13. KAPITEL
"Genug für heute!" sagte Fritz und zog sich an. Fuhr nach Hause, stopfte etwas Suppe und andere Nahrungsmittel in sich hinein, nachdem er sich noch einmal gründlich gewaschen hatte, und zog sich die andere Jacke an. Es war ihm ein bisschen komisch. Heute abend hatte er keine Sitzung, keine Versammlung. Nichts war für ihn zu tun. Er kam sich beinahe überflüssig vor. Soll man weinen? Soll man lachen? Was soll man tun? So fragte er sich immer wieder. Dann brummte er ein Liedchen vor sich hin, ging los und ließ sich mit dem Menschenstrom treiben. So meinte er wenigstens. In Wirklichkeit ging er den Weg, den er jeden Abend ging. Rüber über den Alexanderplatz, und dann... Ja, dann konnte er abbiegen. Wohin? Entweder zum Bezirkskomitee oder zum Warenhauseingang oder zu Gretes Ecke. Im Bezirksausschuss war heute für ihn nichts zu tun. Grete? Was sollte er eigentlich von ihr? Sollte sie ihn vielleicht trösten? Zur Abwechslung mal? Ehe er noch zu Ende gedacht hatte, stand er schon vor der Warenhaustür. Soll man da warten, bis es so weit ist? Gerade wurden die Gitter herausgefahren und vor den großen Türen festgemacht. Pinke und Panke tauchten auf. Sie begrüßten ihn kurz. Aber sie hatten's jetzt eilig. Fritz ging unschlüssig hin und her. Einmal ging er weg. Dann zog es ihn doch wieder zur Tür. Dieses Gesellschaftsspiel mit sich selbst trieb er etwa eine Viertelstunde. Dann hatte er sich entschlossen, wegzugehen. Aber er tat es nicht, weil er sah, dass es fast Halbacht war. Er redete sich ein, dass es feige wäre, jetzt vor Käte wegzulaufen. Man braucht nicht zu betonen, dass diese Einrede eine Ausrede war. Er wartete ein paar Minuten. Schon begann der Strom des Personals zu fließen. Und nun trat Käte aus der Tür. Gewohnheitsmäßig sah sie sich um. Als sie aber den sah, den ihr Blick suchte, setzte sie sich eilig in Gang.
Fritz war schon neben ihr. "Guten Tag, Käte."
Es kam keine Antwort. Sie gingen noch schneller nebeneinander her. Fritz versuchte es noch einmal: "immer noch böse? " Wieder keine Antwort. "Worüber eigentlich?"
" Das solltest du selbst am besten wissen."
Na, also, dachte Fritz, da hat sie wenigstens ein Wort gesagt. "Ja, wissen weiß ich, aber es ist dumm von dir."
" Wenn's dir zu dumm ist, dann geh zu deiner Grete, die ist bestimmt klüger, die weiß, wie man sich die Männer angelt."
Sie liefen, dass ihnen beinahe die Puste ausging. Fritz sagte: "Ich habe doch gar nichts mir ihr gehabt".
" Das ist mir piepe. Für mich bis du jedenfalls erledigt." "Na gut, wenn du dir's überlegt hast - du weißt ja, wo ich wohne. Mir wird die Sache langsam zu dumm. Zum Kotzen, diese Empfindlichkeit für nichts und wieder nichts. "
Fritz drehte sich kurz um und ging in entgegengesetzter Richtung, unfreundliche Worte vor sich hinbrummend. Käte lief bis zur Ecke weiter.
Als sie merkte, dass Fritz nicht mehr neben ihr war, blieb sie stehen. Sie sah ihn schon ganz hinten im Menschengewimmel untertauchen. Sie öffnete ihre Handtasche, nahm ein Tuch heraus und wischte sich zweimal über die Augen. Dann ging sie langsam weiter nach Hause. Ihre Ehre hatte sie wieder einmal gezwungen, Dinge zu sagen, die sie absolut nicht sagen wollte. Und nun zwang dieselbe merkwürdige, kleinbürgerliche Ehre sie dazu, nach Hause zu gehen, statt, wie Käte einen Augenblick lang wollte, umzukehren, dem Fritz nachzulaufen und einen Strich unter die dummen Dinge von gestern zu ziehen. Fritz trottete unterdessen den Weg wieder zurück, den sie gekommen waren. Hätte er jetzt irgend jemanden verprügeln können, um sich abzukühlen, er hätte es mit Begeisterung getan. Dumme Pute, diese Käte! Tut so, als ob man von gestern auf heute alles auslöschen könnte. Warum? Er wusste eigentlich schon nicht mehr recht, was da so Wichtiges vorgefallen war, das genügen sollte, zwei Menschen, die sich gerne haben, auseinanderzureißen.
Nun machte er also den zweiten Weg. Er wanderte langsam durch die Münzstraße, dabei überlegend, ob er jetzt, wo er dem gestrigen Objekt des Krachs nachlief, ein schlechtes Gewissen haben müsse oder nicht. Er hatte keins zu haben.
FORTSETZUNG 5.11.1931, Donnerstag
Er guckte sich die Frauen und Mädchen an, die dort herumstanden und -gingen. Eine zeigte ihrer Kollegin eine neue Plüschjacke, auf die sie mächtig stolz war. Die andere bewunderte mit ihrem Freund zusammen die Auslagen in einem Schuhgeschäft. Aus dem Café drangen die Töne eines armseligen "Salonorchesters". Aber von Grete war nichts zu sehen.
Sie hat Kundschaft! dachte Fritz. Und er wusste nicht, ob er sich für sie darüber freuen oder das Mädel bedauern sollte. Er ging in die Kneipe und trank eine Molle, las dabei ein bisschen. Dann ging er wieder auf die Straße, die ziemlich leer geworden war. Ein paar mal wurde er von Mädchen angesprochen. Aber Grete sah er nicht. Er lief noch etwas in der Gegend herum. Dann kam er wieder an die Stelle zurück, wo er die Grete das letzte Mal gesehen hatte. Aber sie war nicht da.
Fritz wurde noch misslauniger als er schon gewesen war. Der ganze Abend verkorkst. Was sollte er jetzt tun? Kino? Nein, so alleine dazusitzen machte keinen Spaß.
Das beste ist schon, nach Hause zu gehen und zu pennen. Also machte er sich auf den Weg.
Zu Hause war es kalt. Der Ofen war runtergebrannt. Lesen kam nicht mehr in Frage, denn ordentlich aufpassen würde er doch nicht. Also rin in die Klappe.
Licht aus, unter die Decke gekrochen und eingeschlafen. Es war noch nicht 1/2 10 Uhr.
Fritz war kaum eingeschlafen, als er von einem Pochen an der Tür geweckt wurde. Aufmachen! Aufmachen! Fritz dachte gleich an die Polizei.
Noch ein Blick auf den Tisch und ins Regal. Nein, da lag keine der Schriften, die er legal gekauft hatte und die nachher verboten waren. Da konnte ihm keiner einen Strick drehen. Denn Marx war ja wohl noch erlaubt.
Draußen wurde wieder gegen die Tür gebumst. Fritz zog sich schnell die Hosen über und machte auf. Richtig. Er hatte recht gerochen. Da stand ein Wachtmeister. "Wohnt hier ein Fritz Kruse? " "Jawohl, der bin ich."
" Sie möchten mit zur Rettungswache kommen." "Ich? Was ist denn los? "
Er dachte mit Schrecken an Käte, ob der irgend etwas passiert war. Die hat doch keinen Unsinn gemacht? ! Er hätte doch gleich vernünftig mit ihr sprechen sollen.
" Wer hat denn nach mir verlangt? " fragte er voller Aufregung. "Den Namen wollte sie nicht geben. Sie hat nur nach Ihnen verlangt." Echt Käte. Nur nicht irgend etwas mit der Polizei haben. Aber den Namen hätte sie doch sagen können. Herr Gott, was ihr nur passiert ist. So dachte Fritz blitzschnell.
" Was hat sie denn gemacht? " fragte er, während er schon die Treppe heruntersauste.
" Nicht so schnell, junger Mann. Warten sie man. Sie kommen immer noch zurecht. Ist wohl die Braut? Na, glücklich scheint sie nicht gewesen zu sein. "
" Na, nu sagen Sie endlich was los ist!" fuhr Fritz auf. "Ins Wasser ist sie gegangen. Na und da haben wir sie wieder rausgezogen. Sie war schon ganz schlapp. Die halbe Spree hat sie ausgetrunken. Nach und nach 'ner Weile kam sie wieder hoch, und da hat sie nach Ihnen gefragt. Zuerst war sie furchtbar wütend und wollte wieder zurück ins Wasser, und als wir sie dann beruhigt hatten und was Näheres wissen wollten, da hat sie uns Ihre Adresse gegeben, und da bin ich hergekommen. "
Fritz dachte: echt Käte. Ein Prachtmädel, aber so was blödes. Ins Wasser zu gehen. Na, da muss ich mal ordentlich mit ihr reden. Ein für allemal. Das hat ja noch Weile, bis die 'ne ordentliche Bolschewistin wird. Aber nur langsam. Und während er neben dem Wachtmeister herlief, dachte er an Käte, und was sie alles zusammen tun würden, und wie er ihr zureden würde, und wie wieder alles gut sein würde, und wie sich auch alles mit Grete wieder einrenken würde, wenn er mit ihr alles durchgesprochen hatte. Viel schneller als Fritz gedacht hatte, waren sie an der Rettungswache. Erst mussten noch tausend Dinge erledigt werden, bis Fritz reingelassen wurde. Er musste seinen Namen angeben, sagen, wie seine Mutter früher geheißen hat, wie alt er ist. Na, usw.
Endlich war alles erledigt. Eine Schwester kam und nahm ihn nach hinten. Da lag sie auf einem Sofa. Das Haar tropft noch von Wasser. Als er näher kam, richtete sie sich leicht auf.
Fritz blieb wie ein Stock stehen. Als ob ein Schlag ihn getroffen hatte. Er reckte den Kopf vor, um besser zu sehen. Ja, das war ganz klar. Das war ja nicht die Kälte. Fritz wusste nicht, ob er enttäuscht oder glücklich war. Statt der erwarteten Käte war es die Grete. Natürlich war es Grete. Wie hätte die Käte das auch tun sollen! Dazu lag ja gar kein Grund für sie vor. Selbstverständlich war es Grete. Dass er auch daran nicht gedacht hatte! Natürlich musste es die Grete sein. "Hallo, Grete", sagte er, "Na, wie geht's?"
Grete musste über die Frage lachen. "Ausgezeichnet", sagte sie. Damit aber war das Lachen zu Ende und sie fing an zu weinen. Fritz stand verlegen daneben. Was sollte er auch tun. Er wollte das Taschentuch vorholen, aber dann steckte er es hastig wieder ein, als ob er sich verbrüht hätte. Nie wieder! Wie hatte doch Alex gesagt: Das Taschentuch ist höchstens für den eigenen Gebrauch da und auch dann nur selten.
Er kam jetzt näher und setzte sich auf den Sofarand. Grete beruhigte sich.
" Was tun wir nun Grete? Zuerst musst du nach Hause. " "Nein! Nein! auf keinen Fall nach Hause. Nie wieder nach Hause. " "Aber sei doch vernünftig, Grete. Du musst doch irgendwohin. " "Warum muss ich irgendwohin? " fragte Grete und wollte wieder von neuem zu weinen beginnen. "Na gut", lenkte Fritz schnell ein. "Dann gehst du eben nicht nach Hause. Willst du was essen? " Grete schüttelte den Kopf. "Na, du musst aber irgend was Warmes zu Dir nehmen. "
FORTSETZUNG 6.11.1931, Freitag
"Ja, aber was soll ich denn anziehen. Das Zeugs hier ist doch ganz nass."
Fritz überlegte eine Weile und kam auf die glänzende Idee, die Grete zu fragen, ob sie nicht noch was anderes hat. Das wollte er holen gehen, und dann kann sie sich hier umziehen.
Grete stimmte zu.
So nahm er die nassen Sachen von der Grete in einen Haufen Zeitungspapier zusammengewickelt mit und ging los zu Gretes Wohnung, um ihr andere Sachen zu holen.
Draußen hatte es zu regnen begonnen. Die Straßen waren dunkel. Fritz lief, um möglichst bald wieder zurück zu sein.
Er überlegte sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn niemand die Grete aus dem Wasser gezogen hätte. Was erwartete sie denn? Wieder dasselbe traurige Tagewerk. Aber er verwarf den Gedanken bald wieder. Selbstmord ist kein Ausweg für einen Proletarier. Bald war er mit den trockenen Fetzen wieder zurück. Während er draußen wartete, zog sich Grete drin um. Dann kam sie. Sie war doch viel schwächer, als er gedacht hatte. Er hakte sie ein, um sie zu stützen, und dachte dabei: wenn uns jetzt nur die Käte nicht sieht. Warum eigentlich? Die Sache war doch aus! Trotzdem...
Sie setzten sich in eine kleine Konditorei und Fritz bestellte heißen Tee und ein paar Eier für Grete. Dabei überlegte er bei sich, wie viel Geld er noch hatte. Egal, es war nicht mehr viel, aber dem Mädel musste geholfen werden.
" Was sagst du nun eigentlich zu der Sache?" fragte die Grete. "Das war der größte Unfug, den du je gemacht hast." "Was habe ich denn gemacht?"
" Frage nicht so dumm, du bis ausgekniffen. Man kneift nicht aus. Man bleibt stehen und kämpft, wenn es einem dreckig geht. " "Das hatte ich eigentlich nicht gemeint", sagte Grete. "Aber man muss ja darüber auch mal sprechen. Wenn wir schon mal dabei sind - - ich kann dir nur sagen, wie das weitergehen soll, weiß ich nicht. Früher oder später mach ich den Sprung sicher noch mal. Da gehe ich aber
weiter raus, damit mich nicht gleich jemand wieder rausholt. Nur.....
beim zweiten Mal ist's viel schwerer. Sicherlich!"
" Quatsch nicht so dämlich. Zum zweiten Male wird das nicht gemacht. Geht einfach ins Wasser. Hast du denn keine Lust mehr zum Leben? " "Zu diesem Leben nicht. Nee." "Und überhaupt? "
Grete wurde nachdenklich. "Fritz", sagte sie, "du kennst mich doch. Wenns mir besser ginge, dann würde ich nie daran gedacht haben. Das ist es doch, dass das Leben erst ekelhaft wird, wenns einem schlecht geht. Und wenn dann die Leute kommen und einen beschimpfen und verachten, dann wirds ganz schlimm. Ich hatte mich so gefreut auf das Zusammensein mit euch, hatte mir allen Dreck mal runter geweint. Und dann kam die Käte... ich will ihr ja keine Vorwürfe machen. Sie weiß es eben nicht besser. "
" Ja, sie weiß es nicht besser", antwortete Fritz. "Aber das ist kein Grund abzuhauen. Stell dir mal vor, dass alle Arbeiter, denen es schlecht geht, in die Spree laufen würden. Da würde die Spree bald nicht mehr ausreichen. Und die Unternehmer würden sich heftig freuen, dass sie die Sorge los sind. Und wenns ganz doll wird, dann... aber das ist doch Quatsch. Proleten dürfen sich nicht unterkriegen lassen, wenns ihnen schlecht geht. Einfach auf das bisschen Leben verzichten, wenn man keinen Ausweg weiß? " "Was soll man denn sonst machen? "
" Na, Grete, so dumm wie du jetzt tust, bist du doch gar nicht. " "Kommunist werden, sagst du. Und dann gehts mir besser? " "Ich hab nie gesagt, du sollst in die Partei eintreten, und dann bist du aus dem Dreck raus. Aber wir marschieren doch vorwärts. Guck doch rüber in die Sowjetunion - da geht keine Proletarierfrau mehr auf den Strich. Da arbeiten alle. Alle verdienen ihr Geld, haben ihr Essen, haben ihre Wohnung, haben Schulen und Universitäten. Wenn jemand klug ist, kriegt er Bildungsmöglichkeit wie hier ein Professor. Und hier - - na, du weißt es ja ebenso gut wie ich ... " Grete träumte vor sich hin: "Ja, wenn ich da rüber könnte... " "Nee, das ist nicht. Hier musst du kämpfen, nicht dich drüben ins gemachte Bett legen. Jeden Tag gehts einen Schritt vorwärts. Jeder neue Kämpfer ist ein Zentimeter neuer Boden für das vordringende Proletariat. Lies doch mal in der Zeitung - - drüben bereiten sie gerade den vierzehnten Jahrestag der Oktoberrevolution vor. Die haben Grund zu feiern. Männern und Frauen geht es gut. Kein Erwerbsloser, im Gegenteil: Arbeitermangel. Stell dir doch mal vor: die Kapitalisten können vor Krise und Erwerbslosen nicht aus den Augen gucken, und die Sowjets wissen nicht, wo sie die Arbeitshände herkriegen sollen, die sie noch brauchen!"
Grete dachte nach. Dann sagte sie: "Findest du es nicht ein bisschen komisch. Da sitzt du neben einer halben Leiche, die sie eben aus dem Wasser gezogen haben und diskutierst mit ihr über Politik..." "Gar nicht komisch!" meinte Fritz. "Das ist die direkte Antwort auf das, was du getan hast. Oder nicht? Überlege doch mal - hier die Moralphilister setzen die Frauen auf die Straße, und wenn sie sich nach langen Kämpfen verkaufen, um gerade so leben zu können, wenn man das Leben nennen will, dann werden sie von denselben Moralisten bespuckt. Ist das vielleicht Privatsache, oder ist das auch eine politische Frage?"
Wieder schwiegen sie eine Weile. Dann meinte Grete: "Das sieht jetzt alles so einfach aus. So einfach, dass die Sache direkt einen Haken haben muss. So einfach kann das doch gar nicht sein, sonst müssten doch alle Proleten mit euch marschieren."
" Werden sie auch, wenn erst diese Ohrenbläser weg sind. Schließlich gibt die herrschende Klasse ihre Macht nicht freiwillig aus den Pfoten. Da muss man erst drauf hauen. Und vorläufig haben sie noch ihre Leute, die den Proleten die Köpfe vernebeln. Giftgas SPD. - das ist das schlimmste. Das wird in Mengen abgeblasen. Immer noch. Und es gibt immer mehr Leute, die sich die Gasmasken aufsetzen. Aber immer noch nicht genug. Jetzt zum Beispiel wieder - sprichst du im Betrieb von der Sowjetunion, dann sagen viele: schön und gut - aber was dort geht, geht bei uns noch lange nicht. Das sind aber schon die Besten. Und wenn man ihnen dann sagt, dass die Sowjetunion dauernd in Angriffsgefahr steht, dann lachen sie dich aus. Ist ja klar, dieselben Leute, die zum Angriff rüsten, die sorgen dafür, dass sich ihre miserablen Absichten nicht zu schnell herumsprechen. "
FORTSETZUNG 7.11.1931, Samstag
Grete fröstelte. Einen schweren Schnupfen hatte sie die Sache doch gekostet. Der wird sie noch ein paar Tage daran erinnern, trotzdem die letzten zwei Stunden schon wie ausgelöscht schienen. Es war ihr, als säße sie schon tagelang neben Fritz und ließe sich von ihm erzählen. Die schweren Sorgen um die nächste Zukunft waren weggewischt. Sie sah deutlicher als je den Kampf vor sich, den sie in den Reihen des Proletariats mitzukämpfen hatte.
" Sieh mal", begann Fritz wieder, "gerade jetzt gehts wieder los. Da in Japan. Wenn man jemandem sagt, dass die Sache uns was angeht, dann lacht er. Japan ist so weit, noch hinter der Sowjetunion. Aber trotzdem - die Imperialisten haben ihre Finger überall. Dort gehts Jos, China heißt das Ziel in den Zeitungen. Und plötzlich überschreiten sie die Ostchinesische Bahn und drängen und drängen, damit sich die Sowjetmacht provozieren lässt. Wer weiß, wie das noch wird. " "Und warum tun ihnen die Sowjets nicht den Gefallen? Haben sie vielleicht Angst? "
" Angst? Lächerlich. Die Rote Armee kann mit Japan dreimal fertig werden. Die weiß, wofür sie kämpft. Das ist keine Armee einfach, sondern das ist ein Heer von politisch Überzeugten. Das sind Leute, die sich für ihren Arbeiterstaat das Herz aus dem Leibe reißen lassen, wenns nötig ist. Und jeder Arbeiter, jede Arbeiterin marschiert mit. Waffen haben sie. Und Mut haben sie auch. Das haben sie schon gezeigt. Wenn gekämpft werden muss - die Arbeiter und Bauern der Sowjetunion sind dabei... "
Während Fritz sprach, schüttelte sich die Grete und nieste wild drauf los, unterbrach sich: "Mensch, Grete, du musst jetzt ins Bett. Du erkältest dich ja immer mehr. Morgen hast du'n Schnupfen, wie du ihn noch nicht erlebt hast. " "Na lass man. Red nur weiter. "
" Nee du, so geht das nicht weiter. Ins Bett musst du, und warm zudecken. " "Was heißt ins Bett? Wo soll ich denn ins Bett gehn? Bei mir nicht.
Nach Hause geh ich nicht. Nein, kommt gar nicht in Frage." "Nu aber Schluss, Jetzt wirst du vernünftig sein und zu dir nach Hause gehn. Ick bring dich auch hin."
Grete gab nach. Was sollte sich auch tun. Außerdem hatte Fritz recht. Das vernünftigste war's ganz sicher. Und warum sollte man nicht auch mal das vernünftigste tun?
Fritz zahlte, und sie gingen los. Nach zehn Minuten waren sie an dem Hause angelangt, in dem Grete wohnte.
" So, jetzt aber rauf. Marsch! Morgen sehe ich dich wieder. Ich hol dich hier um sieben Uhr ab und wir sehen dann zu, was du tun kannst. Schlaf dich jetzt mal ordentlich aus. "
Grete antwortete nichts. Sie drückte Fritz die Hand und ging durch die Tür. Kaum hatte sie sie geschlossen, als sie sie noch einmal aufmachte und Fritz nachrief: "Also morgen um 7 Uhr. "
Fritz trottete nach Hause. Mit der Grete war ja nun wieder alles wenigstens einigermaßen in Ordnung. Aber mit Käte. Das war ne dumme Sache.
Schon nach Mitternacht. Da wird sie längst schlafen. Am liebsten wäre er noch mal zu ihr raufgegangen. Aber das ging kaum. Erstens würde die Wirtin wieder loskeifen. Und dann war er selber hundemüde. Und morgen musste er wieder früh bei der Arbeit sein, und abends hatte er 'ne ganze Masse zu tun.
Zu Hause angekommen, setzte er sich auf den einzigen Stuhl seiner Bude und zündete sich noch eine Pfeife an.
Da saß er und dachte über tausend Dinge nach. Über Käte und über Grete. Über die ganze jämmerliche Lage für die Proleten. Vor einem Jahr war die Grete noch ein gesundes frisches Mädel. Und was ist heute aus ihr geworden! Und dann die Käte mit all ihrer Rückständigkeit. Wie wenig Ahnung hatte sie doch von ihrer eigenen Lage. Und dann dachte er an die Kollegen im Betrieb. An den alten Knorr, an Emil mit seinen vier Gören, zu denen jetzt eine fünfte kam, und an all die anderen mitten im Elend.
Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Dann stand er schnell auf, holte eine Broschüre von Lenin vor, suchte irgendeine Stelle und setzte sich wieder hin. Die Pfeife war schon kalt und stank. Endlich riss er sich los. Im Nu war er ausgezogen und lag im Bett. Wenige Minuten später schlief er.
14. KAPITEL
Am nächsten Morgen konnte Fritz nicht aus dem Bett finden. Es war gestern so spät geworden. Immer wieder dehnte und streckte er sich. Immer wieder machte er einen Anlauf zum Aufstehen. Aber dann sah er auf die Uhr und stellte fest, dass er noch eine halbe Minute unter die Decke kriechen konnte.
Endlich war es allerhöchste Zeit geworden. Mit einem gewaltigen Satz sprang er auf. Schnell unter das kalte Wasser. In die Kleider. Etwas angewärmten Kaffee in den Leib gejagt. Schnell die Stullen zusammengesucht, und kauend lief er die Treppen runter auf die Straße.
An der Ecke holte er sich seine "Fahne". Da kam auch schon die 04-trische. Im Wettlauf mit ihr zur Haltestelle. Nein. Sogar noch ein Sitzplatz. So, jetzt konnte er Puste holten.
Als er sich verschnauft hatte, drehte er sich eine Zigarette. Verdammt, die Streichhölzer hatte er natürlich zu Hause liegen lassen. Aber neben ihm rauchte jemand und so konnte er endlich, in tiefen Zügen rauchend, seine "Fahne" lesen.
Kaum hatte er sie recht aufgeschlagen, da sah er schon das große Ereignis:
Streik bei Borsig.
Donnerwetter. Das würde wieder eine Agitation heute geben. Er freute sich schon auf die Diskussionen. Mensch - Streik bei Borsig! Was besseres konnte gar nicht passieren. So was brauchte man jetzt. Ein paar solche Beispiele und die Kumpels werden schon sehen, dass es geht.
Die Geschäftsleitung wollte den Akkordlohn halbieren. Die reformistischen Betriebsräte wollten verhandeln und eine geringere Kürzung herausholen. Dann wäre wieder die alte Sache gewesen. Der Unternehmer wollte um 50 Prozent kürzen, aber infolge der "ungewöhnlichen Klassenkampfstrategie der freien Gewerkschaftsführer gelang es, die Lohnkürzung auf soundso viel herabzusetzen". Und dann saß man da mit seinem gekürzten Lohn, der einen "Klassenkampfsieg" der Reformisten darstellte.
FORTSETZUNG 8.11.1931, Sonntag
Diesmal aber war es anders gekommen. Die Belegschaft hatte den Reformisten überhaupt keine Zeit zu Verhandlungen gegeben. Sie antwortete sofort mit einem Ultimatum. Der zuvor gewählte Kampfausschuss trat in Funktion und erklärte der Geschäftsleitung: entweder sofortige Zurücknahme des Lohnabbaus oder Streik. Die Geschäftsleitung, die hoffte, dass die reformistischen Bonzen die Sache noch zurechtrücken würden, erklärte sich zu Verhandlungen bereit. Der Kampfausschuss erklärte, dass es nichts zu verhandeln gäbe. Entweder wird sofort erklärt, dass die alten Akkorde in Geltung bleiben, oder Streik. Die Geschäftsleitung gab nicht nach. Und die Belegschaft antwortete mit Streik.
Ja, so muss man es machen, dachte Fritz. So handelt ein revolutionärer Kampfausschuss, so handelt eine entschlossene Belegschaft. Fritz stand auf und ging raus auf die Plattform. Er konnte nicht mehr still sitzen bleiben.
Man muss sich jetzt auf alles vorbereiten. In dem Moment, wo Fritzens Unternehmer das gleiche Spiel begann, und den Lohn betrieblich drücken wollte, muss es wie auf einen Schlag losgehen. Ultimatum. Annahme oder nicht. Wenn nicht, dann Streik.
Fritz hoffte fast, dass es auch in seinem Betrieb einen Lohnraubversuch geben würde. Sie würden es schon schaffen. Er muss heute noch mit den Mitgliedern des Kampfausschusses sprechen. Die Bahn hielt. Fritz war schon vorher abgesprungen.
Er sauste heute in den Betrieb. Unten ging die die Unterhaltung schon los Woher wussten die Kollegen eigentlich schon alle von dem großen Ereignis? Merkwürdig - als wenn solche Nachricht Flügel hätte. So was macht Mut. Der Kampfausschuss war auch mächtig bei der Sache, als sie dann beisammensaßen. Es war beinahe nicht mehr so, als wenn ein anderer Betrieb streikte: hier kämpften Kollegen, die zwar in einem anderen Stadtviertel schufteten, die aber der Belegschaft so nahe waren, als säßen sie im Nebenbau.
Heute verging die Zeit schnell. Die Meister schlichen herum, die Aufpasser waren alle mobil gemacht worden. Es wurde kontrolliert, dass keine Unterhaltungen geführt wurden. Sogar während der Pause wollte man die Unterhaltung unter Druck stellen. Aber die Herrschaften rutschten ab damit. Gewiss, manche Kollegen ließen sich einschüchtern. Aber trotzdem bekamen die Aufpasser manche saftige Bemerkung zu hören, die sie veranlasste, sich unauffällig zu drücken. Fritzens erster Weg nach der Kampfausschusssitzung war nach der Münzstraße. Es war früh Schluss gewesen, denn es war Sonnabend. Und so kam er noch am hellerlichten Tage in die Gegend rund um den Alexanderplatz. Trostlos sah das aus - am Tage noch viel trostloser als in der künstlichen Abendbeleuchtung.
Fritz erstattete Bericht und holte sich Informationen über die Vorbereitungen, die überall getroffen wurden. Es war ein toller Betrieb heute. Die Genossen gaben sich die Türklinken in die Hand. Und man wollte heute auch früher fertig sein. Denn heute war Feiertag. Heute war der 14. Jahrestag der Revolution des Sowjetproletariats. Nichts so ein Tag, wie ihn die Bürger feiern, mit Bier und Wein und Festessen Dazu haben wir noch keine Zeit. Feiertage des Proletariats im Kapitalismus sind Kampftage. Nur das Sowjetproletariat feierte wirklich. Am späten Nachmittag gingen sie gemeinschaftlich los zur Kundgebung. Als sie in den großen Saal kamen, mussten sie feststellen, dass schon eine halbe Stunde vor Beginn alle Stühle besetzt waren. Berlin wollte den roten Oktober feiern. Alles wogte durch den Saal. Gespräche verdichteten sich zu einem allgemeinen Rauschen. Hier lachte man. Dort führte man ernste Gespräche. Einer erzählte, dass man am Karl-Liebknecht-Haus keine Transparente zum 14. Jahrestag anbringen durfte, "aus sicherheitspolizeilichen Gründen", trotzdem bisher die rotbezogenen Holzgestelle noch nie Jemanden auf den Kopf gefallen waren. Es handelte sich wohl auch nicht so sehr darum, die äußere Hülle der Köpfe zu schonen. Viel schlimmer fand es die herrschende Klasse, dass der Wortlaut und die Überzeugungskraft der angeschlagenen Parolen Eingang in die Köpfe des Proletariats hat.
Dann fing die Kundgebung mit Musik an. Sofort war es im Saal ganz ruhig. Nur an der Tür herrschte noch etwas Unruhe, die die Nachzügler mitbrachten.
15. KAPITEL
Käte hatte sich eine "Rote Fahne" gekauft. Sie wusste selbst nicht, warum Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich ein kommunistisches Blatt kaufte. War es die rote Überschrift? War es die Sehnsucht nach Fritz? War es die Öde eines kommenden Sonntags, den sie allein verbringen musste? War es wirkliches Interesse? Käte hätte es selbst nicht beantworten können, wenn sie sich Gedanken darüber gemacht hätte. Nun saß sie müde und kaputt von dem arbeitsreichen Sonnabend in ihrer Bude, während draußen Menschen wie sie zum Vergnügen, zur Erholung hetzten. Sie versuchte, den Leitartikel zu lesen, in dessen Mitte die Bilder von Stalin und Molotow prangten. Sie zwang sich fast dazu. Aber sie hatte nicht viel davon. Ich bin zu dumm dazu, dachte sie. Und sie bewunderte im stillen den Fritz, der so klug war, dass er solche Artikel und noch viel schwerere lesen konnte, wie andere Leute einen Roman lesen. Die Kampfesgrüße und Telegramme überflog sie. Sie sagten ihr nicht viel. Aber die Bilder - das war schon etwas anderes. Die sah sie sich lange und aufmerksam an, las die Texte dazu. Und dann fand sie eine Gegenüberstellung über die Lage der werktätigen Bevölkerung in Deutschland und in der Sowjetunion. Drüben: Lohnerhöhung - Preissenkung - keine Arbeitslosigkeit - Aufbau von Industriewerken. In Deutschland: Lohnabbau - Preiserhöhung - Drückende und steigende Arbeitslosigkeit - Abbau von Industriewerken. Zahlen standen dabei. Diese Zahlen bekamen Leben, auch für Käte. Das waren Maßstäbe, an denen man nachmessen konnte. Das verstand sie. Das interessierte sie. Und so ging es weiter. Gegenüberstellungen von Kapitalismus und Sowjetsystem. Drüben geht's aufwärts - hier geht's abwärts. Nur eins bleibt: der Profit der Kapitalisten. Wie lange noch?
Käte stellte sich zum ersten Mal ganz deutlich die Frage selbst, wofür, für wen sie eigentlich arbeite. Sie stellte die erste grundlegende Frage ihres Lebens. Noch konnte sie sie nicht klar beantworten. Dann nahm sie die Zeitung wieder auf und las, trotzdem es schon spät war. Sie konnte nicht schnell lesen, weil sie es nicht gewohnt war. Gerade wollte sie das Blatt zusammenfalten, als ihr Blick auf den Versammlungskalender fiel.
FORTSETZUNG 10.11.1931, Dienstag
Morgen finden folgende Kundgebungen statt.... "Thema: 14 Jahre Sowjetunion - 13 Jahre deutsche Republik". Sollte sie hingehen? Sie fürchtete die vielen fremden Menschen. Na, man brauchte sich ja nicht gleich zu entschließen.
Langsam zog sie sich aus, machte das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen und legte sich ins Bett. Die Gegenüberstellungen verfolgten sie. Dreiviertel war sie entschlossen, sich morgen das Referat über diese Tatsachen anzuhören. Ob sie den Fritz dabei traf? Sie versuchte sich einzureden, dass sie das nicht wolle.
Dann schlief sie ein und wachte erst auf, als Frau Sänger draußen mit dem Besen polterte. Die Sonne war herausgekommen und stand hoch am Himmel.
Herrschaften, war das ein Gefühl, ausgeschlafen zu haben! Käte war wie neu geboren. Schnell sprang sie aus dem Bett, das sie sonst nur schwer losließ. Die gewohnten Handlungen des Waschens und Anziehais gingen heute kolossal schnell. Ob Fritz da sein würde? Na, sie würde es ja sehen. Und während sie, in diesen Tagen zum ersten Mal, leise vor sich hinsummte, lief sie die Treppen hinunter. Die Straße war ziemlich leer. Die Sonne blendete auf den Neubauten am Alex. Käte schlenderte daran vorbei und guckte sich aufmerksam um, sah sich die Leute an, die da vorbeigingen und versuchte, aus ihren Gesichtern zu lesen, ob es ihnen gut oder schlecht ging. Den meisten schien es nicht besonders gut zu gehen. Aber das konnte ihr heute die Stimmung nicht verderben. Viele sahen nicht so aus, wie Sonntagsspaziergänger. Ihre Anzüge waren zerschlissen und geflickt. Ja, die Arbeitslosigkeit. In der Sowjetunion gibt es keine Arbeitslosigkeit mehr - sie sah diese Zeile vor sich, die sie gestern abend gelesen hatte. Überall gibt es große Arbeitslosigkeit, nur in der Sowjetunion nicht. Wie hatten die das wohl gemacht?
Unter dem Stadtbahnbogen stand ein Kriegsblinder mit einem Hund und bettelte. Warum musste der Mann betteln?
In dem großen Konfektionsgeschäft gab es Hosen, gestreifte Hosen, Stück für Stück 39 Pfennig. Das sind noch 38 Pfennig zu viel, dachte Käte. Einmal in den Regen damit, dann fallen sie auseinander. Trotzdem kauften sich viele Leute diese Hosen, um überhaupt eine ganze zu haben. Ein altes Mütterchen schlich hinter der Markthalle herum. Sie war wohl gewohnt, die Reste, die weggeworfen wurden, aufzusammeln und hatte vergessen, dass heute Sonntag war. Ja, Sonntag ist für die Armen nicht besser als Wochentag, für viele schlechter.
Die Kundgebung hatte noch nicht angefangen. Ob Fritz auch hinkommen würde? Es gab ja so viele Veranstaltungen. Warum sollte er gerade zu der kommen, zu der Käte gegangen war? Aber schön wäre es doch, wenn er käme.
Immer wieder drehte sich Käte zur Eingangstür um. Jetzt war der Saal schon ganz voll, und sie musste aufstehen, ob Fritz unter den Hereinkommenden war. Aber Fritz war nicht da.
Schließlich begann die Feier. Die Türen wurden zugemacht. Fritz war nicht gekommen.
Käte war furchtbar enttäuscht und wäre am liebsten wieder gegangen. Was ging sie das an, wenn Fritz nicht dabei war? Aber es war jetzt so voll, dass es Mühe machen würde, wieder herauszukommen. Und was sollte sie auch draußen tun? So blieb sie.
Zuerst wurde gesungen. Die meisten Lieder kannte sie nicht. Aber bald hatte sie die Melodie, und so konnte sie mitsummen.
Dann sprach jemand. Über den Aufbau drüben in der Sowjetunion und den Abbau hier in Deutschland. Sie dachte an das, was sie gestern abend in der Fahne gelesen hatte. Und vieles wurde ihr noch klarer. Jetzt hatte sie Fritz ganz vergessen und hörte mit leichtgeöffnetem Mund gespannt zu. Kein Wort durfte ihr entgehen. Denn die Gedankengänge waren ihr zum Teil noch neu, und sie musste aufpassen, um genau folgen zu können.
Der Redner machte nicht den Fehler vieler anderer und sprach nur kurz. Aber eindringlich und klar. Jeder verstand ihn. Jeder konnte mitkommen und behalten für späteres Überdenken, was er sagte. Dann kam eine Aufführung. Ein armer Neger war nach der Sowjetunion gekommen. Er war ein Bergarbeiter und hatte davon gehört, dass in der Sowjetunion die Neger genau so wie die Weißen leben, und dass es dort Brot und Arbeit für alle gab. Sehr viel mehr wusste er nicht, denn er hatte nicht schreiben und lesen gelernt, wie so viele Neger in Amerika. Alle lachten, wie er in Moskau ankam und sehen wollte, ob es wirklich keine Arbeitslosen gab. Er lief durch die Straßen, aber alle hatten was zu tun. Er ging vor die Fabriktore, aber da stand niemand vergeblich auf Arbeit wartend. Im Gegenteil, kaum hatte er sich dahin gestellt, als man ihn fragte, ob er nicht reinkommen wollte, arbeiten. Und keiner war unfreundlich zu ihm. Da gab es keine Extra-Sitzplätze für die Neger, da gab es keine Extra-Essräume in den Fabriken. Überall hin durfte er, ganz anders wie in Amerika. Es war wie eine neue Welt für den Neger. Zum Schluss traf er einen anderen Neger, der schon lange in der Sowjetunion arbeitete, und ihn mitnahm. Singend zogen die beiden ab, zur Arbeit in die Fabrik für den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion.
Am Ende war die Bühne ganz leer, man hörte nur noch die Schlussstrophen der "Internationale".
Käte war wie die anderen ganz dabei gewesen. Das musste schön da drüben sein. Wenn es doch nur bei uns auch so sein würde, dachte Käte. Die Revolutionsfeier war zu Ende, und man ging nach Hause. Käte fühlte sich plötzlich wieder allein ohne Fritz. Ob er sich freuen würde, dass sie zu der Feier gegangen war? Ganz sicher. Sie musste ihm bald davon erzählen. Das andere war ja alles Blödsinn, das mit der Grete. Warum sollte er der Grete nicht helfen?
Ja, sie wollte gleich zu ihm hingehen, und ihm alles sagen. Schnell eilte sie zur Wohnung von Fritz. Ohne Zögern ging sie in das Haus. Oben angekommen klingelte sie. Fritz öffnete nicht. Sie klingelte noch einmal. Aber niemand öffnete. Fritz war wohl nicht zu Hause. Käte war furchtbar enttäuscht. Sie hatte sich alles so schön vorgestellt. Die Versöhnung mit Fritz. Und nachher würden sie lange zusammen sitzen. Lange, lange. Endlich wieder zusammen. Es schien eine Ewigkeit, dass sie nicht mehr mit Fritz zusammen war.
FORTSETZUNG 11.11.1931, Mittwoch
Und jetzt war wieder nichts draus geworden.
Ob er mit der Grete ausgegangen war? Wieder regte sich die Eifersucht bei ihr. Aber schnell unterdrückte sie sie. Vielleicht hatte er auch für die Partei zu tun. Langsam ging sie die Treppen herunter.
Langsam ging sie nach Hause. Sie blieb lange vor den Läden stehen. Nachdenklich sich die Auslagen betrachtend.
Das war ein merkwürdiges Wochenende für sie gewesen. Es begann mit dem Zeitungslesen. Wie lange hatte sie keine Zeitung gelesen. Und dann nachher die Revolutionsfeier. Ganz anders als sonst. Käte war es feierlich zumute.
Zugleich war sie traurig, dass sie diesen Tag nicht mit Fritz zusammen verleben konnte.
Zu Hause angekommen, machte sie sich etwas zu essen zurecht. Dann setzte sie sich auf den Schaukelstuhl und schaukelte hin und her, hin und her, ganz in Gedanken versunken. Ähnlich wie Fritz zwei Tage zuvor.
Das Licht verschwamm vor den Augen. Da öffnete sich die Tür und Fritz kam herein. Käte war glücklich. Sie erzählte ihm von der "Roten Fahne" und dass in der Sowjetunion keine Arbeitslosigkeit mehr ist,
während es in Deutschland überall Arbeitslose gibt, dass in der Sowjetunion die Produktion immer mehr stieg, während sie hier immer mehr sank. Darauf begann sie von der Revolutionsfeier zu erzählen. Fritz hörte lächelnd zu.
Dann sagte sie ganz unvermittelt zu Fritz, dass es ihr sehr leid täte, wie sie sich gegen Grete benommen habe und dass er sie doch bald heraufbringen sollte, damit sie alle zusammen essen könnten. Fritz sah ganz glücklich aus und beugte sich über Käte, um ihr einen Kuss zu geben. Er war schon ganz nahe. Schon spürte sie seinen Mund... Da verschwand alles.
Käte, die auf dem Stuhl eingeschlafen war, war aufgewacht. Sie hatte einen unangenehmen Geschmack im Munde und einen Brummschädel. Es war ihr nicht ganz geheuer. Die Glieder waren ihr schwer. So legte sie sich angezogen aufs Bett. Aber während sie vorher auf dem Stuhl eingeschlafen war - jetzt konnte sie nicht mehr schlafen. Die Gedanken quälten sie. Eine Minute reihte sich an die andere, jede eine kleine Ewigkeit.
So stand sie wieder auf, wanderte im Zimmer herum oder sah gelegentlich auf die menschenleere Straße. Was sollte sie tun? Ausgehen? Essen? Sie hatte zu beidem keine Lust.
Auf dem Tisch lag die "Rote Fahne" von gestern. "Sozialismus besiegt den Kapitalismus". Sie begann noch einmal mit dem Leitartikel, den sie gestern abend nicht lesen konnte. Jetzt las sie ihn mit Interesse. Noch keine zwanzig Stunden war es her, dass sie sich einbildete, dass dieser Artikel nicht für sie geschrieben war. Nun verstand sie alles ganz leicht.
Dann nahm sie ihre Wanderung durchs Zimmer wieder auf. Die Gedanken zogen immer mit ihr herum. Es ging im Kreise. Man kann es ihr nicht verdenken, dass es ihr bald zuviel wurde. Mechanisch zog sie ihren Mantel an. Mechanisch setzte sie den Hut auf, nahm die Tasche in die Hand, schloss die Wohnung ab und ging weg. Wohin? Ganz egal.
16. KAPITEL
Fritz war in der Abendkundgebung gewesen, hatte viele Genossen getroffen und war nachher noch mit ihnen herumgelaufen. Sie hatten faule Witze gemacht und viel gelacht. Schließlich waren sie noch in einem Mollenladen gelandet. Nicht des Trinkens wegen, sondern um sich noch ein bisschen gemütlich zu unterhalten. Fritz passte gut auf sich auf. Einmal hatte er sich einen angedudelt. Das durfte nicht wieder passieren. Es kostete Geld und war vollkommen sinnlos.
Dann war er nach Hause gegangen und hatte sich schlafen gelegt. Denn Sonntag Vormittag wollte er zu Alex gehen. Sie hatten Verschiedenes für den Betrieb zu tun, wollten auch die nächste Betriebszeitung besprechen.
Als Fritz aufwachte, zeigte die Uhr schon Elf. Ganz gemütlich zog er sich an. Manchmal dachte er an Käte. Aber dann kamen andere Gedanken dazwischen. Beim Kaffeetrinken las er die Zeitung. Dann machte er sich fertig und stiefelte gemächlich zu Alex. Der saß noch in Filzpantoffeln am Küchentisch und sah zu, wie seine Frau Gemüse putzte.
Herzliche Begrüßung. Dann sagte Alex zu seiner Frau: "Nu hau mal ab mit deinem Grünzeug. Wir müssen hier an den Tisch ran." "Na ja, " meinte die Frau, "wenn du schon mal zu Hause bist, dann musst du dich immer breit machen, damit man's auch merkt. " "Red' nicht so viel, " sagte Alex, "du hast den Tisch die ganze Woche. Sonntags kannst du mal auf dem Schemel Kartoffeln schälen." Das alles war nicht böse gemeint. Alex hatte sich inzwischen Tinte, Feder und Papier herangeholt und noch einen Stuhl für Fritz hingestellt. Nun setzten sie sich hin und notierten: Nächste Betriebsversammlung -Referenten besorgen - Handzettel machen, 500 Stück - Zelle für Dienstag einladen - Mittwoch Funktionärsitzung - neuen Litobmann wählen — So ging das eine ganze Weile. Dann waren sie fertig. Inzwischen hatten sich allerlei Düfte in der Küche breit gemacht. Fritz schnüffelte. "Ihr lebt ja nicht schlecht!" sagte er.
" Sage doch gleich, dass du mitessen willst. Brauchst doch nicht erst drumrumzureden. Ich kann mir vorstellen, dass es dir keinen besonderen Spaß macht, dich jetzt allein in irgendeiner Kneipe herumzulümmeln. " "Habt Ihr denn auch genug? " wandte sich Fritz an die Frau vom Alex. "Für dich reicht's noch allemal, " meinte die. "Und wenn du nicht satt wirst, kannst du nachher noch mal was essen. "
" Na, gut!" sagte Fritz und holte sich schon einen Stuhl heran. Während die beiden Männer den Tisch deckten, machte die Frau die Schüsseln fertig. Dann setzten sie sich hin und tauchten die Löffel in die Suppe. Feine Pilzsuppe, aus selbstgesuchten getrockneten Pilzen zubereitet. Das war doch was anderes, als das Spülwasser in den Kneipen, die Fritz normalerweise besuchen konnte. Dann gab es Fleisch mit Kartoffeln und Sauce - oder sagen wir besser: Kartoffeln mit Sauce und Fleisch. Das Gemüse rückte hinterher. Schließlich stand Apfelmus auf dem Tisch. Und dann kam eine Tasse aufgewärmter Kaffee. Das war fein. Richtiges Sonntagsessen.
FORTSETZUNG 12.11.1931, Donnerstag
Jeder steckte sich eine Zigarette an und sie unterhielten sich noch ein bisschen. Es war außerordentlich gemütlich, so gemütlich, wie es bei Menschen sein kann, die die ganze Woche geschuftet haben, die sich
eben ein Mittagessen einverleibt haben und in dem Bewusstsein zusammensitzen, dass sie über die nächsten Stunden frei verfügen können. Die Frau verzog sich ins Nebenzimmer, um noch einmal rum zu schlafen. Alex sagte zu Fritz: "Wir könnten eigentlich ein Stückchen spazieren gehen."
" Ausgezeichnete Idee!" antwortete Fritz.
Sie zogen sich die Röcke an und Fritz sagte: "Wohin gehen wir denn? " "Ins Grüne."
" Wo ist's denn hier grün? "
Ja, schwierige Frage. Alex überlegte. "Gehen wir doch mal zum Humboldthain. Zurück können wir ja fahren." "Gemacht!" sagte Fritz.
So gingen sie denn los. Den alten Weg. Wohin man wollte, immer musste ma zuerst am Polizeipräsidium vorbei. Dann kamen sie in die Münzstraße. Plötzlich blieb Fritz stehen. "Donnerwetter!" rief er, "da habe ich doch wirklich die Verabredung verschwitzt!" "Welche Verabredung? " fragte Alex.
Fritz antwortete nicht. Er überlegte. Grete hatte sicherlich auf ihn gewartet und war nun ganz verzweifelt. Was sollte er tun? Natürlich in ihre Wohnung gehen! Er war ganz erschüttert. Wenn sie bloß nicht wieder irgendwelchen Unsinn gemacht hat. Er sauste ab - Dauerlauf in Richtung von Gretes Wohnung.
Nach 10 Minuten war er angekommen. Er lief schnell die Treppen hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Oben angekommen, klingelte er - einmal, niemand öffnete, zweimal, noch immer rührte sich nichts. Als sich auch beim dritten Mal niemand meldete, kehrte er um. Das war eine dolle Geschichte. Wo die Grete jetzt wohl stecken würde? Er lief noch ein wenig durch die Straßen, sah mehrmals an der Ecke nach, wo die Grete zu stehen pflegte, aber er fand sie nicht. So ging er zu sich auf die Bude rauf und nahm sich den neuesten Band Lenin über die Oktoberrevolution vor.
Während Käte in ihrem Zimmer auf dem Schaukelstuhl schlief und von ihm träumte, während Grete mit irgendeinem ganz gleichgültigen hergelaufenen Mann auf einer Stundenbude zusammen war, saß Fritz bei sich zu Hause und las.
Immer schneller blätterte er die Seiten um, und grunzte jedes Mal verärgert, wenn er wieder zum Messer greifen musste, um weiter aufzuschneiden. Unerhört spannend, unerhört lehrreich. Unglaublich, wie sie's damals gemacht haben. Und immer wieder Lenin, Lenin und noch einmal Lenin: im entscheidenden Moment hatte er immer die entscheidende Parole.
Es war schon ganz dunkel geworden als er aufhörte zu lesen. Sollte er Licht machen und weiter lesen? Es wäre ihm das liebste gewesen. Aber er dachte an Grete, und so stellte er das Buch wieder sorgfältig in das selbstgezimmerte Regal und machte sich auf den Weg zu der Stelle, wo die Grete immer stand. Langsam ging er durch die Straßen. Plötzlich rief jemand ganz laut: Fritz! Fritz!
Das konnte nur eine Stimme sein. Fritz bekam einen freudigen Schreck. Es war Käte.
Sie sah so glücklich aus, dass sie ihn endlich getroffen hatte. Ganz fest drückte sie seinen Arm, und sagte zuerst gar nichts. Auch Fritz war restlos glücklich. Jetzt merkte er erst so ganz, wie ihm die Käte gefehlt hatte.
Aber dann wurde er nachdenklich. Sollte er jetzt mit Käte zusammen irgendetwas unternehmen? Es wäre ganz bestimmt das schönste gewesen. Er konnte sich auch gut denken, wie gerne die Käte jetzt mit ihm gegangen wäre. Aber er konnte die Grete nicht wieder im Stich lassen. Außerdem war es gut, wenn jetzt Klarheit geschaffen würde. Er sagte ihr also ganz brutal: "Weißt du auch Käte, wo ich jetzt hin will? "
Käte sah ihn erschrocken an und schüttelte ihren Kopf. "Ich will zur Grete, mit der ich mich verabredet habe." Käte sagte einen Augenblick gar nichts. Dann aber sah sie ihn an und lächelte. "Wenn es euch passt, bleiben wir alle drei zusammen. Wir gehn zu dir rauf, und ich mache nachher was zum Abendbrot. " Fritz hätte die Käte am liebsten auf offener Straße umarmt. Aber einen Kuss gab er ihr doch. Ganz schnell auf die Backe, noch ehe sie sich versehen hatte.
Untergehakt, in besserer Stimmung als je, kamen sie an die Ecke, wo die Grete immer stand. Aber sie war nicht da.
" Wollen mal in ihrer Wohnung nachsehen, ob sie da ist", meinte Käte. "Du weißt doch, wo sie wohnt."
Fritz nahm sie an der Hand, und sie gingen zu der wenige Minuten entfernten Wohnung von Grete. Käte läutete.
Drinnen rührte es sich, und eine halbe Minute später stand Grete an der Tür. Verwundert sah sie die beiden an.
Aber Käte ließ ihr nicht lange Zeit zum Wundern. "Zieh dich schnell an Grete, wir wollen zusammen irgendwas unternehmen. " Grete war verblüfft. Aber Fritz fragte: "Hast du keine Lust? Wenn nicht, dann nehmen wir dich zwangsweise mit. Im übrigen bleibe ich hier keine Minute länger auf dem Flur stehen."
Und damit drehte er die Grete an den Schultern um und schob sie in ihr Zimmer rein. Käte kam hinterher.
In fünf Minuten war Grete fertig und sie zogen zusammen los. Allen dreien war zumute, als ob sie träumten. Die Grete hatte schon geglaubt, der Fritz hätte alles vergessen und würde nicht mehr wiederkommen. Die Käte hatte nicht mehr gehofft, den Fritz heute noch zu
sehen. Und der Fritz hätte nicht gedacht, sobald wieder mit den beiden zu gleicher Zeit zusammen zu sein.
Alles war wieder eingerenkt. Aber jetzt hatte er dafür zu sorgen, dass es auch so blieb. Er hatte von dem einen Mal genug. Untergehakt, den Fritz in der Mitte, zogen die drei los nach Fritzens Bude.
Oben angekommen, begaben sich Grete und Käte an die Zubereitung des Abendessens. Es stellte sich heraus, dass noch einige Brotreste, zwei Wurstzipfel, etwas Käse und Tee vorhanden waren. Wenig, aber genug. Sie waren alle drei nicht sehr hungrig. Außerdem konnte man nachher, wenn man ausging vielleicht noch irgendwo etwas Schokolade kaufen. Als das Wasser kochte, stand alles auf dem Tisch. Käte brühte den Tee auf, während Grete die Stühle zurechtrückte. Fritz saß auf dem Bettrand und sah den beiden zu.
Eine Viertelstunde später zog Fritz seine Pfeife aus der Tasche zum Zeichen dafür, dass er fertig war. Die beiden Mädels aber, die nicht so viel auf einmal in den Mund bekamen, waren noch lange nicht fertig, wie sie erklärten, und protestierten gegen Käsebrot mit Pfeifenrauch.
FORTSETZUNG 13.11.1931, Freitag
Fritz musste nachgeben, aber er rächte sich dafür, indem er ihnen nachzählte, wie oft sie an jedem Bissen kauten. Da ließen sie ihn rauchen. Nach dem Essen räumten Käte und Grete ab, während Fritz wieder gleich einem Pascha sich auf seinem Bett dehnte und streckte. Als sie fertig waren, wurde Kriegsrat gehalten, was sie tun sollten. Fritz schlug Kino vor.
Käte protestierte, und Grete schloss sich Kätes Protest an. Das kostet nur elend viel Geld, Und sie hatten alle nicht viel. "Also gehen wir bummeln, und sehn, was los ist. "
Grete protestierte, und Käte schloss sich Gretes Protest an. Sie hatten alle 'beide einen langen Tag hinter sich und wollten nicht viel herumlaufen.
Gut dann bleiben wir. Trinken noch Tee und schwatzen. Grete und Käte stimmten zu.
So setzten sie sich friedlich um den Tisch und redeten zuerst von diesem und jenem.
Als Käte zufällig auf dem Fensterbrett die "Rote Fahne" liegen sah, merkte sie plötzlich, dass sie Fritz noch gar nichts von der Revolutionsfeier erzählt hatte, zu der sie gegangen war. Und nun legte sie los. Fritz und Grete hörten interessiert zu. Fritz besonders. Er freute sich mächtig, dass das Mädel allein auf den Gedanken gekommen war, zur Revolutionsfeier zu gehen. Er musste ihr noch manches erklären, was ihr nicht ganz klar geworden war. So kamen sie wieder ins schönste Politisieren. Grete kam sich manchmal ein bisschen überflüssig vor. Dann machte sie sich, trotzdem es ihr leid tat, auf, um wegzugehen. Aber Käte und Fritz hielten sie stets zurück. Und sie ließ sich gern zurückhalten. "Warte", sagte Fritz, "bis zu dran bist. Mit dir müssen wir auch noch ein paar Töne reden. Mal sehen, was wir mit dir anfangen können. " Aber heute kamen sie zu diesem Thema nicht mehr. Fritz drückte ihr noch eine Mark in die Hand. Sie sträubte sich lange, das Geld anzunehmen. "Nimm nur", sagte Fritz, "ist nicht viel. Du kannst es mir ja gelegentlich zurückgeben. Und morgen abend Halbacht treffen wir uns vor Kätes Tür."
Grete und Fritz machten sich fertig um wegzugehen. "Na und? ", fragte Fritz, zu Käte gewendet. "Was heißt: na und?" "Willst du nicht mitkommen? "
" Wohin denn jetzt noch? Wir wollten doch nicht mehr ausgehen. " "Ausgehen? Na ja, man kann's auch so nennen. Aber du könntest mir eigentlich noch einen kleinen Gegenbesuch machen. "
Aha, so war das gemeint! Eigentlich genierte sie sich vor Grete. Aber gleich kam ihr das Komische dieser Tatsache zum Bewusstsein. So langte sie sich ihre Klamotten vom Haken und hängte sich bei Fritz ein. Zu Dritt gingen sie noch ein Stückchen zusammen. Dann ließen sie Grete allein nach Hause stiefeln.
17. KAPITEL
Fritz fühlte sich um mindestens 10 Jahre jünger, weil die Sache mit Käte wieder in Ordnung war.
Der regnerische Montagmorgen kam ihm vor wie der hellste Sonntag.
Er schwang sich auf die Elektrische und fuhr den gewohnten Weg. Als er ausstieg, traf er den Dreher Kaliberg. Der hatte sich mächtig in Schale geschmissen. Blauer Anzug, steifer Kragen. Sogar einen Hut hatte er auf. Und den guten Sonntagsmantel. "Na", fragte Fritz, "du
bist wohl noch vom Sonntag übrig geblieben? Wo hast du denn die Nacht rumgesoffen? "
Kaliberg reagierte sauer: "Fass dich man an deine eigene Nase. Kallberg hat nicht gesoffen. "
" Und die Kleedage? Hast du vielleicht Geburtstag? Oder willst du den Generaldirektor besuchen? "
" Quatsch, heute ist doch Revolutionstag." Er fasste an die Manteltasche, aus der der "Vorwärts" mit dicken Überschriftbuchstaben herausguckte.
" Ach - Revolutionstag - richtig. Vor dreizehn Jahren. Mann, das hat man längst vergessen. " Sie gingen an der Steckuhr vorbei. "Ist ja wohl auch nicht gerade viel übrig geblieben. "
" Ach, ihr Kommunisten. Ihr wollt bloß immer meckern. Sonst ist euch nicht wohl. "
" Meckern nennst du das? Na erlaube mal! Willst du vielleicht behaupten, dass es uns in diesen dreizehn Jahren besser geht? " Kallberg drehte sich um, ob niemand zuhörte: "Und du meinst, dass die Sozialdemokraten an der Wirtschaftskrise schuld sind? " "Das habe ich nicht gesagt. Aber daran, dass die Unternehmer alles mit uns machen können, daran seid ihr schuld. Und dann ist's immer die Wirtschaftskrise gewesen. Guck doch nach Moskau. Das sind auch erst vierzehn Jahre. Und da war's viel schwerer..."
" Geh mir weg mit Moskau. In eurem Heiligtum, da ist auch nicht alles in Butter."
" Aber eins ist in Butter: keine Unternehmer mehr und keine ausgebeuteten Arbeiter."
Unter solchen Gesprächen hatten sie den großen Fabrikhof überquert. Nun mussten sie sich trennen. Fritz drückte dem Kollegen Kallberg schnell noch eine Broschüre in die Hand "Vierzehn Jahre Sowjetherrschaft!". "Nimm mal mit!", sagte er. "Wird wohl morgen auch schon verboten sein. Von den Erfolgen in der Sowjetunion wollen deine Bonzen ja nichts hören lassen."
" Ist nicht so viel dran zum Hören!", erwiderte Kallberg. "Na, lies mal! Es wird dich interessieren", schloss Fritz und hatte damit doch das letzte Wort.,
Er sah noch ein paar Kollegen, die sich das Abzeichen der SPD zur Feier des Tages ins Knopfloch gesteckt hatten. So viel Bekennermut brachten sie immerhin auf. Aber hätte man gerade den eingefleischten sozialdemokratischen Arbeitern aus diesem Betrieb zugemutet, im Betrieb eine kommunistische Zeitung in die Finger zu nehmen, - sie weigerten sich regelmäßig. Nicht, weil es sie nicht interessierte, sondern weil sie Angst hatten, man könnte sie für revolutionär verseucht halten. Da der längste Tag einmal vorbei geht, ging auch dieser vorbei. Niemand außer einer Handvoll Sozialdemokraten dachte ernstlich daran, den Geburtstag der Republik zu feiern. Das Bewusstsein vom Wert dieses Kindes war wohl nicht allzu groß. Und als am Nachmittag einer der Reichsbannerführer es wagte, im Rundfunk eine sozialpatriotische Rede zur Feier des dreizehnten Jahrestages zu sagen, da griff der Minister ein und beanstandete diesen Vortrag. Er versuchte, die Gelegenheit den Rundfunk in noch schärfer reaktionären Kurs zu steuern, zu ergreifen. Die ganze Presse war voll davon, als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als ob keine Erwerbslosen auf der Straße hungerten, als ob nicht die Grundfesten dieser dreizehnjährigen Republik wankten .
FORTSETZUNG 14.11.1931, Samstag
Ja, Kallberg war wahrscheinlich der Meinung, dass gerade dieses Wanken Grund genug sei, das kranke Kind zu stützen und zu pflegen, dieses kranke Kind, dieses kleinere Übel, wie die Bonzen es ausdrückten. Kallberg und die Hunderttausende von Kallbergs wollten nicht wissen, dass es nicht nur kleinere und größere Übel gibt, zu denen man sich nur ungern und unter Druck entschließt, sondern dass darüber hinaus eine Staatsform möglich ist, zu der sich - kamen sie erst einmal nach dreizehn Jahren wieder zu eigenem Nachdenken - immer mehr Proleten entschlossen. Kallberg war noch nicht so weit.
18. KAPITEL
Als Fritz nach Hause gekommen war und schnell was runtergewürgt hatte, ging er in die Zellenversammlung eines Radiobetriebes. Der Referent war krank geworden und der UB. hatte Fritz beauftragt, dahin zu gehen.
Die Zelle war noch klein, nur elf Mann bei einer Belegschaft von über 25o. Das musste anders werden und so hatte die Zelle von Radio X. mit einer andern Zelle einen Wettbewerb abgeschlossen, wer zuerst seine Mitglieder zahl verdoppelt.
Fritz kannte nur zwei von den anwesenden Genossen. Die anderen waren ihm noch fremd. Es war nicht ganz leicht, da zu sprechen, wo er nicht wusste, wie weit die einzelnen Genossen schon waren. Als Thema hatte er natürlich das im Augenblick wichtigste von allen - den Streik. Aber er sprach nicht über den Streik ganz allgemein, sondern ging auf die kleinsten Einzelheiten ein und versuchte, soweit das möglich war, das, was er sagte, mit den besonderen betrieblichen Bedingungen von Radio X. zu verbinden.
Ganz klar und deutlich betonte er: "Ihr könnt keinen Streik alleine machen. Ohne die DMB-Mitglieder für eine Einheitsfront zu gewinnen, wird bei euch wie in fast allen anderen Berliner Betrieben ein Streik unmöglich sein. Was habt ihr bisher getan, um eine Einheitsfront zu bilden?" Betretenes Schweigen. Dann sagte einer: "Mit denen ist nichts zu machen, mit diesen Reformisten".
" Was heißt, nichts zu machen? " fragte Fritz ihn aus. "Nu, das ist doch klar. Mit den Streikbrechern vom letzten Oktober werden wir doch nicht diskutieren."
Jetzt schimpfte Fritz los. "Ja, was denkt ihr euch eigentlich? Könnt ihr denn keinen Unterschied machen zwischen den Bonzen und den einfachen DMB-Mitgliedern? Begreift ihr denn nicht, dass ihr immer und immer wieder versuchen müsst, die DMB-Mitglieder von der verräterischen Bonzenpolitik zu überzeugen? So könnt ihr die niemals überzeugen, wenn ihr sie mit den Bonzen in einen Topf werft. Das sind genau solche Proleten wie ihr. Sie haben manches noch nicht begriffen, was ihr schon wisst, sie können die Lage nicht so übersehen wie ihr. Aber das ist noch lange kein Grund, denen aus dem Wege zu gehen und hier für euch zu tagen. Wenn ihr denen die kalte Schulter zeigt, dann könnt ihr nichts erreichen. Wir sind doch keine Sekte. Wir sind eine Massenpartei und müssen es noch viel mehr werden." "Ja, aber wie denn? " warf einer dazwischen.
" Durch Diskussion mit den anderen. Diskussion, Diskussion und noch einmal Diskussion. Seht euch doch die "Fahne" an oder die "Rote Post" oder die "Nachrichten" - da ist genug und übergenug Diskussionsmaterial drin. Da könnt ihr tagelang diskutieren. Haarklein wird da der Bonzenverrat gezeigt. Haarklein wird da erzählt, wie die Bonzen mit den Unternehmern kuhhandeln und jede Streikbewegung abwürgen. " "Ja, und die Nazis? "
" Bei denen müsst ihr es genau so machen. Habt ihr nicht die Enthüllungen der "Fahne" über die Nazis gesehen? Sie selbst haben zugegeben, dass sie für Inflation sind, dass sie das Tarifrecht zertrümmern wollen, dass sie für Lohnabbau sind. Schwarz auf weiß. Habt ihrs nicht gesehn? " "Ja, das war 'ne knorke Sache!" sagte der eine. "Heut' hab' ich's auch einem Nazi auf seinen Tisch gelegt. Der hat mich nachher immer so komisch angesehn."
" Was heißt, komisch angesehn? " sagte Fritz. "Diskutieren hättest du mit ihm sollen, ihn fragen, was er dazu denkt. Ob er davon gewusst hat. Ob er weiter mit diesen Arbeiterverrätern zusammengehn will. Das wären die richtigen Fragen gewesen."
" Hab ich schon oft versucht bei den Reformisten. Aber die drücken sich immer vorm Antworten. Kaum sehen sie einen auf sich zukommen, da schließen sie sich schon ab wie 'ne Muschel. "
" Na, und wie war's beim nächsten Mal, als du wieder zu diskutieren versuchtest?" "Genau so. "
" Und beim übernächsten Mal? " "Da hab ich's dann nicht mehr versucht. "
" Na siehst du. Da hättest du's vielleicht geschafft. Vielleicht fehlte es nur noch einmal, und wärst in eine Diskussion mit ihm gekommen." "Ich hab schon öfter mit einem diskutiert", warf ein anderer dazwischen. "Na und?" fragte Fritz.
" Das will ich dir ganz genau sagen. Er hat mir alles zugegeben, was ich ihm bewiesen habe. Und zum Schluss ist er wieder auf seine vier Beine gefallen wie die Katze, wenn sie vom Dach rutscht. " "Und du hast ihn nicht festgenagelt? "
" Was heißt hier festnageln? Du redest dich dumm und dämlich bei den Kerlen, und dann gehen sie hin und lassen sich zu Streikbrechern machen."
So, in Rede und Gegenrede, diskutierten sie lange. Fritz nahm das Wort von den Streikbrechern noch einmal auf und wies ganz deutlich nach, wie man ohne die Kollegen von der SPD und dem DMB nicht streiken könne. Er wies auf die Massenausschlüsse hin, die immer ein gutes Argument sind, und auf die Frage der Bonzen. Nicht die DMB-Arbeiter sind die Verräter. Sie sind nur die Werkzeuge der Bonzen. Das muss man ihnen zum Bewusstsein bringen. Sie sind es, die die Gewerkschaften zertrümmern. Sie sind es, die die Streiks verraten. Sie untergraben die Gewerkschaftseinheit.
Langsam kamen sie alle zu dem Entschluss, dass sie sofort in eine tief greifende Diskussionskampagne eintreten müssten. Man darf sich nicht abschrecken lassen. Und wenn man neunundneunzigmal Misserfolg hat, dann muss man es zum hundertsten Mal versuchen. In der Zeitung ist es ja nicht anders. Sie stellt einmal fest, dass der Bonze Schulze im Betrieb A einen Streik abgewürgt hat. Das nimmt man zur Kenntnis. Aber es überzeugt noch niemanden, dass alle Bonzen von A bis Z alle Streiks abzuwürgen versuchen. Das wird erst durch dauernde Feststellungen überzeugend. Genauso muss man mündlich arbeiten. |
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