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Walter Schönstedt - Kämpfende Jugend (1932)
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VII.

Der ,Junge Wühler' war fertiggestellt worden. Ernst brachte 300 Nummern angeschleppt. Das Papier war schlecht, die Schritt stellenweise verwischt und unklar. Aber der Inhalt war gut. Trude, Theo, Karl und Doktor saßen zusammen, als Ernst kam. Jeder nahm sich eine Zeitung und begann zu lesen. Ernst stellte sich ein paar Schritte abseits und betrachtete die Genossen lauernd. Doktor nickte ihm ein paar Mal verstohlen zu und deutete auf Theo. Die anderen lasen alle. Besonders der Artikel auf der ersten Seite interessierte sie lebhaft.

„Werktätige Jugend — Vorwärts!
In allen Städten, auf allen Straßen, in allen Dörfern Deutschlands herrschen Hunger und Not. Millionen Unterdrückte sammeln sich zur Volksrevolution gegen den Faschismus, für den Sozialismus unter Führung der Kommunisten. Das Volk kennt keine Gesetze mehr, das Volk meutert. Das Volk hat keine Angst vor den Pistolenläufen der Bourgeoisie. Das herrschende System klappert in seinen Fugen. Der Bolschewismus ist im siegreichen Vormarsch. Deshalb flehen die Machthaber in Deutschland um die Hilfe ihrer imperialistischen Freunde in Amerika und Frankreich. Deshalb der Hooverplan. Nicht deshalb, weil Hoover mit dem werktätigen deutschen Volke Mitleid hat, sondern weil in Deutschland Milliarden amerikanischen Kapitals stecken. Das droht, ihnen verloren zu gehen: der Bolschewismus wird keinerlei Schulden der bürgerlichen Gesellschaft anerkennen. Der Hooverplan bedeutet die Schaffung einer antibolschewistischen Kriegsfront gegen die Volksrevolution, gegen die siegreiche Sowjetunion.
Der Hooverplan bringt keine Erleichterung. Brüning erklärte: an der Notverordnung wird nicht gerüttelt. Die Machtgier der Kapitalisten ist unersättlich. Die Angst vor dem Bolschewismus zu groß. Deshalb scheitern alle Pläne zur Liquidierung des räuberischen Youngplans. Deshalb werden alle Schulden, die die herrschende Klasse gemacht hat, aus den Knochen des gesamten werktätigen Volkes gepresst.
Junge Arbeiter, deshalb kommt man Euch heute mit der faschistischen Arbeitsdienstpflicht. Mit Zuckerbrot und Peitsche werdet Ihr erzogen. Für die lausigen paar Mark Unterstützung sollt Ihr Zwangsarbeit leisten. Und weil die Arbeitsdienstpflicht beschleunigt eingeführt werden soll, weil der Widerstand der jungen Arbeiter wächst, weil nach dem sozialdemokratischen Parteitag Hunderte junger Sozialdemokraten zu uns kommen hat der sozialdemokratische Polizeipräsident Euer Kampforgan, die ,Junge Garde' verboten. Diese Zeitung hier ist die Antwort der Gruppe Nostizstraße des KJV. Wir lassen den ,Jungen Wühler' jetzt regelmäßig erscheinen. Er wird in Eurer Sprache zu Euch sprechen, wird Euch den Weg zeigen aus dem Elend, den Weg unserer russischen Brüder, den Weg der russischen Jugend und ihrer heroischen Kämpfe: den Weg zum Sozialismus! Abonniert die ,Junge Garde'! Protestiert, kämpft mit uns! Sozialdemokratischer Jungarbeiter, her zu uns! Hinein in den Kommunistischen Jugendverband!"

Einer nach dem andern legte die vier Seiten starke Zeitung wieder hin. Alle machten furchtbar ernste Gesichter. Nur Trude freute sich. Karl faltete die Zeitung zusammen und trommelte damit auf den Tisch. Dann begann er langsam zu sprechen:
„Hm, ja, ganz gut. Muss aber noch viel, viel besser werden Der erste Artikel ist ausgezeichnet. Hinten die gehen auch. Habt Euch Mühe gegeben "
Ernst tat liebenswürdig, als ob ihm ein Lehrer unter seine Arbeit ,lobenswert' geschrieben hat und platzte dann plötzlich los:
„Genosse Karl, den nächsten Leitartikel schreibst Du Fass alles, was in den nächsten Tagen passiert, zusammen und stell ihn mir in acht Tagen zu, verstanden?'
„Was? Ich? Mensch, ich bin so mit Arbeit überlastet. Das geht nicht. Aber ja. — Ich werde sehen. Du bist ja ziemlich energisch, mein Lieber Du sollst doch die Zeitung machen."
„Genosse Gruppenleiter, zusammensetzen soll ich sie und las Material verwalten. — Hab gar nicht vorher dran gedacht.
Dann machte er eine ulkige Verbeugung, schnippte neckisch mit dem Finger und wiederholte buchstabierend:
„Zu—sam—men—set—zen. Ge—nos—se Grup—pen—lei—ter."
Die Genossen lachten, Trude schlug Ernst lustig auf die Schulter wie ein Rollkutscher und schließlich begann auch Karl zu grienen. Sie saßen bei Frau Schade in der Stube. Frau Schade war zum Zellenabend der Partei gegangen. Hier konnten sie ungestört alle Arbeiten besprechen. Doktor kramte in Theos Bücherregal und legte ein Buch nach dem anderen auf den Fußboden.
„Kiekt Euch den Bücherwurm an."
„Du hast wohl gar keine Romane, Theo", rief Doktor, „hier liegen Broschüren, Broschüren und nochmals Broschüren. Und ein paar Gorki-Bähde."
„Die genügen vollständig. Hab keine Zeit zum Lesen, Mensch, wenn man alles lesen sollte, was heute so rauskommt."
Doktor stand auf und vergaß, die Bücher zurückzulegen. Er war aufgeregt, sah seine Genossen an, räusperte sich mehrere Male und es sah aus, als wenn er jetzt eine große Rede halten wollte.
„Das ist Unsinn! Zum Lesen muss man einfach Zeit haben. Man muss sich auch mit seinem eigenen Ich beschäftigen Das ist überhaupt noch ein Problem bei uns im Jugendverband, jawohl! Man muss einen Ersatz, sozusagen einen Ersatz für die Religion finden. Man muss die Genossen zum organisierten Denken erziehen. Diese Frage steht vor allem auch später in der Aufbauperiode des Sozialismus. Diese ganzen persönlichen Schwierigkeiten unserer Genossen kommen doch nur daher, weil sie Arbeitsmaschinen sind. Ich sehe, Ihr lacht und versteht mich sicher wieder mal falsch. Aber es ist so, Genossen."
Trude schüttelte den Kopf hin und her und die Haare fielen Ihr ins Gesicht. „Das sind doch mal wieder Theorien. Was heißt Ersatz für die Religion? Was meinst Du überhaupt? Und wenn wir jetzt Arbeitsmaschinen sind, zäh und dauerhaft, ununterbrochen an unserem Platz stehen, so kann doch das nicht schaden. Und wenn eine Maschine, oder ein Teil von ihr, verbraucht ist, dann wird sie eben abmontiert, mein Lieber. Das ist. bolschewistisch. In der Jetzigen Situation brauchen wir nur Kämpfer, Arbeiter, die wissen, wo ihr Platz ist. Und die werden sich nicht mit ihrem Ich beschäftigen, sondern nur mit dem Kampf ihrer Klasse. Ersatz für Religion — nenne das Ding meinetwegen so, wie Du willst, ist der Kommunismus und der Fünfjahrplan. Und wenn der Fünfjahrplan beendet ist, dann kommt ein neuer. Genossen, die politisch klar denken, haben keine Schwierigkeiten. Alle persönlichen Probleme werden so gelöst, wie es eben möglich ist. Und wenn er dazu viel Zeit verbraucht, ist er eben kein guter Kommunist."
„Sehr richtig!"
„Ja, aber wenn jetzt die Reaktion eintritt? Auf dem einzelnen ist doch die Kollektive aufgebaut. Unsere Genossen sind durchweg alle sexuell unbefriedigt."
„Das kann ich gerade nicht behaupten", warf Ernst lachend ein.
Trude lehnte sich auf dem alten Plüschsofa weit zurück.
Ü ber ihrem Kopf lächelte das Leninbild.
„Ach, Doktor. Darüber gibt es soviel Theorien in Russland heute noch. Speziell über die sexuelle Frage. Da ist die Glas Wasser-Theorie, die Zehnmänner-Theorie, da sind die schwarzen Mucker, die Askese predigen; und während sie ihre Theorien aufstellen, löst die proletarische Jugend diese Fragen unter sich. Eben weil sie viel realer zum Leben eingestellt ist. Das sind sekundäre Fragen. Vielleicht muss man sich später damit beschäftigen. Aber das Grundlegende ist doch: Schaffung von gesunden ökonomischen Verhältnissen. Damit ist auch die sexuelle Frage gelöst. Die Schwierigkeiten, von denen Du sprichst, sind doch nur technischer Natur. Angst vor Empfängnis, wo sollen wir hingehen und so weiter."
„Jawohl. Im Park, im Hausflur. Da müssen sie sich herumdrücken. Gebt ihnen eine Bude und ein anständiges Bett, dann wird vieles besser", sagte Theo, als ob er aus eigener Erfahrung spreche.
Doktor war immer noch nicht beruhigt: diese Heuochsen, sie verstehen mich nicht. Karl stierte nach der Decke und dachte nach. Doktor fing wieder an, hartnäckig seinen Standpunkt zu vertreten.
„Sieh mal, Trude, ich meine jetzt nicht nur das rein sexuelle. Es muss doch in der Liebe auch etwas Psychologisches geben. Man kann doch da nicht einfach immer mitmachen. Ich brauche jedenfalls einen geistigen Kontakt und eine fördernde Umgebung... "
„Ja, natürlich... da kann man sich doch nicht einfach so hinlegen... Mensch, hör doch bloß uff! Unsere Parole ist: alles für die proletarische Klasse. Auch die Liebe. Dient sie dem Klassenkampf, fördert sie, gibt sie neue Kraft, dann ist es gut, egal, wie es die Menschen fertig gebracht haben. Stiftet sie aber Verwirrung und schafft sie Fesseln, dann fort mit ihr, dann ist sie kleinbürgerlich, sentimental und rückständig. Erst im freien sozialistischen Staat werden wir lieben können, wie wir wollen. So wie es jedem passt. Da gibt es nur Kameradschaftlichkeit und Sexualität. Das ist die Liebe, die nicht mehr abhängig ist von der Moral degenerierter Bürger und des Kapitals. Alles was im Dienste des Klassenkampfes steht, ist für uns gut und wichtig. Das andere geht uns nichts an. Und wer diese Fragen in den Mittelpunkt stellen will, stiftet Verwirrung in den unklarsten Köpfen und ist auch kein guter Kommunist."
Doktor sah sie betroffen an und setzte sich auf einen Stuhl.
„Jetzt hört aber mit dem Gequatsche auf", sagte Theo. „Ist gar nicht wichtig."
Es klopfte und Elli kam, Sie kam fast immer zu spät.
„Wo kommst Du jetzt her?"
„Musste Überstunden machen. Ein paar sind auf Ferien, aber jeden Tag geht die gleiche Post raus wie sonst. Da muss man doppelt arbeiten. Kein Vergnügen ... ."
Doktor sprang auf: warum war sie nicht früher gekommen? Vielleicht hätte ich eine Hilfe gehabt. Er gab ihr die Hand. Aber sie sah ihn ganz knapp an. Ihre Backen waren von einem leichten Rot überzogen und ihre Augen glänzten. Die anderen Genossen blieben sitzen. Als Gruß schlugen sie die Faust auf den Tisch, dass er wackelte. Alle setzten sich zurecht und Karl begann:
„Genossen, wir unterhalten uns jetzt ganz kurz über ein paar wichtige organisatorische Arbeiten. Wir können ruhig sagen, dass unsere Landagitation ein voller Erfolg war. Die Genossen, die wir mitgenommen haben, schlafen dort, wo unsere Genossen geschlafen haben, die jetzt nach Langendorf gefahren sind ... "
„Na siehste. Und Du hast erst so große Angst gehabt." „Der ,Junge Wühler' ist auch fertig. Bis auf einige Mängel kann man damit zufrieden sein. Man muss jetzt mit den Fünferführern den Vertrieb organisieren. Die Zeitung ist gerade jetzt zum Verbot der ,Jungen Garde' zur rechten Zeit erschienen. Aber der Hauptpunkt unserer Zusammenkunft bildet der schwächste Punkt unserer Arbeit: die Betriebsarbeit. Wir haben einen schweren Rüffel bekommen. Und das mit Recht. Uns nützt die Entschuldigung nichts mehr, wir haben keine Großbetriebe. Der Betrieb „Deutsche Telefunken-Werke" liegt in unserem Bereich und da muss jetzt mit aller Kraft vorgestoßen werden. Wie Ihr wisst, bestand dort eine Betriebszelle, die wieder eingegangen ist, weil man dort alle unsere Genossen und Sympathisierenden entlassen hat. Wir müssen einige Genossen bestimmen, die gleich mit den Vorarbeiten beginnen und dann alle Kräfte unserer Gruppe darauf konzentrieren. Ich glaube, dass alle Genossen von dieser Notwendigkeit überzeugt sind. Wir brauchen die Betriebsarbeiterjugend. Und dieser Betrieb gehört zur Metallbranche. Wir können dort die Frage eines siegreichen Metallarbeiterstreiks nicht stellen, wenn keine Betriebsgruppe vorhanden ist. Und sie wird geschaffen werden. Es muss einfach möglich sein. In einigen großen Metallbetrieben hat der Lohnraub unter den Jugendlichen schon eingesetzt. Die Jugendlichen werden ihre Forderungen neben denen der Erwachsenen stellen. Die Jugend der RGO. wird den Kampf organisieren. Wir haben noch nichts getan, Genossen; das muss sofort nachgeholt werden."
Trude saß da, ernst und nachdenkend. In ihr brodelte eine ansteckende Kraft. Doktor malte auf einem Stück Papier. Theo sprach:
„Richtig, Genossen. Ich werde mich nach Feierabend zur Verfügung stellen, trotzdem ich ja schon in einer Betriebszelle im Südosten bin. Aber das geht nicht mehr so weiter. Vor uns stehen entscheidende Fragen. Ich konnte mich um diese Frage weniger kümmern. Aber zum Donnerwetter, wir haben doch noch mehr
Genossen!-------Doktor! Was ist mit Dir? Willst Du die Arbeit nicht
ü bernehmen?"
Doktor schreckte auf. „Was? Ich hab gar nicht richtig hingehört."
„Das ist doch allerhand! Hört einfach nicht hin. Also, Doktor bekommt jetzt den Auftrag, die Vorarbeiten zur Gründung einer Jugendbetriebszelle bei ,Telefunken', Tempelhofer Ufer, zu organisieren. Die Genossen, die er dazu braucht, soll er sich aussuchen. Ich empfehle den kleinen Genossen aus Langendorf — den mit der Pfeife — und den neuen Genossen Erich Schmidt, der sich gut eingearbeitet hat."
„Also, Ruhe. Doktor und ich werden die Sache erledigen. Das ist besser so", meinte Karl.
Doktor pustete sich beleidigt auf. Er sagte in derselben Tonstärke wie Theo: „Ja, ich bin einverstanden. Natürlich. Brüll mich aber gefälligst nicht immer so an. Ich höre nicht schlecht!"
„Na. Du hast doch eben geschlafen", erinnerte ihn Elly.
Donnerwetter, von Elly hatte er das nun gerade nicht erwartet. Was war da los? Sie war doch sonst anders. — Der Mensch bleibt eben nicht stehen. Er geht weiter, wird klarer. — Noch dazu im Kommunistischen Jugendverband. Und Elly war einen großen Schritt weitergegangen. — Ihm wurde ganz heiß zumute, er verspürte aber keinen Zorn. Nur so ein ganz kleiner Wurm nagte in seinem Kopf und fraß raspelnd an seiner Ahnungslosigkeit.
Karl sprach weiter. „Die Antwort auf das Verbot der ,Jungen Garde' ist ungenügend. Man muss die Jungarbeiterschaft der umliegenden Straßen mobilisieren. Man muss eine Demonstration organisieren. Legal dazu einladen und illegal organisieren. Die beste Möglichkeit bietet sich beim Verkauf des ,Jungen Wühlers'... "
Theo richtete sich auf. Er hatte sich eifrig Notizen gemacht und hatte schon einen Plan.
„Ich schlage vor, gleich morgen eine Haus- und Hofagitation durchzuführen. Dabei können Zeitungen und Material verkauft und gleichzeitig auf die Demonstration aufmerksam gemacht werden."
„Jawohl, einverstanden. Will ein Genosse noch sprechen?"
Keiner meldete sich.
„Schön, gehn wir jetzt nach Hause. Doktor, Du musst Dich sofort an die Arbeit machen. Heute ist Montag und spätestens Freitag verlangen wir einen positiven Bericht. Besprich alles mit Karl."
„Mal sehn, ich werde es jedenfalls versuchen. Wird schon gehn."
Die Genossen standen auf und wollten gehen. Da besann sich Theo. „Wartet mal einen Moment, Genossen. Einige junge Arbeiter aus der Nostizstraße haben sich zu einer Klicke zusammengefunden. Man muss diesen Leuten zeigen, wie falsch sie handeln. Ich weiß, wann sie ihre nächste Sitzung haben und werde hingehen und mit ihnen sprechen. Weiter: Ihr kennt ja die Artikel, die der ,Angriff' über die Nostizstraße schreibt, von wegen ,rotes Chicago' und so weiter. Diese Artikel verfehlen auf die verbohrten SA.-Männer nicht ihre Wirkung. Der Nachrichtendienst meldet uns heute, dass die Nazis einen Sturm auf die Nostizstraße und auf das Lokal hier planen... ."
„Oho! Lass sie man kommen!"
„...darauf müssten wir eigentlich alle Tage vorbereitet sein. Man muss sofort alle Abwehrmaßnahmen treffen. Vor allem gilt es, die Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen. Sie sollen ruhig ein paar Blumentöpfe mehr auf die Fensterbretter stellen... Die ,Rote Jungfront' werde ich benachrichtigen. Die haben ja darin mehr Erfahrung als wir und sie sollen die Leitung übernehmen. Weiter wird uns mitgeteilt, dass die Brüder Viktor und Hermann Rhoden bei den Nazis gelandet sind... ."
„Das hab ich mir gedacht."
„Ach, die armen, irren Freunde!"
„Wir werden mit ihnen sprechen müssen. Und wenn wir es geschickt anfangen, werden wir sie loslösen können. Stellen wir fest, dass sie sich an Überfällen auf Arbeiter beteiligen, werden sie als Faschisten behandelt. Solche haben in der roten Nostizstraße nichts zu suchen. So. das wäre alles."
Leise liefen sie die Treppen hinab Im Hausflur standen Edith und Kater. Sie taten harmlos, und Edith schüttelte ihr rotblondes Köpfchen, als ob sie sagen wollte: ist nichts gewesen, meine Lieben.
Die Straße war menschenleer. Nur an der nächsten Ecke stand wuchtig und sinnlos die allnächtliche Schupopalrouille. Ernst lachte und stieß Theo an.
„Du, da würde ich um die herum Plakate kleben. Die würden nichts merken Tun mir leid, die armen Kerls. Jede Nacht müssen die auf die Nostizstraße aufpassen."
„Na, ja", gab Theo schläfrig zurück, „irgendwie muss doch der Hass gegen die Kommunisten in ihnen organisiert werden,"
Doktor wollte mit Elly nach Hause gehen. Aber sie war auf einmal verschwunden. Er hatte das gar nicht bemerkt. Sonst sprach sie immer nach Sitzungen gern mit ihm und ließ sich die Seele waschen. Aber heute haute sie einfach ab. Er lief daher noch ein Stück mit Trude und legte seine altbekannte Platte auf.
„Sieh mal, Genossin Trude, ich meinte ja vorhin gar nicht nur die Liebe Es gibt doch Dinge im menschlichen Leben, die augenblicklich mit dem Kampf nichts zu tun haben. Die einfach... "
Sie unterbrach ihn auf eine grobe Art. Das tat sie sonst nie. Ihm ging heute auch alles gegen den Strich.
„Doktor, verschon mich bitte mit dem Gewäsch. Ich habe jetzt andere Gedanken. Komisch, darüber möchtest Du Dich gern unterhalten. Warum sprichst Du nicht über die anderen Fraßen, die wir behandelt haben. Über die Betriebszelle? Wenn Du Dich darüber mit mir unterhalten willst, bitte."
„Nein, eben das ist es ja. Das macht uns alle kaputt."
Er lief los. Unterwegs murmelte er: „Ach, diese Weiber..."

Am andern Abend hatte die „Klicke Edelsau"' ihre Sitzung. Vor einem Lokal in der Bergmannstraße standen Franz und Kater.
„Wer weeß, ob die Olle Lichtgeld verlangt?"
„Ach wat. Ick hab ihr doch gesagt, wir machen später großes Eisbeinessen."
Langsam kam einer nach dem anderen. Sie kamen gleichgültig, ohne Neugier.
„Na, wat steht Ihr hier?"
„Jeht man rin! Wir warten auf die andern, damit sie wissen, wo es ist."
Hinter dem Schanktisch stand eine fette Wirtin. Unter ihren Augen lagen ein paar ausgedörrte Tränensäcke. Als die Gäste kamen strich sie sich übers spärliche Haar.
„Wünschen die Herren etwas?"
Ihre Stimme war die einer Greisin. Sie piepste, überschlug sich und war lauernd. In ihren Backen schob sie etwas hin und her. Vielleicht einen Bonbon, vielleicht auch einen Priem. Nein, die Herren wünschten nichts. Sie hatten kein Geld Nur Franz kaufte sich einen Recher und sah die anderen knurrend an.
„Mensch, een Becher könnt Ihr Euch doch bestelln. Wat is denn det... ." flüsterte er.
„Bestell doch, wenn Du willst. Hauptsache, Du bezahlst", gab Spinne ebenso knurrend zurück.
Im Schaufenster stand ein großes Vogelbauer. Da sprang eine alte, sehr alte Dohle drin herum. Hinter dem altklugen Köpfchen hatte sie eine rote Stelle. Sie krächzte erbärmlich, legte den Kopf weit auf die Seite und sah frech und herausfordernd die Gäste an. An der Tür zum Vereinszimmer hing ein kleines Pappschild: „Das Fangen von Schmetterlingen und Vögeln ist in meinem Lokal verboten. Der Wirt." In der ganzen Bude roch es nach kaltem Rauch und abgestandenem Bier. Der Geruch setzte sich sofort in die Kleider. In einer Ecke stand ein eiserner Kanonenofen und daneben ein schmutziges, graues Plüschsofa. Verschüchtert räkelten sich die Jungens. Die Wirtin legte eine Platte auf, und das Grammophon quakte: „Auch Du wirst mich einmal betrügen, wirst mich nicht immer lieben!" Kater feixte sich eins und sagte schmalzig, als ob ihm das Herz auseinander reißen wollte: „Ach, ja." — Edith und Frieda kamen. Frieda war scheu, sie sah sich ständig um und setzte sich dann auf einen Stuhl. Edith lächelte, ihr Haar leuchtete, und sie trat gleich wie ein verschwitzter Bauarbeiter an die Theke. Jeder dachte, sie bestellt sich jetzt einen großen Korn und 10 Juno. Sie sagte aber nur mit leiser Stimme:
„Ein Glas Himbeerwasser."
Die Wirtin nahm die Bürste, fuhrwerkte damit in einem Glase herum und warf es ein paar Mal im Spülbecken ärgerlich hin und her.
„Los, woll'n wir anfangen."
Sie gingen in das kleine Vereinszimmer. Die elektrische Lampe war für den kläglichen Raum viel zu hell und blendete die Augen An der Wand hingen Bilder in verschnörkelten Bilderrahmen. „Der Ausflug des Sparvereins ,Goldene 7' am 14. Februar 1909." Und darüber eins mit dicken, nackten Männern. Sie hatten Brüste beinahe wie Weiber, und vor ihnen standen Zentnergewichte. Die Wirtin kam hereingefegt und nahm die Decken von den Tischen. Sie knüllte sie unter dem Arm zusammen und brummelte dann: „Ist wohl nicht nötig, wa?"
„Nee, is bei uns janich nötig", echote Kater zurück.
Franz setzte sich hin wie ein kleiner Bonze. Sogar ein kleines blaues Heft hatte er vor sich auf den Tisch gelegt. Der Ordnung halber. Dann machte er ein furchtbar ernstes Gesicht, und die anderen mussten grinsen.
„Wat lacht Ihr denn, Ihr Affenköppe?" Wieder kicherten sie, und Edith platzte laut los.
„Du alte, rothaarige Hexe! Hör uff zu lachen. Wir machen jetzt unsere Sitzung ... "
Komisch, die anderen lachten trotzdem weiter, und Spinne konnte sich nicht mehr halten.
„Halt mir feste, Mensch, ick muss wiehern. Junge, ick muss wiehern."
Franz wurde wütend, lieber die Nasenwurzel legten sich wieder die kleinen, ärgerlichen Falten. Er sprang auf und schlug die Faust auf den Tisch.
„Zum Donnerwetter — was ist denn los? Wenn Ihr nicht ruhig seid, machen wir eben keine Sitzung!"
Langsam wurde es ruhiger. Die Wirtin kam noch einmal schwer fällig und bissig herein.
„Wenn Sie wat bestellen wolln, da is die Klingel. Da brauchen Se bloß ruff zu drücken."
„Na, passt mal uff", sagte Orje, „zu einer Sitzung gehört vorher ein Lied Denn wird ooch die Stimmung anders."
Auf die Stimmung kam es an, und sie sangen dann auch ein romantisches Lied.
Die anderen Lieder singen sie lieber draußen, damit es die Leute hören und sich ärgern. Sie zeigen sich nicht so öffentlich in ihren Stimmungen. Kein Mensch wird die Psyche des jungen Proleten erkennen. Es sei denn, ein junger Arbeiter packt sie vor ihm auf den Tisch, so wie sie ist.

„Als schon der Vollmond hintern Hügel trat,
Saßen beim Feuerschein
Einsam ein Cowboy und sein Kam'rad;
Kam'rad schaute traurig drein.
Drauf spricht der andre:
Komm, Jim, und wandre,
Wandre mit mir zur Stadt.
Schlag dir das Mädel wohl aus dem Schädel,
Das dich betrogen hat.
Wo weilt sie jetzt... ?"

Statt ,Mädel aus dem Schädel schlagen sang Kater: „Schlag doch der Dirne eins auf die Birne." Und Edith knallte ihren zierlichen Schuh gegen sein Schienbein. Jetzt waren alle vernünftig. Stolz begann Franz: „Wir machen heute unsere erste Sitzung. Zuerst müssen wir festlegen, wie viel Beitrag jeder zahlen soll... "
„Wat, Beitrag?"
„Du bist wohl verrückt geworden!"
„Haltet doch Eure Fressen! Beitrag muss doch gezahlt werden, das ist doch überall so."
„Von was soll denn die Fahne bezahlt werden? Und dazu ist es auch ganz gut, wenn wir eine Kasse haben... "
„Jawohl, janz richtig!"
„Wenn jeder zehn Pfennig Wochenbeitrag bezahlt, denn ist das nicht zu viel. Dann brauchen wir auch einen Kassierer, Wer soll den Kassierer machen?"
„Orje! Orje!"
„Nee, een Mädel. Edith. Ick schlage Edith vor."
„Ach, die versauft det ganze Geld."
Edith pustete sich auf; sie ließ sich nicht alles gefallen.
„Rutscht mir mal den Buckel runter mit Eure dämliche Kasse."
„... Also, Edith, willst Du Kassiererin werden?"
„Wie sich det anhört: ,Willst Du Kassiererin werden?' Klar. Mensch, erst muss aber mal eine Kasse da sein, Ihr Idioten."
„Na, na. Pust Dir man nich so uff, Fräulein. Bei uns herrscht Bildung, vastehste!'
„... Schön, Edith ist Kassiererin. Jetzt wegen der Fahne. Alle Klicken sind grün-weiß, wir natürlich auch. Also machen wir eine grün-weiße Fahne."
„Na, hört mal her", sagte Gustav, „grün-weiß, schön. Aber wat rotet muss doch auch bei sein. Machen wir eine grün-weiße Fahne und oben in der Ecke eine rote Gösch!"
„Unsinn", donnerte ihn Franz an. „kommt nicht in Frage. Bei uns wird keine Politik getrieben."
Was sollte man dazu sagen? Franz setzte ja doch immer seinen Kopf durch.
Gustav wagte trotzdem noch einen schüchternen Einwand:
„Wenn da ein bisschen Rot zwischen ist, so ist das doch noch keine Politik. Das schadet doch nichts. Schließlich sind wir doch alle... "
Die Tür ging auf, und lächelnd kam Theo ins Zimmer. Erst staunten die Leute, dann wurden sie auf einmal alle unruhig. Franz Knirschte hörbar mit den. Zähnen und senkte angriffslustig den Kopf wie ein anspringender Boxer. „Hoho! Du hast Dir wohl verloofen, wat? Kommt hier einfach so rin, der Mensch."
„N'abend, Jungens! Ihr habt Euch verloofen, wie ich sehe. Was ist denn das hier für eine Zusammenkunft? Ku-Klux-Klan — oder die blutige Hand?"
Franz ging seelenruhig auf ihn zu.
„Hör mal, mein Lieber, Du kommst hier reingeschneit und fängst gleich an zu flaxen. Wir sind jetzt eine Klicke, verstehst Du?"
Franz wusste, dass es sich in dieser Situation dumm angehört hätte, wenn er den Namen der Klicke nannte Den wusste ja auch Theo längst Und verstanden hatte er auch. Jeder, außer Franz, kam und gab ihm die Hand.
„Willst Du bei uns eintreten?"
„Komm man, wir brauchen noch einen Wanderlehrling."
„Ruhe jetzt! Setzt Euch wieder hin und lasst Euch von dem da nicht verrückt machen."
Theo stand da, mit einem seltsamen Lächeln. Er warf seine blaue Mütze mit dem Fliegerabzeichen geschickt auf einen Kleiderhaken. Seine grauen Augen glänzten freundlich. Er setzte sich hin und schlug die Beine übereinander. Seine Gamaschen waren blank geputzt, und die Lampe spiegelte sich darin Eine unruhige Pause trat ein. Die meisten schämten sich ein bisschen vor Theo. Warum, wussten sie nicht. Der war immer so offen. Und nicht so grob wie der Franz. Er war viel, viel klüger und hatte für alles Verständnis. Die meisten hatten mit ihm gemeinsam die Schulbank in der Gneisenaustraße gedrückt. Jedenfalls hatte Theo viel Sympathie.
„Was ist los, was willst Du?" fragte ärgerlich Franz.
„Ich will Euch was erzählen, damit Euch die Zeit nicht lang wird "
„Haste gehört, Spinne?" sagte Kater fröhlich, „er will uns was erzählen, die süße Sau. Ach, komm, Theo, nimm mich in Dein Nachthemd."
Wieder setzte schallendes Gelächter ein. Franz wurde immer ohnmächtiger Er fühlte den Beginn eines Zersetzungsprozesses. Die Klicke, seine Klicke war gefährdet.
„Hör mal, mein Lieber. Erst hast Du mir danach zu fragen. Ich bin hier Klickenbulle."
„Natürlich, Fränzchen. Du bist der Klickenbulle Das ist doch ganz klar. Ich will Dir ja auch Deinen Posten nicht wegnehmen."
„Ja doch, Mensch, lass ihn doch erzählen, Franz. Die anderen Sachen haben ja noch Zeit."
„Die haben eben keine Zeit!"
„Ach, natürlich. Hab Dir man nich so."
„Los, Theo, erzähle."
Vorsichtig und tastend begann Theo zu reden. In seiner Stimme lag so viel wahre Freundschaft und dann wieder ein bisschen Zorn. Viele der Jungens verzogen nachdenklich die Lippen, während er sprach. Von Franz her schob sich eine wachsende Kühle heran. Theo zeigte keinen Groll. Er bedauerte sie auch nicht in ihrer erbärmlichen Hoffnungslosigkeit. Er sagte einfach das, was da war, Und in ihrer Sprache.
„Hört her, Jungens. Ihr habt jetzt eine Klicke gegründet. Mich wundert nur, dass Ihr es nicht schon früher getan habt. Das macht doch viel mehr Spaß: so alle zusammen. Ihr wollt eben irgendwie mal den ganzen Dreck vergessen. Aber darauf kommt es nicht an! Ihr dürft nicht vergessen, dass man Euch verkommen lässt! Ihr seid jung, steht mitten im Leben. Aber wie sieht Euer Leben aus. Was soll ich Euch da einen großen Salm vormachen Wie Ihr zu leben gezwungen werdet, wisst Ihr ja am besten, das spürt Ihr ja selber. Was ist der Sinn Eurer Klicke? Ist das ein Weg zur Verbesserung Eurer Lage? Keiner wird ja sagen können. Nur der oder jener wird etwas von Unterhaltung quatschen. Ihr braucht diese Unterhaltung nicht. Ihr spielt herum und wandert genau so wie die Latscher. Zwischen Euch und ihnen besteht kein Unterschied. Ihr schwindelt Euch alle etwas vor. Ihr wollt einfach nicht ständig an Eure Lage erinnert sein. Das ist falsch. Gott sei Dank seid Ihr alle miteinander noch knorke Kerls. Euch hat die bürgerliche Gesellschaft noch nicht zu Lumpenproletariern gemacht. Aber dorthin führt Euer Weg, meine Lieben. Und wenn Ihr dort seid, taugt Ihr nichts mehr für Eure Klasse, dann seid Ihr verloren. Und das wollen meine Genossen und ich verhindern, deshalb komme ich her und spreche mit Euch ganz kameradschaftlich. Alle seid Ihr aus der Nostizstraße. Und die ist rot. Aber auch Euch brauchen wir. Gerade jetzt in diesem Moment brauchen wir Euch, Jungens: wo die Arbeitsdienstpflicht auf der Tagesordnung steht, wo immer neue Notverordnungen geschaffen werden, wo Euch immer mehr an der Unterstützung abgebaut wird, wo die Faschisten immer frecher werden, wo die Klassenjustiz unsere Freunde Hoffmann und Achtenberg zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt hat. Wollt Ihr Euch das gefallen lassen, Jungens? Ihr müsst kämpfen. Ihr müsst raus aus Eurer Gleichgültigkeit, müsst Stellung nehmen. Und Widerstand leisten. Wenn Ihr andere für Euch verbluten lasst und in die Zuchthäuser stecken lasst, dann gut, landet auf dem Misthaufen des Lumpenproletariats oder der Kleinbürger, nehmt alles geduldig hin, haltet Eure Schnauzen und kuscht. Immer haben wir gekuscht. Besinnt Euch nur. Aber dann wollen wir mit Euch nichts mehr zu tun haben."
Theo hatte sie aufgerüttelt. Leichter Schrecken stand in ihren Augen, und die Gesichter wurden ernst. Keiner sprach oder sah den
anderen an. Niemand hatte Lust zu reden. Ihre letzte Freude war ihnen genommen: die Freude an der Klicke. Sie wussten nicht, wie lange. Aber jetzt war alles aus. Ihnen war wie einem, der tagsüber in der Bude sich auf den Feierabend freut und dann abends feststellt, dass er ein Dreck ist. Ein Dreck mit Ärger und Hass und Stunk. Edith seufzte, Kater, Gustav, alle seufzten. Still und beklommen saßen sie da. Alles war erstarrt, und erst nach einer geraumen Weile löste sich die dumpfe Beklemmung, Sie löste sich ab wie Schalen, blieb aber ganz dicht neben ihnen liegen. Greifbar, mit kichernder, höhnischer Fratze... Einer begann:
„Na, ja, Du hast recht. Aber... " Weiter sagte er nichts mehr. Kater meinte kleinmütig: „Du hast gut reden, Theo." Edith begann wieder zu lächeln. Sie war ja so ahnungslos. Spinne kratzte sich den Kopf, und Gustav wäre am liebsten getürmt. Plötzlich sprang Orje auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Natürlich hat er recht! Natürlich hat er recht. Aber wir sind Feiglinge. Wir haben sogar Peikbeen im Stich gelassen. Kein Schwein fragt sich auch nur einmal: warum ist er verhaftet worden; warum muss er vier Monate sitzen?" Ihm ging die Puste aus. Er schwitzte, wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch das Gesicht ab und sank dann auf seinem Stuhl zusammen.
Die Klicke versprach, an der nächsten Demonstration teilzunehmen. Das andere wollten sie sich alle überlegen. Sie trotteten nach Hause. In ihre Stumpfheit war ein kleines Loch gerissen worden. Das prickelte im Kopf, wenn sie nachts im Bett lagen, warf sie hin und her und stimmte nachdenklich.

Theo traf am gleichen Abend Trude bei Othello. Sie war aufgeregt und ärgerlich. Sie schlug Krach und berichtete: in der Gneisenaustraße gibt es eine Lederfabrik, Dort arbeiteten 25 junge Arbeiterinnen. Beim letzten Lohntag hat man ihnen kurzerhand zehn Prozent vom Lohn abgezogen. Keine von ihnen war irgendwie organisiert. Einmütig traten sie in den Streik. Sie stellten Streikposten, jagten die Mädels, die der Nachweis geschickt hatte, zum Teufel Zwei von ihnen wurden von der Polizei verhattet, zum Polizeipräsidium gebracht und wegen Hausfriedensbruchs zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Sie konnten sich nicht länger halten; gestern wurde der Streik abgebrochen. Über die Hälfte der Arbeiterinnen wurde nicht mehr eingestellt. Heute erhielt Trude von einer den Bericht. Theo staunte, und Trude lief aufgeregt hin und her.
„Und wir Ochsen wissen von nichts. Wir hätten den Streik führen müssen. Wir hätten die Mädels zusammenfassen müssen. Keiner hat sie unterstützt. Die Partei weiß von nichts, die RGO. weiß von nichts, und wir wissen von nichts."
„Ja, ein verfluchter Dreck! Da sieht man, wie wir gearbeitet haben. Na, das muss endlich anders werden. Jetzt heißt es: Betriebsarbeit und nochmals Betriebsarbeit."
Trude konnte sich immer noch nicht beruhigen. Sie sagte so etwas, wie „die Gruppenleitung zur Verantwortung ziehen" und „die Haare könnt' ich mir ausraufen". Karl kam hinzu. An dem ließ sie ihre Wut aus. Der arme Knabe kam sich mit Recht geprügelt vor und ließ den Kopf hängen. Er machte sich Notizen und schob ohne Gruß gleich wieder ab.
Das Radio spielte. Man hörte die ersten Klänge des Deutschlandliedes. Othello sprang zum Apparat und drehte an den Schrauben. Auf einmal war es still im Laden. Die Gäste waren befriedigt, und Othello fluchte. Ein paar stramme Burschen saßen am Tisch und rauchten. Sie schienen gleichgültig und waren ruhig. Keiner von ihnen trank Bier. Ein langer, mit Tabakspfeife und Schiebermütze, stand auf und polterte die Treppen hinunter. Er sah aus wie Nat Pinkerton. Ganz in der Ecke, am Ofen, saß Erich Schmidt. Vor ihm lag „Die Rote Fahne". Theo setzte sich zu ihm und schlug ihm auf den Rücken.
„Na, liest Du?"
„Ja, früher hab ich das Zeug nicht verdauen können. Aber heute komme ich ohne „Rote Fahne" nicht mehr aus. Nur die verfluchten Fremdwörter."
„Ja, die sind schlimm, mein Lieber. Kannst nichts machen gegen. Es gibt auch bei uns Leute, die alles in hochtrabende Worte kleiden müssen. Aber ist nicht weiter schlimm. Wirst sie schon lernen."
Theo war schläfrig Er bestellte zwei Mollen Halb und Halb. Othello kam schwerfällig und stellte sie auf den Tisch.
„Na, Jungs, was Neues?"
„Nee."
Theo brachte das Gespräch auf Elly.
„Ist eine bessere Genossin geworden, als ich dachte. Hat sich in der letzten Zeit sehr gut entwickelt."
Erich wurde rot und sah verlegen zur Seite.
„Wie viel ,Wühler' hast Du verkauft?"
„Heute 35 Stück", sagte Erich und fuhr flüsternd fort: „Du, die beiden Rhodens wollen mich werben. Ich soll mal einen Ausmarsch mitmachen."
„Dufte. Wann?"
„Sonnabendnacht bis Sonntagfrüh. Ich hab gesagt, ich werde es mir überlegen."
„Ist gut. Schadet auch gar nichts, wenn Du mitfährst und einen Bericht anfertigst."
Sie rauchten und plauderten nebensächliches Zeug. Was sollten sie sich auch groß erzählen? Jeder wusste, was er zu tun hatte.

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