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Jack London - Die eiserne Ferse (1906)
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Die Terroristen

Erst als Ernst und ich schon wochenlang in New York waren, konnten wir das Unglück, das über Chikago gekommen war, in seinem ganzen Umfang begreifen. Die Lage war bitter und blutig. An vielen, über das ganze Land verstreuten Orten hatten Sklavenaufstände und Metzeleien stattgefunden. Die Zahl der Märtyrer stieg ins ungemessene. Zahllose Hinrichtungen fanden statt. Berge und Einöden waren voll von Banditen und Flüchtlingen, die erbarmungslos niedergeschossen wurden. Unsere eigenen Zufluchtsorte waren überfüllt von Genossen, auf deren Köpfe man Preise gesetzt hatte. Durch ihre Spione auf unsere Spur gehetzt, hatten die Soldaten der Eisernen Ferse zahlreiche unserer Schlupfwinkel geplündert.
Viele Genossen waren entmutigt und übten Vergeltung durch terroristische Akte. Das Fehlschlagen ihrer Hoffnungen machte sie ganz hoffnungslos und verzweifelt. Viele terroristische Organisationen, mit denen wir keinerlei Verbindung hatten, entstanden und verursachten uns viele Mühe und Sorge(1). Diese missleiteten Menschen opferten mutwillig ihr Leben, machten häufig unsere Pläne zuschanden und hemmten unsere Organisation.
Und durch das alles hindurch schritt die Eiserne Ferse ruhig und besonnen, rüttelte auf der Suche nach den Genossen den ganzen sozialen Bau auf, siebte die Söldner, die Arbeiterkasten und ihren Geheimdienst, strafte ohne Mitleid und Bosheit, duldete schweigend alle Widervergeltung, die an ihr geübt wurde, und füllte die Lücken in ihren Reihen ebenso schnell aus, wie sie entstanden. Und gleichzeitig arbeiteten Ernst und die anderen Führer mächtig an der Reorganisation der revolutionären Kräfte. Die Größe dieser Arbeit kann man ermessen, wenn man bedenkt(2)

(1) Die Annalen dieser kurzen Ära der Verzweiflung bilden eine blutige Lektüre. Rache war das herrschende Motiv, und die Mitglieder der terroristischen Organisation achteten in ihrer Hoffnungslosigkeit das Leben für nichts. Die Daniten, die ihren Namen der Mythologie der Mormonen entnahmen, kamen aus den Bergen im Westen und breiteten sich über die ganze Küste des Stillen Ozeans von Panama bis Alaska aus. Die Walküren waren Frauen, sie waren die furchtbarsten von allen. Keine Frau konnte Mitglied werden, die nicht einen nahen Verwandten durch die Hand der Oligarchie verloren hatte. Sie verpflichteten sich, ihre Gefangenen zu Tode zu martern. Eine andere berühmte Frauenorganisation war die der Kriegswitwen. Eine ähnliche Organisation wie die Walküren bildeten die Berserker. Diese Männer machten sich nichts aus dem Leben, und sie waren es, die die große Söldnerstadt Bellona mit ihrer ganzen Bevölkerung von über hunderttausend Seelen vernichteten. Die Bedlamiten und Höllendamiten gehörten beide derselben Organisation an, während eine neue religiöse Sekte, der jedoch keine lange Blüte beschieden war, sich den »Zorn Gottes« nannte. Unter vielen anderen mögen noch folgende Organisationen erwähnt werden, um zu zeigen, wie tödlich ernst ihnen die Sache war: Die blutenden Herzen, Söhne des Morgens, die Morgensterne, die Flamingos, die drei Triangeln, die drei Riegel, die Rächer, die Komantschen und die Unterweltler.
(2) Hier endet das Manuskript von Avis Everhard. Es bricht plötzlich mitten im Satze ab. Sie muss Nachricht von der Ankunft der Söldner erhalten haben, denn sie hatte Zeit, das Manuskript zu verstecken, ehe sie floh oder gefangen genommen wurde. Es ist sehr zu bedauern, dass sie nicht lange genug lebte, um ihre Erzählung zu Ende schreiben zu können, denn sonst wäre zweifellos das Geheimnis aufgedeckt worden, das seit sieben Jahrhunderten über der Hinrichtung Ernst Everhards ruht.

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