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Walter Müller – Wenn wir 1918 … (1930)
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Dritter Teil
Der Sozialismus marschiert!

Sondernummer – Vorwärts - 1. Januar 1920

Wirtschaft und Arbeit in der N.E.F.

Wir haben eine Anzahl leitender Genossen aufgefordert, über die wichtigsten Einrichtungen und Maßnahmen der N. E. F. auf wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiet zu berichten. Die eingegangenen Antworten sind in vorliegender Sondernummer zusammengefasst:

Die Sozialversicherung
Die Reorganisation der Sozialversicherung ist abgeschlossen. Wir leugnen nicht, dass die Neuregelung für viele früher privilegierte Arbeiterschichten vorübergehend eine Verschlechterung bedeutet. Alle Arbeitnehmer müssen jetzt 10% ihres vollen Lohnes als Sozialversicherungsbeitrag zahlen. Derselbe Betrag ist von den sozialisierten Unternehmungen bzw. von den privaten Arbeitgebern zu zahlen. Die Alters- und Unfallrenten sind bedeutend erhöht worden. Heilbehandlung und Medikamente sind für alle Angehörigen der werktätigen Klasse vollkommen frei. Die Lauferei nach dem Krankenschein hat aufgehört. Die Verwaltungskosten, die fast 10% der Betriebseinnahmen verzehrten, wurden auf 1% heruntergedrückt. Jugendliche stehen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres unter regelmäßiger ärztlicher Aufsicht. Da das Krankengeld in Höhe von 70 bis 90% des Verdienstes bis zur Dauer von 6 Monaten vom Werk bzw. vom Privatarbeitgeber gezahlt werden muss, da außerdem in diesem Jahre die Altersgrenze von 65 Jahren infolge des Arbeitermangels noch aufrechterhalten bleibt, wird die Gesamtheit der Arbeitnehmer in diesem Jahre an Beiträgen weit mehr aufbringen als sie an Leistungen erhält. Der Beitragsüberschuss der Sozialversicherung der N.E.F. wird in diesem Jahre voraussichtlich 1,4 Milliarden Goldmark betragen. Sie wird bedeutend weniger ausgeben als einnehmen. Warum? Zum Zweck der Kapitalbildung? Gibt es dafür nicht geeignetere Objekte? Gewiss, aber wir müssen jede Möglichkeit der Kapitalbildung wahrnehmen. Wenn wir gerade auf dem Gebiete der Sozialversicherung so krasse Maßnahmen anwenden, so hat dies einen besonderen Zweck. Wir wollen hierdurch nicht etwa indirekt die Einkommensteuer wieder einführen, die für alle Werktätigen mit weniger als 200 Mark Monatseinkommen aufgehoben ist. Wir wollen aber in diesen ersten Jahren der stärksten Kapitalknappheit, in den Jahren, in denen wir Milliarden und aber Milliarden in neue Werke hineinstecken müssen, die erst viel später eine Erhöhung des individuellen Konsums ermöglichen, jährlich größere Summen aus der Sozialversicherung für produktive Zwecke entnehmen, um sie später doppelt und dreifach zurückzuzahlen. Vom 1. Januar 1921 ab werden die Altersrenten jährlich um 10% erhöht, die Altersgrenze alljährlich um ein Jahr herabgesetzt. Bald tritt dann der Zeitpunkt ein, an dem die Einnahmen vielleicht nicht mehr genügen, um die gesteigerten Ausgaben zu decken. Bis dahin aber ist die Industrialisierung der Welt einen großen Schritt weiter gekommen. (Vorausgesetzt natürlich, dass wir das Tempo unserer Arbeit nach wie vor beschleunigen und die Löhne nicht übereilt erhöhen.) Dann können die Rückzahlungen an die Sozialversicherung beginnen. Heute und morgen aber müssen wir jede Möglichkeit der Kapitalbildung ausnützen, auch wenn sie im ersten Augenblick unsozial erscheint.

Die Konsumgenossenschaften
Das Netz der Konsumgenossenschaften in der N.E.F. ist jetzt fast restlos ausgebaut. Ungefähr 90% der städtischen und 50% der ländlichen Bevölkerung werden von den Konsumgenossenschaften erfasst. Durch Dekret des Volkswirtschaftsrates der N. E. F. werden den Konsumgenossenschaften im nächsten Jahre ganz bedeutende Vergünstigungen zugestanden. Alle gemeinnützigen Konsumgenossenschaften haben in diesem Jahre keinerlei Abgaben (mit Ausnahme der Sozialbeiträge) zu leisten. Diese Vergünstigung genießen jedoch nur diejenigen Genossenschaften, die folgende Bedingungen voll erfüllen:
1. Die Genossenschaften fördern mit allen Kräften die Akkumulation von Sozialkapital.
2. Es werden keine Gewinnanteile ausgeschüttet (auch nicht für das abgelaufene Jahr).
3. Der Genossenschaftsanteil wird auf mindestens hundert Goldmark festgesetzt und muss in Wochenraten im Laufe des Jahres 1920 eingezahlt werden. Da die meisten Genossenschafter bereits 5o Mark Genossenschaftsanteil eingezahlt haben, wird also in den meisten Fällen wöchentlich noch eine Mark einzuzahlen sein.
4. Genossenschafter ist jeder werktätige Mann und jede werktätige Frau. Doppelmitgliedschaften in Familien mit mehreren werktätigen Personen sind also nicht nur zulässig, sondern sogar Pflicht. Alle Genossenschaften bzw. Genossenschaftsverbände erhalten (soweit dies noch nicht geschehen ist) von Staats wegen so viel Produktionseinrichtungen zinslos zugewiesen, dass auf den Kopf des Mitgliedes ungefähr 10 Goldmark entfallen. Alle weiteren Kredite müssen von der Genossenschaft bzw. vom Genossenschaftsverband möglichst bald aus Eigenkapital oder Spargeldern an die Zentralbank der N.E.F. zurückbezahlt oder mit 6% verzinst werden.
5. Die Genossenschaften sind Bestandteile der sozialistischen Planwirtschaft. Sie übernehmen alle Aufgaben, die ihnen von den Planwirtschaftskommissionen zugewiesen werden. Die Genossenschaft haftet solidarisch für alle Schäden, die durch unnötige, d. h. bei sorgfältiger Disposition vermeidbare Produktions- und Transportumwege entstehen.
6. Zweck der Genossenschaft ist die möglichst spesenlose Verteilung aller Waren auf dem kürzesten Wege an die Einzelmitglieder und korporativen Mitglieder (Arbeiterklubs, Kommunen, Gewerkschaften, Betriebsbelegschaften usw.) Die Großhandelspreise sind gesetzlich vorgeschrieben. Der beste Konsumverein ist jener, der die meisten Waren unter möglichst weitgehender Ausschaltung bezahlter Arbeit mit möglichst geringem Aufschlag auf den Großhandels- oder Gestehungspreis an die Mitglieder oder Unterabteilungen weiterleitet. Die Konsumvereine sind jedoch verpflichtet, ihre Eigenproduktion in den nächsten drei Jahren soweit auszubauen, dass sie in der Lage sind, ihre Mitglieder mit Frischmilch, Frischfleisch und Backwaren aus eigenen Betrieben zu versehen. Wenn die von Staats wegen zugewiesenen Betriebe hierfür nicht ausreichen und der fehlende Bedarf an Produktionseinrichtungen mit dem verfügbaren Genossenschaftskapital und den zulässigen Krediten nicht gedeckt werden kann, muss der Genossenschaftsanteil erhöht werden.
7. Die Genossenschaften sind verpflichtet, alle Kleinhändler und kleinen Gewerbetreibenden, die in der Genossenschaft aufgehen wollen, aufzunehmen und solange zu beschäftigen, bis ihnen eine andere produktive Beschäftigung zugewiesen wird. Eine Abfindungssumme für Aufgabe des Geschäftes darf im Regelfalle nicht gezahlt werden. Bis zur Höhe von 10000 Mark sind jedoch alle Einrichtungsgegenstände und einwandfreien Waren zu übernehmen. Die Einrichtungsgegenstände können je nach Beschaffenheit mit 10 bis maximal 80% des Anschaffungswertes veranschlagt werden. Die Waren sind mit 90% des Großhandelspreises zu bewerten. Die Bezahlung erfolgt nicht in bar, sondern in Sozialisierungsanleihe, die von dem neuen Genossenschafter in voller Höhe des Kaufpreises gezeichnet und vom aufnehmenden Konsumverein an die Anleiheausgabestelle bezahlt werden muss. Restbeträge unter 100 Mark können in bar ausgezahlt werden.
8. Die Genossenschaften beteiligen sich mit 30% ihres Eigenkapitals an den Bezirksgenossenschaftsverbänden.

Die Bezirksgenossenschaftsverbände
werden für je einen Wirtschaftsbezirk gebildet. Ihre Hauptaufgabe ist die Organisation des Verkehrs zwischen der Z. E. G. und den einzelnen Genossenschaften und die Organisation des Warenverkehrs zwischen selbständigen Produktiv- und Konsumgenossenschaften des eigenen Wirtschaftsbezirks. Diese Tätigkeit soll jedoch möglichst nur vermittelnder Natur sein. Die Hauptaufgabe des Bezirksverbandes ist nicht die Organisierung eines Apparats zwischen Produzenten und Konsumenten, sondern im Gegenteil die möglichst restlose Organisation des Warenverkehrs unter Vermeidung aller Zwischenstufen. Die Bezirksverbände übernehmen ferner Produktionsaufgaben, die den Rahmen einer einzelnen Genossenschaft, jedoch nicht den Rahmen des Bezirks überschreiten. Diese Aufgaben können industrieller, gewerblicher und landwirtschaftlicher Natur sein. Die Bezirksgenossenschaftsverbände erhalten von Staats wegen geeignete Produktionseinrichtungen zugewiesen. Bis zur Höhe von 10 Mark pro Mitglied der angeschlossenen Genossenschaften ist das zugewiesene Produktionskapital zunächst nicht zu verzinsen. Der diesen Betrag übersteigende Teil des zugewiesenen Produktionskapitals muss mit 6% verzinst und baldmöglichst an die Zentralbank der N.E.F. zurückgezahlt werden.
Die Bezirksverbände organisieren ferner den Warenverkehr zwischen den im Bezirk gelegenen staatssozialistischen Betrieben und den Genossenschaften.
Die Bezirksgenossenschaftsverbände entsenden 10 Delegierte in den Bezirkswirtschaftsrat.
Die Bezirksverbände haben weiterhin darüber zu wachen, dass keine überflüssigen Produktions- und Transportumwege innerhalb des Bezirks und im Verkehr mit anderen Wirtschaftsbezirken eintreten. Alle höheren Funktionäre haften mit dem 150 Mark überschreitenden Teil des Monatseinkommens für alle Schäden, die aus der Vernachlässigung dieser Pflichten entstehen. Die Schadenhaftung tritt nicht nur bei böswilligem Verschulden, sondern auch bei Fahrlässigkeit ein. Grobe Fahrlässigkeit wird bei Nichtparteimitgliedern mit Freiheitsstrafe, bei Parteigenossen mit Ausschluss und in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.
Die Bezirksgenossenschaftsverbände beteiligen sich mit der Hälfte ihres Eigenkapitals an der Zentraleinkaufsgesellschaft.

Die Zentraleinkaufsgesellschaft
ist die Spitzenorganisation aller Produktions- und Konsumgenossenschaften. Sie übernimmt gleichzeitig staatliche Aufgaben der N.E.F. und solche Verwaltungsaufgaben, die durch das Außenhandelsmonopol der S.U. bedingt sind. Die Z. E. G. ist also Träger des Außenhandelsmonopols der S. U. und zugleich Verhandlungspartner im Verkehr mit anderen Föderationen oder selbständigen Wirtschaftsgebieten der S. U. Ein Teil der Bestimmungen für die Genossenschaften und Bezirksverbände gilt sinngemäß für die Z. E. G. Die Z. E. G. hat enorme Zuweisungen an Produktions- und Verteilungseinrichtungen erhalten. Unter anderem sind ihr alle jene Handelsunternehmungen zugewiesen worden, deren Filialennetz sich seinerzeit über ganze Staaten erstreckte (Kaisers Kaffee-Geschäft z. B.). Außerdem übernahm sie die Warenhäuser und Handelsgesellschaften, deren Kapital eine Million Goldmark überstieg. (Die Handelsbetriebe mit einem Kapital von 10 bis 100000 Goldmark sind den einzelnen Genossenschaften, die Betriebe mit einem Kapital von 100000 bis 1000000 Goldmark den Bezirksgenossenschaftsverbänden zugewiesen worden.) Ebenso wie bei den Genossenschaften und Bezirksgenossenschaftsverbänden bleibt von dem zugewiesenen Kapital ein Betrag von 10 Mark pro Mitglied der angeschlossenen Genossenschaften zinsfrei; Stichtag für die Mitgliederzahl ist in allen Fällen der 1. Juli 1920. Der diesen Betrag übersteigende Teil muss mit 6% an die Zentralbank der N.E.F. verzinst und mit mindestens 5% amortisiert werden. Alle Betriebe der Z. E. G., der Bezirksverbände und der einzelnen Genossenschaften sind im Jahre 1920 von der zehnprozentigen Produktionsabgabe befreit. Der Wirtschaftsrat der N.E.F. hofft, dass diese Maßnahme genügen wird, um den gesamten privaten Handel im Bereiche der N.E.F. schon im laufenden Jahre zu erledigen. Die günstigen Übernahmebedingungen für die Kleinhändler gelten nur in diesem Jahre. Die Kleinhändler, die nicht in diesem Jahre freiwillig in den Genossenschaften aufgehen, werden in den nächsten Jahren rücksichtslos niederkonkurriert. Die Großhandelspreise der meisten erfassbaren Konsumtionsartikel in der N.E.F. sind jetzt trotz Berücksichtigung der zehnprozentigen Produktionsabgabe zum größten Teil auf Vorkriegshöhe fixiert. Die Genossenschaften können also durch die Kapitalzuweisung und Abgabenbefreiung die Großhandelspreise der meisten Waren, die sie in Eigenbetrieben herstellen, auf 80—90 % der Vorkriegspreise drücken. Da die Großhandelspreise generell festgesetzt sind, wird die Spanne den Überschuss dieser Betriebe darstellen, der zur Amortisierung der Darlehen oder, mit Zustimmung des Wirtschaftsrats, zur Erweiterung der Produktionsan-
lagen verwandt werden soll. Gutgeleitete Genossenschaften können trotzdem die Kleinhandelspreise auf 75—90 % der Vorkriegspreise drücken.
Pflicht jedes werktätigen Mannes und jeder werktätigen Frau ist es, am Ausbau ihrer Genossenschaft mitzuarbeiten und ihren Genossenschaftsanteil sobald wie möglich einzuzahlen.

Die Arbeiterklubs
Ü ber 23000 Arbeiterklubs sind bisher im Bereiche der N.E.F. entstanden. All diese Klubs haben ganz bedeutende Zuwendungen teils in barem Gelde, teils in Liegenschaften, Schlössern, Villen, Klubhäusern, Land- und Wochenendheimen sowie in Einrichtungsgegenständen erhalten. Dabei waren leider große Ungerechtigkeiten unvermeidlich. Es gibt heute bereits sehr wohlhabende, daneben aber noch sehr arme Klubs. Diese Unterschiede müssen verschwinden. Auch in Zukunft werden verschiedene Klubs bedeutende Zuwendungen von Betrieben oder Gewerkschaften erhalten. Im allgemeinen jedoch soll die Ausgestaltung des einzelnen Klubs von der Tüchtigkeit und Arbeitsfreudigkeit der eigenen Mitglieder abhängen. Dazu ist es notwendig, dass zuerst einmal eine möglichst gleiche Basis für alle Arbeiterklubs geschaffen wird. Alle Zuwendungen und Übereignungen, die vor dem 1. Januar 1920 erfolgten, sollen deshalb auf ihren Vorkriegswert geprüft werden. Jeder Klub soll soviel Eigenkapital erhalten, dass auf das einzelne Mitglied 5o Mark (Vorkriegswert) entfallen. Der diese Summe übersteigende Betrag muss, wenn er nicht zurückgegeben wird, vom Klub mit 4% verzinst werden. Maßgebend für diese Berechnung ist die Zahl der Vollmitglieder am 1. Juli 1920. Jeder Arbeiter und jede Arbeiterin darf nur in einem Klub Vollmitglied sein. Von dieser Regelung werden nur die Klubs betroffen, welche alle kulturellen Bedürfnisse der werktätigen Menschen befriedigen wollen. Für Klubs, die sich Spezialaufgaben gestellt haben, erfolgen noch besondere Anweisungen. Alle Klubs erhalten für ihre Vollmitglieder laufende Zuschüsse; für Hospitanten, die in einem anderen Klub ordentliches Mitglied sind, werden keine Zuschüsse gezahlt. Eine Ausnahme macht nur der Klub der Naturfreunde, dem grundsätzlich alle Werktätigen außer ihrem Mutterklub angehören sollen. Der Naturfreundeklub hat ganz bedeutende Zuweisungen von Land, Forst und ländlichem Hausbesitz erhalten. Außer der wechselnden Zuwendung für jedes ordentliche Klubmitglied (z. Zt. 90 Mark) erhält er für jedes Gastmitglied jährlich 5 Mark und hat außerdem Anspruch auf 5o Mark unverzinslichen Eigenbesitz für jedes Gastmitglied und auf 100 Mark für jedes Vollmitglied.
Das Mindesteintrittsgeld für jeden Klub wird auf 3 Mark, der Mindestmonatsbeitrag auf 1 Mark festgesetzt. Jeder Klub muss seine Mitglieder, ohne Eintritt zu erheben, mit Kino- und Theatervorstellungen sowie mit Musikvorträgen versorgen. Er muss alle vernünftigen Unterhaltungs - und Fortbildungsbestrebungen seiner Mitglieder befriedigen und ihnen jederzeit einen angenehmen Aufenthalt bieten. Alle Klubs mit mehr als 1000 Mitgliedern erhalten von jeder Buchneuerscheinung ein Gratisexemplar ihrer Sprache für ihre Bibliothek. Alle kleineren Klubs haben das Recht, je ein Exemplar aller Neuerscheinungen zum halben Preise zu erwerben. Alle Klubs müssen in der Lage sein, begabte Mitglieder, die sich künstlerisch oder wissenschaftlich fortbilden wollen, aus Klubmitteln zu fördern, solange sie noch nicht zum Eintritt in die Arbeiterfakultäten reif sind. Für diejenigen, die zweimal bei der Aufnahmeprüfung in eine Arbeiterfakultät durchgefallen sind, braucht der Klub keine Ausgaben mehr zu übernehmen.
Alle Arbeiterklubs, die diesen Anforderungen bis zum Ende des Jahres nicht entsprechen können, erhalten im nächsten Jahre keine Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln mehr.
Sie werden dann entweder aufgelöst oder mit leistungsfähigeren Klubs verschmolzen.

Die Gewerkschaften
95% aller Werktätigen in der Stadt und 65% aller Werktätigen auf dem Lande sind gegenwärtig in Gewerkschaften organisiert. Die Beiträge zu allen Gewerkschaften werden ab 1. April einheitlich auf 4 Mark monatlich festgesetzt. Die Hauptaufgaben der Gewerkschaften im Übergangsstadium zum Sozialismus sind:
Einrichtung und Unterstützung von Arbeiterklubs und kulturelle Versorgung derjenigen Gewerkschaftsmitglieder, die keinem Klub angehören.
Errichtung von Wirtschaftsschulen für die Mitglieder. Verbreitung von volkswirtschaftlichen und technischen Kenntnissen in den Reihen der Mitglieder.
Auslese und Ausbildung von fähigen Mitgliedern für höhere Arbeitsplätze in der Wirtschaft.
Veranstaltung von Kursen über Betriebsleitung, psychotechnische Prüfung (Berufseignung) und Rationalisierung. Anleitung und ständige Fortbildung der Betriebsräte und roten Direktoren.
Vorbereitung von begabten Mitgliedern und Jugendlichen für den Besuch der Baugewerksschulen und technischen Hochschulen.
Propaganda für ständige Leistungssteigerung unter Innehaltung der Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen. Allgemeine politische Schulung aller Mitglieder und besonders sorgfältige Schulung derjenigen Mitglieder, die gewillt und würdig sind, in die Partei einzutreten, bis zur Aufnahmeprüfung.
Die Gewerkschaften sind einer der wesentlichsten Organisationsfaktoren der neuen Gesellschaft. Sie haben gleichzeitig das Gesamtinteresse gegen unberechtigte Ansprüche des einzelnen und die Einzelinteressen gegen unbefugte Machtüberschreitungen von Staats - und Wirtschaftsorganen zu vertreten. Sie verbinden den Einzelmenschen mit der Partei und mit der Gesamtheit. Sie müssen einschreiten, wenn ein unfähiger roter Direktor oder ein ungeeigneter Spezialist durch Umgehung der Arbeiterschutzbestimmungen oder durch brutale Schinderei statt durch geeignete und klug durchdachte Maßnahmen eine Leistungssteigerung erzielen will. Sie müssen aber ebenso einschreiten, wenn eine Erfolg versprechende Rationalisierungsmaßnahme an der Bequemlichkeit einzelner Leute zu scheitern droht, die sich von ihrem lieb- aber überflüssig gewordenen Arbeitsplatz nicht trennen wollen.
Gewerkschaften und Betriebsräte haben darüber zu wachen, dass alle Fortschritte der Gewerbehygiene so weit wie möglich angewandt werden, dass die sanitäre Versorgung allen Anforderungen der Neuzeit entspricht, dass die bestmöglichen Licht- und Luftverhältnisse am Arbeitsplatz herrschen, dass in den Werkkantinen und Werkkommunen keine Korruption einreißt, dass genügend billige und erstklassige Lebensmittel herangeschafft werden, dass vor Beginn und nach Ende der Arbeitsschicht eine billige warme Mahlzeit verabreicht wird, dass immer genügend kalte und warme alkoholfreie Getränke zum Selbstkostenpreise vorhanden sind, dass vor und während der Arbeitszeit kein Alkohol ausgeschenkt wird, dass die Kinderkrippen und Kinderheime in Ordnung sind.
Die Gewerkschaften haben entscheidend mitzubestimmen bei der Besetzung unzähliger Ehrenämter. Kurzum, die Aufgaben der Gewerkschaften im Übergangsstadium zur sozialistischen Gesellschaft umfassen fast alle Gebiete des modernen sozialen Lebens. Nur eine Aufgabe haben die Gewerkschaften nicht mehr eine Aufgabe, die früher den Hauptinhalt des Gewerkschaftslebens bildet: den Kampf um den individuellen Arbeitslohn.
Der direkte Arbeitslohn spielt im Leben des Werktätigen längst nicht mehr die Rolle wie im Kapitalismus. Viele Aufgaben, die früher individuell gelöst werden mussten, sind jetzt schon von der Gesamtheit oder von Teilen der Gesamtheit übernommen worden. Dieser Aufgabenkreis wächst ständig. Der Kollektivlohn wird immer mehr zunehmen auf Kosten des Individuallohns. Der Einzellohn bleibt voraussichtlich stehen, während der Kollektivlohn immer weiter wachsen wird.
Aber Kollektivlohn wie Einzellohn sind von dem Grad der Leistungssteigerung in der Produktion abhängig. In der ersten Zeit werden die Löhne freilich nicht ebenso schnell wachsen wie die Produktion, da wir zunächst die ganze Welt elektrifizieren und industrialisieren und in dieser Zeit sehr viel Arbeit in solchen Wirtschaftszweigen anlegen müssen, in denen sich die Erhöhung der Verbrauchsgütererzeugung erst später bemerkbar machen wird.
Nicht mehr, wie früher, Kampf gegen die Unternehmer und ihren Staat, sondern Aufklärung über volkswirtschaftliche Zusammenhänge, stetige Agitation für Rationalisierung und Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Senkung der Gestehungskosten und Propaganda für fortlaufende Zeichnung von Sozialisierungsanleihe, — das sind die neuen Aufgaben unsrer Gewerkschaften.

Der Jahresrichtlohn
Als Durchschnittslohn für das Wirtschaftsjahr 1920 ist vom Zentralwirtschaftsrat der N.E.F. 1 Goldmark pro Stunde bei durchgehender sechsstündiger Arbeitszeit festgesetzt worden. Dieser Normallohn wird gezahlt an ledige gelernte Arbeiter und an verheiratete ungelernte Arbeiter ohne Kinder, wenn die Frau nicht selbst erwerbstätig ist. Der ledige ungelernte Arbeiter soll bei sechsstündiger Arbeitszeit 90 Pfennig pro Stunde erhalten. Für die nicht erwerbstätige Frau und für jedes Kind wird eine Sozialzulage
von 10 Pfennig pro Stunde gezahlt.
per Mindeststundenlohn beträgt in der

Privatwirtschaft staatl. und genossenschaftl. Wirtschaft
Ab 1. Januar 80 Pf. 70 Pf.
Ab 1. Februar 90 Pf. 80 Pf.
Ab 1. März 100 Pf. 90 Pf.
Ab 1. April 100 Pf. 90 Pf. Für ungelernte ledige und 100 Pf. Für verheiratete ungelernte und ledige gelernte Arbeiter

Eine weitere Steigerung des Individuallohns nach dem 1. April ist nicht vorgesehen, obwohl man für dieses Jahr mit einer Verdoppelung der industriellen Produktion gegenüber 1913 rechnet. Alle Löhne werden ab 1. Mai um 10% gekürzt, wenn die vorgesehene Produktionssteigerung bis dahin nicht eingetreten ist und nicht mindestens für 10 Milliarden Goldmark Sozialisierungsanleihe im Gebiet der N.E.F. gezeichnet sind. Allen Kleingewerbe- und Kleinhandeltreibenden, die nicht nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit Sozialisierungsanleihe zeichnen, wird die Konzession entzogen.
Vom Parteiexekutivausschuss sind folgende Richtlinien für die fortlaufende Zeichnung von Sozialisierungsanleihe festgesetzt worden: Ledige Parteiangehörige haben 20% ihres Einkommens in Sozialisierungsanleihe anzulegen. Dasselbe gilt für verheiratete Parteiangehörige, wenn beide Eheleute erwerbstätig sind. Verheiratete kinderlose Parteiangehörige müssen, wenn ein Ehepartner nicht erwerbstätig ist — das sollte es eigentlich nicht mehr geben! —, mindestens 15%, verheiratete Parteiangehörige mit Kindern mindestens 10% ihres Einkommens in Sozialisierungsanleihe anlegen. Von dem Einkommensteil von 150—200 Mark monatlich sind in jedem Falle mindestens 25%, von dem Einkommensteil von 200—300 Mark mindestens 50% in Sozialisierungsanleihe anzulegen. Die Parteigenossen, die noch mehr verdienen, müssen für den ganzen 300 Mark übersteigenden Einkommensteil Anleihe zeichnen; der nächste internationale Parteitag wird übrigens beschließen, dass das Parteimaximum herabzusetzen ist.
Die Erfüllung dieser Pflichten wird vielleicht manchem Parteigenossen schwer fallen. Aber es nützt nichts. Wir müssen der übrigen Bevölkerung mit gutem Beispiel vorangehen. Jeder Sozialist muss für die Zukunft Opfer bringen und im Augenblick seine persönlichen Ausgaben einschränken. Es darf für den Sozialisten jetzt kein persönliches Glück und Unglück geben. Wir müssen in den nächsten Jahren Produktionsfanatiker werden. Wir müssen uns glücklich schätzen, wenn wir unsere Produktionsziffern überholen, und es als schrecklichstes Unglück empfinden, wenn die Produktion irgendwo hinter unseren Plänen zurückbleibt.
Fünf Millionen Mitglieder und Kandidaten zählt unsere Partei im Bereiche der Nordeuropäischen Föderation. Wenn durchschnittlich nur 200 Mark von jedem Parteimitglied gezeichnet werden, so ist das eine Milliarde. Eine weitere Milliarde ist von verschiedenen Arbeitervereinen auf Anhieb korporativ gezeichnet worden. Damit ist ein Fünftel unseres diesjährigen Programms erfüllt.

Der Sechsstundentag
Die Frau in der Produktion
Die Arbeiterfakultäten
Volkswirtschaftler behaupten, dass wir zu früh zum Sechsstundentag übergegangen sind und auch die Löhne zu früh erhöht haben. An diesen Behauptungen ist etwas Richtiges. In allen gutgeleiteten Betrieben, in denen die Belegschaft verständnisvoll an der Hebung der Arbeitsintensität mitarbeitete, ist bei allen früheren Arbeitszeitverkürzungen eine Leistungssteigerung pro Schicht erzielt worden. Beim Übergang vom Dreischichten- zum Vierschichtensystem, bei der Einführung der ununterbrochenen Sechsstundenschicht an Stelle der durch drei Pausen unterbrochenen Siebenstundenschicht ist die Leistung dagegen nicht in demselben Maße gewachsen. Es ist eine Leistungssteigerung von nur 10—20 % an Stelle der veranschlagten 25—30 % eingetreten. Das war noch tragbar, solange die Löhne hinter der tatsächlichen Produktion wesentlich zurückblieben. Die Steigerung des allgemeinen Lohniveaus hemmt jedoch unsere Akkumulation und damit unsere ökonomische Bewegungsfreiheit. Im Augenblick können die meisten Betriebe ohne Erhöhung der Gestehungskosten gerade noch die 10 prozentige Produktionsabgabe aufbringen. Bei allgemeiner Erreichung des Richtlohns wird jedoch selbst das kaum mehr möglich sein. Für die Dauer von einigen Monaten kann dieser Akkumulationsausfall durch die Erträge der Sozialisierungsanleihe gedeckt werden. Dann aber muss die Umstellung von einigen tausend weiteren Betrieben auf die modernsten Produktionsmethoden durchgeführt sein. Ebenso müssen bis dahin die Arbeiten der Normen- und Standardisierungskommissionen zum Abschluss kommen. Eine weitere Ursache der unbefriedigenden Akkumulation ist der Arbeitermangel. Wir dürfen vorläufig keine weiteren Arbeitskräfte mehr aus dem Osten heranziehen, denn die Wohnungsnot ist zu groß. Alle bis zu 50% erwerbsfähigen Männer haben wir bereits in die Produktion eingereiht. Über eine Million Männer, die das 65. Lebensjahr überschritten haben, arbeiten freiwillig. Wir müssen an die letzte große Reserve herangehen, die wir noch haben, an die Frauen. Und das ist gut so. Am Ende des vergangenen Jahres waren allein in Deutschland schon 2 Millionen Frauen mehr als im Kriege in der Produktion beschäftigt. In diesem Jahre sind im Bereich der Nordeuropäischen Föderation mindestens weitere 3 Millionen Frauen heranzuziehen, wenn wir unsere umgestellten Produktionseinrichtungen im Vierschichtensystem restlos ausnützen wollen. Damit ist der erste Schritt zur wirklichen Emanzipation der Frau getan. Die Frau wird aufhören, Haussklavin zu sein. Sie wird im Laufe der Zeit dem Manne wirklich ebenbürtig werden. Die Sorge um die Kinder ist behoben. Die Kinder haben es in den Kinderheimen und Schulklubs viel besser als im Arbeiterhaushalt. Nach dem Bericht der Kontrollkommissionen sind in Mitteleuropa jetzt alle Kinderheime vorbildlich eingerichtet. Nur im ehemaligen Polen und in Oberschlesien sowie in Waidenburg lassen die sanitären Einrichtungen noch zu wünschen übrig. Die volle Kinderspeisung bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres soll bis zum 1. Mai überall durchgeführt werden. Die größte Sorge der Frau, die Ernährung und Bewachung der Kinder, ist ihr also abgenommen. Aber auch die Aufgabe der Bedienung des Mannes hat den unwürdigen Charakter der bezahlten Pflicht verloren und ist eine rein freiwillige Angelegenheit geworden. Die Lebenszelle des werktätigen Menschen ist nicht mehr der ärmliche Arbeiterhaushalt, sondern der Klub. In ihm werden alle wesentlichen kulturellen Bedürfnisse befriedigt. Die werktätige Frau muss nun zeigen, dass sie mit ihrer Freizeit auch etwas Vernünftiges anzufangen weiß. Sie muss sich ebenso wie der werktätige Mann auf mindestens einem Gebiete des öffentlichen Lebens betätigen, das ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Arbeit ist genug vorhanden: im Betriebsrat, in der Werkkommune, im Klub, im Kinderheim, in der Partei, in Gewerkschaften und Genossenschaften, in der Landagitation usw. Der Sechsstundentag gibt uns die Möglichkeit, wiederum eine ganze Anzahl von Verwaltungsarbeiten, die früher von Beamten geleistet wurden, ehrenamtlich auszuführen, wodurch wiederum Arbeitskräfte für die Produktion freigesetzt werden.
Der Unterschied zwischen Kopf- und Handarbeitern beginnt langsam zu verschwinden. Viele geistige Arbeiter leisten heute bereits ihre sechs Stunden Handarbeit im Betrieb und fühlen sich sehr wohl dabei, denn in ihrer freien Zeit können sie sich jetzt mit Arbeiten beschäftigen, die ihnen wirklich Vergnügen bereiten und ihren Neigungen entsprechen. Andere wieder leisten in ihrer freien Zeit Verwaltungsarbeiten oder beschäftigen sich mit ihrer wissenschaftlichen Fortbildung.
Die Universitäten der N. E. F. sollen mit Beginn des neuen Semesters ungefähr 100000 Arbeiter aufnehmen, die sich auf das Universitätsstudium vorbereiten wollen. Die Teilnehmer an Vorbereitungskursen für die Arbeiterfakultäten müssen in jeder Woche drei Tage je sechs Stunden lang arbeiten und erhalten den vollen Lohn. Auch die Mitglieder der Arbeiterfakultäten erhalten von ihrem Mutterwerk den vollen Arbeitslohn und müssen dafür wöchentlich zwölf Stunden im Betrieb arbeiten.
Die Studenten der Universitäten erhalten Staatsstipendien und müssen wöchentlich sechs Stunden manuelle Arbeit leisten. Die Wahl des Betriebes steht ihnen frei. Für die Professoren und Dozenten wurde ebenso wie für alle juristischen und Verwaltungsbeamten eine manuelle Pflichtarbeitszeit von sechs Stunden pro Monat festgesetzt. Der Unterschied zwischen Akademikern und Nichtakademikern wird also langsam verschwinden. Jeder Handarbeiter kann sich auf das ordentliche Universitätsstudium vorbereiten oder nach Ablegung einer Prüfung und entsprechender Vorbereitung ein halbes Jahr lang kostenlos ein Volkshochschulheim besuchen.

Die Angleichung der Löhne und Gehälter
ist in der Nordeuropäischen Föderation weiter fortgeschritten als in allen anderen Gebieten der S.U. Am schlimmsten steht es in dieser Beziehung immer noch in Russland, China und Indien, wo einer ungeheuren Zahl von Analphabeten und ungelernten Arbeitern eine verschwindend geringe Zahl von gelernten Arbeitern und hochqualifizierten Spezialisten gegenübersteht. Obwohl bereits viele Millionen Westeuropäer in diesen Ländern tätig sind, ist der Mangel an Facharbeitern und Spezialisten noch lange nicht behoben. Dazu kommt, dass die Gesamtproduktivität dieser Gebiete im Durchschnitt nicht einmal 30% der westeuropäischen erreicht. Die Löhne der ungelernten Arbeiter sind infolgedessen noch außerordentlich niedrig, während gewisse Facharbeiter und technische Spezialisten besser entlohnt werden als in Westeuropa. Von der Steigerung der westeuropäischen Produktion und von dem Ausmaß unserer technischen, finanziellen und wirtschaftlichen Hilfeleistung hängt es ab, wann diese ungesunden Zustände in den unerschlossenen Gebieten der S. U. verschwinden. Unverantwortlich ist es, wenn neuerdings, unter Berufung auf die Verhältnisse im Osten, in den Angestelltensektionen der Gewerkschaften Stimmen laut werden, die eine Gehaltserhöhung für die Angestellten in leitender Stellung verlangen. Das Maximum für höchstqualifizierte technische Direktoren, das im Bereich der N.E.F. gegenwärtig noch an ungefähr 1000 Personen gezahlt wird, beträgt nach wie vor 1000 Mark monatlich. Ungefähr 10000 leitende Angestellte (Nichtparteimitglieder) beziehen noch Gehälter von über 500 Goldmark. Alle diese Direktoren und Angestellten dürfen in keinem Klub aufgenommen werden, gehen also der zahlreichen Vergünstigungen für Klubmitglieder verlustig. Deshalb haben sich auch viele leitende Angestellte, die nicht Parteimitglied sind, freiwillig mit der Reduzierung ihres Gehaltes auf 500 Mark einverstanden erklärt. Ungefähr 80000 leitende Angestellte in der Nordeuropäischen Föderation erhalten über 400 Mark Monatsgehalt, ungefähr 200000 über 300 Mark. Die Hälfte der qualifizierten Angestelltenschaft und des Verwaltungs- und Lehrpersonals erhält 200 bis 250 Mark Monatsgehalt. Als Richtsatz für das Gehalt eines qualifizierten Angestellten sind monatlich 200 Goldmark vorgesehen (Stichtag
1. Juli 1920). Da an diesem Tage die staatlichen Zuwendungen an die Klubs verdoppelt werden sollen, dürfte sich die Reduzierung der Gehälter für die Mehrzahl der Angestellten in gehobener Stellung kaum fühlbar machen. Eine Massenabwanderung nach Amerika ist nicht mehr zu befürchten. Zweifellos sind die amerikanischen Löhne und Gehälter immer noch wesentlich höher als die der Union; aber in wenigen Jahren wird sich das grundlegend geändert haben. Ein Vergleich der Nominallöhne wird überdies immer schwieriger, da der Individuallohn bei uns eine immer geringere Rolle im Leben des werktätigen Menschen spielt. Wenn wirklich noch einmal 100000 Angestellte nach Amerika auswandern sollten, so werden wir mit Leichtigkeit in der Lage sein, sie zu ersetzen.

Die Gehälter der Auslandsvertretungen
Das Parteimaximum, das nominell immer noch 500 $ beträgt, ist praktisch durch die Anleihezeichnungspflicht bereits auf 300 $ herabgesetzt worden. Der nächste Parteitag wird die Herabsetzung auf 300 $, wenn nicht auf
250 $ beschließen. Eine Ausnahme machen lediglich die Gesandten in Amerika. Der erste Bevollmächtigte der Sozialistischen Union in Washington erhält ein Monatsgehalt von 1000 $, die ersten Wirtschaftsbevollmächtigten der Föderationen in Washington 5oo $. Die ersten Bevollmächtigten der S. U. in den größeren Staaten Südamerikas und in Mexiko erhalten 700 $, die Wirtschaftsbevollmächtigten der Föderationen 400 $. Die Gesandten der S.U. in den kleineren amerikanischen Staaten beziehen 500 $. Besondere Wirtschaftsvertretungen der einzelnen Föderationen sollen erst gar nicht eingerichtet werden. Diese Beschlüsse sind heftig umstritten worden. Man hat entgegengehalten, dass unsere Gesandten mit diesen Gehältern nicht repräsentieren können. Das sollen sie aber auch gar nicht. Sie sollen arbeiten und den amerikanischen Arbeitern zeigen, dass wir es mit der proletarischen Revolution ernst meinen und keine neuen Sonderrechte schaffen wollen. Die Gesandtschaftsklubs, die allen Mitgliedern der Gesandtschaft — vom Gesandten bis zum jüngsten Laufjungen — sowie allen Gästen offen stehen, sind in ganz Amerika jetzt vorbildlich eingerichtet und erhalten laufend besondere Zuweisungen.
Der Antrag der Vereinigten Staaten von Nordamerika auf Errichtung von Botschaften oder Gesandtschaften in den Hauptstädten der Föderationen ist abgelehnt worden. Washington wird nach wie vor nur in Berlin diplomatisch vertreten sein.

Die Landwirtschaft
Westlich der Elbe herrscht die Kleinbetriebsform immer noch vor. Die nicht sehr zahlreichen Latifundien in Westdeutschland sind fast restlos in den Besitz von Arbeiterklubs übergegangen, die auch die landwirtschaftliche Nutzung übernommen haben. Mit Ausnahme der zerstörten Gebiete, die kollektiv aufgebaut werden, sind in ganz Nordfrankreich, Belgien, Holland und Westdeutschland nur wenige hundert staatliche Großbetriebe entstanden. Dagegen werden von Kommunen und Genossenschaften etwa 1000 landwirtschaftliche Großbetriebe bewirtschaftet. In der mitteldeutschen Landwirtschaft und im böhmischen Eibgebiet sind die staatlichen Großbetriebe schon stärker vertreten als die genossenschaftlichen und Kommunalbetriebe. Beide bleiben aber zahlenmäßig noch weit hinter dem Kleinbetrieb zurück. In Ostelbien und in den früheren polnischen Gebieten überwiegt bereits der staatliche Großbetrieb, obwohl auch hier die selbständigen Kleinbetriebe zahlenmäßig zugenommen haben. Viele Klein- und Mittelbauern haben nach der Revolution so viel Land erhalten, dass sie jetzt eine genügende Ackernahrung haben. Etwa die Hälfte der neu entstandenen genossenschaftlichen Großbetriebe hat sich gut bewährt und soll weiter bestehen und bevorzugt beliefert werden. Die andere Hälfte dagegen soll wegen ungenügender Schulung der Mitglieder aus dem produktivgenossenschaftlichen Betrieb in staatlichen Betrieb übernommen werden. Das Lebenshaltungsniveau der Landarbeiter sowohl in den staatlichen als auch in den genossenschaftlichen Betrieben ist schon beträchtlich gestiegen. Auch sind die zum größten Teil immer noch unbefriedigenden Wohnungsverhältnisse nicht mehr so ausschlaggebend, da alle früheren Herrenhäuser in Klubhäuser umgewandelt worden sind. Die Normalarbeitszeit in der Landwirtschaft wird für längere Zeit noch der Achtstundentag sein. In der Aussaat- und Erntezeit darf er noch überschritten werden, dafür ist die Mehrarbeitszeit im Winter anzurechnen. Der landwirtschaftliche Richtlohn für den vollen Arbeitstag wird ab 1. April erhöht auf:
5 Mark für die ausgebildeten Bedienungsmannschaften der Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen,
4 Mark für Stallpersonal und ausgebildete landwirtschaftliche Arbeiter,
3 Mark für Hilfskräfte;
10% dieser Summen sind für Wohnung,
30% für volle Ernährung abzurechnen.
Durch diese Maßnahmen soll eine Annäherung an die Lebensbedingungen der städtischen Arbeiter erfolgen. Eine völlige Angleichung ist jedoch zur Zeit noch nicht möglich in Anbetracht der Konkurrenz der Klein- und Mittelbauern, die mit allen Familienangehörigen 14 bis 16 Stunden am Tag arbeiten und es immer noch vorziehen, sich und ihre Angehörigen auf mittelalterliche Art abzurackern, als im Kollektiv aufzugehen. Im Bereich der N.E.F. sind bisher erst 1000 Kollektivwirtschaften durch freiwillige Zusammenlegung von Einzelwirtschaften entstanden. Dagegen haben sich die landwirtschaftlichen Produktiv- und Berufsgenossenschaften bemerkenswert entwickelt. Die Sorge um den Nahrungsmittelspielraum hat uns bisher veranlasst, alle landwirtschaftlichen Betriebe gleichmäßig mit Dünge- und Futtermitteln, Maschinen und Saatgut zu beliefern. Die nicht unbeträchtlichen Prämien für Vergrößerung der Anbaufläche sind auch an die Einzelbauern gezahlt worden. In Zukunft werden Kredite nur noch an Kollektivwirtschaften und Genossenschaften gegeben werden. Ein Zwang zur Bildung von Kollektivwirtschaften ist jedoch nicht vorgesehen. Jeder Bauer soll selbst über die Frage: „Einzelwirtschaft, Genossenschaft oder Kollektiv?" entscheiden. Der Kleinbetrieb dürfte vorläufig die vorherrschende ländliche Wirtschaftsform bleiben. Erst nach Wegfall des Schleichhandels mit seinen hohen Preisen für landwirtschaftliche Produkte, erst nach genügender Steigerung der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion wird sich die Mehrzahl der Mittelbauern zum Gedanken des Kollektivs bekehren. Deshalb heißt unsere Losung immer wieder: Steigerung der Produktion!


Vorwärts - 22. Januar 1920

Geht Deutschland unter?

Im abgelaufenen Jahre haben wir eine Erfahrung gemacht, von der viele überrascht waren. Es gibt immer noch Leute, die glauben, dass zwischen Nationalbewusstsein und Internationalismus ein Unterschied besteht. Diese Herrschaften waren natürlich erstaunt, als sie sahen, dass manche früheren Angehörigen der „nationalen Front" sich mit Feuereifer auf die neuen Aufgaben stürzten und zu Kerntruppen der internationalen sozialistischen Revolution wurden. Wir denken hierbei nicht an Bierbankphilister und Stammtischstrategen, und erst recht nicht an die Finanzgewaltigen und Großindustriellen, welche die „Nation" als Aushängeschild für ihre Profitmacherei benutzten, während sie tatsächlich, wenn es den Profit betraf, international waren. Wir denken vielmehr an die junge Frontgeneration, der es ernst war mit ihren Idealen, und die mit Begeisterung ihr Leben für die Vaterlandsidee einsetzte. Nachfolgend geben wir einem bürgerlichen Genossen das Wort, der wegen seiner Verdienste an der Aufbaufront vor Ablauf der Karenzzeit in die Partei aufgenommen wurde. Sein Bericht und sein Offener Brief sind die beste Antwort an unsere falschen Freunde, die sich jenseits des Großen Teiches unter die Fittiche des Kapitals geflüchtet haben und die jetzt über den „Untergang" Deutschlands jammern.

Mukden, den 23. XII. 1919
Es war im Oktober. Unsere Stoßbrigade war in stürmischem Elan bis tief ins Kleine Chingangebirge vorgedrungen. Dann aber hatten wir den Anschluss an die von Süden vorstoßenden Vermessungstrupps verpaßt. Die ganze Arbeit war umsonst geleistet. Erfroren, müde und missmutig kehrten wir nach Blagowestschensk zurück. Der Kommandeur fluchte. Im Frühjahr sollte der Bahnbau Blagowestschensk— Charbin beginnen. Durch unseren Misserfolg war die ganze Arbeit gefährdet. Wir prüften noch einmal die Pläne und stellten fest, dass wir richtig gearbeitet hatten. Der Fehler musste an den Südabteilungen liegen, die von Tsitsikar aus vorgehen und uns im kleinen Chingangebirge begegnen sollten.
Am nächsten Morgen startete ich mit zwei Kameraden zum Erkundungsflug. Wir fanden die Vermessungsabteilung 50 km östlich des bezeichneten Punktes in wüster, unwegsamer Gegend. Der Abteilungsführer verteidigte sich gegen unsere Vorwürfe und wies an Hand seines Arbeitsplans nach, dass man ihn tatsächlich in dieses für den Bahnbau völlig ungeeignete Tal geschickt hatte. Der leitende Ingenieur sollte angeblich in Sanhsing sein, um dort die Projektierungsarbeiten für das Sungarikraftwerk und die geplante Papierfabrik zu kontrollieren. Aber auch in Sanhsing konnten wir ihn nicht finden. Endlich gelang es uns, ihn telephonisch in Wladiwostok zu erreichen. Er wies unsere Angriffe entschieden zurück, behauptete, korrekt gearbeitet zu haben, und forderte uns auf, den Generalplan richtig zu studieren.
Vier Tage später waren wir wieder in Blagowestschensk. Der Originalplan war spurlos verschwunden. Dafür fand ich unter meinen Zeichnungen folgenden Brief.

New York, den 15. X.1919
Lieber A.!
Von Freunden erfuhr ich, dass auch Du von den Roten gezwungen worden bist, an ihren uferlosen Plänen mitzuwirken. Ich nehme wenigstens an, dass Du dazu gezwungen wurdest, denn von unserer gemeinsamen Schulzeit her weiß ich, dass Du sehr national denkst. Du hast den Krieg als Freiwilliger mitgemacht, bist dreimal freiwillig an die Front gegangen, — und jetzt solltest Du freiwillig für die roten Hunde arbeiten? Lächerlich! Wahrscheinlich hast Du bisher nur den Anschluss an unsere geheime Organisation nicht gefunden, die über die ganze S. U. verbreitet ist. Ich kenne Deinen Aufenthaltsort ganz genau und bin über jede Deiner Bewegungen unterrichtet. Im nächsten Monat ist unsere Parole „Demokratie". Verwende das Wort unverfänglich in Deinem Bekanntenkreis. Wenn dann jemand in der Antwort das Wort „Freiheit" braucht, dann ist es einer der Unseren. Du kannst Dich ihm ruhig anvertrauen. Unbegrenzte Geld-
mittel stehen Dir zur Verfügung. Der Augenblick, in dem Deutschland in dem Mischmasch der Nordeuropäischen Föderation aufgehen soll, muss benutzt werden, um die nationalen Leidenschaften aufzuputschen. Beteilige Dich an der Arbeit! Appelliere an das Standesgefühl der Kommilitonen, die man als ehemalige „Bourgeois" zu Menschen zweiter Klasse gemacht hat, denen man das Wahlrecht vorenthält und den Zutritt zur herrschenden Partei verwehrt! Amerika ist jetzt der Hort der Freiheit, die Zuflucht aller Unterdrückten der ganzen Welt. Gestern abend fand hier eine große Versammlung der Freiheitsliga statt. Außer dem deutschen Kronprinzen sprachen Kerenski, Pilsudski, Thomas und Scheidemann. Scheidemann, dieser alte Vorkämpfer der Freiheit, richtete einen glühenden Appell an das deutsche Volk und forderte es auf, sich gegen seine Bedrücker zu erheben. Er protestierte energisch gegen den Plan, Deutschland die Autonomie zu rauben, um es in der N.E. F. aufgehen zu lassen. „Täglich," sagte er, „erhalte ich Briefe von nationalgesinnten Deutschen, die gegen dies schändliche Vorhaben protestieren. Als Vertreter der letzten rechtmäßigen deutschen Regierung rufe ich alle deutschen Männer und Frauen auf zum Kampf gegen die Diktatur, — für die soziale Demokratie."
Ich hoffe, dass auch Du, lieber A., dem Rufe dieses echt deutschen Mannes Folge leistest, der, obwohl Sozialist, das Vaterland nicht im Stiche lässt, und uns Deine Kräfte zur Verfügung stellst. Lass bald etwas von dir hören.
Mit deutschem Gruß Dr. G.
P.S. Hast Du Nachricht von anderen Schulkameraden?

Meine Antwort:
Mukden, den 23. XII. 1919

Offener Brief an Herrn Dr. G., New York.
Dank für Ihren Brief vom 15. X. Er hat uns wertvolle Dienste geleistet. Die Verspätung meiner Antwort bitte ich damit zu entschuldigen, dass die Aufdeckung Ihrer weit verzweigten Verschwörung meine ganze Kraft in Anspruch nahm. Jetzt endlich ist auch das Haupt der Bande, der schurkische Oberingenieur, der es meisterhaft verstanden hat, unsere Pläne zu stören, an Bord eines japanischen Schiffes entdeckt und erschossen worden. Damit ist wohl Ihr Brief zur Zufriedenheit erledigt. Als höflicher Mensch will ich aber auch den Nachsatz beantworten. K. L. studiert an der deutschen Universität in Bozen. R. H. leitet die deutsche Fliegerschule in Peking. P. H. ist Leiter der geologischen Station und Vorsitzender des deutschen Klubs in Tiflis. W. J. lebt in Moskau und will sich im Frühjahr an einer Expedition nach Novvaja-Semlja beteiligen. P. Z. ist Straßenbauleiter und Herausgeber einer deutschen Zeitung in Kabul. Soll ich Ihnen auch noch die Adressen aller anderen Schulkollegen mitteilen, die von den schrecklichen Roten nach Kapstadt, Kairo, Stambul, Bombay und Kanton „verschleppt" wurden? Es hätte doch keinen Zweck. Sie alle — ob Parteimitglied oder nicht — fühlen sich auf ihren Plätzen sehr wohl, denn sie haben Gelegenheit, sich auszuwirken und nützliche Arbeit zu verrichten, und das ist wohl für jeden wertvollen Menschen die Hauptsache. Sie alle sind der seltsamen Ansicht, ihrer Nation mit dieser Arbeit besser zu dienen als die Deserteure in New York. Nur über einen waren Sie, Herr Doktor, bisher besser unterrichtet als wir, über Dr. F., dem ebenso wie Ihnen die Universitätsbank während des Krieges lieber war als der Schützengraben, und der — wie Sie — sein nationales Herz erst nach der Revolution entdeckte. Immerhin dürfte es Sie interessieren, dass er vor 14 Tagen in Berlin als Spion entlarvt und erschossen wurde. Ist es ein Zufall, dass gerade die wirklichen Frontkämpfer auch heute wieder in der vordersten Front des sozialistischen Aufbaus stehen, während sich die Helden der Etappe und der Stabsquartiere, die Parlamentarier und „Unabkömmlichen" in der so genannten Freiheitsliga treffen? Ganz bestimmt nicht. Die wirklich wertvollen Menschen stehen im Lager der Revolution. Wir waren unbefriedigt von unserem persönlichen Schicksal. Wir suchten ein höheres Ideal, ein überindividuelles Ziel, dem wir unsere Kraft widmen konnten, und wir glaubten es in der Nation gefunden zu haben, in der Kameradschaft des Schützengrabens. Nach blutigen Kämpfen mit einem tapferen Gegner, der von denselben falschen Idealen beseelt war wie wir, ist oftmals der Wunsch in uns aufgetaucht, unsere Kompanien nach rückwärts zu führen und mit dem Schiebergesindel in Deutschland aufzuräumen.
Sie freilich haben diese Empfindungen niemals kennen gelernt. Sie saßen ja damals auf dem Kommers und brüllten nach dem zehnten Salamander: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen."
Der Revolution, nicht Ihrem Gejohle, ist es zu verdanken, wenn dieses Wort in einem ganz anderen Sinne in Erfüllung ging. Nicht der Korporal verkörpert heute die deutsche Nation. Aber gelernte deutsche Arbeiter, Ingenieure, Lehrer, Landwirte, Forstwirtschaftler und Techniker sind heute in der ganzen Welt als Kulturpioniere tätig. Sie hätten sehen müssen, mit welch überschwänglicher Freude meine Stoßbrigade in allen Orten Sibiriens und der Mandschurei begrüßt wurde. Und wenn unsere Dreher, Monteure und Tischler dann die Fabriken wieder instand gesetzt hatten, wenn die Maschinen wieder surrten, wenn wir zu neuer Arbeit aufbrachen, dann standen die einheimischen Genossen noch lange und winkten den „Wundermännern", den deutschen Towarischs" nach.
In solchen Augenblicken waren wir stolz darauf, Deutsche zu sein. Zum ersten Mal in der Weltgeschichte steht das deutsche Volk auf dem Platz, auf den es gehört. Was wäre aus Deutschland, was aus der Welt geworden, wenn dieses tüchtige Volk in früheren Jahrhunderten eine politische Führung gehabt hätte, wenn die prachtvolle Bauernrevolution nicht von pfäffischen Verrätern, die sich an die Spitze der Bewegung stellten, verraten und auf ein religiöses Gleis geschoben worden wäre, wenn die Hansestädte, wenn das kleine welterobernde Holland an einer einigen deutschen Nation Rückhalt gefunden hätte! Damals wäre es Zeit gewesen für die nationale Revolution, ihr Herren Langschläfer, die ihr immer der Geschichte nachhinkt und dreihundert Jahre später eine Entwicklung anfangen wollt, die andere Völker beendet haben. Ihr wolltet das Rad der Geschichte um hundert Jahre rückwärts drehen — und hättet euch nicht einmal geschämt, dieses Regieren als „Revolution" zu bezeichnen, — ihr armseligen Krämerseelen, ihr aufgewärmten Don Quijotes, ihr Hausknechte des internationalen Kapitals!
Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es wirklich eine deutsche Nation. Und die steht am richtigen Fleck. An der Spitze der Weltrevolution, in der Avantgarde der befreiten Völker. Die Sterbestunde der alten Staaten war die Geburtsstunde der deutschen Nation. Jetzt erst reicht Deutschland — soweit die deutsche Zunge klingt.
Ihr ehemaliger Schulfreund A.


Vorwärts - 1. März 1920

Das Jahr des Wiederaufbaus
Rückblick auf das Jahr 1919

Die oberflächlichen Zahlen über die Produktion des Vorjahres liegen jetzt vor. Im Vergleich zu 1913 sind folgende Produktionsziffern erreicht worden:

Spanien 111% Holland 135%
England 131% Norwegen 141%
Ö sterreich-Ungarn 94% Rumänien 98%
Griechenland 101% Übriger Balkan 73%
Russland 67% Frankreich 89%
Italien 119% Deutschland 103%
Belgien 87% Schweden 137%
Dänemark 110% Polen 86%

Für die übrigen Gebiete der S. U. liegen noch keine zuverlässigen Ziffern vor. Es kann jedoch als sicher angenommen werden, dass auch dort ebenso wie in ganz Europa einschließlich Russland die Vorkriegsproduktion am Jahresschluss überschritten worden ist. Fast in allen Ländern war die industrielle Produktivität im letzten Vierteljahr annähernd doppelt so hoch wie im ersten. Die Dezemberproduktion überstieg die Produktion des Dezembers 1913 durchschnittlich um mehr als 50% (mit Ausnahme von Russland, das erst im Dezember die Vorkriegsproduktion wieder erreicht hat). Es ist also zu hoffen, dass wir in diesem Jahre (wenigstens für das Gebiet der N.E.F.) unser Ziel, die Verdoppelung der industriellen Vorkriegsproduktion, erreichen werden.
Die landwirtschaftliche Vorkriegsproduktion ist nur in England überschritten worden, das seine Anbaufläche sogar gegenüber dem letzten Kriegsjahr noch um 20% gesteigert hat. Die Anbaufläche für das Erntejahr 1920 ist fast überall ebenso groß wie 1913, teilweise sogar größer. Der Landwirtschaftsrat der N. E. F. hofft, dass durch besondere Begünstigung der Frühjahrssaatkampagne, durch weitere Prämien und Kredite und vermehrte Lieferung von Düngemitteln, Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen die landwirtschaftliche Vorkriegsproduktion überall erreicht werden kann. Der Landwirtschaftsrat der Balkan-Donauföderation stellt eine 20 prozentige, Russland eine 5 prozentige, die Mittelmeerföderation eine Steigerung von 8% in Aussicht. Überraschend ist für den ersten Augenblick der niedrige Voranschlag für Russland. Er findet seine Erklärung darin, dass auch die landwirtschaftliche Produktion durch den Bürgerkrieg stark zurückgegangen ist. Der Zugviehbestand hat außerordentlich gelitten. Der größte Teil der von uns gelieferten Traktoren kam für die Herbstbestellung zu spät. Viele Traktoren sind durch falsche Behandlung gebrauchsunfähig geworden. Zudem arbeiten die meisten Traktoren in staatlichen und genossenschaftlichen Musterbetrieben, in denen zunächst einmal erstklassiges Saatgut für die diesjährige Aussaat gezogen wird. Der russische Eigenverbrauch im laufenden Wirtschaftsjahr wird wahrscheinlich wesentlich höher sein als 1913. Trotz der erwarteten 5 prozentigen Überschreitung der Vorkriegsziffern wird deshalb die russische Getreideausfuhr um ungefähr 10% hinter der Vorkriegsausfuhr zurückbleiben.

Die Verhandlungen über die amerikanischen Lebensmittellieferungen sind in ein neues Stadium getreten. Alle Angebote aus Nord- und Südamerika betreffend vermehrte Lieferung von Lebensmitteln mussten vom Wirtschaftsrat der N.E.F. bisher abgelehnt werden, da vom Zentralwirtschaftsrat der S.U. eine aktive Handelsbilanz im Verkehr mit dem kapitalistischen Ausland streng vorgeschrieben ist. Infolgedessen musste die Rationierung und damit auch der Schleichhandel (die Hauptstütze des privaten Handels) zunächst noch fortbestehen. Die Ablieferungsbestimmungen und Zwangspreise, die den Klein- und Mittelbauern, der möglichst hohe Preise erzielen will, verbitterten, konnten nicht abgebaut werden, ebenso wenig der dazu notwendige große und kostspielige Apparat. Zehntausende von Arbeitskräften könnten einer produktiven Beschäftigung zugeführt werden, wenn diese „Kriegswirtschaft" ein Ende nähme. Vor allem aber wären endlich einmal normale Bedingungen für den Konkurrenzkampf mit dem Einzelhändler und dem Einzelbauern geschaffen. Aus all diesen Gründen hat der Zentralwirtschaftsrat endlich seinen Widerstand gegen die unbegrenzte Einfuhr amerikanischer Lebensmittel aufgegeben. In demselben Maße, in dem die Einfuhr aus Amerika unsere Ausfuhr übersteigt, soll unsere Ablieferungsquote für industrielle Erzeugnisse nach China und Indien erhöht werden. Die Leitung der Z. E. G. ist bevollmächtigt worden, mit den nord-, mittel - und südamerikanischen Lieferantenverbänden einen Vertrag abzuschließen, wonach der gesamte amerikanische Überschuss an Lebensmitteln für die nächsten drei Jahre zu einem festen Preise aufgekauft wird. Die Verhandlungen über die Preishöhe schweben noch.

Die Währungsreform
ist jetzt abgeschlossen. Die Einheitsmark ist ab 1. April in der ganzen S. U. das einzige gesetzliche Zahlungsmittel. Der Umtausch der alten nationalen Zahlungsmittel erfolgt gegen Umtauschschein noch bis zum 1. Mai zu folgendem Kurs: 1 Einheitsmark ist = 100 deutschen Vorkriegsmark = 1000 österreichischen Kronen = 100000 Rubeln = 2 englischen Schillingen = 10 französischen und belgischen Franken =10 Lire = 3 dänischen Kronen = 4 Pesetas und = 1 holländischen Gulden. Der Umtausch von alten Währungssorten findet nur gegen Vorzeigung des Tauschbogens statt, der von den örtlichen Arbeiterräten ausgestellt wird. Dieser Tauschbogen ist von allen Personen, die noch über ein Vermögen von mehr als 10000 Goldmark verfügen, mit der Abgabe der Vermögenserklärung spätestens am 30. April dieses Jahres an die örtlichen Arbeiterräte abzugeben. Die Höhe der umgetauschten Zahlungsmittel ist auf dem Tauschbogen einzutragen. Unbefugter Umtausch von Zahlungsmitteln und die Beihilfe dazu werden ebenso wie die Verheimlichung von Vermögensbeständen mit dem Tode bestraft. Die Formulare zur Abgabe der Vermögenserklärung haben folgenden Wortlaut:

1. Welches Vermögen haben Sie am 1. November 1918 besessen?
Spezifikation (Haus- und Grundbesitz. Wertpapiere. Hypotheken. Guthaben bei Banken, Sparkassen usw. Sonstige Guthaben und Beteiligungen 1. innerhalb, 2. außerhalb des jetzigen Gebietes der S. U. Wertsachen. Einrichtungsgegenstände a) gewerblicher, b) privater Natur. Bares Geld (in welcher Währung?).
2. Wie viel von diesem Vermögen haben Sie zuletzt versteuert? Wo? Unter welcher Geschäftsnummer und Steuerrolle?
3. Welches Vermögen besitzen Sie jetzt noch? Spezifikation (wie unter 1).
4. Wie viel Stabilisierungsanleihe besitzen Sie?
5. Wie viel Sozialisierungsanleihe haben Sie bis jetzt gezeichnet?
a) Wie viel davon bezahlt?
b) Wie viel wollen Sie bis zum Zeichnungsschluss (15. Mai) noch freiwillig zeichnen?
6. Was können Sie über den Verbleib des beweglichen Teils Ihres früheren Vermögens aussagen, der nicht mehr in Ihrem Besitz ist und über den Sie keine Ablieferungsbescheinigung vorlegen?


Vorwärts - 15. April 1920

Die Produktionsabgabe gefährdet!
Ungenügende Produktionssteigerung und ungenügende Akkumulation in der staatlichen Industrie

Unsere Befürchtungen wegen der zu raschen Lohnerhöhung und der zu schnellen Verkürzung der Arbeitszeit haben sich leider als begründet erwiesen. Eine Anzahl von Betrieben hat die zehnprozentige Produktionsabgabe im Monat März nur noch durch Rückgriff auf frühere Reserven abführen können. Einige Betriebe hoffen das Manko in diesem Monat durch Produktionssteigerung und Senkung der Gestehungskosten ausgleichen zu können. Andere haben aber schon außerordentliche Kredite angefordert, da sie selbst nur einen Teil der Produktionsabgabe aufbringen können. Trotz der Einreihung von zwei Millionen Frauen in den Produktionsprozess sind in verschiedenen Werken noch nicht alle Produktionsmöglichkeiten ausgenützt. Ohne diese Voraussetzung ist bei der scharfen Kalkulation die Durchführung unseres Programms nicht möglich. Die Propaganda für weitere Einsparung von Arbeitskräften, für weitere Steigerung der Produktion, für verstärkte Zeichnung von Sozialisierungsanleihe und für die Einbeziehung von noch mehr Frauen in den Produktionsprozess muss mit aller Energie verschärft werden, wenn die vorgesehenen Verschlechterungsmaßnahmen nicht am 1. Mai in Kraft treten sollen.
Genossen! Alle Kräfte angespannt, damit wir am Weltfeiertag der Arbeit einen neuen Sieg an der Wirtschaftsfront feiern können!


Vorwärts - 24. April 1920

7 1/2 Milliarden Anleihe gezeichnet! Morgen Beginn der Propagandawoche

Drei Viertel der aufzubringenden Summe sind bereits gezeichnet. Der Rest muss in der kommenden Woche aufgebracht werden. Morgen beginnt die Propaganda auf dem flachen Lande. Alle Schulen, Fortbildungsschulen, Arbeiterfakultäten und Universitäten bleiben in der kommenden Woche geschlossen. Alle jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge werden bis zum 30. April beurlaubt, damit sie sich an der Landpropaganda beteiligen können. Über zwei Millionen Radfahrer werden in der N.E.F. aufgeboten. Zehntausend Lastautos, Tausende von Flugzeugen und sämtliche Luftschiffe werden in den Dienst der Propaganda gestellt. Die Belegschaften aller Druckereien, Zeitungsbetriebe und Papierfabriken verrichten unbezahlte Überstunden, um Millionen von Flugblättern und Zeichnungsvordrucken unentgeltlich herzustellen. Die Eisenbahnangestellten leisten unbezahlte Überstunden, um den ungeheuren Verkehr in der nächsten Woche zu bewältigen. Der Eisenbahnverwaltungsrat hat für die Propaganda zehn Millionen Freikarten zur Verfügung gestellt. Die Klubarbeiten und alle kulturellen Veranstaltungen, die nicht der Zeichnungspropaganda dienstbar gemacht werden können, ruhen in der nächsten Woche. Alle werktätigen Männer und Frauen haben sich nach Schluss der Arbeitszeit in den Dienst der Anleihepropaganda zu stellen. Ihren Höhepunkt soll die Propaganda am 1.Mai erreichen. Von 7—11 Uhr vormittags werden noch einmal Radfahrer, Motorradfahrer, Flugzeuge, Automobile und Traktoren aller staatlichen und genossenschaftlichen Betriebe aufgeboten. Von 12—1 Uhr ruht der gesamte private Telefonverkehr. Telefon und Telegraph stehen nur für die Durchsage der neuen Zeichnungsergebnisse zur Verfügung. In Berlin arbeiten am 1. Mai 40000 Büroarbeiter in drei Schichten; die erste Abteilung arbeitet von Mitternacht bis früh um 6 Uhr und stellt das Ergebnis des sozialistischen Wettbewerbs fest. Die zweite Abteilung (6—12 Uhr) bearbeitet die Meldungen über die Urabstimmung vom 3o. April. Die dritte Abteilung (i3—19 Uhr) stellt die neuen Zeichnungsergebnisse zusammen. Um 13 Uhr beginnt in der ganzen Nordeuropäischen Föderation der Aufmarsch der uniformierten Abteilungen des Arbeiter-Flug-, Sport- und Wehrverbandes. Von 14 bis 15 Uhr stehen sämtliche Personen- und Lastautomobile und alle Luftfahrzeuge für die Propagandaumfahrten des F.S.W. zur Verfügung. In Berlin wird sich hieran sofort der üblich gewordene Arbeitsaufmarsch anschließen: Ost-Westrichtung 100000 ungelernte Arbeiter aus Russland, Polen, Rumänien, Balkan, Türkei, Arabien, Indien und China, die in der N.E.F. eine dreijährige Ausbildung durchmachen sollen. West-Ostrichtung 50000 russische Arbeiter, die nach einjähriger Ausbildung wieder in die Heimat gehen und 50000 deutsche Facharbeiter, die in Russland und an den überseeischen Wirtschaftsfronten eingesetzt werden. Dazu ein Zehntel der Berliner Aprilproduktion an Automobilen, Traktoren, Straßenbau- und landwirtschaftlichen Maschinen. Erst um 18 Uhr beginnen in diesem Jahre die Veranstaltungen der Gewerkschaften. Um 18 Uhr beginnt die gegenseitige Kontrolle der Zeichnungen. Drei Tage lang haben alle Werktätigen ihre Zeichnungsbescheinigungen bei sich zu führen. Jedermann ist moralisch verpflichtet, dem anderen seine Zeichnungspapiere unaufgefordert zu zeigen und sich von ihm die seinen zeigen zu lassen.
Der erste Mai wird also diesmal schon ein ganz, ganz anderes Gepräge haben als in der vorrevolutionären Zeit. Damals war unsere Losung:

Mann der Arbeit aufgewacht, Und erkenne Deine Kraft. Alle Räder stehen still, Wenn Dein starker Arm es will.

Diesmal ist unsere Losung:

„Alle Räder drehn sich schneller, Arbeitsmann, wenn Du es willst, Jetzt wird Dein eignes Leben heller, Wenn Du den Arbeitsplan erfüllst."


Vorwärts - 27. April 1920

Der Arbeiter-Flug-, Sport- und Wehrverband

tritt am 1. Mai im Bereich der N.E.F. in folgender Stärke an:
Jugendliche:
12,1 Millionen (männl. 7, weibl. 5,1),
Aktive Formationen:
9 Millionen Männer
3,6 Millionen Frauen
Ausgebildete Reserveformationen:
10,8 Millionen Männer
3 Millionen Frauen
Unausgebildete Reserven:
3,5 Millionen Männer
8,8 Millionen Frauen
Notreserven:
5,1 Millionen Männer
6,3 Millionen Frauen

Alle Verbände für Körperkultur sind jetzt restlos dem F.S.W. angeschlossen. Mit dem mächtigen Klub der Naturfreunde ist eine Vereinbarung über zweckmäßige Arbeitsteilung und -ergänzung getroffen worden. Milliardenwerte an Liegenschaften, Gebäuden, Spielplätzen, Turnhallen, Badeanstalten, Bootshäusern, Kleinschiffswerften, Sportbedarfs-, Fahrrad- und Motorradfabriken sind in den Besitz des F.S.W. übergegangen. Über drei Milliarden Goldmark wurden in diesem Jahre in der N.E.F. für Zwecke der Körperkultur bereitgestellt. Alle Schulturnhallen stehen dem F.S.W. unentgeltlich zur Verfügung. Seine Mitglieder erhalten auf allen sozialisierten Verkehrseinrichtungen eine fünfzigprozentige Preisermäßigung, bei Stellung von Sonderzügen auf Strecken über 100 km 75%. Alle Exerzierplätze, Flugplätze und Truppenübungsplätze sind in die Verwaltung des F.S.W. übergegangen. In allen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern, die noch keine Flugplätze haben, werden welche angelegt. Alle freigewordenen Kasernen und sonstigen militärischen Gebäude sind in Ledigenheime für Mitglieder des F.S.W. umgewandelt worden. Der F.S.W. hat die Verwaltung, sorgfältige Lagerung und Instandhaltung des gesamten Kriegsmaterials übernommen. Er hat alle jugendlichen Mitglieder so weit militärisch auszubilden, dass sie nur noch einen zweimonatigen Lehrgang in der roten Miliz durchmachen müssen. Die Leitung der roten Miliz ist jetzt schon zur Hälfte Sache des F.S.W. In zwei Jahren soll die Leitung der roten Miliz, in drei Jahren das gesamte Militärwesen den selbstgewählten ehrenamtlichen Organen des F.S.W. übertragen werden. Der rote Kriegskommissar der N.E.F. soll dann nur noch ein Aufsichts- und Vetorecht behalten. In Zweifelsfällen und bei Streitigkeiten zwischen der Leitung des F.S.W. und dem Kriegskommissar soll grundsätzlich der Parteitag entscheiden. In eiligen Fällen entscheidet das Partei-Exekutiv-Komitee, dessen Beschlüsse vom nächsten Parteitag bestätigt oder abgeändert werden.
Die Rote Armee der N.E.F. wird bis Ende dieses Jahres auf einen festen Bestand von 250000 Mann reduziert. Sie wird 10000 Berufsoffiziere höherer Grade mit 25 jähriger und 20000 Offiziere mit 10 jähriger Dienstzeit behalten. Für weitere 20000 rote Offiziere, die bis zum Regimentskommandeur ausgebildet werden sollen, ist eine Dienstzeit von 5 Jahren vorgesehen. Weitere 100000 rote Freiwillige absolvieren eine Dienstzeit von 2 Jahren und avancieren in dieser Zeit bis zum Hundertschaftsführer. 10000 besonders befähigte Genossen können daran anschließend einen halbjährigen Bataillonsführerkursus mitmachen. Diese 150000 Mitglieder der Führerarmee sind Freiwillige und werden sorgfältig aus den Reihen des F.S.W. ausgesucht, der auch die Mannschaften für Massenübungen stellt. Ganz anders aber werden die anderen 100000 Angehörigen der roten Armee aussehen. Sie werden aus Faulenzern und Drückebergern bestehen, die entweder gar nicht Mitglied des F.S.W. waren oder ihrer Ausbildungspflicht nicht in genügender Weise nachgekommen sind. Für diese pflichtvergessenen jungen Arbeiter ist eine einjährige Ausbildungszeit vorgesehen. Der revolutionäre Kriegsrat hofft jedoch, dass die Zahl dieser Drückeberger ständig abnehmen wird, so dass die stehende Rote Armee bald auf den Führerstamm von 150000 Mann reduziert werden kann. Alle anderen Arbeiter, die im F.S.W. vorgebildet sind, haben nur eine zweimonatige Dienstzeit in der Roten Miliz durchzumachen.
Angehörige der bürgerlichen Klasse sind weder zum Heeres- noch zum Milizdienst verpflichtet. Sie können jedoch nach zweijähriger Mitgliedschaft im F.S.W. als Freiwillige zugelassen werden, wenn sie mindestens zwei gute Bürgen für ihre politische Zuverlässigkeit stellen und durch Ablegung einer Prüfung den Nachweis erbringen, dass sie die Grundbegriffe der sozialistischen Gesellschaftswissenschaft kennen.
Als militärische Zwangsmaßnahme für Frauen ist nur die Teilnahme an einem Gasabwehrkursus des F.S.W. vorgesehen. Die militärische Ausbildung der Frauen wird sich im Regelfalle auf die freiwillige Teilnahme an Veranstaltungen und Übungen des F.S.W. beschränken. Eine Dienstpflicht in der Roten Armee oder Miliz besteht für Frauen nicht; sie können jedoch als Freiwillige zugelassen werden. Alle weiblichen Mitglieder des F.S.W. sind jedoch verpflichtet, sich an den Vorarbeiten für die technische, wirtschaftliche und Gasmobilmachung zu beteiligen. Neun Zehntel aller polizeilichen Aufgaben sollen noch in diesem Jahre von ehrenamtlichen Funktionären des F.S.W. übernommen werden.
Auch auf wirtschaftlichem Gebiet hat der F.S.W. in Zukunft eine ungeheure Arbeit zu leisten. Am 1. Mai übernimmt der Flug-, Sport- und Wehrverband die Verwaltung von weiteren 150 Fabriken und wird dadurch in die Lage versetzt, fast den ganzen Ausrüstungsbedarf seiner Mitglieder durch Eigenproduktion zu decken. Nach den Voranschlägen soll dadurch eine ganz gewaltige Rationalisierung und Verbilligung eintreten. Die Werke werden vollkommen auf den Bedarf des F.S.W. umgestellt und restlos rationalisiert. Viele Werke produzieren jetzt bereits nur zwei Artikel, die meisten jedoch nur einen und auch von diesem einen Artikel in jedem Monat nur ein Modell. Da diese Werke außerdem von der Produktionsabgabe befreit sind und im Vierschichtenwechsel restlos ausgenützt werden, ist der wirtschaftliche und finanzielle Erfolg geradezu verblüffend.
Die Gesamtausrüstung eines männlichen Jugendmitgliedes des Flug-, Sport- und Wehrverbandes ist:
1 Normaltransportkoffer mit 2 Handgriffen
1 Militärrucksack
1 Leib- und Tragriemen
1 Kartentasche
1 kompl. Kochgeschirr mit Kocher
1 Wolldecke
1 Zeltbahn
1 wattierter Lederkopfschutz
1 Schutzbrille
1 Paar Handschuhe
1 Paar schwere Marschschuhe
1 Paar Sportschuhe
1 Badehose
1 Sportdress nach Wahl
1 Breecheshose
1 Lederkniehose
1 lange Hose
2 Paar Socken
1 Paar wollene Überziehstrümpfe oder 1 Paar Gamaschen
2 Paar Unterhosen 2 Unterhemden
1 Mütze
1 graugrünes Oberhemd
1 braunes Oberhemd
1 Wollsweater
1 gummierte Windjacke
1 Lodenjoppe
1 Wintermantel
1 Notizbuch mit Abreißblock
1 Füllfederhalter
1 Blei- und Kopierstift.
Der F.S.W. rüstet also seine jugendlichen Mitglieder mit fast allen Bedarfsartikeln für Sport und Wanderung, für Land, Luft und Wasser und sogar für den Kriegsfall aus. Diese ganze Ausrüstung wird an die jugendlichen Mitglieder für 120 Mark geliefert und kann in 12 Monatsraten bezahlt werden. Der Selbstkostenpreis ist etwas höher. Die Leitung des F.S.W. hofft jedoch, durch weitere Rationalisierungsmaßnahmen die Gestehungskosten bis auf den Verkaufspreis drücken zu können. Der Unterschied wird vorläufig aus Etatsmitteln der Roten Armee bestritten und erreicht längst nicht die Höhe der großen Ersparnisse, die durch die Heeresverminderung erzielt werden. Bis jetzt sind 100 freiwillige Radfahrwegabteilungen mit der neuen Ausrüstung versehen worden. Der F.S.W. hat die Ausführung des gesamten Bauprogramms für Radfahrwege übernommen. Die ganze Föderation soll mit einem dichten Netz von Radfahrwegen überzogen werden, die nur, wenn unbedingt notwendig, mit den Landstraßen verbunden sind, im übrigen aber ohne Berührung mit Fuß- und Fahrwegen quer durch Wald und Feld führen. 80% aller Arbeiten werden ehrenamtlich von den Radfahrwegabteilungen erledigt. Alle Mitglieder dieser Abteilungen sind mit stabilen Fahrrädern aus den Eigenunternehmungen des F.S.W. versehen, die sie zum Selbstkostenpreis von 48 Mark (Monatsrate 4 Mark) erhalten. Der Preis kann voraussichtlich Ende dieses Jahres noch gesenkt werden, da bis dahin das laufende Band in allen Betrieben des F.S.W. eingeführt wird. Jede Radfahrabteilung besitzt zwei große Lastautomobile, ein Transport- und Schrankauto, das hundert Normaltransportkoffer so verstauen kann, dass sie im Auto bequem geöffnet werden können, und ein Werkzeug- und Reparaturauto, das außerdem 5 Reserveräder und Ersatzteile mitführt. Der Arbeitsaktionsradius ist für Wochentage (3 Stunden Arbeitszeit) auf 25 km, für Sonntage (6 Stunden Arbeitszeit) auf 40 km festgesetzt worden. Eine Überschreitung dieses Aktionsradius darf auch auf ausdrücklichen Wunsch der Mitglieder bei Arbeitsausfahrten nicht stattfinden. Bei Propaganda- und Sportausflügen ist an Wochentagen ein Aktionsradius von 50 km, an Sonntagen von 100 km zugelassen, aber nur für Mitglieder, die unter dauernder sportärztlicher Beobachtung stehen. Die Autos für den Materialtransport werden unentgeltlich vom staatlichen Automobiltrust gestellt. Alle sonstigen Kosten müssen von den örtlichen oder Kreisarbeiterräten getragen werden.
Der Bau von Radfahrwegen ist in der ganzen Föderation bereits in vollem Gange.
Die Mitgliederzahl in den Radfahrabteilungen der F.S.W. steigt ständig.
Der F.S.W. ist eine wichtige Keimzelle der neuen Gesellschaft und wird später eine große Rolle bei der Liquidierung des Staates zu erfüllen haben. Vorläufig aber ist es noch nicht so weit. Die Liquidierung des Staates, der Abbau der Diktatur und die Einführung der vollendeten Demokratie, das alles sind Fragen, die erst gelöst werden können, wenn es in Amerika keinen Kapitalismus mehr gibt. Augenblicklich aber geht es dem amerikanischen Kapitalismus gut, sehr gut sogar. Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, wenn wir ihn wirtschaftlich überholen wollen. Militärisch besteht keine Gefahr. Dafür bürgen der Flug-, Sport- und Wehrverband und seine Bruderorganisationen in den anderen Föderationen.
Die „Ossoaviakhim" in der Russischen Föderativen Sowjet-Republik hat bereits ganz gewaltige Erfolge erzielt. Ihr Einfluss auf dem flachen Lande ist aber, wie auf allen anderen Gebieten, noch sehr schwach. Die Gesamtmitgliederzahlen bleiben daher auch relativ weit hinter denen des F.S.W. der N.E.F. zurück.
In den nördlichen Staaten der Mittelmeerföderation ist die Mitgliedschaft im Flug-, Sport- und Wehrverband im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sogar größer als bei uns. In den arabischen, syrischen und nordafrikanischen Gebieten ist der F.S.W. in der kurzen Zeit seines Bestehens die wichtigste und bedeutungsvollste Organisation überhaupt geworden. Er leistet wertvolle Arbeit bei der Liquidierung des Feudalismus, des Analphabetismus und der Unsauberkeit. Die letzten Bandenaufstände, die von früheren Fürsten geführt wurden, sind von den einheimischen Abteilungen des F.S.W. aus eigener Kraft niedergeschlagen worden. In diesen Gebieten muss der F.S.W. viele Aufgaben mit übernehmen, die bei uns vom Staat, von örtlichen und Bezirksarbeiterräten, von der Partei, von Klubs und Gewerkschaften gelöst werden, da all diese Organisationsformen dort entweder noch ganz unbekannt oder in den wirtschaftlichen Verhältnissen zu wenig verwurzelt sind. In der Donau-Balkanföderation steht der F.S.W. zum Teil noch vor ähnlichen Aufgaben. Noch größer und schwieriger sind aber die Aufgaben der Bruderorganisation in Indien. Dort ist der F.S.W. der Hauptträger des Kampfes gegen das Kastenwesen. In China hat der F.S.W. dagegen überraschend schnell Fuß gefasst, da er dort gleich eine praktische Aufgabe zu lösen hatte: die Bekämpfung des Generals- und sonstigen Banditenunwesens. Eine Anzahl von Arbeiterorganisationen und „Roten Lanzen" (revolutionäre Bauernverbände) ist im allchinesischen F.S.W. aufgegangen, der als wichtigste Selbstschutzorganisation wertvolle Arbeit für die Befriedung Chinas geleistet hat.
Partei und F.S.W. (Beschluss der Exekutive) Parteikandidaten müssen vor der Aufnahme mindestens ein Jahr lang aktives F.S.W.-Mitglied sein. 90% aller höheren Führer des F.S.W. müssen Parteimitglieder sein. Ausnahmen sind nur noch bis zum 1. Mai 1922 zulässig.


Vorwärts - 29. April 1920

Das Memorandum des Metallindustrieverbandes

Die Gewerkschaft der Metallarbeiter hat in einem Memorandum an die Partei und an den Zentralrat der N.E.F. zu den brennenden Fragen der Wirtschaftspolitik Stellung genommen. Die große Majorität, mit der dieses Memorandum von der Gesamtmitgliedschaft in der Urabstimmung angenommen wurde, ist ein Beweis für die vorbildliche Disziplin der Metallarbeiter.
Die Verfasser des Memorandums weisen auf die Gefahren hin, die durch die übereilte Einführung des Sechsstundentages und durch die generelle Erhöhung des Lohnes auch in den weniger produktiven Betrieben und Wirtschaftszweigen entstehen können. Sie sind trotzdem der Ansicht, dass ein Rückzug möglichst vermieden werden muss. Nach Ansicht der Verfasser wird in den Monaten Mai bis Juni ein Defizit entstehen, so dass wir nicht in der Lage sein werden, alle Neuanlagen und Kapitalzuschüsse an andere Föderationen aus der laufenden Produktion zu decken. Sie warnen deshalb vor der beabsichtigten Überschreitung der Wirtschaftspläne in den nächsten drei Monaten und schreiben dann wörtlich:
„Bei Aufstellung der monatlichen Kontrollziffern wurden meistens von Anfang an so hohe Forderungen an jedes einzelne Werk gestellt, dass sie nur unter Anspannung aller Kräfte erreicht werden konnten. Jede Belegschaft setzte aber trotzdem ihren ganzen Ehrgeiz darein, diese Ziffern noch zu übertreffen, so dass es bald als selbstverständlich galt, dass die festgesetzten Ziffern um mindestens 10% zu überschreiten seien, und dass nur das, was noch über diesen 10% lag, als Mehrleistung zu bewerten sei. Das ging zuerst ganz gut. Doch von Monat zu Monat wuchsen die Kontrollziffern. Von Monat zu Monat stiegen aber auch die Löhne. Die Arbeitszeit wurde verkürzt. Die Kapitaldecke wurde knapper. Auch die überplanmäßige Produktion, für die oftmals nicht sofort Verwendung bestand, verursachte Mehrausgaben und unnütze Kapitalinvestierungen. Die Neuanlagen in der direkten und indirekten Produktionsmittelsphäre nehmen in so starkem Maße zu, dass für eine Steigerung der dem Konsum dienenden Produktion fast keine Mittel vorhanden sind. Bald wird ein schreiendes Missverhältnis zwischen unserer Produktionsfähigkeit für Konsumtionsmittel und der gestiegenen Kaufkraft entstehen, das erst nach Vollendung der Umstellungsarbeiten im Laufe des Monats Juli behoben werden kann. Dazu kommt die Tatsache, dass viele Werke in den nächsten drei Monaten infolge der höheren Lohnsummen bei verkürzter Arbeitszeit nicht in der Lage sein werden, die zehnprozentige Produktionsabgabe voll abzuführen, wenn nicht eine Erhöhung der Preise oder eine Verschlechterung der Qualität eintreten soll. Beides muss aber unbedingt vermieden werden. Wir schlagen deshalb vor, dass die Produktionsabgabe für den Monat Mai auf 7%, für Juni auf 8% und für Juli auf 9% ermäßigt wird. Eine Lohnkürzung oder obligatorische Arbeitszeitverlängerung halten wir aus den früher erwähnten Gründen nicht für wünschenswert. Zur Deckung des Einnahmeausfalls schlagen wir zwei Quellen vor:
a) Je eine Schicht freiwilliger unbezahlter Sonntagsarbeit aller Werktätigen in den Monaten Mai, Juni, Juli, August und September. Diese sozialistischen Sonntage sind auf die sonstigen freiwilligen Sonntagsarbeiten einzelner Belegschaften nicht anzurechnen. Das gesamte finanzielle Ergebnis dieser Sonntagsarbeiten ist dem sozialistischen Akkumulationsfonds zuzuführen. Die Werke dürfen bei Feststellung des finanziellen Ergebnisses die gelieferten Materialien nur zum Selbstkostenpreise ansetzen. Allgemeine Produktionskosten dürfen für diesen Tag vom Werk nicht angerechnet werden.
b) Verstärkte Aufbringung von Sozialisierungsanleihe. Für alle Gewerkschafter besteht in diesem Jahre die Pflicht, die Mindestsätze, welche die Partei für ihre Mitglieder für Zeichnung von Sozialisierungsanleihe festgesetzt hat, ebenfalls zu zeichnen. Eine besondere Zeichnungskampagne ist einzuleiten mit dem Ziel, dass alle Anleihezeichner
Einzahlungen, die erst später geleistet werden sollten, bereits in den Monaten Mai bis Juli machen und ihre Zeichnung womöglich noch erhöhen, wobei der Mehrbetrag in den Monaten Mai bis Juni einzuzahlen ist.
Diese Anträge sind in einer Urabstimmung unter den Mitgliedern des Metallarbeiterverbandes gegen wenige Stimmen angenommen worden. Wir beantragen, dass sie auch in allen anderen Gewerkschaften oder Betrieben zur Abstimmung gelangen."
Das wird nun am 30. April geschehen. Wir hoffen, dass auch die Mitglieder aller anderen Industrieverbände dieselbe Einsicht zeigen wie die Metallarbeiter und dadurch die drohenden Schwierigkeiten abwenden. Damit ist aber erst ein Teil der Aufgaben, vor denen wir stehen, gelöst. Die Vermehrung der Energiequellen hat mit der Steigerung der Produktion nicht überall Schritt halten können. Besonders in der vierten Schicht (7 Uhr abends bis 1 Uhr nachts) ist der Elektrizitätsmangel sehr stark. Die Einschränkung der Straßen- und Hausbeleuchtung, die wir als Notmaßnahme durchführen mussten, kann nicht noch weiter verstärkt werden, da das Klub- und Versammlungsleben, das sich vor allem in dieser Zeit abspielt, darunter leiden würde. Eine vorübergehende Hilfe war der Fortfall der vierten Schicht in solchen Betrieben, die durch fehlerhafte Bearbeitung der Produktionspläne bisher zuviel produziert hatten. Auf diese Weise können wir uns in den nächsten Umstellungsmonaten wohl noch helfen. Bis zum Herbst müssen aber genügend Kraftspeicherungsanlagen aus Mitteln der Sozialisierungsanleihe gebaut sein. Auf keinen Fall aber darf in wichtigen Betrieben die erste Schicht (1 — 7 Uhr früh) ausfallen, wie dies in vereinzelten Fällen geschehen ist. Die Bequemlichkeit des einzelnen darf nicht zur Schädigung der Gesamtheit führen. Die Zeit von 1 bis 7 Uhr mit ihrem Energieüberfluss muss in allen dazu geeigneten Betrieben restlos ausgenützt werden. Noch eine wichtige Frage ist sofort zu lösen: Nach Meldungen der Arbeitsämter haben in den letzten Wochen in der N.E.F. über 50000 Arbeitslose Unterstützung bezogen, die durch Betriebsumstellungen freigesetzt worden sind. Ein Teil davon stammt aus Betrieben, die vorübergehend zum Zweck des Umbaus und der Rationalisierung stillgelegt wurden. Diese Arbeiter kann man also sehr bald wieder in den Produktionsprozess einreihen. Sie erhalten vorläufig nach einer neuen Verordnung für ihre Urlaubszeit den vollen Lohn, der vorschussweise vom Arbeitsamt gezahlt und später vom aufnehmenden Betrieb zurückerstattet wird. Ein Teil der unterstützten Arbeitslosen stammt jedoch aus stillgelegten Betrieben (veralteten oder Luxusartikelfabriken), die nicht wieder eröffnet werden. Soweit für diese Arbeiter nicht eine andere Arbeitsgelegenheit am Ort besteht, müssen sie sofort in die Bauindustrie übernommen werden, die immer noch unter starkem Arbeitermangel leidet. Alle gelernten Bauhandwerker und früheren Bauhilfsarbeiter, die während des Krieges und nach der Revolution in anderen Industriezweigen untergekommen sind, müssen sofort in die Bauindustrie zurückgeholt werden. Auch die Propaganda für freiwillige Umlerner ist — besonders unter den Jugendlichen — zu verstärken, ebenso die Lehrlingssperre in Gewerben, die Arbeiterüberfluss aufweisen. Den führenden Genossen im Zentralwirtschaftsrat hat das Parteiexekutivkomitee eine Rüge erteilt, weil sie auf dem Gebiete der Arbeitsbeschaffung nicht genügend Initiative bewiesen haben. Das hat allerdings seine besonderen Gründe. Der Z. W.R. hat bei der Zentralbaubank während des Winters und Frühjahrs große Darlehen aufgenommen. Auch in den nächsten Monaten können infolge der ungenügenden Bautätigkeit längst nicht alle Mieteinnahmen in der Bauindustrie angelegt werden. Der Z.W.R. hofft daher, dass er im Laufe dieses Sommers nicht nur keine Rückzahlungen an die Zentralbaubank zu leisten braucht, sondern sogar noch größere Summen erhalten wird, die er zur Behebung der Finanznot in den nächsten Monaten gut brauchen kann. Das wäre allerdings eine sehr bequeme Lösung dieses Problems. Aber wir sind nicht für solche allzu bequemen Lösungen der Ressortpolitiker. Unsere Parole lautet: aussprechen, was ist. Alle Fehler müssen aufgedeckt und rücksichtslos ausgemerzt werden. Das gewaltige sozialistische Aufbauwerk wird allen Menschen große Vorteile bringen. Wir müssen hart genug sein, auch von allen Menschen Opfer zu verlangen, vom höchsten Funktionär ebenso gut wie von dem freigesetzten Arbeitslosen, der einen neuen Beruf erlernen muss. Der erste Mai wird ein Festtag sein, wenn die Urabstimmungen günstig ausfallen und die Propagandawoche für vermehrte Zeichnung von Sozialisierungsanleihe Erfolg hat. Der erste Mai wird ein Trauertag sein, wenn die Zeichnungen hinter dem Voranschlag zurückbleiben und die Urabstimmung in den Betrieben und Gewerkschaften negativ ausfällt. Sorgt dafür, dass der erste Mai ein Festtag wird! !


Vorwärts - 29. April 1920

Wer wird siegen im sozialistischen Wettbewerb?

Der sozialistische Wettbewerb, der morgen seinen Abschluss findet, ist in zweifacher Beziehung der letzte seiner Art. Es ist der letzte Wettbewerb, der mit bedeutenden Geld - und Wertprämien ausgestattet wurde, die auf das abgabenfreie Grundvermögen der Arbeiterklubs der siegreichen Werke nicht angerechnet werden. Es ist aber auch der letzte Wettbewerb zwischen einzelnen Werken. Am 1. Mai ist die Zusammenfassung aller sozialisierten Unternehmungen in Trusts beendet. Im zweiten Trimester wird der sozialistische Wettbewerb also schon zwischen den einzelnen Trusts ausgetragen. Die Trusts können allerdings sozialistische Wettbewerbe unter den angeschlossenen Betrieben veranstalten. Es ist jedoch verboten, für diesen Zweck Wertprämien auszusetzen. Die siegreichen Werke oder ihre Arbeiterklubs dürfen lediglich Ehrenurkunden erhalten.
In der ganzen N.E.F. wird das Ergebnis des ersten sozialistischen Wettbewerbs im Rahmen der Föderation mit fieberhafter Spannung erwartet. Alle Partei- und Gewerkschaftszeitungen bringen lange Abhandlungen und Voraussagen über die wahrscheinlichen Sieger. Sicher ist bis jetzt nur, dass die ersten Preise in der Textilbranche nach Sachsen fallen werden, wo mehrere gleichwertige Gegner erbittert miteinander ringen. Aus den anderen vier Hauptindustriezweigen liegen bisher verschiedene Schätzungen vor, sie widersprechen einander so stark, dass wir es vorziehen, uns an dem allgemeinen Rätselraten nicht zu beteiligen.
Die Metallindustrie ist zum Zweck des sozialistischen Wettbewerbs in fünf Unterklassen eingeteilt. In der Sonderklasse (über 20000 Mann Belegschaft) dürften die L.L.W.-Breslau wieder das Rennen gewinnen, obwohl dieses Werk durch die begonnene Elektrifizierung und Rationalisierung des Verkehrswesens zu starken Umstellungen genötigt worden ist.
In der A-Klasse hat die Liebknecht- (früher Germania-) werft in Kiel die besten Aussichten.
In den anderen Klassen mit ihrer Vielzahl von Betrieben lässt sich überhaupt noch nichts Bestimmtes sagen. Der Trust für die Erzeugung landwirtschaftlicher Maschinen hat im Einverständnis mit dem Zentral-Wirtschafts-Rat für alle landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaften, deren Bildung am 1. Mai beschlossen wird, eine Ehrengabe ausgesetzt, bestehend aus:
1 Traktor, 1 Vierscharpflug, 1 Egge, 1 Sämaschine, 1 Mähmaschine.
Der Düngemitteltrust hat zur Unterstützung der Kampagne für Kollektivwirtschaften ebenfalls bedeutende Preise bereitgestellt.
Der Landwirtschaftsrat hat beschlossen, allen bis zum Abend des 1. Mai neugebildeten Kollektivwirtschaften, in deren Bereich nicht ein früheres Gutshaus liegt, das sich zur Einrichtung eines Klubs eignet, einen Zuschuss zur Erbauung eines neuen Klubhauses in Höhe der halben Kosten zu übermitteln.
Die Landagitation wird morgen und übermorgen noch verstärkt. Von Berlin gehen heute und morgen allein 700 Sonderzüge zur Landagitation ab.
In jedem Dorf der Nordeuropäischen Föderation finden morgen Versammlungen statt, in denen die landwirtschaftliche Industrialisierung und die Bildung von Kollektivwirtschaften propagiert wird.
Alle Flugzeuge und Luftschiffe in der ganzen N. E. F. werden morgen noch einmal eingesetzt, um alle ländlichen Ortschaften mit Flugblättern zu versehen.


Vorwärts - 2. Mai 1920

Gewaltige Fortschritte!

Der Abstimmungssieg: Auf 10 Egoisten — 100 Sozialisten
Der Anleihesieg: 12 Milliarden Mark erreicht
Der Sieg auf dem Lande: 2734 neue Kollektivwirtschaften
Der Sieg an der Wirtschaftsfront: 5ooo neue Genossenschaften
Die Aprilproduktion überschreitet die Planziffern
Der Sieg des F.S.W.: Zwei Millionen neue Mitglieder

Der 1. Mai war ein Festtag, war ein Siegestag, wie ihn die Welt noch nie gesehen. Die Morgenstunden standen überall noch im Zeichen der Propaganda. Am Nachmittag aber stieg die Siegesstimmung mit jeder neuen Nachricht. Ein Freudentaumel erfasste ganz Europa, die ganze sozialistische Welt. Das Proletariat feierte seinen Sieg, den Sieg über sich selbst, den Sieg der Selbstdisziplin. Welch ein gewaltiger Fortschritt seit dem vorigen Jahr! Damals waren wir gezwungen, einen Rückzug anzutreten. Die revolutionäre Selbstzucht war damals noch nicht stark genug, so dass wir zu Zwangsmaßnahmen schreiten mussten. Auch diesmal fiel der 1. Mai in eine Krisenzeit. Aber durch die Opferfreudigkeit und die heroischen Anstrengungen der Arbeiterklasse ist diese Krise überwunden worden. Die gewaltigen Arbeiten, die wir begonnen haben, können fortgesetzt werden ohne Verlängerung der obligatorischen Arbeitszeit und ohne Lohnkürzung.
Ü ber 30 neue Elektrizitätswerke sind am 1. Mai eingeweiht worden, aber gleichzeitig wurden mindestens zehnmal so viel Grundsteine zu neuen Elektrizitätswerken gelegt. Über tausend Betriebe, die ihre Rationalisierungs- und Umstellungsmaßnahmen beendet haben, öffnen noch heute ihre Pforten für eine gesteigerte Produktion, aber dreimal so viel Werke werden in diesen Tagen zu demselben Zweck stillgelegt. Im nächsten Vierteljahr dürfte die Umstellung der stillgelegten Luxuswarenbetriebe, Brauereien und Brennereien in der Hauptsache vollzogen sein. In der ganzen N.E.F. sind von heute ab nur noch 10 große moderne Brennereien und 30 große Brauereien in Betrieb. Der Konsum alkoholischer Getränke ist leider trotz aller Propaganda erst auf 32% des Vorkriegskonsums zurückgegangen. Das Verbot des Ausschanks alkoholischer Getränke an Jugendliche bleibt bestehen. Jedem Gastwirt, in dessen Lokal sich ein Gast sinnlos betrinkt, wird die Konzession entzogen. Die Steuern auf Alkohol sind gestern nochmals erhöht worden; dafür ist die Herstellung von alkoholfreien Getränken seit gestern von allen Abgaben frei. Die früheren Luxusgaststätten sind jetzt ausnahmslos Arbeiterklubs oder Kinderheime. Durch diese Maßnahmen und durch weitere Begünstigung und Verbilligung der Herstellung und des Vertriebs alkoholfreier Getränke hoffen wir, den Alkoholismus besser bekämpfen zu können als durch völliges Verbot. Durch ein solches Verbot würde, wie die Erfahrung in anderen Ländern zeigt, die Entstehung von Geheimbrennereien und damit die Bildung von privatem asozialen Kapital begünstigt. Revolutionäre Selbstzucht ist auch hier die Parole. Mit der alten Generation wird die Alkoholseuche langsam aussterben. Die aufgeklärte Jugend verabscheut und bekämpft den Alkohol. Parteigenossen, die bereits eine Verwarnung wegen Trunkenheit erhalten haben, werden im Wiederholungsfalle unweigerlich aus der Partei ausgeschlossen. Die Alkoholindustrie ist also die einzige Industrie, in der die Produktionsziffern ständig zurückgehen, und das ist gut so.
Die Wiederaufbauarbeiten im nördlichen Frankreich und in Belgien schreiten gut vorwärts. Die Industrie und die Gruben in diesen Bezirken sind fast völlig wiederhergestellt. Die landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaften mit allen Gebäuden und Einrichtungsgegenständen sollen zum größten Teil noch im Laufe dieses Jahres ausgebaut werden. Die Dörfer und kleineren Ortschaften sollen Mitte nächsten Jahres, die mittleren Städte Ende übernächsten Jahres, die größeren Städte im September 1923 nach den modernsten Städtebauplänen wiederaufgebaut sein. Der Wiederaufbaurat West hat am 1. Mai weitere zwei Milliarden von der Zentralbaubank erhalten. Hundert bewährte Baukolonnen sind verdoppelt, zwölf Baukolonnen mit schlechten Leistungen, die sich nicht zu korporativer Arbeit eigneten, aufgelöst worden. Die zwanzig besten Baukolonnen, die mit den modernsten Arbeitsmethoden geradezu Hervorragendes geleistet haben, werden im Laufe dieses Jahres ständig verstärkt und zu Bauregimentern erweitert. Nach Vollendung des Wiederaufbaus sollen fünf Bauregimenter in Deutschland (Ruhrgebiet, Mitteldeutschland, Neuberlin, Breslau, Oberschlesien), je zwei Bauregimenter und 20 Baukolonnen in der Donau-Balkan-Föderation und in der Mittelmeerföderation, die übrigen freigewordenen Bauregimenter, -bataillone und -kolonnen in den östlichen Randgebieten der N. E. F. und in Russland eingesetzt werden. Die Kriegsschäden im Rheinland, in West- und Mitteldeutschland und in Böhmen sind zum größten Teil behoben. Der Wiederaufbau in Holstein, auf den dänischen Inseln und im Odergebiet wird in diesem Jahre beendet. Die Schweiz hat sich jetzt völlig auf die neuen Verhältnisse umgestellt und kann in diesem Jahre 100000 erholungsuchende Bauern, Arbeiter, Kinder und Frauen mehr aufnehmen als im vorigen Jahr.
Der Ausbau der Wasserkraftwerke in der Schweiz schreitet, ebenso wie in Süddeutschland und in Schweden-Norwegen, gut vorwärts. In Skandinavien herrscht bereits ein fühlbarer Arbeitermangel. In den nächsten Jahren sollen dort mehrere Millionen aus Deutschland, Polen und Russland angesiedelt werden, damit die neuen gewaltigen Energiemengen an Ort und Stelle in modernen Fabriken ausgenützt werden können. Noch in diesem Jahre beginnen zwei, im nächsten Jahre fünf neu gebildete Bauregimenter in Skandinavien und in Finnland-Karelien mit dem Bau neuer Fabriken und Arbeiterwohnhäuser. Für die Beschäftigung der Bauhandwerker im Winter ist bereits gesorgt. In Spitzbergen sind bereits seit dem 15. März 12 Kohlenabbauregimenter und zwei Baubataillone tätig. Fünf Regimenter können diesmal bereits in dem neuen „Haus der Arbeit" überwintern und die Förderung mit modernster Ausrüstung auch im Winter fortsetzen. Vier Regimenter gehen nach England weiter, wo bis dahin auch die letzten Gruben modernisiert und auf rationelle Arbeitsmethoden umgestellt sind. Die restlichen drei Regimenter und die beiden Baubataillone werden im nächsten Winter in der Mittelmeerföderation eingesetzt. Die Baubataillone werden zu Regimentern verstärkt. Alle Mannschaften der Kohlenabbauregimenter mit Ausnahme der Urlauber sollen bis dahin in die Lage versetzt sein, zu überwintern und weiterzuarbeiten. Die Spitzbergen-Freiwilligen erhalten alle zwei Jahre ein halbes Jahr voll bezahlten Urlaub. Der Ausgang der sozialistischen Wettbewerbe hat eine eigenartige Note dadurch erhalten, dass in den größeren Betriebsklassen fast aller Föderationen und früheren Nationalstaaten die ehemaligen Rüstungsbetriebe an der Spitze marschieren, in Russland Lebedew, in England Armstrong, in Frankreich Schneider-Creuzot, in der Donauföderation Skoda. In Deutschland gelang es den Kruppwerken, dicht hinter Borsig und ganz knapp vor L. L. W., den dritten Platz zu belegen. Eine Ausnahme macht lediglich Italien, wo die Fiatwerke durch ihre gewaltige Automobilproduktion alle anderen Betriebe weit hinter sich zurückließen. Die Fiatwerke gewannen damit auch den großen Preis der Sozialistischen Union für stärkste Förderung des Automobilbaus, während der Sonderpreis für Steigerung der Traktorenproduktion an die Kruppwerke fiel. Die deutschen und französischen Automobilfabriken konnten trotz größter Anstrengungen den Vorsprung der Fiatwerke nicht mehr einholen. Die Fiatwerke produzieren schon seit November vorigen Jahres nur noch einen Wagentyp. Die meisten Werke der N. E. F. bauten dagegen noch im Januar zwei oder gar drei Typen. Die Opelwerke hatten sogar fünf verschiedene Wagenarten im Bau. Nunmehr sind jedoch alle Automobil- und Traktorenfabriken auf die rationelle Herstellung eines einzigen Typs umgestellt worden, so dass der Vorsprung der Italiener bald eingeholt werden dürfte. Der Sieg der ehemaligen Rüstungswerke ist unserer Meinung nach kein Zufall und auch nicht allein auf die moderne Ausrüstung dieser Werke zurückzuführen. Die Arbeiter und technischen Angestellten der früheren Rüstungsindustrie haben sich mit einem wahren Feuereifer auf die neuen Aufgaben umgestellt. In den Kruppwerken gab es in den letzten Monaten keinen Sonntag, der nicht durch freiwillige unbezahlte Arbeitsschichten ausgefüllt wurde. Die Arbeiter, die wochentags in vier Sechsstundenschichten arbeiteten, verrichteten am Sonntag in drei Schichten unbezahlte Überarbeit, so dass jeder Arbeiter durchschnittlich nur einen Sonntag im Monat frei hatte. In Breslau herrscht über diese Tatsache, die von der Kruppschen Belegschaft bisher sorgfältig geheim gehalten wurde, starke Empörung. Die Arbeiter der L. L.-Werke, die den Kruppwerken ganz knapp unterlegen sind, bezeichnen die Handlungsweise der Krupparbeiter als sozialistisches Dumping und das verlorene Rennen als ein ungerechtes Handikap. Ein Antrag der Waggonbauabteilung verlangt für die nächsten Monate die völlige Aufhebung des freien Sonntags. Diesem Antrage dürfte aber kaum stattgegeben werden. Bei einer täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden kann in kritischen Zeiten die Leistung von zwei freiwilligen unbezahlten Sonntagsschichten im Monat bedenkenlos gestattet werden. Im Höchstfalle dürfen drei Sonntagsschichten pro Monat genehmigt werden. Ein Sonntag muss auf jeden Fall frei bleiben, auch wenn die davon betroffenen Arbeiter es in ihrem sozialistischen Wetteifer anders wollen.
Als die Nachricht von dem Verlust der Spitze im sozialistischen Wettbewerb in der Stadt bekannt wurde, schlug die freudige Stimmung der Breslauer sofort in das Gegenteil um. An einigen Häusern wurden die roten Fahnen sogar auf Halbmast gesetzt. In einer überfüllten Abendversammlung wurde jedoch den Breslauer Arbeitern erklärt, dass sie keinen Anlass hätten, mit ihren Leistungen unzufrieden zu sein. Am 8. Mai 1913, also ein Jahr vor Kriegsausbruch, wurde die tausendste Lokomotive von den L.L.W. fertig gestellt. In der Nacht zum 1. Mai dieses Jahres leistete ein Teil der Belegschaft freiwillige unbezahlte Überstunden, um die fünftausendste Lokomotive noch bis zum 1. Mai fertig zu stellen. Durch die Umstellung der Produktion auf einen einzigen Typ, durch die Erweiterung der Werkanlagen, durch die Rationalisierung und die Einführung der vierfachen Sechsstundenschicht ist es den L. L.W. möglich, noch in diesem Jahre, also in acht Monaten, weitere 5ooo russische Einheitslokomotiven herzustellen. Dieses Beispiel beweist am deutlichsten die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaf t. Dabei stehen die L.L.-Werke im Gebiet des früheren Deutschland im Lokomotivbau erst an fünfter Stelle (hinter Henschel & Sohn, Krupp, Borsig und Schwartzkopf). Im Waggonbau dagegen stehen die L. L. W. nach Fertigstellung der neuen Erweiterungsbauten an erster Stelle. In Zukunft werden nur noch zwei Arten von Personen- und Güterwaggons in Breslau produziert (Typ Russland und Typ Balkan). Dadurch wird eine weitere Steigerung der Produktion eintreten. Die Breslauer Arbeiter können also mit ihren Erfolgen zufrieden sein. Wie ein Pflaster auf die Wunde wirkte dann noch die Mitteilung, dass Breslau in der Betriebsgrößenklasse C den ersten Preis im sozialistischen Wettbewerb erhalten hat. Der Preisträger ist das Feldbahnwerk „Lassalle" (früher Smoschewer), das große Lieferungen nach den Straßenbaufronten in Polen und Russland und nach dem Donau—Weichsel—Oder-Verbindungsgebiet zu leisten hat.
Die Arbeiten in diesem Gebiet gehen rüstig vorwärts. Die Roharbeiten zu zwei Staustufen sind am 1. Mai eingeweiht worden. Im ganzen sind zwanzig Staustufen geplant. Das Kanalsystem wird so angelegt, dass es sofort nach Fertigstellung für 1000-Tonnen-Flußkanalschiffe befahrbar ist. Als Mindestwassertiefe ist zunächst 1,60 m vorgesehen. Nach völligem Ausbau des Staubecken- und Wasserwirtschaftssystems soll jedoch eine stetige Fahrwassertiefe von 1,80 m erreicht werden, so dass das ganze Fluss und Kanalsystem später auch für größere Flussschiffe befahrbar sein wird. Die Schleusen werden bereits entsprechend angelegt. Drei Staubecken werden noch in diesem Jahre fertig; das Staubecken von Ottmachau dagegen erst Ende nächsten Jahres.
Die Leistungsfähigkeit der schlesischen Zementindustrie ist bereits verdreifacht worden, kann aber immer noch nicht alle Anforderungen erfüllen. Am 1. Mai wurden die Erweiterungsbauten der Werke Neudorf und Silesia eingeweiht. In Groschowitz ist der Bau einer großen Zementfabrik in Angriff genommen worden. Die oberschlesische Produktion steigt ständig. Der Wohnungsbau wird stark gefördert, trotzdem kann der Bedarf noch nicht annähernd befriedigt werden.
Die mitteldeutschen Kanal- und Wasserwirtschaftsbauten sind durch die Fertigstellung neuer Bagger und anderer Maschinen und durch den Zuzug von weiteren 80000 russischen und polnischen Landarbeitern stark gefördert worden. Der dringendste Bedarf des Ruhrgebiets ist durch den Zuzug von 50000 polnischen Arbeitern vorläufig gedeckt. Auch in der lothringischen Industrie und im Erzbecken von Longwy und Briey sind wieder 50000 polnische Arbeiter eingestellt worden.
Das polnische Menschenreservoir ist nun bald erschöpft, da die Straßen-, Eisenbahn- und Wasserwirtschaftsbauten in Polen sehr viel Arbeitskräfte beanspruchen. Die landwirtschaftliche Anbaufläche in Polen ist stark vergrößert worden. Im nächsten Erntejahre wird alles landwirtschaftlich nutzbare Land unter dem Pfluge sein. Die Anforderungen von polnischen Arbeitern aus dem wiederhergestellten nordfranzösischen Industriegebiet sowie aus Belgien und England konnten gerade noch befriedigt werden. In Zukunft werden wir immer mehr ungelernte Arbeiter aus Russland heranziehen müssen. Die Bekämpfung des Analphabetismus der russischen Landbevölkerung ist deshalb eine Frage, an der wir aufs allerstärkste interessiert sind. Im nächsten Jahr sollen weitere 10000 Lehrer nach Russland gehen. Für die freiwillige Übersiedlung nach Australien dagegen darf in Zukunft in West- und Mitteleuropa nicht mehr agitiert werden. Wir können niemand mehr entbehren. Angesichts dieser Menschenknappheit ist es geradezu ein Verbrechen, dass wir nach den Meldungen vom 30. April immer noch 30000 Arbeitslose unterstützen. Wir begrüßen deshalb die Verordnung des Zentralwirtschaftsrats, wonach nur noch für einen Monat Arbeitslosenunterstützung gezahlt werden darf. In diesem Monat muss sich der Arbeitslose für eine andere Tätigkeit entscheiden, wenn er in seiner Branche keine Arbeit finden kann. Wir brauchen jede Kraft. Ist es nicht ein Wahnsinn, dass 30000 leistungs - und arbeitsfähige Menschen untätig herumlaufen, während Tausende von russischen Bauernsöhnen unter großen Kosten herangeholt und ausgebildet werden! Diese skandalösen Zustände müssen wir sofort ändern.


Vorwärts - 4. August 1920

Vor 6 Jahren
Wir und Amerika

Wir denken nur mit Beschämung an jene Zeit zurück, in der wir deutschen Proletarier versagt haben. Aber wir haben unser Unrecht, soweit das noch möglich war, nach dem 9. November 1918 wieder gutgemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass sich die Ereignisse von 1914 nicht wiederholen können. Die Sozialistische Union steht fest. Wenn es den Kapitalisten Amerikas jemals einfallen sollte, uns anzugreifen, so werden sie auf Granit beißen. Das wird heute wieder der Millionenaufmarsch des Flug-, Sport- und Wehrverbandes bezeugen. Wir sind gegen jeden Angriff gerüstet. Zudem kann Amerika auch aus innenpolitischen Gründen nicht an Krieg denken. Die Zahl der von Amerika Deportierten nimmt ständig zu, die Zeiten des amerikanischen Einwanderungsüberschusses sind — trotz den hohen Löhnen, die jetzt in Amerika gezahlt werden — längst vorbei. In diesem Jahre sind allein im Bereich der N. E. F. ungefähr 100000 Menschen mehr aus Amerika eingetroffen, als wir an Amerika abgegeben haben. Natürlich denkt Amerika auch gar nicht an Krieg. Es will uns nicht mit Granaten, sondern mit Anleihen überschütten. Der amerikanischen Industrie geht es gut. Sie ist im Kriege ausgebaut worden und hat ungeheure Gewinne gemacht, die jetzt durch das Schuldenregelungsabkommen restlos realisiert worden sind. Kanada, Mittel- und Südamerika sind trotz allen Revolten fest in der Hand der Yankees. Die Schuldentilgung geht flott vorwärts. China allein hat bisher für 3 Milliarden Dollar mehr aus Amerika bezogen, als es in Landesprodukten geliefert hat. Aber den Amerikanern ging es immer noch zu langsam. Sie wollen angeblich so schnell wie möglich ihre Verbindlichkeiten loswerden. In Wirklichkeit möchten sie natürlich nur ihre Unternehmungen restlos ausnutzen und möglichst viel verdienen. Wir sind ihnen entgegengekommen : Die Amerikaner bauen allein in China in den nächsten Jahren ein Eisenbahnnetz in der Länge von 200000 km (das entspricht dem halben Eisenbahnnetz der Vereinigten Staaten). Wir zweifeln nicht daran, dass sie diese Verpflichtung ebenso wie alle anderen Lieferungsverträge erfüllen werden. Trotzdem waren wir überrascht, als sie uns das erste Anleiheangebot machten. Sie wollen uns über den Betrag ihrer Zahlungsverpflichtungen hinaus 5 Milliarden Dollars leihen, vielmehr: sie wollen uns dafür Waren liefern. Sollen wir dieses Angebot annehmen, oder sollen wir, wenn es seine Schulden beglichen hat, die finanziellen Beziehungen zu Amerika abbrechen? Die Meinungen sind geteilt. 20 Milliarden Mark sind eine Summe, die wir bei Durchführung der großen Pläne, die im nächsten Jahrfünft verwirklicht werden sollen, gut verwenden könnten. Wir brauchen sie nicht unbedingt: wir könnten unseren Aufbau auch aus eigener Kraft durchführen und finanzieren. Aber weshalb sollen wir das amerikanische Angebot ablehnen?
Wir geben den Amerikanern damit allerdings die Möglichkeit, ihren Wirtschaftsapparat restlos auszunützen und die kapitalistische Wirtschaft zu höchster Blüte zu bringen. Aber wir können anderseits auch unseren Aufbau ungeheuer beschleunigen. Die Fünfjahrespläne, die jetzt zur Debatte stehen, könnten durchweg erweitert werden. (Was die achtprozentigen Zinsen anbetrifft, an denen sich manche Genossen stoßen, so wird ihre Aufbringung für unsere ausgebaute Wirtschaft eine Kleinigkeit sein. In fünf Jahren können wir die geliehenen Summen mit Leichtigkeit zurückzahlen. Eine andere Frage ist es, ob den Amerikanern die Aufnahme dieser Summen dann überhaupt noch möglich ist. Aber das soll ja nicht unsere Sorge sein. Deshalb sind wir für Annahme des amerikanischen Angebots.)

Rückblick
In der kurzen Zeit seit Beendigung des Krieges ist Gewaltiges geleistet worden. Der Wiederaufbau liegt bald hinter uns. Allerdings, unsere Erfolge sind mit großen Opfern aller Werktätigen bezahlt worden. So gewaltig aber auch unsere freiwillig gebrachten Opfer sein mögen, wie verschwindend gering sind sie doch gegen die Opfer, die von der ganzen Menschheit während des Krieges erzwungen wurden. Ungefähr 10 Millionen Menschen sind den kapitalistischen „Vaterländern" geopfert worden. 350000 rote Soldaten fielen nach dem 9. November im Kampf für den Sozialismus. So schmerzvoll auch dieser Verlust für uns ist, wir können doch stolz sagen, dass der Erfolg nicht zu teuer bezahlt worden ist. 10 Millionen Menschen fielen für ein Phantom, für ein Nichts. Jene 350000 dagegen starben für eine hellere Zukunft der Menschheit. Und ebenso ist es mit den anderen Opfern, die wir alle gebracht haben. Sie waren schwer, gewiss, aber nicht umsonst. Und nun stellen wir uns einmal vor, wie die Welt heute aussehen könnte, wenn all die Opfer, die im Kriege gebracht wurden, ebenso planmäßig wie im letzten Jahr für den sozialistischen Aufbau gebracht worden wären, wenn all die Energien, die der Krieg verschlang, zum Zweck des Aufbaus verwandt worden wären, wenn die 20 Millionen Menschen, die aus dem normalen Produktionsprozess herausgerissen wurden, und die 20 Millionen Menschen, die nur für die Zerstörung gearbeitet haben, für eine planmäßige Aufbauarbeit verwandt worden wären!
Die Welt wäre heute schon ein Paradies! Was war, lässt sich nicht ungeschehen machen. Wir haben bezahlt für unsern kritiklosen Glauben an den Kapitalismus und an unsere „Führer", die „im Augenblick der Gefahr das Vaterland nicht im Stich ließen". Und unsere Schuld ist noch immer nicht ganz getilgt. Darum, Genossen! Vorwärts! Marsch! Erkämpfen wir unseren Kindern das Paradies, das wir uns selbst verscherzt haben!

Was erreicht wurde
In der N. E. F. sind die Umstellungen der industriellen Produktion größtenteils beendet. Die Produktion ist weiterhin gestiegen und damit auch unsre Konsumtionskraft, die sich in den Löhnen und den Ausgaben für soziale Zwecke, sowie in den Zuwendungen an die Arbeiter-, Jugend- und Bauernklubs und an die Kinderheime ausdrückt. Eine Erhöhung des Individuallohns ist nicht geplant: sie widerspräche dem Prinzip der Kollektivierung des Konsums. Die noch immer nicht überwundene Wohnungsnot wird heute bereits nicht mehr so stark empfunden, da allen Werktätigen in Klubs, Tageserholungsheimen, Landhäusern, Erholungsheimen und Badeorten schöne und gut ausgestattete Räume zur Verfügung stehen. Manche Klubs sind sogar schon in der Lage, ihren Mitgliedern und Gästen Reitpferde zur Verfügung zu stellen. Wann hätte je ein Arbeiter vor der Revolution Zeit und Mittel gehabt, diesen schönen und gesunden Sport auszuüben? Er leistete sich bestenfalls ein Fahrrad, und das in der Regel auch nur, um zur Arbeit zu fahren.
Was hätte wohl ein Arbeitgeber in der Vorkriegszeit einem Arbeitnehmer geantwortet, der trotz sechsstündiger Arbeitszeit vier Wochen bezahlten Urlaub verlangt hätte, um ein Schweizer Sanatorium aufzusuchen? Wir finden das schon selbstverständlich. Was uns früher als Ideal erschien, genügt uns heute schon nicht mehr. Und mit Recht: wir könnten ja wirklich schon viel weiter sein, wenn wir nur an uns selbst, nur an West- und Mitteleuropa zu denken hätten. Aber wir sind Sozialisten und denken nicht nur an uns, sondern auch an die anderen, an die Genossen in den armen, unentwickelten, zurückgebliebenen Ländern, denen wir beim Aufbau ihrer Wirtschaft helfen müssen. In den anderen Föderationen, mit Ausnahme der englischen und der Mittelmeerföderation, geht es natürlich langsamer vorwärts als bei uns.
Am gewaltigsten, noch größer als bei uns, sind die Fortschritte in Australien. Dort sind bisher 3 Millionen Inder, 5 Millionen Chinesen und 3 Millionen Europäer angesiedelt worden, so dass die Majorität der weißen Bevölkerung plangemäß erhalten blieb. Und noch immer hält Australien daran fest, dass nicht mehr Exoten als Weiße einwandern dürfen. Auf Grund eines neuen Abkommens werden allerdings die Inder arischer Abstammung den Europäern gleichgesetzt, so dass die Schwierigkeiten für eine weitere Erschließung Australiens damit behoben wären, wenn nicht eben dadurch Indien in neue Schwierigkeiten geriete. Die Inder sind im allgemeinen schwer zur Auswanderung zu bewegen. Gerade diejenigen aber, die sich freiwillig zur Auswanderung melden, gehören dem fortgeschrittensten Teil der indischen Bevölkerung an. Durch ihre Abwanderung gehen also die wertvollsten Kräfte verloren, die zur Industrialisierung Indiens und zur Bekämpfung des Kastenunwesens dringend im Lande selbst gebraucht werden. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass immer weitere Kreise der im übrigen sehr weit fortgeschrittenen australischen Genossen von den veralteten Rassevorurteilen abrücken und sich für stärkere Zulassung der chinesischen Einwanderer aussprechen. In der australischen Partei wird voraussichtlich bald eine Mehrheit für diesen Standpunkt vorhanden sein. Für Japaner (es handelt sich meistens um Deportierte) besteht bereits völlige Einwanderungsfreiheit. Zu dieser Konzession entschloss sich die australische Partei, da der Zustrom „weißer" Einwanderer aus Nord- und Südamerika von Monat zu Monat zunimmt. Leider sind diese Amerikaner meistens im doppelten Sinn des Wortes weiß": da die Sozialistische Partei Amerikas Auswanderung als Fahnenflucht im Klassenkampf brandmarkt, handelt es sich fast durchweg um Unorganisierte (freigesetzte Landarbeiter und Bewohner der Slums, die mit den Behörden auf Kriegsfuß leben). Ob die Genossen in Australien viel Freude an diesen Brüdern „gleicher Farbe" erleben werden? Wir möchten es bezweifeln.
In der britischen Föderation (England, Schottland, Irland) geht es mit Riesenschritten vorwärts. Der katastrophale Arbeitermangel verhindert allerdings eine völlige Ausnutzung der englischen Industrie, so dass in England noch viele Millionen von Arbeitern freiwillig in drei Achtstunden bzw. Siebenstundenschichten arbeiten. Die Gegensätze zwischen England und Irland, die im Kapitalismus niemals gänzlich beseitigt werden konnten, sind jetzt völlig behoben. Die englische Kohlenproduktion, die vor dem Kriege ihren höchsten Stand mit 290 Millionen Tonnen erreichte, ist schon im Jahre 1919 auf 350 Millionen Tonnen gestiegen. Sie wird noch in diesem Jahre 400 Millionen Tonnen überschreiten und soll im nächsten Jahre 500 Millionen Tonnen erreichen.
Durch die weitere Steigerung der Förderung auf Spitzbergen, durch Ausbau der nordfranzösischen und Ruhrkohlenbergwerke, durch gewaltige Forcierung der mitteldeutschen Braunkohlenförderung, durch Ausbau der oberschlesischen Gruben, verstärkte Arbeit im Donezbecken, sofortige Erschließung der gewaltigen sibirischen Kohlenvorkommen und der riesigen russischen Torflager, durch Verdoppelung der Erdölproduktion in Rumänien, im Kaukasus und in Mesopotamien und nicht zuletzt durch die neuen gewaltigen Wasserkraftwerke werden wir also bald in der Lage sein, unseren wachsenden Energiebedarf zu befriedigen. Wir haben diese gewaltigen Energiemengen aber auch bitter nötig, wenn wir die großen Aufgaben bewältigen wollen, vor die uns die Fünfjahrespläne stellen.
Russland, vor kurzem noch das industriell rückständigste Land, ist nahe daran, uns zu überflügeln: Es holt unsern Vorsprung mit Riesenschritten ein und schreckt nicht davor zurück, von seinen Arbeitern gewaltige Opfer zu verlangen. Russland will während des Fünfjahresplans ungefähr 100 Milliarden Mark investieren. Dazu kommen noch die 45 Milliarden Mark, die wir nach den vorliegenden Entwürfen liefern werden, sowie 15 Milliarden aus der britischen und 5 Milliarden aus der Donau-Balkanföderation (letztere trägt praktisch auch die N. E. F., da sie 7,5 Milliarden an die Donau-Balkanföderation liefern soll). Die Mittelmeerföderation erhält 3 Milliarden von uns und soll ebensoviel Waren an Russland liefern. Am Ausbau Australiens und Südafrikas sind wir mit je 2, am Aufbau Chinas und Indiens mit je 5 Milliarden beteiligt. Zu den Kosten der ersten Erschließung Zentralafrikas haben wir im nächsten Jahrfünft 3 Milliarden Mark beizutragen. Den Löwenanteil der Industrialisierungskosten in den vorgenannten Gebieten hat England zu tragen. China erhält darüber hinaus noch die großen Lieferungen aus Amerika. Die Mittelmeerföderation wird ihre ganze Kraft auf Nordafrika, Syrien und Arabien konzentrieren, während wir die Hauptkosten der Erschließung Kleinasiens, Persiens und Mesopotamiens übernehmen. Wir sollen also, falls die Entwürfe, so wie sie jetzt vorliegen, angenommen werden, in den nächsten fünf Jahren für zirka 70 Milliarden Mark mehr Erzeugnisse an andere Föderationen abführen, als wir auf dem Wege des Austausches von ihnen erhalten. Eine gewaltige Aufgabe, aber wir können sie lösen, und wir werden unseren ganzen Ehrgeiz einsetzen, die gesteckten Ziele nicht nur zu erreichen, sondern über sie hinaus zu gelangen. Im Kapitalismus betrug die Akkumulation der Länder, die heute die N. E. F. umfasst, jährlich schätzungsweise 20 Milliarden. Dazu kamen jährlich mindestens 5 Milliarden Verluste durch Wirtschaftskämpfe. Diese Beträge allein sind doppelt so hoch wie die Summe, die wir akkumulieren müssen, um unsere Abgaben an andere Föderationen aufzubringen. Aber heute bereits akkumulieren wir, dank den Ersparnissen im Heerwesen, in der Flotte, der Polizei und der Verwaltung jährlich zirka 68 Milliarden. Und der Produktionsüberschuss wird in den nächsten fünf Jahren noch sehr erheblich steigen. Die Vorteile der Planwirtschaft, der restlosen Rationalisierung und völligen Ausnutzung aller modernen Betriebe werden sich erst in Zukunft richtig auswirken, so dass trotz den gewaltigen Abgaben und neuen Plänen (allein für Wohnungsbau sollen 20—25 Milliarden verausgabt werden) bald eine Lohnerhöhung oder Arbeitszeitverkürzung erfolgen könnte. Die vorliegenden Pläne sehen jedoch weder in diesem noch im nächsten Jahre eine Erhöhung des Normalstundenlohns vor. Da aber die Fünfjahrespläne, mit Ausnahme des russischen, keine neuen Sozialisierungsanleihen bringen, steigt in Wirklichkeit der Reallohn erheblich. Die 10 prozentige Stabilisierungsanleihe wird sogar zum 1. Juli 1921 gekündigt und zurückbezahlt, soweit sie der Zeichner nicht freiwillig in eine 6 prozentige Anleihe konvertiert. Mit der 8 prozentigen Sozialisierungsanleihe soll dasselbe je zur Hälfte per 1. Juli 1922 und 1923 geschehen. Aus den Reihen der radikalen Mitglieder und besonders aus den Reihen der Jugend sind schwere Vorwürfe gegen den Zentralwirtschaftsrat erhoben worden. Es wird behauptet, er habe durch die Politik der hochverzinslichen Anleihen eine Art neuen Kapitalismus geschaffen. Diese Vorwürfe sind kaum gerechtfertigt. Ohne unsere Anleihepolitik hätten wir nie das erreichen können, was wir bis jetzt geschaffen haben. Der Anreiz der hohen Verzinsung war zunächst notwendig, da die breiten Massen noch nicht sozialistisch geschult waren. Außerdem war es uns durch diese Anleihepolitik möglich, das versteckte Warenkapital der kleineren und mittleren Kapitalisten für die Volkswirtschaft nutzbar zu machen. Wir haben dadurch dem wirklichen Kapitalismus und vor allem dem privaten Handel viel mehr geschadet, als wir es durch bloße Konfiskationen jemals vermocht hätten. Das beste Beispiel ist Holland: Die holländische Wirtschaft und Währung hatte durch die Umwälzung so wenig gelitten, dass bei der Stabilisierung der Gulden einer Einheitsmark gleichgesetzt werden konnte. In Holland war aber auch der kleine und mittlere Kapitalismus noch um die Mitte des vorigen Jahres so stark, dass er beinahe als die vorherrschende Wirtschaftsform angesehen werden konnte. Obwohl in Holland wenig Zwangsmaßnahmen angewandt worden sind, ist es doch gelungen, den Anteil der privaten Produktion auf etwas über 20% und den Anteil des privaten Handels auf unter 40% des Gesamthandels herabzudrücken. Das ist immer noch unbefriedigend im Vergleich zu Deutschland und sogar im Vergleich zu Frankreich, dennoch ein beachtlicher Erfolg.
Unsere Anleihepolitik ist also ebenso notwendig wie erfolgreich gewesen. Was aber im vorigen und zum Teil noch in diesem Jahre galt, gilt nicht mehr im nächsten Jahre. Wo sollen die Liliputkapitalisten, die auch nach der Vermögensabgabe ihr ganzes in Anleihen angelegtes Kapital behalten haben, in Zukunft ihr Geld anlegen? Wenn sie nach Amerika auswandern, dürfen sie nur die Hälfte und im Höchstfalle 5000 Mark mitnehmen. Sie werden es also vorziehen, hier zu bleiben und sich mit 6% zufrieden geben. Der Zentralwirtschaftsrat rechnet damit, dass nach der Kündigung der Anleihen nur ungefähr 10%, höchstens 15% der gezeichneten Beträge zurückgezahlt werden müssen und der übrige Teil in 6 prozentige Anleihen konvertiert wird. Da die Parteimitglieder zur Konvertierung verpflichtet sind und die andern Arbeiter wahrscheinlich nicht nachstehen wollen, erscheint uns dieser Voranschlag nicht zu optimistisch.


Vorwärts - 1. Oktober 1920

Der russische Fünfjahresplan in Kraft

Es ist bedauerlich, dass durch das vorzeitige Losschlagen der Russen eine gewisse Unklarheit in den Wirtschaftsplänen eintritt. Die Laufzeit aller anderen Fünfjahrespläne beginnt am 1. Januar. Die Genossen in Russland aber glauben, dass sie uns ebenso wie in der politischen auch in der wirtschaftlichen Revolution vorausgehen müssen. Wir geben zu, dass die Russen für ihr übereiltes Tempo triftige sachliche Gründe haben. Russland ist auf fast allen Gebieten am weitesten zurück. Es will vor allem unseren technischen Vorsprung so bald wie möglich einholen. Auch spielt dort die Landwirtschaft noch eine so ausschlaggebende Rolle im Gesamtproduktionsprozess, dass es durchaus vernünftig erscheint, das Wirtschaftsjahr (also auch das erste Jahr des Fünfjahresplans) mit dem Erntejahr zusammenfallen zu lassen. Das hervorstechende Merkmal des russischen Fünfjahresplans ist die in den ersten Jahren fast etwas übertriebene Investition in solchen Produktionsmitteln, die von der Konsumtionssphäre noch sehr weit entfernt sind. Trotz den gewaltigen Zuschüssen von Fertigwaren, die wir in den nächsten fünf Jahren an Russland zu leisten haben, muss daher der Massenkonsum im Durchschnitt weit hinter dem west- und mitteleuropäischen zurückbleiben. Das russische Lohnniveau wird in den ersten drei Jahren noch tiefer unter dem unsrigen liegen, als es schon infolge der niedrigen Gesamtproduktivität der russischen Wirtschaft an sich notwendig wäre. Es geht den russischen Arbeitern und Bauern heute schon besser als vor dem Kriege. Aber es geht ihnen noch lange nicht so gut wie dem Arbeiter in der N.E.F. Nicht nur, dass die meisten russischen Arbeiter noch sieben oder gar acht Stunden arbeiten und niedrigere Löhne als in Westeuropa erhalten, auch die Zahl und Ausrüstung der russischen Klubhäuser, Kinderheime, Tages- und Landerholungsheime sowie der Kurorte ist noch viel geringer als bei uns. Die vom russischen Kapitalismus übernommene Erbmasse war eben in dieser wie in jeder Hinsicht sehr dürftig. Russland wird daher erst in einigen Jahren, nach Beendigung zahlreicher Neubauten an den Ufern des Schwarzen Meeres, in der Krim und im Kaukasus, daran denken können, jedem Arbeiter alle Jahre einen unentgeltlichen Ferienaufenthalt in einem Kurorte zu bieten, während wir schon im nächsten Jahre dazu in der Lage sind. Hier soll der Ferienaustausch einige Abhilfe schaffen: Für Arbeiter aus der N. E. F. werden im nächsten Jahre 100000 Plätze in russischen Kurorten freigehalten. Die russischen Arbeiter und Bauern erhalten dagegen 500000 Freiplätze in Deutschland, in der Schweiz, in Dalmatien, an der Riviera und in Italien. Schwerkranke kommen natürlich nach wie vor in das Bad oder in den Luftkurort, wo sie am ehesten Heilung finden, einerlei, ob dieser Ort nun an der See, in Russland oder Ungarn, in der Schweiz, in Italien oder in Ägypten liegt. Wenn das arme Russland mit seiner schwachen Industrie, seiner zum großen Teil immer noch aus Analphabeten bestehenden Bevölkerung und seinen unentwickelten Hilfsmitteln den Fünfjahresplan voll erfüllt, so stellt es uns in den Schatten. Trotz den gewaltigen Aufgaben, die wir uns gestellt haben, reicht unser Fünfjahresplan im Verhältnis zu unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei weitem nicht an den russischen heran. Haben wir unsere Leistungsfähigkeit unterschätzt, oder haben die russischen Genossen die ihre überschätzt? Müßige Frage! Der gigantische Fünfjahreswettbewerb innerhalb der Sozialistischen Union hat begonnen: Fünf Jahre lang heißt es, noch einmal alle persönlichen Wünsche zurückstellen zum Wohl des Ganzen. Dann aber ist die Verwirklichung des sozialistischen Ideals in greifbare Nähe gerückt.


Vorwärts - 15. Oktober 1920

Maritimes Wettrüsten?

Bei den Friedensverträgen mit Amerika und Japan ist es leider unterblieben, eine Abmachung über die Einstellung von Kriegsschiffbauten zu treffen. Jeder Gedanke an einen möglichen Krieg lag damals so fern, dass Rüstungsfragen überhaupt nicht erörtert wurden. Jetzt zeigen sich die Folgen: Amerika und Japan arbeiten — zuverlässigen Meldungen zufolge — fieberhaft an der Verstärkung ihrer Kriegsflotten. Sie können unmöglich daran denken, gegeneinander Krieg zu führen, denn die Beute, um die sie ihn früher vielleicht geführt hätten, China, ist ja Unionsgebiet. Es kann sich also nur um Kriegsvorbereitungen gegen die Sozialistische Union handeln, so unsinnig dieser Gedanke auch ist. Die Treiber sind natürlich die Kriegslieferanten. Wir können dem nicht tatenlos zusehen. Das revolutionäre Kriegskomitee hat beschlossen, alle Kriegsschiffe, die weniger als 15 Jahre alt sind, instand zu setzen und gefechtsbereit zu halten. Außerdem werden alle Torpedo- und Unterseeboote sofort wieder instand gesetzt sowie durch Neubauten ergänzt. Das vollkommen neuzeitliche Scapa-Flow-Geschwader wird mit Dreijährig-Freiwilligen bemannt. Alle anderen Schiffe erhalten eine ständige Bemannung, die in den Werften und Fabriken der Hafenorte arbeitet, alle Jahre eine vierwöchige Übung mitmacht und bei Mobilmachung sofort zur Verfügung steht.
Europa und die Mittelmeergebiete lassen sich also ohne allzu hohe Kosten gegen jeden maritimen Angriff schützen. Anders steht es dagegen um Südafrika, China, Ostsibirien, Australien, Ozeanien und Indien. In Kapstadt soll ein Geschwader stationiert werden, dessen Bemannung sich aus Kapstädter Arbeitern rekrutieren wird. Auf den Philippinen muss dagegen zum Schutz gegen einen plötzlichen Überfall ein modernes aktives Geschwader liegen, das jederzeit imstande ist, die Durchfahrten zwischen dem asiatischen und australischen Kontinent mit Unterstützung von Unterseebooten und Hilfskreuzern zu verteidigen. China, Ostsibirien und Indien sollen dagegen keine moderne maritime Verteidigung erhalten, da uns das unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen würde.
Der Zentralrat der S. U. hat in einer Note an die amerikanische und japanische Regierung Verwahrung gegen die Neubauten eingelegt und sofortige Verhandlungen angeboten. Sollten die Kapitalisten sich weigern, die Schiffsbauten einzustellen, so werden wir ihrer gesamten Handelsflotte das Anlaufen unserer Häfen verbieten und den Handel mit dem kapitalistischen Ausland sofort einstellen. Natürlich werden wir, da eine solche Maßnahme die Fünfjahrespläne undurchführbar machen würde, alles daran setzen, um die Frage friedlich zu lösen.


Vorwärts - 20. November 1920

Das Ergebnis der Verhandlungen mit Amerika
Einstellung aller Kriegsschiff bauten Fünf Milliarden-Dollar-Anleihe

Also da lag der Hase im Pfeffer! Die Amerikaner wussten genau, dass sie gar nicht an einen Krieg denken können. Aber die Herren Rüstungspatrioten haben trotz der industriellen Hochkonjunktur immer noch nicht genug verdient. Deshalb mussten sie für einige hundert Millionen Dollars Kriegsschiffe bauen. Deshalb auch das dauernd wiederholte Angebot von Anleihen, obwohl wir nichts davon wissen wollten. Zuerst verlangten sie 10%, dann 8%, schließlich 7%, und jetzt sind sie froh, ihr Geld mit 6% loszuwerden. Kapitalistische Logik! Was hätten sie wohl gemacht, die Herren Amerikaner, wenn die sozialistische Revolution auf ein einziges Land beschränkt geblieben wäre? Nicht einen Pfennig Kredit hätte dieser sozialistische Staat erhalten, solange es noch andere Möglichkeiten der Kapitalsanlage gab. Aber das ist es ja gerade: die profitversprechenden Anlagemöglichkeiten werden knapp. Die Schulden an die Union sind fast abgedeckt. Die südamerikanischen Staaten und Mittelamerika haben zwar auch Milliarden Dollars aufgenommen, aber immer noch nicht genug, um für die ungeheuren Mehrwerte der blühenden nordamerikanischen Wirtschaft eine Anlagemöglichkeit zu bieten. In dieser beispiellosen Hochkonjunktur konnten die amerikanischen Kapitalisten ihren Arbeitern trotz Riesengewinnen immer höhere Löhne zahlen. Löhne von 5 Dollars pro Tag sind nichts Seltenes mehr, so dass sich Millionen von amerikanischen Arbeitern an der Kapitalakkumulation beteiligen. Aber wohin mit all dem Segen? Die Riesengewinne können nur realisiert werden, wenn große Warenmassen oder Kapitalmengen, für die es in der kapitalistischen Inlandswirtschaft keine rentable Absatz- oder Anlagemöglichkeit mehr gibt, ins Ausland gehen. Deshalb bieten die Kapitalisten uns, ihren Todfeinden, Anleihen an, ja, drängen sie uns geradezu auf. Gut, wir werden sie nehmen. Wir werden unsern industriellen Aufbau damit beschleunigen. Aber was wird in Zukunft, wenn wir wirklich keine Anleihen mehr brauchen können? Werden die Kapitalisten dann Krieg machen, die Welt zerstören, um Platz zu schaffen für das Geld, in dem sie zu ersticken drohen? 1914 soll uns eine Warnung sein: Wir dürfen uns nicht in Friedensillusionen wiegen.


Vorwärts - 4. Dezember 1920

Die Forderungen der kommunistischen Jugend

In der ganzen S. U. demonstrierte gestern die kommunistische Jugend für die Parole:
Weg mit der kapitalistischen Anleihepolitik! Macht Ernst mit dem Kommunismus!
Die Forderungen der Jugend sind zum Teil berechtigt, zu einem andern Teil schießen sie weit über das im Augenblick Erreichbare und Wünschenswerte hinaus. Sie wenden sich gegen die Annahme amerikanischer Anleihen und zugleich gegen die Verzinsung der Inlandsanleihen. Sie verlangen, dass der Individuallohn herabgesetzt und der größte Teil des Konsums kommunisiert wird. Gleichzeitig soll der Gesamtlohn, also Individual- plus Kollektivlohn, gesenkt werden, damit die sozialistische Akkumulation verstärkt werden kann.
Gestern abend haben Verhandlungen zwischen dem Exekutivkomitee der Internationale und den Delegierten der Jugend stattgefunden. Der Jugend wurde klargelegt, dass wir zunächst einmal die sozialistische Wirtschaft restlos aufbauen müssen, bevor wir an die Verwirklichung des Kommunismus denken können. Die Pflicht der Jugend ist es, bei der Lösung beider Aufgaben voranzugehen. Tatsächlich ist das Leben in den kommunistischen Jugendklubs des Flug-, Sport- und Wehrverbandes ein Beispiel für uns alle! Sie lernen kostenlos Motorrad fahren, fliegen und Auto fahren, schwimmen, reiten, fechten und schießen, haben Kanus, Ruder-, Segel- und Motorboote, Lastkraftwagen und Reitpferde zu ihrer Verfügung. Überall, wo sie hinkommen, stehen ihnen Klub- und Landhäuser, Jugendherbergen, Bootshäuser, Autogaragen und Flughallen offen. Die Bibliotheken sind geradezu mustergültig organisiert. Die künstlerischen und populärwissenschaftlichen Veranstaltungen mancher Klubs werden von Nichtmitgliedern so überlaufen, dass diese Klubs sogar erhebliche Barüberschüsse erzielen. Ihren Urlaub (dies Jahr sechs Wochen, im nächsten schon acht) verbringt die kommunistische Jugend auf Wanderungen oder auf ehemaligen Truppenübungsplätzen. Viele wohnen dauernd in den Ledigenheimen der Jugendklubs, wo sie preiswert mit einfachem Essen und alkoholfreien Getränken versorgt werden. In manchen dieser Klubs wurde bereits die Wäscheversorgung und die Reparatur von Kleidung und Schuhwerk kommunisiert. Dem Alkohol und dem Tabak haben die meisten Mitglieder abgeschworen. Übermäßiger Aufwand gilt als Laster. Der — allerdings ziemlich hohe — Klubbeitrag ermöglicht ihnen freien Eintritt in Kinos, Theater, Ausstellungen und alle sonstigen Veranstaltungen.
Es ist deshalb nur selbstverständlich, dass die K.J. jetzt den Beschluss gefasst hat, alles irgend entbehrliche Geld, soweit es nicht zum weiteren Ausbau der Klubeinrichtungen gebraucht wird, in einer selbstorganisierten freiwilligen Industrialisierungsanleihe anzulegen.
Aber die Jugendlichen sind damit nicht zufrieden: sie wollen auch uns, die vom Kapitalismus verseuchte alte Generation, umkrempeln. Sie wollen ihre Eltern und alle anderen Erwachsenen mit Verachtung strafen, wenn sie nicht auf eine Verzinsung ihrer Anleihebeträge verzichten. Sie verlangen die Umwandlung aller Anleihen in zinsfreie Obligationen. Diese Forderung ist aber vom Zentralwirtschaftsrat abgelehnt worden. Dagegen wurde stärkste Propaganda für die freiwillige Konvertierung aller alten Anleihen beschlossen: jeder Anleihezeichner wird vor die Frage gestellt, ob er alte Anleihen bei Fälligwerden zuzüglich Zinsen ausgezahlt zu bekommen wünscht oder ob er sie in 6 prozentige bzw. in unverzinsliche Industrialisierungsobligationen konvertieren will. Die Forderung der kommunistischen Jugend nach Auflegung unverzinslicher Industrialisierungsobligationen wurde angenommen. Daneben soll aber auch eine 4 prozentige Industrialisierungsanleihe aufgelegt werden, damit die funktionslos gewordenen Kapitalien der Liliputkapitalisten aufgesaugt und auch die Arbeiter, die sich von kapitalistischen Gedankengängen noch nicht freigemacht haben, zur Zeichnung angeregt werden. In Wirklichkeit dürfte jedoch auch für den kapitalistisch denkenden Menschen die Zeichnung von unverzinslicher Anleihe rentabler sein als die Zeichnung verzinslicher. Die verzinsliche Anleihe wird nämlich in Markbeträgen nominiert, während die unverzinsliche auf Arbeitsstunden lautet: bei der Einzahlung wird ein Stundenlohn einer Mark gleichgesetzt. Die Zeichner von unverzinslicher Stundenanleihe werden nach Ablauf des Fünfjahresplans von so viel Pflichtarbeitsstunden befreit, wie sie Stundenanleihe gezeichnet haben. Die Pflichtarbeitszeit beträgt augenblicklich im Monat 150 Stunden und wird nach Ablauf des Fünfjahresplans wahrscheinlich nur noch 100 Stunden betragen. Der Anleihezeichner, der jetzt 10 Stunden monatlich zeichnet, opfert damit also ein Fünfzehntel seiner Monatsarbeitsleistung, er wird aber in fünf Jahren ein Zehntel seiner monatlichen Arbeitsleistung zurückerhalten. Wer im nächsten Jahre 300 Stunden zeichnet, wird also im Jahre 1926 über seine Urlaubszeit hinaus (die dann wahrscheinlich zwei Monate betragen wird) weitere drei Monate von der Pflichtarbeit ohne Kürzung seines Einkommens befreit sein.
Dagegen ist der Zeichner von Markanleihe, der in der Zwischenzeit allerdings seine 4% Zinsen erhält, 1926 gezwungen, das zurückerhaltene Geld in teuren und hochbesteuerten Luxusartikeln anzulegen. Eine andere Anlagemöglichkeit gibt es dann für ihn nicht mehr. Von der Arbeitspflicht wird er nicht befreit, und die Gegenstände des notwendigen Bedarfs wird er entweder umsonst oder zu billigen Preisen erhalten. Sozialistisches Sparen ist also selbst nach kapitalistischen Gesichtspunkten rentabler als kapitalistisches Sparen. Wir zweifeln nicht daran, dass weit mehr Stundenanleihen als Markanleihen gezeichnet werden. Parteimitglieder können natürlich nur Stundenanleihen zeichnen. Schon dadurch ist der Sieg der Stundenanleihe verbürgt, denn wir haben im letzten Jahre allein in der Partei und in den der Partei gleichgestellten Jugendverbänden 1500000 ordentliche Mitglieder neu aufgenommen, denen nur ein Abgang von zirka 100000 durch Tod, von 10000 durch Austritt und von zirka 300000 durch Ausschluss gegenübersteht. Die Zahl der Parteikandidaten hat sich um fast 3 Millionen vermehrt. Über 2 Millionen Anwärter haben sich ferner zu vorbereitenden Kursen angemeldet. Der Parteibeschluss über Anleihezeichnung wird sich also auf ungefähr 10 Millionen Menschen beziehen. Ganz sicher ist dieser Beschluss allerdings noch nicht, da er eine völlige Umgestaltung aller Fünfjahrespläne (mit Ausnahme des russischen) bedingte. Mit Ausnahme des russischen Fünfjahresplans wurden bekanntlich alle Pläne auf der natürlichen Akkumulation aufgebaut, die in den nächsten Jahren infolge der gewaltigen Steigerung der Produktivkraft bei stehen bleibenden Individuallöhnen und unverkürzter Arbeitszeit gigantische Dimensionen annehmen wird. In Russland liegen die Verhältnisse anders, die russischen Genossen wollen ihren Aufbau zum größten Teil aus eigener Kraft vollbringen und haben daher eine Sozialisierungsanleihe ausgegeben, die von der Arbeiterschaft große Opfer verlangt. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die Russen sich etwas mehr Zeit gelassen und sich mehr auf unsere Hilfe verlassen hätten. Aber sie haben ihren Willen durchgesetzt. Und wir werden ihnen, falls die neuen Anleihen Zustandekommen, auf diesem Wege folgen. Unsere armen Genossen in den Planwirtschaftskommissionen tun uns allerdings leid. Sie werden in der Umstellungszeit statt sechs Stunden wahrscheinlich 16 Stunden täglich arbeiten müssen, damit die Änderung der Produktionspläne ohne Reibungen vor sich geht. Um ihnen ihre schwere Arbeit etwas zu erleichtern, wird wahrscheinlich die Zeichnungsfrist auf einen Monat beschränkt.


Vorwärts - 12.Dezember 1920

Wegfall der Soziallohnzuschläge
Keine Frauenzulagen mehr! Staatlicher Kinderzuschuss!

Vom 1. Januar ab fallen alle Frauen- und Kinderzuschläge zum Normallohn fort. Frauenzuschläge gibt es überhaupt nicht mehr, da für Frauen die gleichen Arbeitsmöglichkeiten bestehen wie für Männer und alle kranken Frauen ausreichend betreut werden. Die Schwangeren erhalten vom fünften Monat der Schwangerschaft an bis acht Wochen nach der Entbindung den vollen Arbeitslohn. Voraussetzung hierfür ist die einwandfreie Feststellung der Schwangerschaft durch den Arzt. Die Aufnahme in Schwangeren-, Entbindungs- und Wöchnerinnenheimen erfolgt unentgeltlich. Schwangere Frauen sind von jeder Pflichtarbeit befreit, können sich jedoch freiwillig mit leichteren Arbeiten beschäftigen, wenn der behandelnde Arzt es gestattet. Die Schulpflicht wird auf alle Kinder im Bereich der S.U. bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahres ausgedehnt. Am 1. Januar werden in der S.U. über 5000 neue Schulen und 195 neue Universitäten eröffnet; damit ist Platz geschaffen für alle Schulpflichtigen in der S. U., außer in einigen innerasiatischen und innerafrikanischen Gebieten.
Eine Erziehungsbeihilfe von 20 Mark monatlich wird ab 1. Januar an alle Eltern oder Erziehungsberechtigten für Kinder unter 16 Jahren gewährt, die nicht in stationären Kinderheimen untergebracht sind. Die Zahlung dieser Erziehungsbeihilfe wird allerdings davon abhängig gemacht, dass die schulpflichtigen Kinder die Schule besuchen, und dass die Vier- bis Sechsjährigen mindestens drei Stunden täglich in die ambulanten Kinderheime gebracht werden. Lehrmittel werden unentgeltlich von Heimen und Schulen gestellt, ebenso Frühstück und Mittagessen.


Vorwärts - 12. Februar 1921

Zum Ergebnis der beiden Anleihen

Obwohl die Stärke der Propagandaaktion weit hinter der vorjährigen zurückstand, ist das Ergebnis der Industrialisierungsanleihezeichnung durchaus zufrieden stellend. In der ganzen Sozialistischen Union sind über 47 Milliarden Stundenanleihen gezeichnet worden. Der an 50 Milliarden fehlende Rest wird korporativ von der Partei, von den Verbänden der Genossenschaften, von den Gewerkschaften und von den Jugendabteilungen des Flug-, Sport- und Wehrverbandes übernommen. Die Planwirtschaftskommissionen können also mit rund 5o Milliarden rechnen. Der Ertrag der internationalen Stundenanleihe wird vollständig von der Zentralplankommission der S. U. verwaltet und verteilt. Die Plankommission der Föderationen haben also damit nur insofern zu tun, als ihnen von der Zentralkommission Lieferungsaufträge in Höhe der in der Föderation gezeichneten Beträge erteilt werden. Das Aufkommen aus der Markanleihe (im ganzen rund 11 Milliarden, davon in der N. E. F. ungefähr 3 Milliarden) fließt restlos den Föderationen zu.
Da eine Umarbeitung und Erweiterung der Fünfjahrespläne nicht in der kurzen Zeit durchgeführt werden konnte, bleiben diese Pläne zunächst noch bestehen. Der Überschuss aus den Anleihen und die eventuellen Mehrerträge infolge überplanmäßiger Steigerung der Produktion sollen dazu verwandt werden, die planmäßigen Arbeiten zu beschleunigen, also eventuell noch in diesem Jahr mit Arbeiten zu beginnen, die eigentlich erst im nächsten Jahr in Angriff zu nehmen waren.
Die Steigerung der Produktion erfolgt vor allem zugunsten der Urproduktion von Rohstoffen. Eine überplanmäßige Steigerung von 20% im ersten Jahre ergäbe infolgedessen eine vielleicht 40 prozentige Steigerung im dritten und vierten Jahr des Fünfjahresplans.
Man hofft, dass es gelingen wird, den Gesamtplan schon bis zum 30. April 1925 durchzuführen. Die Verwirklichung des Fünfjahresplans würde danach nicht länger dauern als der Weltkrieg (4 Jahre und 4 Monate). Der 1. Mai 1925 würde zum gewaltigsten Siegestag, den die Menschheit je gefeiert hat. Die sozialistische Menschheit! Denn in Amerika und Japan — wo die Presse uns heute als Utopisten lächerlich macht — hat man dann bestimmt keine Lust, mit uns zu feiern!
Im einzelnen soll sich die Beschleunigung des Tempos folgendermaßen auswirken: Die industriellen Produktionsziffern des ersten Jahres sollen erreicht werden am 30. November 1921
die des zweiten Planjahres am 31. Oktober 1922
die des dritten Planjahres am 31. August 1923
die des vierten Planjahres am 30. Juni 1924
die des fünften Planjahres am 30. April 1925.
Alle diese Fristen sind errechnet ohne Einsetzung von weiteren Anleihen in den nächsten Jahren. Bei Fortsetzung unserer Anleihepolitik könnten sie noch erheblich verkürzt werden. Sie könnten, sagen wir. Aber in Wirklichkeit können sie nicht. Wenn wir unsere Anleihepolitik auch im nächsten Jahre fortsetzten, dann gerieten wir in eine schwere Krise. Einerseits würden dann die Ziffern der Fünfjahrespläne (mit Ausnahme des russischen, der ja die Anleihen mit einkalkuliert hat) vollkommen hinfällig. Andererseits müssten wir an unserer Überproduktion ersticken. Das ist zunächst unglaubwürdig: konnte doch die Schwerindustrie, obwohl in vielen Werken die Produktion bereits auf über 400% gestiegen ist, den gewaltig gestiegenen Bedarf nicht einmal voll befriedigen. Besonders in der Baurohstoffproduktion blieb unsere Erzeugung so weit hinter dem Bedarf zurück, dass wir gezwungen waren, während des ganzen Winters unter Anwendung besonders kostspieliger Methoden die Anlage und den Ausbau von Ziegeleien, Zementwerken und sonstigen Baurohstoffbetrieben mit Hochdruck fortzusetzen. Die unzureichende Ziegel- und Kunststeinproduktion zwang uns, Unsummen für den Transport von Natursteinen in steinarme Gebiete auszugeben. In unsere Waldbestände mussten wir große Breschen legen, weil die Stahlbauindustrie noch lange nicht leistungsfähig genug ist. Im Gebiet des ehemaligen Deutschland werden die durch diesen Raubbau entstandenen Lücken bald vernarben, da wir etwa dreimal so große Flächen aufforsteten und uns in den meisten Fällen darauf beschränken konnten, schlagreifes Holz zu fällen. Durch die rechtzeitige Erschließung der polnischen und Karpatengebiete blieben wir vor allzu starkem Raubbau verschont. In den ohnehin waldarmen Gebieten Frankreichs, Italiens und Spaniens dagegen hat die Waldarmut sehr bedenkliche Formen angenommen. Im nächsten Jahre wird nun das russische Verkehrssystem so weit ausgebaut sein, dass wir gewaltige Holzmengen erhalten können. Allerdings werden diese Transporte in vielen Fällen auch nach sozialistischen Gesichtspunkten noch unrentabel sein, da wir wegen des noch immer ungenügenden Ausbaus des Verkehrssystems vielfach gezwungen sind, lange und kostspielige Verkehrswege in Anspruch zu nehmen. Trotzdem dürfen wir auf diese Quelle nicht verzichten. Die Abholzung nicht schlagreifer Waldbestände ist in Mitteleuropa völlig verboten. In Frankreich und in der ganzen Mittelmeerföderation darf überhaupt kein Holz mehr geschlagen werden. Dort beginnen in diesem Jahre die großen Aufforstungsarbeiten, für die Milliarden zur Verfügung stehen. Hundertdreißigtausend russische Freiwillige sollen dazu herangezogen werden. Diese Arbeiten sind sehr schwierig. Millionen und aber Millionen Kubikmeter Erde heißt es auf die kahlen Gebirge transportieren, die durch Raubbau in früheren Jahrhunderten verödeten. Kostspielige Berieselungsanlagen und sorgfältigste Pflege des Moosanbaus ist notwendig, damit sich an den kahlen Hängen, die früher von Wald bestanden waren, die ersten Ansätze einer neuen Vegetation halten können. Es gibt also noch genug Gebiete, auf denen eine weitere Steigerung der Produktion und große Investierungen notwendig sind. Diese Investierungen müssen aber mehr und mehr aus laufenden Einnahmen aufgebracht werden. Die ständige Verbrauchseinschränkung durch fortlaufende Zeichnung von Anleihen kann auf die Dauer nicht ohne Einwirkung auf den Absatz unserer Fertigfabrikate bleiben. Gewiss, wir können auf Vorrat produzieren. Wir können es uns leisten, größere Warenmengen aufzustapeln, als das im Kapitalismus möglich und rentabel war. Das würde aber, wenn es übertrieben wird, dem Gedanken der Planwirtschaft widersprechen. Nur bei schärfster Anspannung aller Kräfte, nur wenn ein Rad reibungslos ins andere greift, nur wenn all unsere Erzeugnisse sobald wie möglich ohne große Umwege in den Kreislauf der Wirtschaft eingehen, können wir die Aufgaben lösen, die wir uns gestellt haben. Wenn wir aber zu viel Waren aufstapeln, die nicht sofort abgesetzt werden, so ist das im gegenwärtigen Zeitpunkt gleichbedeutend mit teilweisem Leerlauf der Konsumtionsmittelproduktion, — also Vergeudung. Bei Fortsetzung der Anleihepolitik ist das aber kaum zu vermeiden. Anleihe zeichnen heißt: gegenwärtige Konsumtion einschränken zugunsten zukünftiger Mehrkonsumtion oder Minderproduktion. Niemand kann mit Bestimmtheit voraussagen, in welchen Artikeln die Anleihezeichner ihre Produktion einschränken werden. Wenn bisher keine Überproduktion in verschiedenen Warengattungen eingetreten ist, so kommt das daher, dass wir zunächst einmal die durch den Krieg erschöpften Bestände wieder auffüllen mussten. Und was in unserem Gebiet nicht dringend gebraucht wurde, mussten wir abgeben, um den geradezu unstillbaren Warenhunger im Osten und in Übersee zu stillen. Dabei sind wir fast alles losgeworden, was überhaupt da war. Das riesige Russland mit seinen 150 Millionen Bauern verschlang allein fast all unsere Warenüberschüsse.
Es machen sich aber doch schon die ersten Anzeichen von Warensättigung bemerkbar. In diesem Jahre wird der Absatz zwar noch nicht auf Schwierigkeiten stoßen, denn die Kaufkraft in allen neuerschlossenen Gebieten steigt enorm und wird voraussichtlich etwa in einigen Jahren die europäische erreichen. Noch sind die Fabrikationsanlagen in diesen Gebieten nicht soweit ausgebaut, dass sie einen nennenswerten Teil des Bedarfs decken können. Aber das ändert sich sehr rasch. Im Prinzip sollen allerdings nur Fabriken derjenigen Wirtschaftszweige in diesen Gebieten gebaut werden, in denen wir keine überschüssige Produktionskapazität besitzen. In der Praxis lässt sich das aber nicht immer durchführen. Es würde auch volkswirtschaftlich sinnlos sein, z. B. alle Eisenbahnschienen in Europa herstellen zu lassen und jährlich Millionen und Abermillionen für unnötige Transporte auszugeben, wenn man sie im Kaukasus oder in Sibirien per saldo billiger herstellen kann. Trotzdem wird unsere Metallindustrie auf Jahre hinaus nicht nur voll beschäftigt, sondern sogar kaum in der Lage sein, den Bedarf voll zu decken. Anders in der Textilindustrie. Solange wir zum größten Teil auf amerikanische Baumwolle und australische Wolle angewiesen waren, ließen wir natürlich die Rohstoffe für die Wäsche der russischen Arbeiter und Bauern auf ihrem Wege nach Osten über England, Sachsen oder über Lodz gehen und dort verarbeiten : Wolle für Anzüge ging nach Manchester, Paris, Lyon, Chemnitz, Neumünster, Berlin oder Breslau. Je stärker aber der Baumwollbau in Indien, Ägypten und Turkestan gefördert wird, je besser die osteuropäischen und innerasiatischen Verkehrsverbindungen nach dem Süden sind, um so unrentabler werden diese Umwege. Die nördlichen Strecken der Eisenbahn Sibirien—Turkestan sollen bis zum Herbst, die südlichen fünfviertel Jahr darauf fertig werden. Die Arbeiten am Wolga-Donaukanai gehen ebenfalls so rasch vorwärts, dass der größte Teil des Baus noch im nächsten Jahre beendet werden kann. Die nordafghanische Bahn wird noch im nächsten Jahre, die mittelafghanische Bahn in zwei Jahren fertig gestellt. Auch die transpersische Bahn und die letzte Strecke der Berlin— Basra-Bahn sollen Ende des nächsten Jahres dem Verkehr übergeben werden. Das Kaspische Meer hört auf, ein Binnenmeer zu sein: es wird ein wichtiger Brennpunkt des Weltverkehrs. Sobald diese Pläne verwirklicht sind, müssen wir unsere Wirtschaft vollkommen umstellen und die Arbeitszeit weiter verkürzen. Viele Arbeiten, die jetzt Europa leistet, können dann in diesen Gebieten ausgeführt werden. Alle schweren Waren, in denen verhältnismäßig wenig Arbeit steckt, sollen dann soweit wie möglich in den Gegenden produziert werden, wo man sie verbraucht. Erzeugnisse jedoch, in denen bei verhältnismäßig leichtem Gewicht sehr viel qualifizierte Arbeit steckt, werden auch künftig vorzugsweise wir herstellen.
Bis dahin wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Die Leistungen unserer Textilfabriken finden vorläufig ihre Begrenzung nur in den zur Verfügung stehenden Rohstoffen, obwohl wir den ganzen enormen Anbauüberschuss der gewaltig gesteigerten amerikanischen Produktion aufnehmen. Der Anbau von Flachs, Hanf und anderen Textilpflanzen in unserem Bundesgebiet wird in diesem Jahre fast verdoppelt. Selbst nach Fertigstellung der großen Erweiterungsbauten in Westpolen und der großen neuen Textilfabriken im russischen Industrierayon wird unsere Textilindustrie bei vierundzwanzigstündiger Fabrikation in Schichtenwechsel immer noch restlos ausgenützt werden können. Wir fühlen uns aber verpflichtet, schon jetzt auf die Gefahren hinzuweisen, die bei andauernder Steigerung des Tempos und bei Fortsetzung der Anleihepolitik entstehen können, denn das, was wir von der Textilindustrie gesagt haben, gilt natürlich in ebenso starkem oder in noch stärkerem Maße von anderen Zweigen der Fertigwarenfabrikation.
Auch sind wir der Ansicht, dass endlich angefangen werden muss, den Werktätigen die Vorteile des Sozialismus in dem Maße fühlbar zu machen, wie es uns der heutige Stand der Wirtschaft erlaubt. Die Arbeitszeit kann verkürzt, die Löhne können erhöht werden. Das wäre unseres Erachtens bei der jetzigen Lage durchaus zu rechtfertigen. Wir wissen, dass diese Auffassung nicht mit der des Föderations-Wirtschaftsrats und mit der des Zentralwirtschaftsrats übereinstimmt, fühlen uns jedoch verpflichtet, einer Meinung Ausdruck zu geben, die weiter verbreitet ist, als diese Behörden annehmen. Auf die Gefahr hin, dass die hier entwickelte Auffassung als reformistisch angesehen wird, stellen wir den Vorschlag zur Diskussion, vom nächsten Jahre ab keine weiteren Anleihen mehr aufzunehmen, was praktisch auf eine Erhöhung des Reallohns hinausliefe. Trotz allen Beteuerungen, dass die letzte Anleihe für die Werktätigen, mit Ausnahme der Parteiangehörigen, eine rein freiwillige Angelegenheit gewesen sei, muss doch gesagt werden, dass sie von weiten Kreisen als ein Abzug vom Lohn empfunden wurde, da die moralische Beeinflussung im Klub, in der Gewerkschaft, im Betriebe usw. ebenso wirkt wie direkter Zwang. Wer nicht zeichnet, wird oft schlimmer geächtet als ein Verbrecher. Es ist gewiss zu begrüßen, dass gegenseitige Kontrolle und revolutionäre Selbstdisziplin sich als so wirksam erwiesen haben. Wir müssen uns aber davor hüten, dies an sich gesunde Prinzip zu übertreiben. Den Einwänden des Wirtschaftsrates und der Plankommissionen begegnen wir von vornherein mit dem Argument, dass sie selbst vor nicht allzu langer Zeit ebenso gedacht und daher in die ursprünglichen Pläne keine Erträge aus Anleihen einkalkuliert haben. Die Änderung der Anleihepolitik ist letzten Endes doch nur auf die russischen Genossen zurückzuführen, die mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts gehen, weil sie sich nicht nachsagen lassen wollen, dass ihre Industrialisierung nur durch die Hilfe des Westens möglich gewesen sei.


Vorwärts - 20. Februar 1920

Ein Sturm der Entrüstung

Unser Leitartikel vom 12. Februar hat uns eine Flut von empörten Zuschriften eingetragen. Wir wollen nicht selbst dazu Stellung nehmen, sondern begnügen uns mit der Erklärung, dass der inkriminierte Artikel nicht von einem ständigen Mitglied unsrer Redaktion stammt, sondern von einem gelegentlichen Mitarbeiter, der selbst an verantwortlicher Stelle in einer Planwirtschaftskommission arbeitet. Wir gehen nicht so weit wie der französische Genosse, dessen Zuschrift wir nachfolgend veröffentlichen, sind aber doch der Ansicht, dass der Verfasser des strittigen Artikels aus der ökonomischen Lage falsche Schlüsse zieht und sich — so beachtenswert einige seiner Argumente sind — zum Wortführer kleinbürgerlicher Anschauungen macht. Rene Didier aus Longwy schreibt:
„Nieder mit den Defaitisten und Miesmachern! Um es vorneweg zu sagen: Der Genosse, der den Artikel vom 12. Februar verbrochen hat, scheint mir für die nächste „Reinigung" reif. Wohin sind wir gekommen, wenn solche Reformisten schon im Zentralorgan der Partei zu Wort kommen? Natürlich gibt es Kollegen, auch Genossen, die nur widerwillig ihrer Anleihezeichnungspflicht genügen. Es gibt sogar Arbeiter, die am liebsten nur noch drei Tage in der Woche arbeiten möchten und den industriellen Aufbau Russlands und Asiens als eine Aufgabe ansehen, die nur die Bewohner dieser Gebiete etwas angeht. Es gibt auch Arbeiter, die acht Stunden am Tage arbeiten möchten, um hohen Lohn zu bekommen. Sie wollen Luxusartikel oder gar ein eigenes Auto, wie es neuerdings in Amerika Mode geworden ist. Sollen sie doch nach Amerika gehen! Warum gehen sie denn nicht? Weil sie genau wissen, dass es dem amerikanischen Arbeiter trotz ständig steigenden Löhnen lange nicht so gut geht wie uns, dass auch der bestbezahlte amerikanische Arbeiter sich nicht entfernt das leisten kann, was dem Arbeiter in der S. U. in Klubs, Erholungsheimen und sonst geboten wird. Gewiss, der gutbezahlte amerikanische Arbeiter kann sich für sein Geld eine Menge Luxusartikel kaufen, die es bei uns glücklicherweise nicht gibt. Aber warum kommen dann, obwohl Gewerkschaften und Partei das Verlassen der Vereinigten Staaten als Desertion im Klassenkampf verurteilen, Tausende von amerikanischen Arbeitern zu uns? Weil sie genau wissen, dass es ihnen hier trotz niedrigeren Nominallöhnen heute schon besser geht als drüben, und morgen erst recht. Vor allem aber, weil sie nicht für das sterbende Wirtschaftssystem der Ausbeuter arbeiten wollen, sondern lieber ihre Kraft dem Sozialismus widmen. Diese Bewegung unter den amerikanischen Arbeitern würde noch viel stärker sein, wenn wir den amerikanischen Kapitalismus nicht durch unsere Anleihepolitik künstlich unterstützten. Es ginge den amerikanischen Kapitalisten bestimmt nicht so gut, wenn wir ihnen nicht Gelegenheit gäben, ihre Produktion bei uns abzusetzen. Weshalb wirft man die amerikanischen Unterhändler nicht einfach raus, die uns jetzt schon wieder eine Anleihe von 5 Milliarden Dollars aufhalsen wollen? Wir könnten auch ohne amerikanische Anleihen fertig werden, sie aber würden an ihrem Mehrwert ersticken. Deshalb sollten wir die Mittel zu einer gesteigerten Industrialisierung lieber aus eigener Kraft aufbringen und nicht davor zurückschrecken, für weitere Anleihen auch in den nächsten Jahren intensivste Propaganda zu machen. Die Löhne dürfen nicht erhöht, die Arbeitszeit darf noch nicht verkürzt werden. Alle Produktionsüberschüsse gehören dem Ausbau der sozialistischen Weltwirtschaft! Eine Verlangsamung des Tempos darf erst eintreten, wenn der Sozialismus wirklich auf der ganzen Welt gesiegt hat. Aber ein Viertel der Welt ist noch in Händen der Kapitalisten, und auf diesem Viertel geht es den Kapitalisten gut. Ich meine, kein Sozialist darf sich Ruhe gönnen, solange der Kapitalismus nicht endgültig erledigt ist. Ist das Opfer denn wirklich so groß, wenn man vom Arbeiter verlangt, dass er Anleihe zeichnet? Die Zuweisungen an die Klubs sind am 1. Januar wieder erhöht worden. Am 1. Mai soll eine neue Erhöhung erfolgen. Wenn es nach mir ginge, würde die Kommunisierung aller Bedarfsartikel viel mehr beschleunigt, so dass der Geldlohn bald überhaupt verschwände. Da wir aber noch nicht so weit sind, bin ich für verstärkte Anleihezeichnung."


Vorwärts - 15. März 1920

Die Stellungnahme des Volkswirlschaftsrates

Nachdem sich Genossen aus allen Föderationen zur Frage der beschleunigten Durchführung der Fünfjahrespläne und der weiteren Fortsetzung der Anleihepolitik geäußert haben, nimmt der Zentral-Wirtschaftsrat der sozialistischen Union jetzt selbst Stellung dazu. Auf Grund der endgültigen Ziffern des vorigen Jahres und der Schätzungen für das erste Quartal 1921 kommt er zu der Überzeugung, dass wir unsere Kraftquellen, unsere Produktionsfähigkeit und das zur Akkumulation zur Verfügung stehende Einkommen zu gering veranschlagt haben, so dass schon allein dadurch eine wesentliche Beschleunigung der Arbeiten möglich wäre. Hinzu kommt noch eins: Für dieses Jahr war eine ganz gewaltige Senkung der Preise für Getreide und für alle übrigen landwirtschaftlichen Produkte geplant. Die selbständigen Landwirte, die eine große Gefahr für die sozialistische Wirtschaft zu werden drohten, sollten damit gezwungen werden, in den Kollektiven aufzugehen. Sie wären buchstäblich verhungert, wenn sie versucht hätten, mit unsern Riesenbetrieben zu konkurrieren. Die Erfolge unserer mit den modernsten Maschinen und Geräten ausgestatteten Großbetriebe sind jedoch so überwältigend, dass der Andrang zu den Kollektiven immer stärker wird. Trotz aller Produktionssteigerung sind wir nicht in der Lage, den vollen Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen usw. zu decken. Russland allein hat fast eine Viertelmillion Traktoren verschlungen. Die großen Getreidefabriken, mit deren Errichtung im Sommer 1919 begonnen wurde, haben glänzende Erfolge gezeitigt. Eine einzige Getreidefabrik („Gigant" bei Rostow am Don), die mit 600 Traktoren und 7000 Mann eine Saatfläche von 64000 Hektar bestellt hat, konnte allein 5o 000 Tonnen Weizen ernten. Hunderte von solchen staatlichen Getreidefabriken wurden neu angelegt. Tausende von neuen Kollektivwirtschaften sind entstanden. Die Anbaufläche soll im Verlauf der diesjährigen Frühjahrssaatkampagne auf 150000000 Hektar ausgedehnt werden. Dazu wird dringend der ganze Überschuss unserer Erzeugung benötigt, zumal wir auch in den östlichen Gebieten der N. E. F. noch Unmengen von Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen brauchen und überdies in diesem Jahre 50000 Traktoren an die Donau-Ralkan-Föderation liefern sollen. Wir haben also zunächst keinen Anlass, die Bildung von Kollektivwirtschaften noch mehr als bisher zu beschleunigen. Solange wir aber nicht alle Einzelbauern kollektivieren können, dürfen wir sie nicht lebensunfähig machen. Die Kampfpreise werden also noch nicht eingeführt. Da die jetzigen Getreidepreise nach dem schlechtesten Boden berechnet sind, macht die Getreidehandelsgesellschaft der Föderation zur Zeit Milliardengewinne. Sie sollen so lange für die Verstärkung der Industrialisierung ausgegeben werden, bis in der Fabrikation landwirtschaftlicher Maschinen das Missverhältnis zwischen Produktion und Nachfrage beseitigt worden ist.
Dann allerdings wird die Stunde der Einzelbauern geschlagen haben. Dann wird es bald keine Bauern im früheren Sinne mehr geben. Der alte Unterschied zwischen Stadt und Land wird verschwinden. Vorläufig spielen die Einzelbauern noch eine Rolle in unserer Wirtschaft, und zwar nicht nur in Bezug auf den Getreidebau, sondern auch hinsichtlich der Viehzucht. Solange die großen sozialistischen Musterviehzuchtbetriebe nicht genügend Schlachtvieh abgeben können, sind die ländlichen Einzelwirtschaften unentbehrlich. Namentlich die schnelle Vermehrung des Schweinebestandes wäre niemals möglich gewesen, wenn wir dem Einzelbauer nicht eine gewisse Schonzeit gegeben und ihn dadurch zu einem produktiven Faktor unserer Gesamtwirtschaft gemacht hätten. Auch der Viehaustausch mit Russland wäre ohne die Inanspruchnahme der beiderseitigen Einzelbauern niemals so schnell vonstatten gegangen. Die mitteleuropäischen Bauern haben dabei ein gutes Geschäft gemacht, denn sie haben hohe Preise für ihr wertvolles Vieh erhalten. Die russischen Bauern machten aber dabei ein ebenso gutes Geschäft, denn sie haben ihr Schlachtvieh gut bezahlt bekommen und zur Anschaffung des bedeutend besseren Zuchtviehs Zuschüsse erhalten. Wir haben weit über eine Milliarde bei diesem Austausch zugesetzt, dafür ist die russische Milchproduktion um 48% gestiegen. Diese Tatsache ist sehr erfreulich, bringt uns aber auch wieder neue Sorgen, denn wir sind nun gezwungen, über 100 Millionen Mark mehr als im Plan vorgesehen, für die sofortige Anlage von neuen Molkereien und Kondensmilchfabriken auszuwerfen. Die gewaltige Umwandlung aller Verhältnisse zeigt sich am besten in einem Fehler, den wir auf dem Gebiete der Pferdezucht gemacht haben. Eine unserer ersten Maßnahmen nach der Revolution war die Aussetzung einer hohen Prämie für jedes geworfene Fohlen. (Nach der Stabilisierung 50—100 Mark.) Alle Pferdehalter haben natürlich ihre Stuten belegen lassen, so dass sich der Pferdebestand ganz gewaltig vermehrt und den Friedensstand schon jetzt überschritten hat. Es ist nun leider versäumt worden, dieses Versprechen rechtzeitig zu kündigen, so dass wir, da wir nicht wortbrüchig werden wollen, gezwungen sind, die Prämie noch bis Ende dieses Jahres zu zahlen, obwohl wir, bis die im Dezember geborenen Fohlen spannfähig sind, vielzuviel Pferde haben werden. Auf der einen Seite zahlen wir also dem Bauern eine hohe Prämie für jedes geworfene Fohlen. Andererseits müssen wir froh sein, wenn uns die Kleinbauern die Pferde, die in der Industrie, im Verkehr und in den landwirtschaftlichen Großbetrieben freigesetzt werden, zu niedrigen Preisen abnehmen. Auch die veralteten und halbmodernen Maschinen und landwirtschaftlichen Geräte, die wir in gewaltigem Umfange durch bessere ersetzt und zu niedrigen Preisen abgestoßen haben, wurden fast restlos von den bäuerlichen Einzelwirtschaften aufgesogen. Infolge der mannigfaltigen Vorteile, die den Einzelbauern hierdurch entstanden sind, infolge der Übergewinne und Anbauprämien in den Jahren der Getreide- und Fleischknappheit sowie infolge der teils unentgeltlichen, teils stark verbilligten Belieferung mit Düngemitteln, und weil die Gemüseknappheit noch immer nicht restlos behoben ist, sind viele bäuerliche Mittelbetriebe durchaus noch in der Lage, die wachsende Konkurrenz der Großbetriebe zu ertragen, allerdings unter viel schlechteren Arbeitsbedingungen als in unseren modernen Großbetrieben. Das darf uns aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass hier eine grandiose Vergeudung von Volksvermögen und Arbeitskraft getrieben wird. Wir müssen deshalb die Industrialisierung der Landwirtschaft stärker fördern, als es in den Plänen vorgesehen ist. Wir müssen die Anbaufläche in der ganzen S. U. weiter steigern, und möglichst viel Gebiete mit gutem Boden durch beschleunigte Anlage neuer Verkehrswege erschließen, damit wir alle unrentablen Böden der Bebauung entziehen können.
Die eingehende Behandlung dieser einen Frage zeigt, dass es nicht nur möglich, sondern sogar sehr notwendig ist, unsere Produktionspläne weiter auszubauen und die Fristen zu verkürzen. Ursprünglich war geplant, unsere Produktionseinrichtungen so gut wie möglich auszunutzen, die Arbeiter aber nicht noch mehr zu belasten. Da uns nun aber durch die Initiative der Werktätigen selbst 50 Milliarden Mark bzw. Stunden mehr zur Verfügung gestellt wurden und uns voraussichtlich durch weitere Anleihen in den nächsten Jahren noch mehr Mittel zufließen, erscheint es möglich, das Programm der Fünfjahrespläne schon in vier Jahren zu bewältigen. An dem Prinzip der Freiwilligkeit der Anleihezeichnung wollen wir allerdings nicht rütteln (für Parteimitglieder ist die Zeichnung natürlich Pflicht). Wenn wir dagegen vor die Frage gestellt werden: kapitalistische oder sozialistische Anleihen? so antworten wir: Wir werden das eine tun und das andre nicht lassen. Die neue 5 Milliarden Dollar-Anleihe ist zu einem Zinsfuß von nur 5% abgenommen worden. Es ist nicht etwa Opportunismus, der uns bewogen hat, dem Drängen der amerikanischen Bankiers nachzugeben. Es waren sehr wohlerwogene Gründe. Als wir anfingen zu wirtschaften, haben wir dem Kleinhändler, dem kleinen Handwerker und Fabrikanten in unserem Bundesgebiet gewisse Freiheiten eingeräumt. Wir konzentrierten uns zunächst darauf, die wichtigsten Punkte, die „Kommandostellen", zu besetzen und ließen den Überbleibseln des Kapitalismus einen gewissen Spielraum. Sie wurden, ohne dass wir es wollten, zu einem Bestandteil unserer Planwirtschaft. Man hat es uns oft genug vorgeworfen. Aber jetzt können wir fragen: Wo sind die Kleinhändler, wo die privaten Fabrikanten, die Schieber und Nepmänner geblieben? Nahezu verschwunden, aufgesogen! Ebenso hat man uns Vorwürfe gemacht, weil wir nicht gleich mit aller Schärfe gegen den größeren und mittleren Landwirt vorgegangen sind. Bei den ersten zwangsweisen Versuchen der Kollektivisierung leisteten die Bauern energischen Widerstand und schreckten selbst vor Sabotagemaßnahmen nicht zurück. Nachdem wir sie aber immer reichlicher mit Waren belieferten und sie für einige Zeit frei schalten und walten ließen, wurden sie zu wertvollen Bestandteilen unserer Planwirtschaft. Die Frage der restlosen Kollektivisierung der Landwirtschaft ist jetzt nur noch eine Frage der industriellen Produktionssteigerung. Noch im vorigen Jahre ist es in Russland vorgekommen, dass die unaufgeklärten Bauern unsere Agitatoren, die für die Kollektivisierung Propaganda machten, mit Knüppeln wegjagten. Aber je mehr Traktoren, landwirtschaftliche Maschinen und Autos mit Werkzeugen, Waren und Düngemitteln anrollten, je mehr Straßen und Eisenbahnen gebaut wurden, um so schneller änderte sich das Bild. Wenn Ende vorigen Jahres Kollektivisierungspropaganda gemacht wurde, dann standen die Traktorenkolonnen und landwirtschaftlichen Maschinen vor dem Versammlungslokal. Dann kam der Instruktor, der das neue Kollektiv leiten sollte, gleich mit. Und jetzt ist es unmöglich, alle Anträge auf Bildung von Kollektivwirtschaften zu bewilligen, weil wir nicht genügend Traktoren, Maschinen und Autos liefern können. Wo wird, so fragen wir, in einigen Jahren der Einzelbauer geblieben sein? Verschwunden, aufgesogen! Ist es aber mit Amerika anders?
Wo wird das kapitalistische Amerika in 10 bis 15 Jahren sein, wenn wir das rasende Tempo unseres Aufbaus beibehalten?
Verschwunden, aufgesogen von der weltumspannenden S.U! Zukunftsmusik? Gewiss, aber eine Zukunftsmusik, zu der wir heute schon die Instrumente bauen. Es steht außer Frage: den Amerikanern geht es glänzend.
Die Produktion steht auf schwindelnder Höhe. Die Löhne steigen. Die Gewinne gehen ins Ungemessene. Die amerikanischen Milliardäre lassen sich ihre Villen und Landhäuser mit dem Golde dekorieren, das wir ihnen für Kupfer und Baumwolle bezahlen mussten. Ihre Frauen behängen sich mit den Perlen und Diamanten, die wir ihnen haufenweise im Austausch gegen Maschinen geliefert haben. Sie zahlen in ihren neuen Modebädern Tausende von Dollars für einen Quadratmeter Boden. Die Abdeckung der übernommenen Schulden nimmt ein geradezu rasendes Tempo an, so dass die völlige Industrialisierung Chinas, der Mongolei, der Mandschurei und Ostsibiriens um Jahre früher, als vorgesehen, beendet sein wird. Aber das alles genügt noch lange nicht, um die ungeheuer gestiegene Produktion Amerikas aufzunehmen. Weshalb sollen wir Amerikas Produktionsüberschüsse nicht ebenso in unsere Weltplanwirtschaft einbeziehen wie bisher die Arbeit und das Kleinkapital der Privathändler und Nepmänner, wie heute noch die Arbeit der Groß- und Mittelbauern? Wenn dadurch Amerika auch noch reicher und leistungsfähiger wird, — unsere Leistungsfähigkeit steigt in viel höherem Maße, falls wir unsere gewaltigen Pläne nicht nur in der vorgesehenen Art und Weise durchführen, sondern sogar erweitern und beschleunigen.
Die Kritiker unserer Anleihepolitik sagen: dadurch, dass wir jährlich für Milliarden Dollars mehr Waren aus Amerika importieren, als wir dorthin ausführen, verstärken wir die Lebens- und Leistungsfähigkeit des amerikanischen Kapitalismus. Das trifft zu. Verfehlt aber wäre es zu glauben, dass der amerikanische Kapitalismus schon in den nächsten Jahren ohne diese Kapitalexpansion zugrunde gehen müsste. In Kanada und in Süd- und Mittelamerika gibt es immer noch genug Anlagemöglichkeiten, um den amerikanischen Imperialismus während der Zeit unsres Aufbaus über alle Schwierigkeiten hinweg zu helfen. Jetzt wird die Durchindustrialisierung und Durchkapitalisierung dieser Gebiete so nebenbei mit vorgenommen. Dem amerikanischen Kapitalismus würde es sicher auch nicht schlecht gehen, wenn die Revolution in Eurasien, Afrika und Australien nicht siegreich gewesen wäre. Eine solche Blütezeit, wie Amerika sie zur Zeit durchlebt, ist jedoch nur unter den besonderen augenblicklichen Verhältnissen möglich. Wir dürfen die Lebens- und Leistungsfähigkeit des amerikanischen Kapitalismus weder unterschätzen noch überschätzen. In Wirklichkeit ist unsere Leistungsfähigkeit schon heute viel größer als die amerikanische, trotz dem ungeheuren Vorsprung, den Amerika im Kriege und im ersten Revolutionsjahre gewonnen hat. Wir sind dabei, ungeheure Summen in Werke und Anlagen zu stecken, deren Leistungsfähigkeit sich erst in Jahren auswirken wird. Wenn wir uns lediglich auf den Ausbau der europäischen Wirtschaft beschränkt hätten, dann könnten wir Amerika schon heute auch in den Endziffern der Fertigwarenproduktion weit überholt haben. Da wir aber mehr Wert darauf legten, zunächst die unentwickelten Gegenden der S. U. auszubauen, wirkt unsre Arbeit sich noch nicht voll aus. Eine Ahnung von unserer Überlegenheit gewinnen wir schon heute, wenn wir die Riesensummen, die wir aus eigener Kraft investieren, den amerikanischen Lieferungen entgegenhalten, die im Vergleich dazu lächerlich gering sind.
Es gibt aber noch einen wichtigen Grund für unsere Anleihepolitik, der gerade von den französischen Genossen sehr oft und mit Recht angeführt wird. Ein großer Teil gerade der französischen Produktion war vor der Revolution auf die Befriedigung von Luxusbedürfnissen gerichtet. Diese Produktion ist zu einem großen Teil überflüssig geworden und findet bei uns keinen Absatz mehr. Wir könnten diese Industrie ganz stilllegen und die darin beschäftigten Arbeiter anderweitig verwenden. Volkswirtschaftlich richtiger ist es aber, auch diese Produktionskraft und das Kapital, das die Arbeitskraft der gelernten Arbeiter in diesen Industrien darstellt, restlos auszunutzen und die Erzeugnisse nach Amerika auszuführen, wo sie infolge der erheblich gestiegenen Kaufkraft reißenden Absatz finden. Im Austausch hierfür erhalten wir wertvolle Rohstoffe und Maschinen. Ebenso steht es mit den Erzeugnissen einer ganzen Reihe von anderen Industrien, vor allen Dingen der chemischen Industrie. Solange Amerika seinen ganzen Produktionsüberschuss mühelos absetzt, solange wir mehr Waren von dort beziehen als wir hin liefern, hat die Mehrzahl der amerikanischen Kapitalisten gegen unsere Einfuhr nicht viel einzuwenden. Im Augenblick aber, in dem das anders wird, werden sie sich gegen uns abschließen und den Kapitalüberschuss, den wir ihnen nicht mehr abnehmen, dazu benutzen, ihre Produktionseinrichtungen auch in denjenigen Wirtschaftszweigen auszubauen, in denen wir jetzt den größten Teil des amerikanischen Marktes beliefern. Ebenso wären die Amerikaner im Verlauf einiger Jahre bei Investierung großer Kapitalien durchaus in der Lage, sich von dem größten Teil unseres gewaltigen Exports in Tee, Reis, Kautschuk und anderen Tropenerzeugnissen unabhängig zu machen, während wir andererseits in der Lage wären, uns gänzlich unabhängig von der amerikanischen Einfuhr zu machen. Dazu wird es wahrscheinlich ohnehin kommen. Eine überschnelle Beschleunigung dieses Prozesses zwänge indessen beide Seiten zu weltwirtschaftlich unnötigen Kapitalinvestierungen, das heißt zu Milliardenverlusten. Die Dynamik des kapitalistischen Systems wird Amerika von allein auf diesen Weg drängen, vorläufig aber ist es daran interessiert, Anleihen bei uns unterzubringen, — und wir wollen sie nehmen, um unsern Aufbau zu beschleunigen.
Noch ein Wort zur inneren Anleihepolitik. Wir teilen die Bedenken, die in dem vielumstrittenen Artikel vom 12. Februar geäußert wurden, nicht. In diesem und im nächsten Jahre kann nach unseren Berechnungen eine bedeutende Überproduktion in keinem Wirtschaftszweige eintreten. Wenn sie aber später eintreten sollte, so schadet es nichts. Wir werden bis dahin reich genug sein, um uns die Anhäufung einiger Vorräte erlauben zu dürfen. Wenn durch eine zu starke Konsumeinschränkung infolge Anleihezeichnung eine Unterkonsumtion in leichtverderblichen Nahrungs - und Genussmitteln eintreten sollte, die sich allein durch Erhöhung der Zuwendungen an die Klubs nicht ausgleichen lässt, so werden wir diese Genussmittel kommunisieren. Wenn z. B. infolge dieser individuellen Konsumeinschränkung der Fall eintreten sollte, dass unsere gewaltig gesteigerte Produktion von Südfrüchten trotz des neuerschlossenen riesigen Marktes nicht rechtzeitig abgesetzt werden kann, dann werden wir die Naturalzuwendungen an Schulklubs und Kinderheime so weit erhöhen, dass ein Ausgleich eintritt. Im übrigen ist es uns ja jederzeit möglich, die Löhne zu erhöhen oder die Preise zu senken. Wir haben es also gar nicht nötig, uns jetzt schon den Kopf über die Behebung einer partiellen Überproduktion oder Unterkonsumtion zu zerbrechen. Unsre Löhne sind nicht hoch, lange nicht so hoch wie die der amerikanischen Arbeiter, aber sie sind gegenüber früher auch nach Zeichnung von Anleihen immer noch ausreichend und sogar reichlich. Für Kinder und Invaliden wird geradezu vorbildlich gesorgt. Kulturelle und sanitäre Einrichtungen stehen den Werktätigen entweder unentgeltlich oder zu sehr geringen Gebühren zur Verfügung, ebenso die Lieferung von alkoholfreien Getränken. Die öffentlichen Theater und sonstigen Bildungs - und Kultureinrichtungen werden vom 1. Mai ab völlig aus öffentlichen Mitteln unterhalten. Nur die Klubs, die infolge schlechter Organisation einen Teil der beantragten Plätze nicht belegen, werden eine Strafe pro Platz zahlen müssen. In Zukunft müssen also nicht mehr die besetzten, sondern die leeren Stühle bezahlt werden. Der Filmkonsum wurde durch die Klubs schon fast restlos kommunisiert. Die Buchproduktion wurde durchschnittlich um 60—80% verbilligt. Die öffentlichen Büchereien und die der Klubs und Betriebe vermehren ihren Bücherbestand zusehends. Trotzdem können sich die Buchfanatiker auch bei dem jetzigen Lohn Privatbüchereien anlegen, wenn sie nicht gerade starke Trinker oder Raucher sind. Auf die Trinker und Raucher werden wir in Zukunft ebenso wenig Rücksicht nehmen wie bisher. Es gibt immer noch vielzuviel Arbeiter, die 50 Pfennig für ein Glas Bier oder einen Schnaps und 5, 8 oder 10 Pfennige für eine Zigarette ausgeben. Die Millionenüberschüsse, die die Alkohol- und Tabakindustrie allein in der N. E. F. jetzt monatlich abwirft, zeigen aufs deutlichste, dass infolge der Verbilligung aller Gegenstände des notwendigen Bedarfs auch für den Anleihezeichner immer noch Geld genug übrig bleibt, um Alkohol oder Tabak zu konsumieren. Obwohl es uns durch Rationalisierungsmaßnahmen gelungen ist, den Herstellungspreis für die billigste Zigarette auf unter einen Pfennig zu drücken, werden wir an dem Mindestpreis von 5 Pfennigen festhalten. Im Gegensatz zu dem erfreulicherweise stark zurückgehenden Alkoholkonsum (ausgenommen Wein) hält sich der Tabakverbrauch auf fast unveränderter Höhe. Bei dieser Gelegenheit sei noch ein Wort zu zwei vielumstrittenen Fragen gesagt: Kaffee und Auto. Die Kaffeefrage verdient zweifellos eine andere Behandlung als die Alkohol- und Tabakfrage. Infolge der durch unser Außenhandelsmonopol bedingten Stellung, die uns eine völlige Abschließung ermöglicht und dadurch den ganzen brasilianischen Kaffeeanbau ruinieren könnte, sowie infolge unserer Konkurrenzfähigkeit auf den Südseeinseln war es uns möglich, den Kaffeeankaufspreis bis auf die Gestehungskosten zu drücken, wobei wir uns allerdings verpflichtet haben, den ganzen brasilianischen Überschuss abzunehmen, wenn nicht ohne unsere Genehmigung eine weitere Ausdehnung der Anbaufläche vorgenommen wird. Wir haben nicht nur diese gewaltigen Mengen mühelos verdaut, sondern können weiter ohne Absatzschwierigkeiten den Kaffeeanbau im Bereich der S.U. mehr als verdoppeln. Der Kaffeekonsum ist vor allem in den östlichen Gebieten stark gestiegen, obwohl wir an dem hohen Richtpreise von A Mark für den gewöhnlichen und 3 Mark für den koffeinfreien Kaffee pro Pfund (früher war das Preisverhältnis umgekehrt) festgehalten haben. Wir erzielen hierdurch Milliardenüberschüsse. Eine von der Minderheit vorgeschlagene Erhöhung der Preise soll nicht stattfinden, da sich der verstärkte Kaffeekonsum als wertvolle Hilfe bei der Bekämpfung des Alkoholismus bewährt hat. Gegen eine Preisermäßigung spricht die Gefahr, die eine zu starke Erhöhung des Kaffeekonsums für die Volksgesundheit bedeute. Maßgebend für unsere Kaffeepolitik ist aber auch der Handelsvertrag mit Brasilien, nach dessen Muster wir auch die Verträge mit den übrigen süd- und mittelamerikanischen Staaten abschließen werden, soweit sie sich noch genügend Unabhängigkeit vom nordamerikanischen Kapital bewahrt haben. Nach dem neuen Handelsvertrag mit Brasilien zahlen wir nichts mehr bar, sondern ausschließlich mit Waren, und verkehren nur noch mit der brasilianischen Handelskammer, welche die Bestellung und Weiterleitung unserer Erzeugnisse übernimmt. Eventuelle Spitzenforderungen werden gutgeschrieben, aber nicht verzinst. Die brasilianische Regierung ist gewiss alles andere als sozialistenfreundlich. Sie befindet sich aber durch unser Außenhandelsmonopol in einer Zwangslage. Wir nützen diese Zwangslage aus und zwingen Brasilien, staatskapitalistische und sogar staatssozialistische Maßnahmen zu ergreifen. Die brasilianischen Kaffeebarone müssen die Gewerkschaften der Plantagenarbeiter anerkennen, müssen ihnen Tariflöhne zahlen und sie menschenwürdig unterbringen.
In derselben Situation befinden sich Argentinien und Chile. Wir können auf die Einfuhr aus Argentinien verzichten, haben uns aber trotzdem bereit erklärt, den enormen Überschuss Argentiniens an pflanzlichen und tierischen Nahrungsmitteln abzunehmen, wenn wir nach dem Beispiel des brasilianischen Handelsvertrages in Industrieprodukten bezahlen können und wenn den argentinischen Arbeitern dieselben Mindestrechte gewährt werden wie den brasilianischen. Die argentinische Regierung und die Latifundienbesitzer haben sich bis vor kurzem verzweifelt gewehrt. Aber es hat ihnen nichts genützt: in wenigen Tagen wird der Handelsvertrag unterzeichnet sein. In Chile steht es ebenso. Wir könnten unsre Förderung und Erzeugung von Düngemitteln — allerdings bei bedeutenden Investitionen — in einem Jahre verdoppeln. Trotzdem sind wir nicht abgeneigt, so viel chilenische Landeserzeugnisse abzunehmen, wie die Chilenen von unseren Erzeugnissen einführen. Wir drücken auch hier die Preise bis knapp über die Gestehungskosten. Die chilenischen Rohstoffe sind in Ostsibirien, in der Mandschurei und Mongolei und ganz besonders in Südchina gut zu brauchen. Sie kommen uns bedeutend billiger, als wenn wir sie aus unseren europäischen Fabriken und Förderstellen transportierten. Auch der Transport aus den neuentdeckten russischen und sibirischen Riesenlagern würde uns noch teurer kommen. In den Küstengebieten würden auch die synthetisch hergestellten Düngemittel weit teurer sein als die auf dem Seewege aus Chile kommenden, ganz abgesehen davon, dass wir hierzu erhebliche Kapitalinvestitionen machen müssten, die vorläufig besser und zweckmäßiger anderweitig vorgenommen werden. Chile kann also so viel Waren und Industrieerzeugnisse von uns beziehen, wie es nur will. Es kann alles in Landeserzeugnissen bezahlen. Wir werden nach Abschluss eines sozialistischen Handelsvertrages alles restlos abnehmen, denn wir haben auch Verwendung für alle sonstigen chilenischen Reichtümer an Bodenschätzen. Wir werden aber auch ohne diese Dinge fertig werden. Chile kann dagegen auf seine Ausfuhr nicht verzichten und wird ebenso wie Argentinien und Brasilien in den sauren Apfel beißen müssen, trotz dem Wutgeheul der Yankees und der chilenischen Kapitalisten.
In diesem Punkte werden wir hart bleiben. Auch mit Mexiko steht der Abschluss eines Handelsvertrages bevor. Die anderen süd- und mittelamerikanischen Staaten sind dagegen so fest in der Hand des nordamerikanischen Kapitals, dass sie kaum ähnliche Verträge abschließen werden, zumal sie sich nicht in einer solchen Zwangslage befinden wie die ABC-Staaten.
Die nordamerikanische Presse ist außer sich. Sie behauptet, unser Vorgehen sei ein Bruch des Friedensvertrages. Dem ist aber nicht so: wir haben uns lediglich verpflichtet, keine Kapitalinvestitionen in Amerika vorzunehmen, aber niemals darauf verzichtet, sozialistische Handelspolitik zu treiben. Was wird bei dem ganzen Geschrei herauskommen? Die Amerikaner werden sich noch mehr als bisher mit ihren Lieferungen beeilen und uns sobald wie möglich eine neue Anleihe aufdrängen. Und wir? Wir werden sie nehmen, aber nur noch zu 4%. Oder seid ihr immer noch dagegen, ihr überradikalen Genossen?
Wir sind nun vom Kaffee über die Handelsverträge glücklich wieder zu den Anleihen zurückgekehrt. Aber das war nötig, damit die Genossen, die unsere Handlungen in bester Absicht kritisieren, den ganzen Fragenkomplex überblicken, den man vor Augen haben muss, um sozialistische Wirtschaftspolitik treiben zu können.
Für den Wirtschaftskrieg gelten teilweise dieselben Regeln wie seinerzeit für unseren militärischen Krieg gegen die kapitalistischen Regierungen. Ein strategischer Rückzug ist oft die Vorbedingung für den künftigen Sieg. Die Hauptsache ist, dass wir das Heft in der Hand behalten. Und das tun wir. Wir setzen genau wie damals die gegnerischen Kräfte in unsere Rechnung ein. Und wir werden den Wirtschaftskrieg ebenso sicher gewinnen wie damals den militärischen Krieg.
Und nun die Autofrage. Weshalb werden die hohen Steuern auf private Automobile nicht abgebaut? Arbeiter, die ihre finanziellen Pflichten gegenüber der sozialistischen Gesellschaft erfüllen, können sich im Augenblick kein Auto leisten. Nur Familien mit mehreren Vollverdienern wären dazu in der Lage. Aber auch die müssten die Anleihezeichnung einschränken und unverhältnismäßig viel Kraft und Zeit in ihr Auto stecken. Die Massenherstellung von Kleinautos im gegenwärtigen Augenblick schärfster Kräfteanspannung wäre verfehlt. Wir werden erst dann dazu übergehen, wenn wir jedermann ein eigenes Auto liefern können. Soweit sind wir noch nicht. Zunächst müssten wir das Straßennetz nach ganz neuen Gesichtspunkten anlegen. Das ist im Fünfjahresplan nicht vorgesehen. Sorgt dafür, ihr Autoenthusiasten, dass der Fünf jahresplan so schnell wie möglich verwirklicht wird, damit wir neue größere Pläne in Angriff nehmen können! Zeichnet so viel Anleihen wie nur irgend möglich! Ihr bezahlt damit schon heute euer Auto und sorgt gleichzeitig dafür, dass ihr es so schnell wie möglich erhaltet. Vorläufig müsst ihr euch mit den Klubautos oder mit eurem Fahrrad begnügen, mit denen ihr auf den neuen herrlichen Radfahrwegen weit hinaus ins Land fahren könnt. Benutzt diese Gelegenheit ebenso wie alle anderen Erholungsgelegenheiten, die euch jetzt so reichlich geboten werden! Stärkt eure Kräfte, damit ihr sie einsetzen könnt in dem gewaltigen Kampf für den Aufbau der internationalen sozialistischen Gesellschaft!


Vorwärts - 15. April 1921

Die Pläne sind umgearbeitet!
Am 30. April Urabstimmung
Fünfjahresplan in drei Jahren vier Monaten!

Am 30. April wird die Arbeiterschaft in der ganzen sozialistischen Welt über die Pläne zur beschleunigten Abwicklung des Fünfjahresplans abstimmen. Die neuen Pläne sind auf der Voraussetzung aufgebaut, dass in jedem Abschnitt des Fünfjahresplans wieder die gleiche innere Anleihesumme aufgebracht wird wie im ersten Abschnitt. Der gezeichnete Betrag für das Jahr 1921 soll aber bereits bis zum 3o. September aufgebracht werden.
Das ist diesmal wirklich ein empfindliches Opfer, da der für acht Monate gezeichnete Betrag in fünf Monaten aufgebracht werden muss. Im nächsten Abschnitt wird es dann besser, da sich die ganze Anleihesumme gleichmäßig auf neun Monate verteilt (1. Oktober 1921 bis 30. Juni 1922). Auch der dritte Abschnitt soll in neun Monaten erledigt werden (bis 31. März 1923), der vierte dagegen schon in acht Monaten (bis 30. November 1923) und der vierte sogar in fünf Monaten (bis 30. April 1924). Durch die Urabstimmung am 30. April sollen die Werktätigen entscheiden, ob sie in allen Abschnitten die gleiche Anleihesumme zeichnen wollen wie im ersten Abschnitt. Aus diesem Grunde muss die Abstimmung diesmal öffentlich unter Namensnennung vor sich gehen. Teilnahme an der Abstimmung ist Pflicht. Alle Stimmen der Fernbleibenden werden als Jastimmen gezählt, mit der Konsequenz, dass alle Personen, die unentschuldigt der Abstimmung ferngeblieben sind, mit der Mindestanleihesumme belastet werden. Nur diejenigen, die mit „Nein" stimmen, sind von der Anleihezeichnungspflicht befreit. Es wird für sie allerdings das beste sein, wenn sie sich gleich entschließen, nach Amerika auszuwandern.
Das Weltproletariat rafft und streckt sich. Der Pflug, der die ganze Welt auflockert, wird noch schneller gezogen. Aber je mehr Opfer wir heute bringen, um so eher wird die Zeit der Ernte kommen. Sorgt alle dafür, dass die Ernte reichlich ausfällt, denn es ist eure Ernte! Die Zeiten sind vorbei, wo die Nichtstuer die Früchte der Arbeit anderer Menschen geerntet haben. Wer jetzt ernten will, muss selbst den Pflug ziehen und säen. Die Welt erzittert unter dem Tritt der Arbeiterbataillone, unter dem Stampfen der Dampfhämmer, unter dem Fauchen der Traktoren. Und diese ganze Arbeit leistest du für dich, Prolet!


Vorwärts - 30. Juli 1921

Dürre und Missernte im Wolgagebiet!
Völlige Umstellung der russischen Wirtschaft

Die bisherigen Schätzungen über die Auswirkungen der katastrophalen Dürre im Wolgagebiet sind leider durch die Wirklichkeit noch weit übertroffen worden. Die Ernteerträge im Dürregebiet sind fast gleich Null. Die Getreide- und Futtermitteltransporte, die ins Hungergebiet geleitet werden, kommen leider zu spät, um den Viehbestand, der ohnehin schon stark dezimiert ist, zu retten. Alles minderwertige Vieh, einschließlich des Zugviehs, soll sofort geschlachtet und zur Ernährung verwendet werden. Die Trockenheit hält noch an. Die Aussichten für die Wintersaat sind sehr schlecht. Große Umstellungsmaßnahmen der russischen Wirtschaft müssen eingeleitet werden, um die ungeheuren Schäden, die ein zweites Jahr landwirtschaftlichen Produktionsausfalls in diesen sonst so fruchtbaren Gebieten für unsere Gesamtwirtschaft bedeuten würde, zu einem Teil auszugleichen.
Das ganze von der Dürre heimgesuchte Gebiet soll mit einem Schlage kollektivisiert werden. Die zu einem Teil schon fluchtartig verlassenen Einzelwirtschaften werden nicht wieder aufgebaut. In den neuzubildenden Riesenbetrieben kann die Arbeit allerdings zum größten Teil erst im nächsten Frühjahr aufgenommen werden. Das Wolgagebiet soll das agrarische Musterland werden, das erste Land, in dem wir die sozialistischen Betriebs- und Gesellschaftsformen restlos verwirklichen. Alle Kräfte Russlands werden in den Dienst dieser großen Aufgabe gestellt. Die Kollektivisierungspropaganda in anderen Gebieten Russlands wird für zwei Jahre unterbrochen, um die Belieferung des Wolgagebiets mit landwirtschaftlichem Bedarf sicherzustellen. Die Anlage riesiger Staatsgüter in den noch unbebauten Teilen des großen Reiches wird jedoch beschleunigt. Die Bebauung des kollektivierten Wolgagebiets wird, statt wie bisher 3o, nur noch 10 Millionen Menschen beanspruchen. Die Umgruppierungen sollen sofort beginnen, da Millionen von Ansässigen ohnehin im Wolgagebiet in diesem Jahr nicht produktiv beschäftigt werden können. In Sibirien, in Nordrussland, in der Kirgisensteppe und in Nordkaukasien werden in diesem Jahr gewaltige Landflächen zum ersten Male unter den Pflug genommen. Dorthin sollen einige Millionen Menschen aus dem Dürregebiet verpflanzt werden. Weitere Millionen beansprucht Wege-, Straßen-, Städte- und Eisenbahnbau im Wolgagebiet, der sofort mit äußerster Macht verstärkt wird. Der Ausbau der Industrie im Ural und in Sibirien wird beschleunigt und soll etwa eine Million Menschen aus dem Wolgagebiet aufsaugen. Einige Zehntausend werden zum beschleunigten Ausbau der Turksib-Bahn herangezogen, weitere Hunderttausende werden längs dieser Bahn und in Turkestan selbst angesiedelt. Der Bau des Wolga—Don-Kanals wird beschleunigt und beansprucht ebenfalls Tausende von neuen Arbeitskräften. Ebenso werden im Donezgebiet und beim Bau des Dnjeprostoj Tausende von weiteren Arbeitskräften eingesetzt. Vielleicht wandern auch einige tausend Russen nach Australien aus. Westeuropa erhält in diesem Jahre anstandslos alle benötigten Hilfskräfte und hat dafür eine erhöhte Menge Maschinen zu liefern. In ganz Russland ist für ein Jahr die wirtschaftliche Generalmobilmachung angeordnet worden. Die Gewerkschaften haben erklärt, dass alle Arbeiter, die an Brennpunkten des großen Umstellungsprogramms arbeiten, und von deren Arbeit das Schicksal dieser Pläne abhängt, die Verordnungen über die Mindestarbeitszeit überschreiten dürfen. Unbezahlte Überarbeit soll in viel größerem Ausmaß als bisher geleistet werden.


Vorwärts - 23. Oktober 1921

Wir haben eine Schlappe erlitten!

Das ist jetzt nicht mehr zu leugnen. Alles Vertuschen nützt nichts. Es steht endgültig fest, dass wir in der N.E.F. bis zum 3o. September nur 92% des ersten Abschnitts im Fünf jahresplan erfüllen können. Es wäre vielleicht möglich gewesen, die Differenz durch freiwillige sozialistische Sonntagsarbeit auszugleichen. Aber der Wirtschaftsrat unserer Föderation hat das Verbot trotz allem Drängen nicht aufgehoben, obwohl es feststeht, dass in Russland, China und Indien immer noch in sehr großem Umfange Sobotniks gemacht werden. Der Metallarbeiterverband hat sich jetzt beschwerdeführend an den Zentralwirtschaftsrat der S. U. gewandt, damit er die Erlaubnis zur unbezahlten Sonntagsarbeit erteilt. Auch die Partei wird über diese Frage abstimmen. Ein zeitweiliges Verbot der freiwilligen unbezahlten Sonntagsarbeit ist zweifellos notwendig gewesen, da sonst die Ruhetage überhaupt verschwunden wären. Diese Betrachtungsweise ist aber jetzt unangebracht. Wenn wir unsere Scharte auswetzen wollen, dann müssen wir das Verbot der freiwilligen Sonntagsarbeit mindestens bis zum 1. Mai außer Kraft setzen. Es ist für alle Proletarier unseres hoch entwickelten Industrielandes niederdrückend, dass wir im sozialistischen Wettbewerb der Föderationen unterlegen sind. In jedem Wirtschaftsbezirk, in jedem Trust und in jedem Betrieb muss noch einmal rücksichtslos aufgeräumt werden. Unfällige Menschen an leitender Stelle haben zu verschwinden. Der Leerlauf muss noch stärker als bisher bekämpft werden. Die Gestehungskosten müssen weiter gesenkt, die Produktion weiter gesteigert und rationalisert weiden. Wir sind zu faul geworden. Wir haben Fett angesetzt. Seht einmal nach in euren Betrieben und Verwaltungen! Vergleicht den Personalbestand mit den Listen und Statistiken. Allein bei der letzten Kontrolle sind über 1000 Fälle bekannt geworden, wo sich alte und neue Bürokraten einen ruhigen Posten mit einer Scheintätigkeit geschaffen haben. Ein Teil dieser bequemen Herren erschien in den Listen sogar als „Arbeiter". Leider ist auch die Parteimitgliedschaft von dieser Korruptionserscheinung nicht ganz frei geblieben. Unter den bekannt gewordenen Fällen befanden sich mehr als 3oo Parteigenossen; sie wurden natürlich sofort ausgeschlossen. Insgesamt mussten wir im letzten Jahre über 10000 Parteigenossen wegen Korruption ausschließen und über 3oooo wegen leichterer Verfehlungen von den Parteirechten auf ein Jahr suspensieren. Eine neue allgemeine Parteireinigung scheint uns dringend notwendig zu sein. Jeder Parteigenosse hat die Pflicht, mehr als in den letzten Monaten sein Augenmerk auf die Rationalisierung und Produktionssteigerung zu lenken. Unser kulturelles Leben hat im letzten Jahre einen außerordentlichen Aufschwung genommen. Das ist begrüßenswert. Wir dürfen darüber aber nicht die materielle Grundlage aller Kultur, die Produktion, vernachlässigen. Immer muss daran gedacht werden, dass der Kampf mit dem Kapitalismus noch nicht abgeschlossen ist. Wir arbeiten heute mit dem Kapitalismus in Amerika zusammen. Das ist aber kein endgültiger Friede, sondern nur ein Waffenstillstand. Der Ausbau der Stellungen geht auf beiden Seiten weiter, — eines Tages wird es zum offenen Gefecht kommen. Ob diese Auseinandersetzung blutig oder unblutig verlaufen wird, hängt nicht von uns ab. Auf jeden Fall müssen wir aber bis dahin mit dem Ausbau unserer Hauptstellungen fertig sein: mit der Industrialisierung und Elektrifizierung der ganzen Union. Bei der Lösung dieser Aufgabe haben wir, die am besten entwickelte Föderation, unsere Soll-Leistungen nicht erreicht und uns von anderen Föderationen überholen lassen. Das wird von allen Arbeitenden in der N. E. F. als eine Schande empfunden. Sie wollen die Scharte so schnell wie möglich wieder auswetzen. Das ist beim besten Willen nicht möglich ohne freiwillige Überarbeit. Die nordeuropäischen Arbeiter haben durch die beschleunigte Aufbringung der Anleihe große Opfer gebracht. Das waren aber doch ziemlich passive Opfer. Weshalb gibt man ihnen nicht Gelegenheit, auch aktiv durch unentgeltliche Sonntagsarbeit den Aufbau zu beschleunigen? Ist das Verbot nicht eine übertriebene Sonntagsheiligung? Weshalb lernen wir nicht aus dem russischen Beispiel? Die Russen haben ihre Sollziffern überschritten (allerdings ohne Verkürzung des Planjahres). Sie gehen jetzt, um ihre Industrieanlagen restlos auszunutzen, zur Fünftagewoche über und hoffen, dadurch im zweiten Jahre des Fünfjahresplans die Sollziffern um ein Drittel überschreiten zu können. Jeder russische Arbeiter wird also in Zukunft vier Tage arbeiten und einen Tag ruhen; allerdings ist die Siebenstundenschicht immer noch die Regel.
Jede Schicht wird aber einen anderen Ruhetag haben, so dass die Werke ohne Unterbrechung arbeiten. Wir können dem russischen Beispiel nicht von heute auf morgen folgen. Aber das Mögliche muss sofort geschehen. Und darum fordern wir: Aufhebung des Verbots der freiwilligen Sonntagsarbeit!


Vorwärts - 6. November 1921

Verbot der Sonntagsarbeit gefallen!
Die sozialistischen Feiertage der Arbeit!

Das Verbot der freiwilligen Sonntagsarbeit ist gefallen. Wir feiern diesmal den g. November durch freiwillige unbezahlte Arbeit. Auch Weihnachten und Neujahr feiern wir durch freiwillige Überarbeit. Bis dahin leisten wir außerdem an jedem zweiten Sonntag unbezahlte Arbeit. Ab Januar werden jeden Sonntag drei Achtstundenschichten eingelegt, so dass allen Arbeitern nur ein Ruhetag im Monat verbleibt. Das soll solange weitergehen, bis das Produktionsmanko ausgeglichen ist und wir mit den planmäßigen Lieferungen an die anderen Föderationen nicht mehr im Rückstand sind. Und wenn dieses Ziel erreicht ist, dann wird auch bei uns die Fünftagewoche eingeführt.


Vorwärts - 15. April 1921

Die Scharte ist ausgewetzt!

Die Planziffern sind überschritten. Die Fünftagewoche wird am 1.Mai eingeführt.


Vorwärts - 14. Juli 1922

Die N. E. F. an der Spitze

Die Nordeuropäische Föderation hat im zweiten Abschnitt des Fünfjahresplans die Spitze im sozialistischen Wettbewerb der Föderationen erobert. Wir haben nicht nur den Fehlbetrag im ersten Abschnitt restlos gedeckt, sondern die Planziffern des zweiten Abschnittes sogar um 8% überholt. Die Einführung der Fünftagewoche bei gleich bleibenden Stundenlöhnen bedeutete eine Verringerung des Nominallohns, die durch erhöhte Zuwendungen an die Klubs und durch beträchtliche Preissenkungen allerdings fast ausgeglichen wurde. Immerhin wird mit Rücksicht auf diese Tatsache in der N.E.F. von der Erlaubnis des Zentralrats, weitere Anleihen aufzulegen, kein Gebrauch gemacht. Wir sind auch so imstande, unsere innerföderativen Pläne in diesem Abschnitt restlos auszuführen und die anderen Föderationen sogar noch etwas über die Pläne hinaus zu beliefern.

Der Endkampf mit den Mittelbauern beginnt
Alle neugebildeten Kollektivwirtschaften sind jetzt restlos mit den modernsten Maschinen und Geräten ausgestattet. Wir können innerhalb eines Jahres soviel Traktoren und Maschinen produzieren, dass kein Gebiet der S. U. mehr unbearbeitet bleiben muss. Dadurch wird voraussichtlich eine landwirtschaftliche Überproduktion eintreten, wenn auch die zunehmende Sabotage der Einzelbauern einen rückläufigen Einfluss haben dürfte. Am 1. August werden die Preise für landwirtschaftliche Produkte soweit herabgesetzt, dass sie den Gestehungskosten auf hochmodernen Großfarmen mit dritter Bodenklasse gleichkommen. Sobald die Kollektivisierung der Landwirtschaft restlos durchgeführt ist, werden wir alle schlechteren Böden der landwirtschaftlichen Bebauung entziehen und dadurch eine weitere Senkung der durchschnittlichen Gestehungskosten herbeiführen. Zuvor aber wollen wir Reserven anlegen und die wichtigsten Lebensmittel kommunisieren. Alle Klubs und Werkgemeinschaften erhalten schon ab 1. August kostenlos Frischmilch, Brot und Semmeln.
Auch die hartnäckigsten Einzelbauern werden unter diesen Umständen den Kampf mit dem sozialistischen Großbetrieb höchstens noch ein Jahr lang aushalten, so dass wir von Zwangsmaßnahmen völlig absehen können. Die letzten Überbleibsel des Kapitalismus in der S. U. werden ganz von selbst verschwinden.
In der S.U. Wann aber kommt Amerika dran? Das ist nur noch eine Frage der Zeit. Noch ein letztes Mal haben wir dem Drängen der Amerikaner nachgegeben und eine Anleihe aufgenommen unter der Bedingung, dass nicht nur diese, sondern auch die früheren Anleihen nur mit 4% verzinst werden. Schon jetzt haben die Amerikaner einzelne Zölle erhöht, aber das hat dem Absatz unsrer immer billiger werdenden Waren nicht im geringsten geschadet. Unsere Preissenkungsaktion schreitet immer weiter vorwärts. Die Produktionsabgabe wurde bereits auf 7% gesenkt und soll noch gegen Ende dieses Jahres auf 6% ermäßigt werden, um nach Ablauf des Fünfjahresplans auf 5% zu sinken. Wenn wir nicht noch größere Aufgaben zu erledigen hätten, könnten wir heute schon die amerikanische Konkurrenz, auch bei Verdoppelung der Zollsätze, entscheidend schlagen. Die Abnahme desjenigen Teils der amerikanischen Anleihe, der in Fertigfabrikaten geliefert werden soll, macht schon erhebliche Schwierigkeiten. Die Lücken in unserem Wirtschaftsapparat schließen sich immer schneller. Auf fast allen Gebieten produzieren wir bedeutend schneller und billiger als Amerika. Trotzdem nehmen wir die restlichen Beträge in diesem Jahre noch ab und gewähren den Amerikanern damit eine letzte Schonzeit. Um so schlimmer wird dann der Umschwung sein. Im Augenblick allerdings nimmt die amerikanische Hochkonjunktur immer noch zu. Die Spekulationssucht hat sogar Millionen von Arbeitern erfasst. Die amerikanischen Kapitalisten scheinen zu glauben, dass das unbegrenzt so weitergeht. Sie täuschen sich :
Unaufhaltsam schreitet der sozialistische Aufbau vorwärts. Bald wird Amerika auf allen Gebieten überholt sein. Bald wird man im entlegensten Dorf Sibiriens, Indiens und Innerasiens im Bewusstsein der überlegenen materiellen und geistigen Kultur sagen können: Armes Amerika.


Vorwärts - 11. August 1922

Zuviel Kohlen!

Obwohl unser Energie- und Brennstoffbedarf im Augenblick immer noch wächst, kann doch heute schon mit Bestimmtheit gesagt werden, dass wir nach Durchführung des Fünfjahresplans und nach Fertigstellung der gewaltigen Elektrizitätswerke mit einem großen Brennstoffüberschuss rechnen dürfen. Der Übergang zur Ölfeuerung geht immer rascher vor sich. Durch neue Verfahren wird der Heizwert der Kohle immer besser ausgenutzt. Der unrentable Hausbrand wird bis gegen Ende des Fünfjahresplans bis zu 60% durch bessere Verfahren ersetzt. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Anlage neuer Kohlenschächte bereits eingeschränkt wird. (Natürlich nicht in den großen sibirischen und innerasiatischen Lagern, die aus Gründen der Transportrationalisierung weiter ausgebaut werden.)
Zugleich wird die Stilllegung vieler unrentabler Kohlenschächte erwogen. Das Waldenburger Revier z. B., das sehr große Zuschüsse erfordert, soll mit Ausnahme der relativ besten Schächte, die den örtlichen Bedarf decken, ganz stillgelegt werden.
Wir dürfen die Ölproduktion und den Ölverbrauch jedoch nicht ins Ungemessene steigern, sondern wir müssen auch an die kommenden Generationen denken. Der Zentralwirtschaftsrat hat deshalb beschlossen, weitere 20 Millionen Mark auszuwerfen, um die Versuchsarbeiten zur Verflüssigung von Kohle zu beschleunigen.
Nach restloser Durchführung der Verkehrsrationalisierung wird eine gewaltige Kraftersparnis eintreten. Die rationellen Großraum-Güterwagen mit ihren automatischen Ent - und Beladevorrichtungen werden am Ende des Fünfjahresplans schon 20% des gesamten Wagenparks stellen. Das größte Kontingent aber stellen die neuen Einheitsbehälterwagen: sie lassen sich vollständig auseinander nehmen und von allen Seiten ohne großen Kraftaufwand be- und entladen. Bei Umschlag vom Land- auf Fluss oder Seetransport wird der ganze Einheitsbehälter durch einen Kran vom Fahrgestell abgehoben und im Kahn oder Schiff verstaut. Alle neuen Flusskähne und Seeschiffe werden jetzt für Aufnahme von Einheitsbehältern ausgebaut. Der Einheitsbehälter kann sich aber auch aus eigener Kraft auf kleinen Rädern mit Hilfe eines Einsatzmotors fortbewegen, so dass sich selbst bei den längsten Transporten mit häufigem Umschlag kein Behälterwechsel notwendig macht. Ein Teil des Getreidetransports aus Westrussland vollzieht sich heute schon folgendermaßen: Der Einheitsbehälter läuft am Silo voll und rollt aus eigener Kraft zur nächsten Bahnstation. Dort wird er auf das Fahrgestell gehoben und bis zur nächsten Umschlagstation des Mittellandkanals transportiert, von einem Kran erfasst und im Kahn verstaut. Am Zielhafen angelangt, rollt er aus eigener Kraft zur Mühle, wird vom Fahrstuhl hochgehoben und lässt das Getreide fallen. Es ist vorgesehen, dass ungefähr 30% mehr Behälter als Fahrgestelle gebaut werden. Die praktische Erfahrung muss uns aber erst lehren, ob dieses Verhältnis richtig ist. Die gewaltigen Anlagen des Dnjeprostoj werden Ende nächsten Jahres in Gebrauch genommen. Damit ist dann ein wichtiger Punkt des russischen Fünfjahresplans erreicht. Der wirtschaftliche Aufschwung Russlands wird dann ein viel schnelleres Tempo einschlagen. Das Dnjepr-Werk sollte eigentlich zusammen mit dem Oder-Weichsel-Donaukanal fertig werden. Die Russen investierten aber weit mehr eigene Mittel als vorgesehen in dieses Werk und haben dadurch einige Monate gewonnen. Allerdings sind bis dahin die großen Industriekombinate und Arbeitersiedlungen noch nicht alle fertig, so dass es eine Zeitlang gar nicht möglich sein wird, die gewaltigen Energiemengen zu verwerten. Die am Bau beteiligten Arbeiter haben jedoch beschlossen, zwei Monate lang täglich 8 Stunden zu arbeiten und sich nur 2 Ruhetage im Monat zu gönnen. Sie erhalten dafür nach Fertigstellung der Bauten einen Monat Sonder-Urlaub. Eine starke Rationalisierung, die sich jetzt erst auswirkt, hat der Fortfall des Zinswesens gebracht. In der ersten Zeit unserer Umstellung mussten wir das Zinssystem vom Kapitalismus übernehmen. Wir mussten alle Gelder, die in einem gewissen Augenblick funktionslos waren, aufsaugen, um keine Stockungen im Wirtschaftskreislauf eintreten zu lassen. Das Geld war damals nicht nur Wertmesser, sondern auch der Verfügungstitel über Werte aller Art, die wir, wenn sie brachlagen, in der Anfangszeit des Übergangsstadiums nur durch Zinsversprechen erfassen konnten. Wir mussten den Geldbesitzer (auch den korporativen) durch den Reiz des Zinses veranlassen, uns sein Geld, das heißt die Verfügung über entsprechende Warenmengen, so lange zu überlassen, bis er selbst wieder Verwendung dafür hatte. Je mehr aber die sozialistische Schulung der Gesamtbevölkerung und der Funktionäre in sozialisierten und genossenschaftlichen Unternehmungen wuchs, je mehr unsere Planwirtschaft ausgebaut wurde, um so mehr verlor das Geld diese Funktion, so dass wir uns jetzt den teuren Luxus des Zinswesens ersparen können. Unsere ganze Verwaltung und unser Überweisungsverkehr kann jetzt restlos maschinisiert werden. Das neue Vielfeldlochkartensystem und seine Koppelung mit dem Telegraphensystem ermöglichen uns den Abbau von über fünfzehntausend Bureaukräften. Der Augenblick war äußerst günstig, denn durch die Umstellung auf die Fünftagewoche ist unser Bedarf an Arbeitskräften wieder stark gestiegen. Wir konnten zwar nochmals eine Million Freiwilliger aus Russland und China in den Produktionsprozess einreihen. Aber das wird das letzte mal gewesen sein. In Russland gibt es jetzt schon fast keine Arbeitslosen mehr. Die russische Industrialisierung hat ein rasendes Tempo angenommen. Wenn nicht die Umstellung in der Wolga-Landwirtschaft fast 20 Millionen Arbeiter freigesetzt hätte, dann wäre der russische Menschenüberfluss schon versiegt. Wir werden in Zukunft übrigens kaum noch Einwanderer benötigen. Asien kann sich schon im nächsten Jahre mit einem großen Teil der Güter selbst versorgen, die wir bisher liefern mussten; Russland erzeugt im nächsten Jahre über 200000 Traktoren und Automobile.
Das Mittelland-Kanalsystem ist mit Ausnahme einiger Strecken in Zentralrussland völlig ausgebaut. Das ganze europäische Wasserwirtschaftssystem wird bis Ende nächsten Jahres fertig gestellt sein.
Der Wohnungsbau, bisher unser Schmerzenskind, macht in letzter Zeit geradezu rasende Fortschritte. Das Regiment „Bebel", das im französischen Wiederaufbaugebiet zusammengestellt wurde, ist auf seiner Ostwanderung bereits bis an die Oder gelangt und hat in jeder größeren oder mittleren Stadt, die es passierte, mindestens einen Häuserblock hinterlassen. Es will seine Ostwanderung bis nach Wladiwostock fortsetzen und hofft, dass bis dahin auch Amerika für den Sozialismus erobert worden ist, damit es seine originelle Weltumwanderung fortsetzen kann. Das Regiment „Bebel" verfügt über 100 Automobile und über die modernsten Winterbaumaschinen. Die ganze Ausrüstung des Regiments hat über 16 Millionen Mark gekostet. Die Spezialität des Regiments ist die Fabrikation eines besonderen Typs von Zweifamilienhäusern, von denen es 10 Stück in 4 Tagen herstellt. Das erste Bataillon übernimmt die Ausschachtungsarbeiten und das Fundament. Das zweite Bataillon stellt in vier Sechsstundenschichten das Skelett her. Das dritte Bataillon vollendet den Rohbau und das vierte Bataillon den Putz und Innenausbau. Jede Arbeitsleistung ist bis in die geringste Kleinigkeit vorausberechnet, kein überflüssiger Handgriff wird gemacht. Dieser Rekord des Bauregiments „Bebel" dürfte jedoch nach Fertigstellung der neuen Kruppschen Hochbaumaschinen geschlagen werden. Mit deren Hilfe ist es möglich, in der gleichen Zeit achtstöckige Häuser herzustellen. Das erste Kruppsche Baukombinat, das in den nächsten Wochen fertig gestellt wird, kostet allerdings 3 4 Millionen, aber man hofft den Preis bei Serienfabrikation erheblich senken zu können.
Der Städtebau tritt jetzt in sein entscheidendes Stadium. Die größten Schwierigkeiten waren in Marxstadt, der größten Stadt der Welt, zu überwinden. Marxstadt soll das ganze Ruhrgebiet umfassen, das dadurch ein vollkommen neues Gesicht erhält. Das ganze Gebiet wird aufgelockert und nach einheitlichen Gesichtspunkten bebaut. Ganz Marxstadt wird einem riesigen Park gleichen. Nur kleine Bodenflächen bleiben für den Anbau von Frischgemüse reserviert. Alles andere Land wurde für Siedlungs- und Erholungszwecke aufgeteilt. Nur einige landwirtschaftliche Musterbetriebe lässt man für Schulzwecke bestehen.
Neu-Berlin wird sich in Form einer in Häuserblocks aufgeteilten Kreisstraße von 50 km Durchmesser rund um das heutige Berlin legen. Jedes Häuserquadrat wird acht Stock hoch sein und eine Seitenlänge von 1 km haben. Hamburg, das lange gefesselte, wird sich gleichfalls nach allen Richtungen hin gewaltig ausdehnen. Breslau wird das Musterbeispiel einer Trabantenstadt. Das oberschlesische Industrierevier wird zu einem einheitlichen Stadtgebiet vereinigt.
Die Vorarbeiten gehen überall flott vorwärts. Das nächste Jahr wird das erste Jahr wirklich systematischen Städtebaus sein.


Vorwärts - 10. März 1923

Sozialistischer Städtebau
Ein Monat gewonnen! Dennoch geschlagen!

Die industriellen Sollziffern des dritten Abschnitts sind bereits Ende Februar erreicht und zum Teil sogar überschritten worden. Die N. E. F. ist aber von der russischen, von der sibirisch-mandschurischen, von der indischen und von der australisch-ozeanischen Föderation mit einer so großen Überlegenheit geschlagen worden, dass wir nur unter Aufbietung aller Kräfte noch hoffen können, den ungeheuren Vorsprung dieser Föderationen wieder aufzuholen. Sogar die Donau-Balkanföderation hat uns offenbar um den Bruchteil eines Prozents geschlagen. Bestimmtes kann jedoch erst gesagt werden, wenn die genauen Endziffern vorliegen. Fest steht dagegen, dass die Mittelmeerföderation und sogar die britische Föderation hinter uns zurückgeblieben sind. Symptomatisch für den Ausgang des dritten sozialistischen Wettbewerbs der Föderationen ist der Umstand, dass die höchste Steigerung der Produktionsziffern und die größte Überschreitung der Planziffern in den Ländern eingetreten ist, die vor der Revolution am weitesten zurückgeblieben waren. Allerdings haben wir hieran das Hauptverdienst, da wir diese Föderationen weit mehr als zunächst vorgesehen durch Lieferung von Maschinen, Verkehrsmitteln, Industrieerzeugnissen und Fertigwaren unterstützten. Auch die Zahl qualifizierter Kräfte, die freiwillig in diese Länder gingen, war größer als ursprünglich geplant. Allein aus dem ehemaligen Deutschland sind über 4 Millionen gelernte Arbeiter, Lehrer, Ärzte, Bureauangestellte, Techniker, Ingenieure und hochqualifizierte Landwirte in der ganzen sozialistischen Welt tätig. Ein großer Teil der gewaltigen Produktionssteigerung in diesen Ländern ist auf das Konto dieser Pioniere zu schreiben. Den gewaltigsten Sprung nach vorwärts hat Russland im dritten Abschnitt des Fünfjahresplans gemacht. Das größte und geschlossenste sozialistische Wohn- und Arbeitsgebiet der Union, das Wolgaland, wird in diesem Jahre restlos ausgebaut. Die kühnsten Menschheitsträume sind dort bereits Wirklichkeit. Trotz der gewaltigen Verbesserungen, die im Bereiche unserer Föderation durchgeführt worden sind, können wir, wenn wir einen Vergleich zwischen dem Wolgaland und West- und Mitteleuropa ziehen, nur sagen: wir wohnen in einem Schweinestall, die Wolgaleute in einem Palast. Für das reiche kapitalistische Amerika aber bleibt, wenn wir uns die Wohnhöllen der Werktätigen und nicht die Paläste der Kapitalisten ansehen, nur noch der Vergleich mit einer Dunggrube übrig. Zwischen einem Schweinestall und einer Dunggrube bestehen allerlei Berührungspunkte, — nur werden die amerikanischen Arbeiter immer noch in der Dunggrube hausen, wenn wir schon längst unsere Paläste bezogen haben.
Kommt man aus dem blühenden Wolgagebiet nach Moskau, dann ist man überrascht. Welcher Gegensatz! Dort die spiegelblanken Asphalt- und Zementstraßen, die Wohnpaläste, die sozialistischen Städte und die blinkenden Schmuckkästen der landwirtschaftlichen Kollektive, — hier in der Hauptstadt holpriges Pflaster aus vorsintflutlichen Zeiten, baufällige Häuser, kleine, lichtarme Wohnungen, alte Straßen. Moskau ist zu kurz gekommen. Alle Energie ist in den Aufbau der Industrie, ins Wolgaland und in die großen Staatsgüter gesteckt worden, die jährlich Millionen Hektar neu unter den Pflug nehmen.
Die Moskauer sind sich immer noch nicht klar, was sie mit ihrer Stadt anfangen sollen. Wahrscheinlich werden sie an anderer Stelle ein ganz neues Moskau aufbauen und das alte Moskau als Museum stehen lassen. Nicht viel anders wirkt aber der Gegensatz, wenn man aus Indien, aus der Mandschurei oder gar aus Australien-Ozeanien nach Berlin, der sozialistischen Hauptstadt kommt. Gewiss, es gibt bei uns kein Holperpflaster wie in Moskau. Wie weit, wie furchtbar weit sind wir aber dennoch hinter den Gebieten zurück, die in sozialistischem Sinne aufs modernste aufgebaut wurden! Wir sind stark zurückgeblieben, weil auch wir alle Kraft auf den Neuaufbau des Wolgagebiets konzentriert haben. Die Städtebaumaschinen, die schon im vorigen Jahre den Bau Neu-Berlins beginnen sollten, gingen alle ins Wolgagebiet. Um so schneller soll es aber jetzt vorwärts gehen.
Die neuen Städtebaumaschinen, die vor einer Woche ihre Arbeit begonnen haben, sind wahre Wunderwerke der Technik und viel besser und praktischer ausgestattet als die ersten. So ein Städtebaukombinat kostet über 40 Millionen Mark. Eine gewaltige Summe. Aber doch nur halb so viel wie ein moderner Panzerkreuzer. Atemberaubend ist es, der Arbeit dieser Maschinen zuzusehen: Die gewaltigen Trockenbagger mit ihren zahlreichen Hilfsmaschinen (wir konnten sie schon bei den neuen Kanalbauten bewundern) ziehen wie ein Riesenpflug 1000 m lange Furchen durchs Land. In 14 Tagen ist der Baugrund eines viermal 1000 m-Blocks ausgehoben. Dann kommen die Fundamentiermaschinen: wie Riesenlindwürmer kriechen sie die Furchen entlang. Die erste Maschine frisst unaufhörlich Eisen und Stahl und hinterlässt ein Gewirr von eingerammten Pfählen, Eisenstäben, Winkeleisen und Drahtflechtwerk.
Die zweite Maschine frisst Riesenmengen von Sand und Zement und lässt eine glatte glänzende Spur hinter sich zurück. Das Fundament ist fertig. Bös sieht's aber an den Rändern der Baufurche aus, die von den Greifern, Klauen und Raupen der Lindwürmer wüst zerhackt wurden. Traktoren und Walzen glätten den Grund, auf dem dann ein breites Band aus Stahlplatten montiert wird. Und auf dieser „Schiene" rollt nun das gewaltigste Ungetüm heran, das sich jemals über die Erde bewegt hat. Ist es ein Sagenungeheuer aus vorgeschichtlichen Zeiten? Oder eine fahrbare Riesenluftschiffhalle? Alle Vergleiche verblassen gegenüber dieser Wirklichkeit aus Eisen und Stahl, gegenüber dieser Manifestation des schöpferischen, sozialistischen Kollektivwillens. Das Staunen beginnt schon, wenn wir uns diesen Giganten von außen ansehen. Ein Fahrstuhl, ein Aufzug neben dem anderen. Kräne, Winden, Laufbrücken, laufende Förderbänder. Unaufhörlich werden riesige Eisenträger von diesem Koloss verschluckt. Wir gehen ins Innere. Zuerst müssen wir eine Ausgleichskammer passieren. Dann noch eine, in der es schon bedeutend wärmer ist. Und jetzt stehen wir in der Riesenhalle. Wärme und Lärm, das sind die ersten Eindrücke. Einige halbnackte Arbeiter huschen vorbei. Dann sind sie verschwunden — das Eisen hat sie verschluckt. Kein Mensch ist mehr zu sehen; aber die ganze Halle ist lebendig, alles bewegt sich. Sinnlos scheinbar. Laufbrücken, Kräne, Aufzüge, Förderbänder. Die Wände bewegen sich, das Dach bewegt sich, die tausend Lampen bewegen sich, sogar der Boden scheint sich zu bewegen. Plötzlich kommt Sinn in das Chaos. Von der Decke herab senken sich schnell in gleichmäßigen Abständen gewaltige senkrecht hängende Eisenträger. Noch bevor sie den Boden berühren, schwenken von allen Wänden drehbare Arme aus, die den Fuß jedes Trägers umklammern. Auf beiden Seiten jedes Trägerfußes sitzt jetzt plötzlich ein Arbeiter mit Apparaten in der Hand. Ein ohrenbetäubender Lärm setzt ein. Aber nicht nur da unten. Auch über uns. Ohne, dass wir es gemerkt haben, sind von oben her die Querträger gekommen. An allen Pfeilerköpfen sitzen Arbeiter auf ausgeschwenkten Körben und bedienen die Schraub-, Schweiß- und Nietmaschinen. Schon senken sich wieder neue senkrechte Träger herab, — da scheint die Well unterzugehen, oder vielmehr; hochzugehen. Der Grund, auf dem wir stehen, geht plötzlich in die Höhe. Die Arbeiter, die vor 20 Sekunden an der Bausohle die Niethämmer abstellten, bedienen jetzt schon die Schraub-, Niet- und Schweißmaschinen im nächsten Stock. Die Arbeiter aber, die eben noch an dieser Stelle saßen und die Querversteifungen befestigten, sitzen jetzt schon wieder zu unseren Köpfen und warten auf die neuen Querträger, die sich, scheinbar leicht wie Streichhölzer, herabsenken.
Kaum haben wir Zeit, zu begreifen, was um uns geschieht, da kommen schon wieder senkrechte Träger herab, und das Quadrat, auf dem wir stehen, bewegt sich wieder nach oben. Das Spiel beginnt von neuem.
Wir werden nicht müde zuzuschauen. Auf einmal sind wir im achten Stock, nahe unter der Decke des Baugiganten. Das Skelett ist fertig. Während wir den Fahrstuhl besteigen, der uns nach unten bringt, öffnen sich die Seitenwände der Baumaschine und schieben sich ineinander. Der ganze Koloss erzittert und schiebt sich zwanzig Meter nach rechts weiter. Die rechte Seitenwand ist schon geschlossen. Links geht es nicht so leicht, da die Abdichtungswand hier den neuen Querträgern angepasst werden muss. Einen Augenblick lang war es bitter kalt. Jetzt flutet schon wieder Wärme durch den Raum. In einigen Minuten beginnt die neue Schicht ihr Werk. Die Arbeiter, die wir auf ihrer Wanderung nach oben begleitet haben, ziehen sich aus, hängen ihre Bademäntel um und gehen durch einen festabgedichteten Verbindungsgang in den Badewagen. Die Vierstundenschicht ist zu Ende. Wir gehen in einen Kantinenwagen. Gleich werden die gebadeten Genossen erscheinen und an derselben Stelle Mittag essen, wo eben noch die ablösende Schicht, die jetzt schon wieder im ersten Stock arbeitet, ein knappes, aber kräftiges Mahl eingenommen hat. Es wird in sechs Vierstundenschichten gearbeitet. Alle vier Stunden schiebt sich der Baugigant 20m weiter. In diesen vier Stunden wird kein Wort gesprochen, kein Befehl erteilt, keine unnütze Handbewegung gemacht. In diesen vier Stunden verlässt kein Arbeiter seinen Arbeitsplatz. Achtmal fünfzehn Sekunden beträgt in diesen vier Stunden die Mindestruhezeit (während des Hinaufschraubens). Die meisten haben jedoch außerdem noch weitere achtmal zehn Sekunden Ruhe, da für jeden Arbeitsgang zehn Sekunden über die Mindestzeit hinaus einkalkuliert sind. An jedem Arbeitsplatz ist eine Klingel. Sobald darauf gedrückt wird, ruhen alle Maschinen so lange, bis die unvorhergesehene Hemmung, wegen der geklingelt wurde, beseitigt ist. Nur bei solch unvorgesehenen Hemmungen, die jedoch äußerst selten eintreten, darf die vierstündige Arbeitszeit um eine Stunde überschritten werden. Die Arbeiterstoßbrigade, die diesen kollektiven Arbeitsprozess so musterhaft durchführt, hat schon mehrmals den Antrag gestellt, unbezahlte Überstunden zu machen. Dieser Antrag ist aber mit Recht abgelehnt worden. Diese intensive Tätigkeit ist ohne Schädigung des Arbeiters und des Werkes nur möglich, wenn sie auf vier Stunden beschränkt wird. Für alle Arbeiter gilt dagegen die sechsstündige Anwesenheitspflicht. Sie müssen sich eine Stunde vor Arbeitsbeginn in der Kantine melden, damit sie völlig ausgeruht an die Arbeit gehen. Die Speisen und Getränke, die vor der Arbeit genossen werden, sind ärztlich vorgeschrieben. Erst eine Stunde nach Beendigung der Arbeit dürfen die Arbeiter die Speise-, Lese- oder Siestawagen verlassen und die Autos besteigen, mit denen sie in ihre Wohnviertel oder in ihren Klub befördert werden. Bezahlt werden 6 Stunden. Ein Wunderwerk sozialistisch er Technik ist dieser Baugigant Nr. 1. Aber noch wunderbarer ist sein Nachfolger, Gigant Nr. 2, der sich wie sein Schatten immer hinter ihm her bewegt. Gigant Nr. 1 schluckt Eisen und lässt nach vier Stunden 20 Meter fertiges Skelett der 1000 Meter-Achtstockwerkfront hinter sich zurück.
Gigant Nr. 2 aber frisst wie eine Riesenschlange 20 Meter dieses Skeletts, indem er sich über sie hinwegschiebt. Er schluckt riesige Mengen Mörtel, Zement, Platten und sonstige Baumaterialien und lässt nach vier Stunden den fertigen Rohbau hinter sich zurück. An seine Stelle tritt bald Gigant Nr. 3, der einen Teil des Innenausbaus und die Fenster einsetzt und nach weiteren vier Stunden 20 Meter abgeputzte Häuserfront hinter sich lässt. Dann fangen die großen Heizkessel an, ihre Rüssel in die Fenster zu stecken. Sie trocknen den Gebäudeteil aus und ermöglichen gleichzeitig den weiteren Innenausbau und die Montage der Leitungen bei angenehmer Temperatur. So fressen sich die Giganten weiter und weiter. Wenn ein 1000 Meter-Quadratblock beendet ist, geht es zum nächsten. Wenn sie sich um ganz Berlin herumgefressen haben, dann wird die letzte Wohnhöhle verlassen sein. Wir verlassen dann alle unseren Schweinestall und ziehen in das Haus der Arbeit.
Die Neuberliner 160 km-Straße wird alle Riesenbauten der Vergangenheit an Ausmaßen weit in den Schatten stellen. Die Straße selbst mit allen Bahnanlagen soll in drei bis vier Jahren beendet sein. Sie soll durchgängig mit 1000 Meter-Quadratblocks bebaut werden. Sobald allerdings genügend Wohnraum vorhanden ist, sobald alle Wohnhöhlen und engen Straßen innerhalb dieser Rundstraße entvölkert und abgerissen sind, wird die weitere Bautätigkeit zunächst eingestellt: wir wollen die gut erhaltenen Bauten Altberlins ausnutzen, solange die in der Nähe liegenden Betriebe noch nicht als veraltet abgerissen werden.
Neuberlin wird also größtenteils aus der Rundstraße mit ihren 1000 Meter-Quadratblocks bestehen, die sich an den engsten Stellen auf 100 Meter einander nähern. Die einzelnen Blocks werden untereinander durch Gänge unter den Straßen und durch zweistöckige Brücken über den Straßen verbunden sein.
Das Gelände innerhalb des Ringes wird sich mit fortschreitendem Abbruch Altberlins mehr und mehr in Parks, Sport-, Spiel- und Reitplätze verwandeln, in denen einzelne Gebäude und Straßen als Museen der Vergangenheit stehen bleiben werden.
Neue Bauten innerhalb des Ringes sind nicht geplant, auch keine Flachbauten. Liebhaber von Einfamilienhäusern müssen sich außerhalb der Rundstraße ansiedeln. Die Straße selbst wird Dreietagenstraße. Zuunterst laufen die sechs Schienenstränge der Rundbahn, in jeder Richtung drei. Je ein Strang ist für die Blitzbahnen bestimmt, die nur an den Haupthaltestellen (alle 40 km) halten. Die nächsten beiden Schienenstränge dienen dem Schnellverkehr (alle 5 km eine Haltestelle). Auf den äußersten Linien beider Straßenseiten fahren die Züge, die an jeder Radialstraße zwischen den Häuserblocks, also alle 1000 Meter halten. Jeder Häuserblock hat seinen eigenen unterirdischen Bahnhof. Die Blitzzüge werden die Ringstadt in einer halben Stunde umfahren, die Schnellzüge in einer Stunde. Die anderen Züge werden erheblich mehr Zeit brauchen. Bei zweimaligem Umsteigen wird man also jeden Punkt der Stadt in höchstens 20 Minuten erreichen können.
Zu ebener Erde liegen die beiden je 20 Meter breiten Fahrbahnen, die so viel Tageslicht erhalten, dass sie erst bei Beginn der Dämmerung beleuchtet zu werden brauchen. Darüber zwei je zehn Meter breite Fußgängerwege, die alle hundert Meter durch Brücken verbunden sind. Ein Achtel der Ringstraße und die ersten zehn Häuserblocks sollen bis zum ersten Mai fertig gestellt sein.


Vorwärts - 30. April 1923

Zum ersten Mai

Die ganze sozialistische Welt wird morgen 24 Stunden lang ihren Arbeitsrausch vergessen und den Sieg des sozialistischen Aufbaugedankens feiern. Die Arbeit ist zum Sport, zum Fest geworden. Ein wahrer Taumel hat die ganze Bevölkerung erfasst. Die Genossen in den Plankommissionen arbeiten ununterbrochen, um die Flut von Erzeugnissen, die in unbezahlten Überstunden produziert werden, richtig und zweckmäßig zu dirigieren. Jetzt können alle Anforderungen fast restlos und in kürzester Frist erledigt werden. Jetzt macht es keine Schwierigkeit mehr, die Hunderttausende der Freiwilligen, die an ihrem Arbeitsplatz selbst keine Gelegenheit zu nutzbringender Überarbeit haben, an geeignete Plätze zu stellen. Weit über 100000 Ehrentafeln und Ehrenurkunden werden morgen ausgegeben. Überall sieht man sie jetzt schon, diese kleinen unscheinbaren und doch so vielsagenden Ehrentafeln: „Diese Lokomotive wurde in unbezahlter Überarbeit von den Arbeitern der Borsigwerke erbaut." „Dieser Park wurde in 10 Feiertagsschichten von Professoren und Studenten der___Universität und von der Sektion des... . Industrieverbandes angelegt." „Dieses Bootshaus wurde in Feiertagsschichten erbaut von___" „In dieser Landstraße stecken 10000 unbezahlte Stunden der Büroangestellten von___" „Dieser Spielplatz wurde von Lehrern und Schülern der___schule
angelegt." „An dieser Stelle war früher ein Schuttablade.
platz. Die schöne Grünanlage wurde geschaffen von___"
„Dieser Radfahrweg ist das Werk von___" „Dieses Klubhaus ist ein Geschenk der ersten westfälischen Baubrigade an die erste westfälische Dorfkommune." „Dieses 10000-t-Schiff ist den russischen Vorkämpfern der proletarischen Revolution gewidmet. Es ist das Produkt der einjährigen freiwilligen Sonderschichten aller Werktätigen der Werft."
Die Arbeit ist eine Freude geworden. Denn jeder sieht jetzt die Erfolge unsres Aufbaus. Gewaltiges wurde bei uns schon geschaffen, aber noch mehr — mit unserer Hilfe — in Russland, auf dem Balkan, in Kleinasien, Indien, Indonesien, Australien, in China und ganz besonders in der Mandschurei. Morgen wird ein durch das Los ausgewählter chinesischer Bauer an der Spitze eines riesigen Triumphzuges in die neue Hauptstadt der Sibirisch-Mongolisch-Mandschurischen Föderation einziehen. Die dortigen Genossen behaupten, dass er gerade der hundertmillionste Mensch sei, der in dieser Gegend angesiedelt wird. Ob sie sich nicht verzählt haben? Glauben wir ihnen! Sie haben sich ihren Triumph redlich verdient. Das China von heute lässt sich mit dem von 1918 überhaupt nicht mehr vergleichen. Die kühnsten Pläne Sun Yat-sens sind verwirklicht worden. Der gewaltige Aufbau, der im Osten vor sich geht, hat mit dem Fünfjahresplan kaum mehr etwas zu tun. Die Entwicklung nimmt in diesem Jahre ein Tempo an, das allen Vergleichen spottet. Es ist ausgeschlossen, den gewaltigen Vorsprung der fernöstlichen Föderationen in der Produktionssteigerung noch einzuholen. Wie ist dieser gewaltige Aufschwung zu erklären? Haben die Fünfjahrespläne nicht gestimmt? Nein, die Pläne waren anfänglich richtig; die gewaltige Steigerung der Produktivkraft, die nach Ablauf der ersten zwei Abschnitte eintreten musste, ist allerdings zu niedrig eingeschätzt worden. Aber nicht hierin liegt der entscheidende Fehler. Er wurde gemacht, als die erste Umarbeitung der Fünfjahrespläne auf Grund der Fünfzigmilliardenstundenanleihe pro Abschnitt vorgenommen wurde. Das Aufkommen dieser Anleihe ist größtenteils in den unentwickelten Gebieten investiert worden, neben den Riesensummen, die ohnehin im ursprünglichen Fünfjahresplan vorgesehen waren. Der Löwenanteil dieser Anleihen wurde aber in den hoch entwickelten Industriestaaten aufgebracht. In den unentwickelten Gebieten beteiligten sich nur wenige Millionen an der Anleihezeichnung. Die Massen wurden entweder überhaupt nicht erfasst, oder sie waren nicht in der Lage, Anleihen in nennenswertem Umfange zu zeichnen, da ihr „Einkommen", wenn man so sagen darf, entsprechend der geringen Durchschnittsproduktivität der Wirtschaft sehr niedrig war. Je schneller aber die Industrialisierung dieser Gebiete vor sich ging, je mehr Menschen in den Kreislauf der modernen sozialistischen Wirtschaft einbezogen wurden, um so schneller stieg auch die Gesamtproduktivität. Millionen Menschen, noch vor kurzem in primitivsten Wirtschaftsverhältnissen lebend, sind jetzt mit den besten und modernsten Arbeitsmitteln ausgerüstet. Sie produzieren unter Leitung hervorragender Fachmänner, die wir gestellt haben, durchschnittlich schon ebensoviel oder gar mehr pro Kopf als wir; denn unsere Betriebe sind teilweise veraltet. Die Löhne sind zwar nur etwa halb so hoch wie bei uns, aber doch schon viel höher als noch vor wenigen Jahren, so dass sich das Lebensniveau der dortigen Arbeiter, die ja äußerst bedürfnislos sind, schon sehr gebessert hat. Milliarden und Abermilliarden konnten aber bei den niedrigen Löhnen überplanmäßig akkumuliert und investiert werden. Der schwerste Fehler der zweiten Fassung der Fünfjahrespläne liegt in Folgendem: Die vier europäischen Föderationen wurden bei der Zeichnungskampagne fast restlos erfasst und konnten den Arbeitern nicht noch größere Opfer zumuten. Sie haben deshalb von der Möglichkeit föderativer Zusatzanleihen keinen Gebrauch gemacht. Sie werden es auch in den letzten Abschnitten nicht können, denn die Abschnitte werden immer kürzer, und die Zeichnungssumme ist für alle Abschnitte gleich. Die Anleihesummen restlos aufzubringen, wäre bei der Verkürzung der Planabschnitte überhaupt nicht möglich gewesen, wenn die Steigerung der Produktionskraft und der föderativen Einnahmen nicht die Kommunisierung einer weiteren Reihe von Produkten und die Erhöhung der Zuwendungen an die Klubs möglich gemacht hätte. Nur wenn diese Maßnahmen noch verstärkt werden, sind wir überhaupt in der Lage, die geplante weitere Verkürzung des vierten Abschnitts vorzunehmen. Der vierte Abschnitt sollte eigentlich am 1. April beginnen und am 30. November beendet sein. Da er aber schon am 1 März begann, wäre er ohne Verkürzung sowieso schon Ende Oktober beendet. Aber es ist nun schon Ehrensache, dass auch dieser Abschnitt von acht auf sieben Monate verkürzt, also schon Ende September beendet wird. Damit hatten wir gerechnet. Jetzt verlangt man aber gar von uns, dass wir die Produktionsziffern des vierten Abschnitts schon Ende August erreichen. Da die Produktions- und die Finanzierungspläne untrennbar zusammenhängen, bedeutet das, dass auch die Anleihesumme für den vierten Abschnitt in sechs Monaten aufgebracht werden soll. Schon das erscheint uns unmöglich. Was soll aber erst im fünften Abschnitt werden? Zugegeben: die Produktionsziffern für diesen Abschnitt sind in der ersten Fassung des Fünfjahresplans zu niedrig eingesetzt worden. Das wird aber mehr als ausgeglichen dadurch, dass der fünfte Abschnitt in der zweiten Fassung auf fünf Monate zusammengedrängt worden ist.
Jetzt soll aber dieser Abschnitt nochmals um einen Monat verkürzt werden, so dass das ganze Fünfjahrsprogramm statt in fünf in drei Jahren verwirklicht würde. Das ist produktionstechnisch wohl möglich, aber finanziell undurchführbar. Die volle Anleihesumme lässt sich in dieser kurzen Zeit nicht aufbringen. Unsere Genossen haben ungeheure Opfer für den sozialistischen Aufbau gebracht. In allen Köpfen rast der Produktionsteufel. Unzählige Hirne sinnen darüber nach, wie wir es fertig bringen, den Vorsprung der fernöstlichen Genossen wenigstens insoweit einzuholen, dass wir den Fünfjahresplan noch in diesem Jahre durchführen. Alle sind bereit, für dieses hohe Ziel ihr Letztes herzugeben. Aber bei alledem muss die Finanzierungsfrage im fünften und teilweise auch schon im vierten Abschnitt anders geregelt werden.
Unser Verhältnis zu den Tochterföderationen, die wir großgezogen haben, hat sich grundsätzlich gewandelt. Bald sind sie die Starken, und wir werden die Schwachen sein. Wir haben bei dem fieberhaften Tempo unserer Arbeit nicht Zeit gehabt, unseren ganzen Produktionsapparat zu erneuern. Unsere Werke, die größtenteils noch vom Kapitalismus übernommen wurden und die nach kapitalistischen Gesichtspunkten angelegt sind, lassen sich nicht vergleichen mit den neuen Industrieanlagen in den früheren kolonialen und halbkolonialen Ländern. Dort konnte man den Standort nach den Gesichtspunkten unserer Wirtschaftsweise wählen und alles höchstmodern einrichten. Der Ausbau dieser neuen Industriegebiete geht in rasendem Tempo vorwärts und lässt alle Kontrollziffern der Fünfjahrespläne weit hinter sich. Abgesehen von der gewaltigen Akkumulation infolge der niedrigeren Löhne stehen diesen Föderationen Milliardensummen aus den neuen föderativen Zusatzanleihen zur Verfügung. Von der internationalen Industrialisierungsanleihe wurden im ersten Abschnitt des Fünfjahresplans in diesen Gebieten nur etwa 5—10% der Gesamtbevölkerung erfasst, im zweiten Abschnitt dagegen von der föderativen Zusatzanleihe schon etwa 25%. Im dritten Abschnitt waren es rund 50%, und jetzt im vierten Abschnitt werden es wahrscheinlich schon 75% sein. Im letzten Viertel dieses Jahres hofft man 90% aller erwachsenen Personen erfassen zu können. Man stelle sich vor, was das bei einer Bevölkerung von nahezu einer Milliarde Menschen bedeutet, die wir aus jahrtausendelangem Schlaf und ebenso langer Knechtschaft herausgerissen und in den allermodernsten Produktionsprozess eingereiht haben. Das Aufkommen aus der internationalen Industrialisierungsanleihe verschwindet ja vollkommen gegenüber den föderativen Anleihen in diesen riesigen Gebieten.
Der Weltwirtschaftsrat befasst sich seit drei Tagen ausschließlich mit der Frage, in welcher Weise der Fünfjahresplan den veränderten Verhältnissen anzupassen ist.


Extrablatt – Vorwärts- 30. April 1923

Die Beschlüsse des Weltwirtschaftrates
Kommunisierung der Mieten! Keine Sozialbeiträge mehr!

Von morgen ab hören die Abgaben an andere Föderationen auf.
Im vierten Vierteljahr erhalten wir 10 Milliarden Mark Zuschuss von Russland-China-Indien.
Gezeichnete Anleihebeträge sind in den beiden kommenden Abschnitten von jedem Zeichner voll einzuzahlen. 10 Mark Mietsumme pro Person (also auch für jedes Kind) sind frei. Das heißt praktisch: die Mieten werden kommunisiert, da ja normale Wohnungen nicht mehr kosten. Die Sozialbeiträge kommen ab 1. Oktober in Fortfall. Eine Reihe weiterer Verbesserungen, die planmäßig erst am Ende des Fünfjahresplans in Kraft treten sollten, werden vorzeitig eingeführt.


Vorwärts - 2. Mai 1923

Der Siegestag der Arbeit

In der ganzen S.U. wurden gestern rund 1000 neue Elektrizitätswerke feierlich eingeweiht, 6000 Fabriken in Betrieb genommen, 130 neue Bahnstrecken mit einer Länge von insgesamt 37000 Kilometern und
520 neue Kraft-Verkehrslinien dem Verkehr übergeben,
170 Talsperren, 300 Schleusen und 23000 km Kanäle eingeweiht.
Tausende und Abertausende von Parks, Grünflächen, Spielplätzen, Radfahr- und Wanderwegen, Klubhäusern, Erholungshäusern, Wochenend- und Ferienheimen, Badeanstalten, Krankenhäusern, Mutter- und Kinderheimen wurden gestern ihrer Bestimmung zugeführt. Der Flug-, Sport- und Wehrverband hat 10000 neue Flugzeuge und ebensoviel Autos neu in Betrieb genommen und die Preise für die Ausrüstungsgegenstände nochmals herabgesetzt. Hunderttausende von neuen Wohnungen in Kleinhäusern oder Wohnpalästen wurden den „Mietern" übergeben.
Die Jungpioniere Berlins haben es sich nicht nehmen lassen, gestern die ganze Münzstraße und einzelne Mietkasernenblocks im Wedding und Neukölln, die vollkommen geräumt waren, in die Luft zu sprengen. Alle weiteren Abbrucharbeiten werden, ebenfalls in unbezahlten Überstunden, von den Jungpionieren ausgeführt.
Zehn große Wohnpaläste wurden gestern allein in Berlin eingeweiht. Welch gewaltiger Unterschied! Die Arbeiter, die aus den allerschlimmsten Berliner Wohnhöhlen in diese ersten zehn Blocks der Großen Berliner Ringstraße verpflanzt werden, sehen jetzt, dass wir in den letzten Jahren uns nicht umsonst geplagt, dass wir nicht umsonst geschuftet und gespart haben.
Als Normalwohnraum steht jedem Erwachsenen und jedem mehr als zehn Jahre altem Kind ein Zimmer mit eingebauten Schränken zur Verfügung. Die Miete für ein Normalzimmer beträgt 10 Mark; fällt also nach der neuen Verordnung ab 1. Juli fort. Die Miete für Küche, Bad, Abstellkammer, Abort usw. beträgt zusammen 5 Mark. Alle Küchen sind mit Warmwasserleitung und mit elektrischem Wasserkochbehälter versehen. Man drückt auf einen Knopf, worauf Warmwasser einläuft und bis zum Siedepunkt erhitzt wird. Die vollkommene elektrische Kücheneinrichtung wird zum Preise von 60 Mark geliefert.
Ein lediger Arbeiter, der eine Einzimmerwohnung bezieht, hat also zunächst 15 Mark und ab 1. Juli 5 Mark Miete zu zahlen; ein kinderloses Ehepaar für eine Zweizimmerwohnung zunächst 25 Mark und ab 1. Juli 5 Mark. Ein Ehepaar mit einem Kinde wohnt ab 1. Juli in einer Zweizimmerwohnung völlig mietefrei. Alle Einrichtungen des Wohnpalastes stehen ihnen und ihrem Kinde unentgeltlich zur Verfügung (mit Ausnahme der Klubeinrichtungen, die durch den Klubbeitrag abgegolten werden).
Der Innenraum jedes Quadratkilometerblocks ist von Parkanlagen, Spiel- und Sportplätzen, Planschbecken und einem Freibade ausgefüllt.
Auf den laufenden Transportbändern im zweiten Keller und im zweiten und dritten Stock sind auch die Nachbarblocks und die Blocks der gegenüberliegenden Straßenseite schnell und bequem zu erreichen. Wenn einmal der ganze Ring bebaut sein wird, was allerdings wohl noch ein Jahrzehnt dauern dürfte, kann man also in ungefähr sechs Stunden rund um die ganze Stadt rutschen, ohne auf die Straße zu gehen oder ein Gefährt zu benutzen.
Diese Ringstraße, die in ungefähr zehn Jahren fertig werden soll, wird ein Wunderwerk der Technik sein. Wir müssen uns aber heute schon darüber klar sein, dass sie nicht unser Ideal ist. Wir werden dieses Werk vollenden und als einen großen Erfolg sozialistischen Willens und sozialistischer Arbeit feiern. In Zukunft aber wollen wir andere Wege gehen. Die Städte müssen aufgelockert werden. Die Industrie (mit Ausnahme der an bestimmte Standorte gebundenen Schwerstindustrie) ist planmäßig zu dezentralisieren, so dass der Unterschied von Stadt und Land immer mehr verschwindet. Das ist nur eine der vielen Aufgaben, an die wir uns nach Durchführung des Fünfjahresplans machen werden. Aber der schwerste Teil unseres Weges wird doch hinter uns liegen, wenn am Ende dieses Jahres der letzte Hammerschlag verklingt und die Produktionsziffern und Arbeitspläne des Fünfjahresplans erreicht, ja vielfach sogar übertroffen sind.
Wie hat man in Amerika über uns gespottet, als wir die Fünfjahrespläne bekannt gaben. „Utopien, Phantastereien, wahnsinnige Experimente" nannte man unseren Versuch, alle schöpferischen Kräfte der S.U. wachzurufen und planmäßig dem großen Ziel des Sozialismus dienstbar zu machen. Und wie höhnte man uns erst, als die ersten Vorschläge zur beschleunigten Durchführung des Fünfjahresplans gemacht wurden! Als dann aber die Arbeiter in der ganzen sozialistischen Welt ein Viertel bis ein Drittel, ja manchmal sogar die Hälfte ihres Einkommens als Anleihe zeichneten, als die Produktionsziffern nicht nur innegehalten, sondern überschritten und die Fristen noch weiter verkürzt wurden, als die Zahl der Anleihezeichner in Russland sich verzehnfachte und die Anleihesumme fast auf das Zwanzigfache anschwoll, als die Produktivkräfte in den zurückgebliebensten Ländern immer schneller wuchsen und auch hier Millionen und aber Millionen Menschen von dem Anleihefeldzug erfasst wurden, da verstummte Hohn und Spott, und man versuchte, unsere Erfolge totzuschweigen. Das konnte gelingen, solange die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaft sich erst in der Vermehrung der Produktionsmittel, aber noch nicht im Konsum der Massen auswirkte. Dieser kritische Zeitpunkt ist aber jetzt überschritten. Immer deutlicher wird jetzt auch der Einfältigste unsere gewaltigen Erfolge erkennen.
Mit Ablauf dieses Jahres, also schon nach drei Jahren (in Russland dreieinviertel Jahren) soll der Fünf jahresplan der Union überall restlos verwirklicht sein. Dann wird sich unser Erfolg in seiner ganzen Größe zeigen. Dann erst werden wir erkennen, welch gewaltiges Werk Energie und Opferfreudigkeit geschaffen haben.
Acht Monate trennen uns noch von diesem Zeitpunkt. Acht Monate lang müssen wir noch alle Kraft zusammennehmen und weitere Opfer bringen. Aber das Ziel ist schon näher gerückt. Ungeduld nützt nichts. Die Zähne zusammengebissen. Fester den Hammer gefasst! Der Endspurt beginnt! Seid ihr fertig? — Achtung! — Los!!!


Vorwärts - 2. September 1923

Wir hinken nach!

Nach den vorläufigen Schätzungen ist das Programm des vierten Abschnitts in der N. E. F. nicht voll erfüllt worden. An der Augustproduktion fehlen 3%. Wir treten in die letzte Runde mit einer winzigen Verspätung ein. Aber wir werden aufholen. Überall, wo es möglich ist, werden die Schichten verlängert, die Ruhetage ausgelassen. Noch eine letzte gewaltige Kraftanstrengung, dann ist das selbstgesteckte Ziel erreicht. Gewaltiger und immer gewaltiger erbraust das hohe Lied der befreiten Arbeit. Tausend Millionen Menschen sind am Werk. Ein Wille beseelt sie, ein Pulsschlag durchströmt sie, ein Ziel steht vor aller Augen: die letzte Schlacht im Kriege gegen Elend, Hunger und Rückständigkeit zu gewinnen. Vor Ablauf dieses Jahres muss das gewaltige Werk beendet werden. Bald erdröhnen die letzten Hammerschläge. Bald ist das Fundament der sozialistischen Gesellschaft vollendet. Alle Maschinen: „Volldampf voraus!!!"


Vorwärts - 26. Dezember 1923

Am Ziel!
Sieg ! Sieg ! Sieg !
Eine Woche Arbeitsruhe
Ein Vierteljahr Urlaub
Sechstagewoche: Vier Arbeitstage! Zwei Ruhetage!

Wir haben es geschafft. Der Sozialismus hat seine Feuerprobe bestanden. Die erste große Saat ist durchgeführt. Die erste Ernte beginnt.
Fünf Jahre nach dem Siege an der militärischen Front feiern wir unseren Sieg an der Wirtschaftsfront. Jetzt können wir ausruhen und ein ruhigeres Tempo einschlagen. Morgen beginnt die erste „Fünftagewoche der Weltrevolution." Sie wird durch Arbeitsruhe gefeiert. Am 1.Januar tritt die neue Kalenderreform in Kraft. Das Jahr hat jetzt 12 Monate zu je 30 Tagen oder 5 Wochen.
Die letzten 5 bzw. 6 Tage des Jahres bilden die Woche der Weltrevolution, in der nur die allernotwendigsten Arbeiten verrichtet werden dürfen.
Die durchgehende Arbeitswoche wird beibehalten. Auf je vier Arbeitstage entfallen aber jetzt zwei Ruhetage. Für je ein Drittel aller Werktätigen beginnt die Arbeitswoche am 1., 3. oder 5. Tage der Kalenderwoche. Die Anträge auf Wiedereinführung fester Sonntage wurden abgelehnt. Jeder Werktätige soll Gelegenheit haben, seine beiden Ruhetage in einem Landerholungsheim zu verbringen. Wir haben aber noch nicht genug Erholungsheime, um alle Werktätigen an einem Tage unterbringen zu können, ganz abgesehen davon, dass es eine sinnlose Verschwendung wäre, Tausende von neuen Erholungs- und Wochenendheimen zu bauen, die nur an zwei Tagen belegt wären und an den anderen Tagen leer stünden. Die Einführung fester Ruhetage würde aber auch den Nachteil haben, dass wir unsere modernen Betriebe nicht voll ausnutzen könnten und durch diesen Ausfall gezwungen wären, eine Anzahl von Betrieben aufrechtzuerhalten, die nicht mehr auf der Höhe der Technik stehen und deshalb stillgelegt werden sollen. Wegen der großen Umstellungen, die im nächsten Halbjahr erfolgen, müssen eine ganze Reihe von Betrieben geschlossen werden. Jeder Werktätige erhält ein Vierteljahr Urlaub (bisher nur einen Monat). Um den Urlaub angenehm verbringen zu können, ist er berechtigt, von seinem Anleihekonto Beträge bis zur Höhe von zwei Monatseinkommen abzuheben.
Eine Barrückzahlung von Anleihegeldern über diesen Betrag hinaus ist vorläufig nicht zulässig. Dagegen können Anleihepapiere bei Kauf von Fahrscheinen oder von Fahrscheinheften, die in der ganzen S. U. gelten, in Zahlung gegeben werden. Eine ganze Anzahl von Arbeitern wird große Reisen unternehmen. Der Rundreisebetrieb wird ab 1. Februar auf den südlichen und ab 1. Mai auch auf den nördlichen Reiserouten aufgenommen. Die Anmeldung muss unter Beifügung der Anleihepapiere in Höhe der Fahrpreise bis spätestens 1. Februar erfolgen. Im Jahre 1925 soll der Rundreiseverkehr noch weiter ausgebaut werden. Anmeldungen für 1925 müssen bis zum 1. Oktober erfolgen.
Am meisten Voranmeldungen liegen bisher für die Route III vor. Flussfahrt donauabwärts bis Schwarzes Meer — Autofahrt durch den Kaukasus — Schiff-Fahrt: Kaspisches Meer
— Transpersienbahn — Schiff-Fahrt: Indien, ostafrikanische Küste, Suezkanal, Mittelmeer — Heimfahrt über Italien— Marseille, oder Genua, oder Venedig, oder Albanien. Auch für die Weltrundfahrt und für die Rundfahrt um die ganze S.U. liegen schon sehr viel Anmeldungen vor. Wir empfehlen diese großen Fahrten jedoch noch nicht. In einem Vierteljahr kann man den Reiz dieser Reisen nicht richtig auskosten. Bei allen Annehmlichkeiten, die in unseren neuen Kontinentalzügen und auf unseren Personendampfern geboten werden, sind diese Routen noch mit zuviel Strapazen verbunden. Wenigstens alle jüngeren Männer und Frauen sollten warten, bis die Union in der Lage ist, jedem Arbeiter nach zehnjähriger Beschäftigung ein halbes oder gar ein ganzes Jahr Urlaub zu geben.
Die Arbeiter, die mit ihrer Familie gar zu große Reisen unternehmen, verbrauchen fast die ganze Anleihe, die sie gespart haben. Das ist sehr unwirtschaftlich. Unsere Produktivität wird immer mehr steigen, je mehr wir mit dem Ausbau der Produktionsmittelfabriken fertig werden und uns der Schaffung von Konsumgütern zuwenden können. Die monatliche Arbeitszeit beträgt jetzt 120 Stunden und das Durchschnittseinkommen 120 Mark. Abgaben werden
— mit Ausnahme des Klubbeitrages — nicht mehr erhoben. Die Menge der kommunisierten Lebensmittel, die die Klubs und Werkgemeinschaften umsonst verabreichen, steigt zusehends. Auch die Fischnahrung wird ab 1. Januar kommunisiert. In allen Meeren und Gewässern der S. U. wird jetzt planvolle Fischzucht getrieben. Das Zentralfischzuchtinstitut der S. U. hofft, durch neue Zucht- und Auslesemethoden den Fischbestand bedeutend verbessern zu können. Für Schuhwerk und dauerhafte, einfache Bekleidung genügt jetzt eine monatliche Ausgabe von 15—20 Mark pro Person. Selbst wer sich diesen oder jenen Luxus gestattet, kann also noch sparen. Und es ist kein Fehler, wenn er es tut, weder für ihn noch für die Gesamtheit. Für ihn ist es von Vorteil, weil die Kaufkraft unseres Geldes ständig steigt, und für die Gesamtheit, weil wir noch auf Jahre hinaus mehr produzieren als konsumieren müssen. Je mehr heute noch gespart wird, um so schneller wird der Zeitpunkt erreicht sein, wo das Sparen überflüssig wird.

Partei und Diktatur
In den europäischen Föderationen kann eigentlich von Diktatur keine Rede mehr sein. Eine ganze Anzahl Räte sind bereits bis zu 40% von Parteilosen besetzt. In der ganzen N. E. F. gibt es nur noch etwa eine Million Menschen ohne Wahlrecht. Die Karenzzeit für ehemalige Angehörige der besitzenden Klassen, die sich in den Produktionsprozess eingegliedert haben, soll ab 1. Mai von drei Jahren auf ein Jahr verringert werden. Für Landwirte, die einem Kollektiv angehören, ist die Karenzzeit bereits herabgesetzt worden. In einigen Jahren werden also außer den Geistlichen nur noch einige Spezialisten, die auf ihre hohen Gehälter nicht verzichten wollen, des Wahlrechts beraubt sein. Die Rätedemokratie wird dann fast vollkommen sein. Auch in Russland nimmt die Zahl der nicht Wahlberechtigten zusehends ab, ebenso in China, wo sie noch ungefähr vier Millionen beträgt. Sehr hoch ist die Zahl der nicht Wahlberechtigten dagegen in Tibet und einigen anderen innerasiatischen Gebieten, wo die Propaganda gegen das Mönchsunwesen erst vor kurzem aufgenommen wurde. In Indien sind noch ungefähr 30% der Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen, da hier nur Werktätige wahlberechtigt sind die sich verpflichtet haben, alle religiösen Streitigkeiten einzustellen und den Kampf gegen die restlose Liquidierung des Kastenunwesens aktiv zu unterstützen. Ab 1. Januar 1925 wird allen Männern unter 5o und allen Frauen unter 40 Jahren, die bis dahin nicht Lesen und Schreiben gelernt haben, sowie allen Personen, die nachweislich gegen die zehn Gebote der Volksgesundheit verstießen, das Wahlrecht entzogen. Das ist jedoch eine reine Erziehungsmaßnahme und hat mit der Frage Demokratie und Diktatur nichts zu tun.
In Tibet und Indien bestand bisher die Bestimmung, dass in den Bezirksräten mindestens 60% Parteimitglieder sitzen müssen. Diese Bestimmung fällt ab 1. Januar 1924 und gilt für die übergeordneten Räte nur noch bis zum 1. Januar 1925.
Unter den Eingeborenen Asiens und Ozeaniens ist die Zahl der ausgebildeten Parteimitglieder schon so groß, dass sie die Parteiaufgaben restlos erfüllen können. Wir mussten in diesen Gebieten mit der Aufnahme von neuen Parteimitgliedern doppelt vorsichtig sein und haben, um den Charakter der Partei reinzuhalten, lieber auf eine zu schnelle Vergrößerung verzichtet und viele Parteiaufgaben dem F.S.W. und den Gewerkschaften überlassen, aus deren Reihen wir dann nach und nach eine Anzahl tüchtiger Parteigenossen gewinnen konnten.
In Australien und Südafrika bestehen leider immer noch an einigen Stellen getrennte Räte für weiße und farbige Werktätige. Sie verschwinden aber langsam. Zentralafrika ist leider immer noch sehr rückständig: nur bei etwa 20% der Bevölkerung sind die Bedingungen für volle Rätedemokratie gegeben, obwohl das aktive Rätewahlrecht hier nur den ehemaligen Häuptlingen und Medizinmännern vorenthalten ist. Das passive Wahlrecht wird jedoch nur denjenigen zugestanden, die einen halbjährigen Kursus an einer afrikanischen Schule oder einen längeren Kursus an einer Exotenschule in Paris, Rom, Berlin, Brüssel oder London durchgemacht haben. Der internationale Parteitag tritt am 22. Januar zusammen und wird sich vor allem mit der zentralafrikanischen Frage beschäftigen.


Vorwärts- 23. Januar 1924

Lenins Vermächtnis

Die Eröffnungssitzung des internationalen Parteitages wurde zu einer Trauerkundgebung für unseren großen Führer. Aber es war eine Trauerkundgebung besonderer Art. Eine Kundgebung ganz im Sinne Lenins. Nach Eröffnung der Sitzung wurde folgende Entschließung der deutschen Delegierten vorgelesen und einstimmig angenommen: „Es ist unmöglich, das Verdienst Lenins in Worten zu würdigen. Sein Werk lebt. Der erste Abschnitt der proletarischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus liegt hinter uns. Lenin konnte unseren ersten großen Sieg an der Wirtschaftsfront miterleben und hatte gerade noch die Kraft, uns zuzurufen: ,Erlahmt nicht! Werdet nicht müde und bequem! Setzt den Wirtschaftskampf mit dem Kapitalismus rücksichtslos fort! Nehmt alle Energie zusammen! Haltet durch bis zum Endsieg!'
Ein Mann wie Lenin kann nur durch Taten gefeiert werden. Unsere Tat sei: Debattelose Annahme der Vorschläge Wladimir Iljitschs für den wirtschaftlichen Endkampf. Sofortige Inangriffnahme der Arbeit."
Nach Annahme dieser Entschließung wurden die Kommissionen zur Bearbeitung der neuen Pläne gewählt. Die Plankommissionen beginnen ihre Arbeit. Sie sind die einzigen, die auch während der vierundzwanzigstündigen Arbeitsruhe nicht feiern.

Der Pulsschlag der Welt stockt
Vierundzwanzig Stunden lang wird kein Zug fahren, kein Telefon läuten, kein Hammerschlag erdröhnen. Dann werden die sterblichen Reste unseres unsterblichen Führers aus Bad Kissingen nach Berlin überführt. Von dort wird das Auto mit dem großen Toten auf der „Ost-West-Chaussee" langsam nach Moskau rollen.
Wie sehr hat Wladimir Iljitsch gerade auf Fertigstellung dieses Werkes gedrängt! Die zwölf Meter breite Chaussee Moskau—Berlin ist der erste Teil des weltumspannenden Ringes, der im nächsten Jahre fertig gestellt sein soll. Eine Lücke klafft noch in diesem Ring, Amerika. Lenin konnte den Augenblick nicht mehr erleben, in dem sich der Ring schließen wird. Aber er hat uns noch sterbend den Weg dazu gewiesen: „Verstärkt das Tempo des sozialistischen Aufbaus!" Wir werden seinen letzten Willen erfüllen. Von Osten nach Westen ging der Weg der Revolution. Von Westen nach Osten kehrt unser Lenin nun nach Moskau zurück. Millionen und aber Millionen werden aufmarschieren, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Doch während er langsam dem Roten Platz zustrebt, tagen in Berlin schon die Plankommissionen.
Lenin ist tot!
Der Sozialismus marschiert!

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