| Die Regierungsperiode von Cautious Calvin ging zu Ende. Ein neuer Präsident  stellte sich vor. Den >großen Ingenieur< nannte man ihn. Alle  Industriebosse unterstützten ihn, auch Henry Ford, und Abner konnte in seiner  Zeitung lesen, was sie über ihn sagten. Ja, dachte er, das war genau der Mann,  den ein großes Handels- und Industrieland wie Amerika an seiner Spitze  brauchte. Der >Neue Kapitalismus< blühte auf wie eine Sonnenblume. Geld  konnte man umsonst haben. Der Autokönig gab eines seiner glasklaren Interviews  und sagte, heute könne ein junger Mensch nicht mehr durch Sparen, sondern nur  durch das Ausgeben seines Geldes reich werden. »Zwei Autos gehören in jede  Garage, zwei Hühner in jeden Topf.« Dem stimmte auch Herbert Hoover zu.Die Shutts waren so eine Familie, die Ford und Herbert Hoover wohl gefallen  konnte. Sie besaßen jetzt sogar drei Wagen, seit Hank sich einen sehr schnellen  gekauft hatte, mit einer Pistole in der Hosentasche herumfuhr und verschiedene  >Sachen< für seinen Boss bereinigte. Ja, es fehlte nicht viel, und sie  hätten noch einen vierten Wagen bekommen, denn Tom stellte plötzlich fest, es  sähe doch recht billig aus, wenn der Feldläufer einer berühmten Mannschaft auf  einem Fahrrad in die Universität fahre.
 Aber schon im ersten Jahr der Amtszeit des >großen Ingenieurs< erschien  eine Wolke am Himmel. Sicher, sie war nur klein, und Abner Shutt verstand nicht  genug von diesen Dingen, als dass er sich Sorgen gemacht hätte. Er sah sie eher  ganz gern, da sein Arbeitgeber ihn gelehrt hatte, Wallstreet und den  internationalen Banken zu misstrauen, da dort nur Juden saßen. Als er von einem  schrecklichen Börsenkrach hörte und davon, dass Milliardenwerte in ein paar  Stunden zu einem Nichts geschrumpft waren, sagte er nur: »Geschieht ihnen recht  so! Die Kerle haben das Geld ja auch nicht selbst verdient.«
 Das mochte stimmen, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass es diese Kerle  gewesen waren, die das Geld ausgegeben hatten und damit jetzt aufhörten. Und  >diese
 Kerle< waren nicht nur Wallstreetspekulanten. Es waren auch kleine Kaufleute  der Stadt darunter, sogar Schuhputzer, Sodaverkäufer und Farmer, die der  Filiale einer Marklerfirma Aufträge gegeben und so die Hausse mitbestimmt  hatten. Überall in Amerika war es so gewesen. Es war die Folge all der schönen  Theorien vom Aufschwung und dauernden Wohlstand, den die Zeitungen gepredigt  hatten. Wenn es etwas zu gewinnen gab und es gar eine sichere Sache war, warum  sollten dann die kleinen Leute nicht auch ihren Teil davon haben? Sollte man  Wallstreet alles lassen? Wieso denn?
 So hatten die einfachen Leute gedacht, und nun hatten sie sich selbst geprellt.  Sie konnten den neuen Fordwagen nicht kaufen, wer ihn aber schon gekauft hatte,  konnte die Abzahlung nicht aufbringen. Millionen Menschen zwischen Bangor und  San Diego machten diese betrübliche Erfahrung. Das war ein neuer Faktor im  Wirtschaftsleben, und es währte lange, bis er überwunden war, und ebenso lange,  bis das Großkapital, seine Wirtschaftler und Zeitungsschreiber mit ihm zu  rechnen gelernt hatten.
 Der erste Krach dauerte nur einige Tage. Man beruhigte sich wieder, war aber  doch ängstlich geworden. Präsident Hoover rief die Wirtschaftsführer zusammen,  um mit ihnen zu beraten. Die großen Medizinmänner versammelten sich und  behaupteten, das Land müsse nur Vertrauen haben. Darin waren sich alle einig.  Henry Ford wartete ruhig ab, und als die Krise vorüber war, zeigte er ihnen den  Weg. Durch die Zeitungen ließ er verkünden, die Ford-Motor-Company habe so  großes Vertrauen in die Zukunft Amerikas, dass sie den Mindestlohn in ihrem  Werk auf sieben Dollar pro Tag erhöhen werde.
 Eine große Geste! Henry erntete wieder den rauschenden Beifall, den er so gut  beim Verkauf seiner Wagen zu nutzen gelernt hatte. Nur ein paar Sauertöpfe  wollten beweisen, dass die Preise nahezu um das Doppelte gestiegen seien, seit  Ford vor 16 Jahren seinen Minimallohn auf fünf Dollar festgesetzt hatte, dass  also der Lohn von sieben Dollar heute weit weniger Wert als der alte habe.  Außerdem hatte Ford nicht mitgeteilt, wie viele Leute diesen neuen Lohn  bekommen sollten. Nichts konnte ihn daran hindern, Leute auf die Straße zu  setzen. Und das tat er auch sofort. Vor dieser Ankündigung hatte er den  Mindestlohn von sechs Dollar an 200000 Arbeiter gezahlt. Gleich nach der  Ankündigung zahlte er den neuen Mindestlohn von sieben Dollar nur noch an  145000 Arbeiter. Jetzt multipliziere und subtrahiere man und sehe, was Henry  Ford tatsächlich für die Vermehrung der Kaufkraft des amerikanischen Arbeiters  tat.
 John Crock Shutt war Spezialist für Autogenschweißen in der riesigen  Maschinenwerkstatt im River-Rouge-Werk geworden. Das war ein neues und ganz  wunderbares Verfahren! Verschiedene Autoteile wurden damit zu einem festen  Stahlstück zusammengefügt. John war in die Details des Verfahrens vernarrt.  Während der Arbeit gab es keine anderen Gedanken für ihn, und in seiner  Freizeit sprach er gerne darüber oder las technische Zeitschriften über  Stahlherstellung. Jeden Tag erfand man neue Zusammensetzungen, und je mehr man  davon wusste, desto höher stieg das Gehalt.John hatte ein rotbäckiges volles Gesicht, schaute zufrieden drein, und der  Wohlstand leuchtete ihm aus den Augen. Er hatte eine elegante junge Frau  geheiratet, sie war eine Highschool-Absolventin und stammte aus einer höheren  Gesellschaftsschicht, die sie bis dahin von der Berührung mit niedrigeren  Klassen ängstlich ferngehalten hatte. Das junge Paar hatte sich ein Haus in  einem Viertel gekauft, das sie davor bewahrte, mit Leuten zusammenzutreffen,  die nicht 8000 Dollar für ein Heim aufbringen konnten. John und Annabell  zahlten monatlich 75 Dollar und die Zinsen. Die Villa zeigte etwas her, war  aber nachlässig gebaut, ihre Besitzer würden später beträchtliche Rechnungen  für die Reparaturen begleichen müssen. Aber darüber machten sie sich keine  Sorgen. Solange die Menschheit Auto fuhr, würden Johns Spezialkenntnisse das  Gehalt bestimmen. Dessen waren sie sich ganz sicher.
 Die beiden jungen Leute waren in das System des industriellen Feudalismus  hineingewachsen. Wenn man es ihnen gesagt hätte, wären sie beleidigt gewesen.  Aber es war so. Ihr Denken war in einem Kreis von Anschauungen befangen, der so  fest und unverrückbar für sie war wie die Stahlteile, die das Werk zu Millionen  anfertigte. Sie lebten in einer Hierarchie, in der gesellschaftlicher Rang sich  nach dem Einkommen richtet. Annabell verkehrte mit den Frauen gleicher  Gehaltsstufe, vermied sorgfältig jene der niedrigeren Basis und suchte  hartnäckig und rücksichtslos Kontakt mit denen einer höheren Stufe. Unter ihr  lebten die Sklaven der Industrie, die Massen der Lohnempfänger. Über ihr waren  die höheren Angestellten und ganz an der Spitze die großen Bosse - die  unsichtbaren, göttergleichen Wesen, von denen alle Welt unaufhörlich schwatzte;  jeder Brocken ausgestreuten Klatsches über sie wurde gierig aufgegriffen; man  staunte sie an wie Edelsteine.
 Fords Weltreich - das war keine Metapher, sondern eine Tatsache; das Wort war  keine Redensart, sondern enthielt eine soziologische Analyse. Henry war mehr,  als je ein Feudalherr gewesen war; er besaß ja nicht nur die Macht des Geldes,  sondern auch die der Presse und des Rundfunks. Er konnte sich seinen Vasallen  allgegenwärtig machen. Er war der Herr nicht nur über Speise und Trank, er  beherrschte auch ihre Gedanken und Ideale. John war dazu erzogen worden, für  Henry Ford zu arbeiten, ihn zu bewundern und ihm alle Ehre zu erweisen. Je mehr  John dies befolgte, um so besser ging es ihm. Je besser es ihm ging, um so mehr  bewunderte und verehrte er seinen Herren. Nach Johns und Annabells Ansicht war  das ein sehr nützlicher Zirkel.
 Das gleiche galt für alle anderen Shutts, die versuchten, ihren Weg in jener  Welt zu machen, die nur durch die Auto- und Geldkönige von Detroit existierte.  Abner und Milly waren die niedrigsten der Lohnsklaven. Sie schnitten  Fotografien ihres Königs aus den Sonntagsbeilagen der Zeitung aus und hefteten  sie an die Wand. Dort hingen sie wie Ikonen in Russland. Sie waren stolz  darauf, dass ihr ältester Sohn eine gehobene Stellung in Henrys Diensten hatte  und dass Daisy einen viel versprechenden Buchhalter in Henrys Verwaltung  liebte. Sie hofften nur, dass Tommys jugendliche Aufsässigkeit schwinden und  eines Tages auch er zu Henrys Anhängern zählen würde. Sie meinten, an allen  denkbaren Übeln seien nur die bösen Stellvertreter und Untergebenen schuld, die  das Vertrauen des großen und guten Herrn missbrauchten, der streng, aber gerecht  und mit Weisheit begnadet war.
 Und nebenbei bemerkt - ob du dem Herrn dienst oder gegen ihn aufstehst, dein  Leben beherrscht er doch! Daran ist leider etwas Wahres, und es traf auch für  Henry Ford Shutt zu, diesen Ausbund an Ungesetzlichkeit, der einem Robin Hood  glich, der sich im Sherwood Forest verbarg. Hank machte in seiner hämischen Art  über all die Großen seine Glossen und behauptete, sie seien allesamt Diebe und  Nichtsnutze wie er selbst. Und überdies, unternahm er nicht des Nachts  gefährliche Fahrten, damit sie den Stoff für ihre Cocktailparties bekamen?  Hatte er nicht mehr als einmal sein Leben eingesetzt, um ihr Eigentum zu  schützen? Henry Ford trank nicht und schenkte in seinem Haus keinen Alkohol  aus. Aber die meisten seiner leitenden Angestellten taten es, und Henry  brauchte gewiss andere Dienste, wenn er schon nicht trank. Hank würde das schon  noch herausfinden, und dann sollte es auch nicht mehr lange dauern, und er  würde zur Freude seines Vaters ebenfalls unter dem Banner des Autokönigs  dienen.
 Wieder gab es eine Krise. Es kamen noch andere, in großen und kleinen  Abständen. Das Geschäftsleben in Amerika stockte, versickerte, und dann starb  es. Die Leute hörten auf zu kaufen, die Händler widerriefen ihre Bestellungen.  Angst griff vom Kleinverkäufer auf den Großverkäufer über, dann sprang sie den  Spediteur und die Produzenten an, und endlich ließ sie die Quellen, aus denen  das Rohmaterial kam, versiegen. Die Gewinne zerrannen, die Aktienwerte fielen.  »Der Markt hat keinen Grund und Boden mehr«, sagten die Börsenmakler, entließen  ihre Angestellten und schlossen ihre Büros. Dann gingen sie zu den  East-River-Docks hinunter und sprangen ins Wasser oder fuhren mit dem Fahrrad  vom Dach ihres Verwaltungsgebäudes.Die Zeit vom ersten Krach bis zum Gipfel der Katastrophe betrug etwa  dreieinhalb Jahre, fast so lange, wie der große Ingenieur an der Spitze des  Staates stand. Das ruinierte den armen Herbert Hoover. Er wusste zwar, es war  nicht seine Schuld, aber er musste dafür herhalten. Es fiel ihm auch nichts  Besseres ein, als den Kongress riesige Summen für seine Freunde und Wohltäter,  die Großbanken und Trusts, bewilligen zu lassen, die einst seinen Wahlfonds  gefüllt hatten. Der Sinn dieser Maßnahmen war, das Geld langsam bis zu den  Verbrauchern durchsickern zu lassen, um die Kaufkraft zu verbessern. Aber was  geschah wirklich? Das Geld blieb in den Banken, denen er es gegeben hatte.  Sollten sie es etwa ausleihen, solange sie keine Gewinnchance sahen? Wie aber  konnte ein Geschäftsmann Gewinn versprechen, wenn er niemanden finden konnte,  der Geld hatte, um seine Produkte zu kaufen? Das Ende eines Zeitalters war  gekommen.
 Die erste und selbstverständlichste Einsparung, die jeder Amerikaner vornahm,  der sein Bankkonto zusammenschmelzen sah, war zunächst, dass er seinen alten  Wagen weiterfuhr, statt ihn in einen neuen umzutauschen. Die Autoindustrie traf  es also zuerst. In Detroit wurden in knapp einem Jahr 175000 Menschen  arbeitslos. Die Stadt musste für 40 000 verarmte Familien sorgen und hatte ein  Haushaltsdefizit von 46 Millionen.
 Natürlich mussten auch die Autofabrikanten ihre Geldreserven verringern, die  sie in den Banken aufbewahrten. Doch für die einfachen Leute war es schlimmer:  sie mussten ihr Geld Woche für Woche abheben, um über die Runden zu kommen.  Eines Abends kaufte sich Abner eine Zeitung, als er von der Arbeit kam. Er  hatte die Schlagzeile gelesen - eine Bank war in Schwierigkeiten! Es war seine  Bank! Dort hatte er sein Erspartes! Vor Angst bebte er und rannte zu seinem  alten Wagen, einem der unzähligen Modelle T, von denen es in jener Zeit noch  wimmelte. Schleunigst fuhr er zur Bank. Aber es war natürlich schon  Geschäftsschluss, und er konnte nichts tun als dort herumstehen und andere  Leute fragen, die ebenso ängstlich waren. Sie wussten genauso wenig wie er.
 Ein Bankkrach! Abner hatte dieses große Gebäude mit seinen marmornen Säulen und  bronzenen Gittern mit ebenso großem Vertrauen betrachtet wie Henry Ford, die  Regierung der Vereinigten Staaten und den lieben Gott, der für seine Zukunft im  Himmel sorgte. Alle vier waren doch für die Ewigkeit gemacht und lagen außer-  und oberhalb des Blickfeldes eines armen Arbeiters! Jetzt erfuhr er, dass auch  seine Bank zusammenbrechen konnte, dass die Regierung ihre Hand darauf legte,  dass niemand sein Geld bekam, zumindest in nächster Zeit nicht. Es werde sich  schon alles einrenken, meinten die Zeitungen beruhigend. Bemerkungen über  derartige Vorfälle schlossen immer mit der Feststellung, Amerika sei ein  gesundes Land, und am Ende werde sich alles zum Guten wenden. Man müsse  Vertrauen haben!
 Schon früh am nächsten Morgen erklärte Abner seine Sorgen dem Vorarbeiter und  bat um einige Stunden Urlaub, damit er hingehen und versuchen könne, sein Geld  von der Bank zu holen. Die Antwort des Mannes war geradezu >ermutigend<.  »Schon recht, Shutt, gehen Sie nur, erledigen Sie ihre Angelegenheiten bei der  Bank. Aber vorher lassen Sie sich am besten ihre Papiere geben. Wir brauchen  hier nämlich Leute, die nicht von der Arbeit weglaufen. Ich habe übrigens schon  längst gesehen, dass Sie das Tempo nicht durchhalten können.«
 So erging es ihm, Abner Shutt. Die Tränen liefen ihm die Wangen herunter.  Wieder erzählte er die alte Geschichte - wie lange er für den guten großen Lord  Henry gearbeitet habe, das waren jetzt 28 Jahre; da sollte ein Mann doch wohl  ein kleines Recht auf Rücksicht haben! »Mein Gott, Mister, ich hab 'ne Frau und  Familie! Was soll ich jetzt tun?«
 Aber der Vormann blieb hart. Für ihn lag der Fall so: Er hatte Anweisung, heute  ein Dutzend Leute zu entlassen.
 Er hatte schon hin- und herüberlegt, wen er bestimmen sollte. Und da kam nun  dieser arme Teufel und lieferte sich selbst ans Messer. Steckte den Kopf  heraus, der Kerl, und rums, schon sauste das Fallbeil herab. Ein Boss ist ja  auch nur ein Mensch, nicht wahr? Und er sieht weiß Gott nicht gern einen alten  Kerl da herumstoppeln, der immer wieder versucht mitzukommen - wie er eine  Maschinenreihe, halb so lang wie ein Häuserblock, entlanghastet und immer  wieder zurückbleibt, so dass man ihn stets antreiben muss. Wenn ein Werk  einsparen muss, so überlässt man das am besten dem Vormann und dessen Lungen!  Vor etwa 20 Jahren, in den Tagen des Idealismus, hatte Henry in seinem Werk  eine Untersuchung angestellt, und als er herausfand, dass der Prozentsatz alter  Leute in seinem Werk geringer war als in der Bevölkerung, hatte er seine  Manager angewiesen, sie sollten mehr Arbeit für alte Leute ausklügeln. Aber  seitdem hatte die Welt sich verändert. Henrys Werk war jetzt zehnmal so groß  und Henry selbst alt. Er überließ seine Sorgen anderen und wollte gar nicht  wissen, was sie taten.
 Nun lag er also wieder auf der Straße, Abner Shutt. Er war in fürchterlicher  Stimmung! Wenn einer der schnellen Wagen, die auf dem Asphalt dahinjagten, ihn  überfahren und in die Ewigkeit geschickt hätte, ihm wär's recht gewesen. Er  ging zu der geschlossenen Bank, lungerte dort eine Weile herum und unterhielt  sich trübsinnig mit anderen, die sich in der gleichen Patsche befanden. Es  dauerte nicht lange, da wurden alle Banken in Detroit geschlossen, und 50000  Familien saßen mit den Shutts im gleichen Dreck. Eine Notiz an der Tür besagte  nur, die Bank sei auf Weisung des obersten Verwalters der Bundesbank  geschlossen. Wollte man mehr wissen, so musste man schon eine Zeitung kaufen,  wenn man wenigstens noch soviel Geld hatte.Mit diesen schlimmen Nachrichten konnte er nicht nach Hause kommen! Er brachte  es einfach nicht fertig! Er fuhr zu anderen Autowerken und Fabriken. Häufig  fanden nämlich Arbeiter, die man bei Ford hinausgeworfen hatte, bei einer Fabrik  Arbeit, die Teile für Ford herstellte. Bei Ford hatten sie sieben Dollar  verdient; hier bekamen sie nur zwei oder drei Dollar pro Tag. Das war auch so  eine Gemeinheit, die Henry mit seinen Arbeitern trieb. Immer mehr lagerte er  die Fertigung von Einzelteilen aus, und das geschah stets unter so harten  Bedingungen, dass die Fabrik, die sie herstellte, zur Arbeitshölle wurde.  Niemand aber konnte Henry Ford für Löhne verantwortlich machen, die jene  zahlten, die seine Polster, Reifen, Tachometer, Scheibenwischer oder andere  Teile herstellten.
 Keines dieser Werke stellte Arbeiter ein, die meisten hatten Posten  aufgestellt, die niemanden bis zum Büro vorließen. »Haben keine Arbeit, Alter!«  Woanders standen die Leute auch in langer Schlange an, und Abner sah, dass weit  kräftigere Männer ihre Arbeitskraft feilboten. Er war dreiundfünfzig, sein Haar  war grau, schwere Sorgenfalten zerfurchten sein Gesicht, sein Gang war kraftlos  -kurz, er schied von vornherein aus, er brauchte gar nicht erst zu fragen.
 Er musste sich nun zu jenen Leuten halten, die im Winter die Heizungen  versorgten, im Sommer den Rasen in Ordnung hielten oder andere niedrige Arbeit  taten. Es wurde erwartet, dass man solche Arbeit für einen Dollar oder noch  weniger verrichtete. Ständig lungerten Leute vor den Türen der Reichen herum,  die bereit waren, jede Arbeit für ein Mittagessen zu verrichten. Die  Wohlhabenden ließen das die Arbeitsuchenden deutlich spüren. Man ging zur  Bridgeparty oder zu einem Abendessen. Besprach dort die Probleme der Zeit und stellte  fest, dass die meisten dieser Arbeitslosen ja gar nicht arbeiten wollten, auch  wenn man ihnen dazu Gelegenheit gab.
 Die anderen Mitglieder der Familie Shutt - bis auf Daisy - bekamen noch ihren  wöchentlichen Lohn. Die hatte gerade geheiratet, und der Abteilungsleiter  teilte ihr mit, dass er Anweisung habe, zweihundert Angestellte zu entlassen,  und darunter seien alle verheirateten Frauen. Es täte ihm leid. Himmel! War das  nicht ein prächtiges Hochzeitsgeschenk, das die Polsterfirma ihr da machte?
 So musste Daisy jetzt mit dem Gehalt eines Buchhalters auskommen, der nur zwei  Tage in der Woche arbeitete. Aber nicht einmal damit konnte man fest rechnen.  Die Notlage des jungen Paares war so groß, dass es bei den Eltern wohnen  musste, deren Haus jetzt bezahlt war. Daisy stieg in den kleinen >Coop<,  den sie sich gekauft hatten, fuhr den ganzen Tag umher und suchte Arbeit. Als  sie endlich begriff, dass es für eine junge verheiratete Frau keine Arbeit gab,  annoncierte sie, um ihren Wagen zu verkaufen. Da stellte sie fest, dass sehr  viele Leute die gleiche Idee gehabt hatten. Der Markt war mit Wagen  überschwemmt. Man musste Tausende gebrauchter Wagen aus Detroit fortschaffen,  damit die Wagen nicht ganz auf Null fielen. Schließlich bekam sie 42 Dollar für  den Wagen. Für 225 hatten sie ihn sich gekauft.
 Hunderttausend Familien des Distrikts waren mit dem gleichen beschäftigt wie  die Shutts - nämlich irgendeinen Weg zufinden, um ein paar Cents zu ergattern.  Die Ärmsten bettelten um einen Groschen für Brot, die Reichsten versuchten eine  Million zu borgen, um eine Bank oder ein Werk zu retten. In diesen Kreisen kam  eine neue Mode auf. Früher hatte ein Spekulant oder Finanzmann sich damit  gebrüstet, wie viel er bei diesem oder jenem Geschäft verdient hatte. Jetzt brüstete  er sich mit seinen Verlusten. Sicher war das eine sonderbare Art von Stolz,  aber es war wohl die einzig mögliche.Sind die Waren knapp, so steigen die Preise, ist Geld knapp, so fallen die  Preise der Waren. Abner und Milly grübelten elende Tage und Nächte darüber und  mühten sich gemeinsam, die Gesetze der Wirtschaft zu begreifen. Aber da keiner  von ihnen irgend etwas von diesen Gesetzen verstand, so konnten sie auch  unmöglich begreifen, was mit dem Wert der Häuser, Möbel und Wagen geschehen  war. Wenn Abner und Daisy losgingen und irgendeinen Gegenstand verkaufen oder  versetzen wollten, so schimpfte Milly stets darüber, dass sie keinen besseren  Preis erzielt hatten. Sie war immer so sparsam gewesen und hatte stets auf den  Pfennig gesehen. Ständig hatte sie über ihre Kinder geklagt, die mit dem  Ausgeben so schnell bei der Hand waren. Und jetzt schien es ganz gleich zu  sein, ob man sein Geld gespart oder hinausgeworfen hatte.
 Sie konnten auch die Steuern für ihr Haus nicht mehr aufbringen. Sie wollten  verkaufen und in eine Mietwohnung ziehen. Aber wie viel konnte man in Highland  Park schon für ein Haus bekommen? Henry Ford hatte der Stadt böse mitgespielt,  als er sein großes Werk nach River Rouge verlegt hatte, also zehn oder zwölf  Meilen weiter. Alle Fordarbeiter hatten versucht, ihre Häuser zu verkaufen, und  zwar zur gleichen Zeit. Die Preise waren bis auf Null gefallen. Jetzt waren  auch noch zwei Drittel der Bevölkerung dieser Stadt arbeitslos, und man konnte  nicht einmal jemanden auftreiben, der einem auf Grundbesitz ein paar hundert  Dollar lieh.
 Wenn sie nun vermieteten? Das war wohl die beste Lösung des Problems. Sie  rückten also näher zusammen und begannen das freudlose Geschäft, an Arbeitern  Geld zu verdienen, die selbst durch die Arbeitslosigkeit in die Enge getrieben  waren. Manche dieser Leute dachten sich die verschiedensten Tricks aus, um  ihren Magen zu füllen und ein Dach über dem Kopf zu erschleichen, wenn auch nur  für ein paar Tage. Und Milly war nicht besonders helle im Durchschauen solcher  Tricks. Bald also bekamen sie einen jungen Burschen ins Haus. Er hatte zwar  Arbeit, aber es dauerte nicht lange, da stellte er Daisy nach, dieser jungen  ehrsamen verheirateten Frau, die jeden Sonntag zur Kirche ging. Als sie sich  das verbat, wurde er frech und ließ die Familie mit fünfzehn Dollar  Mietschulden sitzen.
 Der arme alte Tom, der durch seinen Rheumatismus völlig hilflos geworden war,  starb im ersten Winter der Depression. Da die Kinder halfen, konnten sie sein  Begräbnis noch bezahlen. Aber als die Großmutter ihm ein Jahr später folgte,  mussten sie die Demütigung ertragen, dass die Stadt die Bestattungskosten  übernahm. Dem Außenstehenden mag das belanglos scheinen. Aber so etwas bricht  armen Leuten, die stets nur das ausgegeben haben, was sie auch verdienten, das  Rückgrat. Abner musste jetzt vergessen, dass sein zweiter Sohn ein  Alkoholschmuggler war. Er sah auch mit an, wie Milly dankbar das Geld annahm,  das Hank ihr brachte. Unglücklicherweise hatte sein Geschäft ebenfalls einen  >Knacks< bekommen. Die Kunden kauften nur noch die billigen Sorten.
 Auch der Football-Betrieb war in Nöten. Die freigebigen >Alten Herren<  des Colleges kamen jetzt wie jeder
 andere mit Ausflüchten, und der Spielausschuss gab sie an die Spieler weiter.  Tommy sei ein guter Feldläufer, niemand habe etwas an ihm auszusetzen, sagte  der Ausschuss. Aber es lasse sich jetzt einfach keine angenehme Beschäftigung  mehr für ihn finden wie seither. Er müsse jetzt die Heizung versorgen und  putzen. Ein halbes Jahr genügte, um seine Ansichten über das Collegeleben  gründlich zu ändern, und da seine Eltern nicht einmal wussten, woher sie das  Geld fürs Essen nehmen sollten, meinte Tommy: »Ich habe jetzt keine Zeit mehr  für Football. Wenn ich schon arbeiten muss, dann auch richtig. Mal sehen, wie  sich meine Collegeerziehung bezahlt macht.«
 Das blühende und selbstzufriedene Ehepaar John Crock Shutt hatte zwei Jahre  lang in seinem gelben zweistöckigen Ziegelbau mit gekacheltem Badezimmer,  Zentralheizung und einer Pflegerin für ihre beiden Babies gewohnt. Sie hatten  sich verpflichtet, monatlich 75 Dollar plus Zinsen abzuzahlen. Es war einer  jener >Michigan<-Kaufverträge, wonach dem Verkäufer der Gegenstand so  lange gehörte, bis der volle Preis gezahlt ist. Und jetzt - Annabell war gerade  bei den Vorbereitungen für eine Bridgegesellschaft - erhielt ihr Mann Bescheid,  dass man seine Fachkenntnisse in der Ford-Motor-Company nicht mehr benötige.Sie waren in furchtbarer Aufregung, denn es war fast kein Geld im Haus. Und auf  Annabells Vater konnten sie nicht zurückgreifen, da es ihn an der Börse  erwischt hatte. Etwas Geld konnten sie sich auf Johns Lebensversicherung  leihen, aber das reichte bei weitem nicht aus. Sie mussten monatlich etwa 160  Dollar Abzahlungen und Zinsen für das Haus, die Möbel und einen neuen Ford  Modell A zahlen.
 John setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um irgendeine Arbeit zu bekommen. Er  verlangte keine gehobene Stellung, er war bereit zu nehmen, was er bekommen  konnte. Unter dieser Voraussetzung erhielt er Arbeit in der gleichen Abteilung im  River-Rouge-Werk, aus der er entlassen worden war. Er tat auch fast die gleiche  Arbeit. Der Unterschied war nur, dass er statt 325 Dollar im Monat jetzt den  Mindestlohn von 6 Dollar pro Tag bekam. Henry hatte ihn herabgestuft. Außerdem  arbeitete das Werk nur noch montags, dienstags und mittwochs. Also achtzehn  Dollar die Woche!
 Die kleine Familie konnte ihren Zahlungen nicht nachkommen, sie musste das Haus  aufgeben, für das sie schon 3 800 Dollar bezahlt hatte. Sie musste die Möbel  zurückgeben, auch den neuen elektrischen Kühlschrank und den Wagen, der  Annabell gehört hatte. John hatte noch einen älteren, mit dem er zur Arbeit  fuhr. Sie mussten ihre Habseligkeiten in eine Wohnung eines Zweifamilienhauses  bringen und jetzt in der verachteten Nachbarschaft der Arbeiterklasse wohnen.  Hier konnte Annabell keinen ihrer Freunde einladen. Statt Bridgeparties zu  geben, musste sie nun den Fußboden schrubben und ihren beiden Babies die Nasen  putzen. John stand wieder genau da, wo er bei seiner Geburt gewesen war. Ja,  die vorige und seine Generation konnten sich getrost die schwielige Hand  reichen! Sie hatten es beide nicht weit gebracht.
 Kommt die Armut ins Haus, fliegt die Liebe hinaus, sagt ein Sprichwort.  Annabell, die so energisch danach gestrebt hatte, die soziale Position ihres  Mannes zu verbessern, lenkte jetzt ihre Fähigkeiten darauf, Fehler an ihm zu  entdecken. Dem Gesellschaftssystem konnte sie die Schuld nicht geben, dazu  wusste sie nicht genug davon.
 Sie suchte die Schuldigen in ihrer Nähe und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit  auf die Tatsache, dass ihr Mann seiner Familie Geld hatte zukommen lassen. Das  musste aufhören! Dafür wollte sie schon sorgen! Die Verwandten sollten keinen  Pfifferling mehr bekommen! Sollte doch der großartige footballspielende Bruder  arbeiten! Sollten sie doch sehen, dass sie von ihrem Alkoholschmuggler und  Gangster etwas bekamen!
 Annabell wusste alles über Hank. Er war wieder einmal verhaftet worden, sein  Bild erschien in der Zeitung. Dieses Mal war es eine Wahlsache. Er habe Wähler  bestochen, wurde gesagt. Komisch genug war es ja - er arbeitete für einen  Kandidaten, der die Unterstützung Fords hatte, ja, man sagte sogar, die Firma  halte ihn auch finanziell aus. Was steckte dahinter?
 Annabell wusste es nicht. Sie wollte es auch gar nicht wissen, denn sie stand  jetzt auch gegen den großen Herrn von Dearborn. Die Shutts konnte er ja  vielleicht zum Narren halten, aber sie würde ihm nicht ins Garn gehen. Dass  John auf die Straße gesetzt wurde, war doch nur ein verdammter Trick, seinen Lohn  zu kürzen, ohne es zugeben zu müssen. So machte man es überall im Werk.  Annabell hörte immer wieder davon, und bald gab auch ihr eigener Vater es zu  und sagte ihr, er habe Anweisung, es so zu machen. O ja, die großen  Kapitalisten wie Henry Ford kümmerten sich nicht ums Geld. Sie arbeiteten nur,  weil es ihnen Spaß machte, die Leute mit guten Wagen zu versorgen! »Ich könnte  kotzen«, sagte Annabell gar nicht mehr fein, sondern wütend.
 Doch auch der Autokönig bekam seinen Teil von der Krise zu spüren. Einst war  er der Mann Amerikas gewesen, der auf die größten Gewinne stolz sein konnte;  jetzt hätte er mit den größten Verlusten prahlen können. In den Jahren 1924, 25  und 26 hatte er jährlich einen Reingewinn von mehr als hundert Millionen. Die  Umstellung des Werkes hatte ihn 1927 um 70 Millionen zurückgeworfen, und im  Jahr darauf war es nicht besser. Aber 1929 hatte der neue Ford Modell A 60  Millionen eingebracht. 1930 hatte er noch einmal 60 Millionen dadurch  herausgewirtschaftet, dass er Arbeiter entließ und die übrigen noch stärker  ausbeutete. So konnte er zunächst die Auswirkungen der Krise vermeiden, 1931  aber dämmte nichts mehr die Flut, die Ford-Motor-Company verlor 53 Millionen,  im nächsten Jahr sogar 75 Millionen.So las man es in den Berichten über Fords Verkäufe. In den letzten drei Jahren,  als er noch das alte Modell T herstellte, hatte er fast zwei Millionen im Jahr  verkauft, und 1929 konnte er auch nahezu zwei Millionen vom Modell A absetzen.  Im nächsten Jahr sanken seine Verkäufe jedoch auf eineinhalb Millionen. 1931  gab er keine Produktionsziffern mehr heraus, aber es war allgemein bekannt,  dass der Verkauf seiner Personenwagen auf unter eine halbe Million gefallen  war.
 Sicher, Henry Ford konnte das besser als jeder andere Industrielle der  Vereinigten Staaten durchhalten, da er 300 Millionen bare Geldreserven hatte.  Aber wie lange würde diese Depression dauern? Henry stütze Herbert Hoover  loyalerweise noch, wenn dieser »Vertrauen, immer wieder Vertrauen« predigte.  Aber im stillen gestand er sich ein, dass keiner von ihnen wusste, was in  Zukunft geschehen würde. Nur seinem Geld durfte man trauen!
 Detroit war nicht nur deshalb so gegen Henry Ford aufgebracht, weil er seine  Arbeiter schwer arbeiten ließ
 und sie plötzlich auf die Straße warf, es hasste ihn wegen seiner  Scheinheiligkeit. Schön und gut, dachte man, er ist Geschäftsmann und will  überleben; mag er sich seiner Haut wehren, wenn er kann - aber um Himmels  willen soll er doch endlich damit aufhören, uns glauben zu machen, er sei ein  Menschenfreund!
 Henry wollte, dass die Menschen glaubten, die guten Zeiten kämen wieder. Das  würde ihnen das Vertrauen zurückgeben und sie veranlassen, wieder seine Wagen  zu kaufen. Gut, das war ein Geschäftstrick, den jeder Kaufmann im Lande  verstand und den jeder jederzeit benutzte, sobald er eine Rede hielt. Aber war  es fair, wenn Henry Ford folgendes ankündigte: »Weil mein neuer Wagen so  ausgezeichnet ist, die Zeiten sich nun ganz bestimmt bessern und die Verkäufe  sich mehren, will ich jetzt zehn - bis zwanzigtausend Mann neu einstellen!« War  es fair, dass er das von Zeitungen bringen ließ, worauf sich Hunderte armer  Teufel von den Notküchen und Obdachlosenheimen aufmachten und nach River Rouge  hinüberwanderten? Andere arme Teufel fuhren im bittersten Winter auf offenen  Güterwagen herbei - und als sie vor die Tore des Werkes kamen, standen dort  Mannschaften des Werkschutzes. Die hatten Gummiknüppel in den Händen und  Gewehre auf den Schultern. Sie hielten alle Arbeiter an, die keinen Ausweis  hatten. Sie trieben die Ärmsten mit Hieben auseinander, und wenn es zu viele  waren, so bearbeitete man sie mit eiskaltem Wasser, das man aus Wasserkanonen  gegen sie spritzte. War das fair? Musste man, um sich die Menschen vom Leibe zu  halten, die brutalsten Gangster anheuern? War das eine menschenfreundliche  Haltung, Mr. Ford?
 Vor nunmehr 18 Jahren war Henry Ford als das Vorbild eines Arbeitsgebers ins  Licht der Öffentlichkeit getreten, galt er als Führer und Lehrer aller  amerikanischen Arbeitgeber. Seither hatte er vier Bücher, die seinen Namen  trugen, etliche Dutzend Artikel in Zeitschriften und unzählige Interviews  veröffentlicht. Nun war es wohl an der Zeit, einmal zu untersuchen, wie sich  seine Theorien bewährt hatten. Die Antwort ist zunächst einmal, dass jetzt  Henry Ford der meistgehasste Mann der amerikanischen Autoindustrie war. Wenn  einer seiner Arbeiter sich eine >Saturday Evening Post< kaufte und auf  einen Artikel stieß, der die idealen Zustände in dem Werk schilderte, so warf  er das Blatt auf den Boden und trat mit seinem dreckigen Stiefel darauf.Jahrelang hatte Henry seinen Leuten erzählt, die Maschine bringe keine  Arbeitslosigkeit. Aber bitte! Im River-Rouge-Werk stellten sie immer neue  Maschinen auf, es konnte ihnen gar nicht schnell genug mit dem Erfinden und  Bauen gehen. Bisher hatten zwanzig Leute ein Teil hergestellt, jetzt erlebten  sie, wie die neue Maschine herbeigeschafft und aufgestellt wurde. Einer von  ihnen wurde für die Bedienung angelernt und verrichtete nun die Arbeit der  zwanzig. Die neunzehn anderen warf man nicht sofort hinaus; scheinbar sollte  das nicht sein. Der Vormann stellte sie bei anderer Arbeit an. Bald aber begann  er sie zu schikanieren, und die Männer wussten genau, warum.
 Und welche lächerlichen Vorwände benutzte man, um die Leute loszuwerden! Neben  Abner wohnte ein Kollege, der hatte siebzehn Jahre für die Gesellschaft  gearbeitet. Nun hatte man ihm gesagt, er sollte sich seine Papiere geben  lassen. Warum? Er hatte seine vor Müdigkeit lahmen Arme ein paar Sekunden vor  Schluss der Arbeitszeit ausgeschüttelt. Unten in der Straße wohnte ein junger  Mann. Er war als Laufbursche beschäftigt gewesen und hatte sich einmal  aufgehalten, um ein Stück Schokolade zu kaufen. Sie hatten tausend nette  Richtlinien, wonach die Spitzel einen anzeigen konnten. Ein Vormann hatte mit  einem seiner Untergebenen gesprochen; das war gegen die Anweisung; er musste  gehen. Zwei Leute hatten während der Arbeitszeit miteinander gesprochen; sie  flogen beide raus. Man konnte hinausfliegen, weil man vergessen hatte, seinen  Arbeitsausweis in der linken Brusttasche zu tragen, weil man sich zu lange auf  der Toilette aufhielt, weil man sein Essen auf dem Fußboden sitzend einnahm,  weil man mit Kameraden der nächsten Schicht gesprochen hatte. Beschweren konnte  man sich nicht.
 War man aber auf Draht und befolgte alle Anweisungen, so warfen sie einen auf  andere Art hinaus. »Wir können Sie im Augenblick nicht recht verwenden«, hieß  es dann, »aber behalten Sie ihren Arbeitspaß noch. Sie bleiben auf der  Lohnliste. Wir benachrichtigen Sie, wenn wir Sie wieder benötigen.« Derart  hielten sie ihre Statistiken sauber, aber für den Mann hieß es, dass er  nirgendwo sonst Arbeit bekommen konnte. Der neue Boss fragte ja, wo man bisher  gearbeitet habe. Er rief das Ford-Werk an, um sich zu erkundigen, und selbstverständlich  wollte er niemanden einstellen, der noch auf Fords Lohnliste stand.
 Während der Depression war es mit diesen Machenschaften Monat für Monat  schlimmer geworden. Die 250 000 Arbeiter im Werk wurden aufs äußerste  angetrieben; sie waren am Ende ihrer Schicht halb verrückt. Oft wurde einer auf  einer Bahre hinausgetragen, denn die Leute, die man so antrieb, konnten die  Maschinen gar nicht mehr bedienen, ohne Unfälle zu verursachen. Über keinen  Gegenstand jedoch hatte Henry beredter geschrieben als über die Wichtigkeit der  Unfallverhütung. Aber immer wieder wurde seine >Abteilung für  Arbeitsschutz<
 von seiner >Abteilung für Beschleunigung< an die Wand gedrückt. Es ging  das Gerücht um, man habe im Werk täglich einen Toten. Aber Ford hatte ein  eigenes Krankenhaus, und Zahlen darüber waren nicht zu bekommen.
 Henry Ford war jetzt fast siebzig. Er war der reichste Mann der Welt und die  vollkommenste Verkörperung jener Ansichten, die man als >wirtschaftlichen  Determinismus< bezeichnet. Er hatte mit so wunderbaren Idealen begonnen, mit  soviel Großmut im Herzen, mit so vielen Entschlüssen, die erwarten ließen, sein  Leben werde ein gutes sein. Nun war er Milliardär, und sein Geld hielt ihn  gefangen wie das Spinnennetz die Fliege. Der mächtigste Mann der Welt zappelte  hilflos in der Faust seiner Dollarmilliarde. Sie machte aus ihm etwas, wovon er  niemals geträumt hatte. Sie war nicht nur Herr seiner Taten, sondern auch  seiner Gedanken, und so war ihm nicht einmal bewusst, was aus ihm geworden war.  Er war nicht nur blind für die Wahrheit in seinem Werk, sondern auch für jene  in seinem Herzen.Er hatte das Evangelium der Arbeit gepredigt und sie zu seiner Religion  gemacht. Arbeit, Arbeit, das war das Heil der Menschen. Die Produktion aber war  der Gott. So hatte der Autokönig nun die wunderbarste Maschine der Welt zur  Gütererzeugung - aber sie stand neun Zehntel der Zeit nutzlos herum. Er hatte  hunderttausend Menschen dazu erzogen, sich auf ihn, was die Arbeit betraf, zu  verlassen. Jetzt musste er etliche Tausend anderer anstellen, um sie sich mit  Gummiknüppeln und Gewehren vom Leibe zu halten. Er hatte für das tägliche Brot  von einer Million Menschen gesorgt, er hatte sie von sich abhängig gemacht -  und jetzt überließ er sie sich selbst. Sie mochten sich in Mansarden, Kellern  und leeren Lagerschuppen zusammenpferchen oder in Hütten, die man aus Blech und  Teerpappe zusammenflickte, oder gar in Erdlöchern -sollten sie doch überall  zusammenkriechen, wenn sie nur Henry Ford nicht in den Weg kamen!
 Früher war er schlicht und demokratisch gewesen. Aber seine Dollarmilliarde  verlangte, dass er wie ein orientalischer Despot lebte, durch eigenen  Entschluss eingekerkert und von Leibwachen umgeben. Er, der früher gern mit  seinen Arbeitern gesprochen und ihnen die Arbeit gezeigt hatte, wagte jetzt  nicht einmal, ohne Bewachung an seinem Fließband entlangzugehen. Er, der so  gesprächig gewesen, war jetzt einsilbig und mürrisch geworden. Seine einzigen  Gesellschafter waren Ja-Sager, die alles guthießen, was er äußerte. Fremde traf  er selten, denn alle wollten Geld von ihm, und er war der Bettelei überdrüssig.  Seine Sekretäre schirmten ihn ab. Er hatte sich zu oft zum Narren gemacht, und  sie wussten nie, welchen Unsinn er das nächste Mal sagen würde.
 Da lebte er nun in seinem großen steinernen Haus, seinem eigenen Park mit den  Bäumen, den Blumen und Vögeln, die er so liebte. Auf sie konnte man sich  verlassen, wenn man sie richtig behandelte. Sie waren ganz anders als die  niederträchtige und undankbare Menschheit. Kinder, alte Tänze und Fiedelleute,  die alte Weisen spielten -solche Dinge beschwichtigten das Gemüt des  unglücklichen alten Flivverking. Aber Kinder, die zu seinen Gesellschaften  kamen, mussten pausbäckig und fröhlich sein. Niemand durfte die zehntausend  hungernden Kinder erwähnen, sie sich in den Notküchen von Detroit drängten!  Niemand durfte das traurigste aller Kapitel anschneiden, nämlich die Forderung  der Stadtverwaltung, Henry Ford müsse einen Teil der Kosten für die Ernährung  der Kinder tragen, da die meisten Eltern erwerbslose Arbeiter der Fordwerke  seien. Da Henrys Werke sämtlich außerhalb Detroits lagen, brauchte er der Stadt  keine Steuern zu zahlen. Die Stadt aber war der Meinung, das sei ungerecht.
 Ja, einst gab es eine ausgezeichnete Verwaltung in der Stadt, nämliche jene,  die Henry bezahlt hatte und die ihm zu Willen war. Aber die Leute waren damit  ja nicht zufrieden gewesen. Sie setzten Henrys Bürgermeister ab und bestimmten  einen nach ihrer eigenen Wahl, einen Iren und katholischen Richter, Murphy mit  Namen. Der war nun genau das, was Henry einen Demagogen nannte, einen  Fanatiker, einen Schwätzer, all das, was er unter dem berüchtigten Wort  >Politiker< verstand. Nun hatte Detroit ja, was es sich gewünscht hatte,  und Henry ließ es im eigenen Saft schmoren.
 Der demagogische Bürgermeister setzte einen Ausschuss gegen die  Arbeitslosigkeit ein, der feststellte, dass die Stadt jährlich 722000 Dollar  ausgebe, um die Erwerbslosen der Fordwerke zu erhalten. Der Wohlfahrtsausschuss  der Stadt bewies, dass Ford tausende Familienväter hinausgeworfen habe, ohne  auch nur einen Finger für ihre Unterstützung zu rühren. Der große Industrieherr  und Weltverbesserer verlor den Spaß an seinen Tanzveranstaltungen, und sein  Sohn Edsel, der sich sonst nicht um die Geschichten der Zeitungen kümmerte, gab  der >New York Times< ein langes Interview, in dem er versuchte, die  Anwürfe zu widerlegen. Was war denn das, ein Angestellter der Fordwerke? Und  wie lange rückwirkend war denn eigentlich die Gesellschaft für jene  verantwortlich, die einmal bei ihr gearbeitet hatten? Es lief darauf hinaus,  dass die Gesellschaft die Verantwortung für jene zugab, die erst kürzlich  entlassen worden waren. Nun, Abner Shutt war einer davon, und er hätte sich  bestimmt recht glücklich geschätzt, wenn er von seinem Brotherrn diese  Botschaft erhalten hätte. Aber davon war in der Veröffentlichung nun auch  wieder nicht die Rede.
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