| Um diese Zeit kam noch ein Name der Familie in die Zeitung. An der  Universität hatte eine Gruppe Studenten zur Verweigerung des Militärdienstes  aufgefordert. Sie hatten eine Versammlung gegen >Krieg und Faschismus<  einberufen mit sensationellen Ideen: ein William-Randolph-Hearst-Tribunal  abgehalten und sein Bild verbrannt. Die Zeitungen erhoben ein entrüstetes  Geschrei, und der Rektor der Universität versicherte öffentlich und feierlich,  dass solche Störungen der friedlichen Entwicklung durch die Gruppe >Krieg  und Faschismus< in Zukunft verboten seien. Er sagte, der bedauerliche  Zwischenfall sei das Werk einiger weniger Berufs-Agitatoren. Die Zeitungen  nannten Namen der Studenten, die an der Sache beteiligt waren. Darunter auch  ein Mitglied des letzten Semesters, Thomas Shutt.Abner war längst kein aufmerksamer Zeitungsleser mehr. Er erfuhr von der Sache  erst, als eine Abordnung von drei Bürgern ihn besuchte. Es waren alte Bekannte,  die damals auch die Hutbänder des Highland-Park-Clubs >Macht Ford zum  Präsidenten< getragen und mit Abner gemeinsam an der Verbrennung von  Feuerkreuzen teilgenommen hatten. Die Aktivität des Klans war geschwunden, und  der müde alte Arbeiter hatte das Interesse an politischen Dingen verloren. Aber  diese Besucher machten ihm jetzt klar, er vernachlässige seine Bürgerpflichten.  Es sei besser, sein >Söhnchen< totzuprügeln, als es den Roten zu  überlassen.
 Der arme Abner Shutt war verwirrt und versicherte den Männern aufrichtig, dass  er von der ganzen Geschichte nichts gewusst habe. Er erklärte, nach wie vor sei  er ein loyaler und guter Patriot. Ganz im stillen hatte er dabei allerdings ein  schlechtes Gewissen - er war doch einmal in einer roten Demonstration marschiert.  »Aber nun, meine Herren, wie soll ich denn meinen Sohn beaufsichtigen, wenn ich  doch gar nicht begreife, was der Bursche studiert? Der redet doch nur so  gelehrtes Zeug, davon versteht man nichts«, sagte Abner. »Und was soll ich  jetzt wohl noch machen? Aus dem >Söhnchen< ist ein Football-
 spieler geworden, der stark genug ist, um gleich zwei solcher Väter wie mich  übers Knie zu legen.«
 Die Besucher sagten, sie kämen gerne, um bei der Züchtigung zu helfen, wenn es  nötig sei. Sie warnten Abner ernstlich. Eine neue Organisation sei entstanden,  viel stärker als damals der Klan. Sie werde von vielen großen Gesellschaften  unterstützt und wolle schon dafür sorgen, dass das Gebiet von Detroit den  >roten Hunden< nicht in die Hände falle. Mehr wollten sie ihm nicht  sagen, denn ihm könne man ja nun nicht mehr trauen. Und sie stießen furchtbare  Drohungen aus, die den armen alten Mann veranlassten, einen Brief an seinen  Sohn zu schreiben. Wie hilflos war dieser Brief! Tom fühlte Mitleid mit seinem  Vater. Aber seine Anschauungen änderte er nicht.
 Sein Vater hörte jetzt immer wieder von dieser neuen wachsamen Truppe, der  >Schwarzen Legion<, die eine große Mitgliedschaft um sich sammelte,  besonders unter den Raufbolden, den weißen Arbeitern der Südstaaten, welche die  Autofabriken jetzt zu Tausenden Jahr für Jahr herbeiholten. Diese Leute konnten  zum größten Teil nicht einmal lesen, aber sie waren >Patrioten< und  schwollen vor Rassenstolz. Sie hassten Katholiken, Juden, Neger und jeden, auf  den die Bezeichnung >Roter< halbwegs passte. Einer von ihnen arbeitete im  Highland-Park-Werk und fuhr öfters mit Abner zusammen heim. Der Mann konnte es  nicht lassen, hin und wieder Andeutungen über seine neue Organisation zu  machen, obgleich er geschworen hatte, nie etwas von ihren geheimen Satzungen zu  verraten. Ja, einen ewigen Schwur hatte er darauf geleistet, und eine Pistole  hatte man ihm dabei an die Schläfe gedrückt.
 Eine beängstigende Sache, dieser >Schwarze Schwur<, den man mit seinem  Blut unterschreiben musste: »Ich gelobe, dass ich mein Leben dem Gehorsam gegen  meine Vorgesetzten weihen und allzeit bereit sein will, alles in meiner Macht  Stehende zu tun, um die Anarchisten und Kommunisten auszurotten, die  Vorherrschaft Roms und seiner Hintermänner zu vernichten, so wahr Gott und der  Teufel mir helfe!« Nur uramerikanische, protestantische, reinrassige Bürger  wurden aufgenommen. Die Todesstrafe stand auf den Bruch dieses Schwurs: »Man  wird dich in Stücke reißen und den Hunden zum Fraß vorwerfen.« Man kleidete den  Kämpfer in ein schwarzes Gewand, und er zog aus, um die Strafe des >Feuers,  des Stäupens und des Todes< an den Feinden der Idee zu vollziehen.
 Dieser Klan begründete eine gewaltige politische Macht. Seine Führer waren  Richter, Staatsanwälte, Bürgermeister, Ratsmänner, Polizisten, Soldaten und  Anhänger der >Amerikanischen Legion<. Der arme Abner hatte keinen Eid  abgelegt, er war in großer Sorge um seinen Sohn, der so ganz aus der Art  geschlagen war. Da hatte er einen großen Fehler gemacht, als er den Jungen aufs  College gehen ließ. Dort hatte er diese gefährlichen Anschauungen aufgeschnappt  und all dies verdammte gelehrte Geschwätz gelernt!
 Die Dinge spitzten sich immer mehr zu, selbst der arme dumme und besorgte Abner  musste es merken. In Dearborn hatten die Fordleute eine neue Gruppe gebildet;  sie nannten sich die >Ritter von Dearborn<(Anm.: Knights of Dearborn,  vgl. >Knights of Labour< = >Arbeiter<.). Es waren etliche hundert  Mann, die auf Fords Lohnlisten standen, aber nur agitierten und zuschlugen, wo  immer man sie brauchte. Eine wahre Spionagewut breitete sich in Henrys Werk  aus. Drei Männer standen beisammen und unterhielten sich - das reichte schon  für den Verdacht der Verschwörung. Die >Dienst-Abteilung< untersuchte  sogar die Frühstücksdosen der Arbeiter nach hochverräterischer Literatur.  Selbst die Stullen klappten sie auseinander!
 Tom Shutt hatte sein Studium beendet und verließ das College. Er trug ein  schwarzes Barett und eine schwarze Robe: und welcher Glanz umgab ihn! Und erst  die Feierlichkeiten! Lieblicher Chorgesang an warmem Frühlingsabend, ganze  Schwärme junger schöner Mädchen in zarten reizenden Kleidern. Mütter und Väter  waren gekommen, auch sie alle schön und elegant. Ein berühmter Rechtsanwalt  verlieh die Doktorwürde und rief tausend jungen Frauen und Männern, die nun ins  Leben traten, zu, Amerika brauche ihren Idealismus und ihre höchste Hingabe  gerade in einer Zeit, wo die Kräfte der Unzufriedenheit und der Unordnung in  der Welt ihr Unwesen trieben.Von der Shutt-Familie hatte nur Daisy Bagg Zeit, um Zeuge dieses großen  Ereignisses im Leben seines jüngsten Mitgliedes zu sein. Sie hatte geschwankt,  ob sie sich in eine so illustre Gesellschaft wagen solle, aber Tom hatte sie  eingeladen. So bestellte sie eine Nachbarin, die nach ihrem Kinde sah, und lieh  sich ein Kleid von einer Freundin, die in einem Modesalon arbeitete. Sie lieh  sich auch den Familienwagen aus und fuhr die etwa dreißig Meilen nach Ann Arbor  hinüber. Sie parkte die alte Kiste recht weit vom College.
 Die Eleganz und all der Glanz blendeten sie. Es war, als sei sie plötzlich in  die Märchenwelt ihrer Schundromane versetzt. Ihr Bruder sah so großartig aus!  Sie konnte sich kaum noch vorstellen, dass er der gleiche Bengel sein sollte,  dem sie einst die Nase geputzt hatte. Er machte sie mit einer reizenden  Studienkameradin bekannt, einem Wesen in blassblauem Chiffon, der Tochter eines  Industriellen; ihre Augen hingen mit tiefer Bewunderung an
 Tom. Da begriff Daisy die Bedeutung der akademischen Bildung. Sie war so  beeindruckt, dass sie einen großen Akt der Entsagung vollziehen wollte, der  wahrlich einer ihrer Heldinnen aus den Schundromanen würdig gewesen wäre: Sie  wollte leise fortgehen, um Tom seine Chance nicht dadurch zu verderben, dass  sie ihn zwang, seine arme dumme Schwester diesen reichen und gelehrten Freunden  vorzustellen.
 Aber Tom ließ das nicht zu, er wollte nach Hause zurück und bat sie, bis zum  Abend zu warten und ihn und seine Koffer heimzufahren. Während der Fahrt  versuchte er ihre romantischen Träume zu zerstören. Das College war >schlechtes  Theater<, nichts weiter! Barett und Robe hatte er für zwei Dollar gemietet.  Der große Rechtsanwalt, dessen beredter Idealismus sie so bewegt hatte, war ein  Mietling der mächtigen Industrie, der ihnen dazu half, die Republikanische  Partei zu beherrschen und ihre staatlichen Gesetzgeber und Richter zu  bestimmen. Wäre er in seiner Baccalaureatsrede bei der Wahrheit geblieben, so  hätte er den tausend jungen Menschen sagen müssen, dass sie eine überflüssige  Generation seien, dass sie ertrinken würden, bevor sie noch die Segel gesetzt  hätten, wenn der reiche Papa ihnen keine Stellung beschaffen konnte.
 Und die reizende Tochter des Industriellen, die mit abgöttischer Liebe zu ihm  aufgeschaut hatte? Ja, sie war eine brave Tochter, aber Tom hatte nicht um ihre  Hand angehalten, weil sie seine Anschauungen nicht verstand. Sollte er etwa nur  der Vorzeige-Akademiker in irgendeinem reichen Hause werden? Nein, dazu hatte  er keine Lust. Das Mädchen, mit dem er zusammenleben wolle, erklärte er seiner  erstaunten Schwester, sei die Kleine mit der großen Brille. Sie sah etwas  abgespannt aus, weil sie gerade eine Statistik ausgearbeitet hatte, die  Beziehungen zwischen Löhnen und Gewinnen in allen bisherigen
 Depressionen der amerikanischen Geschichte aufzeigte. Sie hatte bewiesen, dass  die Reallöhne stets viel schneller fielen als die Gewinne; sie erholten sich  auch viel langsamer als diese. Jene Zahlen betrafen die Leiden der Shutts, die  sie in mehreren Generationen verspürt hatten.
 Es war kurz vor Mitternacht. Die Mondsichel stieg vor ihnen auf, Blütenduft lag  in der Luft, der Asphalt der Straße leuchtete wie ein Band. Die Lichter der  Wagen darauf, die nach Detroit zurückkehrten - alles war wundervoll, und die  arme Daisy sehnte sich so nach etwas Fröhlichem und Aufregendem aus der  mondänen Collegewelt. Statt dessen saß ein junger Mann neben ihr, der sich  keine Illusionen machte, höchstens vielleicht über seine eigene Stärke und die  Kraft seiner Entschlüsse. Er trat jetzt ins Leben, jawohl, aber er biss die  Zähne zusammen, als gelte es zu kämpfen.
 »Tom, du redest wie ein Roter«, rief seine Schwester aus. »Mag sein, dass die  Zeitungen mich so nennen werden«, antwortete er. »Als ich ins College eintrat,  wusste ich schon, dass die Arbeiter ein verdammt schlechtes Geschäft machen,  und nach vier Jahren Studium hab' ich die Fakten und Zahlen, die es beweisen.«
 Daisy fragte:»Und was willst du nun tun, Tom?«
 »Ich werde mir eine Stellung bei Ford beschaffen und Geld verdienen.«
 »Du meinst als Arbeiter?«
 »Sicher, genau das meine ich.«
 Das traf Daisy ins Zentrum ihrer romantischen Träume. Vier Jahre höhere Schule,  vier Jahre College - und das alles nur, um dann am Fließband zu arbeiten!
 »Du bist verrückt, welchen Sinn hatte es dann überhaupt, eine Bildung zu  erwerben, Tom, wenn du sie doch nicht benutzen willst?
 »Oh, ich werde sie schon richtig nutzen«, sagte er. »Ich werde ein Arbeiter  sein, der weiß, was mit ihm geschieht; und vielleicht kann ich das einigen  anderen auch klarmachen.«
 »Du willst also ein Aufrührer werden?«
 »Man wird mich wohl so nennen, Schwesterchen. Stört es dich?«
 »Für uns andere wird das nicht gerade von Vorteil sein.«
 »Ach, ging es euch in letzter Zeit denn wirklich so gut?<
 »Nein, aber es sah jetzt gerade so aus, als würde es wieder besser werden.«
 Tom lachte. »Wenn ihr es lieber seht, so kann ich auch woanders hingehen und  arbeiten. Amerika ist ja ein großes Land.«
 »Oh, das habe ich nicht sagen wollen, Tom. Nur -Vater und Mutter werden das  schwer verstehen können. Wir dachten doch alle, du wirst Rechtsanwalt.«
 »Nein, Daisy, es gibt in Detroit hundert arbeitsloser Rechtsanwälte. Ich denke,  das sind genug. Will lieber mein Glück am Fließband versuchen.«
 Daisy schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Ich an deiner Stelle würde der  Familie nichts von deinen Ideen und Absichten erzählen. Sie werden es doch  nicht begreifen, es beunruhigt sie nur. Sag doch einfach, du willst für den  Sommer Arbeit annehmen, damit du dir Zeit lassen und herumschauen kannst.«
 »Einverstanden, Daisy, du kennst sie besser als ich.«
 »Und noch etwas - sprich nicht mit Hank darüber.«
 »Was ist denn mit Hank?«
 »Ich darf dir nichts von seinen Geschäften erzählen, Tom.«
 »Nicht einmal mir?«
 »Wenn er es dir erzählen will, so ist das seine Sache. Ich werde dir nichts  sagen von ihm und ihm nichts von dir.«
 »Blödsinn!« sagte Tom. »Ich muss doch annehmen, dass mit der Aufhebung der  Prohibition sein Job futsch ist.«
 »Frag ihn selber, ich sag dir nichts.«
 »Die meisten dieser Vögel sind doch in gut gehenden Kneipen untergekommen.  Wollte denn keiner Hank anstellen?«
 »Er hat sich nun einmal daran gewöhnt herumzuhängen, ich glaube nicht, dass es  ihn befriedigen würde, hinter einer Kasse zu sitzen.«
 »Er macht also irgend so eine Schnüffelarbeit, ja?«
 »Ist nicht schön von dir, dass du mich so fragst, Tom.«
 »Gut, ich tu's nicht mehr. Aber ich weiß gut genug, dass Fords Laden ein reines  Spionagenest ist. Kann ja ganz amüsant werden, wenn ich eines Tages mit meinem  Bruder zusammenstoße. Er könnte mich bespitzeln und ich ihn. Wie gefällt dir  das?«
 »Mutter fühlt sich verdammt schlecht«, sagte Daisy. »Ich glaube nicht, dass wir  sie noch lange haben werden. Es ist irgend etwas mit ihr los; die Ärzte können  es auch nicht finden.«
 Schön, dass Tom wieder da war! Das sagten sie alle. Sie hatten ihn etwas  furchtsam erwartet, weil er doch jetzt so gelehrt geworden war. Aber er machte  sich über keinen seiner Familie oder ihrer Freunde lustig. Er war der gleiche  gute Junge, der er immer gewesen war. Er war der zuverlässigste Hausbewohner,  weil er sein Geld pünktlich heimbrachte und mehr abgab, als er musste.Er ging gleich los und bekam bei Ford eine Stellung. Das war eben der Vorzug,  wenn man jung und kräftig war und wusste, wie man mit den Leuten reden musste.  Viele Studenten kamen in den letzten beiden Wochen dieses Juni an die Tore der  Fabrik und suchten eine Gelegenheit, ihren Unterhalt für den Sommer und die  Gelder für den Winter zu verdienen. Mancher Arbeitgeber hatte erkannt, dass  diese Burschen voller Energie steckten und sich auch nicht scheuten, sie  herzugeben. Die Studenten aus Toms Generation waren also doch nicht gar so  überflüssig. Nach achtjähriger akademischer Ausbildung gab man ihnen beim  Ausheben von Gräben und beim Verladen von Zementsäcken den Vorzug vor den alten  Arbeitern. Man bevorzugte sie auch in vielen anderen Stellungen, welche die  moderne Industrie erst geschaffen hatte und die das erforderte, was man  >Persönlichkeit< nannte: Für das Füllen von Autotanks und das Abputzen  der Windschutzscheiben zum Beispiel, für die Begleitung von Passagieren zu den  Flugzeugen, für die Vorführung elektrischer Kühlschränke, die Unterweisung im  Gebrauch neuer Erfindungen - also für alle Tätigkeiten, bei denen ein Auftreten  und eine gewisse Begeisterung nötig waren.
 Sie setzten Tom bei der Herstellung von Zahnradgetrieben ein. Vor der Depression  hatte ein Mann vier Maschinen bedient. Man hatte noch die gleichen Maschinen,  aber jetzt benötigte man nur einen Mann für zwölf Maschinen, und so hatten  wieder zwei Männer ausgespielt. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis man die  Arbeit begriffen hatte, und das war im Grunde alles, was Tom je von der  Herstellung der Automobile lernen musste. Er schritt die
 Reihe der Maschinen auf und ab, hielt bei jeder an, nahm ein fertiges Stück  heraus und steckte ein noch unfertiges hinein. Es strengte ihn nicht an, behauptete  er. Ihm blieb Zeit dabei, um über die Dinge nachzudenken, die ihn  interessierten. An jedem Freitagabend hatte er fünf mal fünf Dollar und 65 Cent  verdient. Tom hoffte, es möchte immer so bleiben. Aber irgend etwas sagte ihm,  dass es nicht so bleiben würde.
 Er erwarb einen kleinen Wagen auf Raten. Selbstverständlich kaufte er einen  Ford; es wäre auch nicht tunlich gewesen, irgendeine andere Marke auf dem  großen Platz zu parken, der für die Fordarbeiter vorgesehen war. Die  Gesellschaft bestritt stets, dass es eine Vorschrift gab, aber wenn irgend  jemand den Nerv gehabt hätte, einen Chevrolet auf dem Platz zu parken, so hätte  es nicht lange gedauert, und der Boss hätte irgend etwas an seiner Arbeit  auszusetzen gehabt. Tom wollte niemandem Anlass zu Streit geben. Er war fleißig  und sanft wie ein Lamm, tat, was man ihm sagte und studierte die Richtlinien so  gewissenhaft, wie er früher die Beziehungen zwischen Löhnen und Gewinnen in  seinem volkswirtschaftlichen Seminar studiert hatte.
 Er wollte seine Arbeitskameraden kennen lernen. Aber das war nicht so einfach,  wie er angenommen hatte. Die Männer kamen am Morgen angehastet, steckten ihre  Karte in die Kontrolluhr, warfen ihre Jacken ab und gingen an die Arbeit. Auch  während der Mittagspause war kaum Zeit zum Reden. Man musste sein Essen holen,  man schlang es hinein, wischte sich die Hände ab und musste in genau fünfzehn  Minuten wieder an der Arbeit sein. Nach der Arbeit stürzte man zu seinem Wagen  oder zur Straßenbahn und fuhr nach Hause, das irgendwo im Umkreis von fünfzig  Meilen lag.
 Schließlich gelang es Tom doch, und hatte er einen kennen gelernt, so erzählte  der ihm seine Geschichte, wie es ihm und anderen ergangen war. Tom fragte, ob  da nicht irgendwo ein Unrecht sei? Und worin es wohl bestand? Es dauerte nicht  lange, da hatte Tom diese Frage mit Dutzenden von Männern durchgesprochen. Und  bald trafen sich die Leute abends heimlich in ihren Häusern und diskutierten  über die Fragen, die sie am meisten bewegten, ohne dass Tom viel dazu sagen  musste.
 An vielen Universitäten gab es Gruppen junge Menschen, die sich mit den  Fragen der Industriearbeit beschäftigten. >Zellen< konnte man sie nennen.  Wenn sie die Universität verließen, so fanden sie Mittel und Wege, um  miteinander in Verbindung zu bleiben. Sie waren sich nicht in allen Ansichten  einig, im Gegenteil, sie verschwendeten sehr viel Zeit damit, über die  verschiedenen Strategien zu diskutieren. Aber sie einigten sich dann auf die  vordringlichsten Aufgaben. Eine davon war, persönlichen Kontakt mit den Arbeitern  aufzunehmen, herauszufinden, was sie dachten, und sie zum Mitdenken zu bewegen.  Deshalb taten viele der Studenten, Frauen und Männer, das gleiche wie Tom Shutt  - sie arbeiteten praktisch und hielten sich bereit, einer Gewerkschaft  beizutreten, wenn und wann immer eine gegründet wurde.Diesen >Zellen< war es klar, dass der Grund für die große  Arbeitslosigkeit der Mangel an Kaufkraft in der Hand der Massen war. Einen zu  großen Anteil des Produktionsgewinnes kassierten die Kapitaleigner, die ihn für  neue Investitionen verwandten, und nicht die Arbeiter, die ihn für Kleidung,  Nahrung und andere Bedürfnisse hätten ausgeben können. Der Arbeiter konnte mit  seinem Lohn die Erzeugnisse nicht bezahlen, die Produktion ging zurück, und die  Löhne fielen weiter. Die Farmer fanden keine Absatzmöglichkeit mehr für ihren  Weizen und ihren Mais. Die Schuhfabriken wurden auf halbe Zeit gestellt, weil  die Arbeiter in den Automobilfabriken ihre alten Schuhe weitertrugen, ein  Teufelskreis.
 Das schlimmste aber war, dass die Rezepte des >New Deal< die Schäden  nicht beseitigten. Die Staatsanleihen und -ausgaben bewirkten, dass die  Industrie wieder auflebte, aber es gab fast ebenso viele Arbeitslose wie zuvor.  Toms Freunde konnten es täglich im Ford-Werk sehen, wo jede Abteilung neue  Maschinen einführte, die alten beschleunigte und so eine immer kleinere Anzahl  Arbeiter zur Erzeugung des Güterüberschusses antrieb. Die Produktion hatte den  Stand vor der Depression erreicht, aber man brauchte nur zwei Drittel der  früheren Arbeiter dazu. Es schien, als würden zehn Millionen Arbeitslose eine  Dauererscheinung im amerikanischen Leben werden. Natürlich würden sie immer vor  den Fabriktoren stehen und den Lohn der anderen drücken.
 Die großen >Gehirn-Zellen< in Washington hatten dieses Problem mit ihrer  Erfindung der >National Recovery Act< zu lösen versucht, die Löhne und  Preise festschreiben sollte. Aber das oberste Bundesgericht hatte diese  Gesetzesvorlage gerade verworfen - so lagen die Dinge jetzt. Da sagten die  kleinen >Zellen< in Highland, Dearborn und tausend anderen  Industriezentren: »Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen.« Tom Shutt  sagte: »Wir müssen eine Gewerkschaft der Automobilarbeiter haben, eine große  Gewerkschaft, die wirklich etwas schafft, und nicht nur einen Haufen Vertreter,  die ihre Polstersessel wärmen und dicke Gehälter einstreichen.«
 Im Distrikt Detroit war der Anfang schon gemacht. Es bestand schon eine Gruppe,  die >Mechanics Educational Society<, die auf dem Höhepunkt der Depression  gegründet worden war. Die Führer dieser Gewerkschaft waren Werkzeugmacher, die  geschicktesten und begabtesten Arbeiter und die einzigen, vor denen die  Arbeitgeber Furcht hatten. Sie hatten mehrere schnelle Streiks veranstaltet und  auch gewonnen. Was aber vielleicht noch wichtiger war: sie hatten ihre Ideen  verbreitet und alle Autoarbeiter zum Nachdenken und Diskutieren gebracht.
 Eine neue Bestrebung entstand bei den Arbeitern im ganzen Lande. Man verlangte  Gewerkschaften, die nach Industrien und nicht nach Einzelberufen organisiert werden  sollten. Die Idee war alt, aber sie musste abwarten, bis die Arbeiter die  Notwendigkeit erkannten. Mitten in der Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit  hatten Tausende von Arbeitern im Distrikt Detroit die Diskussion dieser  fundamentalen Idee aufgegriffen: Ja, eine einzige große Gewerkschaft der  Arbeiter brauchten sie in der Autoindustrie, mochte die Arbeit, welche der  einzelne verrichtete, auch noch so unterschiedlich sein. Henry Ford, der Herr  über 200000 Arbeiter, würde mit einer Gewerkschaft mit der gleichen  Mitgliederzahl zu verhandeln haben und nicht mehr mit hundert kleinen  Gewerkschaften.
 Den ganzen Sommer über hielt Tom seinen Posten und sparte einen Teil seines  Geldes. Die Autoindustrie erholte sich, und alle Männer der Familie waren  beschäftigt. Daisy blieb im Hause und führte den Haushalt, denn die Mutter war  hilflos - sie hatte Magenkrebs. Sie musste viel aushalten und die Familie auch.  Vor Ende des Jahres war ihr Leiden zu Ende. Es war wieder Geld im Hause, und  sie konnten ihr ein schönes Begräbnis bereiten.Abner arbeitete noch immer seine fünf vollen Tage am Fließband der Magneten.  Die Preise stiegen weiter, aber er war trotzdem zufrieden. Er erinnerte sich  vergangener Notzeiten, war froh, dass es ihm besser ging, war stolz auf seinen  Sohn, der studiert hatte, wenn auch seine radikalen Ideen ihn etwas  beunruhigten. Tom vermied jeden Streit mit ihm. Der Alte sollte nach Hause  kommen und sich des Friedens freuen können, den er verdient hatte; mochte er  nur die Zäune ausbessern, sich mit den Küken beschäftigen, mit seinem Enkel  spielen oder auf den Stufen vor der Tür sitzen und seine Pfeife rauchen.  Zweiundvierzig Jahre lang hatte er sich seinen Lebensunterhalt verdient und  zigmal soviel Werte erzeugt, wie er bekommen hatte. Aber für ihn war es nun  schon zu spät, die Sache noch einmal und anders anzufangen.
 John Crocks Familie kam ebenfalls wieder voran. Die Autoindustrie erholte sich  mit einem Ruck, und John stand wieder in der Klasse derer, die ein monatliches  Gehalt bezogen. Das Paar kaufte sich wieder ein Haus, aber diesmal ein  bescheidenes. Aus der Depression war ihnen eine panische Angst und der rabiate  Wille geblieben, nie wieder am Boden zu liegen. Wenn der nächste Schlag kommen  würde, musste John soviel Fähigkeiten und Annabell so viele einflussreiche  Freunde haben, dass sie sicher vor dem Abgrund waren. Sie gierten nach Erfolg.  Sie beteten die Fordmaschine und jeden erfolgreichen Mann darin mit einem  solchen Fanatismus an, dass sie gegen den jüngsten Bruder unduldsam wurden.
 Es stimmte, Tom konnte die beiden nicht ausstehen. John und Annabell meinten,  Tom sähe sie von oben herab
 an, weil er eine akademische Ausbildung und viele intellektuelle Freunde hatte.  Annabell zeterte dann, dass ihr Mann, der sich ja nicht mit solchen  Kulturidioten verbrüdern wolle, immerhin mehr erreicht habe, als es Tom je  gelingen werde. Sie las in den Zeitungen über die >Zellen< und hasste die  jungen Snobs, die ihren Spaß daran hatten, die wiederaufblühende Wirtschaft des  Landes herunterzureißen. Sie sprach von ihrem Schwager als von einem  sauertöpfischen Fachidioten. Bei Freunden betonte sie immer wieder, dass sie  für ihn nicht verantwortlich seien, aber auch nicht im geringsten, dass sie nie  mit ihm zusammenkämen, ja, in kaum wahrnähmen.
 Annabell war eine scharfzüngige junge Frau, erzog ihre Kinder streng, ließ bei  ihren Mädchen nichts durchgehen und bewies die gleiche mittelalterliche Haltung  in ihren Äußerungen über politische und soziale Fragen. Sie verlangte, die  Arbeiterbewegung solle ausgemerzt werden, bevor sie einem aus der Hand gleite.  Dass sie überhaupt existierte, nahm sie als persönliche Beleidigung.
 Ein großes Reich wie das Fordunternehmen hat auf jene, die in und von ihm  leben, viele Wirkungen. Es hat seine eigenen Notstände und entwickelt seine eigenen  Maßnahmen, um ihnen zu begegnen. Untereinander mögen seine Höflinge und Diener  sich heftig bekämpfen, aber die Grundgesetze müssen sie anerkennen, auf denen  diese Welt aufgebaut ist. Es ist ein Handelsreich, also müssen sie an das Geld  glauben, an die Symbole des Geldes und an seine Vorschriften der Eleganz und  des Status. Der Autokönig selbst hatte dies Gesetz von seiner Höhe, auf der er  thronte, gegeben: »Die Menschen arbeiten fürs Geld!« Und John und Annabell  richteten sich danach.
 Sogar Hank stellte sich gegen seinen jüngeren Bruder, so erstaunlich das  auch scheinen mochte. Er gehörte jetzt nämlich wieder zur ehrbaren  Gesellschaft, und man glaube ja nicht, er habe die Schande damals nicht  empfunden, als er ausgestoßen war. Als ob er nicht gespürt hätte, wie seine  Familie ihn verachtete und sich schämte, seinen Namen zu nennen, während sie  doch in der Not Geld von ihm annehmen musste! Jetzt aber hatte er es geschafft!  Er stand wieder auf der Seite von Recht und Ordnung und hatte die mächtige  Fordorganisation hinter sich. Da kam nun dieser Kindskopf von einem Bruder und  wagte, alles zu zerstören - dieser junge Narr, dem ein Haufen weltfremder  Theoretiker den Kopf mit Flausen voll gestopft hatte. Kerle, die nie in ihrem  Leben auch nur einen Tag wirklich gearbeitet und keine Ahnung hatten, was für  Verbrecher es gab und welche Gefahr darin bestand, die Arbeiter zum Aufruhr  anzustacheln.Zwischen den beiden Brüdern hatte es seit ihrer Kindheit immer Streit gegeben.  Es wäre natürlich gewesen, wenn Tom zu Hank, dem vier Jahre Älteren,  aufgeblickt hätte. Aber der Jüngere konnte sich nicht erinnern, wann Hank beim  Spielen mal nicht betrogen oder sich durch Lügen aus der Patsche zu helfen  versucht hätte. Allmählich hatte Tom gelernt, sich seine eigenen Kameraden zu  suchen. Jetzt waren sie ein Dutzend Jahre älter, und die Situation war noch die  gleiche - jeder hatte seine eigenen Genossen. Das Unglück war nur, dass diese  beiden Gruppen miteinander Krieg führen wollten.
 Hank besuchte seine Schwester in dieser Sache; er käme da in einen schönen  Dreck, sagte er. Daisy solle mal mit dem dummen Jungen reden. Warum er das  nicht selbst tun wolle, fragte sie. Das sei nicht möglich, meinte er. »Für ein  Geschäft wie meins darf man keine Reklame machen.«
 »Ich glaube, Tom hat es längst erraten«, sagte Daisy.
 »Ob er raten muss, oder ob man ihm das Recht gibt zu behaupten, ich hätte es  ihm selbst gesagt, das ist zweierlei. Ich darf nun einmal um keinen Preis mit  einem Gewerkschaftler sprechen.«
 »Darfst du denn zulassen, dass ich es ihm sage?«
 »Das ist ein ganz verfluchter Mist«, platze Hank heraus. »Soll ich etwa meinen  eigenen Bruder festnehmen?«
 »Du musst selbst wissen, was du tust, Hank.«
 »Früher oder später wird der Boss ja doch dahinter kommen und zu mir sagen:  >Zum Teufel, was ist denn das, Shutt? Arbeiten Sie für beide Seiten oder  was? Du weißt doch - die Gewerkschaften möchten nichts lieber als so einen  Spitzel in der >Dienst-Abteilung< von Ford haben.«
 »Natürlich, Hank. Ich verstehe dich, aber du musst auch Tom begreifen. Es  bringt ihn genauso in Verlegenheit. Eure >Dienst-Abteilung< möchte doch  auch wohl nichts lieber als eine Hintertür zu den Gewerkschaften haben. Und die  habt ihr ja sicher schon, und wohl mehr als eine.«
 »Werd mich hüten, dir zu sagen, was wir haben«, brummte er düster.
 »Ich frage dich ja auch nicht danach, und Tom erzählt mir auch nichts darüber.  Ich sag' dir jetzt nur, was er mir entgegenhalten wird, wenn ich mit ihm  spreche. Für ihn ist es genauso schwer, seinen Freunden von der Gewerkschaft  das zu erklären, wie für dich, es deinem Boss begreiflich zu machen.«
 »Ich war aber schon dabei, bevor er hierher kam«, knurrte Hank.
 »Das schon, aber du hast ihm nichts davon gesagt. Er hat der Familie doch  angeboten, woanders hinzugehen, das hat er immerhin getan.«
 »Hör zu, Daisy, das ist der einzige Weg, wie wir aus dem Dreck jetzt noch  herauskommen können. Kannst du ihn nicht überreden, woanders hinzugehen? Er  kann sich doch Arbeit bei General Motors suchen. Werd's ihm zu danken wissen,  wenn er abschiebt. Sag ihm, dass es mir hundert Dollarscheine wert ist - kannst  auch bis zweihundert raufgehen, wenn du glaubst, dass du damit mehr erreichst.  Es würde mir ein Stein vom Herzen fallen.«
 Daisy ging zu Tom. Hank komme zu spät, meinte er. Er könne seine Freunde jetzt  nicht im Stich lassen. Was das Geld beträfe, so könne Hank auch ein glücklicher  Empfänger werden. Er wüsste auch eine Stelle, die jederzeit gern hundert Dollar  hergeben würde, wenn Hank Nachrichten über den Fordschen Spionagedienst bringen  könne, besonders aber über die Spitzel, die sie unter den >Agitatoren  hätten.
 Hank wurde bleich, als er diesen Vorschlag hörte. »Siehst du nun, wie ich im  Dreck sitze? Das - genau das wird der Boss annehmen. Wie soll ich ihn  überzeugen, dass ich nichts damit zu tun habe?«
 »Du willst dich also nicht bestechen lassen?«
 »Wie lange würde man mich denn noch leben lassen, wenn ich diese Sauerei  tatsächlich machte? In solchen Dingen verstehen sie keinen Spaß.«
 »Ich will nichts mehr dazu sagen«, meinte Daisy.
 »Aber damit bin ich genauso weit wie vorher! Was soll ich denn mit Tom  anfangen?«
 »Ich hab' ihn gefragt. Er sagte, du solltest deine Pflicht tun.«
 Daisy sagte das mit dem Anflug eines Lächelns, aber Hank stand nicht die Laune  danach. „Schöne Scheiße! Soll ich etwa zum Boss gehen und sagen, mein Bruder  ist ein Roter?«
 »Das wird dir sicher bei ihm nützen.«
 »Habe für diese melodramatischen Auftritte nichts übrig. Müsste da auch viel  zuviel erklären, das liegt mir nicht.« Nach einer Weile fügte er hinzu:  »Außerdem möchte ich dem Jungen nichts zuleide tun.«
 »Du solltest dir darüber wirklich keine Gedanken machen, Hank. Tom macht sich  nichts draus, wenn man ihn hinauswirft.«
 »Aber Daisy, der Junge setzt sein Leben aufs Spiel! Glaub es mir!«
 »Das weiß er«, antwortete die Schwester ruhig.
 »Dem geht's wohl ums Märtyrertum, wie? Will wohl auf billige Art berühmt  werden, was? Verdammte Angeber, diese roten Bastarde« - Hank fluchte eine ganze  Tonleiter von Schimpfnamen heraus, bis seine Schwester sagte: »Nimm's nicht zu  tragisch, Junge. Bedenk doch, schließlich bist du ja doch nur Henry Ford Shutt  und nicht Henry Ford!«
 Der Winter brachte viel Schnee; dann gab es Tauwetter und über Nacht Frost.  Tom, der am Morgen zur Arbeit fuhr, knallte gegen einen anderen Wagen. Als man  die beiden auseinanderzog, stellte er fest, dass seine Vorderachse gebrochen  war. Er musste einen Schleppwagen holen und sich zur Werkstatt bringen lassen.  So kam er über eine Stunde zu spät zur Arbeit. Als er die Halle betrat,  bediente ein anderer Mann seine Maschinen.Damit musste er selbstverständlich rechnen. Er hatte auch einen schweren  Anpfiff verdient. Aber als er dem Boss die Sache erklären wollte, merkte er,  dass es um mehr ging. »Schon gut, Shutt«, sagte der Mann, »hab' mit Ihnen jetzt  genug Scherereien gehabt. Sie sind entlassen, Sie können sich ihre Papiere  holen.«
 »Was für Scherereien haben Sie denn sonst mit mir gehabt?« fragte Tom.
 »Hab' keine Lust, mich mit Ihnen noch zu unterhalten. Ein anderer macht jetzt  Ihre Arbeit. Gehen Sie.«
 Tom sah umher. Viele Leute in diesem Teil des Werkes kannten ihn. Er überlegte:  Sollte er sie zum Protest auffordern? Schon mancher Streik war auf diese Weise  begonnen und gewonnen worden. Aber da kamen schon zwei Rauhbeine in Zivil  herangeschlendert. Man konnte die >Dienst-Abteilung< stets schon an ihren  gebrochenen Nasenbeinen und Blumenkohl-Ohren erkennen. Einer hatte die rechte  Hand in der Tasche - Schlagring hieß das. Es konnte das Leben kosten, wenn man  hier Unruhe stiftete.
 »Schon gut«, sagte Tom ruhig, wandte sich um und ging in die Kleiderkammer. Die  beiden Werkschutzpolizisten folgten ihm. Sie passten auf, dass er seine  Kontrollkarte steckte, seinen Ausweis abgab und das Werk durch das nächste Tor  verließ.
 Jetzt hatte Tom also das Märtyrertum, nach dem es ihn verlangt hatte. Jetzt war  er ein Fordarbeiter auf der schwarzen Liste. Unter seinem Namen würde er in  keinem größeren Werk im Distrikt Detroit Arbeit finden. Sie würden fragen, wo  er zuletzt gearbeitet habe, und ein Anruf würde dann alle Chancen zunichte  machen. Nie würde der neue Chef sagen: »Wir wollen in unserem Werk keine  Agitatoren haben.« O nein! Denn jetzt saß ein Gewerkschaftler im Weißen Haus,  und viele waren im Kongress. Sie brachten törichte Gesetze durch und machten es  den Geschäftsleuten schwer, sich zu behaupten. O nein, der Chef würde nur  höflich sagen: »Tut mir leid, mein Bester, aber der Kollege, der diesen Posten  bisher hatte, ist wiedergekommen, und wir versuchen solange wir können, unsere  eigenen Leute zu halten.«
 Für diesen Fall hatte Tom sein Geld gespart. Jetzt war er frei und konnte sich  ganz der Gewerkschaft widmen. Am Tage nahm er an Komiteesitzungen teil und traf  sich mit Leuten von der Nachtschicht. Abends suchte er die Arbeiter der  Tagschichten auf oder sprach auf Versammlungen, die in dunklen Sälen in den  Arbeitervierteln stattfanden. Die Arbeiter kamen auf Umwegen, parkten ihre  alten Wagen weit von dem Versammlungsort und schlichen sich durch Hintertüren  in die Säle, die Mützen tief in die Stirn gedrückt, Taschentücher vor dem  Gesicht. Die Versammlungen wurden in völliger Dunkelheit abgehalten. Einige  kräftige Arbeiter standen bei den Schaltern, damit man ganz sicher sein konnte,  dass niemand plötzlich das Licht einschaltete. So standen die Dinge in allen  Automobilstädten, in den Stahl-, Gummi- und Ölstädten im Lande der Freien, in  der Heimat der Tapferen. Der Versuch der Leute, sich zu versammeln und ihre  Sorgen miteinander zu besprechen, galt als Verbrechen. Wer sich daran  beteiligte, setzte nicht nur seinen Posten aufs Spiel, sondern riskierte auch  Gesundheit und Leben.
 Die Studentin, die Tom seiner Schwester mit den Worten »diese Kleine mit der  großen Brille«, beschrieben hatte, war nach Detroit gekommen. Sie hatte hier  eine Stellung im Wohlfahrtsamt der Stadt, hieß Dell Brace und war eine kluge und  ernste Frau, die ihr Leben der Sache der Arbeiter verschrieben hatte. Ihr Vater  war Senator im Staate Iowa, ein reaktionärer Republikaner, der seine Tochter  für ein Opfer der vergifteten Propaganda auf den Universitäten hielt. Sie und  Tom hatten sich vor einiger Zeit entschlossen zu heiraten. Deshalb war sie nach  Detroit gekommen.Gerade als sie ihre Stellung bekam, verlor er seine Arbeit und kehrte plötzlich  eine komische Anschauung von >Ehre< heraus, indem er erklärte, er könne  sich von seiner Frau nicht ernähren lassen. Dem jungen Mädchen schossen die  Tränen in die Augen. Wie ein Bourgeois benehme er sich gegen sie, warf sie ihm  vor. Glaubte er nun an seine Grundsätze oder nicht? War die Frau dem Manne  wirklich gleichgestellt? Warum sollte sie ihn dann nicht unterhalten? Sie ließe  sich ja auch von ihm ernähren, wenn es nötig sei! Tommy, der eine Frau nicht  weinen sehen konnte, war geschlagen. Sie besiegelten die Sache damit, dass sie  am Nachmittag hingingen und das Aufgebot bestellten.
 Nun kam er und brachte seine Braut heim, damit sie die Familie kennen lernte.  Daisy war geblendet von dieser akademischen jungen Dame, und sie vergoss  Freudentränen, als die junge Dame sie küsste und sagte, sie hoffe, sie würden  wirkliche Freunde werden. Daisy war jetzt das Aschenputtel der Familie und nahm  den Platz der Mutter ein. Sie hatte ihre hübschen Züge verloren, war dürr und  mager, ihr Haar war glanzlos und nur selten frisiert. Aber die Romantik blühte  noch in ihrem Herzen, und die Groschenromane nährten sie. Gab es denn etwas  Romantischeres als diese ungewöhnliche Liebe zweier junger Arbeiteragitatoren,  die gerade die Universität verlassen hatten? Für sie fiel es nicht so schwer  ins Gewicht, dass sie beide Rote waren. Tim Baggs Frau hatte während der  Depression soviel Not bei den Arbeitern gesehen und längst begriffen, dass ein  Gewerkschaftsführer durchaus nicht das war, was die Zeitungen daraus machten.
 Ein Thema für die Unterhaltung mit Dell hatte sie auch. Ihr Kleiner war es, der  jetzt vier Jahre alt war. Er war blass, und bei diesem Winterwetter konnte er  auch nicht draußen spielen. Dell kannte sich mit Vitaminen, Proteinen und  solchen Dingen aus. Sie sagte ihr, was der kleine Kerl haben müsse und wie man  es billig beschaffen könne. Dies war ja ihr Beruf als Wohlfahrtspflegerin, im  ganzen Ort herumzufahren, die Ärmsten aufzusuchen und herauszufinden, was ihnen  fehlte. Sie war weichherzig und nahm ihre Aufgabe sehr ernst. Ihr Herz blutete  für diese armen Menschen, weil sie so wenig von dem bekommen konnten, was ihnen  nottat. Es war schon eine schwere Arbeit, sich heutzutage mit dem Elend  herumzuschlagen, und die Reichen waren nicht schlecht beraten, als sie diese  Arbeit bezahlten Fachkräften übertrugen, selbstverständlich nur studierten  Leuten.
 Bald kam auch Abner nach Hause. Ihm blieb der Verstand stehen, als er hörte, er  habe jetzt eine neue Schwiegertochter. Er wusste nicht, was er sagen oder tun  sollte. Er war ganz durcheinander, als sie ihn auf seine lederne Wange küsste,  die von den öligen Fingern noch streifig war. Abner konnte ja nicht ahnen, was  in der Seele dieser jungen Dame vorging, die so fein war, obgleich sie sich  ganz einfach kleidete. Er konnte nicht wissen, dass sie die Arbeiterklasse  idealisierte, dass sie seine schwielige Hand mit dem verstümmelten Finger und  die vielen Narben und Scharten auf der anderen für Symbole ehrwürdiger Arbeit,  für Auszeichnungen eines Soldaten der Arbeit nahm. Aber er begriff doch, dass  sie eine gütige junge Frau und sein Sohn glücklich war. Dass sie mit Toms  gefährlichen Ideen sympathisierte, wunderte ihn nicht. Dem alten Mann war es  gelungen, in seinem Kopf verschiedene Zimmer einzurichten. So konnte er  felsenfest überzeugt sein, Agitatoren seien gefährliche und verruchte Personen,  und zur gleichen Zeit sich doch mit ihnen unterhalten und mit allem  übereinstimmen, was sie sagten.
 Der Gedanke, Industriegewerkschaften der Arbeiter zu gründen, verbreitete  sich rasch im Lande. Er flammte spontan an tausend verschiedenen Orten auf. Er  war aus der verzweifelten Notlage der Arbeiter geboren. Nur die Strategie der  Politik musste erarbeitet werden, und diese Erfahrungen brachten die großen  Gewerkschaften der Grubenarbeiter und der Textilarbeiter ein, die schon nach  Industrien und nicht nach Berufen organisiert waren. Bald wurde das Komitee für  die Industrieorganisation gegründet, dessen Initialen - CIO (Anm.: CIO =  Committee for Industrial Organization.) - eine magische Bezeichnung für  Millionen Arbeiter wurden.Die Gelder brachten ebenfalls die großen, schon bestehenden Gewerkschaften auf;  sie schickten auch die Organisatoren in die verschiedenen Kampfbezirke. So  hatte Tom bald wieder eine Stellung. Er bekam zwar nur fünfundzwanzig Dollar  pro Woche und zehn Dollar Spesen, aber das sprach bei Tom nicht gegen die  Stellung. Es scherte ihn auch nicht, dass dies einer der denkbar gefährlichsten  Berufe war. In Detroit war ein Arbeiterführer verhältnismäßig sicher, solange  er sich nicht allein in dunkle Winkel begab. Aber in einigen kleineren Städten  hatten die Schläger freie Hand. So auch in den Fordstädten, wo Henrys  Dollarmilliarde um ihren Bestand kämpfte.
 Toms Aufgabe war es, im Umkreis der Fordwerke die Arbeiter in ihren Wohnungen  oder sonst wo zu besuchen. Das tat er auch. Es dauerte gar nicht lange, da  kamen ihm ein paar Polizei-Detektive auf die Spur. Sie zeigten ihm ihre  Blechmarken und forderten ihn auf mitzukommen. Im Polizeihauptquartier saß er  einem Inspektor und einigen seiner Gehilfen gegenüber. Er sagte ihnen Name,  Adresse und machte Angaben über seine Person: Doktor der Universität Michigan,  Fordarbeiter, der auf der schwarzen Liste geführt werde, jetzt Gewerkschaftler  der Vereinigten Automobilarbeiter von Amerika. »Ich beziehe ein Gehalt, habe  Geld auf der Sparkasse; Sie können also nicht behaupten, dass ich keine Mittel  für meinen Unterhalt habe. Ich bestehe auf meinem Recht, einen Rechtsanwalt  anzurufen, und ich mache Sie darauf aufmerksam: wenn Sie mir dieses Recht  verweigern, so werde ich, wenn ich wieder frei bin, sofort eine Klage wegen  Amtsmissbrauchs und Freiheitsberaubung anstrengen. Was wünschen Sie noch von  mir?«
 »Wir wollen die Namen der Leute wissen, mit denen Sie zusammenarbeiten.«
 »Sie können mich einsperren oder verprügeln, bis ich mich erbreche, aber ich  werde keinen Namen nennen. Kann ich nun mit meinem Rechtsanwalt sprechen?«
 »Wir werden dir erst mal eine kleine Kostprobe geben, du Held,« sagte der  Inspektor.
 Sie brachten ihn in den Keller und steckten ihn in einen Raum, den sie Zelle  nannten, ein finsteres Verlies mit einem schmalen Guckloch in der Stahltür. Es  war nichts drin, außer einem stinkenden Eimer für die Notdurft und einem  Wassereimer, der augenscheinlich bis vor kurzem ebenfalls als Scheißeimer  gedient hatte. Da stand er und lauschte. Er hörte Schritte, und jedes Mal  fragte er sich: Kommen sie jetzt mit ihren Gummipeitschen?
 Die Gewerkschaft passte auf, wohin ihre Organisatoren gingen, es war  vereinbart, dass sie das Büro regelmäßig anriefen. Wenn einer es unterließ,  nahm man an, die Polizei habe ihn eingesperrt. Man merkte also, dass Tom Shutt  verschwunden war, und begann ihn zu suchen. Sie riefen alle Frauen und  Schwestern der Mitglieder an und baten sie um Mitarbeit. Das Telefon im  Polizeigebäude läutete, und eine zornige Frau wollte wissen, wo Tom Shutt sei.  Ausflüchte wurden nicht akzeptiert, die Polizei hatte ihn oder wusste, wo er  sich befand. Die Frau verlangte seine Freilassung. Der Sergeant hängte ein,  aber sofort läutete es wieder. Eine andere Stimme verlangte das gleiche. Tag  und Nacht ging das Telefon; die Polizei konnte nicht arbeiten, solange Tom  Shutt eingesperrt war.
 Erhielt man auf diese Art keine Nachricht von dem Gefangenen, so ging man gegen  Ford vor. Diese Art des Drucks konnte man schon als >niederträchtige  Sabotage< bezeichnen, aber sicher war es kein größeres Verbrechen, als einen  Menschen ohne Haftbefehl in einem Verlies einzusperren und ihn dann und wann  mit der Gummipeitsche zu schlagen, die keine Spuren hinterließ. Ein Anhänger  der Gewerkschaft ging in eine Kneipe oder an einen anderen Ort, wo eine  öffentliche Telefonzelle war, rief das Verwaltungsgebäude an und verlangte das  Büro des Präsidenten. Dann entwickelte sich etwa folgendes Gespräch:
 »Ist dort der Sekretär des Präsidenten?«
 »Ja.«
 »Ich möchte Tom Shutt haben.«
 »Wer ist Tom Shutt?«
 »Er ist ein Gewerkschaftler der Vereinigten Automobilarbeiter von Amerika. Die  Polizei hat ihn eingesperrt, und wir verlangen seine Freilassung.«
 »Wir wissen nichts von ihm.«
 »Sagen Sie Mr. Edsel Ford, er soll sich beeilen und die Sache in Ordnung  bringen. Ihre Telefonleitungen werden gestört, bis Tom Shutt frei ist.«
 Danach klemmte der Sprecher ein Streichholz unter den Hebel, und verhinderte  so, dass der Hörer aufgelegt war. Da die anrufende Stelle die angerufene  beherrscht, waren die Leitungen der Fordgesellschaft solange >besetzt<,  bis die Telefongesellschaft einen Mann schickte, der das Übel beseitigte.  Inzwischen war der Anrufer zum nächsten Automaten gegangen und wiederholte die  ganze Geschichte. So ein >Schuss< kostete nur fünf Cents, und wenn ein  paar Leute es darauf anlegten, so waren nach kurzer Zeit alle Leitungen, die  zum Verwaltungsgebäude von Ford führten, >besetzt<. Hochbezahlte  Angestellte, die Chicago oder New York anrufen wollten, um einen Vertrag über  Millionen von Dollars abzuschließen, mussten in ihren Wagen springen und irgendwohin  fahren, um ihr Gespräch führen zu können. »Tom Shutt! - Wer ist Tom Shutt?«  Jeder im Werk fragte so, und etliche tausend Arbeiter in weißen Hemden  flüsterten: »Das ist die Gewerkschaft! Sie wollen bei Ford eine Gewerkschaft  aufbauen!«
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