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B. Traven - Die Rebellion der Gehenkten (1936)
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ELFTES KAPITEL

Diese Verwirrung war es, auf die Don Felix gewartet und die, wie er richtig geschätzt hatte, kommen würde.
Mit einem hastigen Ruck warf er sich neben die Wand und dicht an das Geländer. Beide Hände stützte er auf und hatte im selben Augenblick beide Knie hoch am Geländer. Es war so unerwartet geschehen, dass der Bursche, der dort stand, zur Seite gestoßen wurde, weil ihm Don Felix mit seinem vorgeworfenen Kopfe heftig gegen die Brust prallte.
Als er aber über das Geländer sausen wollte, sprang mit einem langen Satze, einer gejagten Katze gleich, Celso auf seinen Rücken und beide fielen, einige Male umeinander kollernd, zurück auf den Boden des Portico.
Celso zerrte ihn am Hemdkragen hoch und hieb mit seiner breiten, eisenharten Hand ihm einen so mächtigen Schlag quer ins Gesicht, dass dieses der ganzen Breite nach aufplatzte. Don Felix taumelte zurück gegen das Geländer. Celso ließ den Hemdkragen los und schlug ihm nun auch noch mit seiner linken Tatze einen gleichen Hieb mitten ins Gesicht. Das Gesicht verschwamm in Brei.
Nun brüllte Celso ein mächtiges, zufriedenes Lachen hervor. Er wischte eine Hand an der andern ab.
Dabei sagte er: »Die muss ich mir jetzt mit Branntwein waschen gehen, damit ich deinen Dreck loswerde. Diese Hiebe sitzen, du Knäblein, he? Das sind Hiebe. Du hast mir die Hände so hart gemacht mit vier Tonnen Caoba im Tag. Nun weißt du, wie sie sich anfühlen. Das wollte ich dir nur einmal zeigen, du Schweinedreck.«
Den Felix lag wieder in seiner Ecke. Mit einer hoffnungslosen Gebärde seiner Hände wischte er das Blut aus seinem Gesicht.
»He, Muchachos!« rief Celso die Burschen auf. »Ihr habt gehört, was die Muchacha uns gesagt hat. Die Ohren abgeknüpft - und mit einem sauberen und musikalischen Henken. Ihr wisst ja, wie gehenkt wird. Wir alle haben eine gute Bildung im Henken durchgemacht.«
Er wandte sich an Modesta, die noch immer da hockte und bitterlich weinte und sagte zu ihr: »Weine nicht, Modesta, Muchacha querida! Wir holen jetzt, noch heute Abend, Candido und Pedrito. Wir zerren die Cayuqueros an ihren Schwänzen herbei, wenn sie nicht gehorchen wollen.«
Während Celso mit einigen Burschen zu den Hütten hinüberlief, wo die Handwerker und Cayuqueros mit ihren Familien wohnten, stießen andere Burschen Don Felix vor sich her und trieben ihn zu einem Baum mit langen, weit hinausragenden, starken Ästen. Es war nicht nötig, dass jemand den Burschen sagte, was sie nun tun sollten und wie sie es tun sollten. Sie alle waren Gehenkte und besaßen reiche Erfahrung als Gehenkte. Diese Erfahrung kam ihnen zu Hilfe.
Sie trieselten einen starken Faden aus einem Strick heraus. Den Faden knoteten sie fest um das rechte Ohr des Don Felix, dicht an der Backe. Dann warfen sie das Ende des Fadens hoch über einen der Äste. Darauf hoben drei Burschen, die Don Felix die Arme eng an den Leib geschnürt und ihm die Beine zusammengebunden hatten, ihn hoch, so dass er mit dem Kopf nur zwei Hände breit von dem Ast entfernt war. Hier hielten sie den Körper, bis andere Burschen den Faden so geordnet hatten, dass er die gewünschte Länge besaß, und dann banden sie das Ende um den Stamm des Baumes. Sie riefen, als das fertig war: Listo Muchachos!« Jetzt ließen die Burschen den Körper behutsam, sehr behutsam los, bis er frei an dem rechten Ohr baumelte. Nicht nur die Backe, sondern das ganze Gesicht des Don Felix zerrte sich weit heraus aus seinem Kopfe.
»Nicht das, Muchachos! Nicht das, Muchachos!« schrie er, soweit das völlig verrenkte Gesicht es zuließ. »Schlagt mich tot! Schlagt mich tot!« Dann, obgleich er sich alle Mühe gab, den
Burschen seinen Schmerz nicht zu offenbaren, begann er in sich hineinzustöhnen. Aber je länger er hing, desto mehr quetschte sich seine Kehle zu, weil die Haut sich immer weiter zuzerrte und auch noch die Haut des Halses und der Schultern mit sich
zog.
»Jetzt weißt du dreckiger, eitriger Hund, was Henken ist!« rief ein Bursche.
»Wir henken ein wenig anders als du und deine Brüder, diese Schweine, die jetzt in der Hölle sind«, rief ein anderer. »Aber wir wollen dich ja nicht morgen mit neuen Kräften vor den Bäumen haben, um vier Tonnen zu machen. Wir henken nur dich allein. Du hast hundert von uns gepeitscht und gehenkt wann immer es dir gefiel. Musst du eben auch für hundert gehenkt werden.«
»Lasst mich los, Muchachios! Ich gebe euch alle Caoba, die wir hier haben. Auch die ganze Tienda.«
Don Felix musste nun doch endlich bitten, obgleich er sich in seinem Leben versprochen hatte, nie einen Muchacho zu bitten, auch wenn er ihm mit dem Messer an der Kehle sitzen sollte.
»Die Tienda nehmen wir uns auch ohne deine Erlaubnis. Und die Caoba, die wollen wir gar nicht. Schitt darauf, auf deine Caoba. Die mag hier verfaulen und vermodern. Was kümmert uns deine Caoba?«
»Lasst mich runter!« flehte er aufs neue. »Macht mit mir, was ihr wollt, nur das nicht. Lasst mich runter!«
Darauf antwortete ein anderer Bursche: »Höre, Gachupin, wir haben jetzt keine Lust mehr, hier noch weiter zu stehen und deinem Winseln zuzuhören. Wir haben Hunger. Haben den ganzen Tag für dich geschuftet, ohne zu fressen zu kriegen. Wir gehen jetzt in die Tienda, Büchsen aufmachen. Wollen sehen, wie ihr lebtet. Sardinen, eingemachte Aprikosen, gute Suppen, Leberpasteten, Schinken, Speck, Schokolade, Kaffee, wirklichen und keine gerösteten und dann gemahlenen Tortillas, die du
Kaffee nanntest, gut genug für uns.
»Und«, fiel ein anderer ein, »in einer Stunde kommen wir nachsehen, ob die Backe noch hält oder dein Dreckgesicht schon abgerissen ist von deinem Schädel. Und wenn du hier unten im Dreck liegst und die rechte Schwarte ab ist, dann kommt das linke Ohr dran und die linke Schwarte oder was noch davon übrig ist.«
Höhnisch lachte ein anderer: »Es kommt auf die Güte deines Leders an, Felixchen. Wenn es gut und zäh ist - wir hoffen, dass es zäh ist -, dann kann es sechs Stunden dauern oder auch zehn, ehe die Schwarte runter ist und wir die zweite abledern kommen. Inzwischen viel Vergnügen! Ihr habt in euren Bungalows gesessen und euch in den Hängematten geschaukelt, wenn wir im Dickicht hingen und wimmerten. Diesmal bist du es, der wimmert, während wir in den Hängematten schaukeln und eure Vorräte fressen und deine Zigaretten rauchen und deine Weiber huren, wenn sie uns gefallen. Ob sie uns gefallen, müssen wir erst sehen.«
Die Muchachos machten sich auf den Weg zur Oficina. Inzwischen war es dunkel geworden. Die Nacht würde in einer Viertelstunde da sein.
Noch immer kamen Gruppen von Schlägern und Boyeros zum Haupt-Camp. Vielen war Nachricht gebracht worden von dem, was sich hier ereignet hatte, und sie kamen, obgleich sie andernfalls an diesem Tage hier nicht erschienen wären.
Andres war zur Tienda gegangen, begleitet von Santiago, um zu verhindern, dass die Muchachos unbesonnen über die aufgespeicherten Vorräte herfielen. Bis jetzt hatte noch kein einziger Muchacho daran gedacht, sich über die Tienda herzumachen. Sie alle waren zu sehr mit Aufräumen in der Oficina beschäftigt. Von Andres war, nachdem er mit Celso und Martin Trinidad darüber gesprochen hatte, der Vorschlag gekommen, alle Vorräte in gleicher Weise an alle Burschen zu verteilen, ein Vorschlag, der von allen angenommen wurde und den auszuführen Andres, der lesen und schreiben konnte, als Verpflegungsmeister übergeben worden war.
Als er zur Tienda kam, war sie verschlossen. Der Mann, der sie verwaltete, hatte sich versteckt.
Andres, Santiago als Wache bei der Tienda zurücklassend, ging hinüber zu den Hütten, wo die Handwerker wohnten und wo er sicher war, den Verwalter der Tienda zu finden, um von ihm die Schlüssel zu bekommen und das Aufbrechen zu vermeiden. Bei den Hütten traf er Celso und noch einige Burschen, die hier waren, um die Cayuqueros aufzuscheuchen, damit sie die Muchachos herfahren sollten, die in den verschiedenen Camps an den Ufern des Flusses verstreut arbeiteten und unter denen sich Candido mit seinem kleinen Jungen befand.
Die Handwerker, Schmiede, Geschirrmacher, Seiler, Köche, Cayuqueros waren die bevorzugten Arbeiter. Sie bildeten die kleine Mittelklasse. Sie alle hatten mit ihren Familien von ihren Hütten aus gesehen, wie die Muchachos die Oficinas stürmten. Mehrere der Handwerker und alle Branntweinhändler besaßen Revolver. Hätten die Patrones und die Capataces die Handwerker zur Hilfe herbeigerufen, als der Sturm begann, so wären die Handwerker gekommen, vielleicht zögernd und sich drückend so viel wie möglich, aber sie wären gekommen. Zu dieser Mobilmachung hatte jedoch Don Severo keine Zeit und keine Gelegenheit gehabt. Zuerst glaubte er nicht, dass es sehr ernst sei. Und als er es wusste, war es zu spät, die Mobilmachungsbefehle auszugeben.
Wären die Patrones und die Capataces als Sieger hervorgegangen, so hätten die Handwerker jede Grausamkeit, die über die Besiegten als Strafe für den Aufstand verhängt worden wäre, als gerecht und verdient bezeichnet. Mit Begeisterung und Pflichteifer hätten sie dabei geholfen, Riemen, Seile und Pfosten zu liefern, um die Rebellen zu peitschen und zu henken.
Nun aber waren die Rebellen Sieger geworden. Und darum, sobald die ersten Muchachos zu ihren Hütten kamen, sagten die Artesanos: »Das haben wir jeden Tag hier gesagt, dass es einmal so kommen würde; man muss die Muchachos besser behandeln, haben wir hier immer gesagt, denn das kann ja kein Pferd aushalten, viel weniger ein Muchacho, der ja auch ein Mensch ist.«
Celso, Andres, Santiago, Fidel, Martin Trinidad, Juan Mendez, Lucio Ortiz und viele andere der Muchachos kannten freilich ihre neuen Freunde recht gut. Sie ließen sich nicht von ihnen das Hirn verkleistern und verweigerten jetzt die Annahme der Dienste, die rasch und billig angeboten wurden, um den Siegern gefällig zu sein und deren Gunst zu gewinnen. Die intelligenteren unter den Muchachos, die nicht nur infolge des raschen Sieges Aufständische geworden waren, sondern die in ihrem ganzen Charakter Insurgenten und Rebellen waren, wussten recht gut, was sie von diesen rückgratlosen Nachläufern und Verherrlichern der Patrones zu halten hatten. Sollte es geschehen, dass morgen die Patrones mit Hilfe der Rurales und der Federaltruppen wieder nach oben gelangten, so würden alle diese Handwerker und Branntweinschenker sofort auf Seiten der Aristocratas und Herrschenden stehen. Jedes vertrauliche Wort, das ihnen am Tage vorher die Rebellen gesagt, würden sie den Rurales denunzieren.
Aus diesen Gründen waren die Muchachos unzugänglich für das dreckige, anschmeichelnde Gebaren der Handwerker, die sich jetzt, in kriechender Geste, jedoch zaghaft und unsicher, aus ihren Hütten hervorschlängelten, als Ceiso, begleitet von mehreren Burschen, auf deren Behausungen zukam.
»Das musste so kommen, Muchachos! Das musste so kommen, Muchachos! Das habe ich hier immer gesagt«, ereiferte sich der Schmied. Er wandte sich zu zwei Geschirrmachern um, die nahe an ihn gerückt, ihm folgten: »Habe ich das nicht immer gesagt,
Compadres, dass es so kommen würde?«
»Ja, das hast du immer gesagt, Compadre, und wir haben das auch immer gesagt, dass es so nicht lange weitergehen könne!«
»Halte deine gottverfluchte Fresse«, rief Celso, »oder ich schlage dir eins rein, dass dir die Zähne in die Gedärme rutschen, Wanzen die ihr seid. - Wo wohnen die Cayuqueros?« fragte er dann barsch.
»Hier, Chamulito, komm, ich zeige dir den Weg«, sagte der Schmied dienstbereit. »Da wo die Lampe funkelt, da wohnt Pablo und gleich dabei Felipe.«
Celso ging auf Pablos Hütte zu. Ohne in die Tür zu treten, rief er. »Pablo, komm raus hier!«
Der Cayuquero trat heraus. Die Knie wackelten ihm, so dass es aussah, als wollten sie zusammenknicken. »Wie viel Kinder hast du?« fragte Celso. »Drei, Muchacho.« »Raus damit!«
»Aber, bitte, por favor, Chamulito, du wirst doch meinen kleinen Kindern nichts zuleide tun«, flehte der Cayuquero in steigender Angst.
»Her mit den Kindern, habe ich gesagt!«
»Die schlafen schon, Muchacho!« Pablo konnte kaum noch die Lippen öffnen vor Angst.
»Soll ich sie auf meinem Machete herbeiholen?« schrie Celso.
Im selben Augenblick kamen die Kinder an die Tür, aus Neugierde. Ihre Mutter war in einer kleinen hinteren Hütte, wo sie das Abendessen bereitete und nicht hörte, was hier vor sich ging, oder es war ihr von ihrem Manne anbefohlen worden, sich nicht sehen zu lassen, weil die Muchachos vielleicht imstande sein könnten, ein gewaltiges Notzüchten der Weiber zu veranstalten - als Vergeltung für die zahllosen Niederträchtigkeiten, die von den Handwerkern an den Frauen verübt worden waren, die manche Burschen mit in die Monteria gebracht hatten, weil sie sich von ihren Männern nicht trennen wollten.
Ein Muchacho hatte sofort die drei Kinder gepackt, die zu schreien begannen. Nun lief auch die Mutter herbei und warf sich auf die Knie.
»Schrei nicht, du alte Schrulle«, sagte ein Bursche zu ihr, »wir fressen deine Hurenbrut nicht. Die Kleinste kannst du gleich hier behalten, die wollen wir nicht.«
Er schob den kleinen Wurm von einem Mädchen der Mutter zu, die das Kind ergriff, als habe sie es den Krallen erboster Tiger entrissen.
Dann sagte Celso: »Bring die beiden größeren Kinder auf den Platz, und du, Pablo, kommst mit.«
Die Frau schrie wieder. Aber ein Bursche rief: »Du schreist besser nicht, wenn du deine Kinder wiederhaben willst.«
Auf dem Platze angekommen, ließ Celso die beiden Kinder, ein Mädchen von zehn Jahren und einen Jungen von sieben, an einen Baum binden.
Die Kinder jammerten entsetzlich. Celso sagte: »Ruhig seid ihr, wir fressen keine kleinen Kinder. Wir tun euch überhaupt nichts, wenn euer Vater macht, was wir ihm befehlen. Lauf zur Tienda, Vicente, und lass dir vom Andres ein Stück Schokolade für die Kinder geben. Und dann hältst du Wache hier bei den Kindern, damit sie nicht von einer Schlange gebissen oder von einem Skorpion gestochen werden, während sie hier angebunden sind.« Vicente sprang fort, die Süßigkeiten für die Kinder zu holen.
»Pablo!« Celso wandte sich nun an den Cayuquero. »Du kennst alle Camps aufwärts und abwärts des Flusses. Du fährst jetzt sofort zu dem Camp Nuevo und bringst von dort Candido und seinen Jungen und alle anderen Muchachos, die dort im Camp sind. Du rufst Felipe, dass auch der mit dem Cayuco fährt, um alle Muchachos rascher hier zu haben, aus allen Camps.«
»Aber Muchacho!« sagte darauf Pablo, »es ist Nacht, wie kann ich denn da mit dem Cayuco fahren?«
»Du dreckiger Hund konntest doch fahren in der schwärzesten Nacht, wenn es der Patron befahl? Und jetzt sind wir hier die Patrones, und du tust, was ich dir sage. Damit du nicht etwa ausrückst mit den Cayucos oder Felipe ausrückt, darum habe ich deine Kinder hier. Wenn du alle Muchachos aus allen Camps an beiden Ufern hier bei der Administracion hast, dann bindet Candido deine Kinder los.
Du machst dich besser rasch auf den Weg. In der Nacht kommen die roten Ameisen, das weißt du, und es wird deinen Kindern nicht sehr behagen, von den Ameisen gebissen zu werden. Wir wissen, wie es tut. Wir wissen es nur zu gut. Es kann deinen Kindern für ihre Zukunft nichts schaden, am eigenen Leibe zu erfahren, wie ihr uns gequält habt. Los, rufe Felipe und wer sonst noch fahren kann, und dann abgerasselt und die Muchachos hergebracht. Sollen alle ihre Packen bringen, und ihre Machetes, Äxte und was sie sonst haben.«
Celso winkte einige Muchachos herbei und sagte: »Jeder von euch setzt sich in einen Cayuco und ihr geht mit und passt auf, dass die Schurken uns den Teig nicht versalzen. Abgehopst.«
In zwei Minuten stießen vier Cayucos von dem Ufer ab.
»He, was wollt ihr denn da drüben?« rief Celso fünf oder sechs Burschen nach, die er zu den Branntweinbuden wandern sah. »Her mit euch!«
Die Muchachos kamen heran. »Wir wollen nur ein paar trinken gehen; die winkten uns rüber.«
»Ihr werdet doch nicht das Gift saufen wollen. Wir sind nun frei. Aber damit ihr es wisst, der Aguardiente wurde erfunden, uns in Unfreiheit zu halten. Darauf werden die Aristocratas im ganzen Lande nur warten, dass wir uns vollsaufen und einen dummen Kopf bekommen. Dann haben sie uns wieder in einem
Tage, und alles war vergebens. Vorwärts, ihr geht jetzt alle, die ihr hier seid, da rüber zu den Buden, nehmt die Äxte mit, und zerschlagt alle Fässer und alle Flaschen. Und das kann ich euch sagen, wenn ich morgen auch nur eine halbe Flasche mit Comiteco hier finde oder einen von euch besoffen sehe, dann hole ich mir Andres, Santiago, Martin, Juan, Lucio, Fidel, und -ich verheiße es euch, por Dios Santisimo! - wir schlagen euch in Fetzen und noch ganz anders, als ich heute das Felixchen aufgeweicht habe.«
Es waren nicht fünf Minuten vergangen, da hörte man aus den Branntweinbuden und Hurennestern Fluchen, Jammern, Kreischen, Krachen von Fässern, Splittern von Flaschen. Weiber flogen durch die Luft, und fette Branntweinhöker sausten kopfüber aus ihren Höhlen in Verrenkungen, die keinen Zweifel darüber ließen, dass ihnen von eisernen Füßen alter Carreteros mit aller Inbrunst in den Ursch getreten worden war. Und ehe sich jemand auch nur Zeit nehmen konnte hinüberzugehen, um zu sehen, was für eine Hölle dort ihre Vorstellung gebe, loderten vier Hütten in prasselnden Flammen hoch.
Durch diese Feuersbrunst wurde der Platz nun taghell erleuchtet.
Don Felix baumelte noch immer. Ob er noch am rechten Ohr zappelte oder schon am linken hing, war nicht klar zu sehen, weil sein Gesicht von blätterreichen Zweigen verdeckt wurde. Vier Burschen hockten dicht dabei, darüber wachend, dass nicht etwa einer von den Artesanos sich heranschliche, um Don Felix abzuschneiden oder ihm die größere Gnade zu erweisen, ihm einen Schuss zu geben.
Martin war schon vor einiger Zeit zum Koch gegangen, ihm befehlend, ein großes Abendessen herzurichten, verschönert mit einigen Dutzend Konserven aus der Tienda.
Erst jetzt, als die Branntweinbuden loderten und es ringsum hell war, dachte Celso an Modesta. Er rannte auf die Oficina zu und fand Modesta hingesunken am Geländer, wo er sie zuletzt gesehen hatte.
Sie weinte nur noch leise und zuweilen stieß ein verlorener Schluckser in ihrer Kehle auf. Mit den Zipfeln der Hemden, die ihren Körper bekleideten, trocknete sie ihr Gesicht rasch und überhastig, als Celso auf sie zukam und sie an der Schulter tippte.
»Ist doch kein Grund mehr zu heulen, Chamaca«, tröstete sie Celso und lachte fröhlich auf. »In zehn Minuten ist Candido hier und auch der Kleine, und dann wird heimmarschiert. Alle marschieren wir heim und bauen unsere Milpas und pflegen unsere Ziegen und Schafe und bauen uns schöne Häuserchen aus gutem Lehm. Sollen aussehen wie die Häuser der Patrones. Was sagst du dazu, Modesta?«
»Das ist wunderschön, sehr wunderschön, Celso, wenn du das so sagst.« Sie sprach, von zwei neuen Schlucksern unterbrochen. Wieder trocknete sie in ihrem Gesicht herum. Dann sah sie ihn an, und nun lachte sie mit blitzenden Zähnen.
Sie schüttelte ihr Haar aus dem Gesicht und machte eine Gebärde, als ob sie sich an etwas erinnerte.
Sie sah Celso aufmerksam in die Augen und sagte: »Ich muss geträumt haben. Ich habe etwas vom Patron geträumt. Er lag da in dem Winkel, und ich schrie ihn an, dass er mir die beiden kleinen Jungen wiedergeben solle, die er mordete und schändete. Es war ein ganz verworrener Traum, wie ich nie einen gehabt habe.«
Celso streichelte ihren Kopf. »Solche bösen Träume hat man zuweilen. jeder hat hin und wieder solche bösen Träume. Die muss man rasch vergessen und nicht mehr daran denken.«
»Ja«, antwortete sie. »Ich will nicht mehr daran denken.«
»Und weißt du, was wir jetzt tun?«
»Wie kann ich das wissen, wenn du es mir nicht sagst?«
»Richtig. Wie kannst du es wissen. Aber damit du es nun weißt: wir gehen beide in die Tienda, wo du die schönsten Kleider haben sollst. Auch Schuhe und Strümpfe.«
In der Tienda befanden sich Andres, Santiago und noch einige Muchachos. Auch der Verwalter der Tienda war da. In dem Augenblick, als Celso sich mit Modesta der Tienda näherte, hatte Andres gerade eine wichtige Besprechung mit dem Verwalter.
»Nur nicht hier lange gezögert und den Revolver her«, sagte Andres zu ihm: »Die Patronen auch her! Und dass du keine für dich zurückbehältst.«
»Aber das ist mein eigener Revolver, der gehört nicht den Montellanos.«
»Eben darum gibst du ihn her.«
»Wie soll ich mich denn hier in dieser Wildnis ohne Revolver bewegen?« fragte der Verwalter.
»Genauso, wie wir uns bisher ohne Revolver hier bewegen mussten, Tiger herum oder nicht Tiger herum. Und raus nun!« Santiago sagte das und stieß den Verwalter in den Rücken.
»He, Andres!« rief Celso, der in die Tür getreten kam. »Hier, gib der Modesta ein schönes Kleid. Das schönste Kleid.«
»Mit Freuden«, erwiderte Andres lachend. »Wie viele willst du haben, Muchacha? Drei, sechs, zehn?
Kannst auch zwanzig haben. Jedenfalls bleiben noch genug übrig, wenn alle Muchachas gut angezogen sind. Bekommst auch Hemden, und weißt schon, ich meine auch Calzones. Auch Schuhe kriegst du, und lange Strümpfe. Es sind sogar Ketten hier und Ohrringe. Por Dios Santo, was die hier alles haben. Aufgespeichert bis an die Decke hinauf, und wir immer in Fetzen und Lumpen. Alles nur für ihre Huren.«
Der Verwalter platzte nun heraus: »Aber Muchachos, ich muss meine Bücher und Listen haben. Sonst wird man glauben, ich habe hier unrichtig Bücher geführt.«
»Halt die Fresse!« sagte Celso. »Bücher, Listen. Was denn sonst noch? Alle Bücher und Listen werden verbrannt. Und alle Kontrakte, die wir morgen aufstöbern gehen, werden verbrannt. Es gibt keine Kontos mehr. Keine Schulden mehr. Keine Kontrakte mehr. Wenn wir aufräumen, dann räumen wird gründlich auf. Was sagst du, Andres? Und du, Santiago?«
»Wir haben ja lange genug mit dem Aufräumen gewartet, haben wir das nicht?« sagte Santiago, sich eine Kiste mit Zigarren vorzerrend. »Und je mehr Bücher und Listen und Kontrakte und Dokumente wir jetzt verbrennen, desto freier sind wir. So«, sich an den Verwalter wendend, »das weißt du nun. Und raus mit dir. Lässt du dich noch ein einziges Mal hier oder auch nur in der Nähe sehen, dann raucht es.«
»Und wie es raucht«, fügte Celso mit einem lauten Gelächter hinzu.
»Los, los, Modesta!« ermutigte Andres das Mädchen. »Hier, suche dir den schönsten Lumpen aus, und dann gehst du da hinter die Kisten, da kannst du dir alles anziehen. Nur nicht zaghaft, Muchacha. Wir haben alles bezahlt, was hier ist, alles zehnmal verdient. Es gehört uns. Morgen wird alles hier verteilt. Alle Muchachos bekommen neue Hemden, Hüte, Sandalen, Patronen, Konserven. Was sie wollen. Und ihre Mädchen alle Kleider. Da sind Haufen von Kattunstoffen und Decken und, lieber Gott im Himmel, ich weiß ja gar nicht, was alles hier ist.«
»Du, Celso«, sagte Santiago, als der Verwalter, halb verärgert, halb verschüchtert, abgezottelt war, »wir gehen jetzt rüber zu den Artesanos und zu den Vergiftern und sammeln alle Kanonen und Gewehre ein, die sie haben. Auch alle Patronen. Dann wird gesucht. Und wer einen Revolver oder Patronen versteckt hat, kriegt einen Stein ans Bein und kommt in den Fluss.«
»So viel Mühe mit diesen Schleichern und Halunken!« rief einer der Burschen, die hier herumstanden. »Das fehlt uns auch noch. Mit einem Knüppel werden sie totgeschlagen, wie sie es verdienen, wenn sie uns hier in den Weg kommen. Das verheuchelte Gesindel ist nicht einmal das Anspucken wert.«
»Gut Santiago, du nimmst dir einige zehn Muchachos und verschaffst dir alles an Pistolen und Gewehren, was die da haben«, ordnete ihm Celso an. »Und nicht zaghaft. Schlage sie in die Fresse, wenn sie auch nur das Maul aufmachen.«
Die Gruppe hatte sich kaum von der Tienda entfernt, als Modesta ihren Namen rufen hörte.
Candido, sein kleiner Junge und eine große Anzahl von Muchachos, die mit ihm im neuen Camp gearbeitet hatten, waren soeben angekommen.
»Siehst du, wie das geht, Andrucho?« sagte Celso protzend. »Die Cayuqueros sind in ihrem ganzen Leben nicht so schnell und so sicher gefahren wie heute. Ich bin ganz davon überzeugt, dass sie noch vor Mitternacht alle Muchachos aus allen Camps an den Ufern des Flusses hergerudert haben. Sieh nur, wie geschickt sie mit den langen Fackeln umgehen, nur um keine Sekunde zu verlieren. Man muss diese Brüder nur richtig herankriegen.«
In diesem Augenblick sprang Modesta, ein neues geblümtes Kattunkleid übergeworfen, nur einen Schuh an den Füßen, den andern in der Hand schwingend, hinter den aufgetürmten Kisten hervor und raus auf den Platz, wo sie ihren Bruder soeben hatte rufen hören.
Es war ein mächtiges Festmahl, das in dieser Nacht bei den Oficinas Generales gehalten wurde.
Gewaltige Stöße von Holz loderten auf dem Platze. Da die Zahl der ankommenden Muchachos mit jeder Stunde größer wurde, genügte der Raum unter dem großen Dach bald nicht mehr; die Burschen saßen außen herum auf ihren Matten, auf Kisten, auf Stämmen, auf Bänken und Stühlen, die aus den Bungalows hergeschleppt worden waren.
Alle Mädchen, die zu den Caobaleuten gehörten, hatten neue Kleider an. Vielen waren die Kleider zu weit und auch zu lang. Sie machten sich nichts daraus und schleiften die Fetzen durch den Schlamm und die Regenlachen, weil sie nicht gewöhnt waren, richtige Kleider zu tragen. Den meisten waren die eleganten hohen Schuhe unbequem, und sie zogen es vor, mit bloßen Füßen herumzuwaten, wie es in ihrem ganzen Leben ihr Brauch gewesen war. Sie nahmen sich kaum Mühe, die Schuhe mit sich herumzutragen, um sie nicht zu verlieren, so wenig war ihnen an deren Besitz gelegen.
Die Muchachos besaßen neue Hemden und weiße, gelbe, braune und blaue Baumwollhosen, neue Hüte und kräftige Sandalen. Matten und Decken für die Nacht lagen bereits ausgebreitet in den Schlafhütten und in den Bungalows, die von den Leuten besetzt worden waren.
Martin Trinidad hatte inzwischen mit Hilfe einer Anzahl von Muchachos alle übrigen Bewohner der Ciudad, die Handwerker, die Branntweinhöker und Roulettedreher, deren Familien, die Wäscherinnen und Flickerinnen, gefällige Genossinnen beim Trinken, sowie die zahlreichen, nun verwitweten Frauen der Gebrüder Montellano und die der Capataces in einer der größten Schlafhütten, die zwei große Nebenhütten besaß, untergebracht, wo sie von einer besonders dazu bestimmten Gruppe gut bewacht wurden, um nicht zu entkommen und die Rebellion vorzeitig zu verraten. Da alle selbständigen Männer Familien hatten, so war freilich kaum zu befürchten, dass sie weglaufen und ihre Frauen und Kinder allein lassen würden. Aber Martin Trinidad sagte zu Celso: »Besser ist auf alle Fälle besser. Die Rurales und Federales werden es noch früh genug erfahren und sich mit Maschinengewehren auf den Weg machen, um uns zu empfangen, sobald wir die ersten Dörfer außerhalb des Dschungels erreichen.«
Mehrere Muchachos besaßen Mundharmonikas. In der Tienda waren drei Dutzend mehr entdeckt worden, auch zwei Gitarren und ein Akkordeon. In den Bungalows der Capataces fanden sich zwei Trompeten, drei Gitarren und eine halbzerbrochene Klarinette. Freilich: nur eine Gitarre besaß ihre vollen Saiten. Aber es waren vier Burschen da, die gut und sicher das Akkordeon zu spielen verstanden. Wenn auch die gesamte Musik recht dürftig klang, ohne rechte Harmonie hinsichtlich dessen, was der eine und was der andere zu spielen gedachte, so störte das niemanden in seinem Genuss. Es war Musik da, und es ging fröhlich zu. Das war alles, was die Muchachos nach den Qualen der vergangenen Monate wünschten. Ein wenig Freude, ein schlichtes Essen, jedoch reichlich, kein Peitschen oder Henken, und die Hoffnung, heimkehren zu können und in Frieden ihr Feld zu bebauen - das war alles, was sie in der Welt und vom Leben erhofften. Es war nicht viel. Aber es war ihnen nie vergönnt gewesen.
»Alle Muchachos von den Ufer-Camps sind jetzt hier!« hörte Celso jemanden hinter sich sagen. Es war Pablo, der Canoeführer, der kam, um seine Meldung zu machen.
Der Bursche, der Pablo zur Bewachung mitgegeben worden war, bestätigte die Richtigkeit.
»Andres!« rief Celso.
Andres stand auf von seinem Essen und kam auf die Gruppe zu, bei der außer Celso auch noch Candido, sein Junge, Modesta und Martin Trinidad sagen.
»Du bist hier der Quartiermeister, auch für die Tienda.«
»Richtig«, antwortete Andres mit einem gutmütigen Lachen.
»Dann geh dort rüber zu dem Baum und binde die beiden Kinder des Pablo los. Dann nimmst du sie beide rüber zu der Tienda und gibst ihnen ein großes Stück Schokolade oder was sie sonst haben wollen. Gib dem Mädchen ein paar Ohrringe und eine Halskette und dem Jungen ein Taschenmesser, und dann schicke sie fort mit ihrem Vater.«
»Muchas gracias, Muchacho!« sagte Pablo erfreut. »Vielen
Dank, vielen, vielen Dank.«
»Lass nur den Dank ruhig beiseite«, erwiderte ihm Celso trocken. »Wenn du deine Kinder hast, gehst du mit ihnen rüber zu jener Hütte, wo deine Frau ist und alle deine Mitbürger. Es geschieht euch allen nicht das geringste. Das verspreche ich. Wir gehen los, und ihr habt die ganze Ciudad für euch.
Lassen euch genug übrig in der Tienda, und ihr habt auch genug Mais hier und Dutzende von Ochsen, die wir hinterlassen. Ihr könnt nicht verhungern. Zwei Wochen, nachdem wir hier abmarschiert sein werden, könnt auch ihr euch auf den Weg machen.« »Gracias, Muchacho!« sagte Pablo.
Dann begann Martin Trinidad zu reden. »Das bezieht sich auf eure Zukunft, Cayuquero, was dir hier gesagt wurde. Aber ich will dir etwas für die Gegenwart sagen. Dass mir keiner von euch versucht, zu entwischen und Nachricht nach Hucutsin zu bringen oder zu einem anderen Militärposten. Da warne ich euch alle. Celso hat euch etwas versprochen. Jetzt verspreche ich euch auch etwas. Sollte auch nur einer von euch hier die Administracion verlassen, heute oder morgen oder überhaupt einen Tag früher als zwei Wochen nach unserm Abmarsch, dann lasse ich allen, die hier von eurer Sippschaft zurückgeblieben sind, die Hälse abschneiden, Männern, Frauen und Kindern. Dass ich das tun werde, das schwöre ich euch. Wir haben nichts zu verlieren; jetzt nicht mehr.«

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