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Ludwig Renn - Krieg (1928)
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Der Stellungskrieg 1917/18

 I.

Ich hatte das Recht, mich gehenzulassen. Aber das konnte ich bald nicht mehr. Ich las den Simplicius Simplicissimus.
Brand und ich gingen jeden Morgen mit den Schlafdecken an einen Südhang mit weichem Gras und jungen Fichten. Dort zogen wir uns aus. Ich Wickelte mich in die Decke und legte mich darin in die Sonne. Da schwitzte ich, dass es mir von der Nasenspitze tropfte. Darauf zog ich mich wieder halb an und legte mich in den Schatten. Nach einiger Zeit pflegte ich sehr munter zu werden.
Am übrigen Tage lagen wir in den Erdbeeren. Es waren so viel da, dass man nur um sich zu pflücken brauchte, ohne aufzustehen.
Am Tage bevor die Kompanie von vorn zurückkam, gingen wir, für Lamm, Hartenstein und Funke Erdbeeren zu pflücken.
Ich gewann mich in einer Woche ganz wieder, so dass ich mich sogar nach einer Tätigkeit sehnte. Der Oberarzt, dem ich das sagte, schüttelte den Kopf. „Seien Sie mal geduldig!"
Aber ich glaubte kaum mehr daran, dass ich krank wäre.

 

II.

Brand rückte dann mit der Kompanie wieder vor. Dafür waren Weickert, Jauer und mehrere andere von dem plötzlichen Fieber befallen worden und kamen zurück. Auch bei anderen Kompanien zeigte sich dasselbe: plötzlich vierzig Grad Fieber.
Dann wurde unser Regiment aus der Front herausgezogen und marschierte in einem langen Marsch weit hinter in unversehrte Dörfer, in denen die Einwohner am Abend sangen und Gitarre spielten. Mich strengte der Marsch an. Brand, Jauer und ein paar andere mussten das letzte Stück des Marsches auf dem Maschinengewehrwagen gefahren werden, so erschöpft waren sie.
Hinten tat ich wieder Dienst bei der Kompanie.
Wir exerzierten gerade auf einer Wiese, als ein Läufer vom Bataillon kam.
„Vizefeldwebel Renn ist zum Sturmbataillon kommandiert. Er steht heute drei Uhr nachmittags abmarschbereit vorm Bataillonsgeschäftszimmer."
„Der Dienst beim Sturmbataillon", sagte Lamm, „wird dir besser sein als im Graben."
Mir leuchtete das nicht ein. Ich hatte allerdings keinen rechten Begriff, was ein Sturmbataillon wäre.
Vorm Bataillonsgeschäftszimmer traf ich einen jungen Leutnant und einige Unteroffiziere und Gefreite.
„Vizefeldwebel Renn dritte Kompanie zur Stelle!"
Der Leutnant machte eine Verbeugung und grüßte. „Lindner."
Ich hielt meine Gesichtsmuskeln fest, aber vielleicht verzog ich sie doch ein wenig. Er wurde leicht rot. „Ich bin gestern erst zum Leutnant befördert worden."
„Soll ich feststellen, ob alle zur Stelle sind, Herr Leutnant?" fragte ich aus Verlegenheit. Lindner konnte noch nicht zwanzig Jahre alt sein.
Wir marschierten in ein grünes Tal.
„Was ist eigentlich ein Sturmbataillon, Herr Leutnant?"
„Ich weiß es auch nicht recht. Ich weiß nur, dass wir als Patrouillen- und Stoßtruppführer ausgebildet werden sollen."
Wie kann man denn in so was ausgebildet werden können? dachte ich.
Unser Ausbildender war ein junger Offizier mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse. Er hatte einen Berliner Ton und war außer Dienst affig und anmaßend, aber im Dienst vergaß er das. Da war er jungenhaft natürlich und eifrig.
Die Sonne glühte auf den Flächen. Wir mussten Maschinengewehre schleppen und Handgranaten werfen, in Gräben vorgehen und geräuschlos kriechen. Anfangs strengte es mich sehr an. Ich schwitzte bei jeder Gelegenheit, und die Umgebung zerrann mir ein paar Mal vor den Augen, doch nur für kurze Zeit. Dann wurde es mir täglich leichter. Der Dienst ging vom Morgen bis zum Abend, nur mit zwei oder drei Stunden Mittagspause. Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken und fühlte mich wohl.
Lindner war immer mit mir zusammen, auch außer Dienst.
„Ich kann mich noch nicht hineinfinden, Offizier zu sein", sagte er mir. „Meine Familie ist schrecklich stolz darauf; denn es hat's noch keiner so weit gebracht. Aber ich kann nichts dafür - im Frieden wäre ich's auch nie geworden."

 

III.

Es war schon gegen den Herbst, als ich zur Kompanie zurückkam. Niemand fragte mehr nach meiner Krankheit. Ich selbst erinnerte mich nur daran wie an etwas ganz Fremdes. Ich fühlte mich völlig gesund und war es auch.
Ich meldete mich bei Lamm - es war im Kompaniegeschäftszimmer. Er nahm ein Blatt vom Tisch und reichte es mir.
„Leutnant d. R. Lamm tritt als Ordonnanzoffizier zum Stab des ersten Bataillons. Oberleutnant Lößberg wird mit der Führerstelle der dritten Kompanie beliehen."
„Wer ist der neue Kompanieführer?"
„Der kommt vom Divisionsstab. Es gibt einen Befehl, wonach die Offiziere der höheren Stäbe ab und zu in der Front Dienst tun müssen."
„Ist das ein Grund, uns unseren Führer zu nehmen?"
„Beruhige dich darüber. Ich wäre auch sonst Ordonnanzoffizier geworden."
Am nächsten Morgen versammelte Lamm die Kompanie.
„Ich bin zum Bataillonsstab versetzt und verlasse euch heute. Dass es mir schwer wird, werdet ihr verstehen. Aber leichter macht mir meinen Fortgang, dass ich glaube, dass ich meinem Nachfolger eine gute Kompanie übergebe. Auf Wiedersehen, Kompanie!"
Wir traten weg.
„So einen kriegen wir nicht wieder", sagte Wolf, der von seiner Verwundung geheilt war.
Funke setzte sich in eine Ecke, kaute an seinem Zigarrenstummel und murmelte etwas von gutem Menschen vor sich hin.
Am Abend kam das Gerücht, der Neue wäre da. „Wie sieht er denn aus?" „Er hat 'n Monokel und 'nen Reitstock." „Das stinkt nach Etappe."
Ich merkte, die ganze Kompanie lehnte ihn ab, nicht eigentlich aus sachlichen Gründen, sondern weil er nicht Lamm war.
Am andern Morgen beim Antreten zum Dienst kam er. Der Feldwebel ließ stillstehen und meldete ihm.
„Ich bin unter dem heutigen Tage mit der dritten Kompanie beliehen worden. Ich habe Gutes von der Kompanie gehört. Ich rechne damit, dass meine Kompanie die beste im Regiment wird. Mit Gott für König und Vaterland ist von je unser Spruch gewesen und soll es bleiben, und damit begrüße ich Sie! - Rührt euch! Feldwebel, kommen Sie mit und stellen Sie mir die Unteroffiziere vor!"
„Vizefeldwebel Renn!"
„Sie tragen Lederknie und Wickelgamaschen. Ist das beim Regiment erlaubt, Feldwebel?"
„Er ist erst vor zwei Tagen vom Sturmbataillon gekommen."
„Das ist gut. Wir werden einen ganzen Stoßzug zusammenstellen. Übrigens steht, wie ich sehe, die ganze Kompanie wie Kraut und Rüben durcheinander. Alte neben Jungen und Riesen neben Zwergen. Hat denn niemand den Versuch gemacht, das zu ändern?"
„Nein, Herr Oberleutnant. Die bisherigen Kompanieführer haben die immer zusammengelassen, die sich kannten."
„Das geht nicht so. Das gibt doch gar kein militärisches Bild. Wir wollen sofort umformen. Sie, Renn, kommen mit mir und bezeichnen mir die Leute, die für den Stoßzug in Frage kommen."
Ich deutete auf Wolf.
„Gut."
Ich zeigte auf Funke.
„Den? Wie kommt die Kompanie überhaupt zu so alten Leuten? - Ich wünsche, Sie das nächste Mal gewaschen und in einem besseren Rock zu sehen!"
Wir stellten den neuen Zug zusammen mit Unteroffizier Hauffe und dem Gefreiten Sänger als Stoßtruppführern. Für den dritten Stoßtrupp fehlte noch der Führer.
„Wie heißen Sie denn?" fragte Lößberg einen vielleicht achtzehnjährigen Burschen mit strahlenden blauen Augen, den ich noch nicht kannte.
„Hähnel, Herr Oberleutnant!" schrie der Junge.
Ich sah Lößberg von der Seite an.
Er sah blass aus, etwas aufgedunsen, und hatte Lippen, deren Weichheit mir nicht gefiel.

 

IV.

Lößberg hatte durch die Formierung nach der Größe die Abneigung der Kompanie gegen sich noch verschärft, hauptsächlich bei denen, die in den Frühlingskämpfen zusammengewesen und nun auseinander gerissen waren. Das waren aber die einzigen, die überhaupt eine Meinung hatten. Nur Funke trat in seiner unglaublichen Gutmütigkeit für ihn ein, obwohl ihn Lößberg geradezu verächtlich behandelte und immerfort etwas an seinem Anzug oder an seiner Haltung auszusetzen hatte.
Wir rückten am Tage nach der Umformung in den Graben. In dieser Nacht sahen wir Lößberg nicht. Er kam erst am nächsten Morgen, sich alles anzusehen.
Ich zeigte ihm meinen Zugabschnitt. Ein älterer Mann fegte den Graben.
„Mir fällt die Unsauberkeit Ihrer Leute auf. Wir müssen streng auf Sauberkeit halten. Dieser Mann sieht ja unglaublich aus!"
„Es wird sich das kaum erreichen lassen, bis wir nicht bessere Unterstände haben; denn bei den meisten sind die Eingänge so eng, dass man auf allen vieren herauskriechen muss und dabei vollkommen schmutzig wird."
„Sich nicht erreichen lassen, gibt's für mich nicht!" sagte er scharf. „Wir müssen das durchdrücken, und es geht!"
Im nächsten Unterstandseingang saß einer mit bloßem Oberkörper und suchte Läuse. Er stand verlegen auf, konnte aber nicht strammstehen, weil der Eingang zu niedrig war.
„Stellen Sie sich ordentlich hin!" herrschte ihn Lößberg an.
Er trat heraus und versperrte so den Graben. „Was hat der Mann jetzt zu tun?" fragte mich Lößberg. „Jetzt haben die Leute Frühstückspause, Herr Oberleutnant." „Wie lange?"
„Das ist so genau nicht festgelegt; denn jetzt ist auch die Zeit, zu der geschlafen wird." „Weshalb jetzt?"
„Weil sie in der Nacht Transporte gehabt haben, diese Nacht Eisenbahnschienen und mittlere Minen für die Minenwerfer hinter der Elisabethhöhe."
„Wie lange hat das gedauert?"
„Von Mitternacht bis zum Hellwerden."
„Da müssen aber die Leute gebummelt haben!"
„Die Minen sind sehr schwer und müssen vorsichtig getragen werden."
Ich merkte, Lößberg suchte danach, etwas zu verbessern, verstand aber wohl zu wenig davon.
„Als Unteroffizier vom Grabendienst!" meldete sich der lange Sänger.
„Haben Sie sich heute schon gewaschen?" Sänger sah wirklich sehr schmutzig im Gesicht aus.
„Nein, Herr Oberleutnant, wir haben kein Wasser im Graben."
„Das ist kein Grund! Wer will, findet schon etwas. -Mein lieber Renn, das geht nicht! Wir sind doch keine Räuberhorde, sondern eine Kompanie Seiner Majestät!" Dieses schöne Wort schien ihm selbst zu gefallen.
Wir kamen zu einem Posten. Es war ein rotbäckiger, junger Kerl, der stramm meldete.
Lößberg trat auf den Auftritt und legte ihm den Arm um den Hals. „Nun zeigen Sie mal, was Sie hier zu beobachten haben!"
Der Posten erklärte es. Wir gingen weiter.
„So sollten alle Leute Ihres Zuges sein, so frisch und gerade!"
„Hier ist die rechte Grenze meines Zugabschnitts, Herr Oberleutnant."
„Ich spreche die Zugführer um elf Uhr in meinem Unterstand! - Guten Morgen!"
Ich ging mit Sänger zurück.
„Der ist gar nicht so schwer zu behandeln", lachte er. „Wir werden ja bald wissen, wann er seine Rundgänge macht, und da stellen wir hübsche Leute auf Posten."
Um elf Uhr trafen wir Zugführer uns vor seinem Unterstand. Er hielt uns fast zwei Stunden die verschiedensten Missstände vor und gab an, wie es geändert werden sollte.
Schließlich wurden wir entlassen.
„Was soll man da tun, Herr Leutnant?" fragte ich den Zugführer unseres ersten Zuges. „Das geht doch gar nicht, und bei diesem System werden die Leute überhaupt nicht zum Schlafen kommen."
„Man sagt: ja, und macht es, wie man will", lachte der Leutnant. Trepte lachte auch. Mir war gar nicht zum Lachen. Ich sorgte mich um meine Leute. Was sollte man nur tun? Gehorchen muss man, aber doch auch für seine Untergebenen eintreten.

 

V.

Ich musste zugeben, dass manche von Lößbergs Anordnungen wirklich gut waren. Aber zugleich war eine Unehrlichkeit in allem. Lößberg wollte nicht sehen, dass auf diese Weise die Verbesserungen dort, wo sie, wenigstens mir, am notwendigsten erschienen, an den Unterständen, fast völlig liegen blieben und dass alles nur fürs Auge geschah. Hinter seinem Rücken hintergingen wir Zugführer ihn und ebenso die Gruppenführer, vor allem in den Stunden, zu denen er sich nicht zeigte. In der Nacht kam er nie aus seinem Unterstand, weil er nachtblind war.
Das merkte er wohl auch und suchte sich bei den Mannschaften einen Anhang zu gewinnen. Hauffe, Hartenstein und Sänger waren für liebenswürdige und große Worte ganz unempfänglich. Aber auch der junge Hähnel zeigte sich ihm gegenüber sehr kühl, während er sonst eher zutraulich war. Er konnte allerdings auch sehr grob werden, wenn ihm etwas nicht passte. Er hatte etwas in seinen großen hellblauen Augen, weshalb ihn alle liebten und beschützen wollten, wenn es notwendig gewesen wäre. Er war nicht im mindesten hübsch, aber niemand konnte sich dem Zauber seiner strahlenden Augen entziehen. So ging es auch Lößberg, der ihn bald zum Gefreiten und kurze Zeit darauf zum Unteroffizier machte. Hähnel freute sich sehr darüber, aber er fühlte nicht die geringste persönliche Dankbarkeit gegen Lößberg, was der nicht begreifen konnte.
Nicht alle waren so unbestechlich. Lößberg pflegte denen, die ihm gefielen, neue Röcke zu verschaffen, und von diesen glaubten auch die meisten an seine großen Worte. Aber unter seinen Günstlingen war auch nicht ein wirklich tüchtiger Mensch.
Im übrigen schlief er sehr wenig und war am Morgen um sechs Uhr bis häufig nach Mitternacht tätig. Da hielt er Besprechungen - er liebte, sich zu hören, und machte sich daran besoffen, seine eigene Organisation zu bewundern -, schrieb große Meldungen an seine Vorgesetzten, die er anscheinend mit seinen Läufern - oder wer sonst bei ihm war - besprach, um zu zeigen, wie gut er so etwas könnte, entwarf Ausbildungspläne und kümmerte sich, kurz, um alles angelegentlich.
Ich betrachtete das ohne Bewunderung, nur mit kühlem Staunen, wie es jemand fertig brächte, aus bloßem kaltem Ehrgeiz so ungeheuer zu arbeiten.

 

VI.

Es wurde Winter.
Der Pfarrer Schlechte war nicht mehr da. Ein junger Hilfspfarrer war für ihn gekommen. Der war Vizefeldwebel bei unserem Regiment, und er predigte auch in dieser Uniform. Der peinigte uns nicht mit der Frage, weshalb Gott den Krieg zugelassen hätte, sondern er erzählte sehr schlicht und mit großer Frische aus der Bibel. Und damit hatte er den Erfolg, dass bisweilen in der Baracke weiter darüber gesprochen wurde.
Dieser Vizefeldwebel wurde aber schwer verwundet, und für ihn kam ein anderer, der nie an der Front gewesen war. Das war ein sonderbarer Mann.
„Der Kaiser hätte den Krieg nicht beginnen dürfen", sagte er in einer Predigt, und kurz darauf: „Der Kaiser hat den Krieg nicht begonnen."
Die Predigten dieses Mannes ärgerten mich nicht, ich suchte mein Vergnügen darin, herauszubringen, wie er eigentlich auf seine Feststellungen kam. Einmal sagte er: „Es ist euch eine Lust, für König und Vaterland zu sterben!"
Wusste der Pfarrer denn gar nichts von unserm Empfinden des Krieges? Und hielt er denn den Krieg etwa für etwas Gutes? Wozu deckte er den wunden Punkt des Krieges gerade von der Kanzel aus auf?
Am Tage nach dieser Predigt hielt ein Offizier, den ich nicht kannte, einen Aufklärungsunterricht, weshalb wir Krieg führten und weshalb wir Belgien brauchten. Was? Das verfluchte Belgien wollen wir behalten? Wegen irgendeines äußeren Vorteils wollen wir uns mit diesem Volk belasten? - Denken denn unsere Führer, dass sie uns damit den Krieg schmackhafter machen, dass sie uns ihre Sorgen aufladen?
Ich verfiel in Grübeln. Was ist denn das Vaterland? Nichts? Eine altgewordene Redensart? Aber es ist doch etwas. Ich liebe es vielleicht auch.

 

VII.

Im März gibt es eine große deutsche Offensive, sagte man. Ich musste zugeben: Lößberg hatte die Kompanie gut ausgebildet. Vielleicht war sie wirklich die beste im Regiment. Sie war besser vorbereitet, als wir es 1914 beim Ausmarsch gewesen waren.
Da hieß es auf einmal: Der Oberleutnant geht wieder zu einem höheren Stab. Er hat sich hintergebohrt. Er war eigens deshalb auf Urlaub. Aber er will vor seinem Abgang noch ein größeres Patrouillenunternehmen machen, um Gefangene einzubringen. Und dann wird das Regiment aus der Front gezogen für die Offensive.
Lößberg ließ hinten beim Waldlager ein Übungswerk bauen, das die feindlichen Gräben nach Fliegeraufnahme nachbildete. Daran sollten die ausgewählten Mannschaften üben.
Hauffe kam zu mir. „Ich mache das Unternehmen nicht mit."
Ich war darüber erstaunt. Er war der beste Patrouillenführer der Kompanie. „Wie kommt das denn?"
„Der Oberleutnant zeigte mir die Pläne, und da habe ich ihm gesagt: Der Sache traue ich nicht; es sind zu viele Menschen dabei." Er lachte.
„Weißt du, wer sonst mitmacht?"
„Er hat sich den Leutnant Lindner als Führer geborgt. Sonst machen die Stoßtrupps von Hähnel und Sänger und noch einige von den anderen Zügen mit. Es sollen auch Pioniere dabeisein, um das französische Drahthindernis zu sprengen, und eine Unmenge von Artillerie und Minenwerfern und Maschinengewehren soll schießen."
Ich soll also nicht mitmachen, dachte ich kühl.
Der Patrouillenabend kam. Eine Leuchtkugel ging hoch, und das Schießen begann. - Ein schwerer Fehler, dachte ich, das Schießen mit einem Leuchtzeichen von der Stelle aus anzufordern, wo man stürmen will. Ein gescheiter Gegner weiß sofort alles.
Es stampfte und bellte von hinten.
Chach-chach-chach-sch! kamen die schweren Wurfminen hoch aus der Luft gependelt und detonierten mit breitem Krachen. Maschinengewehre ratterten von hinten, dass ich unwillkürlich den Kopf einzog, obwohl ich wusste, dass sie absichtlich zu hoch schossen und nur verwirren sollten. Und das ging schon seit Minuten. - Zuviel! Viel zuviel! Das kann nicht gelingen! - Ich sah die Stoßtrupps aus dem Graben steigen. Unterdessen schoss es ununterbrochen weiter.
Ein Krachen nicht weit. War das die Sprengung des Drahthindernisses oder ein französischer Einschlag?
Ramm! Ramm! Ramm! Das französische Sperrfeuer hatte eingesetzt, und zwar äußerst heftig.
Ich zitterte vor Erregung. Hähnel, Sänger und der größte Teil meines Zuges waren vorn.
Jemand kam in den Graben gesprungen und andere hinterher.
„Was ist denn eigentlich los?" schrie Sänger.
„Weshalb sollen wir denn zurückgehen?" fragte Hähnel.
„Weshalb haben Sie nicht angegriffen?" schrie Lößberg.
„Herr Leutnant Lindner schrie von vorn: ,Zurück! zurück!" sagte Hähnel.
Lindner sprang in den Graben. Es schoss heftig um uns.
„Ich habe nicht ,Zurück!' gerufen, sondern die Pioniere, weil das Hindernis noch nicht gesprengt war."
„Also dann jetzt vor!" schrie Lößberg erregt.
„Sind die Stoßtrupps bereit?" fragte Lindner.
„Nein, jetzt ist alles durcheinander!" schrie Sänger, um sich verständlich zu machen. „Ich habe nur zwei Mann da!"
„Bringen Sie die andern her!" schrie Lößberg.
„Herr Oberleutnant!" sagte Hähnel ruhig. „Das ist missglückt!"
„Missglückt gibt es nicht!" schrie Lößberg. „Herr Oberleutnant!" sagte Sänger. „Die Sache war falsch angelegt."
„Rücken Sie hinter!" schrie Lößberg und ging fort. Es schoss immer noch heftig von beiden Seiten.
Lamm kam gerannt. „Der Bataillonskommandeur möchte wissen, wie viel Gefangene gemacht sind! Es muss doch soweit sein?"
„Alles missglückt!"
Er sah mich starr an. „Wie kommt das?"
Ich brüllte ihm einiges zu, um mich verständlich zu machen. Eine Leuchtkugel stieg hoch, das Beendigungszeichen.
„Da werden ja die höheren Stäbe rasen vor Wut! Bis hinauf zum Armeeführer hatte er alle für die Sache in Bewegung gesetzt."
Lamm lief fort.
Das Feuer ließ nach. Ich hatte zwei Verwundete im Zuge durch das französische Sperrfeuer.

 

VIII.

Gegen Morgen kam ein Läufer.
„Herr Feldwebel möchte zu Herrn Oberleutnant kommen."
Ich fand ihn gebeugt auf einem Stuhl sitzen. Er stand müde auf. „Mein lieber Renn! Ob es möglich ist, Leute zu finden, die in der nächsten Nacht versuchen. Gefangene zu machen?"
„Soll wieder mit Artillerie und Minenwerfern gearbeitet werden, Herr Oberleutnant?"
„Nein, wir müssen versuchen, es ganz geheim zu machen."
„Dann will ich die Patrouille machen, Herr Oberleutnant. - Kann ich Fliegeraufnahmen dazu haben?"
„Alles, was Sie wollen, mein lieber Renn!"
Ich machte mich zuerst an die Fliegeraufnahmen. Sie waren so scharf, dass ich sogar die Drahthindernisse erkennen konnte. Ich fand an einer Grabenbiegung nach vorn eine kleine Erweiterung, die ihrer Form nach ein Postenstand sein musste. Freilich lag dieser Postenstand an einer Stelle des feindlichen Grabensystems, die sehr weit von unserem entfernt war, wohl siebenhundert Meter. Aber das hatte wieder den Vorteil, dass sie dort einen Handstreich am wenigsten erwarten würden. Ich ging zu Hauffe.
„Ich gehe nicht, wenn es nicht befohlen wird", sagte er. Ich ging zu Hartenstein.
„Du wirst auch nie klug werden!" sagte er. „Für Lößberg, den Kund, rühr ich keinen Finger! Aber für dich muss ich schon mitkommen. Ich hab hier noch einen, Leuschel, der ist zwar nicht geübt, aber der Kerl hat Kräfte und Verstand. -Wie hast du dir's denn gedacht?"
„Ich dachte, mit etwa zwei Mann den Posten anzupacken und auszuheben. Dafür sind wir drei gut. Und dann noch vier Mann zum Abriegeln der Gräben, dass wir nicht überfallen werden. Ich habe ein paar junge Kerle, die das können."
Als es hell geworden war, betrachtete ich die französischen Gräben von einem höher gelegenen Graben aus. Der Artilleriebeobachtungsoffizier lieh mir dazu sein Scherenfernrohr. Ich musste mir die Punkte im Gelände einprägen, nämlich einen helleren Fleck am Boden - woher es da heller war, konnte ich nicht sehen -, dann eine Mulde, vielleicht nur ein paar Handbreit tief. Die führte zu einer Drahthindernisecke. Von da mussten wir zu der Stelle, wo das Hindernis dünn aussah. Dann waren noch dreißig Schritt zu dem Posten.
Am Nachmittag schlief ich.
Kurz vor elf Uhr brachen wir auf.
Wir waren in Strickjacken, die Socken über die Hosen gezogen, eine kleine Pistole und das Messer in der Hosentasche. Hartenstein und Leuschel sahen groß und gefährlich aus.
Wir drei schritten voraus. Die vier Kleinen mit Gewehren und Handgranaten folgten.
Der Mond schien. Der Boden war hart gefroren, und das ausgewachsene, gefrorene Kraut knisterte bei jeder Berührung.
Wir stiegen einer hinter dem anderen durch unsere vier Drahthindernisstreifen. Dort lag ein toter Franzose, wahrscheinlich noch vom vorigen Frühling. Er roch nicht mehr.
Hier vor der Stellung sagte ich den jungen Leuten erst, dass noch gar nicht erkundet wäre und dass wir in einer Nacht erkunden und zugreifen müssten.
„Der Mond geht in zwei bis drei Stunden unter. Bis dahin schleichen wir uns ganz langsam an."
Der Mond stand uns im Gesicht. Daher würden sie uns nicht als Schattenrisse sehen.
Wir schlichen weiter, legten uns dann hin und krochen. Am ersten französischen Hindernis mussten wir halten. Der Mond stand noch vor uns. Das Hindernis war zu stark, um, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, darüber wegzukommen. Hartenstein kroch nach rechts und fand dort eine zerschossene Stelle. Wir ließen die andern zurück und krochen allein weiter, sehr langsam und immer horchend. Schritte und Reden. Nach dem Stand des Mondes war es etwa ein Uhr. Ich glaubte an einer Stelle eine Bewegung gesehen zu haben, war aber nicht ganz sicher. Wieder Schritte. Das musste der abgelöste Posten sein.
Wir blieben liegen, bis der Mond untergegangen war.
Dann kroch ich zurück und holte die andern, erst durchs erste Drahthindernis, dann an einem zweiten Hindernis, das nach hinten verlief, etwa fünfzig Schritte entlang. Der französische Graben ging links wie das Hindernis nach hinten. Der Posten trat manchmal hin und her und hustete. Es war nur ein Mann. Zu sehen war nichts bei der großen Dunkelheit. Wir krochen ganz langsam am Posten vorbei und trafen Hartenstein etwa zwanzig Schritt weiter.
Wir wandten uns links um. Ich suchte die Lücke im Drahthindernis. Das dauerte an anderthalb Stunden. Wir mussten jetzt vorsichtig sein wegen der nächsten Ablösung. Wir krochen noch immer am Hindernis entlang und fanden schließlich eine Stelle mit wenig Drähten. Da lagen wir still. Zwei Mann waren zum Abriegeln nach rechts bestimmt. Die andern beiden hatten keinen bestimmten Auftrag. Damit waren sie überflüssig. Eigentlich müssten sie nach links abriegeln. Aber um ihnen den Auftrag zu geben und sie aufzustellen, hätte ich mit ihnen wieder zurückkriechen müssen, am Posten vorbei, und dann müsste ich wieder vorkriechen. Da konnten weitere Stunden vergehen, und dann wären wir vielleicht nicht mehr fähig, gut draufzugehen; wir waren jetzt schon steif vor Frost.
Schritte von mehreren Menschen im Graben. Sie schimpften auf irgend etwas. Drei Stimmen; es konnten aber noch mehr Menschen sein. Was wollten die? Nicht weit rechts vor uns hielten sie an. Dort stand vielleicht ein Doppelposten. Dann müssten wir zwischen zwei Posten in den Graben.
Wieder Schritte. Zwei Menschen. Links war also auch ein Doppelposten? Sie gingen an uns vorbei. Husten.
Ein Gespräch. Das war die Ablösung.
Schritte zweier Menschen, aber nach links. Weshalb einen andern Weg, als sie gekommen sind? Kommen sie später zurück?
Wir lagen still. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen, um nicht noch steifer zu werden. Es blieb still, nur manchmal ein Husten.
Jetzt kamen sie nicht mehr zurück. Vielleicht mussten die beiden den Graben ein Stück abgehen und dann in einem andern Graben zurückkehren.
Ich stieß Hartenstein und Leuschel an. Hartenstein erhob sich, wir andern auch.
Erst vorsichtig durch den Draht.
Ich rannte auf den Graben zu.
Hinter mir ein Fall. Einer platzte lachend heraus.
Ich sprang in den Graben, Hartenstein und Leuschel dicht hinter mir. Es konnten nur fünfzehn Schritt zum Posten sein. Wir rannten.
Ein Geräusch vor uns.
Ein Schuss von hinten.
Der Postenstand war leer, nur eine Handgranate. Der Posten war ausgerissen. Das verfluchte Lachen! Ich kletterte aus dem Graben nach links. Zwei Schüsse fast zu gleicher Zeit von hinten. Wir rannten nach dem Drahthindernis. Von links zwei Schüsse. Durch den Draht! Hinter mir flüsterte einer kläglich. Ich war durch das Hindernis und kniete hin. Ein Schuss!
Alle kamen nach. Eine Leuchtkugel ging hoch. Wir warfen uns hin. Mehrere Schüsse vorbei. Sie sahen uns wohl nicht.
Wieder eine Leuchtkugel. Noch zwei Schüsse und lautes hastiges Reden. Wir waren noch nicht außer Gefahr. Sie konnten uns beim vorderen Hindernis den Weg abschneiden. Aber das wäre für uns ein Vorteil. Dann könnten wir mit unsern sieben Mann draufstoßen in der Richtung auf unsere eigenen Gräben.
Die Leuchtkugeln verglimmten. Wir krochen nach dem vorderen Drahtverhau. Einer kam zu mir.
„Lesche hat einen Beinschuss."
„Kann er mit?"
„Ja."
Wir kamen unbelästigt durchs vordere Hindernis und gingen dann aufrecht weiter. Lesche humpelte. Ich merkte erst jetzt, wie verfroren ich war.
„Ich mache nie wieder 'ne Patrouille mit solchen jungen Kerlen, die sich nicht zusammennehmen können!" knurrte Hartenstein.
Vor unserm vordersten Graben stand Trepte. „Nichts?"
„Nichts - nur einen Verwundeten. - Geht in eure Unterstände! Ich muss zu Herrn Oberleutnant." Löhberg schlief und wurde geweckt. Ich berichtete.
„Das war die letzte Hoffnung", sagte er. „Es hilft nichts. Morgen werden wir abgelöst."

 

IX.

Am nächsten Abend wurden wir abgelöst und marschierten ins Lager. Ich war sehr müde.
Am folgenden Morgen traten wir vor den Baracken abmarschbereit an. Die Leute der missglückten Großpatrouille von neulich waren noch nicht aus Ménicourt da, wo sie nach dem Unternehmen untergekommen waren.
„Unglaublich!" sagte Lößberg. „Vor einer halben Stunde hätten sie schon dasein müssen! - Aber wenn sie einen nicht mehr brauchen, lassen sie einen einfach im Stich! - Feldwebel, haben Sie auch sagen lassen, dass ich den Leutnant Lindner nicht zu sehen wünsche?"
„Jawohl, Herr Oberleutnant."
Lößberg hatte an uns längst seine Abschiedsrede gehalten. Wir standen und warteten auf die Patrouillenleute. Das Gras zwischen den Fichten war niedergetreten. Die Wagenspuren und Stiefeleindrücke waren mit harten Kanten gefroren.
Da bog Sänger um die Waldecke, den Kragen offen und das Gewehr übermäßig hintenüber gelassen. Die andern wurden sichtbar. Jeder latschte, wie er wollte. Einer hatte den Helm auf dem Kopfe, der andere in der Hand.
Ich hatte meine Leute nie so gesehen. Das musste Absicht sein.
„Können Sie nicht Ihre Mannschaften ordentlich herführen, wenn Ihr Kompanieführer sich von Ihnen verabschieden will, Unteroffizier Sänger?"
Sänger ließ halten und stellte auf.
„Einer hat noch den Helm in der Hand, Unteroffizier Sänger!"
„Patrouille Lindner ohne Herrn Leutnant Lindner zur Stelle!" meldete Sänger.
Lößberg sah ihn sprachlos an.
„Ich habe Sie herberufen", schrie Lößberg, zitternd vor Wut, „um mich von Ihnen zu verabschieden! Ich hatte damit gerechnet, dass Sie so auftreten würden, wie Sie es von mir gelernt haben!" Lößberg fasste sich auf einmal. „Sie sind allerdings - das weiß ich - an dem Misserfolg nicht schuld. Einem guten Führer gelingt alles! Von einem schneidigen Kerl lässt sich Unmögliches verlangen, von einem Feigling nichts! - Ihr Führer, der heute nicht da ist, war nicht der geeignete; sonst hätten wir heute Gefangene, Auszeichnungen und Ruhm. Feigheit hat alles zunichte gemacht!"
Lößberg ritt fort. In der Kompanie murmelte es.
„Ja", hörte ich eine noch junge Stimme, „der Leutnant Lindner ist dran schuld."
„Halt 's Maul, wenn du nichts verstehst!" sagte Sänger. „Wer ist denn feige und verdrückt sich vor der Offensive?"
„Still da!" sagte der Kompaniefeldwebel. „Kompanie stillgestanden!"
Er meldete dem Bataillonskommandeur, der mit Lamm geritten kam. „Wo ist Herr Oberleutnant Lößberg?" „Eben fortgeritten, Herr Major."
„Haben Sie ihm nicht übermittelt, dass ich mich hier von ihm verabschieden wollte?"
„Jawohl, Herr Major, und ich habe Herrn Oberleutnant eben noch einmal daran erinnert."
Der Major wendete seinen Kopf zu Lamm, sprach etwas leise mit ihm, wendete sein Pferd und ritt mit zusammengekniffenen Lippen davon.
„Dritte Kompanie!" rief Lamm. „Ich übernehme wieder meine Kompanie! Ich hoffe, ihr freut euch so darüber wie ich!"
Wir rückten ab. Die Kompanie war vergnügt, weil wir wieder Lamm als Führer hatten. Nach mehrstündigem Marsch kamen wir zu der Bahnstation, auf der wir verladen werden sollten.
Lamm nahm mich beiseite und wollte mir eben etwas sagen, als Lindner rasch gegangen kam.
„Verzeihen Sie!" sagte er zu Lamm. „Kann ich mal mit
Renn sprechen? - Ist das wahr, dass mich der Oberleutnant einen Feigling genannt hat?" Ja."
„Was soll ich tun?"
„Sprechen doch Herr Leutnant mit unserm neuen Kompanieführer."
Lindner ging zu Lamm, Sie gingen zusammen zum Major. Lamm kam zurück. Er war nachdenklich.
Jetzt begriff er wohl, warum ich Lößberg so gehasst hatte. Der Zug kam, und wir stiegen ein.



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