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Upton Sinclair - Am Fliessband (1948)
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Die Automobilfabrikanten standen vor einem Problem. Je mehr Leute sie beschäftigten, um so mehr Zeit brauchten diese Leute, um von einem Montageplatz zum nächsten zu gehen, weil sie sich gegenseitig behinderten. Bei General Motors hatte irgend jemand eine glänzende Idee: Statt die Männer zur Arbeit zu schicken, sollte die Arbeit zu den Männern kommen. Warum eigentlich nicht?
Sie machten Versuche, und schon bald berichteten Fords Kundschafter ihm die Neuigkeit. Er konnte es sich nicht leisten, dass man ihn überholte; so probierte er es ebenfalls. Die Teile für einen Schwungradmagneten, ein kleines Teil, aber eine sehr arbeitsintensive Montage, wurden auf einen gleitenden Tisch gelegt, der gerade hoch genug für die Arbeiter war. Sie saßen auf Stühlen, und jeder machte einen Handgriff an einer Reihe Magneten, die langsam an ihm vorbeikrochen. Nach der alten Methode, bei der ein Mann einen Magneten baute, konnte er in 20 Minuten einen anfertigen. Jetzt, da die Arbeit in 29 Teile zerlegt war und von 29 Leuten ausgeführt wurde, benötigte man nur 13 Minuten und 10 Sekunden. Das war eine Revolution.
Ford wandte dieselbe Technik auf die Herstellung des Motors an. Bei einem Mann hatte es 9 Stunden und 55 Minuten gedauert. Als die Montage auf 48 einzelne Leute verteilt war, konnte man die Zeit um mehr als 40 Prozent kürzen.
Anfang 1913 wurde auch Abner Shutt, der Vormann, von dieser Revolution berührt. An einem sonnigen Morgen wurde er zu der John-R.-Straße hinausbefohlen, die durch das Highland-Park-Werk führte. Er sollte an dem Versuch teilnehmen, ein Chassis zusammenzubauen, also den Rahmen mit Rädern, noch ohne Motor und Verkleidung. Sie hatten eine Plattform auf Rädern konstruiert, an der ein Zugseil von 250 Fuß Länge hing; eine Winde war daran, die sie ziehen sollte. Die Materialien, die gebraucht wurden, waren entlang der Bahn in Abständen aufgehäuft. Monteure fuhren mit der Plattform und sollten unterwegs ein Chassis zusammensetzen, während Leute mit Stoppuhren und Notizbüchern jede Sekunde festhielten, die sie benötigten.
Nach der alten Methode, einen Wagen wie ein Haus an einer Stelle zu bauen, hatte man für die Arbeit des Zusammenbaus eines Chassis 12 Stunden und 28 Minuten benötigt. Schon bei diesem groben Experiment verkürzte sich die Zeit um mehr als die Hälfte. So begann man bald, lange Bahnen in der Werkhalle aufzureißen und sie zu überbauen. Eine bewegliche Plattform wurde eingebaut, und die verschiedenen Teile des Chassis wurden ihr entweder an Haken, die von Ketten herabhingen, zugeführt oder durch kleine Motorzüge, die entlang der Bahn fuhren. Bald schon wurde die Bahn auf Brusthöhe eingerichtet, und es dauerte nicht lange, da gab es zwei solcher Bahnen, eine für große Arbeiter und eine für kleine.
Welch ein Unterschied zu den Tagen, als Abner in den Schuppen lief und zwei Räder mit der Hand selbst herbeirollte, rechte und linke Achsenmuttern heraussuchte und aufschraubte. Jetzt überwachte er eine Gruppe Arbeiter, deren einzelne Handgriffe von Ingenieuren berechnet waren. Die fertigen Räder, Erzeugnisse eines eigenen Montagebandes, wanderten an langen Hakenreihen herbei und senkten sich bis zur passenden Höhe, damit man
sie abnehmen und auf die Achsen schieben konnte. Der Mann, der diese Aufgabe hatte, tat nichts anderes. Ein anderer setzte die Muttern auf und drehte sie mit der Hand an, und wieder ein anderer beendete die Sache mit einem Schraubenschlüssel. Die Ingenieure waren mit dem Studium der Handgriffe noch gar nicht fertig, da hatten sie die Zeit, die man für den Aufbau eines Chassis braucht, schon von 12 Stunden 28 Minuten auf eine Stunde und 30 Minuten gedrückt.
Als der Arbeitsgang eingerichtet war, kam das unvermeidliche Bestreben, die Geschwindigkeit des Bandes zu erhöhen. Mochte Henry Ford auch immer wieder behaupten, der Wettbewerb führe zu nichts und er glaube nicht an sein Prinzip, in Wahrheit stand er doch in jedem Augenblick seines Lebens im Wettbewerb, und das würde so bleiben, solange er Autos baute. In hundert anderen Werken in ganz Amerika versuchte man ihn zu schlagen. In diesem langen Rennen mussten diejenigen siegen, denen es durch diese oder jene Methode gelang, den größten Arbeitswert aus dem Dollar herauszuholen. Das begann beim ersten Griff der Hand, die Eisenerz schürfte oder den Saft der Gummibäume in tropischen Wäldern sammelte.
Die Verkäufer forderten immer mehr Wagen. Als das Werk tausend am Tage ausstieß, wussten die Leute, die es ausrechnen konnten, dass sie sechzehn Wagen mehr pro Tag herstellen konnten, wenn sie die Geschwindigkeit des Fließbandes nur um eine Minute in der Stunde erhöhten. Warum sollte man es nicht versuchen? Und warum nicht noch einmal, als die Arbeiter sich nach ein paar Wochen an die neue Geschwindigkeit gewöhnt hatten?
Nie zuvor hatte es ein derartiges Mittel gegeben, um die Arbeit zu beschleunigen. Man brauchte nur an einem Schalter zu drehen, und schon schufteten tausend Männer schneller. Es war wie der Steueranteil einer Ware, den der Verbraucher zahlt, ohne es zu wissen. Der Arbeiter kann nicht mit der Stoppuhr die Anzahl der Wagen nachzählen, die pro Stunde an ihm vorüberwandern. Und sollte er es wirklich erfahren, etwa durch den Mann, der die Geschwindigkeit des Bandes einstellt - dann ist es wie bei der Steuer, gegen die er nichts tun kann. Bist du zu schwach dafür? Nun, draußen warten Dutzende starker Männer auf deinen Platz. Also halt den Mund und tu, was man dir sagt!

All das war offenbar, und keiner wusste es besser als Henry Ford. Es beunruhigte sein Gewissen, denn er hielt sich für einen Idealisten und wollte die Menschen glücklich machen. Aber er war auch ein guter Wirtschaftler und den volkswirtschaftlichen Theoretikern darin voraus, dass er folgenden Gedanken hatte: Wenn ich den Leuten hohe Löhne zahle, so können sie Fordwagen kaufen. Warum sollte Henry Ford um Geld feilschen, von dem er doch wusste, dass er es wiederbekam? Inzwischen aber wollte er seinen Spaß haben und immer mehr Wagen bauen. Man sollte auf den gesunden Menschenverstand hören.
Ford bereitete eine Bombe vor, und am 5. Januar 1914 ließ er sie platzen: Die Ford-Motor-Company würde von nun an jedes Jahr einen Bonus von zehn Millionen Dollar unter ihre Arbeiter verteilen, und zwar so, dass der niedrigstbezahlte Arbeiter des Werkes auf mindestens fünf Dollar pro Tag kam! Diese Ausschüttung betrug etwa die Hälfte des im nächsten Jahr erwarteten Gewinnes der Gesellschaft. Zugleich wurde die Arbeitszeit von bisher neun auf acht Stunden verkürzt.
Diese Ankündigung begründete den Ruhm des Henry Fords. Das war die eine Seite des Erfolges. Bis dahin war sein Wagen zwar bekannt gewesen, aber er selbst war nur einer von vielen Fabrikherren. Nun wurde er über Nacht einer der Nationalhelden Amerikas. Ein heftiger Sturm brach um ihn los. Auf der einen Seite standen die Arbeiter und die Sozialreformer - auf der anderen die Fabrikanten, die Geschäftsleute und die Zeitungsverleger. Jene sagten, Henry Ford sei ein tüchtiger Kopf und ein wahrer Staatsmann der Industrie - diese behaupteten, er mache für sich selbst Reklame, er wolle sich ins Licht der Öffentlichkeit stellen, er sei ein Mann mit ungesunden Anschauungen und eine Gefahr für das allgemeine Wohl. Die Industrie könne solche Löhne nicht zahlen, und jeder, der das behaupte, locke die Arbeiter in eine Falle. »Ausgesprochen utopisch und im Widerspruch mit jeder Erfahrung«, meinte die >New York Times<. Man schickte einen Mann nach Detroit, der Henry Ford fragte: »Sind Sie ein Sozialist?« Ford wusste nicht genau, was ein Sozialist ist, aber er empfand doch klar genug, dass er mutmaßen konnte, er sei keiner.
Fords Ankündigung hatte eine zweite Wirkung: Tausende von Arbeitern kletterten auf die nächsten Güterwagen und fuhren nach Highland Park. Die Gesellschaft gab Warnungen heraus, aber es war zu spät. Am ersten Tag standen Zehntausende vor den Toren, und am Wochenende, als der Beteiligungsplan in Kraft treten sollte, war es eine Armee. Ströme eiskalten Wassers spritzte man gegen sie, und Polizeikompanien kämpften zwei Stunden, um sie von den Toren fortzutreiben. Steinwürfe und zertrümmerte Fensterscheiben - das war das peinliche Ende eines freudvollen Tages. Die halberfrorenen Arbeiter gingen fort; Wut gegen Henry Ford kochte in ihren Herzen. Aber die Glücklichen im Werk wie Abner Shutt machten sich darum keine schlaflosen Nächte. Die Welt war nun einmal hart, und wer einen Posten hatte, musste ihn verteidigen.
Mr. und Mrs. Ford fuhren nach New York. Dort erlebten sie, was es heißt, berühmt zu sein. Eine Schar Reporter erwartete sie auf dem Bahnhof, und das Aufleuchten der Blitzlichter bekundete, dass ein Held angekommen war. Im Hotel zertrampelten die Reporter die Topf-Palmen, um einen >Schuss< auf Ford anzubringen. Ein Sack Post wartete schon, und bald musste das Telefon in seinem Zimmer abgestellt werden. Bis jetzt war Henry Ford ein einfacher Bürger der Vereinigten Staaten gewesen. Aber von diesem Tage an war er gezwungen, wie ein europäischer Fürst zu leben, mit einer Leibgarde und einer Mauer von Sekretären, die ihm die Öffentlichkeit vom Leibe hielt, die ihn zugleich bewunderte und fürchtete, aber um jeden Preis wissen musste, wie er über die Gewerkschaften, die Prohibition, die Geburtenkontrolle und die Lage in Europa dachte. Und sie mussten natürlich auch wissen, was er zum Frühstück aß und welche Zahnpasta er anschließend benutzte.
All diese Nachrichten brachten die Detroiter Zeitungen, und die vierzehntausend Arbeiter, die für den Mindestlohn schufteten, erfuhren zum ersten Mal, welch ein wahrhaft großer Mann ihr Arbeitgeber sei. Als er zurück war, lasen sie alles über sein Familienleben, das ihnen bis dahin verborgen war. Sie lasen von seiner Vogelliebhaberei; dass er für zweitausend Vögel Kästen hatte aufhängen lassen; dass er einmal vierzehn Tage lang die Vordertür seines Hauses nicht benutzt hatte, weil ein Hänflingpaar ein Nest darüber gebaut hatte. »Ganz gleich wie das Wetter ist«, sagte er, »die Stare kommen am 2. Mai nach Dearborn zurück.«
Sie sahen Bilder von ihm: Wie er in seiner Bibliothek saß oder am Schreibtisch in seinem Büro, wo er telefonisch Anweisungen für die Schöpfung einer neuen Welt gab. Sie sahen ihn bei seinem Wintersport, dem Schlittschuhlauf, und später bei seinem Sommervergnügen, bei der Heuernte, auf seinem Gut mit seinem Sohn Edsel, der jetzt 21 Jahre war. Sie sahen auch Bilder, wo er auf dem ersten Auto saß, das Abner einmal aus einem Loch in der Bagley Street hatte ziehen helfen. Ford hatte dies ehrwürdige alte Vehikel zurückgekauft und bewahrte es jetzt in einem Hinterzimmer seiner Büroflucht auf. Ab und an wurde es vorgeführt, um zu zeigen, dass man noch immer damit fahren konnte, oder damit man ein Bild aufnehmen konnte - er am Steuerruder und auf dem zweiten Sitz Mrs. Ford oder Thomas A. Edison, John Borroughs oder sonst einer seiner Freunde.

Die Öffentlichkeit war der Meinung, die Ford-Motor-Company würde von nun an jedem Arbeiter fünf Dollar pro Tag zahlen. Die Arbeiter hatten es auch so aufgefasst, und es gab enttäuschte Gesichter, als sich herausstellte, dass es so nicht gemeint war. Die früheren Löhne blieben bestehen, aber alle vierzehn Tage erhielten die Arbeiter einen Bonus - vorausgesetzt, sie hatten sich bewährt. Es gab eine Falle in diesem Begriff >Bonus<, eine recht komplizierte und versteckte allerdings, und viele Arbeiter kamen nie dahinter.
Es gab drei Gruppen. Verheiratete Männer mussten >in ihrer Familie leben und für sie sorgen<. Junggesellen über zweiundzwanzig sollten >gesund leben und den Beweis ernsthafter Gesittung erbringen<. Junge Leute unter zweiundzwanzig und alle Frauen sollten sich >nur um die Unterstützung ihrer Verwandten sorgen<. Um den Vollzug solcher Tugenden bei vierzehntausend Arbeitern des Werkes zu überprüfen, bedurfte es umfangreicher Nachforschungen. Um sie durchzuführen, bildete Henry Ford die >Soziale Abteilung der Ford-Motor-Werke<. Sie hatte einen Stab von fünfzig moralisch gefestigten, tüchtigen jungen Menschen, die ihm helfen sollten. Zwei Jahre später überredete er einen Bischof, den Dekan der St. Paulskirche in Detroit, sein ehrbares Amt aufzugeben und sich der Moral der Fordarbeiter anzunehmen.
Henry und sein Stab hatten eine Liste der Grundtugenden aufgestellt. Sie wollten die üble Sitte mancher Arbeiter ausmerzen, Mieter in ihre Häuser zu nehmen; das machte aus dem Heim eine Verdienstquelle und begünstigte zweifellos die Begegnung der Geschlechter. Sie rieten jedem jungen Menschen, einen Geistlichen oder einen Friedensrichter aufzusuchen, bevor er einen Haushalt gründete. Sie wollten die Unsitte abstellen, dass junge Burschen vom Elternhaus fortliefen und ihre Familie nicht unterstützten. Sie wollten endlich die üble Sauferei ausmerzen und darauf achten, dass die Häuser sauber gehalten und für Kinder und Kranke gesorgt würde. Das waren gute Ziele, und wenn der Arbeiter der Sozialen Abteilung darin folgte, bekam er als Belohnung alle vierzehn Tage einen Scheck, dessen Wert etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Dollar betrug.
Soweit es die Familie Shutt betraf, lag der Fall einfach. Millys Heiratsurkunde hing eingerahmt an der Wand, und in ihrem Strumpf, wo sie gewöhnlich das Geld verwahrte, das Abner am Sonnabend heimbrachte, zeichnete sich eine dicke Wölbung ab. Ihr Haus war nicht ganz so blitzblank, wie es vielleicht hätte sein können. Das war leider nun mal so. Aber es war nicht ihre Schuld, denn sie litt an Ohnmachtsanfällen. Sie hatte auch einen Arzt, der sie oft untersuchte. Nun kam ein junger Mann von der Company, um zu sehen, wie es bei ihnen stand. Er war so nett und sympathisch und gab ihr so viele gute Ratschläge, dass Milly sie gar nicht alle behalten konnte. Er sagte ihr, sie solle sich von dem Extrageld eine Aushilfe nehmen, eine kräftige Frau, die einmal in der Woche zum Schrubben und Reinmachen komme. Man erklärte ihr die Zubereitung von Fleisch, wie man billigere Sorten durch längeres Kochen genießbar machen könne, und man sagte ihr, wie notwendig es sei, den Kleinen viel frisches Gemüse und Obst zu geben.
Sie sprachen auch über die Mieten, die in Highland Park und ringsum rasch anstiegen. Milly gestand, es sei einmal Abners und ihr Traum gewesen, in einem eigenen Haus zu wohnen. Sie war von dem Vorschlag begeistert, man könnte doch einen Teil des Bonusgeldes dafür anlegen. Der Mann ging fort, und die Fakten, die er sich notiert hatte, wurden in eine große Kartei der Sozialen Abteilung eingetragen. Man teilte Abner mit, dass er >sich bewährt< habe. Zu seinem regulären Lohn von 42 Cent pro Stunde bekam er noch ein Aufgeld von 26 und einen halben Cent. Er bekam nun also alle vierzehn Tage einen zusätzlichen Scheck über 25 Dollar und 44 Cent.
Wie konnte auch nur irgend jemand, ob Frau oder Mann, gegen solch göttliche Mildtätigkeit des Mr. Ford undankbar sein? Das war Abner unbegreiflich. Aber die menschliche Natur ist nun einmal schlecht, und viele Leute schimpften recht giftig darüber, dass man ihr Privatleben unter die Lupe nahm. Sie änderten den Namen der neuen Einrichtung aus >Soziale< in >Schnüffel<-Abteilung. Statt die Forderungen des Statuts zu erfüllen, versuchten sie es durch Winkelzüge zu umgehen. Die Vermieter verwandelten ihre Mieter in Brüder oder Schwäger. Die jungen Männer versteckten ihre Mädchen eine Zeitlang oder gaben sie als verwaiste Halbschwestern aus. Ja, einige böse Burschen heuerten sogar einen älteren Verwandten an, der sich dann für sie >bewährte<. Einige dieser Tricks flogen auf, und man warf die Betrüger hinaus. Aber das Spionieren, Verdächtigen und Klatschen nahm kein Ende.
Die Shutts fanden nur eins an der neuen Regelung falsch - dass die Preise so schnell zu steigen begannen. Zuerst erhöhten die niederträchtigen Grundbesitzer die Mieten. Die Shutts hatten bisher zwölf Doller im Monat bezahlt; nun wurde ihnen mitgeteilt, die Miete betrage jetzt zwanzig Dollar. Sie erhoben natürlich Einspruch dagegen, aber der Agent sagte ihnen, sie könnten ja wählen: zahlen oder ausziehen.
Abner nahm sich einen Sonnabendnachmittag dafür und fuhr herum und sprach mit anderen Agenten. Er lernte viel über die elementarsten Dinge der Volkswirtschaft dabei. Das Leben in Highland Park war teuer geworden, seit der gütige Mr. Ford jedes Jahr zehn Millionen Dollar zusätzlich auswarf. Warum sollten denn die Grundbesitzer nicht auch ihren Anteil an diesem Wachsen und Blühen haben? Den Grundbesitzern ging es wie Abner. Auch ihnen schien es erstrebenswert, einen Fordwagen zu besitzen, sonntags mit ihren Familien ins Grüne oder gar im Sommer an einen der Michigan-Seen zum Fischen zu fahren oder den Winter in Florida zu verbringen. Warum sollten sie sich das nicht auch wünschen?
Abner und Milly fassten einen Entschluss: Ja, sie wollten es wagen und sich sofort ein eigenes Haus kaufen. Dabei lernten sie wieder etwas von der Volkswirtschaft: Die Preise für Häuser waren seit der Ankündigung der Ford-Company ebenfalls um das Doppelte gestiegen. Wenn Abner nur vorher hätte kaufen können! Hätte er nur einen Tipp gehabt! Einige von Fords Gesellschaftern hatten davon gewusst. Sie hatten sich schleunigst Land gekauft und trieben nun den Preis hoch. Für die Shutts war es jetzt fast ebenso schwer, als wenn sie gar keinen Bonus bekommen hätten.
Immer wieder wurde ihnen in den nächsten Jahren diese Lektion eingebläut. Milly, die in der Wahl der Läden sehr sorgfältig war, sah ihre Familie schon verhungern und lief sich die Füße lahm, um ein Geschäft aufzuspüren, wo sie die Waren noch zu einem Preis kaufen könnte, den sie in den Tagen vor dem Bonus bezahlt hatte. Aber solche Läden gab es nicht. Die Händler erklärten, dass ihre eigenen Mieten und Löhne gestiegen seien. Wer wollte denn in Highland Park noch für den alten Lohn arbeiten, wenn er doch höhere Mieten und höhere Preise für die Lebensmittel zahlen musste? Nein, irgendwie war die Welt falsch eingerichtet.
Der einzige, der durch den Bonus das gewann, was er gewollt hatte, war Henry Ford selbst. Zunächst einmal gewann er den Ruf, er sei der beste Arbeitgeber in Amerika. Keine schlechte Reklame, auch für den Fordwagen nicht, der an die einfachen Leute verkauft wurde, von denen viele Arbeiter oder Idealisten wie er selbst waren. Wenn sie ihren alten Flivver gegen einen neuen einhandelten, hatten sie auch gern das Bewusstsein, damit einem großen Unternehmen der Nächstenliebe zu helfen. >Hilf deinem Kollegen<, stand auf Tafeln, die überall im Werk angebracht waren. Arbeiter und Besucher sollten es lesen.
Der zweite Erfolg war, dass er die besten Arbeiter des Landes bekam. Er konnte beim Einstellen jetzt noch wählerischer sein. Hatte er aber einen Mann angenommen, so konnte er ihn durch seinen Lohn auch halten.
Auch mit dem Wechsel der Arbeitkräfte war es jetzt ganz anders. Früher, vor dem Bonus, hatte man jährlich 35000 Mann einstellen und entlassen müssen, um einen Stamm von 14000 Arbeiter zu halten. Aber schon im nächsten Jahr stellte man nur 6508 ein, und das waren meist neue Leute. Man hatte sie angenommen, weil das Werk sich vergrößerte.

Ein Grundstückmakler machte sich an Milly und Abner heran. Sehr ernsthaft versicherte er ihnen, er habe die allerletzte günstige Gelegenheit in Highland Park an der Hand. Er wolle nur ihr Bestes, darum erzähle er es ihnen, nicht weil ihm etwas daran liege. Wenn sie sich die Gelegenheit entgehen ließen, würde irgendein anderer sie sofort ergreifen, und sie würden es ihr Leben lang bereuen. Das Haus hatte sechs Räume und war größer, als sie es sich gewünscht hatten. Aber sie empfanden so stark, dass es mit ihnen bergauf ging, und bedachten auch, dass ja die Kinder bald groß sein würden. Das Mädel konnte auch nicht immer in einem Raum mit den Eltern schlafen. Nach vielem Bedenken entschlossen sie sich: Ja, sie wollten es wagen.
Sie bezahlten 3150 Dollar für das Haus. Vor dem Bonus hätten sie es um tausend Dollar billiger haben können. Sie zahlten sechshundert Dollar an, und das war praktisch alles, was sie in den zehn Jahren hatten zurücklegen können. Sie verpflichteten sich, monatlich zwanzig Dollar und die Zinsen zu zahlen, die anfangs etwa dreizehn Dollar im Monat betrugen.
Wegen der Steuern fielen sie fast aus allen Wolken – der Makler hatte wohlweislich davon geschwiegen, und die Familie hatte ja vorher nie irgendein Vermögen gehabt. Nun, die Zinsen würden kleiner werden, aber an dem Kaufpreis würden sie in den nächsten elf Jahren zu zahlen haben. Der Makler meinte, Miete hätten sie ja sowieso zahlen müssen, und die Mieten würden bestimmt steigen. Hierin hatte er recht - es kam wirklich so.
Alle Preise zogen an. Unheimlich und beängstigend war das. Was mochte der Grund dafür sein? Die Völker Europas, fast alle, bereiteten sich in diesem Sommer auf den Krieg vor. Abner las das in den Schlagzeilen seiner Abendzeitung. Er las es einige Tage vor dem Datum, an dem er und seine Frau den Kaufkontrakt für das Haus unterzeichneten. In der Haustür sitzend, las er Milly die Neuigkeiten vor. Jeden Tag stürzte sich eine neue Nation ins Verderben. Armeen marschierten, und bald kämpften sie auch schon, und die Schlagzeilen berichteten: >Zwanzigtausend Deutsche eingekesselt< - oder Russen, Franzosen, Österreicher oder Serben. All diese Völker waren für Abner nur Namen; er hatte keine Ahnung, wofür sie eigentlich kämpften. Er freute sich, dass er in einem freien Lande lebte, wo die Leute zu vernünftig waren, um so eine Verrücktheit mitzumachen.
So dachten fast alle darüber, die er kannte, auch sein Arbeitgeber. Henry Ford hielt Kriege für sinnlos. Er hatte seine Meinung darüber immer wieder ausgesprochen, so wie er seine Ansichten über Schutzzölle, Goldwährung, Bankiers, Gewerkschaften und die Lage in Mexiko kundtat. Dieser Krieg war das Böseste, das in neuerer Zeit geschehen war. Der Grund dafür lag allein darin, dass die Menschen glaubten, sie könnten dadurch reich werden, dass sie anderen ihren Reichtum raubten, statt ihren Kopf anzustrengen und selbst Werte und Reichtum zu schaffen. Wenn die Leute den Krieg wollten, so war das ihre Sache.
Aber soviel wollte der Präsident der Fordwerke nur sagen, er sagte es mit äußerstem Nachdruck: Sein Werk werde nicht für den Krieg arbeiten und nichts an kriegführende Mächte verkaufen.
So sagte er, und die kriegführenden Mächte waren erstaunt, dass er es tatsächlich so meinte. Vertreter der britischen Regierung reisten nach Highland Park, um Fordwagen zu kaufen. Man ließ sie wissen, für sie gebe es keine. Sie trauten ihren Ohren nicht. Sie sagten, man habe sie vielleicht falsch verstanden, sie wollten bar bezahlen. Sie seien ermächtigt, Schecks auszuschreiben, die auf das alte Bankhaus Morgan lauteten, auf die alte bewährte Firma da an der Ecke von Broadway und Wallstreet in New York. Ja, Mr. Ford kannte diese Firma, aber das änderte gar nichts! Er verkaufte keine Wagen für Kriegszwecke.
Es war natürlich möglich, dass die Engländer dennoch einen Weg fanden und hier und dort einige Fordwagen ergatterten, trotz der Sturheit eines Pazifisten, der in diesem Geschäft mitzureden hatte. Man konnte nicht erwarten, alle Vertreter und Verkäufer Fords seien reine Idealisten wie ihr Arbeitgeber selbst. >Geld stinkt nichts dieses Sprichwort war so alt wie die Römer, und die waren in ihrer Zeit die besten Geschäftsleute. Man konnte auch nicht erwarten, dass Henry Ford persönlich jeden Wagen überwachte, der von ihm verkauft wurde, um zu gewährleisten, dass keiner von ihnen den Weg in ein Land namens Kanada fand, das just auf der anderen Seite eines schmalen Flusses bei Detroit lag. Im ersten Kriegsjahr verkaufte Henry über 300000 Wagen und im zweiten mehr als eine halbe Million. Im dritten aber verkaufte er mehr als eine Dreiviertelmillion. Aber dieser Anstieg war vielleicht auch darin begründet, dass andere Autofabrikanten, welche die Kriegsmächte belieferten, Ford jetzt einen größeren Teil des amerikanischen Marktes überließen.

Die Shutts zogen um. Diesmal sollte es für immer sein, meinten sie. Ihr neues Haus brauchte dringend Farbe, der Zaun fiel fast zusammen, und das Land, 50 mal 120, war voller Unkraut. Aber für sie war es ein Herrenhaus, und Abner war, wenn er heimkam, nie zu müde, um nicht noch ein paar Quadratmeter umzugraben oder Zwiebeln und Kohlrabi zu pflanzen. Milly nahm zwei Tage in der Woche eine Frau zum Reinmachen, und auch die Kinder packte der Eifer, auch sie wollten mit anfassen. Mr. Ford hatte doch wie immer recht. Es war schon eine feine Sache, so ein eigenes Haus!
Soweit es die Shutts anging, war der wohltätige Bonusplan fraglos ein voller Erfolg. Abner und Milly benutzten ihr Geld für genau die Zwecke, die Ford empfahl. Der gefällige Mensch, der seine Soziale Abteilung vertrat, kam und sah sich die neue Lage an. Die kleine Familie glühte vor Dankbarkeit für ihn und den göttergleichen Mann, der so viele Probleme ihres Lebens gelöst und ihnen soviel Glück beschert hatte.
Das Werk arbeitete in zwei Achtstundenschichten. Abner musste also um sechs in der Frühe fortgehen und kam am frühen Nachmittag zurück. Da blieb ihm viel Zeit, um den Garten zu besorgen und den Zaun zu flicken, um die Küken des Nachbarn fernzuhalten. Im Herbst raffte er sich sogar auf und gab dem Haus einen neuen Anstrich. Im Laufe der Zeit würde sich das bezahlt machen. Es war ja ihr eigenes Haus.
Jetzt hatte er auch Zeit, die Kinder zu beobachten und sie kennen zu lernen. Johnny war nun zehn Jahre alt und ein ernster, handfester Bursche, der für alles Interesse hatte, was sein Vater sagte und tat. Er brachte seine jungen Geschwister sicher zur Schule, und wenn er zurück war, half er seiner Mutter und jätete das Unkraut im Garten. Er hielt sich stets in Abners Nähe; er wollte bei der Arbeit so gern helfen. Er begriff schnell, und niemand zweifelte, dass er seinen Weg machen würde.
Aber der zweite Junge, Henry Ford, machte Sorgen. Hank, so nannten die Jungen ihn, hatte keine Lust, die Treppenstufen zu fegen oder Unkraut zu jäten. Er widersetzte sich jeder Zucht und ließ sich nicht einmal von seinem älteren Bruder bei der Hand nehmen, wenn sie über die Straße gingen. Ein Zaun war für ihn nur dazu da, um hinüberzuklettern. Er war stets auf der verbotenen Seite, zerbrach Fensterscheiben mit dem Football oder hatte Streit mit seiner >Bande<. Half das Schelten seiner Mutter nicht, so wurde Abner herbeigerufen, der ihn verprügeln musste. Doch auch das war nicht so recht befriedigend, denn es veranlasste Hank, vieles vor seinen Eltern zu verbergen und ihnen über seine Schandtaten etwas vorzulügen.
Daisy war ein süßes und sanftes Mädchen, das mit acht Jahren schon jede Hausarbeit verstand und sie gern verrichtete. Wenn sie mit ihrer Stoffpuppe auf den Treppenstufen saß und zärtlich mit ihr sprach, dann war sie restlos glücklich. Bald schon zog sie ein kleines Zicklein groß, und von nun an war es ihre größte Sorge, die Jungen daran zu hindern, dass sie es neckten. Abner zäunte einen Teil des Hofes ein und schaffte einige Hühner an. Als im Frühling eine Schar Küken ausschlüpfte, war Daisy nur schwer von dem Platz fortzubringen.
Es ist bezaubernd, wenn man die Seelen der Kinder sich entfalten sieht. Alle vier lernten schnell, aber sie lernten unterschiedliche Dinge. Johnny würde Mechaniker wie sein Vater werden, das konnte man schon sehen. Sein größtes Vergnügen war, wenn er die Räder des Fahrrades abnehmen durfte, um die Achsen zu reinigen, zu schmieren und sie beim Wiedereinsetzen ganz genau zu richten. Der kleine Tommy würde später einmal Menschen führen. Obwohl er der Jüngste war, wollte er den anderen immer befehlen, was sie tun sollten. Konnte er aber keine Jungen kommandieren, so suchte er sich Mädchen dazu. Er war ein prächtiger kleiner Kerl, voll Eifer und immer schnell erregt. Er hatte einen klaren Sinn für Gerechtigkeit, der ihm später viele Schwierigkeiten bringen sollte.

Die Zeit verging, und die Ford-Company wuchs immer noch. Abner Shutt bekam weiterhin seinen Wochenlohn und alle vierzehn Tage am Sonnabend seine Zulage. Er leistete die Zahlungen für sein Haus, ernährte seine Familie und konnte sogar etwas sparen, obwohl die Preise stiegen. Die Zeitungen erklärten jetzt, daran sei der Krieg schuld: die Völker Europas kauften auf, was sie nur immer ergattern konnten.
Dennoch regte sich ein alter Traum wieder in Abners Seele. Sein Haus war fast drei Meilen von seinem Arbeitsplatz entfernt, eine Straßenbahn gab es auf dieser Strecke nicht, und in Schnee und Regen war es wirklich kein Vergnügen, mit dem Rad zu fahren und danach in klammen Kleidern zu arbeiten. Viele Arbeiter hatten sich gebrauchte Wagen gekauft und fuhren nun großartig zum Werk; gnädigst nahmen sie manchmal so einen >Drahtesel< mit - samt dem Esel, der darauf saß. Die Familien dieser Glücklichen fuhren sonntags ins Grüne. Sie konnten die alten Kollegen besuchen oder aufs Land hinausfahren und Gemüse, Früchte und Eier weit unter dem Ladenpreis einkaufen. Warum sollten die Shutts solche Freuden entbehren?
Es war ein regelrechter Markt für gebrauchte Wagen entstanden. Die Preise waren präzise festgelegt wie eben alles, womit Henry Ford, wenn auch nur indirekt, zu tun hatte. Fords verloren ihren Wert nicht so schnell wie andere Wagen. Ihre Besitzer hatten es nicht nötig, die Mode mitzumachen, und Henry hatte immer wieder erklärt, es sei sinnlos, den Wagentyp zu ändern, nur um etwas Neues zu haben. Das Modell T würde auch Modell T bleiben. Und da er es sagte, blieb es auch dabei. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass das amerikanische Volk auch die Mode mitmachen wollte. Die Fordagenturen und Verkäufer hätten ihnen gern dabei geholfen. So kam es, dass 1913 eine andere Spielart des Modells T herauskam, und nun gab es auch schon ein Modell 1914, und bald würde der Ford Modell T 1915 auf dem Markt erscheinen. Wer es sich leisten konnte, die Mode mitzumachen, oder wer glaubte, es würde für sein Geschäft eine gute Reklame sein, verkaufte schleunigst seinen alten Wagen und erstand einen neuen.
An einem der offenen Stände, wo die Händler mit gebrauchten Wagen ihre Geschäfte machten, entdeckte Abner einen Modell T von 1910, der für >dreieinviertelhundert< angeboten wurde. Wenn Abner von einer Sache etwas verstand, so waren es Fordwagen. An diesem hatte er wahrscheinlich die Achsenmuttern noch selbst aufgesetzt. Er probierte ihn aus und war zufrieden; den konnte er noch gut zehn Jahre fahren, wenn er auch ab und zu ein bisschen daran würde herumbasteln müssen. In dieser Zeit würde er eine Menge Fahrgeld sparen, von den Schmerzen in den Füßen und Knien ganz zu schweigen.
Die Familie tat so einen Schritt nicht, ohne sich vorher mit dem gütigen Mann der Sozialen Abteilung zu beraten. Er kam und besprach es mit Milly. Das sei ein vernünftiger Gedanke, meinte er. Außerdem ehrten sie ja auch ihren Arbeitgeber, wenn sie sich einen seiner Wagen hielten. So zahlte Abner 50 Dollar an und verpflichtete sich, monatlich 10 Dollar abzuzahlen, dazu zwei Prozent Zinsen pro Monat; das war mehr, als es zunächst schien. Zahlten sie nicht, so würde der Wagen an den Verkäufer zurückgehen. Aber sie würden ja zahlen, daran zweifelten sie gar nicht.
Ho-ho! Da kam Abner mit seinem herrlichen Wagen vorgefahren! Die ganze Familie stürzte hinaus, um es zu sehen. Bis heute war das der stolzeste Augenblick ihres Lebens, ohne Zweifel! Ihre soziale Stellung in der Nachbarschaft stieg gewaltig. Einer von Millys Brüdern hatte einen Wagen und sie ein- oder zweimal mitgenommen. Aber noch keines der Kinder war je in so einer Schöpfung gefahren, die ihr Vater mitgebaut und von denen er seit elf Jahren immer erzählt hatte. Die vier hatten gerade auf dem Rücksitz Platz. Sie kreischten und hüpften vor Vergnügen. Abner musste mit ihnen noch vor dem Abendessen einmal um den Block herumfahren.
Sie hatten keine Garage für den Wagen. Das gab wieder Arbeit für Abner, die er in seiner freien Zeit ausführen musste. Sein alter Vater half ihm dabei. Der hatte trotz der achtzehn Jahre, die er nun schon als Nachtwächter verbrachte, nicht vergessen, dass er Zimmermann gewesen war. Das war auch wieder eine gute Gelegenheit, Abners Bonusgeld anzulegen. War schon recht schwer, das Geld in diesem Land zusammenzuhalten, wo es so frei und unbekümmert ausgegeben wurde.

Abner und Milly verstanden nichts von Volkswirtschaft, sonst hätten sie sich alle Geldsorgen ersparen können. Denn solange die Völker Asiens und Europas Krieg führten, würde es eine unaufhörliche Nachfrage nach Transportmitteln geben und nie an Arbeit und Beschäftigung für jene fehlen, die mit dafür sorgten, dass man Munition und Menschen an die Fronten fahren konnte. Die Welt würde auch weiterhin alle Wagen kaufen, welche die Ford-Motor-Company je erzeugen konnte. Wenn Henry Ford den Preis herabsetzte, so tat er es, weil er es so wollte, nicht aber, weil er dazu gezwungen war.
Ford erfasste die Situation. Er war ein Idealist und stolz darauf, dass er ein >sauberes< Vermögen durch die Erzeugung nützlicher Güter verdient hatte, nicht aber durch Raub und Krieg. Doch jetzt hatte er das Gefühl, es klebe Blut an seinem Geld. Darüber konnte ihn auch die Tatsache nicht täuschen, dass die Verkaufsabteilungen das Geld abwischten, bevor sie es ihm überreichten. Er ließ sich von niemandem hinters Licht führen, denn in dieser Phase seines Lebens machte er sich selbst noch nichts vor.
Er verurteilte den Krieg als eine unvernünftige und überhaupt scheußliche Sache. Er wandte immer weniger Zeit an die Erfindung neuer Essen und Stanzen, sondern er schrieb und sorgte dafür, dass Interviews und Artikel veröffentlicht wurden, die den Krieg verurteilten und sein Ende forderten. Den anderen Geschäftsleuten, deren einziges Ziel es war, soviel Geld wie nur möglich zu verdienen, ganz gleich wie - diesen anderen schien seine Propaganda unpatriotisch und das um so mehr, weil viele von ihnen sich bemühten, Amerika in diesen Konflikt hineinzuziehen, damit sich ihr Vermögen über Nacht vervielfachte. Der Vizepräsident der Ford-Motor-Company, James Couzens, der vor elf Jahren tausend Dollar eingeschossen hatte, stellte jetzt seinen Posten mit der Begründung zur Verfügung, er habe keine Lust, sich von Henry Ford wie von einem Habicht bewachen zu lassen.
Aber es gab auch andere, die glaubten, dies sei immerhin ein recht großmütiger Habicht. So die Pazifisten, die sozialen Erneuerer, all jene Männer und Frauen, die meinten, in der Welt sei etwas verkehrt; all jene, die es sich zur höchsten Aufgabe gemacht hatten herauszufinden, wie man die Übel beseitigen könnte. Diese Leute hatten meistens kein Geld, weil ihnen die Zeit fehlte, es zu verdienen, oder aber die Gabe, ihre Mitmenschen auszurauben. Doch sie hielten stets Ausschau nach einem der das nötige Geld hatte, um ihre Ideen zu verwirklichen.
Seit der Verkündung des Bonusplanes war Henry Ford für viele soziale Neuerer eine Verheißung. Delegationen standen täglich vor seinem Büro oder seinem Haus, täglich erreichte ihn ein Sack Briefe. Henry hatte diese Besucher nie vorgelassen, weder ihre Briefe gelesen noch durch seine Sekretäre beantworten lassen. Doch jetzt, da er sich als Pazifist entpuppte, gelang es vielen dieser Leute, mit ihm in Verbindung zu treten, und man raunte, Henry Ford sei in gefährlicher Gesellschaft, ja, er werde von verrückten und betrügerischen Elementen missbraucht. Solche Märchen wurden gerne von den militaristisch eingestellten Leuten geglaubt, die Amerika davon überzeugen wollten, man müsse mehr Geld für die Rüstung ausgeben. Auch jene prominenten Persönlichkeiten glaubten es, die die Sitten und Ideale der englischstämmigen Oberschicht für die höchsten und nobelsten der Welt hielten.
So dämmerte es Abner, als er eines Nachmittags seine Zeitung las, dass es Leute gab, die es wagten, seinen großen und gütigen Arbeitgeber zu kritisieren und über ihn zu schimpfen. Er war entsetzt, und täglich wuchs seine Empörung. Andere mochten in ihrer Treue schwankend werden, niemals aber Abner Shutt! Sah er nicht das große Werk aufwachsen? Sah er nicht neue Gebäude sich erheben, deren Zweck und Nutzen er kaum erfassen konnte? Aber er wusste, das war alles richtig so, denn Mr. Ford und sein Stab wollten es so. Ford, wir folgen dir! Er baute vernünftige und nützliche Dinge! Plünderer und Mordbrenner waren alle, die ihn hassten und ihn gern zu Fall bringen wollten. Abner hasste den Krieg, aber in einen Krieg wäre er fröhlich hineingeschritten - in den Krieg Henry Fords gegen Wallstreet.

Rosika Schwimmer hatte vor Ausbruch des Krieges in Ungarn gelebt. Sie kämpfte für die Frauenrechte, den Kinderschutz, den Frieden. Da im Kriege pazifistische Agitatoren im österreichisch-ungarischen Kaiserreich nicht mehr gelitten waren, hatte sich Rosika in die neutralen Länder begeben und schließlich in die Vereinigten Staaten. Dort arbeitete sie mit Jane Addams und anderen an einem Plan: der >ständigen Vermittlung zwischen den Kriegführenden<.
Rosika besuchte Henry Ford und gewann ihn für ihren Plan. Sie gewann ihn auch für ihre Person, er bewunderte die Frau, die wirklich etwas von Frieden und dem Weg dahin verstand. Sie hielt ihm vor Augen, dass jeden Tag zwanzigtausend Männer getötet würden, dass es Menschen in höchsten Stellungen gebe, die diese Tatsache kalt
und berufsmäßig betrachteten, dass die Kriegslüsternen wollten, es solle immer so weitergehen.
Henry hasste jegliches Zaudern. Wenn er etwas wollte, so setzte er sich auch dafür ein. Er ließ sich bei Präsident Wilson anmelden und erfuhr, Washington werde keinen Schritt tun, der dem britischen Empire missfallen könnte. Wenn ein solcher Schritt unternommen werden sollte, so musste Ford ihn also selbst tun. Rosika schlug vor, mit einer Delegation amerikanischer Pazifisten die neutralen Länder zu besuchen und dort den Plan einer >Konferenz der neutralen Nationen zum Zwecke ständiger Vermittlung zwischen den kriegführenden Völkern< zu verwirklichen. Eine derartige Bewegung würde sich rasch ausbreiten, war sie erst einmal ins Leben gerufen.
Ford entschloss sich, ein Schiff zu chartern und die Pazifisten Amerikas aufzufordern, ihn auf seinem Kreuzzug zu begleiten. Das war im November 1915, und jemand hatte den Satz geprägt: >Bis Weihnachten müssen die Jungen aus den Schützengräben sein<. Das klang gut, und Ford griff ihn auf. Hätte es sich um einen Auftrag zur Herstellung von hunderttausend Tachometern gehandelt, er hätte die Arbeitsprozesse berechnet und erkannt, dass es in dieser Zeit nicht zu schaffen war. Aber hier handelte es sich um die Rettung des Lebens von zwanzigtausend Menschen pro Tag - also einer Million bis Weihnachten -, und Ford hatte es eilig. Der Satz von den >Schützengräben< sei »keine Prahlerei, sondern ein Gebet«, sagte Henry Ford.
Er setzte einen Stab ein, um den Kreuzzug in Gang zu bringen. Er charterte den Dampfer >Oskar II<. Mit Rosika und seinen neuen pazifistischen Freunden stellte er eine Liste angesehener Personen zusammen, darunter auch die Gouverneure der 48 Staaten und der Staatssekretär William Jennings Bryan. Mr. Bryan lehnte ab. Siebenundvierzig Gouverneure lehnten ebenfalls ab. Aber andere waren bereit, ihren Platz einzunehmen, und Ford ließ sie kommen. Die >Reform der Welt< war für ihn Neuland, und er wusste in seiner Einfalt wirklich nicht, wie viel verschrobene Geschöpfe darauf herumliefen.
Henry Fords Ankündigung des >Friedens-Kreuzzuges< erschien. Das war die größte Sensation seit Kriegsausbruch. Amerikas erfolgreichster und schnellster Millionär wollte ein Friedensschiff auf den stürmischen Atlantik führen und trotz aller Unterseeboote eine Ladung pazifistischer Agitatoren hinüberbringen. Teddy Roosevelt, der sich kriegerisch gab, nannte dies Unternehmen >das beschämendste Ereignis des Vaterlandes<. Ein Rechtsanwalt von Wallstreet, der sich noch vor der Wahl gegen Teddy gestellt hatte, nannte Henry jetzt einen >Hinterwäldler und Clown<. - >Fords Zirkusschau<, >ein Friedenspicknicks >eine Lustfahrt mit dem Blechauto<, so zogen die Blätter Wallstreets vom Leder. Aber Henry erwiderte nur: »Einen Krieg zu beenden ist ein großer Kampf. Man darf ihn nicht vor den üblen Ergüssen leitartikelschreibender Komödianten aufgeben.«

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