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B. Traven - Ein General kommt aus dem Dschungel (1940)
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DRITTES KAPITEL

1

Beide Trupps marschierten ab. Jeder in die Richtung, die General angeordnet hatte.
Die Trupps waren kaum hundert Schritt fort, als General alle Muchachos, die in seiner Nähe sich befanden, aufrief, sich marschbereit zu halten. Die große Masse, die weiter hinten lagerte, erhielt den Befehl, aufzupacken und sich auf den Marsch zu begeben, jedoch nicht voran, sondern wieder zurück auf dem Wege, den die Companias heute gekommen waren.
Es regnete, nicht heftig, sondern in langen, traurigen Strichen. Durch diesen Regen wurde die Sicht weniger klar, aber bis zu jener Erdsenke hin konnte das Gelände genügend beobachtet werden. Der Santiago-Trupp war inzwischen einen Kilometer weit marschiert und befand sich ungefähr in gleicher Höhe mit der Senke. In diesem Augenblick schienen die Rurales, die in der Senke auf Lauer lagen, zu bemerken, dass für sie die Gefahr bestand, umgangen zu werden. Das mussten sie verhüten, um so mehr, als durch jenes Umgehen es den Muchachos gelingen mochte, zwischen die Rurales und die Finca zu kommen. Einmal innerhalb der Umfassungsmauern der Finca, würden die Muchachos eine ungemein starke Stellung zu ihren Gunsten haben, noch mehr verstärkt dadurch, den Finquero und seine Familie als Geiseln gebrauchen zu können.
Es ertönte ein schriller Pfiff in der Senke, und gleich darauf tauchten die Rurales daraus hervor. Einige waren bereits aufgesessen. Andere, und die waren die Mehrzahl, zerrten ihre Pferde hinter sich her, hinauf auf den Rand der Senke, um schneller die Böschung hinaufzugelangen. Oben angekommen, schwangen sie sich in die Sättel und warteten auf weiteren
Befehl ihres Capitan. Die Pferde tänzelten herum, offenbar nervös gemacht von ihren Reitern, die, so schien es, nicht eilig genug das Scharmützel zu Ende bringen konnten. Die Ursache dieser Emsigkeit war freilich weniger in Tapferkeit oder Kriegsbegeisterung der Leute zu suchen als vielmehr darin, dass der sanfte Strichregen, der bis jetzt nur müde und zaghaft heruntersisselte, so chipichipi, wie der Indianer sagt, in einer halben Stunde in einen gut gewetterten, schweren tropischen Aguacero auszuarten drohte. Je rascher das Treffen vorüber war, um so schneller waren die Rurales wieder in der Finca. Mit dem halben Hundert verlausten Indianern wurden die geübten Rurales in zehn Minuten fertig. Sie hatten Erfahrung darin.

 

2

Sobald alle aufgesessen waren, begannen sie in leichtem Trab auf den Santiago-Trupp loszureiten. Das holprige weiche Gelände, in dem die Hufe der Pferde einsanken, wenn sie zu fest auftraten, ließ ein rasches Galoppieren nicht zu.
Zuerst waren nur etwa zehn sichtbar gewesen. General glaubte, dass diese zehn Mann die Hälfte der Landpolizei seien, die hier auf die heranziehenden Rebellen auf Lauer gelegen hatten. Aber es währte nicht lange, und mehr und mehr Reiter tauchten aus der Senke hervor. Endlich sah General zu seinem großen Erstaunen, dass die Rurales ungefähr sechzig Mann stark waren; und, wie er von den begleitenden Mules schätzen konnte, hatten sie zwei Maschinengewehre mit sich.
»Verflucht! Verflucht, verflucht und drauf geschitt«, sagte er. »Das ist ja beinahe eine ganze Compania, die da rausgekrochen kommt. Nun wird's lustig.«
»Hoffentlich wird's recht lustig«, rief einer. »Zwei Maschinengewehre sind besser als eines, und sechzig Karabiner können wir besser gebrauchen als zwanzig. Was sagt ihr dazu, Muchachos?« fragte er jene, die ihm nahe lagen.
Ehe sie antworten konnten, hatte General Befehl gegeben, dass etwa sechzig Mann von denen, die herumlagen, bereit sein sollten, um innerhalb der nächsten fünf Minuten loszugehen.
General rief Profesor. »Du nimmst den Haupttrupp und beginnst zurückzumarschieren, denselben Weg, den wir gekommen sind.« Die Leute taten es ungern. Es war keine Zeit, dass Profesor allen erklären konnte, welchen Plan General verfolgte.
General hielt seine sechzig Mann dicht bei sich und rief ihnen zu: »Sobald ich einen Schuss aus meinem Revolver abfeuere, erhebt ihr euch und marschiert hinter mir her, auf die Finca los. Ich werde euch sagen, wann ihr angreift. Wenn ihr früher angreift, als ich es euch sage, dann schieße ich jeden einzelnen über den Haufen. Verflucht noch mal!«

 

3

Die Rurales waren jetzt so weit auf den Santiago-Trupp zugekommen, dass sie nur noch etwa fünfhundert Meter von ihm entfernt waren. Damit war diesem Trupp der Weg zur Finca abgeschnitten. Jetzt, dem Plan Generals richtig und getreu folgend, ordnete Santiago seinen Leuten an, sich furchtsam zu stellen und eiligst zurückzutraben auf den Busch zu, um dort Schutz zu suchen.
Als die Burschen so furchtsam zu rennen begannen, betrachtete der Mayor, der die Rurales befehligte, das als ein Zeichen des Sieges. Er sagte zu dem Leutnant grinsend: »Da sehen Sie, was habe ich immer behauptet? Dieses verlauste Indianerpack ist nur frech tief im Dschungel. Aber wenn diese Dreckschweine auch nur eine Uniformmütze schief aufs Ohr gesetzt sehen, dann rennen sie wie die Karnickel, mit nassem Schitt heraustropfend aus ihrem verlumpten Hosenboden. Drauflos und ihnen den Rest gegeben! Wer irgendeine Waffe trägt, Machete oder Messer, wird sofort ohne Gnade erschossen. Wer nichts, gar nichts trägt, wird an den Lasso genommen und mit zur Finca genommen, wo wir sie uns aufheben für heute Abend. Das Weibervolk auf der Finca hat ein Vergnügen daran zu sehen, wie wir mit den Gefangenen umgehen. Los! Vorwärts marsch! Maschinengewehre bleiben vorläufig zurück, aber fertig zum Absetzen. Marcha adelante!«
El Corneta blies das Signal. Die Mannschaft nahm einen eiligeren Trab auf. Jedoch die Pferde stolperten und blieben mit den Hufen in den dicken Grasbüscheln hängen und stecken. Darum ging der Angriff nicht so militärisch elegant vonstatten, wie der Mayorund der Leutnant gewünscht hätten. Beide wussten recht gut, dass sie vom Dach des Herrschaftshauses der Finca aus mit Jagdgläsern beobachtet wurden.

 

4

General, lang ausgestreckt am Boden liegend, richtete sich höher auf den gestützten Armen. Nun zog er den Revolver. Es folgten einige Sekunden hochgespannter Erwartung beiden Muchachos, die ihre Augen auf jede Bewegung Generals gerichtet hielten.
Der Santiago-Trupp, zurückrennend, war jetzt nahe bei dem Rand des Busches angekommen. Die Rurales befanden sich nur etwa zweihundert Meter von dem Trupp entfernt. Dem schlechten Gelände zum Trotz wollten sie unter allen Umständen einen heftigen Galopp ansetzen, um den Santiago­Trupp daran zu hindern, den Busch rechtzeitig zu erreichen, weil es im Busch schwieriger wurde, die Muchachos zu fangen, als im offenen Gelände.
Das Galoppsignal wurde gegeben. Die Pferde setzten hoch und sprangen voran.
Aber gleichzeitig krachten vom Hügel her zwei Schüsse, einer aus dem Revolver Generals, und einer aus dem eines der Muchachos, dem General einen Wink gegeben hatte.
In derselben Sekunde waren die befohlenen Muchachos auf den Beinen. Sich sofort in Laufschritt setzend, begannen sie, in geradem Wege auf die Finca loszurennen. Sie rannten, dem Befehl Generals folgend, nicht alle in einem dicken Haufen, sondern in kleinen Gruppen von je fünf oder sechs Mann, um zu verhüten, dass sie zu gute Ziele abgeben sollten.

 

5

Der Kriegsplan, den General ausgearbeitet hatte, war eines erfahrenen und genialen Feldherrn würdig.
Die versteckten Rurales aus ihrer sicheren Senke, wo sie infolge ihrer besseren Bewaffnung und ihrer militärischen Schulung so gut wie unangreifbar waren, hervorzulocken und sie in das offene Gelände zu bringen, das allein war eine Meisterleistung. Im offenen Gelände waren die Rurales, trotz ihrer Pferde, nicht nur angreifbar, sondern besiegbar. Die Pferde waren eher hinderlich als nützlich, um so mehr, als der Regen heftiger wurde und das von der langen Regenzeit völlig durchweichte Prärieland nun erneut aufweichte. Der Mayor der Rurales hatte zu spät erkannt, wie schwierig das Gelände hier war.
Es war fester gewesen von der Finca aus bis zu jener Senke, und er hatte angenommen, es sei ebenso zwischen der Senke und dem Busch. Es war von ihm übersehen worden, dass jedes Gelände, je näher es einem großen Dschungel oder einem weit ausgestreckten Busch liegt, um so mehr den Eigenschaften des Busches unterliegt, in dem jede Feuchtigkeit viel länger anhält als in dem offenen Gelände, wo unter dem Einfluss der tropischen Sonne das Gelände selbst nach dem heftigsten Regen in wenigen Tagen auftrocknet. General hatte diese ihm recht gut bekannte Tatsache in seinem Plan in Betracht gezogen. je näher er die Rurales zu dem Busch heranlocken konnte, desto weniger guten Gebrauch konnten sie von ihren Pferden machen. Außerdem ist es für Leute, die Stiefel tragen, viel schwieriger, in aufgeweichtem Buschgelände zu marschieren, als für die Indianer, die barfuss gehen. Der nacktfüßige Indianer vermag in diesem verschlammten Boden zu rennen, der bestiefelte Mann dagegen hat seine saure Mühe, überhaupt weiterzukommen. So viel Aufmerksamkeit muss er seinem Weg widmen, dass er, in einen Kampf verwickelt, so gut wie hilflos wird.
Der Regen kam General ebenfalls sehr gelegen, obgleich dieser Regen mehr ein unerwarteter, wenngleich begrüßter Bundesgenosse war als eine Hilfstruppe, die von vorneherein in Rechnung gezogen wurde.
Was aber General zu einem Feldherrn machte, weit überlegen dem Mayor der Rurales, war seine Gabe, mit dem Kopf seines Gegners zu denken und zu arbeiten. Bis zur letzten und winzigsten Idee hatte er richtig vorausgerechnet, was ein Offizier der Rurales oder der Federales unter diesen gegebenen Umständen tun und wie er handeln würde.
Es war natürlich, dass die Offiziere der Rurales es als ihre oberste Pflicht betrachteten, die Bewohner der Finca, in der sie zu Gaste waren, zu schützen, und als Caballeros fühlten sie es als ihre vornehmste Aufgabe, die weiblichen Familienmitglieder des Finqueros vor den rohen und ungewaschenen Händen der indianischen Rebellen zu retten.
Darum durfte der Santiago-Trupp den Rurales nicht in den Rücken gelangen. Ferner hatte der kommandierende Offizier aus militärischen Gründen zu vermeiden, dass die Rebellen etwa die Finca umgingen und sich nach Hucutsin begaben, das augenblicklich von Soldaten entblößt war. So war durch jenen Santiago-Trupp der Mayor gezwungen worden, gegen seinen Plan und gegen seinen Willen die sichere Erdfalte zu verlassen und sich ins offene Gelände zu begeben.
Es war jetzt nur noch nötig, die Rurales zum Haupttrupp hinzulocken. Das war schwieriger. Aber General löste diese taktische Aufgabe in einer ebenso genialen Weise, wie er die andere gelöst hatte, den Gegner ins offene Feld zu zwingen.
Es war sein Plan, die Rurales in die weite Prärielichtung, die sich einer Straße gleich einige Kilometer weit in den Busch hineinzog, zu locken.
Während die Rurales dem Santiago-Trupp, der, scheinbar den dicken Schitt in den Hosen, ausrückte, nachsetzten, um einen gewaltigen Sieg verbuchen zu können, zog sich links der Fidel-­Trupp, an den Grenzen des Busches bleibend, dem Ausgang der Lichtung nahe. Zur selben Zeit füllte General den Busch zu beiden Seiten der Lichtung mit Leuten an in einer solchen Weise, dass diese versteckten Leute von den Rurales nicht gesehen werden konnten, wenn jene sich in die Lichtung gegeben sollten.
Nachdem alles für das Gefecht vorbereitet war, blieb für General nur noch übrig, die Rurales in die Lichtung zu locken. Er tat es so geschickt, wie es kein erfahrener Feldherr hätte besser machen können.

 

6

Als die beiden Schüsse loskrachten, der eine von ihm selbst abgegeben, der andere von seinem Nebenmann, hielten die reitenden Rurales alle ohne Ausnahme an, ohne einen Befehl abzuwarten, so unerwartet waren ihnen diese beiden Schüsse gekommen und aus einer Richtung, wo sie nicht erwartet hätten, dass dort Rebellen sein könnten. Sie sahen im gleichen Augenblick den Trupp, von General geführt und etwa sechzig Mann stark, wild auf die Finca losrennen. Während die Burschen rannten, feuerten drei, den Befehlen Generals folgend, ihre Flinten auf die Rurales ab.
»Bei allen Heiligen!« rief der Mayor dem Leutnant zu, der am linken Flügel ritt, »da sind wir ja auf elend falscher Fährte.«
Der Leutnant kam herangaloppiert.
»Da drüben, das sind die Schweine, hinter denen wir her sein sollten«, sagte der Mayor erklärend.
»Die Muchachos, hinter denen wir hier herjagen, als wären sie Hasen, sind armselige entflohene Burschen, weiter nichts. Wahrscheinlich rennen sie nur vor den Rebellenhunden weg, die ihnen ihre hart verdienten paar Gelder stehlen wollen. Los. Corneta, das Signal geblasen. Wendung nach rechts. Attacke mit voller Waffe!«
Das Signal ertönte, und die ausgeschwärmte Reihe der Rurales änderte ihre Richtung und galoppierte auf die Lichtung zu, aus der die stürmenden Rebellen hervorgebrochen waren. Etwa zwei Kilometer trennten sie voneinander.
Kaum hatten die Rurales die neue Richtung aufgenommen, zog sich der Santiago-Trupp in den Busch hinein, ein Manöver, von dem der Mayor glaubte, es sei eines der Furcht, und die Burschen wollten nur dem Gefecht, das sie kommen sahen, ausweichen, um nicht von Streifschüssen getroffen zu werden.
Hätte der Santiago-Trupp nicht so gehandelt und wäre er in der alten Richtung weitermarschiert, dann würde der Mayor sicher einen Unteroffizier mit sechs Mann abgeschickt haben, den Burschen zu folgen. Das wäre gegen den Plan Generals gewesen, der verhüten musste, dass der Santiago-Trupp in ein Gefecht verwickelt wurde, wodurch der Kommandant der Rurales erfahren haben würde, dass der Santiago-Trupp zum Rebellenheer gehörte und sein Seitenmarsch nur ein taktisches Manöver sei.
Sobald General nun alle Rurales auf seinen Stoßtrupp zureiten sah, ließ er jeden Mann, der eine Schusswaffe trug, einen Schuss auf die Rurales feuern. Zwei Pferde der Rurales stürzten. Ob sie getroffen waren, oder nur über hohe Knollen der dicken drahtigen Grasbüschel gestolpert waren, konnte nicht ersehen werden. Aber zwei Rurales, deren Pferde nicht stürzten, hatten Verwundungen erlitten, was von den Muchachos wahrgenommen werden konnte infolge der verrenkenden Bewegungen, die jene Getroffenen machten.
Ohne diese Treffer, die für das Gelingen des Planes, den General ausgedacht hatte, notwendig waren, hätte es geschehen können, dass der Mayor seine Leute zur Senke zurückgeführt hätte, um dort die Rebellen zu erwarten oder in anderer Weise anzugreifen, oder gar bis dicht an die Gebäude der Finca zurückzugehen und von hier aus fächerartig über das Gelände auszuschwärmen. Wieder hatte General richtig mit dem Hirn, oder in diesem besonderen Fall mit der eigentümlichen Psychologie eines Offiziers, gerechnet. Ob sie Heiducken kommandieren oder Rotznasen mit braunen, grünen oder schwarzen Kappen, sie sind alle gleich. Ihre Ehre ist verletzt, wenn sie von Proleten mit Dreck beschmissen werden oder mit Pflastersteinen. Erst recht war hier die Ehre eines Offiziers der Rurales tödlich verwundet, dass dreckige und verlauste Indianer es wagen konnten, auf ihn zu feuern. Steif hatten sie zu stehen, wenn ein Offizier vorüberkam, steif zu stehen und die Arme über die Brust zu kreuzen und sich tief zu neigen, wenn er sie anredete; denn sein Gesicht anzusehen, war für einen indianischen Peon ein größeres Verbrechen, als zu versuchen, das Antlitz Gottes zu ergründen.
Der Regen, der nun dick und peitschend herunterströmte, machte den Mayor erst recht verdrießlich.
Warum kann denn nicht die Sonne scheinen, wenn ein ehrbarer Krieger eine Schlacht schlagen will!
Zur Hölle mit diesem gottverfluchten Regen. Pitschnass bis auf das bekleckerte Hemd, und nun auch noch verlausten Indianern nachrennen. Warum, der Teufel mag wissen, wurden nicht einfach alle Indianer abgeschlachtet, gleich im ersten Jahrhundert nach der Entdeckung. Dann hätte man Ruhe, könnte nun mollig und vergnügt in der Finca sitzen, den Mägden unter den Röcken spielen und dem Finquero hundert Pesos im Sieben-und-einhalb abnehmen.
»Los! Drauf auf die Schweine. Wir werden es sie schon lehren, auf ehrliche Soldaten zu schießen. Nicht einer bleibt am Leben, der auch nur einen Span von so etwas wie einer Waffe oder einem Messer an sich trägt. Das ist Befehl! Verstanden?«

 

7

Stolpernd und holpernd ritten die Rurales auf die Lichtung zu. Alle, ohne Ausnahme, waren des strömenden Regens wegen missmutig, wie nur jemand sein kann, der im Regen daherlaufen muss und gewiss weiß, dass es stundenlang so fortregnen wird. Sie klebten auf ihren Pferden, in sich zusammengekauert, als ob sie sich dadurch besser vor dem Regen zu schützen hofften. Ihre gummierten Regenumhänge konnten sie nicht gebrauchen, weil die ihnen im Gefecht hinderlich gewesen wären.
Der Stoßtrupp der Muchachos marschierte jedoch weiter auf die Finca zu. Als General etwa so weit im offenen Gelände war, dass er im Zurückmarschieren seines Trupps ungefähr ebensoviel Zeit haben würde, zum Ausgang der Lichtung zu gelangen, wie die Rurales, ließ er Front zu den Rurales machen und feuern. Zwei oder drei Mann schienen wieder getroffen zu sein, aber sie blieben auf ihren Pferden und ritten voran, auf die Lichtung zu.
El Corneta blies ein Signal, und die Rurales versuchten, eine glänzende Attacke zu reiten. Aber durch das Gelände und durch den Regen gehindert, kam die Attacke wieder nicht weit. Der Mayor ließ halten und einige Minuten lang Schützenfeuer auf den Stoßtrupp abgeben.
Die Muchachos erwiderten mit wenigen Schüssen, und dann, getreu dem Befehl Generals folgend, rannten sie, wie in großer Furcht, in einem ungeordneten Haufen in die straßenähnliche Lichtung des Busches hinein.
Nun hielt der Mayor den Zeitpunkt für gekommen, den Rebellen den vernichtenden Rest zu geben. Er folgte dem verwirrten Trupp in die Lichtung. Diese Lichtung war von steifem hartem Kurzgras bewachsen.
Der Boden war darum weniger weich als das offene Gelände. So vermochte die Polizei ein wenig rascher zu galoppieren. Die Muchachos rannten wie gehetzte Karnickel, und hinter ihnen herzujagen, machte den Rurales ein Vergnügen. Das Vergnügen wurde um so angenehmer empfunden, als der heftige Regen nachließ und die Wolken klarer wurden.
»Nicht schießen«, kommandierte der Mayor, »bis ich das Signal gebe.« Er wandte sich zum Leutnant.
»Sehen Sie da, Teniente, weiter voran in der Lichtung ist noch ein größerer Haufen. Wenn wir die Haufen dicht beieinander haben, dann lasse ich mit den beiden Maschinengewehren dazwischenpfeffern. Caray, da sollen Sie einmal etwas sehen, wie die Ametralladoras wüten können. Gut für Sie, das zu wissen, wie die da hineinmähen. Gehört zur Kriegskunde.«
Der Stoßtrupp, im Zurückrennen, stieß auf andere Companias, die lange vorher den Befehl erhalten hatten, sich zurück in den Busch zu ziehen. Der rennende Haufen, durch jene Companias vergrößert, bestand nun aus etwa zweihundert Burschen. Es sah verwirrt genug aus, und es war nur natürlich, dass die Rurales an der Verfolgung dieses rennenden Haufens ihre Freude hatten. Es war vergnügter als Viehherden blockieren. Denn unter den rennenden Muchachos waren auch zahlreiche Pferde, Mules und Esel, die von den Monterias mitgeführt worden waren. Diese verscheuchten Tiere, auf die eingepeitscht wurde, um sie zu eiligerem Laufen anzuregen, brachten in die fliehenden Massen ein solches Durcheinander, dass es von den so gut gedrillten und so geordnet anreitenden Rurales aus gesehen den Eindruck erweckte, diese in heilloser Panik dahinrennende Masse könnte sich nie wieder zur Ordnung sammeln.
Aber der seines Sieges so sichere Mayor bemerkte nicht, und keiner seiner Leute schien es zu bemerken, dass diese unbeschreibliche Verwirrung nur dazu diente, eine Kriegslist zu verdecken, eine List, die General ausgearbeitet hatte.
Die fliehende Masse nahm die ganze Breite der weiten Straße ein. Sie dehnte sich so weit zu beiden Seiten aus, dass die Flügel dicht am Busch streiften, der sich rechts und links dieser
Lichtung hinzog.
So verwirrt waren die gehetzten Muchachos, dass sie, um nur rascher fliehen zu können, sich an den Flügeln in den Busch hineindrängten, um freien Weg zu haben, den sie in der Mitte des Haufens nicht finden konnten.
Es sah ungemein lustig aus für die Rurales, wie jene Muchachos, ähnlich aufgescheuchten Ameisen, entlang krabbelten und entlang stolperten. Jedoch die Rurales nahmen nicht wahr, dass die Muchachos, die an den Rändern des Busches sich entlangquetschten und drückten, sobald sie erst einmal vom Haufen verschwunden waren, sich weiter zu den Seiten in dem Busch verkrümelten, tiefer und tiefer in den Busch hineinliefen und zwischen den Bäumen darauf warteten, wann die Rurales in gleicher Höhe mit ihnen sein würden. Sobald die Rurales vorüber waren, immer hinter dem fliehenden Haufen her, schlichen sich diese Muchachos, immer im Busch bleibend, wieder in die Richtung zur Finca zurück.
Waren sie einige hundert Meter weit in jene Richtung gegangen, dann kamen sie wieder hervor, dicht an den Rand der Lichtung heran. Sie befanden sich nun den Rurales im Rücken.
Hätte es der Mayor mit geübten Soldaten als Gegnern zu tun gehabt oder mit erfahrenen Revolutionären, die von tüchtigen Offizieren geführt wurden, dann würde er gewiss mehr Vorsicht gezeigt haben.
Wahrscheinlich wäre er überhaupt nicht in jene Lichtung hineingeritten, sondern hätte die Rebellen erwartet, die ja endlich einmal in das offene Gelände kommen mussten. Aber diese verlausten und verdreckten Indianer können nicht für sich denken, darum brauchen sie Tyrannen und Diktatoren, die ihnen das Geschäft des Denkens abnehmen. Und weil diese Dreckschweine nicht denken können, so können sie auch keine Pläne machen. Darum, drauflos und immer geradeaus.
Die Rurales hatten, während sie anritten, ihre Karabiner schussfertig, aufrecht auf ihren rechten Schenkeln gestützt, getragen. Sie brauchten sie nur hochzuheben und konnten losknallen. Das versuchten sie auch, aber die Mehrzahl der Schüsse sausten über die Wipfel der Bäume hinweg. Denn das Schreien und Heulen der anstürmenden Masse wütender Muchachos brachte die Pferde aus der Gewalt ihrer Reiter. Es war zu plötzlich und unerwartet gekommen. Die Pferde bäumten, schlugen um sich, wandten sich, versuchten den Zaum vor die Zähne zu nehmen und wild zurückzugaloppieren. Ein Dutzend Reiter wurde abgeworfen. Die abgeworfenen Polizisten rafften sich auf und begannen ihre Karabiner abzuschießen. Sie brachten es jedoch in keinem Falle zum Abschuss eines vollen Magazines. Dann saßen ihnen auch schon drei oder vier Burschen am Hals, vor der Brust, auf dem Rücken. Und drei Sekunden darauf war der Mann in Stücke gehackt.
Wäre der Boden sehr hartgewesen, dann hätten die Rurales wahrscheinlich in großer Zahl fliehen und entkommen können. Aber wenn es auch nur einer versuchte, sein Pferd herumzureißen und heftig anzuspornen, dann hingen gleich fünf Burschen dem Pferde am Schwanz und drei hingen an den Zügeln, während zwei oder drei den Mann aus dem Sattel zerrten.
Der Versuch, die Maschinengewehre abzusatteln und auf den Boden zu bringen, kam nicht weiter als bis zum Abschnallen der Gurte. Dann waren die Mannschaften auch schon zerfleischt. Der Mayor und der Leutnant versuchten, Befehle zu brüllen. Aber keiner hörte auf sie. Der Hornist lag ohne Kopf im Dreck. Pferde trampelten auf seinem Leibe herum.
»Rette sich, wer kann!« schrie der Mayor, um sich entschuldigen zu können und ein Recht zu haben, abzureiten. Sein Leutnant flog bereits tausend Meilen hoch als Harfenspieler herum. Der Mayor kam fünfzig Schritte weit und glaubte sich bereits geborgen. Aber da brachen seitlich aus dem Busch,  an dessen Rande er dicht entlangritt, fünf jener Muchachos hervor, die sich auf dem Rückmarsch dort verkrochen hatten. Es währte nur zwei Sekunden sowie die Dauer eines fehlgegangenen Schusses aus dem eleganten, mit Gold ausgeschlagenen Revolver des Mayors, und fünf Sekunden später hätte ihn sein bester Freund nicht mehr auch nur unter zwei Leichnamen identifizieren können.
Vier Polizisten gelang es, zu entkommen. Sie hatten es ihren Pferden zu verdanken, die so verschüchtert und so verängstigt waren, dass sie Löcher im Boden und Schlamm vergaßen und auf Tod und Leben darüber hinwegeilten.
Die beiden Seitentrupps erreichten die Lichtung um eine halbe Minute zu spät. Andernfalls wäre es selbst den mutigsten Pferden nicht geglückt, ihre Reiter zu retten. Immerhin war selbst diese geglückte Flucht der vier Rurales kein völliger Verlust für die Muchachos. Die Rurales hatten ihre Karabiner und ihre Munition abgeworfen, um ihrer Flucht sicherer sein zu können.
Diese vier fliehenden Rurales trafen auf ihrem Galopp zur Finca die beiden anderen ihrer Kameraden, die schon vorher, noch vor dem Einmarsch in die Lichtung, mit ihren getroffenen Pferden gestürzt waren.
Diese beiden marschierten zu Fuß zur Finca zurück. Zu ihrem Glück rannten auch einige versprengte Pferde ohne Reiter zur Finca zurück. Es waren Pferde, deren Reiter in dem Kampfe gefallen waren. Die vier berittenen Rurales vermochten zwei Pferde einzufangen und ihre hinkenden Kameraden aufzusetzen, so dass diese sechs als die einzigen Überlebenden der so elegant und schnotzig ausgerittenen Polizeitruppe in die schützenden Mauern der Finca gedemütigt und niedergeschlagen einziehen konnten.
Auch den abgeworfenen Rurales waren keine Waffen geblieben. Deren Karabiner waren am Sattelknopf hängen geblieben, als die Pferde stürzten und ihre Reiter herunterschleuderten. Die Pferde aber hatten sich nach einigen Augenblicken wieder aufgerichtet und waren, trotz ihrer Verwundungen, hinter dem Haupttrupp hergelaufen und mit in die Lichtung getrabt, wo sie später infolge des Blutverlustes zusammengebrochen waren und die Muchachos sich Sättel und Karabiner anzueignen vermochten.
Als die Beute überzählt wurde, waren die Rebellen um sechzig funkelnagelneue Karabiner, acht Revolver und drei Feldgläser reicher. Außerdem waren sie im Besitz von zwei neuen Maschinengewehren mit voller Munition. Die Magazine der Karabiner waren freilich mit ganz wenigen Ausnahmen alle ausgeschossen, aber jeder gefallene Mann der berittenen Landpolizei trug außerdem vierzig bis sechzig Patronen in den Gürteln und in den Taschen.

 

8

Nur die Leute der beiden ersten Companias verstanden, was General beabsichtigte; denn sie hatten zugehört, als er den Plan an die Capitanes erklärte. Jedoch die Companias, die weiter hinten im Trupp gewesen waren, wussten nichts von dem Plan. Sie sahen nur das Fliehen und wurden in dem Fliehen mitgerissen. Sie widersetzten sich, konnten aber infolge der stärkeren vorderen Companias, die auf sie losprallten, nichts ausrichten und wurden mit in den rennenden Haufen gehetzt. Alle paar Minuten schrieen sie: »Wir sind doch keine Hosenschitter! Wir rennen nicht! Drauf auf die Soldados! Wir brauchen ihre Karabiner!«
Unglücklicherweise für das volle Gelingen des Planes stieß der fliehende Haufen auf die beiden letzten Companias des Marsches, auf jene, die den starken Nachtrupp bildeten. Es waren die Companias, bei denen sich Andres befand und Coronel und mehrere andere der intelligenteren Muchachos.
Weder General noch Profesor noch die unterrichteten Capitanes hatten Zeit und Gelegenheit, die Nachhut mit dem Plan bekannt zu machen. Denn kaum stießen die ersten Gruppen der fliehenden Muchachos auf die neu ankommenden Companias, da brachen diese Companias auch gleich in ein wildes Geheul aus: »Ihr gemeinen Hundsfötter, ihr werdet doch nicht vor Soldados und Policias ausrücken. Wir sind Rebellen. Tierra y Libertad! Drauf auf die Soldknechte der Tyrannen. Drauf und geschlachtet. Es gibt Revolver und Karabiner zu verdienen. Die verrotzten Schitter. Vorwärts!«
Die Muchachos brachen sich wie wild gewordene Stiere Bahn durch die fliehenden Haufen, und in wenigen Minuten waren sie an der Front, kaum fünfzig Meter von den Rurales entfernt.

 

9

Es war um einige zehn Minuten zu früh, dass der Kampf begann. Die beiden Seitentrupps konnten noch nicht vollzählig am Rande der Lichtung angelangt sein. Die Dutzende von Muchachos, die sich seitlich in den Busch geschlichen hatten, waren noch nicht gesammelt und auch noch nicht stark genug, um den Rurales, die zu Pferde waren, den Weg abzuschneiden und sie von vier Seiten umzingelt zu halten. Es wäre, hätte die Nachhut sich auch nur um eine Viertelstunde in ihrem Anmarsch verzögert, auch nicht ein Mann der Rurales entkommen.
Wer nun die wirklich Verwirrten und Gehetzten waren, das waren die Rurales.
Die Muchachos der letzten Companias, ohne sich um Schüsse zu kümmern, rannten, den Machete in der Hand, schreiend und heulend auf die Rurales los. Selbst die Muchachos, die Revolver oder Flinten besaßen, nahmen sich keine Zeit, diese Waffen zu gebrauchen. Es dauerte zu lange und war zu umständlich.
Außerdem kann mit einer Pistole jeder Rotzjunge schießen. Das bedeutet gar keine Tapferkeit.
Viel besser und saftiger geht es mit Machetes. So aufgeregt, so begeistert, so kriegswütig waren die Muchachos, dass sie nicht nur ihre Packen abwarfen, sondern sogar Flinten, sofern sie solche trugen.
Das alles war hinderlich in einem echten Kampfe, wie er hier bevorstand.
In der Beute befanden sich Uhren, Ringe, Taschenmesser und andere Habseligkeiten der Rurales. Diese Sachen gehörten denen, die den Besitzer besiegt und geschlachtet hatten, und wenn das nicht genau entschieden werden konnte, stritten sich die Muchachos nicht darum. Die meisten legten keinen Wert darauf, etwas von der Beute zu erhalten. Alles gefundene Geld wurde an Profesor für die Kriegskasse abgeliefert. Es waren etwa dreihundertzwanzig Pesos, von welchem Gelde dem Mayor mehr als zweihundertfünfzig und dem Leutnant vierzig Pesos gehört hatten. Die Mannschaften hatten in manchen Fällen weniger als einen Peso in ihren Taschen gehabt, mehrere auch nicht einmal zehn Centavos, denn es war bereits sechs Wochen her, seit sie die letzten Haussuchungen in den Wohnungen denunzierter Bürger veranstaltet hatten.
Lucio Ortiz, genannt Coronel, der mit dem Nachtrupp angelangt war, hatte Erfahrung mit Maschinengewehren, denn er war in seinem Bataillon in dieser Waffe ausgebildet worden. Ihm lachte das Herz und ihm bibberten die Rippen, als er diese beiden schönen blankgeputzten Ametralladoras sah. Er umarmte sie und küsste sie wie Bräute. »Euch werde ich aber fein kitzeln, Chamacas tan dulces. Ihr sollt mir springen«, sagte er, sie streichelnd und hätschelnd, »und losspritzen sollt ihr mir, drauf auf die räudigen Soldknechte, dass Gott im Himmel lachen soll. Die haben uns gefehlt, Muchachos«, wandte er sich an den Haufen der Burschen, der ihn umdrängte, um diese merkwürdigen Flinten zu sehen, von denen auch nicht einer je gehört hatte und auch nicht einer deren Wirkung kannte.
»Mi General«, rief er, »wen machst du denn zum Comandante dieser beiden niedlichen Spritzen? Das geputzte Messing sieht aus wie funkelndes Gold. He, mi General, du musst wohl einen Comandante dafür haben. Was sagst du zu diesem vortrefflichen Vorschlag?«
General kam heran und lachte. »Du, Coronel, du bist Comandante der Ametralladoras. Ich kann mich nicht um alles kümmern. Bist ernannt.«
»Gracias, mi General. Ich werde sofort eine Compania de Ametralladoras formen und die Muchachos anlernen. Que chingan a todas las madres, verflucht, jetzt sind wir über den Berg hinweg. Ich nehme es mit zwei Regimentern des Cacique auf. Hoffentlich schickt er uns zwei Regimenter. Oder besser noch, eine Division. je mehr, je besser. Wir können auch zwei leichte Feldgeschütze gebrauchen. Was denkst du, General, wir müssen jetzt so wirtschaften, dass uns der Henker, der auf seinem mit Adlern bepflasterten Sessel hockt, zwei Divisionen entgegenschickt. Vielleicht mit sechs Geschützen. Er braucht sie nur zu schicken, wir werden sie ihm schon abnehmen. Dann marschieren wir auf Tullum los und besuchen den Gouverneur.«

 

10

Das Gefecht, so rasch es sich auch abgewickelt hatte, so erfolgreich es auch für die Muc hachos beendigt worden war, hatte Opfer gekostet. Wäre der Plan des Generals in seinem vollen Umfang geglückt, dann vielleicht wäre es möglich gewesen, die Rurales zu überwältigen, ohne dass sie auch nur zehn Schüsse hätten abgeben können.
Wenngleich die Mehrzahl der Schüsse, die von den überraschten Mannschaften abgegeben wurde, in die Lüfte gesaust waren, ohne Unheil anzurichten, abgesehen von zerfetzten Baumwipfeln, so hatten doch genügend der Leute, alle geübte Soldaten, Gelegenheit gefunden, ihr volles Magazin in den dichten Haufen der Muchachos abzufeuern, ehe sie niedergerissen wurden. Wären die Maschinengewehre auf dem Boden gewesen und schussbereit im Augenblick des Anstürmens der Nachhut, dann wäre die Niederlage der Rurales dennoch unvermeidlich gewesen, weil die Muchachos den Busch zu beiden Seiten stark genug besetzt hatten und im Busch das beste Maschinengewehr nutzlos ist. Die Opfer auf Seiten der Rebellen aber hätten wahrscheinlich eine so hohe Zahl erreicht, dass vielleicht die Hälfte der Muchachos auf dem Kampfplatz geblieben wären.
Als die Burschen ihre Toten gesucht hatten, fanden sie, dass neunzehn gefallen waren. Mehr als dreißig waren verwundet, zum größten Teil durch Schüsse, zu einem kleineren Teil durch Säbelhiebe und durch Huftritte verängstigter Pferde. Von den Verwundeten starben noch vor dem Abend acht, sodass die Zahl der Toten auf siebenundzwanzig kam.
Sie wurden beerdigt, ohne dass viel Wesen darum gemacht worden wäre. Als sie alle eingegraben waren und einige Muchachos altgewohnte Gebetsformeln heruntergerattert hatten, da waren die Toten auch schon vergessen. Und sie waren völlig vergessen.
Profesor sagte zu den Burschen, die um die Erdhäufchen standen, in denen schlichte Kreuzchen steckten:
»Wir sind Rebellen, nicht wahr, Muchachos?«
»Tierra y Libertad!« riefen sie als Antwort.
»Richtig, Camaradas, Tierra libre para todos. Tierra sin capataces y sin amos. Und weil wir Rebellen sind, darum haben wir jetzt keine Zeit, um unsere gefallenen Hermanos zu jammern. Derer werden wir gedenken, wenn wir die Revolution gewonnen haben. Und dann wollen wir ihrer in Ehren, in Andacht und in Dankbarkeit gedenken, weil sie für unsere Revolution gefallen sind. jetzt aber haben wir dafür keine Zeit. jetzt müssen wir an die Lebenden denken und an den Sieg. Wer fällt, kann keinen Sieg feiern.
Die Sieger feiern. Aber ohne Gefallene gibt es keinen Sieg. Nur die Lebenden können die Erfolge eines Sieges unserer Revolution genießen. Die Muchachos, unsere treuen Camaradas, die hier jetzt begraben liegen, mussten fallen, damit wir siegen konnten. Sie waren nicht die ersten, die um Land und Freiheit und gegen den Cacique fielen, und sie sind nicht die letzten, die gefallen sind. Eines kann ich euch allen versprechen, Muchachos, und das, was ich euch hier verspreche, wird eines Tages wahr sein. Von uns allen, die wir heute hier an den Gräbern unserer toten Brüder stehen, werden nicht zwei Dutzend am Leben sein, wenn die Revolution endlich gewonnen sein wird. Aber das schadet nichts, Brüder. Wir sind nicht die ersten Menschen auf Erden, und wir sind nicht die letzten. Nach uns werden Hunderte, Tausende von Generationen kommen, und diese Generationen, die nach uns kommen werden, die werden in Freiheit von Tyrannen, Unterdrückern und Diktatoren leben, die werden uns, die wir für ihre Freiheit starben, Dank wissen und Ehre. Auch das ist etwas wert, dass wir bei kommenden Geschlechtern geehrt werden. Die aber, die da und hier herum jetzt in Stücken und in Fetzen liegen, die als Soldknechte des Diktators gefallen sind, um ihn in der Macht zu erhalten, damit er das Volk mit Lügen füttern kann, die werden einst vergessener sein als dieser abgebrochene Ast, der da drüben liegt. Ihrer werden sich die kommenden Geschlechter erinnern nicht als Kämpfer, nicht als treue Soldaten, sondern als Henkersknechte, als Folterknechte, als uniformierte Sklaven, deren ganze Weisheit darin bestand, gehorsame Lakaien des El Caudillo und der Aristokraten und der Cientificos zu sein.
Den Tyrannen und den Diktatoren und den Schindern von Menschen gehört immer nur ein kurzer Abschnitt in der Geschichte der Menschen, wenn auch dieser Abschnitt immer der an Schrecken und Entsetzen reichste ist. Uns aber, gleich allen Kämpfern um Freiheit, um Volksrechte, um Demokratie, uns gehört die gesamte Geschichte der Menschen. Wir sind die Förderer, während diese Knechte die Aufhalter der Zeit und die Feinde ruhigen Fortschritts sind. Und damit, Camaradas, nehmen wir Abschied von unsern gefallenen Brüdern. Lasst uns alle unsre Hüte abnehmen in Verehrung unserer für unsere Revolution gefallenen Brüder. Lasst uns alle eine Handvoll Erde aufnehmen, und dann lasst uns diese Erde auf die Gräber legen, in denen unsere Brüder jetzt schlafen. Und dabei lasst uns rufen: Tierra y Libertad! Viva la revolucion proletaria! Viva la revolucion de los peones! Abajo los dictadoresy los tiranos! Tierra y Libertad!« Als für eine Sekunde Stille war, hob Profesor seine Hand auf und sagte, diesmal nur mit halblauter Stimme: »Adios, Muchachos! Que duermen bien! Adios, Muchachos! Dulce es morir para la revolucion de los pobres! Schlaft in Frieden!«
Er setzte seinen Hut auf und ging auf General zu. Mit völlig veränderter Stimme sagte er: »Nun los, auf die Finca!«
General sprang auf ein Pferd, um besser gesehen zu werden, und rief über den Haufen hinweg: »A Igfinca, Muchachos! Adelante!«
Die zerhackten Stücke der Rurales waren, als der letzte Mann des Haufens seinen Packen aufwarf und sich in Marsch setzte, um den voranziehenden Muchachos zu folgen, bereits dick mit roten Ameisen besetzt.
Hoch oben über dem Busch, wo sich die Wolken nun zu verziehen begannen, sah man eine Schar von Geiern Kreise ziehen, die immer enger und enger wurden, bis sie endlich nur noch einen kleinen Zirkel über jenem Teil der Lichtung bildeten, wo das Gefecht sich ereignet hatte.

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