FÜNFTER AKT
Nachmittag desselben Tages. Platz vor der Wachsmannschen Fabrik, deren Fassade an der linken Seite der Bühne zum Teil sichtbar ist. Großer Vorhof, um den sich vorn bis etwa zur Hälfte ein auf Zement aufgebautes Eisengitter schließt. Wo die Gitterpforte stehen sollte, hört die Umschließung auf. Die Pforte ist durch zwei vierkantige Steine angedeutet, deren einer frei steht. Vom Hintergrunde links führt eine Straße schräg in den offenen Vorhof hinein; auf beiden Seiten Laternen. Weit hinten sieht man Häuser und Schornsteine. Vorn links führt eine schmale Straße am Gitter vorbei. Im Hintergrund Bäume mit Schmeresten. Rechts hinten eine Hausecke, bei der eine Straße in den Platz mündet, in die der Ausblick durch einen Straßenbahnwagen mit zerbrochenen Scheiben und freihängender Stange verdeckt ist. Die Schienen führen über den Platz. Trambahndrähte sind ausgespannt. Rechts zurückliegend Häuser, vorn ein Wirtshaus, durch eine Traube gekennzeichnet, eine Freitreppe bezeichnet den Eingang. Die Straße links vorn setzt sich nach rechts, vor dem Wirtshaus vorbei, fort. Im Vorhof der Fabrik viele Menschen mit roten Rosetten. Man sieht rote Fahnen und Plakate. Ein Haufen Menschen steht um den Straßenbahnwagen herum. Im Vordergrund etwas links eine Gruppe Arbeiter, darunter Trotz, Dietrich, Färber, Fischer, Braun, Rosa, Rund und ein Trambahnführer.
BRAUN: Ja, lieber Freund, da dürfen Sie sich nicht beklagen, wenn Sie am Streiktag fahren. -
TROTZ: Und dann noch mitten hinein, wo die Arbeiter sich sammeln!
TRAMBAHNFÜHRER: Ich konnte doch das nicht wissen, dass man mir gleich den Wagen entzwei schmeißen würde!
DIETRICH: Ganz recht ist's geschehen. — Wer sich zum Streikbrecher hergibt!
TRAMBAHNFÜHRER: Es sind doch alle ausgefahren!
FÄRBER: Das ist traurig genug!
TRAMBAHNFÜHRER: Man will doch leben.
TRAMBAHNSCHAFFNERIN (mit Rosette, drängt sich vor): Das ist Quatsch Ich weiß, wo ich hingehöre an solchem Tag. Da hättest du auch deinen Wagen stehen lassen können.
DIETRICH: Bravo! — Ja, die Weiber!
SCHAFFNERIN: Mein Mann ist drei Jahre draußen und schon zweimal verwundet und jetzt ist er schon wieder in Flandern. Ich hab's satt mit den Kindern!
TROTZ: Wir sind doch alle Proletarier. Wir gehören doch zusammen.
TRAMBAHNFÜHRER: Na ja. - Mir kann's ja gleich sein. (Ab in den Hintergrund.)
SCHAFFNERIN: So sind sie alle. Bloß dass der Lohn nicht mal einen Tag ausfällt. (Die Umstehenden verlaufen sich.) (Von rechts vorn treten auf Seebald, Lecharjow und Flora.)
DIETRICH: Ah! Da kommen ja unsere Freunde. —
LECHARJOW (hält Umschau): Es sind noch weniger, als ich geglaubt habe.
TROTZ: Es macht nichts. Es ist ein Anfang.
LECHARJOW: Ist auch mehr. Wenn ein Scheintoter rührt den kleinen Finger, sieht man, dass man ihn noch kann erwecken.
FLORA: Was ist denn mit dem Trambahnwagen?
FÄRBER: Die Leute haben ihn angehalten. Die Passagiere mussten heraus, und weil der Führer nicht absteigen wollte, haben sie ihn heruntergeholt und die Scheiben eingeschlagen.
DIETRICH: Jawohl! Und den Kontakt haben wir ihm ausgehoben. So muss es allen Streikbrechern gemacht werden, diesen Schuften!
SEEBALD: Man soll niemanden zwingen, gegen seinen Willen zu handeln.
BRAUN: Aber wenn er doch mitten durch die Streikenden fährt!
SEEBALD: Gewalt ist nie das richtige Mittel. — Aber was haben Sie denn am Kopf? Sind Sie verwundet?
BRAUN (lacht): Ja, da haben die andern Gewalt gebraucht, weil ich Streikposten gestanden hab'.
FLORA: Aber Rund, Sie sollten sich in Ihrer Uniform doch mehr unter der Menge halten.
RUND: Oh, es sind noch eine Menge Soldaten dabei. — Sehen Sie nur.
ROSA: Aber meistens bloß Verwundete.
RUND: Es macht nichts. Wenn alles gut geht, können Sie mir nicht mehr viel anhaben.
TROTZ (zu Flora): Was ist denn mit Schenk? Er kommt doch?
FLORA: Natürlich. Er muss jeden Augenblick hier sein. Wir wollten ihn nur ein paar Minuten ausruhen lassen.
BRAUN: Er war heute gar nicht gut beisammen.
TROTZ: Der arme Kerl. Mit seiner Lunge will's gar nicht ordentlich werden. Seine Arbeit ist auch nichts für ihn. Immer am Setzkasten und den Bleistaub einatmen.
FÄRBER: Und dann noch die Aufregungen heute.
SEEBALD: Leider hab' ich sie noch gesteigert. Hoffentlich wird sein Groll nicht anhalten.
FLORA: (abseits zu Trotz): Wissen die Leute Bescheid über Klagenfurter?
TROTZ: Ja. Sie meinen alle, man müsste ihn herausholen.
FLORA: Das ist gut. (Zurück zu den übrigen.)
(Von hinten her tritt auf Laßmann am Arm seiner Frau.)
FRAU LASSMANN: Da stehen Sie ja alle.
DIETRICH: Unser Anführer! — Laßmann, wo hast du die Fahne!
LASSMANN: Ja! — Gebt her eine rote Fahne! (Tastet um sich.)
TROTZ: Du bekommst eine, Ernst, wir gehen gleich in den Hof.
Es liegt schon eine bereit für dich.
LASSMANN: Ist Professor Seebald gekommen?
SEEBALD: Ja, Freund Laßmann, ich bin hier. (Fasst seine Hand.)
LASSMANN: Er ist da, Thilde. Ja, wir beide wollen vorangeh'n, Sie und ich, — und ich werde die Fahne tragen. — Das ist ein Glückstag heute. Mir ist, als ob ich mein Augenlicht wieder kriegen sollte.
SEEBALD: Man darf nie die Hoffnung aufgeben.
LASSMANN: Oh, ich bin glücklich! — Es lebe die Freiheit! Es lebe der Friede! (Leute sammeln sich um die Gruppe.)
DIETRICH: Es lebe die Revolution!
LASSMANN: Und Professor Seebald soll leben!
EIN ARBEITER: Seebald ist da, Genossen! — Mathias Seebald! —
VIELE STIMMEN: Hoch Seebald! Hoch! (Viele kommen gelaufen, umdrängen Seebald.) Hoch unser Führer! Hoch!
SEEBALD: Ich danke Ihnen, Freunde, aber auf meine Person kommt es nicht an. Wir müssen für den Frieden arbeiten.
STIMMEN: Es lebe der Friede! — Nieder mit dem Krieg!
FLORA: Es ist drei Uhr vorbei. — Die Leute müssen sich aufstellen.
LASSMANN: Meine Fahne!
TROTZ: Ja, wir gehen jetzt. Kommen Sie, Mathilde! (Alle ab in den Fabrikshof. Der ganze Platz leert sich dorthin. Große Bewegung im Hof. Von links tritt auf Strauß, der von der Ecke aus die Vorgänge beobachtet. Er bemerkt Tiedtken allein auf dem Platz.)
STRAUSS (tritt auf ihn zu): Guten Tag, Herr Tiedtken; — auch hier?
TIEDTKEN: Mich überrascht es, Sie hier zu sehen.
STRAUSS: Pflicht! Ich muss doch versuchen, die Leute vor Dummheiten zu bewahren.
TIEDTKEN: Sie halten das Ganze für eine Dummheit?
STRAUSS: Noch schlimmer: Für ein Verbrechen.
TIEDTKEN: Ich meine aber doch, wenn ein Mann, wie Professor Seebald sich an die Spitze stellt, dann kann es doch wohl nur dem Guten dienen.
STRAUSS: Sie sind ein harmloser Mensch, Herr Tiedtken. Sie leben in ihrer Welt der Schönheit und der Kunst. Da gehen Ihnen die schönen Worte Seebalds wie Honig ein. Ich sage Ihnen! Der Mann ist ein höchst gefährlicher Intrigant.
TIEDTKEN: Sie kennen Ihn doch wohl nicht. Er hat wirklich ein Herz für die Arbeiter.
STRAUSS: Nicht wahr? Und wir sind die Verräter am Proletariat!
TIEDTKEN: Ich muss Ihnen ehrlich gestehen, der Aufruf von Partei und Gewerkschaften auf demselben Blatt wie die Drohungen des Generals Lychenheim hat mir sehr missfallen.
STRAUSS: Wir mussten es den Arbeitern ganz deutlich machen, dass sie bei diesem frevelhaften Spiel auf ihre Organisationen nicht im geringsten rechnen können.
TIEDTKEN: Soweit ich die Arbeiter gehört habe, waren sie aber äußerst ungehalten.
STRAUSS: Wie viel Arbeiter haben Sie denn im ganzen gesprochen? — Und ich kenne ja die Sorte, mit der Sie Fühlung haben. Ich weiß, welche Fäden Sie überhaupt nur mit Proletariern verbinden.
TIEDTKEN: Ach, was Sie meinen, trifft nicht mehr zu. Diese Fäden habe ich zerrissen.
STRAUSS: Das war gescheit. Sie sollten aber auch den Verkehr mit Seebald aufgeben. Das ist ein ausgemachter Scharlatan.
TIEDTKEN: Aber ich bitte Sie, Herr Strauß. — Eine Persönlichkeit von solchem Ansehen!
STRAUSS: Was wissen denn Sie? Wen hat er denn hinter sich? Ein paar leichtgläubige Literaten, — nehmen Sie mir die Offenheit nicht übel; ein paar unbefriedigte Hysterikerinnen und ein paar nervös gewordene Arbeiter. Und jeder verehrt ihn für was anderes: Ihr Ästheten für seine transzendentale Philosophasterei; — die alten Schachteln, weil er mit seinem mystischen Augenverdrehen ihre Geilheit kitzelt, und die Wirrköpfe von Arbeitern wegen seiner anarchistelnden Anführer-Allüren.
TIEDTKEN: Aber jeder Mensch rühmt doch seinen Idealismus.
STRAUSS: Glauben Sie? — Ich wünschte nur, Sie könnten mal die Soldaten über ihn reden hören.
TIEDTKEN: Sie meinen wohl die Offiziere?
STRAUSS: Nein — die Soldaten. Die wissen ganz genau, dass jetzt alles darauf ankommt, die letzten Kräfte zusammenzunehmen — und durch! Wissen Sie, die haben den Krieg bis zum Halse, und wenn ihnen jetzt einer dazwischen kommt, gerade wo es dem Abschluss zugeht, und predigt ihnen Passivität, Desertion, Feindesliebe, kurzum lauter Dinge, die zu
Rückschlägen führen und dadurch den Krieg ins Grenzenlose verlängern, da geht ihnen die Galle hoch. Das kann ich Ihnen sagen.
TIEDTKEN: Die meisten glauben aber doch nicht mehr an den Sieg.
STRAUSS: Einige, die von diesen Phrasenhelden benebelt sind. Aber die andern — die große Mehrzahl! Mein Lieber, zu uns kommen sie doch, zu uns haben Sie Vertrauen. Da hab ich mehr als einmal gehört: Wenn wir den Kerl, den Seebald mal unter die Fäuste kriegen, — der kommt uns nicht heil wieder heraus! (Von rechts tritt Schenk auf, bemerkt die beiden, bleibt stehen.)
TIEDTKEN: Nein —, das hätte ich aber nicht gedacht.
STRAUSS: Ja schimpfen auf die Arbeiterführer ist leicht. Aber unsereiner, der von jung auf die Kleinarbeit gemacht hat in der Partei, der die Organisation mit hat aufbauen helfen von ihren kümmerlichen Anfängen an, — der kennt das Proletariat der weiß, wo es der Schuh drückt. Das dürfen Sie glauben. Wir haben die Erfahrung. Wir wissen auch jetzt, wie wir das Volk am heilsten durch diese verworrene Zeit bringen. — Realpolitik, mein Verehrter, — darauf kommt es an; nicht auf Redensarten und solche Lächerlichkeiten wie das da! — Kommen Sie mit? Ich möchte ein bisschen herumhören.
TIEDTKEN: Wollen wir gleich zur Fabrik hinein?
STRAUSS: Ich werde mich hüten. Nein, der Moment kommt noch. (Fasst Tiedtken unter. Beide ab in den Hintergrund.)
SCHENK (kommt langsam vor, geht am Wirtshaus vorbei. Aus dem Wirtshaus tritt Tessendorff, unauffällig gekleidet).
TESSENDORFF: Herr Schenk!
SCHENK (dreht sich um): Ach so, Sie sind es.
TESSENDORFF: Lassen Sie uns hier vortreten, da sieht man
uns nicht. (Sie stehen vor der Freitreppe, die sie deckt.)
Seebald ist hier!
SCHENK: Ich weiß.
TESSENDORFF: Ja, was meinen Sie denn nun?
SCHENK: Was soll denn ich dazu noch meinen?
TESSENDORFF: Keine Umstände bitte. Punkt 3 Uhr rückt das Militär an. Die Verhaftungen werden von Soldaten vorgenommen.
SCHENK: Was für Verhaftungen?
TESSENDORFF: Na, Seebald — und was weiß ich!
SCHENK: Sie hatten mir zugesagt, dass außer ihm niemand festgenommen werden soll.
TESSENDORFF: Sie hatten sich selbst auch eventuell zur Verfügung gestellt. Den geeigneten Moment gegen Seebald müssen Sie kenntlich machen.
SCHENK: Ich? Wie komme ich denn dazu? — Die saubere Arbeit machen Sie gefälligst allein!
TESSENDORFF: Herr Schenk, ich habe eine Quittung von Ihnen bei mir.
SCHENK: Und da meinen Sie, Sie haben mich jetzt in der Hand? Sie können das Geld wieder haben, Herr Polizeirat!
TESSENDORFF: Die Polizei macht abgeschlossene Geschäfte nicht rückgängig. Übrigens waren Sie doch heute früh selbst noch der Meinung, dass wir im Falle der Anwesenheit Seebalds einen neuen Plan verabreden müssen. Wollen Sie jetzt, dass er die Leute heimschickt? Es ist doch wohl keine Frage, in welchem Sinne er sprechen wird. Er wird abwiegeln.
SCHENK: Das ist gar nicht sicher.
TESSENDORFF: Das müssen Sie eben vorher herausbekommen. Wenn er selbst zum Vorgehen ausruft, umso besser: Dann brauchen wir ihn gar nicht festzunehmen. Dann könnten wir mit seiner Verhaftung nur schaden. Sie müssen deshalb vorher mit ihm sprechen und mir, wenn er bremsen will, ein Zeichen machen.
SCHENK: Was für ein Zeichen denn?
TESSENDORFF: Irgend eins. - Sie könnten ihm z. B. die Hand auf die Schulter legen.
SCHENK: Ich könnte ihm ja auch gleich einen Kuss geben.
TESSENDORFF: Wenn Sie das lieber wollen.
SCHENK: Nein, nein! — Es fiel mir nur so ein, vergleichsweise. Also gut, ich werde ihm die Hand auf die Schulter legen.
TESSENDORFF: In dem Augenblick schicke ich Soldaten vor zu seiner Festnahme. Und dann können Sie ja Ihre Freunde zu Hilfe rufen.
SCHENK: Daran soll es nicht fehlen.
TESSENDORFF: Ich kann mich also auf Sie verlassen.
SCHENK: Aber bilden Sie sich bitte nicht ein, dass ich jetzt einer der Ihrigen bin.
TESSENDORFF: Auf Ihre Sympathie legt die Polizei keinen Wert. — Aber ich möchte Sie noch auf eins aufmerksam machen: Handeln Sie gegen die Abrede, das heißt, bekommen Sie selbst Angst vor Ihrer Courage, oder wie man das so nennt — Gewissensbisse —
SCHENK: Bitte, bemühen Sie sich nicht um meine Seele.
TESSENDORFF: Nicht im mindesten. Ich will Ihnen nur sagen; es kommt genügend Militär um den ganzen Platz zu umumstellen. Es ist beabsichtigt, nur Handwaffen zu gebrauchen. Gehen die Dinge aber nicht nach Wunsch, so sind für alle Fälle auch Maschinengewehre dabei und für den äußersten Fall Flammenwerfer. Was dann noch mit dem Leben davon kommt, wird eingesperrt. Sie wissen jetzt Bescheid.
SCHENK: Es ist gut. (Tessendorf ab in die Straße hinten rechts. Schenk geht quer über den Platz auf die Fabrik zu. Eine Anzahl Arbeiter kommen ihm entgegen, darunter Marie Klagenfurter.)
MARIE: Ich hab's ja erst vor einer Stunde erfahren. Mein Gott, wenn sie ihn nur nicht erschießen!
SCHENK: Sie sind es, Marie!
MARIE: Gott sei Dank, Schenk! — Sie wissen, dass sie Stefan gefangen haben?
SCHENK: Ja, seien Sie nur ganz ruhig. Wir holen ihn heraus.
ARBEITER: Jawohl wir ziehen zum Militärarrest. — Klagenfurter muss frei werden! (Es sammeln sich mehr um die Gruppe.)
MARIE: Meinen Sie nicht, dass ihm dabei etwas passieren kann?
SCHENK: Unsinn. — Nur Ruhe! - Gehen Sie heim und regen Sie sich nicht unnötig auf.
FLORA: (tritt vor): Raffael, endlich! — Was steht ihr hier herum? Es ist höchste Zeit! (Marie verläuft sich mit vielen andern.)
SCHENK: Wo ist Seebald?
FLORA: Ich habe ihn eben noch gesehen. — Wie fühlst du dich?
SCHENK: Danke, ich bin ganz frisch.
FLORA: Was hältst du davon, dass keine Polizei da ist?
SCHENK (sieht nach der Uhr): Es wird gleich Militär kommen.
FLORA: Wieso denkst du?
SCHENK: Punkt 1/2 4 Uhr wird anmarschiert Sie können jeden
Augenblick hier sein.
FLORA: Aber woher willst du denn wissen?
SCHENK: Ich weiß es eben.
FLORA: (sieht ihn scharf an): Raffael! — Das ist mir unheimlich.
(Man hört eine Uhr zweimal anschlagen. Aus den Bäumenheraus laufen Arbeiter über den Platz.)
ARBEITER: Militär kommt! — Militär!! (Großer Aufruhr. Ausdem Fabrikhof strömen Arbeiter heraus. Seebald, Leeharjow, Dietrich, Trotz werden sichtbar. Laßmann, vonseiner Frau geführt, trägt eine rote Fahne.)
LASSMANN: Mir nach, Genossen! (Niemand kümmert sich um ihn.) Mir nach! (Wird abseits gedrängt.)
DIETRICH: Vorwärts, Genossen! Werft den Trambahnwagen um!
VIELE: Den Trambahnwagen! — Barrikaden!
LECHARJOW: Sie sind nicht bei Trost! Was wollen Sie bauen Barrikaden, wenn Sie keine Waffen haben!
SEEBALD: Ich werde den Soldaten entgegen gehen, — mit ihnen sprechen.
SCHENK: Nein, Professor! — Lassen Sie die Leute! (Eine Menge Arbeiter stürzen auf den Trambahnwagen zu, versuchen ihn aus dem Geleise zu heben. Man hört die Tritte anmarschierender Soldaten aus der Straße hinten rechts. Ein Leutnant tritt beim Trambahnwagen vor. Hinter ihm taucht Tessendorff auf.)
LEUTNANT: Zu—rück!! (Die Masse flüchtet in den Fabrikhof. Wenige stehen vor dem Gitter, darunter Seebald, Lecharjow, Schenk, Flora, Trotz, Dietrich, Soldaten nehmen, Gewehr bei Fuß, Aufstellung vor der Häuserreihe. Rechts, hinter dem Straßenbahnwagen sieht man zahllose
Helme. Der Leutnant, neben ihm Tessendorff, stehen vor dem Wagen.)
TROTZ (geht auf die Soldaten, zu): Ihr werdet doch nicht auf
eure Volksgenossen schießen!
UNTEROFFIZIER: Weg da! — Hier wird nicht verhandelt!
FLORA: Wollt ihr Wehrlose angreifen!
SOLDATEN: Halts Maul, Drecksau!
SCHENK (zieht Seebald beiseite): Jetzt muss es gewagt werden.
SEEBALD: Was! Sie wollen die Menge gegen diese Horde treiben?
SCHENK: Nein — Sie müssen es tun. Das wird Eindruck machen!
SEEBALD: Niemals! (Schenk redet weiter auf ihn ein, werden von anderen verdeckt.)
DIETRICH (springt auf den Stein am Eingang. Zu den im Hof Versammelten): Genossen! Sie haben es gewagt, Soldaten gegen die unbewaffnete Arbeiterschaft loszulassen!
RUFE: Pfui! — Nieder!
DIETRICH: Aber sie werden es nicht wagen auf uns zu schießen, wenn die roten Fahnen uns voranwehen. Denkt an den Genossen Klagenfurter! — Wollt ihr ihn den Klauen der Militärbestie lassen?
RUFE: Nein! Nein! — Klagenfurter muss heraus!
FLORA: (tritt neben Dietrich): Zum Zeughaus, Genossen! — Wir müssen Waffen haben!
RUFE: Zum Zeughaus! — Zum Zeughaus! (Die Menge drängt ungeordnet vor und steht jetzt zum Teil mitten auf dem Platz, den Soldaten gegenüber. In der Mitte vorn Schenk und Seebald.)
SCHENK (zieht einen Revolver aus der Tasche): Sie sehen doch, Sie können die Menge doch nicht mehr halten. — Nehmen Sie! Gehen Sie voran!
SEEBALD: Behalten Sie Ihre Waffe! — Ich trage keine Waffen!
SCHENK: Ich beschwöre Sie, Mathias Seebald! (Legt ihm die Hand auf die Schulter.)
SEEBALD: Nein! Unter keinen Bedingungen!
TESSENDORFF (mit 6 — 8 Soldaten auf Seebald zu): Hier. Das ist er! — Der hat alles verschuldet. Das ist Professor Seebald.
Ich erkläre Sie für verhaftet. (Zeigt seinen Ausweis. Soldaten packen Seebald, stoßen ihn mit dem Kolben zurück gegen die Mitte.)
SEEBALD (zu Schenk): Raffael! Raffael! — Das hätten Sie nicht tun sollen!
SCHENK: Hierher! Hierher!! — Sie schleppen Seebald fort!!
DIETRICH: Befreit ihn! — Befreit Seebald!! (Man hört Kommandorufe. Die Soldaten legen die Gewehre an. Die Menge weicht langsam.)
DIETRICH: Angefasst, wer kein Feigling ist! (Fasst Seebald an,versucht ihn herauszuzerren.)
LEUTNANT: Feuer! (Salve. Die Menge stiebt in wilder Flucht auseinander, die meisten in den Fabrikhof, viele zwischen die Bäume und in den Hintergrund. Die Soldaten schießen weiter. Dietrich fällt. Man sieht Fliehende stürzen.
FLORA: sinkt vorn am Gitter um. Vom Hintergrund kommt Strauß, ein weißes Tuch schwenkend. Das Feuern hört auf.)
STRAUSS: Es ist genug! Nicht mehr schießen! (Aus dem Kreis der Soldaten wird Seebald wieder vorgestoßen. Die Leiche Dietrichs liegt vorn rechts. Trotz und Fischer treten an Sie heran, Schenk schwankt allein ganz fassungslos umher.)
TROTZ (nimmt den Hut ab, ebenso Fischer): Dietrich! — Er ist für seine Sache gestorben. — Warum hat's mich Alten nicht treffen können? — Er sieht in den Himmel, als begriffe er es noch gar nicht, dass wir verloren haben.
FISCHER: Ich will ihm die Augen zumachen. (Tut es.)
STRAUSS (hat inzwischen mit dem Leutnant verhandelt): Lassen Sie mich mal vorbei! — Ich muss reden!
TROTZ: Ist der auch noch hier?
STRAUSS (steigt auf den Stein): Genossen! Ihr braucht keine Furcht mehr zu haben. Ich habe dafür gesorgt, dass nicht mehr geschossen wird. Die Schuldigen werden natürlich zur Verantwortung gezogen. Ihr Übrigen wart verhetzt. Die Partei wird veranlassen, dass niemand gemaßregelt wird, der morgen die Arbeit wieder aufnimmt. Geht jetzt in Ruhe nach Hause. Ihr habt jetzt gesehen, dass das nicht das richtige Mittel ist,
den Krieg zu beenden. Noch kurze Zeit durchhalten — und Vertrauen zu euern Führern! Dann wird bald Friede sein. (Die Arbeiter zerstreuen sich langsam. Ein paar Fahnen lehnen am Gitter, andere liegen am Boden. Im Vordergrund links machen sich einige, darunter Rosa und Braun, um die verwundete FLORA: zu schaffen.)
TROTZ und FISCHER (treten zu ihnen. Lecharjow steht mit verschränkten Armen am Gitter daneben. Seebald, in der Mitte des Platzes, wird von Soldaten beschimpft und bedroht, Schenk in der Mitte allein.)
STRAUSS (geht auf Seebald zu): Das ist Ihr eigenes Werk, Herr Professor Seebald!
SEEBALD: Darüber wollen wir nicht rechten.
TESSENDORFF (geht mit einigen Soldaten umher, weist auf verschiedene Personen, die verhaftet in die Mitte des Platzes geführt werden. Es steht schon ein ganzer Zug beieinander, man bemerkt viele Verwundete und Soldaten, auch Rund unter ihnen.)
SCHENK (schaut geistesabwesend um sich, schrickt plötzlich auf,
stürzt auf FLORA: zu): Flora! - Was ist dir?
FLORA: (schwach): Es wird wohl aus sein!
SCHENK (sinkt bei ihr nieder): Flora! - Meine--
STRAUSS (zu den Soldaten): Da, — den Rothaarigen, das ist einer der Haupthetzer, den nehmt fest!
TESSENDORFF: Halt! Herrn Schenk geschieht nichts. — Der steht im Dienste der Polizei.
SCHENK: Das ist nicht wahr!
TESSENDORFF: Soll ich die Quittung vorzeigen?
TROTZ (weicht entsetzt zurück): Aber das — kann doch nicht möglich sein?
SCHENK (beugt sich schluchzend über Flora): Flora — verstehst du mich?
FLORA: Ich mag dich nicht verstehen. Warum hast du kein Vertrauen zu mir gehabt? (Sie wird ohnmächtig.)
ROSA: Kommt denn kein Arzt? — Wir können sie doch nicht so hier liegen lassen.
TESSENDORFF: Da, den Alten nehmt mit und den mit dem verbundenen Kopf, und das Frauenzimmer da. (Trotz, Braun und Rosa werden abgeführt.)
SCHENK: Halt! Sie haben mir versprochen, keiner wird verhaftet.
TESSENDORFF: An solche Pakte fühlt sich die Polizei nicht gebunden. Nur schriftliche Abmachungen gelten.
TROTZ: Wir brauchen deine Fürsprache nicht. Schäm dich, wenn du es noch kannst.
FISCHER: Judas! (Alle machen Schenk mit Zeichen des Ekels und Abscheus Platz, der nach rechts schwankt. Vom Hintergrund kommen Sanitäter mit Tragbahren. Man sieht Soldaten mit Bajonett noch einzelne Gruppen vertreiben.
LASSMANN (kommt am Arme seiner Frau von hinten rechts zum Vordergrunde): Sag doch, Thilde — sind viele tot?
FRAU LASSMANN: Ich weiß doch auch nichts. Komm nur, komm! — Ach es ist schrecklich. — Und morgen auch noch die Wohnung.
SCHENK (holt sie vor dem Wirtshaus ein, winkt ihr, zu schweigen): Hier nehmen Sie, Frau Laßmann, für den Hausherrn und für die nächste Zeit. (Holt die Brieftasche heraus, gibt ihr das Geld.)
FRAU LASSMANN: Ja, aber nein — soviel Geld. (Schenk legt die Hand auf den Mund. Laßmann nach rechts vorn ab.)
SCHENK (lacht auf): Die dreißig Silberlinge! (Er kommt an die Soldatengruppe, in deren Mitte Seebald steht.)
SOLDATEN: Schlagt ihm doch gleich den Schädel ein, dem Volksverräter.
SEEBALD: Ich bin kein Verräter. (Er erhält Kolbenstöße und stolpert.)
SCHENK: Schlagt ihn nicht: — Nehmt mich für ihn! — Er ist
der Edelste und Beste! SOLDATEN: Was will der Kerl? — Ach, das ist der, der seine eigenen Kameraden verraten hat. (Gelächter und Gejohle.)
SCHENK: Mathias Seebald! — Verzeihen Sie mir!
SEEBALD: Sie haben es anders gewollt — ich weiß es, Raffael.
(Er wird unter Geschrei nach rechts gestoßen. Man sieht ihn unter einem Gewehrkolbenstoß stürzen. Er wird fortgeschleift.)
UNTEROFFIZIER (zu den Gefangenen in der Mitte des Platzes): Hände hoch! (Sie gehen mit erhobenen Händen nach rechts hinten ab.)
SCHENK (sieht zu, wie Dietrichs Leiche auf eine Bahre gelegt und weggetragen wird. Er steht vor der Freitreppe des Wirtshauses und sieht, wie Sanitäter auch bei FLORA: eine Tragbahre niederstellen. Nur dort stehen noch Menschen. Weiter zurück sieht man noch Tote liegen. Schenk zieht seinen Revolver aus der Tasche, geht dann nach rechts vorn ab. Unmittelbar darauf fällt ein Schuss.)
FLORA: (kommt wieder zur Besinnung): Raffael! — Ist Raffael nicht da?
LECHARJOW: Er wird wiederkommen vielleicht.
TIEDTKEN (von rechts außer Atem. Flora ist durch die Umstehenden vor ihm verdeckt): Es ist schrecklich! Schrecklich!
FÄRBER: Was ist geschehen?
TIEDTKEN: Professor Seebald ist erschlagen worden von den Soldaten, — und Schenk hat sich gleich da vorn erschossen.
FLORA: Er ist tot? — Raffael! — Ich hätte ihn so gerne noch einmal geküsst!
TIEDTKEN: Flora! - Du?! -
FLORA: Geh fort! Geh! — Was hast du mit meinem Tod zu schaffen!
LECHARJOW: Gehen Sie! — Sie will Sie nicht ansehen, jetzt!
(Tiedtken tritt zurück.)
Dr. KARFUNKELSTEIN (tritt von links vorn auf, Notizbuch in der Hand, zu Lecharjow): Entschuldigen Sie bitte! Kann ich
mich an Sie wenden um Auskunft?
LECHARJOW: Schweigen Sie, Mann!
FLORA: (richtet sich auf): Verliert den Glauben nicht. — Die Revolution kommt. Der Kommunismus --(stirbt).
LECHARJOW: Sie ist hinüber.
Dr. KARFUNKELSTEIN: Ja, kann mir niemand Auskunft geben?
FÄRBER: Donnerwetter, was wollen Sie denn von uns?
Dr. KARFUNKELSTEIN: Mein Name ist Dr. Karfunkelstein. Ich bin Korrespondent der Berliner Morgenzeitung. Ich muss den Bericht noch vor sechs hinübergeben. Sonst kommt er nicht mehr rechtzeitig ins Blatt.
LECHARJOW: Sie wollen hören von uns, was geschehen ist?
Dr. KARFUNKELSTEIN: Ja, ich wäre für recht genaue Details sehr dankbar.
LECHARJOW: Gut Schreiben Sie! — Das deutsche Proletariat hat vergossen das erste Blut für den Sieg von Frieden und Freiheit. — Es hat beschritten den Passionsweg der sozialen Revolution und hat besiegelt mit seinem Blut das Bündnis mit seinen kämpfenden Brüdern in Russland.
Vorhang |
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