichtige Dinge, die man unterbringen musste.
Aber wie alle anderen, so fügte sich heute natürlich auch der Auslandsredakteur. Er musste ein Bild über den chinesischen Kriegsschauplatz fortlassen. Der Genosse Chef hatte ihn damit getröstet, dass er es ja morgen bringen könne.
Käte und Fritz sahen sich noch den Umbruch der Auslandsseite an und wollten dann gehen. Als sie sich verabschiedeten und die Treppe hinaufgehen wollten, sahen sie, dass auch noch eine Treppe hinunterführt. Sie fragten erstaunt, wo das hinführt, ob es noch eine andere Druckerei gebe. Aber der Genosse, der sie wieder in die Redaktion bringen wollte, erklärte ihnen, dass das noch alles zur Druckerei gehört. Da unten werden die Platten gegossen, und die Bilder werden da unten zurecht gemacht. "Wenn ihr wollt, zeige ich euch das noch. " Aber Fritz sah, dass Käte sehr müde war, und so fragten sie, ob sie vielleicht noch einmal kommen könnten. Der Genosse sagte: "Natürlich, wir zeigen euch gern immer alles, was ihr sehen wollt".
Als sie wieder oben in der Redaktion waren, verabschiedeten sie sich von den Genossen Redakteuren. Zuletzt führte sie der Feuilletonredakteur in das Zimmer des Chefs. Der saß gerade über einem Leitartikel und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
Wie sie reinkamen, unterbrach er die Arbeit und sprach mit Fritz und Käte über alles, was sie gesehen hatten. Die beiden erzählten von der Druckerei, vom Umbruch und von allem anderen. Als der Chef aber fragte, wie es ihnen in der Propagandaabteilung und in der Geschäftsabteilung gefallen hat, da stelle sich heraus, dass sie davon überhaupt nichts gesehen hatten.
Natürlich wollten Fritz und Käte sich diese Abteilungen mal ansehen, aber nicht mehr heute. Es war ja auch niemand mehr da, denn nur die Redaktion und die Druckerei arbeiten bis spät in die Nacht hinein. So verabredeten sie denn, dass Fritz und Käte in zwei Tagen wiederkommen sollten.


FORTSETZUNG 1.12.1931, Dienstag

Landsberger Straße 82. Fritz und Käte klettern eine Treppe rauf, nachdem sie den dunklen Hof des Hauses überquert haben. Sie gehen in eine Wohnung, deren Tür offen steht und in der schon Licht brennt, trotzdem es erst 3 Uhr ist. Sie bekommen einen Zettel mit einer Nummer ausgehändigt.
In dem ersten Zimmer stehen und sitzen schon eine ganze Menge Leute. Sie warten auf etwas. Einer sagt: "Natürlich! Hast du schon mal eine Ausstellung gesehen, die rechtzeitig fertig war? " Nun, mit Scherzen und Unterhaltungen ging noch eine Viertelstunde hin. Dann war es fertig. Was? Die Ausstellung "Das Buch des Arbeiters", die während des Monats des proletarischen Buches stehen bleibt.
Nach einer kurzen Ansprache eines Genossen wurde der Durchgang freigegeben. Käte sah sich einer großen Wand mit kleinen Broschüren gegenüber. Donnerwetter, das sind aber viel. Wenn man bedenkt, dass jede dieser Broschüren in mehreren zehntausend Exemplaren verbreitet ist, dann weiß man, weshalb die Bürgerschaft diese Produktion fürchtet.
Aber nicht nur Broschüren sind da. Bücher in Mengen. Lauter verschiedene. Wenn das einer im Bücherschrank haben soll, dann muss dieser Bücherschrank schon überirdisches Format haben. Verkäufer mit Tombolalosen gehen herum. Der erste Gewinner ist ein siebenjähriges Kind. Es hat einen Leninband bekommen, weiß wenig damit anzufangen. Aber sein Vater freut sich mächtig. Käte und Fritz kaufen auch je ein Los. Aber sie gewinnen nichts. "Schadet nichts", sagt Fritz, "das Geld ist nicht verloren." Im letzten Raum findet Käte viel Interessantes. An einer Wand sind lauter Nick-Carter-Hefte und ähnlicher Dreck angekleistert. Die sind erlaubt, sagt das Schild darüber. Aber die Sachen an der anderen Wand sind verboten. Das sind politische Bücher und Hefte. Auch Unterhaltungsliteratur ist dabei. Eins davon hat Käte mal gelesen. Sie hat nichts Schundmäßiges darin gefunden. Das war ein Tatsachenbericht. "Warum ist das eigentlich verboten? " fragt sie.
" Weil es ein Tatsachenbericht ist", erwidert Fritz. "Tatsachenberichte sind der herrschenden Klasse unangenehm. Man soll lieber weithergeholten Schund schreiben." Käte denkt sich ihr Teil, während sie wieder die Ausstellung verlassen.


29. KAPITEL

Am nächsten Tag fängt Käte vormittags mit Bauchschmerzen an. Alle bedauern sie. Sie hat aber in Wirklichkeit einen ganz gesunden Bauch, ihre Bauchschmerzen kommen aus dem Kopf. Sie will nämlich abends früh gehen. Und punkt sieben packt sie ihren Kram zusammen. Herr Schneidig wünscht ihr, die sich die Hände vor den Leib hält, noch gute Besserung. Langsam geht sie zur Treppe. Als sie aber dort angekommen ist, läuft sie herunter. Fritz wartet schon. Sie gehen zum Bülowplatz, steigen die Treppen zur Redaktion hinauf und lassen sich melden.
" Na, wie hat's euch gestern in der Ausstellung gefallen? " fragt der Redakteur statt einer Begrüßung.
" Knorke war das! Da sieht man erst, was wir alle für Bücher haben, " sagt Fritz.
Sie unterhalten sich ein paar Minuten darüber. Dann steigen sie wieder die Wendeltreppe zur Druckerei herunter. Noch einmal sehen sie zu, wie so eine Seite zusammengestellt wird. Dann lassen sie sich an eine große Maschine führen. Gerade bringt ein Genosse eine fertig umbrochene Seite angeschleppt. Er stellt sie auf den Tisch der Maschine, eine schwere Eisenplatte. Der Genosse, der die Maschine bedient, holt jetzt ein paar Filzlagen, darunter, mit dem Gesicht direkt auf den Bleiguss, legt er eine große, graue Pappe. Dann schiebt er den ganzen Salat in eine niedrige Öffnung der Maschine, zieht einen Hebel. Die Maschine beginnt zu sausen und zu brummen. Das geht so ein paar Minuten. Dann wird abgestellt. Die ganze Lage wird wieder herausgeholt. Das Seitenbild ist in die Pappe eingeprägt. Käte sperrt Mund und Nase auf. Da kann man alles lesen wie nachher in der Zeitung. Doch es ist eilig. Die Pappe wird in einen Schlitz im Fußboden gesteckt. Käte und Fritz werden ein Stockwerk tiefer geführt. Dort macht sich schon jemand an der Seite zu schaffen. Er klebt hinter die Stellen, die keine Buchstaben oder Bilder tragen, filzige Papierstreifen. Dann tut er die Sache in den Bleiofen zum Trocknen. Später holt er sie wieder heraus, spannt sie in eine halbrunde Form, zieht an einer Strippe, so dass flüssiges Metall in die Form läuft. Das Blei erstarrt und wird zum halbrunden Abguss der Seite. Jetzt stehen wieder alle Buchstaben auf dem Kopf. Dann wird der Abguss gefeilt und gefräst und wandert an die Rotationsmaschine.
So was haben Käte und Fritz noch nicht gesehen. Das ist ja ein großes Wunderwerk. Riesige Papierrollen sind da aufgehängt. Die Maschine hat zwei Stockwerke. Oben und unten laufen Genossen mit Ölkannen und Schraubenschlüsseln herum. Der Seitenabguss kommt und wird eingespannt. Der Maschinenmeister muss aufpassen, dass er sie nicht an die falsche Stelle tut, sonst ist plötzlich der Zeitungskopf hinten und der Versammlungskalender auf der ersten Seite. Der Genosse hat einen Spiegel, keinen aus Glas, sondern einen aus Papier, einen geschriebenen. Da steht die Reihenfolge der Seiten drauf. Ja, Spiegel nennt man das.
Nachdem alle Abgüsse da sind, ruft der Maschinenmeister "Vorsicht!", drückt auf einen Knopf, und langsam setzt sich das Ungeheuer in Bewegung. Von den verschiedenen Rollen laufen die Papierstreifen über die Abgüsse, Walzen schmieren Farbe darauf, die Streifen treffen sich, legen sich ineinander, werden geknifft, geschnitten, herausgeworfen. Der Genosse Meister läuft wie irrsinnig um die Maschine herum, nachdem er einen flüchtigen Blick in das erste Exemplar getan hat. Dort ist zu wenig Farbe, hier zu viel. Es wird gestellt, reguliert. Und dann - endlich - rast er zu einem Schalter, dreht daran. Die Maschine wird schneller. Jetzt geht's los. Sie saust. Die Blätter fallen schneller und schneller heraus. Fein geknifft und zusammengelegt rutschen sie auf ein laufendes Band, fahren hinaus aus dem Maschinenraum, durch ein Loch in der Wand zur Expedition. Dort werden sie ergriffen, gebündelt. Genossen mit Autos, Motorrädern, Fahrrädern warten. Die "Reichsausgabe" der "Roten Fahne" ist fertig. In zehn Minuten fährt sie im D-Zug nach München, Frankfurt, Hamburg und überallhin. Einzelne Exemplare gehen durch Flugpost nach Moskau. Und während noch die Reichsausgabe läuft, kommen schon wieder neue Pappseiten zur Bearbeitung. Die Berliner Ausgabe wird vorbereitet. Käte ist begeistert. Sie kann es nicht so zeigen. Und die Genossen da unten achten gar nicht auf den Besuch. Sie dürfen sich nicht aufhalten lassen. Der Betrieb ist auf Minuten eingestellt. Die Züge warten nicht.


FORTSETZUNG 2.12.1931, Mittwoch

Und als sie lange genug zugesehen haben, mahnt der Genosse Redakteur, der sie führt: "Nun wollen wir mal wieder rauf gehen. Ihr habt noch lange nicht alles gesehen. "
Sie gingen den gleichen Weg zurück, doch diesmal nicht zur Redaktion, sondern zur Propagandaabteilung und Geschäftsleitung. Der Feuilletonredakteur, mit dem sie sich nach und nach schon befreundet hatten, führte sie durch die Sperrtür und konnte sich doch nicht verkneifen, zu bemerken: "Na, jetzt passt, mal auf, die Jungen geben ganz schön an!" Fritz war ja schon etwas informiert. Erst in der letzten Zellensitzung hatte man nochmals in Verbindung mit dem Aufgebot der 100000 Stellung genommen zum Kampfmonat gegen die Presse der Volksfeinde und einen neuen politischen Zeitungsobmann gewählt, da der bisherige den Aufgaben nicht gewachsen war. Fritz hatte seine besondere Freude über ein Material gehabt, Extraausgabe des "Politischen Zeitungsobmanns", das auf der letzten Werbeleitersitzung verteilt worden war. "Ick knall Dir glatt vor'n Latz!" so begann es, und Fritz musste schon sagen, dass diese Form der Informierung viel besser war als die trockenen Rundschreiben.
Doch jetzt war keine lange Zeit mehr zum Überlegen. Auf dem Korridor und in den Zimmern wimmelte es von Genossen. Es herrschte ein wüstes Durcheinander. Käte dachte noch bei sich: Wenn das den ganzen Tag so geht, wie wollen die denn da arbeiten. Fritz, der Kätes Gedanken erraten hatte, meinte: "Na, die haben aber Verbindung mit unten, Junge, Junge, ein toller Betrieb hier!"
Der Feuilletonredakteur war verschwunden und unsere beiden Freunde standen im Zimmer, ohne dass sie besonders auffielen. Links von ihnen
war gerade eine Diskussion im Gange: "Und ick sage dir, die größte Sache, die von uns je gedeichselt wird, das ist der erste PZO-Kongress in Berlin. Mensch der Laden wird aber wackeln! Stell dir bloß mal vor: 1000 politische Zeitungsobleute in Berlin! Det will doch wat heißen, die geben doch Gewähr dafür, dass ständig für den kommunistischen Zeitungsblock geworben wird! Und dann die fünf Stoßbrigaden!" Rechts war ein anderer Diskussionszirkel. Hier drehte es sich um folgendes: "Ick sage dir, wir kümmern uns viel zu wenig um die Provinz! In der Provinz schlummern ungeheure Kräfte! Wir waren gestern in Reppen. Da war eine prächtige Kampfstimmung. "Die "Rote Post" geht ab wie die warmen Semmeln. Ein Ort mit 800 Einwohnern hat 120 "Rote-Post-Abonnenten! Und jetzt besteht das Problem für uns darin,; so wie wir die Berliner Parteiorganisation mobilisiert haben zur Massenwerbung, und wir die Partei ideologisch umgestellt haben, so müssen wir in der Provinz vorstoßen."
Inzwischen war es wohl doch aufgefallen, dass zwei fremde Gesichter im Zimmer waren, man richtete die Frage an sie, was sie denn wollten. Fritz, der bisher ruhig zugehört hatte, um alles richtig zu verstehen, platzte heraus: "Ick knall dir glatt vor'n Latz!" Allgemeines Gelächter, und man wusste sofort, der ist vom Bau!
" Nee, nee", wehrte sich Fritz, "Ich bin kein PZO, sondern die berühmte Romanfigur!"
" Na", sagte der Genosse Leiter, "ihr kommt ja reichlich spät, aber ihr habt wohl aus den Gesprächen schon etwas über unsere Arbeit erfahren. Zu eurem Verständnis wollen wir euch noch besonders mitteilen: Wir als Propagandaabteilung sind lebendiger Teil unserer ganzen Organisation. Ohne die Organisation sind wir nichts. Diesen gewaltigen Parteiapparat hat keine andere Zeitung. Daher unsere großen Erfolge. In wenigen Wochen wurden Tausende von Abonnenten für die "Rote Fahne" und Zehntausende von Abonnenten für die "Rote Post" gewonnen. Unser organisatorisches Fundament ist der politische Zeitungsobmann in jeder Zelle und der revolutionäre Zeitungsbote. Die haben heute abend Versammlung. Und das sollt ihr aus eurem heutigen Besuch besonders mitnehmen: dass unser Verlag keine bürokratische, verkalkte und verstaubte Institution ist, sondern sehr schnell auf alle Maßnahmen des Klassenkampfes reagieren muss. Eine Abteilung ergänzt die andere, und von der Geschäftsleitung bis zur Buchhaltung und Expedition herrscht die einmütige Auffassung: "Wir sind auch an diesem Frontabschnitt-Funktionäre der Partei!"
Die Tür ging auf, herein kam der Obermanager. Trotz seines ernsten Gesichtes und seiner spärlichen Haare sah er sympathisch aus. Man machte sich bekannt "Genosse X, die Genossen Fritz und Käte." Drüben waren die Räume der Expedition, wo der Provinzversand wahrgenommen wird. Dann das Geschäftsleitungszimmer, wo der hohe "Kriegsrat tagte, die Buchhaltung und die Kasse. Eine laute Stimme dröhnte: Wollt ihr denn nicht zur Botenversammlung? Die müssen
doch schon wieder um dreie raus!"
Die Sache war geritzt. Fritz und Käte gingen mit zur Botenversammlung.
Draußen auf der Straße standen viele Leute vor den erleuchteten Aushängekästen der "Roten Fahne". Auch vor den Schaufenstern der Buchhandlung. Sie wollten auch dort schnell noch einen Blick hineinwerfen. Fritz kannte den Laden natürlich genau. Aber für Käte war er neu. So gingen sie hinein. Sahen eine Unmasse Regale, die bis zur Decke reichten. Hier waren alle Bücher aufgestapelt, die sie in der Ausstellung gesehen hatten, und noch einige mehr. Dort waren nur je ein Exemplar gewesen, hier waren es viele.
Ein paar Genossen blätterten in den Neuerscheinungen. Einer kam, um sich die neue "Internationale" mit dem großen Thälmannartikel zu holen. Aber die war noch nicht fertig gedruckt. Eine Amerikanerin verhandelte darüber, welche Bücher sie unbedingt nach Hause mitnehmen müsse. Zwei Genossen waren gerade aus der Sowjetunion gekommen und wollten sich informieren, welche Bücher und Zeitschriften während ihrer Abwesenheit herausgekommen waren.
Die Kasse klingelte. 10 Pfennig. 80 Pfennig. 5 Mark. 10 Pfennig. Die Summen waren nicht groß. Aber das ist auch kein Profitgeschäft, die Parteibuchhandlung, sondern ein Instrument der Agitation und Propaganda.


FORTSETZUNG 3.12.1931, Donnerstag

Das erklärte der Genosse Buchhändler den Beiden. Aber der Propagandaleiter drängte. Sie mussten weiter.
Sie stiebelten gemeinsam los. Durch einige stille Straßen des Ostens. Die letzten Läden ließen ihre Jalousien herunter, und bald war man angelangt. Der Saal war erst zur Hälfte gefüllt, und Fritz und Käte suchten sich einen Platz ziemlich dicht an der Bühne und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Eigentlich war die Versammlung bis jetzt schlecht besucht, und wenn der Saal voll werden sollte, mussten noch allerhand Boten kommen. Und sie kamen. Fünfzehn, zwanzig Botenfrauen und Männer auf einmal. Das sah ziemlich originell aus. Denn die Boten hatten gemeinsame Treffpunkte festgelegt und rückten speditionsweise an.
" Du kommst aber spät!" schrie eine Stimme.
" Halt die Luft an!" lautete die Antwort, "ick hab erst noch zwee Abonnenten für die "Rote Fahne" geworben!"
" Du, unser Stoßtrupp hat aber die Auflage der "Fahne" und der "Roten Post" gesteigert, meine Fresse!"
Fritz fragte einen Nachbar, wer denn die muntere Gesellschaft an einem Mitteltische sei. "Das sind die Boten von Königstor, das da ist Stoßtrupp 1. Und das da Stoßtrupp 3. Die sind knorke!" Der Saal war jetzt brechend voll. Niemandem war bekannt, was eigentlich geplant war. Der Saal wird plötzlich dunkel, und revolutionäre
Musik reißt alle Anwesenden mit. Und dann gehts los.....
" Und richten sie die Gewehre gegen die Sowjetunion Dann rüsten rote Heere zum Kampf, zur Revolution!" Bald hat sich die Melodie eingeprägt, und der Saal singt mit. In der Ansprache wurde der Zweck der Versammlung bekannt gegeben, das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Boten zu stärken: mit aller Kraft weiter für die "Rote Fahne" und die "Rote Post" und "Nachrichten", zu werben, weiter war das Schwergewicht der Werbung auf "Rote Fahne" "Rote Post" und "Nachrichten" zu legen. Die Boten sind nicht nur technischer Vertriebsapparat, sondern Stoßbrigaden und politische Funktionäre. "Unser Aufgebot der roten 100000", führte der Redner aus, "muss auch bei unseren roten Boten den stärksten Widerhall finden. Rote Boten, hinein in die Kommunistische Partei! Rote Boten, werdet aktive Mitkämpfer für ein Sowjetdeutschland!"
Der "Rote-Post"-Schlager ertönt, und einstimmig beschloss die Botenversammlung den kollektiven Eintritt in die Kommunistische Partei. Werbekolonnen durchkreuzten den Saal, und die ersten Bekanntmachungen erfolgten: "10 Aufnahmen", "20, 40, 50!" Eine Frau wollte nicht eintreten, weil ihr Mann es nicht erlaubte. Eine andere hatte Angst vor der vielen Arbeit. Beide wurden überzeugt. Endergebnis: 6 3 Boten und Botenfrauen, die bis jetzt noch nicht der Partei angehörten, traten beim Aufgebot der 100 000 in die Partei ein.
Zum Schluss begeisterter Ausklang: "Alles für die Sowjetmacht -Und richten sie die Gewehre gegen die Sowjetunion, Dann rüsten rote Heere zum Kampf, zur Revolution! Fritz und Käte waren futsch. Das hatten sie noch nicht erlebt, einen solchen Schwung, eine solche Begeisterung. Fritz wollte heute gleich mit seiner Botenfrau mal sprechen. Unser Vertriebsapparat das hatte Fritz gemerkt, ist ein wichtiges Instrument zur Verbreitung der kommunistischen Presse. "Entrollt die "Rote Fahne" über das rote Berlin", hatte ein Redner gesagt. Fritz wollte sofort in der nächsten Zellensitzung mit seiner Zelle Rücksprache nehmen, um im Rahmen des Aufgebots der 100 000 eine Massenwerbung für die "Rote Fahne" durchzuführen.
Das war wirklich ein großer Eindruck gewesen. Käte und Fritz gingen mit ein paar Genossen durch die Straßen nach Hause. Erst langsam kam wieder ein Gespräch zwischen ihnen auf. Aber es konnte sich nicht halten. Die Versammlung wirkte nach. Leise pfiff Fritz ein Kampflied vor sich hin. Die anderen Genossen fielen ein. Und es war beinahe eine kleine Demonstration mit Musik, die da durch die Straßen ging. An der Ecke standen drei junge Leute mit hohen Schnürstiefeln. Sie drückten sich in einen Hausflur. Als die Genossen vorbei waren, hatten sie's eilig, ihnen den Weg abzuschneiden. Sie liefen zu einer Kneipe und holten noch ein halbes Dutzend von ihren Freunden heraus Dann liefen alle neun los. Bald hatten sie die pfeifenden Genossen erreicht. Ohne irgendwelchen vorhergehenden Wortwechsel stürzten sie sich von hinten auf sie. "Das ist Rotmord!" brüllte einer von den Jünglingen. Sie zogen Schlüssel und Schlagringe aus der Tasche. Im ersten Augenblick waren unsere Genossen, darunter zwei Frauen reichlich verblüfft. Aber bald gingen sie zur Gegenwehr über. Kommunisten lassen sich nicht wehrlos verprügeln. Sie waren zwar, die Frauen abgerechnet, nur sechs Personen. Aber Arbeiterfäuste sind nicht von Pappe. Ein Nazi taumelte an die Wand und sackte dann zusammen. Ein anderer lief los, um das Überfallkommando zu alarmieren. Blieben noch sieben.
Bald tutete es. Das Überfallkommando raste um die Ecke, bremste kurz. Die Beamten sprangen ab. Keiner dachte daran wegzulaufen. Die Genossen dachten nicht daran, dass es heute schon strafbar ist, wenn man sich gegen Naziüberfälle verteidigt.
Der Nazimann, der das Kommando geholt hatte, kam gerade zurecht. Er sagte, dass die armen, harmlosen Braunjacken von den bösen Kommunisten überfallen worden seien. Die Menschen, die sich angesammelt hatten, sahen nicht aus wie Nazis. Und so konnten die Jungen versichern, dass es sich um einen Haufen von zwanzig blutgierigen Kommunisten handele, von denen sie überfallen seien. Fritz und noch zwei Genossen werden als Rädelsführer bezeichnet.
Tatütata ging's zum Revier. Von dort nach einem kurzen Verhör zum Präsidium. Käte wurde bald entlassen, nachdem man ihre Personalien geprüft hatte. Fritz und die beiden anderen wurden über drei Höfe zum Polizeigewahrsam für Männer geführt. Da saßen schon ein paar "Kriminelle" in dem kalten Keller. Sie bekamen jeder zwei Decken und streckten sich auf den zusammengerückten Holzbänken aus. Am nächsten Morgen ging's zum Photographieren. Noch ein kurzes Verhör wurde angestellt, und schon wenige Stunden später standen sie vor dem Schnellrichter. Der hörte sich alles an. Dann meinte er: "Erzählen Sie doch keine Märchen. Sie können mir doch nicht weismachen, dass neun Leute zwanzig überfallen werden oder wie viel es waren. Das können Sie doch Ihrer Großmutter erzählen. " Das Urteil war schnell fertig. Denn dieses Gericht hat seinen Namen nicht umsonst. Fritz bekam, weil seine Intelligenz ihn in den Augen des Richters, wie ausdrücklich festgestellt wurde, besonders belastete, sechs Wochen, die anderen Genossen kamen mit vier Wochen davon.
Man behielt sie gleich da.


SCHLUSS 4. 12. 1931, Freitag
30. KAPITEL

Als Käte am nächsten Abend zu Alex ging, hörte sie die Geschichte. Sie setzte sich auf den Stuhl, als hätte ihr jemand über den Kopf gehauen. Alex erwartete einen Tränenausbruch und wollte sie trösten. Käte sagte: "Nun ist's aus mit der Arbeit!" Nichts weiter sagte sie. Und sie lernte an diesem Abend das Fluchen. Diesen Zusammenstoß hatte sie miterlebt. Sie wusste, wie er in Wirklichkeit zustande gekommen war. Sie ging zu Fritzens Wirtin und vereinbarte mit ihr, dass sie am ersten in Fritzens Zimmer ziehen werde. Der würde ja Augen machen, wenn er wieder kommt. Ja, man muss jetzt sparen. Mit den paar Kröten aus dem Warenhaus und dem bisschen Stempelgeld konnte man schwer auskommen. Da kann man sich keine zwei Zimmer leisten Als Käte alles in Ordnung gebracht hatte, ging sie zum Bezirksausschuss und zur Partei, teilte mit, was geschehen war. Aber man wusste schon alles. In dem Parteisekretariat hatte sie ein längeres Gespräch mit ein paar Genossinnen. Sie verabredete sich mit ihnen für den nächsten Tag. Und der nächste Tag fand sie an einem Apparat zum Drehen, auf dem Wachsplatten laufen, unter dem Papierblätter weiß hereinfließen, um bedruckt wieder zu erscheinen. Auf den Blättern stand: "Frauen, wacht auf!" Es wurde zu einer Frauenversammlung der Kommunistischen Partei eingeladen. In der Mitte des Blattes standen die Buchstaben gemalt: "Aufgebot der Hunderttausend". Nun war Käte also ein Rädchen geworden. Ein Rädchen in der riesengroßen Maschine, die in immer schnellerem Tempo vorwärts geht. Eine lustige Genossin, die immer ihre Bemerkungen machte meinte: "Na, wie schmeckt die Arbeit? " Käte erwiderte strahlend: "Schmeckt gut."
Und als sie alle ein bisschen ausruhten, meinte sie: "Ausruhen können wir nachher im Bett. Erst müssen die Zettel fertig sein. " Ja, nun stand sie da und leierte und leierte. Die Genossinnen hatten ihre helle Freude an ihr. "Komisch" sagte eine, "da stehst du und schuftest für unser Massenaufgebot. Guck dir mal an, was da unten an den Zetteln dranhängt!"
Käte nahm das Blatt in die Hand und las: "Ich beantrage meinen Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands. "Wortlos nahm sie einen Bleistift. Sie hatte den Wink verstanden. Sie malte: Käte Freisler, dann schrieb sie die Adresse und den Betrieb dahinter.
" Bravo!" riefen die Genossinnen und kassierten die zwanzig Pfennig, die Käte zuerst abliefern musste. "Siehste, wieder ein Schritt weiter. Und nun gleich noch das Abonnement für unsere Zeitung. " Käte unterschrieb auch dies. Es wäre ja auch geradezu grotesk gewesen, wenn sie hier für das Aufgebot der Hunderttausend arbeiten wollte und nicht selbst in die Partei ginge. Als sie heute nach Hause ging, ging sie nicht allein. Mit ihr marschierten die Bataillone der Arbeiterschaft. Sie hatte sich eingereiht. Und sie stellte sich vor, wie das mit Fritz werden würde, wenn er wiederkam. Der würde sich freuen! Und sie würden nun zusammen arbeiten. Sie werden alles miteinander besprechen, werden ihre Erfahrungen austauschen, sie wird von ihm lernen. Und im Betrieb wird sie jetzt mächtig arbeiten.
Käte hatte ein neues Leben angefangen. Sie wurde nicht mehr nur so mitgeschoben in dem großen Getriebe, das sich kapitalistische Ordnung nannte. Sie stemmte sich mit gegen diese Ordnung, die in Wirklichkeit eine Unordnung ist. Jede Kraft, die die Verelendungswalze der herrschenden Klasse aufhalten hilft, ist wertvoll. Das hatte Käte erkannt. Als sie am nächsten Morgen in den Betrieb ging, trug sie den Kopf ganz hoch. Wie war das gestern noch?- - - Ja, gestern noch! Da war sie, wie jeden Tag, an Herrn Schneidig vorbeigeschlichen. Heute nicht mehr. Nun, Herr Schneidig war selbst ein Kleinbürger, ein Angehöriger des Mittelstandes. Er konnte morgen schon Proletarier sein, wenn Herr Schneidig dem Warenhauskonzern überflüssig vorkam. Aber vorläufig ließ er sich noch als Werkzeug des Unternehmers gebrauchen. Täte er's nicht, - er säße schon auf der Straße und in der Stempelakademie.
Aber da waren andere. Da waren Herta, Lucie, Marie, Grete, Lotte und wie sie alle hießen. Proletariermädchen, deren Freude es war, wenn sie um Halbacht ihre neue Jacke mit der schicken Taille anziehen und Fräulein höhere Tochter spielen konnten. Für eine Tasse Kaffee und zwei Stunden Tanz. Das war Material für das Aufgebot der Hunderttausend.
Merkwürdig, dachte Käte, gestern war das noch Lotte, heute sehe ich sie mit ganz anderen Augen: als Proletariermädchen, das mitkommen muss zum Parteiaufgebot.
Käte legte sich ihren Plan zurecht. Keiner darf fehlen. Alle müssen mitgehen, mitkämpfen. Man muss sie holen. Und Käte teilte die Menschheit nach neuen Gesichtspunkten ein, nach dem Gesichtspunkt der Klasse Die Proleten, das sind ihre Brüder - die anderen, das sind ihre Feinde. Und sie sprach abends mit der lustigen Genossin darüber. Vielleicht hätte sie selbst zu Fritz nicht so aus dem offenen Herzen sprechen können. Sie entwickelte auch sofort einen ganzen Schlachtplan. Mit der RGO
wollte sie den Betrieb stürmen. Schade, dass das nicht an einem Tage geschehen könnte. Sie spürte ungeheure Kräfte. Aber die lustige Genossin bremste sie ein bisschen. "Das muss alles vorbereitet sein. Sonst fliegst du raus, und keinem ist geholfen."
Käte sah das ein. Sie wollte auch nicht rausfliegen. Aber dann sagte sie: "Und wenn wir immer feste arbeiten und das Aufgebot der Hunderttausend erfüllen und immer weiter arbeiten, dann schaffen wir's. Dann
geht's los. Dann sind sie gekommen, die letzten Tage von........"
Die lustige Genossin legte ihr schnell die Hand vor den Mund und flüsterte: "Pst, Genossin Käte! Notverordnung...."

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