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B. Traven - Ein General kommt aus dem Dschungel (1940)
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VIERZEHNTES KAPITEL

1

Es war ein halbtropischer Tannenwald, in dem sich das neue Lager der Rebellen befand. Dieses neue Lager war bereits gesucht worden einige Tage vor der Schlacht, in der die Federales eine so unerwartete Niederlage erlitten hatten. Frauen, Kinder, Verwundete und Kranke waren zu diesem Lager gebracht worden, als General Nachricht erhalten hatte von dem Anmarsch des Bataillons, das der Divisionario gegen ihn führte, um mit den Rebellen ein für allemal und gründlich aufzuräumen. Es war die Absicht Generals, in diesem Gebiet eine Art von Wohnlager zu schaffen anstelle der üblichen Feldlager. Sein Plan war, von hieraus Streifzüge zu unternehmen, Fincas zu überfallen, deren Ländereien unter den Peones aufzuteilen, Federal-Truppen und Polizei anzugreifen, wo immer sie zu treffen waren, und träfe er sie nicht, sie durch geschickte Manöver und Überfälle auf kleine Orte und Fincas dort hinzulocken, wo er sie mit Erfolg überwältigen und so ihre Zahl ständig zu verringern vermochte. Es würde ihm in einem mehr dauernden Lager am besten gelingen, alle Burschen zu brauchbaren Soldaten zu drillen, um sich ein Heer zu schaffen, mit dem er auf die Hauptstadt des Staates ziehen konnte, um das Regierungsgebäude zu besetzen und den Staat in die Gewalt der Revolutionäre zu bringen.
Das Gelände dieses Lagers bestand teils aus Wald, teils aus Prärie und teils aus mehreren Hektaren an Buschland, das mit wenig Mühe in Äcker verwandelt werden konnte, um darauf Mais, Bohnen, Chili zu bauen. In fünf oder sechs Wochen konnte schon geerntet werden.
Das Land gehörte zu einer der großen Fincas, die zwei
Wochen vorher besetzt und unter die Peones aufgeteilt worden war.
Das Gelände des Lagers bot alles, was ein Heer von Indianern benötigte, Jahre, ja ganze Generationen dort zu leben. Ein breiter Bach klaren Wassers, das selbst in der Trockenzeit nicht versiegte, zog durch das ganze Gebiet dieses neuen Wohnplatzes der Rebellen.
Gegen Angriffe war es vortrefflich geschützt. Es war an drei Seiten umgeben von Gebirgszügen felsiger Art, über die nur vier schmale steinige Pfade führten, die leicht zu bewachen waren und wo zwanzig Mann den Vormarsch einer halben Brigade verhindern konnten. Die vierte Seite war begrenzt von morastigem Flachland, das jetzt in dieser Jahreszeit überhaupt nicht überschritten werden konnte, und in der Trockenzeit nur an wenigen Stellen, die sich über das flache Gebiet erhoben und zum Teil austrockneten, wenn für lange Zeit kein Regen fiel. Dieser Stellen aber waren so wenige, und sie waren so übersichtlich, dass auch sie, gleich den Gebirgspfaden, mit einigen Mann so gut bewacht werden konnten, dass ein Überfall nur schwer durchführbar war. Sollte es geschehen, dass ein solcher Überfall dennoch glückte, so vermochte das ganze Heer in den Falten, Rinnen, Klüften, Rissen, die alle dicht mit dornigem tropischem Busch bewachsen waren, sich so gut zu verbergen, dass es wohl schwerlich zu erreichen gewesen wäre, das Heer dort herauszuholen, um so weniger, weil die Rebellen das Gelände kannten und von ihren Verstecken hinter Gebüschen und Felsen aus die angreifenden Truppen so gut unter Feuer halten konnten, als säßen sie in einer starken Feste.
Es war darum durchaus natürlich, dass die Muchachos, eines langen Aufenthalts hier gewiss, anfingen, Hütten und Chozas zu bauen, von der leichten Art, wie sie in den Monterias üblich waren.
Nur sechs, höchstens zehn Tage würden vergehen, und dieses Lager   würde   ähnlich   aussehen   wie   irgendein   anderes indianisches Dorf. Obgleich gegenwärtig nicht daran gedacht wurde, so war es dennoch möglich, dass die Rebellen sich hier dauernd sesshaft machten. Glückte es, die Diktatur zu stürzen, so konnte es leicht geschehen, dass eine demokratische Regierung, die auf die Diktatur folgen würde, den Rebellen legale Besitzrechte auf diese von ihnen gegründete Siedelung zu verleihen bereit war.
Eine demokratische Regierung würde solche durch die Revolution erworbenen Rechte um so bereitwilliger anerkennen, weil dadurch die einstigen Rebellen am besten davor bewahrt werden konnten, sich, von Not getrieben, etwa gar zu gewöhnlichen Banditen zu entwickeln. An einen solchen oder ähnlichen Abschluss ihrer Rebellion hatten in der Tat Profesor, General, Andres, Coronel, Celso und viele andere der intelligenteren Muchachos, und insbesondere die Frauen im Heer, seit Wochen gedacht und gelegentlich darüber gesprochen.

 

2

Dieses neue Lager befand sich etwa fünfzehn Kilometer weit entfernt von jenem Lager, auf dem heute die Schlacht geschlagen worden war, die mit dem Siege der Rebellen geendet hatte.
Die Muchachos, die mit dem gefangenen Divisionario zum neuen Lager marschierten, beeilten sich auf ihrem Wege. Der Divisionario war zu fett und zu schwerfällig, um ihnen weglaufen zu können. Alle zehn Minuten stöhnte und ächzte er und musste sich wieder hinsetzen, um auszuruhen. Vielleicht übertrieb er seine Schwerfälligkeit und Müdigkeit in der Hoffnung, dass vielleicht der Oberst ein Hilfsbataillon nachgeschickt haben würde und dass dieses Bataillon jetzt in der Nähe war, um die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln und den Divisionario dabei zu befreien. jedoch der Divisionario wusste, dass eine solche Hoffnung ganz und gar unbegründet war, denn er selbst hatte dem Obersten befohlen, keine Truppenbewegung zu unternehmen, ohne dafür bestimmten Befehl von ihm erhalten zu haben.
Eine andere Hoffnung war die, dass vielleicht einige versprengte Soldaten seines Bataillons hier herumstreifen möchten, die, ihren Divisionario erblickend, ihn den Händen der drei Muchachos, die ihn ins Lager bringen sollten, entrissen. Auch diese Hoffnung wurde zunichte, je weiter er sich von dem Schlachtfelde entfernte und je näher er dem neuen Lager kam. Es wäre seinen Soldaten, die selbst gehetzt und verstört ihre Sicherheit in heilloser Flucht suchen mussten, nie gelungen, ihn zu befreien.
Denn auf dem ganzen Wege, einem elenden, versumpften, frisch aus dem Busch heraus gehackten Pfad, traf er Gruppen von Rebellen an, die zum großen Hauptlager wanderten oder von dort wieder zum Schlachtfeld zurückkamen, um dort auf
Posten zu ziehen oder eine Nachlese des Feldes für Waffen und Munition vorzunehmen.
Die grenzenlose Wut, die der Divisionario zuerst empfunden hatte, von verlausten, verdreckten und stinkenden Indianern als Gefangener abgeführt zu werden, hatte sich auf diesem beschwerlichen Wege nach und nach verflüchtigt. Er wusste wohl auch, dass es ihm nichts geholfen hätte, wütend zu bleiben und seinen Ärger an den Burschen auszulassen. Hätte er sich geweigert zu marschieren, sie würden ihn sicher verprügelt haben. Die Tatsache allein, dass sie auch nicht ein Fünkchen Respekt ihm gegenüber zeigten, einer Autorität, vor der dieselben Burschen vor einigen Monaten noch auf die Knie fielen, wenn sie ihr gegenübertraten, bewies dem Divisionario besser als die verlorene Schlacht, dass die Geschicke des Landes vor einer Änderung standen wie nie vorher, seit das Land die Herrschaft der spanischen Krone abgeschüttelt hatte.
Zuweilen versuchte er, einige Worte mit den Muchachos zu sprechen. Es geschah mit der dünnen, aber sehr dünnen Hoffnung, dass er vielleicht die Burschen bestechen könnte und ihnen eine hohe Belohnung versprechen, damit sie ihn auf einem Umwege zu seinem Hauptquartier brächten. Aber die ersten Versuche missglückten bereits. Entweder die Muchachos verstanden wirklich kein Spanisch, oder aber sie verstanden es genügend und gaben sich nur den Anschein, dass sie nicht begriffen, was er ihnen vorschlug.
Wenn er sich auf dem Wege hinsetzte, um auszuruhen und eine neue Zigarette anzuzünden, setzten sich die Muchachos in einiger Entfernung gleichfalls hin, während sie, ihn scheinbar kaum beachtend, miteinander redeten oder lachten. Zeigte er Miene, weiterzugehen, so standen auch sie auf und marschierten hinter ihm her.
Wer die kleine Gruppe getroffen hätte, würde geglaubt haben, der Divisionario sei auf einer Wanderung, und die Muchachos seien Burschen, die ihm zur Begleitung mitgegeben worden waren, damit er den Weg nicht verfehle.
Wie viel Zeit sich auch der Divisionario nehmen mochte, den Marsch zu verzögern, stets in der leichten Hoffnung, dass sich etwas ereignen möchte, was ihn aus seiner Lage befreien könnte, so langte er doch endlich im neuen Lager an.
Er war von seinen Begleitern, auch ohne dass sie den Auftrag dazu erhalten hatten, so geschickt auf Umwegen und durch Buschland zum Lager gebracht worden, dass er, falls er etwa entkommen wäre, das Lager wohl kaum je wieder gefunden haben würde. Die Indianer, stets misstrauisch gegenüber jedem, der nicht zu ihrer Gemeinde gehörte, handelten in dieser Weise aus reinem Instinkt. Sie taten das gleiche, wenn sie jemand, etwa einen Händler, zu ihren Siedlungen führten und es sich um Siedlungen im Busch, im Dschungel, in der Sierra handelte, die sie aus guten Gründen gegenüber der Außenwelt, insbesondere gegenüber Beamten und anderen Autoritäten, verborgen zu halten wünschten.

 

3

Das ganze Lager war bei der Ankunft des Divisionarios mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Kochen des Abendessens. Das Abendessen hatte heute alle die übrigen Mahlzeiten zu ersetzen, die von den Männern in den letzten sechsunddreißig Stunden überschlagen worden waren, weil die Vorbereitung zu der heutigen Schlacht weder Männern noch Frauen Zeit gelassen hatte, an Essen, viel weniger an Kochen zu denken. Hier und da, und hin und wieder, hatte einer wohl ein paar Bissen kalter und zäher Tortillas hinuntergewürgt oder eine Handvoll halb schimmliger Frijoles in den Mund geschoben.
So gab sich das Lager nun dem Kochen, Baden, Waschen und ähnlichen Beschäftigungen hin, die an friedliches häusliches Leben gemahnten, und sie taten es mit einer Hingabe und einer Inbrunst, die beinahe einer Wollust gleichkam.
Nichts erinnerte daran, dass diese selben Männer am Morgen dieses selben Tages eine heiße Schlacht geschlagen hatten, eine Schlacht, in der sie dreißig Gefallene und etwa fünfzig Verwundete gehabt hatten, wenngleich diese Schlacht für sie mit einem entscheidenden Siege geendet hatte.
Da niemand im Lager sich mit irgend etwas beschäftigte, was als Vorbereitung für ein neues Gefecht hätte angesehen werden können, wusste der Divisionario, dass keine Truppe auf dem Wege war, ihn zu befreien. Er hatte inzwischen gelernt, wo er eine der Ursachen seiner Niederlage zu suchen hatte. Der Späherdienst der Rebellen war zehnmal besser und hundertmal genauer und zuverlässiger als der Nachrichtendienst seiner Division. Es bestand für ihn jetzt kein Zweifel mehr, dass jeder Peon einer Finca, jeder wandernde, scheinbar harmlose und unwissende Indianer, wahrscheinlich selbst Soldaten der Federal-Armee, die indianischer Herkunft waren, Späherdienste für die Rebellen taten.
Niemand im Lager war neugierig, sich den Divisionario, als er eingebracht wurde, näher anzusehen.
Niemand kümmerte sich um die Anwesenheit dieses Mannes, dessen Flüche eine Division der Federal-Truppen erzittern ließen. Hier in dem Lager der Rebellen hätte ihn ein jeder ausgelacht, würde dieser angesehene hohe Offizier von einem der verlausten Indianer verlangt haben, dass man ihm den schuldigen Respekt erweise und ihn untertänigst grüße.
Er wurde zu einem großen Lagerfeuer geführt, das in der Mitte brannte und als das Feuer des Estado-Mayor, des Stabes, galt.
Als er näher kam, sah er zu seinem großen Erstaunen dort seinen Ersten Leutnant Bailleres hocken, der mit den verlausten Muchachos Tortillas und Frijoles aß und Kaffee dazu trank. Leutnant Bailleres befand sich während der Schlacht am Morgen in den Händen eines Muchachos, der dabei war, dem Leutnant die Kehle durchzuschneiden im selben Augenblick, als Andres vorbeikam und den Leutnant erkannte.
»Halt an, Junge!« rief er dem Kameraden zu. »Mit dem wartest du besser. Binde ihn gut, und später bringst du ihn zum Lager. Vielleicht möchte ihn General abermals zu seinem Meldereiter machen. Seine Waffen gehören dir natürlich.«
So war der Leutnant nach dem Aufräumen des Feldes als Gefangener hier hergebracht worden. Dieser Leutnant Bailleres und der Divisionario waren alles, was an Gefangenen das Gefecht überlebt hatte.

 

4

Der Divisionario wusste in seiner ersten Verwunderung nicht recht, was er aus seinem Ersten Leutnant machen sollte, als er ihn so ruhig, scheinbar ruhig, hier am Feuer hocken und mit den Muchachos essen sah, als ob er dazugehöre.
Sein erster Gedanke war, dass der Leutnant wohl gar die Schuld an dem Waffendiebstahl der vorvergangenen Nacht und erst recht an der beschämenden Niederlage des heutigen Morgens haben mochte.
Es war möglich, dass er im Bündnis mit den Rebellen stand und absichtlich unrichtige Angaben hinsichtlich deren Stärke, Bewaffnung und Stellung gegeben hatte.
Dieser Verdacht jedoch währte nur einige Sekunden. Gegenüber den blutigen Bandagen, die der Leutnant über den Ohren trug, und angesichts des blutverkrusteten Stumpfes seiner Nase war ein solcher Verdacht nicht aufrechtzuerhalten.
Wieder auf seinen Leutnant blickend, wurde der Divisionario aufs neue ungewiss. Es mochte sein, dass der Leutnant nicht von den Rebellen in dieser Weise schimpfiert worden, sondern von einem erbosten Ranchero oder Finquero, dem er die Frau oder die Tochter verführt hatte. Es war keineswegs so selten, dass sich betrogene Ehemänner oder Väter, deren Töchter gewissenlos entehrt worden waren, auf solche Art rächten.
Während die drei Köpfe, die der Leutnant dem Divisionario als Geschenk gebracht hatte, wirklich von den Rebellen abgeschnitten sein mochten, war es möglich, dass der Leutnant seine eigene Schimpfierung den Rebellen gleichfalls zur Last legte, um nicht eingestehen zu müssen, dass er sie einem Abenteuer mit einer Frau verdanke und überhaupt gar nicht im Lager der Rebellen gewesen war, sondern zur selben Zeit in den Händen eines Rancheros, der sich verpflichtet gefühlt hatte, seine besudelte Ehre wieder reinzuwaschen.

 

5

»Willkommen, Divisionario,«, grüßte General, als der Gefangene ohne Zeremonie zum Feuer gebracht wurde. »Bienvenido, Divisionario«, wiederholte General. »Setzen Sie sich auf einen der Konferenzsessel hier, die Sie herumliegen sehen, und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.«
General deutete auf einen der rohen Baumstämme, die nahe dem Feuer lagen und von denen einige noch unbesetzt waren.
»Gracias!« sagte der Divisionario mechanisch und aus Gewohnheit. Hart setzte er aber gleich hinzu:
»Das wirst du bitter büßen müssen, Muchacho, das kann ich dir jetzt schon sagen. Geviertelt wirst du und dann aufgenagelt und mit Petroleum begossen.«
»Erfreulich, Divisionario, dass ich das weiß, dass ich das heute schon weiß. Freilich, erst müssen die, die sich ein solches Vergnügen mit mir gönnen möchten, mich wohl erst haben. Und das, Divisionario, wird wohl noch eine gute Weile dauern, so denke ich. Wir könnten ja in der Zwischenzeit uns selbst erst einmal dieses Vergnügen gönnen, und zwar mit Ihnen, Divisionario. Ihr Vorschlag ist gar nicht so übel, wie er auf den ersten Anhieb erscheint. Was sagen Sie dazu, Leutnant Bailleres?«
»Das ist nicht meine Angelegenheit«, sagte der mit kauendem Munde.
Der Divisionario wandte sich zu seinem Leutnant: »Buenas noches, Teniente Bailleres, guten Abend, Leutnant.«
Der Leutnant machte eine kurze Geste, um anzudeuten, dass dies ein Aufstehen bedeute, beugte leicht den Kopf vor und erwiderte: »Muy buenas noches, mi general, gracias!« Er beugte seinen Kopf abermals kurz und rasch und widmete sich wieder seinem unterbrochenen Abendessen.
Der Divisionario saß offenbar nicht gut in dem tiefen weichen Sessel, der ihm von den Muchachos angeboten worden war. Er rückte hin und her auf seinen fetten Schinken. Wenn immer er eine Bewegung tat, so verursachte das ein Geräusch, als ob sein ganzer Körper in trockenes, knarrendes Leder gekleidet sei. Ob das Geräusch nun entstand durch die hohen neuen Reitstiefel, die er trug, oder den sehr breiten Leibgürtel und den etwas schmäleren Brustriemen, oder ob er unter seinem Waffenrock ein fest geschnürtes Lederwams trug, um die mächtige Fülle seines Bauches zu verleugnen, war nicht auf einen Blick hin genau zu sagen. jedenfalls der Eindruck, den die Muchachos erhielten, war der, dass der ganze Mann, Leib, Gliedmaßen, Kopf, Hirn, Seele, Herz und Eingeweide, aus frischem Leder bestand, das eben vom Sattler gekommen war und noch keinen Regen erlebt hatte.
Er war auf dem beschwerlichen langen Marsch genügend hungrig geworden, so dass sein Stolz nicht ausreichte, das Essen abzulehnen, das ihm die Muchachos anboten und das gleich dem war, das sie selbst verzehrten. Er nahm die heißen Tortillas, die Frijoles mit grünem Chili gewürzt, das auf heißen Kohlen geröstete Trockenfleisch und den brühenden Kaffee an, obgleich das alles von den verlausten Dreckschweinen kam, denen einmal so nahe sein zu müssen er nicht einmal im Traum für möglich gehalten haben würde. Er nahm das Essen mit Wonne entgegen, obgleich er wohl ahnte, dass dies recht gut seine letzte Mahlzeit in dieser Welt sein könnte. jedoch er bemühte sich sehr, sich so zu benehmen, dass, von außen betrachtet, man hätte glauben können, er täte den Muchachos eine große Ehre an, mit ihnen am gleichen Feuer zu hocken, mit ihnen die halbzerbrochenen und zersprungenen Tonschüsselchen und Krügchen auszutauschen und gelegentlich halb kleinlaut, halb herablassend zu fragen:
»Kann ich etwas Salz haben, Muchachos? Habt ihr noch ein Krügchen heißen Kaffee übrig? Vielleicht könnt ihr mir noch zwei oder drei Tortillas ablassen. Muchas gracias, gracias!«
Die Muchachos, die hier bei diesem großen Feuer hockten, benahmen sich so, als wären sie unter sich und völlig allein. Sie beachteten weder den Divisionario noch den Leutnant. Sie redeten, lachten, grinsten, erzählten sich Geschichten und Witze, die von Saft und Sperma strotzten; und sie gingen soweit, dass sie, ohne irgendwelche Rücksicht auf ihre Tischgäste zu nehmen, sich darüber unterhielten, wie sie beim nächsten Treffen Federales und Rurales noch elender verdreschen würden als heute, wie sie die Finqueros alle aufhängen und deren Frauen und Töchter von Hand zu Hand gehen lassen würden, und endlich, wie sehnlichst sie wünschten, nach Balun Canan und anderen großen Garnisonen zu kommen, sie zu überfallen und zu besetzen, zu keinem andern Zweck, als um dort die Frauen, Töchter und Konkubinen der Offiziere gründlich zu satteln.
Es war nun möglich, dass weder der Divisionario noch der Leutnant von dem, was gesagt wurde, viel verstand, denn die Muchachos unterhielten sich nicht in einem eleganten Spanisch, sondern so wie sie es wussten und gewöhnt waren, und das war ein korrumpiertes Spanisch ohne Regeln, zur Hälfte gemischt mit Worten und Phrasen drei verschiedener indianischer Idiomas. Jedenfalls ließen die beiden Offiziere nicht merken, dass sie überhaupt auch nur hinhörten, was hier geredet wurde. Plötzlich sagte der Divisionario, sich halb zum Leutnant hinwendend: »Freue mich, Teniente Bailleres, Sie zu den Überlebenden zählen zu dürfen.«
Der leicht ironische Ton, in dem der Divisionario das gesagt hatte, verfehlte seine beabsichtigte Wirkung auf den Leutnant nicht. Er verbeugte sich ein wenig und sagte: »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, mi general.«
»Sie glauben doch nicht etwa gar, Teniente, dass ich das, was ich in diesem Augenblick noch von meinem Leben mein nennen darf, von diesen verdreckten, stinkigen braunen Säuen erkauft habe?« Der Leutnant lächelte in einer Weise,  dass  der
Divisionario verstehen sollte, dass dieses Lächeln nur oberflächlich aufgeklebt war und sich dahinter Hohn verbarg. Der Divisionario begriff es recht wohl. Er wartete keine Antwort ab, sondern fügte hinzu: »Ich dürfte das wohl viel eher von Ihnen annehmen, Teniente, wenn ich Sie hier so gut aufgehoben mit diesen Schweinen am Feuer sitzen sehe und finde, dass Sie sogar deren Zigarren rauchen.«
Der Leutnant nickte, lächelte wieder, zog tief an der dicken Zigarre und blies den Rauch aus. »Diese Zigarre ist die letzte, die ich in meinem Leben rauche, mi general. Diese Zigarre, obgleich ungewöhnlich lang und dick, von einem der Muchachos hier selbst gedreht, hat einen anderen Zweck als die elegante Zigarette, die Sie mir anboten. Der letzte Zug aus dem letzten Stümmelchen dieser Zigarre bedeutet für mich das Fanfarensignal für den Abmarsch von dieser Welt. Sie werden sicher noch mehr Zigaretten in Ihrem Leben rauchen als ich Zigarren.«
»Wie meinen Sie das, Teniente Bailleres, Fanfarensignal?«

 

6

In diesem Augenblick kam General, der für eine Weile sich entfernt hatte, zurück zum Feuer.
»Das Fanfarensignal wird der Feldherr, der uns verdrosch, wohl jetzt gleich hier erklären, so dass ich mir eine Erklärung Ihnen gegenüber sparen kann, mi general.«
General, obgleich er diese Worte gehört haben musste, sagte nichts. Aber Coronel, der gleichfalls zum Feuer zurückkam, blickte auf die Zigarre des Leutnants und sagte: »Sie sind ein guter Raucher, Teniente. Und bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, dass unser Jefe Ihnen dringend geraten hat, sich nie wieder in unserer Nähe sehen zu lassen, als Sie das letzte Mal hier zu Besuch waren.«
Der Divisionario bewegte seinen Kopf so heftig, erst nach der Richtung zu Coronel, dann nach der, wo der Leutnant hockte, dass es schien, als sei er plötzlich aus dem Schlaf gescheucht worden. Es war auf seinem Gesicht zu lesen, dass er ein heftiges Erstaunen erlebte. Sein fetter Mund klappte auf und blieb für eine Weile offen stehen, während er erneut bald Coronel, bald seinen Leutnant ansah.
Der Leutnant zog wieder an seiner Zigarre, betrachtete sie sich andächtig, als wolle er berechnen, wie lange sie dauern könnte, strich mit dem kleinen Finger die Asche ab, griente und sagte dann: »Ja, ich erinnere mich, Muchacho, es ist mir gesagt worden, dass ich meinen Besuch hier nicht wiederholen soll. Das ist richtig.«
»Und damit kein Irrtum entstehen sollte«, setzte Coronel fort, »hinsichtlich der richtigen Person, der wir sagten, dass ihr Besuch hier nicht erwünscht sei, hielt unser Jefe es für notwendig, die Person mit einem Erkennungsbrief zu versehen, was, leider, einen Verlust zweier schöner Ohren und einer Nasenspitze zur Folge hatte.«
»Das geschah offenbar in der Meinung«, erwiderte der Leutnant ruhig, »dass ich mich vielleicht bei einem zweiten Besuch nicht als Peon, sondern als Schweinetreiber in euer Lager schleichen möchte, und um meiner selbst ganz sicher zu sein, dass ich es bin, musste ich meine Ohren und meine Nase bei euch zurücklassen.“
»Richtig.«
Coronel trank einen Schluck heißen Kaffee, den er aus dem Blechkännchen in ein irdenes Töpfchen gegossen hatte. »Sie waren damals nicht eingeladen, Leutnant; und Sie sind heute ebenso wenig oder noch viel weniger eingeladen. Im Gegenteil, Sie haben uns hier einige Hundert Ihrer Leute hergeschickt, damit wir ihnen die Karabiner, Patronen und das geliebte Leben abnehmen sollten. So war es freilich nicht von Ihnen gemeint. Und gesetzt den Fall, wir hätten die Dresche bekommen und Sie hätten das Lager und das Feld gewonnen, was hätten Sie dann mit uns getan?«
Der Leutnant blickte seinen Divisionario an und sagte: »Wir hätten euch alle bis zum Hals eingegraben und dann Laufschritt über eure Köpfe machen lassen. War das nicht so, mi general?«
»Ich habe einen solchen Befehl nicht gegeben, Teniente«, erwiderte der Divisionario mit einem würgenden Schlucker in der Stimme.
»Das ist wahr, mi general, Sie haben einen solchen Befehl diesmal nicht gegeben. Aber wir haben das stets so getan, wenn es sich um Rebellen, Meuterer und widerspenstige Peones handelte. Lediglich Straßenräuber wurden anders behandelt. Die wurden einfach füsiliert. Jedoch alle diese Dreckschweine, die von Freiheit und von Rechten faselten, denen wurden die Köpfe splitterweise zerstampft, damit nichts von ihren elenden Hirnen vererbt werden sollte.«
Der Divisionario machte ein bekümmertes Gesicht. Er sagte kein Wort. Zuckte nur mit den Schultern.
»Diesmal freilich«, setzte der Leutnant fort mit lauter Stimme, damit es jeder beim Feuer auch verstehen sollte, »diesmal freilich, mi general, gaben Sie einen anderen Befehl aus. Sie bestimmten, es sollte milde mit den Gefangenen verfahren werden. Keiner sollte getötet werden. Sie sollten nur gefangen genommen und nach Balun Canan gebracht werden, um vor einem ordentlichen Kriegsgericht verhört zu werden, wo s ich ein jeder in seiner Art verteidigen könnte und seine Richter davon überzeugen, dass er nur aus Not und Quälerei, nicht aber aus Widersetzlichkeit gegen die Regierung sich den Rebellen angeschlossen habe.«
Der Divisionario nickte, als ob er die Worte bestätigen wolle. Er sah jedoch dabei den Leutnant nicht an. Es schien, dass er unter der Einwirkung dieser schönen Lüge um einige Jahre jünger würde, als er während der letzten zwei Stunden geschienen hatte. Celso rief: »Da hört ihr es, Muchachos, wir sollten nur gefangen genommen werden, ein ganz klein wenig gefangen genommen werden und nichts weiter. Wie schön ist's doch auf dieser Welt, wie lieb und zart sind die Soldaten.«
Das Gelächter wurde lauter. Profesor rief über die Gruppe hinweg: »Schade, dass wir das nicht alles früher gewusst haben, Muchachos, wir würden dann mit Blümchen in den Händen und grüne Zweige an unsere Machetes gebunden den Federales, Rurales und Finqueros entgegenmarschiert sein, und statt unserer Caoba-Lieder und Rebellenchoräle würden wir gesungen haben: >Wir loben den allmächtigsten Herrn, der alles so weise geleitet!< »He, Divisionario«, rief Celso, »warum hast du uns denn nicht mit deinem Gesandten, diesem Teniente Bailleres, die schöne Botschaft geschickt? Nicht etwa, dass du denkst, wir wären darauf reingefallen. Wir nicht. Aber es hätte einen schönen Eindruck gemacht auf alle, die es gern haben, im Haar gekratzt zu werden, damit sie sich der Läuse wegen nicht selber schaben brauchen. Schöne Reden von Frieden und Menschlichkeit können wir uns selber halten, dazu brauchen wir keine Generale.«
»Es war schön geredet, Teniente Bailleres«, sagte General, sich nun gleichfalls einmischend. »Aber diese schöne Rede hilft dir nichts mehr. Sie kommt zu spät. Wie weit ist denn deine Zigarre? Zehn Minuten langt sie noch zu. Du bist gewarnt worden, dich hier nicht mehr bei uns sehen zu lassen. Ist das richtig oder nicht richtig?«
»Duze mich nicht, du verlaustes Dreckschwein, von einer Hure gezeugt.«
General grinste auf die Beleidigung.»Du solltest dich nicht so dick betragen hinsichtlich des Duzens. Wir sind immer geduzt worden. Jetzt sind wir dran, die andern zu duzen. Was dich anbelangt, Teniente Bailleres, in einer Stunde werden dich sogar die Maden duzen, und das traurige dabei ist, dass du es ihnen nicht einmal wirst verbieten können.«
Er sah sich um, winkte einem Muchacho und sagte zu ihm: »Bringe mir drei Salvajes herbei, Pablo.«
Der Bursche rannte fort, die Wilden herbeizuholen.

 

7

Als die drei verlangten Burschen nahe gekommen waren, wandte sich General wieder an Leutnant Bailleres. »Ein zweites Mal, Teniente, kann ich dich nicht gehen lassen. Das kann uns wieder dreißig oder gar mehr unserer Muchachos kosten. Du hattest deine Gelegenheit von mir bekommen und hast sehr üblen Gebrauch davon gemacht.«
Der Leutnant wurde rot vor Wut. Der verkrustete Nasenstumpf begann aufzubrechen, als er nun seinen Mund breit aufriss, um allen Hohn, dessen er fähig war, in seine Worte legen zu können. In jeder anderen Lage und Umgebung würde er clownhaft gewirkt haben, mit den Bandagen fest um den Kopf und unter das Kinn gewickelt. Die Bandagen waren schmutzig geworden, und nasser Dreck hatte sich vermengt mit dem Blut, das durch die Binden hindurchgesickert und nun vertrocknet war. Auf den Schädel hatte er seine Militärmütze aufgepresst, die infolge der Bandagen viel zu klein für seinen Kopf erschien. Das Gesicht war unrasiert und gleichfalls übersät mit Dreckspritzern, die zum Teil abgefallen waren und grauweiße Flecken zurückgelassen hatten. jedoch niemand nahm irgendeine Notiz davon, dass er mit seinem Nasenstumpf und den Bandagen wie der Bajazzo eines verarmten Zirkus aussah. Er fletschte seinen Mund breit und hässlich. Dann stieß er ein kurzes Lachen aus. Und mit diesem Lachen zugleich rief er: »Du, du Dreckschwein von einem Deserteur und Verräter, Sohn eines Hurenknechts und einer räudigen Hündin, du, du hast mir eine Gelegenheit gegeben, von der ich einen üblen Gebrauch gemacht habe? Eben gerade darum, weil ich von dir, du stinkiges Rebellenschwein, keine Geschenke und keine Gelegenheit, nicht einmal mein Leben geschenkt von dir annehme, darum habe ich den Gebrauch von der Freilassung gemacht, der mir gefiel und nicht dir, du dreckiger und verlauster Hund von einem Indianer.«
»Deserteur und Verräter? Sehr gut gesagt, Teniente Bailleres.
Es ist, so wie man es überall hören kann, die höchste Ehre, in der Armee zu dienen. Es war auch für mich eine Ehre, als ich eintrat. Aber wer von euch, den Offizieren, erlaubte es mir und meinen Kameraden denn, Ehre zu haben? Geprügelt wurde ich als Rekrut, und später auch noch, als ich schon Cabo war. Nicht nur geprügelt, auch ins Gesicht gespuckt. Und nicht nur das. Wenn einer von euch Hurenbengeln und Weiberschändern, euch Offiziere meine ich, sich schlechter Laune fühlte oder besoffen war zum Stinken oder wenn er seinen Überschuss im Säckchen nicht bei Weibern loswerden konnte, dann ließ er uns auf Knien oder lang gestreckt über den ganzen Barackenhof rutschen oder mit einer Zahnbürste Kloaken reinigen, oder die alten Mannschaften wurden gehetzt, die Rekruten nachts auf ihren Petates zu überfallen und sie elend zu verdreschen, und am nächsten Morgen mussten die Geschundenen auch noch schwindeln, dass sie aus dem Fenster gefallen seien oder vom Dach herunter, wo sie gar nichts zu suchen hatten. Ich sage dir, Teniente Bailleres, der Deserteur, der diesen Höllen, wo ihm jedes Spritzerchen an Ehre ausgedroschen, ausgequält und herausbeleidigt wird, entläuft und aus dieser Armee desertiert, hat zehnmal mehr Ehre in seinem Leibe als diejenigen, die den Hintern voll elender Furcht haben und das alles mitmachen, ohne aufzutrotzen. Ein solcher Deserteur hat tausendmal mehr Ehre als die Offiziere und Unteroffiziere, die sich an ihrer Autorität ergötzen und erfrischen. Ein Verräter ich? Die großen und wirklichen Verräter sind die, die den Soldaten alles und jedes Ehrgefühl ausprügeln und sie so versklavt machen, dass sie nicht einmal mehr wissen, in welcher Armee sie dienen und welchem Lande sie Respekt erweisen sollen. Verräter sind die, die das Volk so lange knebeln, so lange demütigen, so lange seiner gesunden Rechte berauben, bis das Volk es endlich nicht mehr zu tragen vermag und vorzieht, sich in einem Bürgerkrieg auszutoben, als solche Schmach länger zu erdulden.
Das sind die Verräter, die wahren, wirklichen und einzigen
Landesverräter, die durch Machthunger, Ehrsucht, Schwindeleien, Betrug und Mord die Ursachen für Rebellionen und Revolutionen schaffen.
Vielleicht in zehn Jahren, vielleicht in fünfzig Jahren wird einmal gesagt werden, dass wir, die verlausten und verdreckten Indianerschweine, Rebellen, Meuterer, Banditen, Mordbrenner und was du uns sonst noch alles nennst, die wirklichen Retter des Landes gewesen sind. Das verstehst du nicht, Leutnant Bailleres. Darum bist du ja auch hier wieder hergekommen, obgleich ich dich gewarnt hatte.«
»Was hast du Lausefetzen mich denn zu warnen?« rief der Leutnant erbost aus und warf den Rest seiner Zigarre ins Feuer. »Gar nichts hast du zu warnen. Ich komme und gehe, wie ich will. Dass du das weißt.«
»Wusste ich vorher. Darum wurdest du gekennzeichnet, damit du nicht etwa in Weiberröcken verkleidet wieder in unser Lager kommen könntest und hier herumspionieren. Du bist heute nicht hier hergekommen, um deinem General zu dienen oder der Regierung, das weiß ich auch. Du kamst diesmal, um mich zu fangen, um mich lebendig zu fangen und dich an mir zu vergnügen für deine fehlenden Ohren und deine abgefaulte Nase.«
»Richtig, Cabron«, schrie der Leutnant, sich immer mehr in Wut bringend. »Dich wollte ich mir lebendig fangen. Und dass mir das nicht geglückt ist, das ist der einzige Schmerz, den ich empfinden werde, wenn ich meine aufgerauchte Zigarre bezahle. Damit du auch weißt, was ich mit dir getan haben würde, hätte ich dich erwischt, so will ich es dir sagen, ehe es zu spät ist und mir das Maul zugefroren ist. Ich hätte dich der ganzen Länge nach auf den Erdboden werfen lassen, und dann hätte ich dir einen spitzen Holzpflock durch den Bauch treiben lassen, langsam, Zoll für Zoll, und hätte dich so auf der Erde festnageln lassen, weil du ja so sehr gut und so sehr laut zu schreien weißt: Erde und Freiheit. Mit Erde hätte ich dich voll pumpen lassen, bis du zerplatzt wärest, und du hättest die Freiheit bekommen, langsam zu verrecken.«
»Das ungefähr wusste ich vorher, Teniente, dass du das, genau das tun würdest«, erwiderte General glucksend in seinem Lachen. »Und weil ich das wusste, darum habe ich nicht einige der gewöhnlichen Muchachos hergerufen, dich auf einen Spaziergang mitzunehmen, sondern ich habe die Salvajes für diese Abendunterhaltung bestellt. Gerade solcher kleiner Abendunterhaltungen wegen, die einst an ihnen verübt wurden, sind sie Salvajes geworden. Deine Zigarre ist zu Ende. Wir haben uns nun nichts mehr zu sagen, Teniente Bailleres.«
»Sicher nicht, du Hundesohn.«
General rief den Salvajes zu: »Habt ihr verstanden, welche Art von Spaziergang zur Hölle der Caballero sich ausgewählt hat?«
»Seguro«, antworteten die drei Muchachos gleichzeitig, »sicher, General, wir haben jedes Wort gehört. Tierra y Libertad! Salud, General!«
»Tierra y Libertad, Muchachos!« grüßte General.
Einer der drei Burschen trat auf den Leutnant zu, stieß ihn mit dem Machetegriff in die Rippen und kommandierte: »Komm, Freundchen, ich werde dir ein Wiegenliedchen singen, da draußen, außerhalb des Lagers.«
Der Leutnant sprang auf, als wolle er nicht von diesen Leuten getrieben werden. Er wandte sich an den Divisionario, der während der langen Unterredung auf seinem Holzstamm gehockt hatte, ohne sich mit einem Worte daran zu beteiligen.
»Haben Sie nicht einen ordentlichen Schluck in Ihrer Hüftflasche, mi general?« fragte der Leutnant.
Der Divisionario zerrte eine elegante Kristallflasche hervor, die flach war und leicht gebogen, so dass sie bequem in der Tasche getragen werden konnte. Sie hielt etwa ein Drittel Liter,
und sie war noch zur Hälfte gefüllt.
»Trinken Sie halb davon, Teniente«, sagte der Divisionario, als er dem Leutnant die Flasche zureichte.
»Lassen Sie mir den Rest. Wahrscheinlich werde ich ihn ein wenig später ebenso nötig haben wie Sie jetzt, den Schluck.«
Der Leutnant hielt einen Finger gegen die Flasche, so dass er das Maß richtig nehmen konnte. Dann goss er sich einen tüchtigen Schluck hinter, setzte die Flasche ab, betrachtete sich seinen Finger, und als er fand, dass er noch einen Schluck guthabe, um seinen Anteil richtig empfangen zu haben, nahm er einen zweiten kleineren Schluck.
»So, mi general, ich denke, ich habe richtig geteilt.« Er lachte mit einer Seite seines Mundes, während er die Flasche zurückgab.
Der Divisionario schraubte sie mit Andacht zu. Dann sah er auf, General mitten ins Gesicht. »Aber Muchacho, du wirst doch nicht wirklich mit meinem Leutnant so etwas Grässliches tun wollen?«
»Anfangs war das gewiss nicht meine Absicht, Divisionario. Aber du hast doch gehört, so gut wie ich und wie alle hier, was dein Teniente mit mir zu machen gedachte, wäre ich ihm in die Hände gefallen.«
»Das war nur ein Soldatenscherz«, beruhigte ihn der Divisionario. »Dann waren das ebenfalls nur Soldatenscherze, als eine Anzahl unserer Kameraden den Rurales als Gefangene in die Hände fielen, vor einigen Wochen, da weiter zurück in der Finca Santa Cecilia, und die daraufhin bis an den Hals eingegraben wurden und Berittene über deren Köpfe so lange hin und her galoppierten bis die Köpfe alle zerstampft waren. Gute Soldatenscherze, Divisionario.«
Der Divisionario zuckte mit den Schultern. »Brutalitäten kommen vor in einem Kriege. Und wir sind im Kriege miteinander. Aber solche Brutalitäten sind Ausnahmen. Ich habe solche und ähnliche Taten nie befohlen. Und wäre ich in der Finca gewesen, dann hätte ich diese Art von Misshandlungen nicht zugelassen.«
»Teniente!« rief General den Leutnant an. »Hast du auf den Soldatenscherz, den der Divisionario uns hier erzählt, etwas zu antworten?«
»Nicht dir, du mistiger Hund«, sagte der Leutnant und verzog sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze.
»Ich will dir nun etwas sagen, Teniente. Du bist ein tapferer Bursche, das glaubst du gewiss. Ich mache dir einen Vorschlag. Du sollst nicht denken, dass ich mich etwa vor so einem elenden Wicht von einem widerlichen Spion, wie du einer bist, fürchte.«
General zog ein Messer aus der Scheide an seinem Gurt. Während er das tat, wandte er sich zu den Muchachos, die herumstanden, und rief: »Gebt dem Hurensohn von einem stinkenden Coyote und Spion ein Messer, von derselben Länge, wie ich es habe.«
Einer der Burschen zog sein Messer und sah General an, als ob er nicht wisse, habe er richtig verstanden oder nicht.
»Gibt's ihm schon hin.« General machte eine Bewegung mit dem Kopfe.
Der Leutnant ergriff das Messer mit unbestimmter Geste.
»Nicht dass du denkst, ich habe es nötig, mich an einem Wehrlosen zu vergreifen. Ich nicht, und niemand von denen, die hier bei uns etwas mitzureden und zu befehlen haben. Los, nimm dein Messer, ich nehme meines, und wer von uns beiden gewinnt, soll mit dem andern tun, was du mit mir zu tun gedachtest, falls ich in deine Hände fallen sollte.«
»Bist du denn verrückt, General?« rief einer der Muchachos.
»Warum verrückt, Sebio? Ich bin in guter Laune. Nur sollen diese räudigen Hunde von Offizieren nicht denken, dass wir uns vor ihnen fürchten, wenn die Bedingungen die gleichen sind. In
den Kasernen reißen sie ihre Fressen weit auf und gebärden sich, als ob sie einen jeden von uns verschlingen könnten, wenn sie uns auch nur ansehen, und treten jeden in den Ursch, wenn einer an ihnen vorüberkommt. Da sind wir, die Soldaten, die Wehrlosen, und wenn einer so einem Hund eine kräftige Backpfeife versetzt, wie er sie jeden Tag zwanzigmal verdient, wird er füsiliert.«
General wandte sich dem Leutnant zu und grinste ihn an. »Komm, komm, mein Lämmchen, jetzt sind wir beide gleich, du, ein Hund von einem Leutnant, und ich, ein desertierter Sergeant. Du hast ein gleiches Messer wie ich; und es ist niemand hier, der mich jetzt füsiliert, wenn ich dir deine Fresse breitschlage. Wenn du willst, ich pfeffere sogar mein Messer hin. Ich brauche es gar nicht einmal, so einem Fetzen von Offizier gegenüber.« Er warf sein Messer in weitem Bogen zurück.
»Du magst dein Messer behalten.« General griente wieder. »Du kannst das Messer gebrauchen, ich gebrauche nur meine beiden Fäuste, nichts weiter, und wenn du gewinnst, magst du unbehelligt von uns zurückgehen zu deiner verrotzten Horde und mich an einem Lasso hinterher zerren.« Der Leutnant blickte sich um. Ein großer Haufen Muchachos war in wenigen Sekunden herbeigeeilt, um das Duell zu sehen. Für einen kurzen Augenblick war er wohl bereit gewesen, den angebotenen Zweikampf aufzunehmen.
Dass aber General das Messer fortwarf und sich anschickte, ihn, der das Messer behalten durfte, mit den bloßen Händen anzugreifen, und ihm wahrscheinlich mit jenen dreckigen knorrigen Händen den Hals abdrehen wollte wie einem Hahn, der geschlachtet werden sollte, fühlte der Leutnant als einen solchen Schimpf, angesichts der großen Schar grinsender, lachender und ihn verhöhnender Muchachos, dass er den Kampf ablehnen musste. Nur dadurch, dass er es ablehnte, sich mit General in so ungleicher Weise zu duellieren, war es ihm möglich, den Rest von Ehre, der ihm bis jetzt noch geblieben war, zu erhalten und mit sich hinüberzunehmen ins jenseits. Denn selbst wenn er gewinnen sollte, die Schmach, sich mit einem verlumpten und verlausten halbindianischen Rebellen in einen ungleichen Zweikampf eingelassen zu haben, um seine Haut zu retten, hätte er nicht ertragen können. Es wäre ihm von allen, die davon gehört hätten, als Furcht ausgelegt worden, eines Offiziers unwürdig.
Eine tiefere Erniedrigung hätte ihm nicht angetan werden können als die, die ihm General antat durch die einfache Geste, das Messer fortzuwerfen und ihm das Messer zu gestatten. Sein Gesicht hätte er sich zerkratzen mögen aus Wut, dass er nicht sein Messer zuerst fortgeworfen hatte und dass er General erlaubt hatte, ihm mit dieser Geste zuvorzukommen. Ohne Messer hätte er freilich gegen den stämmigen arbeitsgehärteten Proletarier nicht gewinnen können, nicht, wenn es auf die Fäuste allein ankam.
Aber seine Kameraden würden von einem ruhmvollen Tode gesprochen haben.
So blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als in einer Weise zu antworten, die nach seiner Auffassung eines Offiziers allein würdig war.
Er trat einen Schritt vor. Voller Wut General einige Sekunden anblickend, dabei seine Zähne vorstoßend, als wolle er ihn auffressen, hob er seinen Arm hoch, und mit heftiger Gebärde warf er das Messer gegen den Boden, so dass es bis an das Heft in die Erde spießte. Darauf spuckte er, dick aus der Kehle hervorholend, einen Klecks auf den Erdboden dicht vor die Füße seines Gegners und schrie, mit dem Finger auf den Klecks zeigend: »Da, du dreckiger, stinkender Hund von einem verlausten Auswurf einer indianischen Hündin, da schleck das auf. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass sich ein Offizier mit einem solchen Mistwurm, wie du bist, hier herumprügeln wird. Einem Wicht wie dir haue ich ein halbes Dutzend Backpfeifen ins Gesicht, aber ich schlage mich nicht mit dir herum, du Schwein.«
Bei diesem Brüllen war der Leutnant tiefrot im Gesichtgeworden. Aus den Krusten seiner Wunden sickerte Blut hervor. Jedoch die Wirkung, die er erwartet hatte und die ihn, gegenüber dem Divisionario und dem Haufen herumstehender Muchachos, als Helden offenbaren sollte, blieb völlig aus. Er hatte gehofft, General würde gegenüber dieser Schimpfrede in namenlose Wut verfallen und ihn niederknallen, damit diese Tragikomödie rasch beendend.
Aber statt des erwarteten Wutgebrülls folgte nur ein höhnisches Gelächter von allen Seiten. General brüllte wohl, aber nicht vor Wut, sondern vor Lachen. Derartige Kraftausdrücke von Offizieren hatte er als Soldat und Sergeant viel zu oft gehört, als dass sie auch nur den geringsten Eindruck auf ihn hätten machen können. In der gegenwärtigen Situation mussten die Beleidigungen des Leutnants auf jeden Anwesenden lächerlich wirken; denn alle, die hier herumstanden und die Situation richtig erfassten, vermochten in dem Getobe des Leutnants, das unter den Umständen gegenstandslos war, nichts anderes zu erblicken als das Fauchen, Kläffen und Zähnefletschen eines Coyoten, der hilflos in einer Falle festgeklemmt ist und nun den Jäger mit lachendem Gesicht vor sich stehen sieht. Und weil diese Dschungelarbeiter zu häufig das Fauchen, Brüllen und Zähnefletschen gefangener wilder Tiere des Dschungels erlebt hatten, darum war das Gebaren des Leutnants für sie so ungemein lächerlich, weil es sie an das Verhalten eingefangener Coyotes erinnerte.
Der Leutnant freilich konnte nicht wissen, warum sein Schimpfen und seine Gebärden den heldenhaften Eindruck, den er hervorzubringen gedacht hatte, so durchaus verfehlten und lediglich ein Gelächter erzeugten, dass er für eine Sekunde sich vorkam wie ein Komiker.
Als die Wirkung, die er erhofft hatte und die ihm den
Abschied von der Welt hatte versüßen sollen, nicht nur ausblieb, sondern sich in einer Form äußerte, die er nie erwartet, ja nicht einmal für möglich gehalten hatte, überkam ihn zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme ein ungemein trauriges Gefühl von Hilflosigkeit und von Verlassensein. Er sah seinen kommandierenden General an mit weiten, verstörten Augen, die um Hilfe flehten. Er hoffte, wenigstens bei ihm Verständnis für das zu finden, was hier geschah. Es hätte ihm wohlgetan, wäre der Divisionario jetzt auf ihn zugekommen und hätte ihn kameradschaftlich umarmt. Aber der Divisionario stand der Situation genauso hilflos gegenüber wie sein Leutnant; denn auch er hatte einen Wutausbruch Generals und der Muchachos erwartet, genauso gut wie der Leutnant, und er war vielleicht noch mehr überrascht von der unerwarteten Wirkung als der Mann, der ihn jetzt um moralischen Beistand bat.

 

8

Obgleich die Situation kaum dreißig Sekunden anhielt, so dünkten sie den Leutnant Ewigkeiten zu sein. Seine Traurigkeit vertiefte sich mit jeder weiteren Sekunde, je länger er in die lachenden und grinsenden Gesichter der Muchachos sah. Es stieß und würgte in seiner Kehle. Wäre er zehn Jahre jünger gewesen, würde er jetzt nach seiner Mutter geschrieen haben, so hilflos und so verlassen fühlte er sich. Für einige Sekunden vergaß er seine Umgebung, und er erinnerte sich, mit der Raschheit, Kürze und Klarheit eines Blitzes, einer Episode seines Lebens, die er für die traurigste hielt, die er je erlebt hatte.
Noch ehe er als Kadett in die Militärakademie eintrat, kannte er ein Mädchen, das damals noch nicht vierzehn Jahre alt war. Sie verliebten sich tief ineinander, und sie gelobten, sich zu heiraten, sobald er Leutnant geworden sei. Sie schrieben sich jede Woche zweimal, und wenn er auf Urlaub war, verbrachten sie jeden Nachmittag miteinander. Sie war seine Göttin und seine Heilige. Jeder hatte dem andern Treue bis über das Grab hinaus versprochen. jedoch als er mitten in seinem letzten Jahr auf der Akademie war, erhielt er einen Brief von ihr, in dem sie ihn um Verzeihung bat, dass sie sich vor sechs Wochen verheiratet habe. Sein erster Gedanke war, das Leben, mit einem Stück Blei in den Schädel gebrummt, abzuschließen. Aber er ging nur auf seine Stube. Und als er alles überdachte, was das Mädchen ihm gewesen war und wie sie ihm hundertmal ewige Treue geschworen hatte, sogar in der Kirche kniend vor dem Bilde eines Heiligen, da fühlte er sich so einsam in der Welt, so trostlos, so hilflos, dass er stundenlang weinte. Später erzählte er seinen Kameraden, die ihn des verquollenen Gesichts wegen aufzogen, dass er die niederträchtigsten Zahnschmerzen habe, die ein Kadett nur haben könne.
Diese Episode, ganz unerwartet plötzlich in sein Gedächtnis springend, erfüllte jetzt seinen Geist. Es überkam ihn dieselbe
Traurigkeit, das gleiche Gefühl des Verlassenseins wie damals, als er den Brief erhielt, und er fühlte Tränen in sich aufkommen. Er hätte wirklich zu weinen angefangen, würde er auch nur zehn Sekunden länger Zeit gehabt haben, sich auf jene Episode weiter konzentrieren zu können und die Umwelt auszuschalten. Aber daran wurde er verhindert durch einen Ausruf.
»Caray!« rief General, die Arme kräftig in die Hüften stützend, »da seht ihn euch an. Das habe ich doch gewusst, dass ich einen elenden Cobarde vor mir habe, einen erbärmlichen Fetzen von einem Feigling, und er hat auch noch Uniform an. Zuerst fürchtet er sich, weil ich ein Messer habe und er keines; dann fürchtet er sich, weil ich ihm ein Messer gebe und meines in den Dreck schmeiße. Und nun fürchtet er sich, auf der Erde angepflockt zu werden, wie er das mit mir tun wollte. Auch da hat er Angst, das Würmchen. Darum spuckte mich diese uniformierte Kröte an und blökte mich an, damit ich in Wut kommen sollte und ihm sechs brennen, um es ihm zu ersparen, aufgepflockt zu werden. Und das ist ein Leutnant! Ein Offizier der glorreichen Armee! Ein Cobarde, nichts weiter; und jetzt schäme ich mich, dass ich mich mit einem solchen Cobarde hier herumschlagen wollte. Ein altes lahmes Weib in unserm Heer hat mehr Mut in einem wackligen Zahn als so ein Luder von einem Offizier. Da will ich doch, verflucht noch mal, lieber heute zum Abendessen nur reinen Hundedreck fressen, als mein anständiges Messer in seinen elenden Kadaver rennen.«
Ein höhnisches Gelächter der Muchachos folgte. Der Leutnant hatte der Rede zugehört mit einem Schrecken, der sich mit jedem weiteren Wort vertiefte. Er schüttelte seinen Kopf, als fürchte er, dass sich sein Hirn verwirre. Halblaut sagte er: »O Dios mio, o mein guter Gott im Himmel, wie kannst du es nur zulassen, dass ein Mensch so tief gedemütigt werden kann wie ich!«
Dann öffnete er weit den Mund, um laut dazwischenzuschreien, hinein in die höhnische Rede Generals, und zu brüllen, dass dies ein Missverständnis sei, dass er nicht darum General vor die Füße gespuckt habe, um ihn zu veranlassen, ihn aus Wut zu erschießen, sondern gerade im Gegenteil, aus Furchtlosigkeit und Tapferkeit habe er General so gemein beleidigt.
Aber ehe er so sprach, fand er, dass er sich nur noch immer mehr lächerlich machen konnte, falls er davon spreche, dass hier ein Missverständnis vorläge. Idiotisch hätte es wirken müssen, wenn er behauptet hätte, dass er, um seine Tapferkeit zu offenbaren, vor General hingespuckt habe.
Als General endlich seine Rede beendet hatte, war der Leutnant so bleich und so zusammengefallen, dass es schien, als habe ihn die Rede bereits getötet. Wieder sah er seinen Divisionario an. Diesmal nicht, um moralische Hilfe bei ihm zu suchen, sondern nur um zu ergründen, wie er die demütigende Rede aufgenommen haben mochte.
Der Divisionario sah ihn nicht an, sondern blickte, wie der Leutnant wohl fühlte, absichtlich von ihm weg. Da wusste er, die Rede hatte selbst den Divisionario überzeugt, dass sein Leutnant aus Furcht und nicht aus Tapferkeit General in Wut zu bringen versucht hatte, um ein rasches schmerzloses Ende herbeizuführen. Und jetzt geschah es, dass der Leutnant seine Träne n nicht mehr zurückzuhalten vermochte.
Er begann zu schluchzen, nahm ein Tuch hervor und verbarg sein Gesicht.

 

9

General hatte sich umgewandt und war ein paar Schritte zurückgegangen, näher zum Feuer. Er blieb stehen, winkte einen der Salvajes zu sich heran und sagte: »Hänge den Wurm einfach auf, kurz und schnell, und beeile dich!«
Der Leutnant trocknete hastig seine Augen, ging auf den Divisionario zu und sagte zu ihm: »Mi General, glauben Sie im Ernst von mir, dass ich diesen Hund nur darum anschrie, weil ich wollte-« Er sprach nicht weiter. Er wandte sich halb um. In sich sagte er: »Was hat das für einen Zweck? Ich weiß es, und das beruhigt mich für alle Ewigkeit. Ob es andere auch wissen und ob ich überhaupt je fähig sein würde, es irgend jemand klarzumachen, das ist in fünf Minuten ohne jede Bedeutung.«
Er richtete sich auf. Trat dicht vor seinen Kommandierenden hin, sah ihm gerade ins Gesicht und sagte militärisch gehackt: »Entschuldigen, mi general, wollte mich lediglich für unbestimmte Zeit von Ihnen beurlauben lassen. Bitte darum!« Darauf salutierte er: »Mi general, a sus ordenes! Adios, mi general!«
Der Divisionario streckte ihm die Hand hin, zog ihn dicht an sich, umarmte ihn, ließ ihn wieder los, salutierte ebenfalls und sagte: »Adios, Muchacho! Urlaub bewilligt! Adios, Teniente Bailleres! Wir treffen uns in einigen Stunden. Hasta la vista!«
Ein leichtes Lächeln kräuselte über die Lippen des Leutnants, als er abermals salutierte. Darauf drehte er sich eiligst um. Ohne zu zögern oder ein Kommando abzuwarten, ging er den Burschen, die ihn abführen sollten und von denen der eine einen von Schlamm verdreckten Lasso über die Schulter geworfen hatte, rasch voraus.
Einige Sekunden später hörte man einen der Burschen rufen: »No, Tenientito, nicht da rüber, hier, in diese Richtung. Los! Los! Die Beine gerührt!«

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