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Erich Mühsam - Judas (1921)
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ERSTER AKT

Wohnung Stefan Klagenfurters. Großes Zimmer. Rechts zwei Fenster. In der Mitte der Hinterwand die Tür. Zwischen Tür und der Fensterwand Herdofen, daneben links Wasserleitung. Zwischen den beiden Fenstern einfache Kommode, darauf ein paar Photographien und ein niedriges Bücherbord. Unter dem vorderen Fenster größerer Koffer. Über dem Herd Gestelle für Teller, Gewürzbüchsen usw. In der Ecke rechts Küchenschrank, an dem Hand- und Tellertücher hängen. Links vorn schwarzes Sofa mit Deckchen. Davor runder überdeckter Tisch und zwei schwarze Stoffstühle. Links an der Hinterwand steht das Doppelbett ins Zimmer hinein, daneben rechts Nachttisch und Stuhl, links primitive Waschgelegenheit (Blechgestell) und Spiegel. In der Mitte des Zimmers großer Küchentisch mit Wachstuchdecke, dabei eine Nähmaschine und ein paar Küchenhocker. Unter dem Sofatisch einfacher Teppich. An der linken Wand und über dem Sofa eine Telleruhr mit Gewicht. In der Mitte der Wand Öldruckporträts von Marx und Bebel. Weiter zurück gerahmte Photographien. Über dem Bett ein Haussegen. Die Fenster haben leichte Tüllvorhänge; ein paar Blumentöpfe davor. Über dem großen Tisch hängt von der Decke herunter eine Petroleumlampe. Im Herdofen ist Glut. Auf dem Küchentisch ist Leinenzeug ausgebreitet.
Es ist gegen 1/2 4 Uhr am Nachmittag. Frau Marie Klagenfurter arbeitet an der Nähmaschine, hält inne und reißt den Faden ab. Sie hebt das Kinderjäckchen, das sie genäht hat, lächelnd vor sich gegen das Licht. Dann steht sie auf. Man sieht deutlich die Merkmale vorgeschrittener Schwangerschaft. Sie
sieht auf die Uhr, schüttelt den Kopf, geht nervös zum Fenster, stochert dann im Herdfeuer und blickt in den Wassertopf, der darauf steht. Plötzlich horcht sie auf. Schritte werden draußen hörbar. Die Tür wird energisch geöffnet. Stefan Klagenfurter tritt ein, in Hut und Überzieher.

MARIE (an seinem Hals): Endlich! Sie haben dich ja schrecklich lange festgehalten.
KLAGENFURTER (küsst sie): Miezl! — warst recht ungeduldig?
MARIE: Sag doch: Wie war’s? Haben sie dich genommen?
KLAGENFURTER:Wirst schon hören. — Pack!
MARIE: Mein Gott! — Nun leg nur erst ab. (Hilft ihm aus dem Überzieher.) Komm, gib! Ich trag's hinaus.
KLAGENFURTER:Das wäre! — Du schonst dich in deinem Zustand, verstanden? Und läufst nicht mir nichts, dir nichts aus dem warmen Zimmer. Ich kann mein Zeug schon selber in den Kasten hängen. (Geht hinaus, lässt die Tür offen.)
MARIE: Sag, Steffi, aber doch nicht K. V.?
KLAGENFURTER (zurück ins Zimmer): Nur keine Aufregung Schatz. Ich bin noch nicht im Schützengraben. (Setzt sich.)
MARIE: Aber, so erzähl doch!
KLAGENFURTER (zerrt sich den Gummikragen vom Hals): Bloß erst den Hals freikriegen. War überhaupt recht überflüssig, sich extra fein zu machen, um vor den Hanswursten den nackten Adam herzuzeigen. — Da, nimm den Kragen. Bis Sonntag reib ihn noch mal ab.
MARIE (legt den Kragen in den Tischkasten): Also Steffi — wie ist's gegangen?
KLAGENFURTER:Na ja, sie haben mich beglotzt und befühlt. — Krieg ich einen Kaffee, Miezl?
MARIE: Gewiss. Er ist fertig. (Macht sich am Herd zu schaffen und nimmt Geschirr aus dem Küchenschrank.) Aber du quälst mich, Liebster. Lass mich doch endlich wissen!
KLAGENFURTER:Ach so. — Na, gut: Wissen musst du's ja doch. Also — felddienstfähig.
MARIE (zu ihm): Steffi!
KLAGENFURTER:Nur ruhig, Kind! Nur nicht aufregen, — du
weißt schon. — Und dann ist's ja noch nicht so weit. Sie
werden mich ja nicht gleich holen. MARIE: Meinst du? — Aber denk mal, solange konnten sie dich
nicht brauchen — und jetzt auf einmal: — trotz deinem
Herzfehler.
KLAGENFURTER (lacht): Ja, der Krieg ist noch wundertätiger als die Muttergottes von Lourdes. Der macht mit der Zeit aus dem lahmsten Krüppel einen Helden.
MARIE (schenkt Kaffee ein): Ich hab jetzt besseren Kaffee-Ersatz. Da ist Süßstoff. Wie schmeckt er dir?
KLAGENFURTER:O ja, — er geht an. Ob wir einmal wieder Bohnenkaffee mit Zucker und Milch erleben werden? Wenn wir weiter so „durchhalten" wie bisher, dann wird unser Kleiner mal meinen, vor seiner Geburt wäre Deutschland das Schlaraffenland gewesen.
MARIE: Schau, Steffi, was ich gemacht hab. (Zeigt ihm das Jäckchen.) Steckkissen sind fertig, Häubchen auch. Morgen fang ich mit dem Stricken an: Schuhe und Strümpfe.
KLAGENFURTER (auf sie zu): Was wir glücklich sein könnten! — Und jetzt die Schweinerei. (Küsst sie.) — Wenn man noch an den Schwindel glaubte, — aber mit dem Ekel vor dem allen! — Der alte Trotz baut schon an der Wiege, — und ich soll mein Kleines womöglich gar nicht mehr darin schaukeln können!
MARIE (ihn umklammernd): Steffi! Mein Steffi! — Vielleicht gibt es bald Frieden — ?
KLAGENFURTER:Ja, Frieden! — Wir kämpfen ja „bis zum letzten Blutstropfen", — bis zu unserm nämlich. Die Proletarier können verbluten — und die großen Herren machen das feinste Geschäft dabei. Da hör! (Von der Straße ertönt Soldatengesang, man versteht die Worte: „Siegreich wollen wir Frankreich schlagen".) — Pfui Teufel! Da kann man doch alle Hoffnung verlieren, wenn die Soldaten selbst noch ---. Na ja, sie müssen singen. Auf Kommando.
MARIE: Steffi! Meinst du nicht, dass die Fabrik dich reklamieren könnte?
KLAGENFURTER:Hab' schon dran gedacht. Bloß wird sie's nicht tun. Dreher kriegt sie noch genug. Und mir sind sie sowieso nicht grün, sie kennen meine Ansichten zu gut. Übrigens — Reklamationen von K. V.-Leuten haben fast nie Zweck.
MARIE (in Tränen): O, Liebster! — ich hab' so Angst!
KLAGENFURTER:Unsinn, Schatz! Tapfer sein! — Wird schon alles noch gut werden Die Einberufung ist noch nicht da. (Er zieht eine Holzpfeife aus der Tasche.) — Von 10 Uhr in der Frühe haben sie mich da rumstehen lassen, viele sind noch nicht fertig.
MARIE: Rauch doch lieber eine Zigarre heute — nach der Quälerei.
KLAGENFURTER:Hast recht. Ist schon mal blau gemacht, kann's ganz wie Sonntag sein. (Nimmt aus der Kommode eine Zigarre und zündet sie an.) Schändlich: 35 Pfg. für das miserable Kraut. Dafür hab' ich früher die ganze Woche täglich eine Zigarre gehabt.
MARIE: Das Brot schlägt auch wieder um 2 Pfg. auf. Und Nähfaden ist kaum mehr zu kriegen. Es ist schrecklich, wie alles teuer wird! (Es klopft.)
KLAGENFURTER:Herein! (Es tritt ein Raffael Schenk. Rothaarig, bleich mit hektischen Flecken, hinkt etwas.)
SCHENK: Tag, Stefan! Servus, Frau Klagenfurter! (Reicht beiden die Hand.)
KLAGENFURTER:Grüß dich, Schenk! — Zieh aus!
SCHENK (legt ab).
MARIE: Legen Sie's nur aufs Bett. — Steffi, die Zigarre!
KLAGENFURTER:Ach so! (Legt die Zigarre fort auf einen Blumenuntersatz am Fenster.)
SCHENK: Unsinn! Rauch nur weiter! (Hüstelt.)
KLAGENFURTER:Ist nicht wichtig. Der Rauch ist nichts für dich. Die Zigarre geht mir nicht verloren.
SCHENK: Wie ist's gegangen?
KLAGENFURTER:Wie es gehen musste: K. V.
SCHENK: Donnerwetter! Also doch. — Und dein Herz?
KLAGENFURTER:Das Herz! Der Doktor meinte: Für ein paar Sturmangriffe hält's noch.
MARIE: Das hat er gesagt? Pfui, wie roh! (Weint.)
KLAGENFURTER:Ruhig, Kind! Denk doch an deinen Zustand! Und noch stürme ich ja nicht. Bis dahin kann noch manches anders kommen.
SCHENK: Du wirst doch nicht gehen, Stefan?
KLAGENFURTER:Wieso — nicht gehen?
SCHENK: Ich meine, wenn die Einberufung kommt.
KLAGENFURTER:Ich muss mich noch besinnen. Schließlich werd' ich wohl müssen.
SCHENK: Hängt davon ab, ob du willst.
KLAGENFURTER:Ja, ja — nach der Theorie —
SCHENK: Theorie? Ich denk doch, wenn eine Sache praktisch wird, geht's an die Anwendung von Theorien.
KLAGENFURTER: Du meinst also im Ernst, ich soll mich weigern?
SCHENK: Ich tät's.
MARIE: Um Gottes willen. Dann sperren sie ihn ja ein!
SCHENK: Wahrscheinlich. — Wollen Sie Ihren Mann lieber im Schützengraben haben als im Gefängnis?
MARIE: Aber wenn sie ihn erschießen!?
SCHENK: Auch das geht draußen schneller als drinnen. — Oder fürchten Sie die Schande?
MARIE: O Gott, nein. — Aber ich weiß doch nicht. — O Steffi!
KLAGENFURTER:Still, Schatz! Die Sache muss überlegt werden.
SCHENK: Was gibt es da noch zu überlegen? Auf der einen Seite steht das Kapital und macht Ansprüche auf dich, auf dein Leben, deine Gesundheit, dein Glück und deine Überzeugung, — auf der andern Seite stehst du, deine Frau und das Kind, das ihr haben werdet. —
KLAGENFURTER:Herrgott, ja, ja.
SCHENK: Und was noch wichtiger ist: deine Gesinnung, deine proletarische Ehre, Stefan! Du bist doch ein Kämpfer und weißt, wogegen wir zu kämpfen haben. Da willst du dir vom Feind ein Gewehr geben lassen und auf sein Kommando gegen dein eigenes Gewissen und gegen deine Klassengenossen losgehen?
KLAGENFURTER:Es ist alles richtig, was du sagst. Hab's ja auch oft genug gehört — von dir, von Seebald und mir auch selbst gesagt. Aber —
SCHENK: Ich möchte dein Aber kennen.
KLAGENFURTER:Sie werden mich zwingen.
SCHENK: Zwingen? Man kann mich zwingen, etwas zu unter lassen, wenn man mich gewaltsam dran hindert. Aber man kann mich nicht zwingen, etwas zu tun, was ich nicht tun will.
KLAGENFURTER:Sie werden mich in die Kaserne schleifen.
SCHENK: Das werden sie tun. Und was weiter?
KLAGENFURTER:Nun, dann werden sie mir den grauen Rock anziehen.
SCHENK: Wenn du still hältst.
MARIE: Wie schrecklich! — Nein, sie werden dich binden, wenn du dich wehrst.
SCHENK: Wenn sie ihn binden, können sie ihn nicht exerzieren lassen.
KLAGENFURTER:Du hast recht, Schenk, es ist das kleinere Übel.
MARIE: Aber ich hab' so Angst vor dem allen. — Sie werden dich quälen.
SCHENK: Keine Aufregung vor der Zeit, Frau Marie. Zunächst haben sie ihn noch gar nicht.
MARIE: Wie meinen Sie das?
SCHENK: Sehr einfach. Wenn der Wisch kommt, verschwindet Stefan von der Bildfläche.
MARIE: Und ich? — Und . . . und . . . wenn es soweit ist? —
KLAGENFURTER:Sind ja noch zwei Monate hin, Liebling. Bei dir sein kann ich dann doch auf keinen Fall. Entweder sie holen mich, dann bin ich nach vier Wochen Abrichtung vorn; oder sie sperren mich ein, — oder ich drück mich eben. Nur — wovon sollst du leben?
SCHENK Dafür lass uns sorgen. Wovon soll sie denn leben, wenn du Soldat bist? Was Vater Staat ihr an Unterstützung gäbe, das bringen wir im „Bund Neuer Menschen" im Handumdrehen zusammen.
KLAGENFURTER:Abgemacht, Schenk. — Ich nehm's auf mich.
SCHENK (drückt ihm die Hand): Du nimmst weniger auf dich, als alle die Millionen, die es nicht auf sich nehmen mögen.
MARIE: Mir ist schrecklich bange.
SCHENK: Dazu haben Sie gar keinen Grund. Übrigens rechne ich bestimmt damit, dass sich die Arbeiter doch endlich rühren werden.
KLAGENFURTER:Ist was Neues?
SCHENK: Russland macht Eindruck. Denk doch —, die sind raus aus dem Krieg.
KLAGENFURTER:Aber teuer erkauft haben sie den Frieden.
MARIE: Wenn sie aber doch Frieden haben!
SCHENK: Scheint mir auch. Nur dürfen wir sie jetzt nicht im Stich lassen.
KLAGENFURTER:Du meinst wegen der Friedensbedingungen?
SCHENK: Ja, und wegen des Vormarsches in das wehrlose Land.
KLAGENFURTER:Es ist schändlich. Nur fürchte ich, wir kriegen die Massen deswegen nicht auf die Beine.
SCHENK: In Berlin soll etwas bevorstehen. Hier muss es Seebald machen. Das ist der einzige, auf den sie hören. — Die andern müssen übrigens bald kommen.
KLAGENFURTER: Welche andern?
SCHENK: Nun: Trotz, Dietrich, die Severin, Rosa und die übrigen.
MARIE: Hierher, — zu uns?
SCHENK: Ja doch, ich glaubte, ich hätt's schon gesagt. Ich hab' sie hierher zusammenbestellt.
MARIE: Da muss ich mir rasch eine andere Schürze vorbinden.
(Nimmt eine weiße Schürze aus der Kommode und legt sie an.) Und das Zeug da! (Räumt das Nähzeug vom Küchentisch ab.)
KLAGENFURTER:Warum denn zu uns?
SCHENK: Weil du heut nicht bei der Arbeit warst. Die Genossen bei Wachsmann machen extra früher Schicht. Es ist schon ein bisschen Streikstimmung in der Luft.
KLAGENFURTER:Glaubst du denn, dass ein Generalstreik zustande kommt? Und wann, meinst du, kann es soweit sein?
SCHENK: In Berlin scheint es dicht vorm Klappen zu stehn. Sie wollen vor allen Dingen Liebknecht heraushaben. Vielleicht müssen wir bald kampffertig sein.
KLAGENFURTER:Du, - ich weiß nicht recht, ob Seebald zu haben wäre.
SCHENK: Ach, du kennst ihn nicht.
KLAGENFURTER:Es ist wahr: Er hat Feuer und reißt alle mit Aber jetzt ist er doch ganz in seinen Verein verkapselt mit Studenten und Künstlern. Ich habe Misstrauen gegen die Intellektuellen. Was das Proletariat angeht, davon wissen sie wenig.
SCHENK: Es gibt Ausnahmen. Denk nur an FLORA: Severin. Und die Ästheten im „Bund Neuer Menschen" sind Seebald selbst zuwider. Wenn einer Revolutionär ist, dann ist er es. Er will den Frieden.
KLAGENFURTER:Auch die Revolution?
SCHENK: Wie kann er den Frieden bekommen ohne Revolution?
KLAGENFURTER:Ja, — aber ob er das weiß?
SCHENK: Er spricht ja immer wieder davon, dass nur die Arbeiter den Krieg zu Ende bringen können, wenn sie nicht mehr für den Krieg arbeiten; — wenn sie sich weigern, Soldat zu sein; wenn sie anfangen, an sich selbst zu denken.
MARIE: Wird denn das ohne Gewalt gehen?
SCHENK: Nein, gewiss nicht. Das ist in Russland nicht ohne Gewalt gegangen, und bei uns sind die Widerstände noch größer, besonders, solange sie sich einbilden, dass sie siegen werden!
MARIE: Das gäbe ja dann den Krieg unter uns selber?
SCHENK: Ohne den wird es nicht abgehen.
KLAGENFURTER:Aber da geht Seebald eben nicht mehr mit.
Sein drittes Wort ist: Keine Gewalt!
SCHENK: Er muss! — Am Ende wird auch er es einsehen. Waffen
zerbrechen nur unter Druck.
MARIE: Ich glaube, sie kommen schon (man hört Tritte).
KLAGENFURTER (öffnet die Tür): Nur herein alle! (Es treten auf Braun, Fischer, Rosa Fiebig und Dietrich. Hinter ihnen in Feldgrau mit Stock der Kriegsblinde Ernst Laßmann am Arm von Mathilde Laßmann. Begrüßung unter Stimmengewirre, aus dem Dietrichs Organ sonor heraustönt.)
MARIE: Führ deinen Mann aufs Sofa, Mathilde. (Man macht für Laßmann Platz.)
KLAGENFURTER:So. Setzt euch, wo ihr Platz findet. Geh,
Anton, zieh mal den Koffer mit vor (zieht mit Braun den Koffer mitten ins Zimmer). Seid ihr schon alle? — Die Sachen nur immer aufs Bett.
BRAUN: Trotz und Färber konnten nicht abkommen.
SCHENK: Und FLORA: Severin?
DIETRICH: Die muss wohl erst ihren Dichterling aus dem Cafe holen.
SCHENK: Lass doch die Witze!
ROSA: Ist Rund noch nicht da?
DIETRICH: Such' mal unter dem Bett! (Lacht gewaltig.) (Man hat allmählich die Plätze eingenommen: Auf dem Sofa links Laßmann, rechts neben ihm seine Frau, auf den Stühlen am Tisch Klagenfurter und Braun. Am Küchentisch Dietrich und Fischer. Marie sitzt auf einem Schemel vor dem Herd, Rosa hat sich auf den Koffer gesetzt. Schenk steht am Fußende des Bettes angelehnt.)
KLAGENFURTER (zu Laßmann): Na, Ernst, wie schaut's immer?
LASSMANN: Mit dem Schauen hat sich's aufgehört.
DIETRICH: Diese Hunde, diese verfluchten! Andern die Augen herausschießen können sie, statt sie sich selbst aus dem Kopf zu schämen!
MARIE: Wollen Sie sich nicht setzen, Schenk?
SCHENK: Ich stehe lieber. Bei Dietrichs Gebrüll müsste ich ja doch über kurz oder lang vom Stuhl fallen.
DIETRICH: Ist es nicht wahr, was ich sage? Habt Ihr den Tagesbericht gelesen heute? 40 Lokomotiven haben sie erbeutet und über 1200 Eisenbahnwagen. Und wo? In Russland, wo sich kein Mensch mehr wehrt, wo sie den Frieden geschlossen haben — die Halunken. Erbeutet nennen sie das! Gestohlen haben sie's, ganz gemein gestohlen, diese Boches, die verdammten! Im Russland der Revolution. Im Lande der Freiheit!
KLAGENFURTER:Nicht so laut, Dietrich! Die Wände sind nicht so dick!
DIETRICH: Natürlich, alles Bruch, alles Dreck in diesem Lande des Schwindels. Aber sie sollen es nur hören, die Leute. Meine Ansicht ist kein Geheimnis. Ich hasse es, — mein so genanntes Vaterland.
SCHENK: Ist schon recht, Dietrich. Aber du bist hier nicht in einer Volksversammlung. Wir haben über sehr wichtige Ding zu reden, die die Nachbarschaft vorläufig noch gar nichts angehen. Also brüll nicht so, — tu uns den Gefallen.
DIETRICH (leiser): Es geht nun manchmal mit mir durch, die Wut. — Diese Bande! Elende —
BRAUN (zu Klagenfurter): Kretsch hat nach dir gefragt, Stefan.
KLAGENFURTER:Der Maschinenmeister? Er wusste doch, dass ich zur Musterung war.
BRAUN: Er meinte, am Nachmittag hättest du doch zur Arbeit kommen können.
KLAGENFURTER:Wann bin ich heimgekommen, Miezl?
MARIE: Es war gerade halbvier.
KLAGENFURTER:Übrigens wäre ich sonst auch nicht mehr hingegangen.
FISCHER: Ich hab's ihm gegeben.
SCHENK: Was? Du, der große Schweiger, hast dem Kerl eine Standrede gehalten?
FISCHER: Ja.
KLAGENFURTER:Was hast du ihm denn gesagt, Fischer?
FISCHER: Rindvieh! hab' ich gesagt. (Gelächter.)
ROSA: Kretsch ist ja reklamiert.
DIETRICH: So sind sie alle, diese Schufte. Um ihr bisschen Kadaver zu salvieren, treten sie auf den Arbeitern herum und machen sich vor den Direktoren in die Hosen.
LASSMANN: Mich hat ein Meister herausgedrängelt, um an meinen Platz einen Verwandten von seiner Frau reklamieren zu lassen.
FRAU LASSMANN: Und so ist er zurück, — beide Augen! Und
meine sechs Kinder daheim!
LASSMANN: Und der andere ist zehn Jahre jünger und gesund und arbeitet jetzt noch an meinem Posten.
BRAUN: Ja, dich hat's am bösesten hergenommen, Ernst.
LASSMANN: Wär besser gewesen, es hätt' mich ganz zerrissen.
SCHENK: Unsinn, Laßmann; wenn's losgeht, können wir dich immer noch brauchen.
LASSMANN: Was soll ich wohl noch nützen können?
KLAGENFURTER:Es genügt, wenn du dich bloß hinstellst und den Leuten zeigst: Das ist der Krieg!
DIETRICH: Diese Hunde! (Er hat sich auf den Küchentisch gesetzt.)
MARIE: Wie geht's denn zu Hause bei dir, Tilde?
FRAU LASSMANN: Ach, frag gar nicht. Mit den paar Groschen Unterstützung da kann man ja das Nötigste nicht heranschaffen. Und dann der Mietzins. Ich kann doch nicht selbst auch noch auf Arbeit gehen, — mit den kleinen Kindern. Und wer soll Ernst führen?
ROSA: Überhaupt soviel Elend jetzt.
SCHENK (ist ein paar Mal auf- und niedergelaufen): Ja, auf der einen Seite. Aber uns Arbeitern geht es viel zu gut. Die hohen Löhne verderben alles.
DIETRICH: Sollen sie vielleicht nicht mal zahlen, die Ausbeuter?
SCHENK: Schon, aber den Arbeitern geht der Anstand zum Teufel. Sie saufen Sekt und vergessen, dass sie kein Brot haben.
DIETRICH: Da hast du recht. Sie verdienen es, dass sie für den Kapitalismus verrecken!
ROSA: Am schlimmsten ist es bei den Munitionsarbeitern.
FISCHER: Und den Weibern.
SCHENK: Das ist das Traurigste, dass sich überhaupt Frauen dazu finden, Granaten zu machen. Blutarbeit, — und jede macht einen Mann frei für den Heldentod.
KLAGENFURTER:Ob die für einen Streik zu kriegen sein werden — da hab' ich Angst. (Man hört draußen Stimmen.)
ROSA: Jetzt kommen sie. — Ich höre Runds Stimme.
KLAGENFURTER (zur Tür): Ja, — nur herein! (Es treten auf Fritz Rund, Soldat, Eisernes Kreuz-Band, Trotz, weißbärtiger Arbeiter, Färber. Begrüßung.)
DIETRICH: Auf dass das Haus voll werde!
MARIE: Legen Sie ab und setzen Sie sich. Es wird sich schon noch Platz finden.
KLAGENFURTER:Hier auf dem Sofa ist noch Platz.
ROSA (zu Rund): Komm, Fritz, setz dich zu mir auf den Koffer. (Trotz nimmt auf dem Sofa, links von Laßmann, Platz, Rund auf dem Koffer und Färber auf einem Hocker am Tisch.)
FÄRBER: Na, Schenk, hast du einen Schlachtplan entworfen?
BRAUN: Wir könnten ja jetzt anfangen mit der Besprechung.
SCHENK: Kommt denn FLORA: nicht? Auf die müssen wir warten.
FÄRBER: Doch, sie wollte nur Tiedtken abholen. Sie wird wohl bald hier sein.
KLAGENFURTER:Ich meine auch, wir sollten uns nicht aufhalten lassen.
SCHENK: Ohne Flora! Aber Stefan, wie kann dir das in den Sinn kommen?
KLAGENFURTER:Wenn sie doch bald kommt! Sie wird sich schon zurechtfinden.
SCHENK: Davon kann gar keine Rede sein. Der beste Kopf, das schärfste Auge —
DIETRICH: Und die schönste Figur - was?
SCHENK: Halt's Maul! (Hustet heftig.)
DIETRICH: Na, ist ja nicht so gemeint, Raffael! — War bloß Scherz.
SCHENK (erregt und hustend): Unterlass solche Scherze, bitte.
TROTZ: Ich meine aber auch, wir müssen auf die Severin warten. Wir können alle nicht so genau erkennen, wie es eigentlich steht. Was wissen wir? — Aus den Zeitungen!
FISCHER: Lauter Lügen!
KLAGENFURTER:Ich dachte nur, — wie es bei den Arbeitern ist, sehen wir doch besser.
BRAUN: Wie denken denn die Soldaten, Rund?
RUND: Die schon draußen waren, sind meistens gut. Aber die jungen — besonders die vom Lande — glauben noch alles.
DIETRICH: Ganz recht geschiehts ihnen, wenn sie draußen krepieren, — die Idioten!
TROTZ: Sie haben dich genommen, Stefan?
KLAGENFURTER:Ja.
TROTZ: Meinst du, dass sie dich bald holen?
RUND: Sie ziehen jetzt alles ein, und dann führen sie ja auch Listen über die Gesinnung.
MARIE: Mein Gott!
RUND: Es heißt, im Westen wollen sie durchbrechen.
DIETRICH: Können vor Lachen!
FÄRBER: Wenn sie jetzt in Russland alle Truppen frei bekommen — Millionen —
BRAUN: Aber die Amerikaner —
ROSA: Glaubst du denn, Fritz, dass sie was machen können?
RUND: Ich kann's auch nicht wissen.
MARIE: Wenn es nur dann Frieden gäbe!
SCHENK: Frieden? Dann? — Wenn sie durchbrechen, dann geht der Krieg erst an.
FÄRBER: Ich weiß nicht recht: — Wenn sie Paris kriegen — und die U-Boote —?
SCHENK: Und wenn sie ganz Frankreich kriegen und England dazu, dann haben sie noch gar nichts. Bloß der Krieg dauert drei Jahre länger — oder auch zehn Jahre.
FRAU LASSMANN (aufspringend, krampfhaft): Aufhören soll's nur aufhören! Mein blinder Mann! Meine armen Kinder!
LASSMANN: Ruhig, Tilde! Wir müssens nehmen, wie es ist.
MARIE (weint auf): Mein Gott! Mein Gott!
KLAGENFURTER (geht zu ihr): Reg dich doch nicht auf, Schatz! Denk doch an dich!
TROTZ (ist aufgestanden): Die Frauen haben wohl Grund zum Weinen. Aber sie haben die schönste Aufgabe. Ihr müsst zu uns Männern stehen, wenn die Stunde da ist. Wenn Ihr uns verlasst, sind wir verlassen.
SCHENK: Zuerst dürfen wir uns selbst nicht verlassen. Frieden kann nur das Proletariat schaffen. Und solang ist kein Frieden, wie nicht Revolution ist.
DIETRICH: Bravo! Aufstehen müssen wir! Generalstreik! Revolution!
TROTZ: Revolution - ja! Für den Frieden - ja! — Aber was ist Friede? Die Revolution muss den Sozialismus bringen, sonst bringt sie auch den Frieden nicht. Vielleicht bin ich noch nicht zu alt, um es zu erleben.
(Klopfen. Gleichzeitig öffnet sich die Tür. Es tritt ein Flora Severin, hinter ihr Rudolf Tiedtken.)
FLORA: (noch in der Tür): Genossen! Gut, dass ich Euch zusammen treffe. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Berlin steht auf. (Allgemeine Erregung, lebhaftes Durcheinander.)
DIETRICH (durch den Lärm hörbar): Unsere Stunde! Jetzt zu den Massen! Auf die Straße! (Will zur Tür.)
TROTZ (tritt ihm in den Weg): Dietrich! Kindskopf mit deinen 50 Jahren! Jetzt heißt's hierbleiben. Jetzt heißt's: Klarheit vor allem!
SCHENK (laut): Ruhe! (Allgemeines Schweigen.) Wissen Sie Genaueres, Flora?
FLORA: Es ist ein Extrablatt erschienen. — Tiedtken kann es vorlesen.
TIEDTKEN (zieht das Blatt aus der Tasche): Hier ist es. (Liest.) „An die Bevölkerung! Durch feindliche Agenten und gewissenlose Hetzer verführt—"
DIETRICH: Natürlich! Diese Halunken!
BRAUN: Still doch Dietrich!
TIEDTKEN: „— haben in Berlin die Arbeiter einzelner Betriebe die Arbeit niedergelegt. Sie stellen an die Regierung die wahnwitzige Forderung, sie sollte die Feinde um Frieden bitten, und drohen der Regierung mit der Einsetzung von Arbeiterräten. —"
SCHENK (zu Flora): Gott sei Dank! Keine Lohnforderungen!
TIEDTKEN: „Im Bewusstsein ihrer vaterländischen Pflicht ist die große Mehrheit der Arbeiterschaft dem frivolen Ansinnen, den Generalstreik zu proklamieren, nicht gefolgt. Vor allem haben die berufenen Vertreter der Arbeiterschaft, die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaftskommission jede Gemeinschaft mit den verräterischen Elementen ausdrücklich verweigert."
DIETRICH: Aha! Aha! Das sind die Richtigen!
TIEDTKEN: „Immerhin ist der Umfang der Bewegung noch nicht genau zu übersehen, —"
TROTZ: Das klingt schon etwas besser.
TIEDTKEN: „— und kleinere Herde des verbrecherischen Unternehmens sind bereits an anderen Orten entstanden, jedoch großenteils im Keime erstickt worden. — Es besteht der begründete Verdacht, dass auch in unserer Stadt einzelne Personen danach trachten, Unruhe und Widerstand in die Reihen der werktätigen Bevölkerung zu tragen. Diese Personen sind der Behörde genau bekannt."
MARIE: Steffi, glaubst du das?
KLAGENFURTER:Ruhig, Liebling. Das sind Schreckschüsse.
TIEDTKEN: „Im Vertrauen auf die bewährte Besonnenheit und das vaterländische Empfinden der hiesigen Arbeiterschaft warne ich auf das Nachdrücklichste vor jeder Teilnahme an verschwörerischen Veranstaltungen. Das deutsche Volk steht seit dreieinhalb Jahren im heroischen Verteidigungskampf gegen eine Welt von Feinden. Die beispiellosen Leistungen unserer feldgrauen Helden haben die Grenzen unseres über alles geliebten Heimatlandes von den Schrecken feindlicher Invasionen freigehalten. Der russische Koloss liegt zerschmettert am Boden."
DIETRICH: Und jetzt trampeln sie darauf herum und rauben ihn aus, die Schufte:
BRAUN: Ruhe! Wir wollen hören.
TIEDTKEN: „Die heldenmütigen Besatzungen unserer U-Boote sind im Begriff, unseren heimtückischsten und erbittertsten Gegner, das perfide Albion, in die Knie zu zwingen. Nur noch kurze Zeit des Ausharrens — und sämtliche Feinde werden, niedergeworfen, den Frieden von uns erbitten, der der Ehre und Sicherheit Deutschlands Genüge tun und die Existenz des deutschen Volkes für alle Zeiten sicherstellen wird. — In diesem Augenblicke gilt es, die letzten Kräfte zusammenzuraffen. Wer jetzt streikt, schlägt unseren tapferen Truppen das Gewehr aus der Hand und begeht Verrat am Vaterlande. Ich verbiete daher jeden Streik, jede Ansammlung auf der Straße, jede nicht 48 Stunden vorher schriftlich angemeldete Versammlung. Wer in der Fabrik oder sonst wo zum Streik auffordert, wer Flugschriften verteilt, aufreizende Reden führt, unwahre Gerüchte verbreitet oder sich in irgend einer Weise gegen meine Anordnungen vergeht, wird wegen Landesverrats belangt und sofort verhaftet. Bei Zusammenrottungen wird rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht werden!
Der kommandierende General Freiherr von Lychenheim."
DIETRICH: Sie sollen nur kommen, diese Hunde!
SCHENK: Ja, dann müssen wir eben wissen, was wir zu tun haben.
FLORA: Lies weiter, Rudolf, es kommt noch was.
BRAUN: Da bin ich neugierig.
TIEDTKEN (liest): „Parteigenossen! Organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen!"
FÄRBER: Was? Auf demselben Blatt?
TIEDTKEN: Direkt darunter. — Also: „Die sozialdemokratische Partei und das Kartell freier Gewerkschaften missbilligt auf das entschiedenste den Versuch missleiteter oder aus unsauberen Quellen gespeister Arbeiter, —"
TROTZ: Unerhört!
TIEDTKEN: „— in diesem Moment, der die siegreiche Entscheidung des Krieges nahe erwarten lässt, den an der Front kämpfenden Proletariern in den Rücken zu fallen. Wir ersuchen die Genossen dringend, proletarische Disziplin zu halten, sich nicht von unverantwortlichen Hetzern, die wahrscheinlich im Solde der Entente stehen, —"
FÄRBER: Noch einmal.
DIETRICH: Diese Hunde.
TIEDTKEN: „— zu eigenmächtigen Handlungen hinreißen zu lassen und jeden, der es unternimmt, Verwirrung zu stiften, unverzüglich zur Anzeige zu bringen. —"
DIETRICH: Saubande! Erschlagen muss man sie!
KLAGENFURTER:Still doch!
TIEDTKEN: „Proletarier! Die deutsche Regierung hat bewiesen, dass sie den Krieg beenden möchte, sobald es möglich ist. Ihr Friedensangebot an die Feinde ist jedoch mit Hohn und Spott zurückgewiesen worden. Daher müssen wir noch kurze Zeit durchhalten. Nach dem Krieg wird die Zeit kommen, wo auch wir Arbeiter unsere Forderungen zur Geltung bringen werden. Jetzt keine Uneinigkeit unter uns Deutschen! Den Schaden trüge nur die Arbeiterklasse selbst. Vertrauen zu den berufenen Führern des Proletariats, — das ist der sicherste und schnellste Weg, um den heißersehnten Frieden herbeizuführen. Die Sozialdemokratische Partei: Im Auftrag: Gerhard Weher. Das Kartell Freier Gewerkschaften: Im Auftrag: Jakob Tann."
SCHENK (ist, die Hände auf dem Rücken, erregt hin und her gelaufen): Wir dürfen keine Zeit verlieren. In drei Tagen muss
alles still liegen — spätestens.
DIETRICH: In drei Tagen? — Morgen früh!
TROTZ: Wie willst du denn das machen, Junge? Es muss gut organisiert sein. Vielleicht können wir es bis übermorgen schaffen.
FLORA: Einen Augenblick noch. Es sind Telegramme angeschlagen von der Tageszeitung: Man schätzt die Zahl der Streikenden auf 100—150.000.
SCHENK: Wenn das zugegeben wird, sind es 500.000.
FLORA: In Leipzig, Halle, Frankfurt und im Ruhrgebiet sollen Bewegungen im Gange sein.
FÄRBER: Die Bergleute! Bravo!
FLORA: Überall verschärfter Belagerungszustand.
DIETRICH: Die feige Bande!
BRAUN: Von militärischen Eingriffen steht nichts da?
FLORA: Nein — es scheint noch nicht —
DIETRICH: Sie werden sich hüten! Die Soldaten schießen nicht auf ihre Brüder!
TROTZ: Weißt du das so gewiss?
ROSA: Fritz meint —
TIEDTKEN: Ja, — was denken Sie, Herr Rund?
RUND: Die Rekruten werden schießen, das glaube ich sicher.
FÄRBER: Könnt ihr älteren Soldaten sie nicht davon abbringen?
RUND: Das ist schwer zu sagen. Es traut sich ja niemand. Also was soll geschehen? — Genosse Schenk, Sie wollten heute doch ohnehin Ihren Plan für einen solchen Fall entwickeln.
SCHENK: Ich denke mir die Sache so: Zunächst brauchen wir Flugblätter, — einfache Handzettel. — Welches Datum haben wir?
ROSA: Den 28. Januar.
SCHENK: Gut, wir müssen sehen, dass wir womöglich übermorgen schon handeln können. Man kann nicht wissen, was inzwischen in Berlin vorgeht. — Flora, Sie schreiben es.
FLORA: Kann das nicht Tiedtken machen?
SCHENK: Nein, Sie! Ich habe persönlich kein Misstrauen gegen Sie, Herr Tiedtken. Aber Sie sind Literat. Sie sind Intellektueller.
FLORA: Und ich bin Studentin, — also nicht auch Intellektuelle?
SCHENK (fanatisch, vor ihr): Sie! Nein, Sie gehören zu uns! Sie haben das — das Besondere. Sie sind Proletarierin!
FLORA: (reicht ihm die Hand): Ich hoffe es.
TROTZ: Das ist wahr. Das wird in die Wiege gelegt, wenn es auch eine seidene ist. Erlernen lässt sich's nicht. — Nichts für ungut, Herr Tiedtken.
TIEDTKEN: Ich dächte doch —, meine Überzeugung —
BRAUN: Die können Sie in den nächsten Tagen zeigen.
KLAGENFURTER:Zur Sache jetzt aber!
SCHENK: Dann hört zu. Die Flugblätter ganz kurz: Der Kriegsbetrug, Brest-Litowsk. Der Raubzug im revolutionären Russland, Berlin, Solidaritätspflicht, — heraus! — Ich drucke die Geschichte nachts in meiner Bude.
DIETRICH: Und morgen tragen wir die Zettel aus.
FÄRBER: Damit du gleich festsitzt?
SCHENK: Dummheit. Jeder nimmt einen kleinen Stoß und verteilt ihn unbemerkt vor der Arbeit oder während der Brotzeit auf die Plätze. Niemand darf wissen woher die Zettel kommen. Nach der Verteilung darf keiner mehr als einen Zettel bei sich haben. Geht das?
FISCHER: Leicht.
SCHENK: Gut. Du bist ein ruhiger Mensch, Fischer, du kannst es beurteilen. — Das geschieht morgen. Außerdem muss jeder in der Mittagspause oder schon früh vor der Arbeit an einige absolut zuverlässige Genossen —
TROTZ: Absolut zuverlässige, — Dietrich!
DIETRICH: Das brauchst du doch mir nicht zu sagen.
KLAGENFURTER:Na ja, du bist schon manchmal etwas vertrauensselig.
DIETRICH: Ich? — Ihr werdet mich kennen lernen!
FLORA: Weiter, Schenk!
SCHENK: Also — ihr habt dafür zu sorgen, dass jeder größere Betrieb von vollständig sicheren Leuten mit Flugblättern bearbeitet wird. Ihr müsst noch heute Abend herumlaufen und die betreffenden Genossen aufsuchen. Es muss alles klappen —
BRAUN: Ja — und dann?
SCHENK: Hört nur zu. — Das Wichtigste ist: Wir brauchen Seebald. An den traut sich niemand heran.
FÄRBER: Wenn du dich da nur nicht irrst.
SCHENK: Er ist ein berühmter Gelehrter. Wenn der mit den Arbeitern gemeinsame Sache macht, dann wird es auf alle einen mächtigen Eindruck machen. — Er muss mit auf die Straße.
DIETRICH: Jawohl, auf die Straße! Das ist die Hauptsache!
FLORA: Das ist auch meine Ansicht. Es muss eine große Demonstration werden, — ein geschlossener Zug mit roten Fahnen —
MARIE: Sie werden hineinschießen!
FLORA: Frau Marie, wir Frauen müssen die Männer anfeuern, aber nicht sie entmutigen. Im Felde wird auch geschossen.
SCHENK (nahe bei ihr): Das ist schön, was sie sagen; — das ist gut.
ROSA: Ich will rote Rosetten nähen heute Nacht.
KLAGENFURTER:Das ist recht, Röschen. — Miezl, da gibt's für dich auch Arbeit.
MARIE: Ich muss doch meine Babywäsche machen.
KLAGENFURTER:Willst du jetzt nicht für unsere Sache mithelfen?
TROTZ: Nein, lasst sie. Das Kleine will gut empfangen sein. Marie arbeitet für die Zukunft — und das ist unsere Pflicht. — Jeder an seinem Platz.
FLORA: Weiter, Genossen — weiter! Es wird schon Abend. Wir müssen ans Werk!
SCHENK: Morgen Abend tagt der „Bund Neuer Menschen" in der „Hütte". Dort werde ich mit Seebald sprechen. Er muss an der Spitze marschieren.
LASSMANN (steht auf, ekstatisch): Nein, — nein! An der Spitze gehe ich. Ich will die rote Fahne tragen. Ich will die Arbeiter
führen. — Ich! — Das wird sein, als wenn ich die Sonne wiedersehe —.
TROTZ: Ja. Er soll vorangehen. Der Blinde soll als Erster den Frieden und die Freiheit sehen.
KLAGENFURTER:Es wird dunkel. Ist Öl auf der Lampe, Frau?
MARIE: Ja, für heute reicht's noch — und morgen bekomme ich wieder.
(Klagenfurter zündet die Lampe an, deren trübes Licht mit dem Verschwinden des Tageslichtes langsam klarer wird.)
FLORA: Ich schreibe also zwei Flugblätter.
SCHENK: Zwei?
FLORA: Ja, — eins für die Arbeiter und eins nimmt Rund mit in die Kaserne.
SCHENK: Richtig, das hätte ich vergessen.
RUND: Für die Verteilung sorge ich schon.
DIETRICH: Der Kampf geht los! Sie sollen was erleben, — diese Banditen!
TROTZ: Dietrich, du kommst mit zu mir.
DIETRICH: Zu dir — jetzt?
TROTZ: Ja, du hilfst mir rote Fahnen und Plakate machen.
FÄRBER: Ich gehe. Muss mindestens fünf Genossen aufsuchen, heute Abend. Wer kommt mit?
FISCHER: Ich.
BRAUN: Ich auch. Die Firma Wachsmann wird ohnehin versorgt. Ich gehe jetzt zu Genossen von Bartels & Moser und von der Motorengesellschaft.
ROSA: Wir gehen doch jetzt alle?
FLORA: Kann ich die Flugblätter gleich hier schreiben?
MARIE: Gewiss. Ich muss jetzt doch zum Abendessen einholen, und Stefan wird Sie nicht stören.
KLAGENFURTER:Ich? Meinst du denn, ich bleib zu Hause? Ich gehe mit dir, Braun. Wir müssen unterwegs die Genossen
einteilen, wo wir Besuch machen. Ich gehe zuerst zu Thielmann und dann zu Schulz. (Allgemeiner Aufbruch. Man sieht in der dunklen Bettecke Einzelne
die Überzieher anziehen. Durcheinander der Stimmen.)
SCHENK: Ich arbeite die Nacht durch in der Druckerei. Die Zettel können morgen früh um 6 Uhr bei mir abgeholt werden.
ROSA (zu Rund): Wenn du jetzt nichts zu tun hast, kannst du ja mit zu mir kommen und helfen. (Beide ab.)
FRAU LASSMANN: Vorsichtig, Ernst. — Komm — so — hier ist mein Arm. (Mit ihm ab.)
(Unter lautem Gespräch gehen Braun, Fischer, Färber und Klagenfurter fort.)
TROTZ: Ob ich in meinen alten Tagen wirklich die Freude noch erleben soll?
FLORA: Es muss glücken, Genosse Trotz!
SCHENK: Es muss glücken!
DIETRICH: Wir werden es ihnen zeigen, diesen Hunden!
TROTZ: Komm jetzt! Gehst du mit uns, Schenk?
SCHENK (mit Blick auf Tiedtken): Wird wohl am besten sein. Wann kann ich die Manuskripte holen?
FLORA: In spätestens einer halben Stunde. (Schenk macht sichfertig.)
MARIE: Ich gehe also jetzt auch fort. — Ist es kalt draußen?
FLORA: Nicht arg. Aber seien Sie vorsichtig, es könnte Glatteis geben. Rudolf, du begleitest wohl Frau Klagenfurter?
TIEDTKEN: Soll ich nicht auf dich warten?
FLORA: Nein, ich habe später noch mit Schenk zu sprechen.
SCHENK (schon in der Tür): Ich komme bald. (Mit Trotz und Dietrich ab.)
MARIE (zu Tiedtken): Einen Augenblick. (Sie geht hinaus, schließt die Tür hinter sich.)
TIEDTKEN (schon im Mantel): Du bist merkwürdig gegen mich, Flora.
FLORA: Mein Lieber, es ist Revolution in der Luft.
TIEDTKEN: Misstraust du mir denn?
FLORA: Deiner Ehrlichkeit keineswegs. Aber du musst doch merken, dass die Genossen alle dich als Eindringling empfinden. Du gehörst ja wirklich nicht dazu.
TIEDTKEN: Aber bis jetzt? — Du wenigstens —
FLORA: Bis jetzt warst du ein hübscher Junge. Und ich bin eben eine Frau.
TIEDTKEN: Du willst nichts mehr von mir wissen?
FLORA: Rudolf, du fragst wie ein Primaner. Es geht jetzt um das Volk, um das Proletariat. — Sieh, davon verstehst du nichts. Du weißt nicht, was das ist. Du kennst nur die Worte und bewunderst mein Mitleben in dieser Welt wie ein fremdes Schauspiel. Du bist Ästhet, Literat. — Ich bin von der anderen Welt.
TIEDTKEN: Du hast mich doch aber geliebt!
FLORA: Ja, Rudi, — gewiss. Das ging bis jetzt. Aber was nun kommt, braucht mich ganz. Ich darf Körper und Geist nicht länger ein verschiedenes Leben führen lassen.
TIEDTKEN (auf sie zu): Flora! Gib mir einen Kuss!
FLORA: (zurückweichend): Lass das, ich bitte dich.
MARIE (tritt ein, in weitem Cape, das ihren Zustand einigermaßen verdeckt; Kopftuch): So. Ich bin so weit. — Hier haben Sie Schreibzeug und Papier. (Nimmt Schreibunterlage, Tintenfass und Papier von der Kommode.) Auf Wiedersehen!
TIEDTKEN (lässt Marie zur Tür hinaus. Leise): Auf Wiedersehen, Flora. (Ab.)
FLORA: (ebenso): Leb wohl, Rudolf. (Wendet sich ab.) (Sie geht ein paar Mal im Zimmer auf und nieder, bleibt am Fenster stehen. Nimmt langsam aus der Tasche ein Zigarettenetui und Zündhölzer. Zündet eine Zigarette an. Nach ein paar Schritten geht sie entschlossen zum großen Tisch, setzt sich, Gesicht zum Publikum, und schreibt. Nach kurzer Zeit draußen Schritte. Es klopft.)
FLORA: Bitte!
SCHENK (tritt ein): Komm ich zu früh?
FLORA: (lacht): Da steht bis jetzt nur die Überschrift.
SCHENK (zögernd): Soll ich später wiederkommen?
FLORA: Nein. Wir haben miteinander zu reden.
SCHENK: Ich glaube auch. (Er hustet.)
FLORA: Sind Sie krank, Schenk? — Ach Gott, die Zigarette!
SCHENK: Nein, bitte rauchen Sie. Es ist nur für den Augenblick. (Er hüstelt und bekämpft sichtlich den Hustenreiz.) Ich sehe Sie gerne rauchen. Es gehört zu Ihnen.
FLORA: Wirklich? Setzen Sie sich zu mir.
SCHENK (wirft den Überzieher aufs Bett): Kommen Sie an den anderen Tisch. (Setzen sich an den runden Tisch.) Wie beurteilen Sie die Lage?
FLORA: Wir dürfen nicht pessimistisch sein.
SCHENK: Aber Sie sind es?
FLORA: N—ein! Nur glaub ich für den Augenblick nicht an den Erfolg.
SCHENK: Und trotzdem wollen Sie die Massen in Bewegung setzen ?
FLORA: Erst recht. Das Proletariat muss die Arbeiterfeindlichkeit der Herrschenden am eigenen Leib spüren. Vorher wird es zu nichts zu gebrauchen sein.
SCHENK: Es wird Blut fließen. Flora!
FLORA: Das weiß ich. Sie werden ganz sicher schießen.
SCHENK: Man wird die Besten einsperren.
FLORA: Ohne Zweifel.
SCHENK: Wie tapfer und stark Sie sind!
FLORA: Wir beide müssen zusammenstehen, Schenk. — Hören Sie mich an: Das Volk ist noch vollständig blind für altes, was vorgeht. — Der Krieg ist für Deutschland verloren.
SCHENK: Eine Verständigung ist nicht mehr möglich?
FLORA: Nach Brest-Litowsk nicht mehr. Die Frage steht so: Wird die Niederlage durch die Revolution kommen, oder wird die Revolution die Folge der Niederlage sein? Die Revolution aus Verzweiflung über den militärischen Misserfolg wäre das größte Unglück für das Proletariat. Im Auslande würde man unsere Revolution nicht ernst nehmen, und im Inland versuchen, uns mit Reförmchen abzuspeisen.
SCHENK: Am schlimmsten wäre es, wenn wir sie noch zu der West-Offensive kommen ließen. Wenn ihnen der Durchbruch gelingt, dauert der Krieg noch jahrelang.
FLORA: Und der Pöbel lässt sich von neuem foppen, hängt Fahnen heraus, zeichnet Kriegsanleihe und schreit Hurra für Kaiser und Hindenburg. Es gibt nur einen Weg, — den, den die Bolschewiki gegangen sind. Der Krieg muss durch die Revolution sabotiert werden. Das deutsche Volk muss die Niederlage erzwingen.
SCHENK: Aber wird man uns nicht ein Brest-Litowsk machen?
FLORA: Nur, wenn wir den Krieg erst militärisch verlieren. Dann kann der Entente-Imperialismus mit Deutschland machen, was er will. Das Proletariat drüben hat dann wenig Interesse, es zu verhindern, — am wenigsten, wenn wir jetzt den Raubzug gegen Sowjet-Russland geschehen lassen. Dann ist der Krieg vom Kapitalismus begonnen und von ihm bis zu Ende geführt worden, und der siegreiche Kapitalismus wird die Leiche des Besiegten fleddern. Das ist selbstverständlich.
SCHENK: Deutschland gibt ja das Beispiel selber.
FLORA: Bringen wir aber den Krieg durch Insurrektion zu Ende, dann werden sich die Sieger hüten, das nachzumachen, was ihnen die Deutschen jetzt vormachen.
SCHENK: Ihre Proletarier werden es ihnen nicht erlauben.
FLORA: Bestimmt nicht. Dann ist aber für den Entente-Imperialismus der Sieg kein Sieg mehr, — und die Revolution kommt in allen Ländern zum Ausbruch.
SCHENK: Die Welt-Revolution?!
FLORA: Die Welt-Revolution! — Und der Sieg des Sozialismus, des Kommunismus. Es hängt alles vom deutschen Proletariat ab.
SCHENK: Aber Sie glauben doch nicht an den Erfolg?
FLORA: Noch nicht. Nur muss es eine wirkliche Rebellion werden, kein Versuch einer Minderheit, der im Keim stecken bleibt. Der moralische Eindruck bleibt der gleiche, wenn wir auch diesmal noch unterliegen. Das Volk braucht die Lehre.
SCHENK: Glauben Sie denn, dass eine wirkliche Erhebung zustande kommen wird?
FLORA: Ich fürchte das Militär weniger als — die Arbeiterführer.
SCHENK: Ja. Das ist das Gift im Leibe des deutschen Proletariats.
FLORA: Wenn es uns gelänge, die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften zu sprengen, dann hätten wir gewonnen, — auch wenn wir äußerlich verlieren.
SCHENK: Räte brauchen wir, — Arbeiter- und Soldatenräte.
FLORA: Die will ich auch in den Flugblättern fordern. — Jetzt ist das wichtigste, dass wir alle Parteiführer von der Bewegung fernhalten.
SCHENK: Deshalb muss eben Seebald an die Spitze.
FLORA: Es wäre gut, aber er ist — Pazifist, wenn er auch weitergeht, wenn er auch Tolstoische Gedanken predigt. Ich fürchte, Schenk, er ist nur Prediger!
SCHENK: Nein — nein! Wir müssen mit ihm reden. Wir werden ihn gewinnen.
FLORA: Wird aber viel gewonnen sein, wenn er den Massen sagt: Die Waffen nieder!? — Wir brauchen einen Mann, der ihnen zuruft: An die Gewehre!
SCHENK (fasst ihre Hände): Ja — ja. Der Streik nützt nichts, wenn er nicht zum Aufstand wird. — (Nachdenklich.) Das kommt darauf an, Seebald erst einmal auf der Straße zu haben. Bringen wir ihn dahin, dann können wir ihn auch zum Handeln zwingen.
FLORA: Wie — zwingen? — Er wird zur passiven Demonstration raten.
SCHENK: Auch noch, wenn die andern aktiv werden? Sein Freund Lecharjow hat's 1909 in Russland mitgemacht. Der wird ihn treiben.
FLORA: Es gibt Christusnaturen. —
SCHENK (plötzlich): Wäre ich nur ein bisschen gesünder, ich würde freiwillig Soldat — um mit dabei zu sein, wenn es gegen die Arbeiter ginge.
FLORA: Gegen die Arbeiter?
SCHENK: Ja, doch! — Um im entscheidenden Augenblick überzugehen.
FLORA: Dann müssten Sie vorher die ganze Zeit Theater spielen?
SCHENK: Und wenn! (Besinnt sich.) Vielleicht hätte ich mich nie bekennen sollen — zu meiner Überzeugung.
FLORA: Nie bekennen?
SCHENK: Im Bunde mit dem Feinde arbeiten — und ihn dann —
FLORA: — verraten!
SCHENK: Ja! Der Feind lehrt den Menschen handeln. — Kann sein, dass auch Seebald erst vom Feind zur Pflicht gebracht wird: wenn sie ihn persönlich anfassen.
FLORA: Das werden sie nicht. — Sie haben auch Tolstoi nichts getan in Russland.
SCHENK: Ich weiß. Seebald ist der Abgott der Menge — und sein Ruf in der ganzen Welt. Ein Gelehrter — ein Philosoph. —
FLORA: An ihn wagen sie sich nicht heran. Auch das gebildete Bürgertum steht für ihn auf, — die Studenten.
SCHENK: An die glaub ich am wenigsten. Aber gleichviel. — Wenn es nicht anders geht, muss Seebald geopfert werden.
FLORA: Geopfert?
SCHENK: Das heißt, er muss an den gefährlichsten Posten. — Und er muss selbst zum Sturm aufrufen. Dann werden sie auch nach ihm greifen.
FLORA: Sie lieben doch Mathias Seebald?
SCHENK: Ich? — Für ihn sterben könnte ich jede Minute. Er ist ein herrlicher Mensch, der reinste und beste. Er ist mein
Vorbild, mein Meister.
FLORA: Und Sie würden ihn opfern?
SCHENK: Wenn es die Sache verlangt — natürlich!
FLORA: (ist aufgestanden, fährt ihm durchs Haar): Gäbe es kein Verbrechen, Raffael, das Sie der Revolution verweigerten?
SCHENK: Was der Revolution dient, — wie kann das Verbrechen sein?
FLORA: Du bist ein ganzer Mensch. Wir wollen zusammenhalten.
SCHENK (ergreift ihre Hände): Das wollen wir! — Flora! — Ich will dein Freund sein, wo du mich brauchst.
FLORA: Und volles Vertrauen — immer und überall!
SCHENK: Volles Vertrauen! — Nun eins: es ist nicht Eigennutz --
FLORA: Sprich nur! —
SCHENK: Flora, — ob du Tiedtken lieb hast, — ist deine Sache.
Aber — er soll nicht dein Kamerad sein.
FLORA: Ich habe Rudolf fortgeschickt.
SCHENK: Ganz?
FLORA: Ja. — Bist du zufrieden? (Sie küsst ihm die Stirn.)
SCHENK (zieht sie an sich): Ich liebe dich schon lange — lange.
FLORA: (macht sich sanft von ihm los): Wir schließen den Bund —
SCHENK: Fürs Leben?
FLORA: Für die Tat, Raffael!
SCHENK: Die Tat!!
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