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K. Olectiv - Die letzten Tage von ... (1932)
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1. KAPITEL Erscheinungsdatum 16. 10. 1931, Freitag

Pinke zuckte mit den Schultern und grinste. Panke wackelte mit den Ohren und griente. "Der Wels wird schön stampfen, " meinte Pinke. "Der Stampfer wird sich schön wälzen, " entgegnete Panke. "Hast Du schon 'nen 'Vorwärts' hier gesehen? Jeder liest die neue Fahne."
" Jetzt sieht man wieder mal, wie knorke die Fahne ist. Det is wie mit de Weiber. Hast Du se vier Wochen nich..."
Da brach das Gespräch ab, denn Herr Schneidig, der Herr Rayonaufseher, kam gerade vorbei, und Pinke und Panke beugten sich über den Transportwagen, als ob irgend etwas in Unordnung sei.
Pinke hieß eigentlich ganz anders, und Panke war auch mit einem anderen Namen aus dem Taufwasser gerettet worden. Aber überall in dem großen Warenhaus hießen sie Pinke und Panke. Sie arbeiteten immer zusammen und waren unzertrennlich. Beide hatten immer die Waren auf einem Rollwagen durch die einzelnen Abteilungen zu schieben, wo sie gerade gebraucht wurden. So kamen sie überall herum, wussten über alles Bescheid. Und da sie knorke Jungen waren, hatten sie alle gern. Nur der Herr Rayonchef Schneidig nicht - denn wenn sie nur könnten, so ärgerten sie ihn oder halfen den Anderen, ihn reinzulegen.
Eilenden Schrittes, scheinbar ganz in ihre Arbeit vertieft, zogen und stießen sie den mit Schuhkästen vollbeladenen Wagen durch die Kleiderstoffabteilung. Von weitem schon sahen sie eine Dame, die wie ein Zwilling aussah, so dick war sie, an Kätes Tisch stehen. Haarscharf sausten sie an der Dicken vorbei, die gerade noch Zeit gehabt hatte, sich hinten dünne zu machen, wobei sie sich allerdings vorne heftig an der Kundentischkante stieß. Sie wollte gerade losschimpfen und nach dem Chef rufen, als Käte ein grünes Stoffmuster auf den Tisch legte und mit sanfter Stimme sagte:"... kann ich Ihnen sehr empfehlen, gnä' Frau. Wir haben nur noch einen kleinen Rest davon. Spottbillig. Kostet nur 2 Mark 25. Ja, das modernste, was es augenblicklich gibt. " Fünf vor sieben! Die Kundin angelt ihr Stielglas aus der Tasche. Sie mustert Karo für Karo. Aber es gefällt ihr nicht. "Da oben haben Sie doch noch so was Graugrünes. Kann ich das mal sehen? Nein, das nicht. Rechts! Aber liebes Fräulein, ich drücke mich doch ganz deutlich aus - nicht das grüngraue, sondern das graugrüne...
Na, endlich!..."
Eben läutet die Glocke. Die Türen werden geschlossen. Neue Kunden kommen heute abend nicht mehr ins Haus. Gott sei Dank, denkt Käte.
Der Tisch vor ihr ist mit Stoffen zugedeckt. Um halb acht kommt Fritz.
Der will sie abholen. Wird sie um halb acht fertig eingeräumt haben?
Fünf nach sieben. Die Frau wählt noch immer. Käte redet ihr zu wie . einem kranken Gaul. Rayonchef Schneidig schielt um die Ecke, ob Käte sich richtig Mühe gibt, oder ob sie die Kundin abwimmelt. Aber Käte wimmelt keine Kundin ab. Sie redet und redet. Sie klettert auf die Leiter, holt diesen und jenen Stoff herunter. Vergebens. Die Frau geht weg, ohne gekauft zu haben.
Da, schon ist der Rayonchef am Tisch, kaum, dass Käte mit dem Aufräumen angefangen hat. "Fräulein Freisler, Sie denken wohl, nach sieben haben wir es nicht mehr nötig, wie? " "Aber Herr Schneidig... "
" Reden Sie nicht: Die Kundin hat nicht gekauft. Unter den dreißig Mustern hätte sie bestimmt mindestens eins gefunden, wenn Sie ihr richtig zugeredet hätten. Lächerlich! Sie wollen bloß schnell raus. Was denken Sie denn, woher wir Ihr Gehalt zusammenkratzen sollen? " "Ich habe wirklich getan, was ich konnte, Herr Schneidig. 20 Minuten hat die Kundin ausgesucht... "
" Zum Donnerwetter, kommen Sie mir nicht damit!" brüllt Schneidig los. "Und wenn sie eine Stunde aussucht... Nur kaufen muss sie. Sie müssen hier bis neune stehen, wenn's drauf ankommt. Aber Ihnen ist natürlich das Bummeln wichtiger als Ihre Pflicht. Das wird noch mal ein schlimmes Ende nehmen. "
Herr Schneidig zog los, nachdem er sich vor dem Spiegel die Krawatte gerade gerückt hatte. Und noch im Weggehen murmelte er über die Schulter zurück: "Muss Sie morgen der Direktion melden... " Dann ließ er sich in seinen Mantel helfen und verkrümelte sich. Käte räumte auf, nicht gerade in rosiger Stimmung. Leise fluchte sie vor sich hin.


2. KAPITEL

Die große Warenhausuhr zeigte 7. 55 Uhr, als Käte ihre Karte abstempelte. Fritz stand wartend vor der Tür. Müde hängte sie sich bei ihm ein und sie überquerten den großen Platz.
Beinahe hätten sie einen Mann umgerannt, der ihnen klein und beweglich entgegengestiefelt kam. Er entpuppte sich als Sympa-Franz. Der Franz hieß Sympa-Franz, weil er mit allem und jedem sympathisierte, mit den Nazis und mit den Sozis und mit den Kommunisten. Für jeden hatte er etwas übrig. Er arbeitete oben in der Abrechnung des Warenhauses, hatte hellblaue Augen, keine Freundin und dauernd Bauchweh. Überall drängte er sich auf, und als er eben nach Hause gehen wollte und sich noch mal umsah, bemerkte er den Fritz und die Käte und kehrte um. Mit wichtigem Gesicht begann er auch gleich loszulegen.
" Riecht Ihr nichts? "
" Nee, " meinte Fritz, "Dich kann ich schon lange nicht riechen. " Der Sympa-Franz war etwas erstaunt, aber seinen Witz wollte er auf jeden Fall anbringen: "Ich war doch im Harz bei der Nazi-Tagung. Riechst Du nicht den Harzer Käse? " Ha. . ha. . ha. . lachte der Franz als einziger.
Fritz dachte, wenn der sich nur wie'n Harzer verlaufen würde. Aber Franz lief wie ein Dackel neben Fritz und Käte her.
" Du, ich habe den Hitler gesehen, allerdings nur von hinten. Aber auch da sah er fein aus - knorrig wie ein Birkenbaum. " Fritz und Käte sagten immer noch nichts. Darum begann Franz von neuem.
" Du, den Hugenberg hab' ich auch gesehen. Den sogar von vorne. 'N bisschen klein und alt ist er. Aber in die Höhe hat er sich gereckt wie eine Lerche, die der Sonne entgegenfliegt. "
Fritz und Käte sagten immer noch nichts. Franz wurde etwas verlegen. Aber noch gab er nicht auf.
" Den Schacht hab' ich sogar reden gehört. Da hättest Du. . " "Das ist der einzige Schacht, den sie stilllegen sollten, " fuhr Fritz dazwischen.
" Sag' das nicht, " meinte Franz, der begeistert war, dass endlich eine Unterhaltung zustande kam. "Hast Du gehört, was er über die Reichsbank gesagt hat? Pleite is se! Mensch, stell Dir vor: die Reichsbank pleite! Wo die all das Gold haben, und wo sie doch jeden Tag soviel Geld drucken können, wie sie wollen. Ich versteh das nicht. "


FORTSETZUNG 17. 10. 1931, Samstag

"Ich auch nicht, " sagte Fritz, gab ihm die Hand, machte eine übertrieben tiefe Verbeugung und flüsterte mit ernster Stimme: "Leben Sie wohl, sehr verehrter Herr."
Darauf war Franz nicht gefasst und blieb verblüfft zurück. Endlich waren sie allein. Sie gingen jetzt etwas schneller. Nach einer Weile fragte Käte: "Sag mal, stimmt das mit der Reichsbank? " Fritz, immer froh und bereit, der Käte etwas zu erklären, legte los: "Ja und nein. Natürlich ist die Reichsbank nicht pleite. Denn sie kann ja Geld drucken. Aber der Kapitalismus ist ziemlich pleite. Der braucht jeden Tag mehr Geld. Denk doch an die Sparkassen neulich, wie die geschlossen haben. Warum? Weil sie kein Geld mehr zum Auszählen hatten. Nachher hat die Reichsbank ihnen wieder Geld gegeben, und da konnten sie wieder aufmachen. " "Und heute? " fragte Käte.
" Ja, heute haben sie wieder kein Geld, und wenn die Reichsbank ihnen kein Geld gibt, müssen sie wieder zumachen..." "Aber die Reichsbank gibt ihnen ja Geld, " warf Käte ein, "und die Reichsbank kann doch immer neues Geld drucken, wenn die Sparkassen Geld brauchen."
" Halt mal an!" unterbrach sie Fritz. "Weißt Du noch 1923, als immer mehr Geld gedruckt wurde? "
" Ja, aber kommt denn das jetzt wieder? Du glaubst, dass wieder eine Inflation kommt? " "Wenn das noch lange so dauert..."
" Aber das wäre doch ganz toll. Dann würden wir doch alle wieder alles verlieren. "
" Nee, ganz und gar nicht. Die Kapitalisten würden nichts verlieren. Im Gegenteil, die würden gewinnen. " "Aber was denn? ", fragte Käte etwas zweifelnd.
" Na, erstens würden sie ihre Schulden loswerden, die sie mit wertlosem Geld zurückzahlen, und dann würden sie die Löhne entwerten und die Gehälter. "
" Da wären wir, " brach Käte die Unterhaltung ab. Und beide gingen in das dunkle Treppenhaus, das zu Kätes Zimmer hinaufführte.


3. KAPITEL

Da stehen sie zu Hunderten, zu Tausenden. Jeder an seiner Maschine. Eingehüllt in einen Höllenlärm rasender Maschinen. Das Ohr ist tot. Es hört nichts mehr. Das Auge ist tot. Es sieht immer wieder dasselbe. Die Hände sind zu Maschinen geworden. Sie tun immer wieder das gleiche. Der Kopf ist leer.
So stehen die Metallarbeiter Tag für Tag an ihren Maschinen. Stumm, denn das Reden ist verboten. So hat es der Rationalisierungsfachmann gewollt. Still und gebückt. Das letzte aus sich herausholend, um das Tempo durchzuhalten.
Tag für Tag das gleiche Bild. Auch heute. Eine endlose Reihe. Doch was ist das? Ganz langsam geht eine neue Bewegung durch die Körper. Sie passt nicht in den Arbeitsprozess. Was ist geschehen? Ganz hinten, da beugt sich einer zum anderen. Der hält einen Augenblick erschrocken inne. Dann beugt er sich noch tiefer über die Arbeit. Seine Bewegungen werden noch hastiger. Scheu sieht er sich um, und flüstert etwas zu seinem Nebenmann auf der anderen Seite. Wieder das gleiche. Auch dieser erstarrt für einen Moment. Auch dieser beginnt seine Arbeit von neuem, noch gebückter, noch hastiger als zuvor. Auch er sieht sich dann um, ob der Meister ihn nicht beobachtet, und sagt es weiter. Der sagt es wieder weiter. Weiter und weiter wird es gesagt. Mit unheimlicher Gleichheit vollziehen sich die Bewegungen. Man kann ganz deutlich sehen, wie weit die Nachricht gekommen ist. Als sie die Mitte der langen Reihe erreicht hat, packt es plötzlich auch die anderen. Irgend etwas Furchtbares steht bevor. Eine unruhige Bewegung ergreift sie alle, geht durch die Reihen der Nachricht voraus. Sie beginnen zu ahnen.
Endlich haben es auch die Letzten gehört. Jetzt wissen es alle. Jetzt hat sich die Reihe wieder ausgerichtet. Sie sehen alle wieder gleich aus. Nur noch gehetzter als zuvor wird gearbeitet. Nur noch zerfurchter als zuvor sind die Gesichter der Älteren. Nur noch verbissener als zuvor sind die Bewegungen der Jüngeren. Alle, alle hat es gepackt: Lohnabbau.

Der alte Knorr war Fritzens Nebenmann. Er war eigentlich noch nicht alt, knapp 47 Jahre. Aber gegenüber dem Durchschnitt der Belegschaft war er alt.
Der alte Knorr meinte immer: "Das ist das Schauderhafteste, was ich je mitgemacht habe: man will nicht mehr, aber man muss. Und dann kriegt man so ein paar Kröten in die Flosse gedrückt. Das geht noch ein Jahr und noch einen Monat und noch eine Woche, man schuftet wie verrückt, das Geld wird immer weniger. Und dann heißt es eines schönen Tages: Herr Knorr, Sie können stempeln gehen. Wir brauchen Sie nicht mehr. " Und Fritz hatte ihm ebenso oft geantwortet: "Mensch, Knorr, mit Gefühl kannst Du da auch nichts machen. Da pfeifen die Herren Unternehmer drauf. Kämpfen musst du. Ihr seid eine komische Blase: immer jammern und jammern, und wenn ihr mal das Maul aufmachen sollt, dann verkriecht ihr euch hinter die Maschine. Was sage ich - Maul aufmachen? Und was hast du vor 20 Jahren gemacht? " "Da haben wir gestreikt!" meinte der alte Knorr. "Aber das waren auch andere Zeiten... Und ich war zwanzig Jahre jünger. " fügte er leiser hinzu.
Die Maschinen lärmen. Meister Dreher geht vorbei. Alles arbeitet. Keiner sieht auf.
In der Pause angelt sich Fritz den Knorr. Sie politisieren. Und was seit Wochen nicht passiert ist, das wird wieder zur Regel: die Kollegen scharen sich um die beiden. Jeder will hören. Jeder will sein Wort mitsprechen.
Fritz nimmt das Gespräch wieder auf: "Also Knorr, du sagst, früher habt ihr gestreikt, und jetzt geht das nicht mehr. Möchtest du mir nicht freundlichst mal erklären, warum es nicht mehr geht? "
" Das will ich dir sagen: weil wir dann einfach aufs Pflaster fliegen. Du kannst dir das leisten. Aber ich habe eine Frau und zwei Kinder, die noch nicht arbeiten. "
" Aber", warf Fritz ein, "die verfluchte Angst vor der Erwerbslosigkeit. Du meinst wir fliegen raus, und ein paar Erwerbslose kommen an unsere Plätze. Lieber Freund, die Erwerbslosen sind viel weiter als wir Betriebsarbeiter. Du kannst jeden Streik nehmen in den letzten Jahren: die Erwerbslosen haben Stange gehalten. Solidarität ist bei denen kein leerer Begriff."
Kappel drängte sich vor und unterbrach Fritzens Redefluss: "Und was versprecht ihr euch eigentlich von so einem Streik? Meint ihr, dass die Krise davon besser wird? Ich sage: sie wird schlimmer. Wir müssen arbeiten, damit wir übern Berg kommen. Aber du willst natürlich immer Unordnung schaffen. So seid ihr Kommunisten. "


FORTSETZUNG 18.10.1931, Sonntag

An verschiedenen Ecken erhob sich beifälliges Gemurmel. Der Einfluss des Gewerkschaftsreformismus war groß in dem Betrieb. Aber Fritz ließ sich von solchen Kleinigkeiten nicht klein kriegen. "Nu sei ganz ruhig", sagte er. "Jetzt arbeiten wir und arbeiten wir, und die Krise wird immer schlimmer. Ja oder nein? " Die Umstehenden mussten es zugeben.
" Und wenn wir weniger Geld kriegen, können wir weniger kaufen. Dann sinkt der Absatz. Klar? " Natürlich war es klar.
" Und wenn der Inlandabsatz sinkt, dann kann uns der schönste Export nicht wieder rausreißen. Und was haben wir denn davon, wenn die Unternehmer im Ausland verdienen? Meint ihr, dass sie dann ankommen werden und eine schöne Rede halten und sagen: Liebe Belegschaft, ihr habt uns treu gedient in der Zeit der Krise, nun wollen wir euch mal alles zurückzahlen, was wir an euch verdient haben? Nein, sie werden das auch noch einsacken. Sonst könnten sie uns ja jetzt was davon geben, was sie an der Konjunktur verdient haben. Habt ihr's nicht vorigen Sonnabend gelesen? Herr von Siemens hat in Nedlitz seinen Goldklub mit fast zwei Millionen Schulden. Da hat er jetzt wieder 300 000 Mark reingesteckt. Das stand in einem bürgerlichen Blatt. Aber uns baut er ab."
Kappel hatte noch nicht genug: "Und was willst du nun? ", fragte er. "Boxen für unser Recht", sagte Fritz. "Nicht mehr brav dabeistehen und darauf warten, dass man uns unseren Lohn kürzt und uns auf die Straße setzt. Kämpfen! Streiken! Vor zwanzig Jahren hat man gestreikt da ging es um kleinere Sachen. Heute geht es um das nackte Leben. Und da habt ihr Angst! Natürlich kommt dann das Patentparadies auch noch nicht. Aber wir sammeln uns. Jeder kleine Streik
ist ein Schritt vorwärts im Kampf gegen die herrschende Unordnung.
Und wenn die Berliner Metallbetriebe auf die Straße gehen, dann ist
das kein kleiner Kampf. Das wirkt auf die Arbeiter und auf die Unternehmer im ganzen Reich..."
Es klingelt. Die Gruppe löst sich in Grüppchen auf. Fritz geht wieder in seine Schraubenabteilung. Der alte Knorr schlurfte hinterher. Alle denken sie ihre Gedanken weiter. Sie wollen streiken - ja. Sie wollen kämpfen. Aber viele möchten die hundertprozentige Sicherheit haben, dass ihnen dabei nicht "passiert".
Als sie an die Arbeitsplätze zurückkommen, liegen kleine Zettel dort:

Dienstag alles in den "Grünen Baum".
Ein Kollege spricht über den kommenden Streik
der Berliner Metallarbeiter.
Erscheint in Massen! Roter Metallarbeiterverband.

Jeder steckte schnell und ängstlich den Zettel in die Tasche. Langsam rucken die Maschinen an. Die Bewegung beginnt. Die tote Halle ist wieder vom Lärmen der Maschinen erfüllt. Aber die Gedanken sind nicht bei der Arbeit.


4. KAPITEL

Schon brennt das elektrische Licht. Draußen wird es immer dunkler. Endlich! Die Fabriksirene heult. Feierabend. Die Maschinen laufen langsam aus. Schluss.
Von überall her kommen sie - müde, gebückte Gestalten. Runter zum Waschen. Die Jacke an, und dann nach Hause.
Ein breiter Strom. In Massen kommen sie durch die weitgeöffneten Fabriktore.
Unter den ersten ist Fritz Kruse.
Man sieht, dass er's besonders eilig hat. Rauf auf die Elektrische. Im Fahren liest er seine Zeitung fertig. Dann läuft er um die Ecke, steigt schnell die vier Treppen zu seiner möblierten Bude, schließt rum und macht auf. Die Wirtin ist nicht zu Hause. Durch den Schlitz hat man ein halbes Dutzend Briefe und Zeitungen geworfen. Alles für Fritz Kruse. Er überfliegt es mit größter Eile. Dann schmeißt er die Jacke ab und geht mit dem Kopf unter die Wasserleitung. Noch einmal gründlich waschen. Dann macht er die Röhre auf und holt seine Bouletten heraus, macht noch ein bisschen Margarine an die Bratkartoffeln. Während des Essens liest er das neue Rundschreiben: "Schon wieder fünf Seiten. Wer soll denn das im Kopf behalten? ", murmelt er vor sich hin. Aber trotzdem - er liest aufmerksam. Die Sachen sind alle wichtig.
Fritz Kruse steht nämlich im Mittelpunkt der Ereignisse. Er ist einer der roten Funktionäre in dem großen Metallbetrieb, der für den kommenden Streik mit ausschlaggebend ist.
Fritz stellt die Teller weg. Er zieht sich die neue Jacke an. Dann sieht er nach der Uhr. Donnerwetter, schon bald sechs. Käte kann er heute wieder nicht abholen. Gemeinheit!
Er steckt ein paar von den Briefen in die Tasche. Ein paar Zettel zerreißt er und lässt die Stückchen langsam im Ofen zergehen. Dann geht er los. Vier Treppen runter. Rechts aus dem Haus. Zwei Ecken weiter, dann einen kurzen Bogen links. Fritz verschwindet in einem Hausflur. Fünf Minuten bleibt er im Haus. Dann kommt er mit einem dicken Paket wieder raus. Er geht weiter. Bleibt wieder in einem Haus. Das Paket ist dünner geworden, als er nach weiteren zehn Minuten herauskommt.
Dann überquert er die Münzstraße. Die Laternen brennen längst. An den Ecken stehen Mädchen, die hier ihren Körper verkaufen. Für ein paar Mark. In die Haustüren gedrückt, verkaufen Männer Mäntel und Hosen. Uhren und schlechte Schmuckstücke. Herkunft unbekannt. Alle Minute treten sie ein paar Schritte vor, um zu sehen, ob die Polizeistreife vielleicht gerade im Anzug ist. Dann türmen sie bis zum ersten Stock des Hauses, in dem sie gerade stehen und kommen als harmlose Geschäftsleute wieder heraus.
" Echte Schweizer Uhren!" flüstert einer. "Ganz billig. Kommse mal ran, junger Mann, ne Armbanduhr für das Fräulein Braut." Fritz kann seinem "Fräulein Braut" keine Armbanduhr kaufen, sei sie auch noch so billig. Dazu reichts schon lange nicht mehr.
Was ein richtiger Kommunist ist, der hat Augen und Ohren überall offen. Fritz sah im Vorbeiflitzen alles. Er sah auch das junge Mädchen. Sie stand schon seit einigen Tagen an der Ecke Kaiser-Wilhelm-Straße. Sie wollte aussehen wie Fünfzehn. Sie trug Zöpfe und einen sehr kurzen Rock. Aber sie sah aus wie Mitte Zwanzig etwa. Immer noch jung genug für die Provinzfreier, die sich abends hier herumtreiben. "Nanu", sagt Fritz, als er sie sah. "Was machst du denn hier?"
Mensch, frage doch nicht so dumm", antwortete das Mädchen, das noch nicht über die kratzbürstige Bierstimme verfügte, die die Frauen hier bekommen, wenn sie das "Geschäft" ein paar Wochen lang machen.
Was soll ich denn machen? Ausgesteuert biste, Geld haste keins. Eltern sind auch nicht da. Der Freund ist ausgesteuert. Also steilste dich an die Ecke. Und wenn alle zwei Tage ein Kunde kommt, dann kannst du sagen, dass du Schwein gehabt hast. "


FORTSETZUNG 20.10.1931, Dienstag

"Aber Grete. Gibts denn für dich wirklich nichts anderes? Das machst du doch nicht lange."
" Wenn es was anderes gäbe, dann stände ich nicht hier", erwiderte das Mädchen mit müder Stimme. Zum Vergnügen hat das noch keine gemacht. Ja, dagegen war bei uns in der Schraubenabteilung direkt das Paradies. "
Fritz überlegte fieberhaft. Noch im Frühjahr hatte man mit dem Mädchen zusammen gearbeitet. Dann war sie mit dem großen Schwung auf die Straße geflogen. Und auf der Straße war sie dann auch geblieben wie Hunderte ihrer Leidensgefährtinnen. Ledige und Verheiratete. "Besuch mich mal gelegentlich, Grete. Oder ich komme wieder mal vorbei. Wir müssen mal zusammen sprechen."
" Gemacht Fritz. Aber vergiss es nicht. Mit mir will sowieso keiner mehr zu tun haben. Der Gustav, dem war ich früher gut genug. Jetzt bringe ich ihn so ein bisschen mit durch. Dafür quengelt er den ganzen Tag und schimpft immer, als ob ich hier zum Vergnügen stehe. Also, auf Wiedersehen, Fritz."
" Wiedersehen, Grete!" Fritz lief wieder los. Er ging über den Alexanderplatz, betrachtete über die Straße weg die Wache vor dem roten Haus, in dem Grzesinski und seine Beamten sitzen. Vor drei Wochen hat er wieder mal eine Nacht darin verbracht. Daran hat er sich schon fast gewöhnt. Das Kino gegenüber spielte gerade den großen Rührfilm: "Schön ist das Leben". Das lichtgeschmückte Plakat über dem Eingang klang wie blutiger Hohn. Und ein Haus weiter hing ein Schild im Schaufenster eines Schokoladengeschäfts: "Ausverkauf wegen Räumung - Selten billige Gelegenheit". Ein paar Kinder standen davor und suchten sich Bonbons aus. Aber kaufen konnten sie sich keine. Für sie war es schon viel, dass sie aussuchen konnten. Fritz ging weiter. Das Paket hielt er unter dem Arm geklemmt. Er kam zu dem Lokal, in dem die Genossen verkehrten. "Rot Front!" rief er zur Begrüßung. Und aus den Ecken klang es zurück! "Rot Front! - Heil Moskau! - Rot Sport!"
Fritz schmiss das Paket auf den Tisch, legte die Mütze daneben und bestellte: "Eine Molle, Karl. Aber ne große."
" Dir werden wir nächstens, mal nen Stiebel voll einkippen, du Gierschlunk ! " antwortete der Genosse Wirt. Fritz nahm seine Molle und verschwand im Hinterzimmer.


5. KAPITEL

Im Hinterzimmer saßen schon drei andere Genossen. Jetzt waren alle beisammen. Und sofort waren sie bei der Arbeit. Es muss eine
wichtige und geheimnisvolle Sache sein, die besprochen wurde.
Ab und zu griff einer in die Tasche und legte einen Zettel auf den Tisch. Sie sprachen leise, so dass in dem anliegenden Zimmer nichts zu verstehen war. Selbst wenn sie verschiedener Meinung waren, wurden ihre Stimmen nicht lauter. Nur die Bewegung der Hände und das Mienenspiel wurde lebhafter. So ging das eine ganze Weile. Dann schienen sie fertig zu sein und standen auf.
Sie zahlten und gingen zu Zweien nach verschiedenen Richtungen auseinander. Ab und zu überzeugten sie sich, ob ihnen niemand folge. Fritz ging mit einem Genossen in nördlicher Richtung . Er hörte Schritte. Ein Schupo. Harmlos wie jeder Spaziergänger geht er an ihm vorbei. Er denkt: "Jetzt geschnappt zu werden, mit dem Material in der Tasche, das wäre unangenehm." Aber er sagte nichts. Der nächtliche Gang führte die Beiden durch winklige Straßen. Sie machten einen Umweg durch Gegenden, in denen sie jeden Verfolger hätten sehen müssen. Man kann in diesen Zeiten nicht vorsichtig genug sein.
Die Straßen sind vollkommen dunkel. In der Proletariergegend spart die Stadt Licht, und darum brannten die Laternen nur in weitem Abstand. Vorwärts, immer vorwärts.
Endlich hatten sie ihr Ziel erreicht. Fritz zog den Schlüssel aus der Tasche und sie traten in den dunklen Hausflur ein. Vorsichtig, um sich blickend, gingen sie über den ersten und zweiten Hof. Alles war still, nur eine Katze suchte sich Reste aus einem Mülleimer zusammen. Fritz stolperte über einen zerbrochenen Stuhl, der dort herumlag, und fluchte.
Im dritten Hof bogen sie rechts ein. Wieder zog Fritz einen Schlüssel heraus. In der Dunkelheit, die sie nun umfing, konnte man nicht die Hand vor Augen sehen, aber Fritz wusste, dass es genau acht Stufen hinunterging. Sie mussten mächtig leise sein. Einmal falsch treten, und es gibt einen gewaltigen Krawall, wenn einer die Treppe herunterfällt.
Die beiden bemühten sich, die Füße so sanft wie eine elegante Tänzerin aufzusetzen. Leise knarrten die Stufen, aber die Proletarier im Haus schliefen den bleiernen Schlaf der Ausgebeuteten. Nichts rührte sich. Sechs - sieben - acht. Fritz flüsterte: "Warte mal 'n Moment." Er tastete sich vorsichtig weiter, bis zu der Kiste, auf der eine Kerze lag. Die zündete er an. Dann machten sie die Zwischentür wieder zu und sahen nach, ob die Fenster dicht schließen.
Das war ja ein toller Salon. Man konnte eigentlich sagen, dass die alte Kiste das einzige stabile Möbelstück war. Daneben standen zwei wacklige Schemel, denen man die Beine ausziehen konnte, wie einem Vogel die Federn zur Mauserzeit. Ein ziemlich gerupfter Sessel bildete das Prunkstück. Er stammte aus der Wohnung des Genossen Alex, der im zweiten Hof wohnte.
Die Kiste diente gleichzeitig als Tisch und als Koffer. Fritz machte sich an dem Verschluss zu schaffen, sah in den Koffer hinein und schien befriedigt: "Niemand hier gewesen", bemerkte er. Der andere nickte nur.
Sie zogen ihre Jacken aus. Dann holten sie ein in Lumpen gewickeltes Bündel aus der Kiste. Sorgfältig packten sie es aus. Nachdem die Hüllen gefallen waren, entpuppte es sich als eine kleine alte Schreibmaschine. Dann folgten ein paar Blatt Papier und schließlich fischten sie eine Wachsplatte heraus. Der Rest blieb in der Kiste. Nachdem sie alles vorbereitet hatten, nahm Fritz die Schlüssel und ging weg. Aber schon nach wenigen Minuten kam er zurück und brachte eine Genossin mit, die die Kunst des Maschinenschreibens fließend beherrschte. Sie sah sich erstaunt an dem Ort um, aber die Beiden ließen ihr nicht viel Zeit dazu. Sie mussten fertig werden. Fritz machte es sich in dem zerschlissenen Lehnsessel bequem, während die Genossin einen der beiden Schemel heranzog. Der andere Genosse machte sich an Türen und Fenstern zu schaffen, um die kleine Gesellschaft vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.
Fritz diktierte: "Metallarbeiter! Wieder wollen die Unternehmer einen Lohnraub…"


FORTSETZUNG 21. 10. 1931, Mittwoch

Es war die neue Betriebszeitung die sie da schrieben. Nach einer reichlichen Stunde waren sie fertig. Sorgfältig und unter Vermeidung von Lärm packten sie alles wieder zusammen. Dann schlossen sie die Kiste, löschten das Licht aus und sperrten die Kammer zu. Genau so leise wie sie gekommen waren, gingen sie über die Höfe zur Straße zurück. Erst an der Haustür wagten sie wieder ein Wort miteinander zu sprechen. "Das wäre geschafft", meinte Fritz. "Jetzt müssen wir noch abziehen. Ich denke, dass 1500 Zeitungen fürs erste reichen. "
Wiederum ging es durch die nächtlichen Straßen. Eine Kirchturmuhr schlug zwei. Die Genossen waren müde; aber sie konnten sagen, dass sie wirklich etwas geschafft hatten. Wiederum zogen sie, wie späte Spaziergänger, durch die menschenleere Gegend. An einer Ecke verabschiedeten sie sich kurz, nachdem sie sich noch leise für den nächsten Tag verabredet hatten.
Zwanzig Minuten später stand Fritz vor einem alten Hause. Er musste ein paar Minuten warten, bis ein Mann ihm öffnete. Wieder wanderten sie durch Höfe und über knarrende Treppen. Endlich waren sie da. Wieder eine Kammer. Sie unterschied sich von der vorigen durch größere Enge und reichlichere Möblierung. Auf dem Gasherd stand ein Wassertopf, daneben eine Teekanne. Die beiden Genossen, von denen sich Fritz vorhin getrennt hatte, hatten schon alles vorbereitet. Sie waren erwerbslos und konnten leicht eine Nacht aufbleiben. Fritz gab ihnen die Wachsplatten und trank schnell noch ein Glas Tee, bevor er sich todmüde auf den Heimweg machte. Die erwerbslosen Genossen fingen inzwischen an, die Wachsplatten auf den Apparat zu ziehen, und bald wanderten die ersten Bogen mit dem Aufruf und mit den Nachrichten aus dem Betrieb und der Walze hervor.
Als alle vier Seiten abgezogen waren, hatte Fritz schon zwei Stunden heruntergeschlafen. Aber die Aufgabe der beiden Nachtarbeiter war noch nicht beendet. Sie legten die Blätter zusammen und zählten die Zeitungen ab. Dann nahmen sie jeder eine Mappe in denen sie die abgezählten Stöße verstauten. Als die Uhr 1/2 6 schlug, machten sie sich auf den Weg nach der Fabrik.


6. KAPITEL

Drei Minuten Freiübungen. Drei Minuten kalte Wasser auf den Kopf.
Nun war Fritz wieder munter. Es war noch ziemlich dunkel draußen.
Die Turmuhr haute gerade dreiviertel sechs.
Nun rubbelte er sich den Kopf ab. Dann zog er sich langsam an. Dabei nahm er hin und wieder einen Schluck aus der Thermosflasche, die die Wirtin ihm jeden Abend hinstellte, und dazwischen biss er einen Happen von seinen halbvertrockneten Stullen ab.
Als er schon ziemlich fertig war, da rappelte der Wecker. Fritz lachte ihn aus. Er war ohne ihn aufgewacht.
Nun los. Galopp zur Straßenbahn. Die war noch nicht sehr voll. Er konnte ausnahmsweise in aller Ruhe in der Ecke lehnen und die Zeitung lesen. "Frauen in den Sportpalast!" Da sollte das Schutzprogramm der Kommunisten für die werktätigen Frauen erläutert werden. Da muss er mit Käte hingehen.
Ja, Käte ! Die würde sicher traurig sein, dass er sich die letzten zwei Tage überhaupt nicht sehen ließ. Er selbst hatte auch Sehnsucht nach ihr. Aber er versuchte, sich selbst nichts davon merken zu lassen. In Braunschweig haben die Arbeiter Nazis verprügelt. Die Prügelei
setzte sich mehrere Tage fort. Die Nazis trauten sich nicht mehr aus dem Bau.
Es war noch allerhand los. Fritz las und las. Aber er sah öfter als sonst hinaus auf die sich langsam belebende Straße, damit er nicht übers Ziel hinausfuhr.
Er war ein bisschen gespannt, wie viel Zeitungen die Genossen schon verkauft hatten. So stieg er aus und beeilte sich, die paar hundert Meter zurückzulegen. Der Strom der Arbeiter war noch sehr dünn, denn es war noch nicht dreiviertel sieben.
Zwei Schupos patrouillierten, als hätten sie hier nichts zu tun. Als wären sie ganz zufällig hier. Vor dem Portal standen noch vier weitere. Aber von den Zeitungsverkäufern war nichts zu sehen. Natürlich, sie konnten nicht unter den Augen der hohen Obrigkeit verkaufen. Fritz lief um den Zaun herum. Nirgends hatten sich die Genossen hingestellt. Keine Zeitung war zu sehen. Nanu? Was war denn das9 Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu.
Jetzt schlug's dreiviertel. Niemand ließ sich blicken. Der Strom der Arbeiter verdoppelte sich. Kein Genosse mit Zeitungen war da. Die Schupos standen wie festgewachsen vor dem Portal. Die Ankommenden sahen sie verwundert an. Aber dann gingen sie an der Stempeluhr vorbei, hinein in den Betrieb. Keiner nahm eine Zeitung mit. Wann kamen den die Genossen endlich?
Kappel kam an, seine Mappe unter dem Arm. "Na, Kruse, willst du nicht mit reinkommen? "
" Ich komme schon", rief Fritz zurück. "Ich warte noch auf Kropp. " Aber Fritz wartete, bis es zwei Minuten vor sieben war. Dann erst ging auch er durchs Portal. Nicht eine Zeitung war verkauft worden. Tolle Sache! Waren die Genossen nicht fertig geworden? Oder war was passiert' Er wusste keine Antwort. Auch die anderen Genossen hatten nach der Zeitung und den Händlern gesucht. Vergebens. Nun musste man neun Stunden herumarbeiten in dieser elenden Ungewissheit. "Na", sagte Alex, "die sind nicht fertig geworden. Natürlich, wenn man nicht daneben steht. Zum Kotzen! Und nun kommen wir wieder einen Tag später. Wer soll dem dabei eine vernünftige Belegschaftsversammlung zusammenkriegen? "
Fritz sagte nichts mehr. Er arbeitete wie jeden Tag. Er diskutierte wie immer. Aber er war unruhig wie nie.
Kaum tutete es, da lief er schon von der Maschine weg. Drei Minuten später war er auf der Straße. Lesen konnte er nicht. Am Alex sprang er ab. Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf das rote Polizeihaus. Ob die Genossen da drinnen saßen mit den Zeitungen?
Er ging dorthin, wo gestern abend die Blätter abgezogen worden waren. Niemand öffnete. Er klopfte und klingelte. Aber es war offensichtlich keiner zu Haus.
Also wieder los. Zehn Minuten später war er auf dem Bezirkskomitee in der Münzstraße und meldete, dass zwei Genossen spurlos verschwunden seien. Zuerst lächelten die Genossen da oben, weil zwei Mann nicht spurlos verschwinden können. Aber da man Fritz als ruhigen und nicht übertreibenden Funktionär kannte, notierte man. Er sollte am nächsten Tage noch einmal kommen und Bericht erstatten oder Bescheid abholen.
Fritz war es nicht recht, dass man die Sache so auf die leichte Schulter nahm. Es musste doch irgendwas passieren. Was? Das wusste er selbst nicht genau. Aber man konnte doch die beiden Genossen nicht einfach verschwunden sein lassen.


FORTSETZUNG 22. 10. 1931, Donnerstag

Und die Betriebszeitung? Sollte man sie noch einmal machen? Sollte man bis morgen warten? Er ging noch einmal an die verschlossene Wohnung. Aber wieder meldete sich niemand.
Er machte zehn Wege, um sich zu beruhigen. Nur Alex traf er zu Hause an. Der versuchte, ihn zu beruhigen. Es gelang ihm schlecht. Aber Fritz musste einsehen, dass man im Augenblick nichts unternehmen konnte.
Als er wieder über den Alexanderplatz ging, war es beinahe halb acht Uhr. So stellte er sich, schmutzig, wie er noch war, an den Personalausgang des großen Warenhauses. Es dauerte nicht lange, bis Käte kam. Sie strahlte, als sie ihn sah, aber dann sah sie an ihm herunter und meinte, er hätte sich ruhig sauber machen können. Er antwortete verstimmt: "Sei froh, dass ich überhaupt gekommen bin. Aber wenn's dir lieber ist, gehe ich gleich los".
Käte wusste nicht, was dieser Ton bedeuten sollte. Sie hatte ihn bei Fritz noch nicht gehört. Aber sie lenkte ein: "War nicht so gemeint. Komm, jetzt gehen wir erst zu dir. Dann kannst du dich umziehen und waschen. Und dann essen wir bei mir. Und dann können wir bummeln gehen. Ich habe noch acht Mark bis zum Ersten. "
Fritz brummte eine unverständliche Antwort. Käte hakte sich ein, und so gingen sie zusammen durch die Straßen. Käte war guter Stimmung. Aber Fritz war heute gar nicht bei der Sache.
Als sie sich einige Stunden später trennten, stellte Käte bei sich fest, dass Fritz heute abend ein wenig unterhaltender Gesellschafter gewesen war.
Als sie schon im Hausflur verschwunden war, erinnerte sich Fritz, dass er das Mädel doch schlecht behandelt hatte. Sie konnte gar nichts dafür, dass die Sache mit den Betriebszeitungen nicht geklappt hatte. Er zog sie wieder auf die Straße, nahm sie am Arm und schlenderte noch einmal mit ihr los. So gingen sie noch eine Viertelstunde. Am nächsten Morgen fand Kätes Wirtin, als sie wecken kam, das Zimmer leer. Sie schimpfte heidenmäßig auf diese Jugend, bis sie sich wieder in ihre Küche zurückzog, um noch einmal herum zu schlafen.

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