ELFTES KAPITEL
  Diese Verwirrung war es, auf die Don Felix gewartet und die, wie er richtig  geschätzt hatte, kommen würde. 
    Mit einem hastigen Ruck warf er sich neben die Wand und dicht an das  Geländer. Beide Hände stützte er auf und hatte im selben Augenblick  beide Knie hoch am Geländer. Es war so unerwartet geschehen, dass der  Bursche, der dort stand, zur Seite gestoßen wurde, weil ihm Don Felix  mit seinem vorgeworfenen Kopfe heftig gegen die Brust prallte. 
    Als er aber über das Geländer sausen wollte, sprang mit einem langen  Satze, einer gejagten Katze gleich, Celso auf seinen Rücken und beide  fielen, einige Male umeinander kollernd, zurück auf den Boden des  Portico. 
    Celso zerrte ihn am Hemdkragen hoch und hieb mit seiner breiten,  eisenharten Hand ihm einen so mächtigen Schlag quer ins Gesicht, dass  dieses der ganzen Breite nach aufplatzte. Don Felix taumelte zurück  gegen das Geländer. Celso ließ den Hemdkragen los und schlug ihm nun  auch noch mit seiner linken Tatze einen gleichen Hieb mitten ins  Gesicht. Das Gesicht verschwamm in Brei. 
    Nun brüllte Celso ein mächtiges, zufriedenes Lachen hervor. Er wischte eine  Hand an der andern ab. 
    Dabei sagte er: »Die muss ich mir jetzt mit Branntwein waschen gehen,  damit ich deinen Dreck loswerde. Diese Hiebe sitzen, du Knäblein, he?  Das sind Hiebe. Du hast mir die Hände so hart gemacht mit vier Tonnen  Caoba im Tag. Nun weißt du, wie sie sich anfühlen. Das wollte ich dir  nur einmal zeigen, du Schweinedreck.« 
    Den Felix lag wieder in seiner Ecke. Mit einer hoffnungslosen Gebärde seiner  Hände wischte er das Blut aus seinem Gesicht. 
    »He, Muchachos!« rief Celso die Burschen auf. »Ihr habt gehört, was die  Muchacha uns gesagt hat. Die Ohren abgeknüpft - und mit einem sauberen  und musikalischen Henken. Ihr wisst ja, wie gehenkt wird. Wir alle  haben eine gute Bildung im Henken durchgemacht.« 
    Er wandte sich an Modesta, die noch immer da hockte und bitterlich  weinte und sagte zu ihr: »Weine nicht, Modesta, Muchacha querida! Wir  holen jetzt, noch heute Abend, Candido und Pedrito. Wir zerren die  Cayuqueros an ihren Schwänzen herbei, wenn sie nicht gehorchen wollen.« 
    Während Celso mit einigen Burschen zu den Hütten hinüberlief, wo die  Handwerker und Cayuqueros mit ihren Familien wohnten, stießen andere  Burschen Don Felix vor sich her und trieben ihn zu einem Baum mit  langen, weit hinausragenden, starken Ästen. Es war nicht nötig, dass  jemand den Burschen sagte, was sie nun tun sollten und wie sie es tun  sollten. Sie alle waren Gehenkte und besaßen reiche Erfahrung als  Gehenkte. Diese Erfahrung kam ihnen zu Hilfe. 
    Sie trieselten einen starken Faden aus einem Strick heraus. Den Faden  knoteten sie fest um das rechte Ohr des Don Felix, dicht an der Backe.  Dann warfen sie das Ende des Fadens hoch über einen der Äste. Darauf  hoben drei Burschen, die Don Felix die Arme eng an den Leib geschnürt  und ihm die Beine zusammengebunden hatten, ihn hoch, so dass er mit dem  Kopf nur zwei Hände breit von dem Ast entfernt war. Hier hielten sie  den Körper, bis andere Burschen den Faden so geordnet hatten, dass er  die gewünschte Länge besaß, und dann banden sie das Ende um den Stamm  des Baumes. Sie riefen, als das fertig war: Listo Muchachos!« Jetzt  ließen die Burschen den Körper behutsam, sehr behutsam los, bis er frei  an dem rechten Ohr baumelte. Nicht nur die Backe, sondern das ganze  Gesicht des Don Felix zerrte sich weit heraus aus seinem Kopfe. 
    »Nicht das, Muchachos! Nicht das, Muchachos!« schrie er, soweit das  völlig verrenkte Gesicht es zuließ. »Schlagt mich tot! Schlagt mich  tot!« Dann, obgleich er sich alle Mühe gab, den 
    Burschen seinen Schmerz nicht zu offenbaren, begann er in sich  hineinzustöhnen. Aber je länger er hing, desto mehr quetschte sich  seine Kehle zu, weil die Haut sich immer weiter zuzerrte und auch noch  die Haut des Halses und der Schultern mit sich 
    zog. 
    »Jetzt weißt du dreckiger, eitriger Hund, was Henken ist!« rief ein Bursche. 
    »Wir henken ein wenig anders als du und deine Brüder, diese Schweine,  die jetzt in der Hölle sind«, rief ein anderer. »Aber wir wollen dich  ja nicht morgen mit neuen Kräften vor den Bäumen haben, um vier Tonnen  zu machen. Wir henken nur dich allein. Du hast hundert von uns  gepeitscht und gehenkt wann immer es dir gefiel. Musst du eben auch für  hundert gehenkt werden.« 
    »Lasst mich los, Muchachios! Ich gebe euch alle Caoba, die wir hier haben. Auch  die ganze Tienda.« 
    Don Felix musste nun doch endlich bitten, obgleich er sich in seinem  Leben versprochen hatte, nie einen Muchacho zu bitten, auch wenn er ihm  mit dem Messer an der Kehle sitzen sollte. 
    »Die Tienda nehmen wir uns auch ohne deine Erlaubnis. Und die Caoba,  die wollen wir gar nicht. Schitt darauf, auf deine Caoba. Die mag hier  verfaulen und vermodern. Was kümmert uns deine Caoba?« 
    »Lasst mich runter!« flehte er aufs neue. »Macht mit mir, was ihr wollt, nur  das nicht. Lasst mich runter!« 
    Darauf antwortete ein anderer Bursche: »Höre, Gachupin, wir haben jetzt  keine Lust mehr, hier noch weiter zu stehen und deinem Winseln  zuzuhören. Wir haben Hunger. Haben den ganzen Tag für dich geschuftet,  ohne zu fressen zu kriegen. Wir gehen jetzt in die Tienda, Büchsen  aufmachen. Wollen sehen, wie ihr lebtet. Sardinen, eingemachte  Aprikosen, gute Suppen, Leberpasteten, Schinken, Speck, Schokolade,  Kaffee, wirklichen und keine gerösteten und dann gemahlenen Tortillas,  die du 
    Kaffee nanntest, gut genug für uns. 
    »Und«, fiel ein anderer ein, »in einer Stunde kommen wir nachsehen, ob  die Backe noch hält oder dein Dreckgesicht schon abgerissen ist von  deinem Schädel. Und wenn du hier unten im Dreck liegst und die rechte  Schwarte ab ist, dann kommt das linke Ohr dran und die linke Schwarte  oder was noch davon übrig ist.« 
    Höhnisch lachte ein anderer: »Es kommt auf die Güte deines Leders an,  Felixchen. Wenn es gut und zäh ist - wir hoffen, dass es zäh ist -,  dann kann es sechs Stunden dauern oder auch zehn, ehe die Schwarte  runter ist und wir die zweite abledern kommen. Inzwischen viel  Vergnügen! Ihr habt in euren Bungalows gesessen und euch in den  Hängematten geschaukelt, wenn wir im Dickicht hingen und wimmerten.  Diesmal bist du es, der wimmert, während wir in den Hängematten  schaukeln und eure Vorräte fressen und deine Zigaretten rauchen und  deine Weiber huren, wenn sie uns gefallen. Ob sie uns gefallen, müssen  wir erst sehen.« 
    Die Muchachos machten sich auf den Weg zur Oficina. Inzwischen war es  dunkel geworden. Die Nacht würde in einer Viertelstunde da sein. 
    Noch immer kamen Gruppen von Schlägern und Boyeros zum Haupt-Camp.  Vielen war Nachricht gebracht worden von dem, was sich hier ereignet  hatte, und sie kamen, obgleich sie andernfalls an diesem Tage hier  nicht erschienen wären. 
    Andres war zur Tienda gegangen, begleitet von Santiago, um zu  verhindern, dass die Muchachos unbesonnen über die aufgespeicherten  Vorräte herfielen. Bis jetzt hatte noch kein einziger Muchacho daran  gedacht, sich über die Tienda herzumachen. Sie alle waren zu sehr mit  Aufräumen in der Oficina beschäftigt. Von Andres war, nachdem er mit  Celso und Martin Trinidad darüber gesprochen hatte, der Vorschlag  gekommen, alle Vorräte in gleicher Weise an alle Burschen zu verteilen,  ein Vorschlag, der von allen angenommen wurde und den auszuführen  Andres, der lesen und schreiben konnte, als Verpflegungsmeister  übergeben worden war. 
    Als er zur Tienda kam, war sie verschlossen. Der Mann, der sie verwaltete,  hatte sich versteckt. 
    Andres, Santiago als Wache bei der Tienda zurücklassend, ging hinüber  zu den Hütten, wo die Handwerker wohnten und wo er sicher war, den  Verwalter der Tienda zu finden, um von ihm die Schlüssel zu bekommen  und das Aufbrechen zu vermeiden. Bei den Hütten traf er Celso und noch  einige Burschen, die hier waren, um die Cayuqueros aufzuscheuchen,  damit sie die Muchachos herfahren sollten, die in den verschiedenen  Camps an den Ufern des Flusses verstreut arbeiteten und unter denen  sich Candido mit seinem kleinen Jungen befand. 
    Die Handwerker, Schmiede, Geschirrmacher, Seiler, Köche, Cayuqueros  waren die bevorzugten Arbeiter. Sie bildeten die kleine Mittelklasse.  Sie alle hatten mit ihren Familien von ihren Hütten aus gesehen, wie  die Muchachos die Oficinas stürmten. Mehrere der Handwerker und alle  Branntweinhändler besaßen Revolver. Hätten die Patrones und die  Capataces die Handwerker zur Hilfe herbeigerufen, als der Sturm begann,  so wären die Handwerker gekommen, vielleicht zögernd und sich drückend  so viel wie möglich, aber sie wären gekommen. Zu dieser Mobilmachung  hatte jedoch Don Severo keine Zeit und keine Gelegenheit gehabt. Zuerst  glaubte er nicht, dass es sehr ernst sei. Und als er es wusste, war es  zu spät, die Mobilmachungsbefehle auszugeben. 
    Wären die Patrones und die Capataces als Sieger hervorgegangen, so  hätten die Handwerker jede Grausamkeit, die über die Besiegten als  Strafe für den Aufstand verhängt worden wäre, als gerecht und verdient  bezeichnet. Mit Begeisterung und Pflichteifer hätten sie dabei  geholfen, Riemen, Seile und Pfosten zu liefern, um die Rebellen zu  peitschen und zu henken. 
    Nun aber waren die Rebellen Sieger geworden. Und darum, sobald die  ersten Muchachos zu ihren Hütten kamen, sagten die Artesanos: »Das  haben wir jeden Tag hier gesagt, dass es einmal so kommen würde; man  muss die Muchachos besser behandeln, haben wir hier immer gesagt, denn  das kann ja kein Pferd aushalten, viel weniger ein Muchacho, der ja  auch ein Mensch ist.« 
    Celso, Andres, Santiago, Fidel, Martin Trinidad, Juan Mendez, Lucio  Ortiz und viele andere der Muchachos kannten freilich ihre neuen  Freunde recht gut. Sie ließen sich nicht von ihnen das Hirn  verkleistern und verweigerten jetzt die Annahme der Dienste, die rasch  und billig angeboten wurden, um den Siegern gefällig zu sein und deren  Gunst zu gewinnen. Die intelligenteren unter den Muchachos, die nicht  nur infolge des raschen Sieges Aufständische geworden waren, sondern  die in ihrem ganzen Charakter Insurgenten und Rebellen waren, wussten  recht gut, was sie von diesen rückgratlosen Nachläufern und  Verherrlichern der Patrones zu halten hatten. Sollte es geschehen, dass  morgen die Patrones mit Hilfe der Rurales und der Federaltruppen wieder  nach oben gelangten, so würden alle diese Handwerker und  Branntweinschenker sofort auf Seiten der Aristocratas und Herrschenden  stehen. Jedes vertrauliche Wort, das ihnen am Tage vorher die Rebellen  gesagt, würden sie den Rurales denunzieren. 
    Aus diesen Gründen waren die Muchachos unzugänglich für das dreckige,  anschmeichelnde Gebaren der Handwerker, die sich jetzt, in kriechender  Geste, jedoch zaghaft und unsicher, aus ihren Hütten  hervorschlängelten, als Ceiso, begleitet von mehreren Burschen, auf  deren Behausungen zukam. 
    »Das musste so kommen, Muchachos! Das musste so kommen, Muchachos! Das  habe ich hier immer gesagt«, ereiferte sich der Schmied. Er wandte sich  zu zwei Geschirrmachern um, die nahe an ihn gerückt, ihm folgten: »Habe  ich das nicht immer gesagt, 
    Compadres, dass es so kommen würde?« 
    »Ja, das hast du immer gesagt, Compadre, und wir haben das auch immer gesagt,  dass es so nicht lange weitergehen könne!« 
    »Halte deine gottverfluchte Fresse«, rief Celso, »oder ich schlage dir  eins rein, dass dir die Zähne in die Gedärme rutschen, Wanzen die ihr  seid. - Wo wohnen die Cayuqueros?« fragte er dann barsch. 
    »Hier, Chamulito, komm, ich zeige dir den Weg«, sagte der Schmied  dienstbereit. »Da wo die Lampe funkelt, da wohnt Pablo und gleich dabei  Felipe.« 
    Celso ging auf Pablos Hütte zu. Ohne in die Tür zu treten, rief er. »Pablo,  komm raus hier!« 
    Der Cayuquero trat heraus. Die Knie wackelten ihm, so dass es aussah,  als wollten sie zusammenknicken. »Wie viel Kinder hast du?« fragte  Celso. »Drei, Muchacho.« »Raus damit!« 
    »Aber, bitte, por favor, Chamulito, du wirst doch meinen kleinen  Kindern nichts zuleide tun«, flehte der Cayuquero in steigender Angst. 
    »Her mit den Kindern, habe ich gesagt!« 
    »Die schlafen schon, Muchacho!« Pablo konnte kaum noch die Lippen öffnen vor  Angst. 
    »Soll ich sie auf meinem Machete herbeiholen?« schrie Celso. 
    Im selben Augenblick kamen die Kinder an die Tür, aus Neugierde. Ihre  Mutter war in einer kleinen hinteren Hütte, wo sie das Abendessen  bereitete und nicht hörte, was hier vor sich ging, oder es war ihr von  ihrem Manne anbefohlen worden, sich nicht sehen zu lassen, weil die  Muchachos vielleicht imstande sein könnten, ein gewaltiges Notzüchten  der Weiber zu veranstalten - als Vergeltung für die zahllosen  Niederträchtigkeiten, die von den Handwerkern an den Frauen verübt  worden waren, die manche Burschen mit in die Monteria gebracht hatten,  weil sie sich von ihren Männern nicht trennen wollten. 
    Ein Muchacho hatte sofort die drei Kinder gepackt, die zu schreien  begannen. Nun lief auch die Mutter herbei und warf sich auf die Knie. 
    »Schrei nicht, du alte Schrulle«, sagte ein Bursche zu ihr, »wir  fressen deine Hurenbrut nicht. Die Kleinste kannst du gleich hier  behalten, die wollen wir nicht.« 
    Er schob den kleinen Wurm von einem Mädchen der Mutter zu, die das Kind  ergriff, als habe sie es den Krallen erboster Tiger entrissen. 
    Dann sagte Celso: »Bring die beiden größeren Kinder auf den Platz, und du,  Pablo, kommst mit.« 
    Die Frau schrie wieder. Aber ein Bursche rief: »Du schreist besser nicht, wenn  du deine Kinder wiederhaben willst.« 
    Auf dem Platze angekommen, ließ Celso die beiden Kinder, ein Mädchen  von zehn Jahren und einen Jungen von sieben, an einen Baum binden. 
    Die Kinder jammerten entsetzlich. Celso sagte: »Ruhig seid ihr, wir  fressen keine kleinen Kinder. Wir tun euch überhaupt nichts, wenn euer  Vater macht, was wir ihm befehlen. Lauf zur Tienda, Vicente, und lass  dir vom Andres ein Stück Schokolade für die Kinder geben. Und dann  hältst du Wache hier bei den Kindern, damit sie nicht von einer  Schlange gebissen oder von einem Skorpion gestochen werden, während sie  hier angebunden sind.« Vicente sprang fort, die Süßigkeiten für die  Kinder zu holen. 
    »Pablo!« Celso wandte sich nun an den Cayuquero. »Du kennst alle Camps  aufwärts und abwärts des Flusses. Du fährst jetzt sofort zu dem Camp  Nuevo und bringst von dort Candido und seinen Jungen und alle anderen  Muchachos, die dort im Camp sind. Du rufst Felipe, dass auch der mit  dem Cayuco fährt, um alle Muchachos rascher hier zu haben, aus allen  Camps.« 
    »Aber Muchacho!« sagte darauf Pablo, »es ist Nacht, wie kann ich denn da mit  dem Cayuco fahren?« 
    »Du dreckiger Hund konntest doch fahren in der schwärzesten Nacht, wenn  es der Patron befahl? Und jetzt sind wir hier die Patrones, und du  tust, was ich dir sage. Damit du nicht etwa ausrückst mit den Cayucos  oder Felipe ausrückt, darum habe ich deine Kinder hier. Wenn du alle  Muchachos aus allen Camps an beiden Ufern hier bei der Administracion  hast, dann bindet Candido deine Kinder los. 
    Du machst dich besser rasch auf den Weg. In der Nacht kommen die roten  Ameisen, das weißt du, und es wird deinen Kindern nicht sehr behagen,  von den Ameisen gebissen zu werden. Wir wissen, wie es tut. Wir wissen  es nur zu gut. Es kann deinen Kindern für ihre Zukunft nichts schaden,  am eigenen Leibe zu erfahren, wie ihr uns gequält habt. Los, rufe  Felipe und wer sonst noch fahren kann, und dann abgerasselt und die  Muchachos hergebracht. Sollen alle ihre Packen bringen, und ihre  Machetes, Äxte und was sie sonst haben.« 
    Celso winkte einige Muchachos herbei und sagte: »Jeder von euch setzt  sich in einen Cayuco und ihr geht mit und passt auf, dass die Schurken  uns den Teig nicht versalzen. Abgehopst.« 
    In zwei Minuten stießen vier Cayucos von dem Ufer ab. 
    »He, was wollt ihr denn da drüben?« rief Celso fünf oder sechs Burschen  nach, die er zu den Branntweinbuden wandern sah. »Her mit euch!« 
    Die Muchachos kamen heran. »Wir wollen nur ein paar trinken gehen; die winkten  uns rüber.« 
    »Ihr werdet doch nicht das Gift saufen wollen. Wir sind nun frei. Aber  damit ihr es wisst, der Aguardiente wurde erfunden, uns in Unfreiheit  zu halten. Darauf werden die Aristocratas im ganzen Lande nur warten,  dass wir uns vollsaufen und einen dummen Kopf bekommen. Dann haben sie  uns wieder in einem 
    Tage, und alles war vergebens. Vorwärts, ihr geht jetzt alle, die ihr  hier seid, da rüber zu den Buden, nehmt die Äxte mit, und zerschlagt  alle Fässer und alle Flaschen. Und das kann ich euch sagen, wenn ich  morgen auch nur eine halbe Flasche mit Comiteco hier finde oder einen  von euch besoffen sehe, dann hole ich mir Andres, Santiago, Martin,  Juan, Lucio, Fidel, und -ich verheiße es euch, por Dios Santisimo! -  wir schlagen euch in Fetzen und noch ganz anders, als ich heute das  Felixchen aufgeweicht habe.« 
    Es waren nicht fünf Minuten vergangen, da hörte man aus den  Branntweinbuden und Hurennestern Fluchen, Jammern, Kreischen, Krachen  von Fässern, Splittern von Flaschen. Weiber flogen durch die Luft, und  fette Branntweinhöker sausten kopfüber aus ihren Höhlen in  Verrenkungen, die keinen Zweifel darüber ließen, dass ihnen von  eisernen Füßen alter Carreteros mit aller Inbrunst in den Ursch  getreten worden war. Und ehe sich jemand auch nur Zeit nehmen konnte  hinüberzugehen, um zu sehen, was für eine Hölle dort ihre Vorstellung  gebe, loderten vier Hütten in prasselnden Flammen hoch. 
    Durch diese Feuersbrunst wurde der Platz nun taghell erleuchtet. 
    Don Felix baumelte noch immer. Ob er noch am rechten Ohr zappelte oder  schon am linken hing, war nicht klar zu sehen, weil sein Gesicht von  blätterreichen Zweigen verdeckt wurde. Vier Burschen hockten dicht  dabei, darüber wachend, dass nicht etwa einer von den Artesanos sich  heranschliche, um Don Felix abzuschneiden oder ihm die größere Gnade zu  erweisen, ihm einen Schuss zu geben. 
    Martin war schon vor einiger Zeit zum Koch gegangen, ihm befehlend, ein  großes Abendessen herzurichten, verschönert mit einigen Dutzend  Konserven aus der Tienda. 
    Erst jetzt, als die Branntweinbuden loderten und es ringsum hell war,  dachte Celso an Modesta. Er rannte auf die Oficina zu und fand Modesta  hingesunken am Geländer, wo er sie zuletzt gesehen hatte. 
    Sie weinte nur noch leise und zuweilen stieß ein verlorener Schluckser  in ihrer Kehle auf. Mit den Zipfeln der Hemden, die ihren Körper  bekleideten, trocknete sie ihr Gesicht rasch und überhastig, als Celso  auf sie zukam und sie an der Schulter tippte. 
    »Ist doch kein Grund mehr zu heulen, Chamaca«, tröstete sie Celso und  lachte fröhlich auf. »In zehn Minuten ist Candido hier und auch der  Kleine, und dann wird heimmarschiert. Alle marschieren wir heim und  bauen unsere Milpas und pflegen unsere Ziegen und Schafe und bauen uns  schöne Häuserchen aus gutem Lehm. Sollen aussehen wie die Häuser der  Patrones. Was sagst du dazu, Modesta?« 
    »Das ist wunderschön, sehr wunderschön, Celso, wenn du das so sagst.«  Sie sprach, von zwei neuen Schlucksern unterbrochen. Wieder trocknete  sie in ihrem Gesicht herum. Dann sah sie ihn an, und nun lachte sie mit  blitzenden Zähnen. 
    Sie schüttelte ihr Haar aus dem Gesicht und machte eine Gebärde, als ob sie  sich an etwas erinnerte. 
    Sie sah Celso aufmerksam in die Augen und sagte: »Ich muss geträumt  haben. Ich habe etwas vom Patron geträumt. Er lag da in dem Winkel, und  ich schrie ihn an, dass er mir die beiden kleinen Jungen wiedergeben  solle, die er mordete und schändete. Es war ein ganz verworrener Traum,  wie ich nie einen gehabt habe.« 
    Celso streichelte ihren Kopf. »Solche bösen Träume hat man zuweilen.  jeder hat hin und wieder solche bösen Träume. Die muss man rasch  vergessen und nicht mehr daran denken.« 
    »Ja«, antwortete sie. »Ich will nicht mehr daran denken.« 
    »Und weißt du, was wir jetzt tun?« 
    »Wie kann ich das wissen, wenn du es mir nicht sagst?« 
    »Richtig. Wie kannst du es wissen. Aber damit du es nun weißt: wir  gehen beide in die Tienda, wo du die schönsten Kleider haben sollst.  Auch Schuhe und Strümpfe.« 
    In der Tienda befanden sich Andres, Santiago und noch einige Muchachos.  Auch der Verwalter der Tienda war da. In dem Augenblick, als Celso sich  mit Modesta der Tienda näherte, hatte Andres gerade eine wichtige  Besprechung mit dem Verwalter. 
    »Nur nicht hier lange gezögert und den Revolver her«, sagte Andres zu  ihm: »Die Patronen auch her! Und dass du keine für dich zurückbehältst.« 
    »Aber das ist mein eigener Revolver, der gehört nicht den Montellanos.« 
    »Eben darum gibst du ihn her.« 
    »Wie soll ich mich denn hier in dieser Wildnis ohne Revolver bewegen?« fragte  der Verwalter. 
    »Genauso, wie wir uns bisher ohne Revolver hier bewegen mussten, Tiger  herum oder nicht Tiger herum. Und raus nun!« Santiago sagte das und  stieß den Verwalter in den Rücken. 
    »He, Andres!« rief Celso, der in die Tür getreten kam. »Hier, gib der Modesta  ein schönes Kleid. Das schönste Kleid.« 
    »Mit Freuden«, erwiderte Andres lachend. »Wie viele willst du haben, Muchacha?  Drei, sechs, zehn? 
    Kannst auch zwanzig haben. Jedenfalls bleiben noch genug übrig, wenn  alle Muchachas gut angezogen sind. Bekommst auch Hemden, und weißt  schon, ich meine auch Calzones. Auch Schuhe kriegst du, und lange  Strümpfe. Es sind sogar Ketten hier und Ohrringe. Por Dios Santo, was  die hier alles haben. Aufgespeichert bis an die Decke hinauf, und wir  immer in Fetzen und Lumpen. Alles nur für ihre Huren.« 
    Der Verwalter platzte nun heraus: »Aber Muchachos, ich muss meine  Bücher und Listen haben. Sonst wird man glauben, ich habe hier  unrichtig Bücher geführt.« 
    »Halt die Fresse!« sagte Celso. »Bücher, Listen. Was denn sonst noch?  Alle Bücher und Listen werden verbrannt. Und alle Kontrakte, die wir  morgen aufstöbern gehen, werden verbrannt. Es gibt keine Kontos mehr.  Keine Schulden mehr. Keine Kontrakte mehr. Wenn wir aufräumen, dann  räumen wird gründlich auf. Was sagst du, Andres? Und du, Santiago?« 
    »Wir haben ja lange genug mit dem Aufräumen gewartet, haben wir das  nicht?« sagte Santiago, sich eine Kiste mit Zigarren vorzerrend. »Und  je mehr Bücher und Listen und Kontrakte und Dokumente wir jetzt  verbrennen, desto freier sind wir. So«, sich an den Verwalter wendend,  »das weißt du nun. Und raus mit dir. Lässt du dich noch ein einziges  Mal hier oder auch nur in der Nähe sehen, dann raucht es.« 
    »Und wie es raucht«, fügte Celso mit einem lauten Gelächter hinzu. 
    »Los, los, Modesta!« ermutigte Andres das Mädchen. »Hier, suche dir den  schönsten Lumpen aus, und dann gehst du da hinter die Kisten, da kannst  du dir alles anziehen. Nur nicht zaghaft, Muchacha. Wir haben alles  bezahlt, was hier ist, alles zehnmal verdient. Es gehört uns. Morgen  wird alles hier verteilt. Alle Muchachos bekommen neue Hemden, Hüte,  Sandalen, Patronen, Konserven. Was sie wollen. Und ihre Mädchen alle  Kleider. Da sind Haufen von Kattunstoffen und Decken und, lieber Gott  im Himmel, ich weiß ja gar nicht, was alles hier ist.« 
    »Du, Celso«, sagte Santiago, als der Verwalter, halb verärgert, halb  verschüchtert, abgezottelt war, »wir gehen jetzt rüber zu den Artesanos  und zu den Vergiftern und sammeln alle Kanonen und Gewehre ein, die sie  haben. Auch alle Patronen. Dann wird gesucht. Und wer einen Revolver  oder Patronen versteckt hat, kriegt einen Stein ans Bein und kommt in  den Fluss.« 
    »So viel Mühe mit diesen Schleichern und Halunken!« rief einer der  Burschen, die hier herumstanden. »Das fehlt uns auch noch. Mit einem  Knüppel werden sie totgeschlagen, wie sie es verdienen, wenn sie uns  hier in den Weg kommen. Das verheuchelte Gesindel ist nicht einmal das  Anspucken wert.« 
    »Gut Santiago, du nimmst dir einige zehn Muchachos und verschaffst dir  alles an Pistolen und Gewehren, was die da haben«, ordnete ihm Celso  an. »Und nicht zaghaft. Schlage sie in die Fresse, wenn sie auch nur  das Maul aufmachen.« 
    Die Gruppe hatte sich kaum von der Tienda entfernt, als Modesta ihren Namen  rufen hörte. 
    Candido, sein kleiner Junge und eine große Anzahl von Muchachos, die  mit ihm im neuen Camp gearbeitet hatten, waren soeben angekommen. 
    »Siehst du, wie das geht, Andrucho?« sagte Celso protzend. »Die  Cayuqueros sind in ihrem ganzen Leben nicht so schnell und so sicher  gefahren wie heute. Ich bin ganz davon überzeugt, dass sie noch vor  Mitternacht alle Muchachos aus allen Camps an den Ufern des Flusses  hergerudert haben. Sieh nur, wie geschickt sie mit den langen Fackeln  umgehen, nur um keine Sekunde zu verlieren. Man muss diese Brüder nur  richtig herankriegen.« 
    In diesem Augenblick sprang Modesta, ein neues geblümtes Kattunkleid  übergeworfen, nur einen Schuh an den Füßen, den andern in der Hand  schwingend, hinter den aufgetürmten Kisten hervor und raus auf den  Platz, wo sie ihren Bruder soeben hatte rufen hören. 
    Es war ein mächtiges Festmahl, das in dieser Nacht bei den Oficinas Generales  gehalten wurde. 
    Gewaltige Stöße von Holz loderten auf dem Platze. Da die Zahl der  ankommenden Muchachos mit jeder Stunde größer wurde, genügte der Raum  unter dem großen Dach bald nicht mehr; die Burschen saßen außen herum  auf ihren Matten, auf Kisten, auf Stämmen, auf Bänken und Stühlen, die  aus den Bungalows hergeschleppt worden waren. 
    Alle Mädchen, die zu den Caobaleuten gehörten, hatten neue Kleider an.  Vielen waren die Kleider zu weit und auch zu lang. Sie machten sich  nichts daraus und schleiften die Fetzen durch den Schlamm und die  Regenlachen, weil sie nicht gewöhnt waren, richtige Kleider zu tragen.  Den meisten waren die eleganten hohen Schuhe unbequem, und sie zogen es  vor, mit bloßen Füßen herumzuwaten, wie es in ihrem ganzen Leben ihr  Brauch gewesen war. Sie nahmen sich kaum Mühe, die Schuhe mit sich  herumzutragen, um sie nicht zu verlieren, so wenig war ihnen an deren  Besitz gelegen. 
    Die Muchachos besaßen neue Hemden und weiße, gelbe, braune und blaue  Baumwollhosen, neue Hüte und kräftige Sandalen. Matten und Decken für  die Nacht lagen bereits ausgebreitet in den Schlafhütten und in den  Bungalows, die von den Leuten besetzt worden waren. 
    Martin Trinidad hatte inzwischen mit Hilfe einer Anzahl von Muchachos  alle übrigen Bewohner der Ciudad, die Handwerker, die Branntweinhöker  und Roulettedreher, deren Familien, die Wäscherinnen und Flickerinnen,  gefällige Genossinnen beim Trinken, sowie die zahlreichen, nun  verwitweten Frauen der Gebrüder Montellano und die der Capataces in  einer der größten Schlafhütten, die zwei große Nebenhütten besaß,  untergebracht, wo sie von einer besonders dazu bestimmten Gruppe gut  bewacht wurden, um nicht zu entkommen und die Rebellion vorzeitig zu  verraten. Da alle selbständigen Männer Familien hatten, so war freilich  kaum zu befürchten, dass sie weglaufen und ihre Frauen und Kinder  allein lassen würden. Aber Martin Trinidad sagte zu Celso: »Besser ist  auf alle Fälle besser. Die Rurales und Federales werden es noch früh  genug erfahren und sich mit Maschinengewehren auf den Weg machen, um  uns zu empfangen, sobald wir die ersten Dörfer außerhalb des Dschungels  erreichen.« 
    Mehrere Muchachos besaßen Mundharmonikas. In der Tienda waren drei  Dutzend mehr entdeckt worden, auch zwei Gitarren und ein Akkordeon. In  den Bungalows der Capataces fanden sich zwei Trompeten, drei Gitarren  und eine halbzerbrochene Klarinette. Freilich: nur eine Gitarre besaß  ihre vollen Saiten. Aber es waren vier Burschen da, die gut und sicher  das Akkordeon zu spielen verstanden. Wenn auch die gesamte Musik recht  dürftig klang, ohne rechte Harmonie hinsichtlich dessen, was der eine  und was der andere zu spielen gedachte, so störte das niemanden in  seinem Genuss. Es war Musik da, und es ging fröhlich zu. Das war alles,  was die Muchachos nach den Qualen der vergangenen Monate wünschten. Ein  wenig Freude, ein schlichtes Essen, jedoch reichlich, kein Peitschen  oder Henken, und die Hoffnung, heimkehren zu können und in Frieden ihr  Feld zu bebauen - das war alles, was sie in der Welt und vom Leben  erhofften. Es war nicht viel. Aber es war ihnen nie vergönnt gewesen. 
    »Alle Muchachos von den Ufer-Camps sind jetzt hier!« hörte Celso  jemanden hinter sich sagen. Es war Pablo, der Canoeführer, der kam, um  seine Meldung zu machen. 
    Der Bursche, der Pablo zur Bewachung mitgegeben worden war, bestätigte die  Richtigkeit. 
    »Andres!« rief Celso. 
    Andres stand auf von seinem Essen und kam auf die Gruppe zu, bei der  außer Celso auch noch Candido, sein Junge, Modesta und Martin Trinidad  sagen. 
    »Du bist hier der Quartiermeister, auch für die Tienda.« 
    »Richtig«, antwortete Andres mit einem gutmütigen Lachen. 
    »Dann geh dort rüber zu dem Baum und binde die beiden Kinder des Pablo  los. Dann nimmst du sie beide rüber zu der Tienda und gibst ihnen ein  großes Stück Schokolade oder was sie sonst haben wollen. Gib dem  Mädchen ein paar Ohrringe und eine Halskette und dem Jungen ein  Taschenmesser, und dann schicke sie fort mit ihrem Vater.« 
    »Muchas gracias, Muchacho!« sagte Pablo erfreut. »Vielen 
    Dank, vielen, vielen Dank.« 
    »Lass nur den Dank ruhig beiseite«, erwiderte ihm Celso trocken. »Wenn  du deine Kinder hast, gehst du mit ihnen rüber zu jener Hütte, wo deine  Frau ist und alle deine Mitbürger. Es geschieht euch allen nicht das  geringste. Das verspreche ich. Wir gehen los, und ihr habt die ganze  Ciudad für euch. 
    Lassen euch genug übrig in der Tienda, und ihr habt auch genug Mais  hier und Dutzende von Ochsen, die wir hinterlassen. Ihr könnt nicht  verhungern. Zwei Wochen, nachdem wir hier abmarschiert sein werden,  könnt auch ihr euch auf den Weg machen.« »Gracias, Muchacho!« sagte  Pablo. 
    Dann begann Martin Trinidad zu reden. »Das bezieht sich auf eure  Zukunft, Cayuquero, was dir hier gesagt wurde. Aber ich will dir etwas  für die Gegenwart sagen. Dass mir keiner von euch versucht, zu  entwischen und Nachricht nach Hucutsin zu bringen oder zu einem anderen  Militärposten. Da warne ich euch alle. Celso hat euch etwas  versprochen. Jetzt verspreche ich euch auch etwas. Sollte auch nur  einer von euch hier die Administracion verlassen, heute oder morgen  oder überhaupt einen Tag früher als zwei Wochen nach unserm Abmarsch,  dann lasse ich allen, die hier von eurer Sippschaft zurückgeblieben  sind, die Hälse abschneiden, Männern, Frauen und Kindern. Dass ich das  tun werde, das schwöre ich euch. Wir haben nichts zu verlieren; jetzt  nicht mehr.«  | 
  
    
    Hinweis:      Für die Korrektheit der Angaben in diesen Versionen und die Identität              der Texte mit dem angegebenen Original wird keine Verantwortung übernommen.              Eine Vervielfältigung der Dokumente zum Zwecke des Vertriebs ist              nicht gestattet. 
     
    |   |