II.
  Der Hofmeister kam noch zweimal. Zuerst brachte er eine dicke,  auseinander laufende Jüdin, Ihr Gesicht war zusammengedrückt, Hals und  Kopf hatten einen Umfang. Darunter pendelten unförmige, wurstartige  Arme, und zwischen diesen Armen saßen breit und groß ihre Brüste. 
    Sie watschelte aber nicht, wie es dicke Frauen sonst tun. Ihre Füße  waren klein, und sie trippelte auf ihnen wie ein zu dick geborenes  Kälbchen. Der Hofmeister setzte sie neben den Krummen. 
    Danach kam er mit einer schmalen Holländerin. Sie sah aus wie eine  katholische Betschwester, spitz, bleich, mit glasigen, großen Augen,  die Haare straff und zu einem Knoten zusammengebunden, die Kleider  leicht gerafft; in den gefalteten Händen hielt sie ein kleines,  schwarzes Buch. Der ganze Tisch meckerte leicht, als sie hereinschritt,  und der dicke Deutsche prustete laut heraus, bekam einen zinnoberroten  Kopf und schlug sich klatschend auf die fetten Beine. 
    Der Hofmeister watschelte diesmal bis zu dem kugeligen Holländer, Er  ließ ihn aufstehen und wies der Frau seinen Stuhl, Die Frau setzte sich  knixend nieder, und der Holländer rückte hinauf an die linke Seite der  Jüdin. 
    Der Krumme saß nun wie eingeschlossen zwischen den beiden Frauen. Sie  bedrückten ihn. Er klemmte seine Arme fest an den Körper, um sie nicht  zu berühren, und versuchte mit Anstand weiter zu essen. Er verschluckte  sich aber einige Male und prustete Suppe und Löffel auf Tisch und  Teller. 
    Die Frauen beachteten es gar nicht. Die Jüdin stemmte ihre unförmigen  Arme auf den Tisch und sog die Suppe lauter als der große Schotte in  den breiten Mund. Die Betschwester legte erst vorsichtig ihr Buch  zwischen Brot und Teller, schloss ein wenig die Augen, löffelte und  schöpfte aber dann die Brühe wie eine Maschine, gierig und saugend, als  müsste sie etwas einholen. 
    Nach der Suppe gab es Fisch. Der dünnbeinige Franzose, dem die große  Schüssel vor die Nase gestellt wurde, roch daran. Sein eingefallenes,  bläuliches Gesicht schob sich darüber, die Nase zog sich spitz  zusammen, und sein schwarzer Bart stachelte steil nach oben. 
    „Er riecht!" sagte er laut, nachdem der Steward wieder hinausgegangen  war, zog sein Gesicht zurück und lehnte sich mit einer müden Bewegung  nach hinten. 
    Alle schnupperten mit ihren Nasen in die Luft, verdrehten ihre Augen  und machten seltsame Gesichter. „Wirklich“, sagte die Französin mit  ihrer hohen Stimme, „er riecht!" 
    Der Holländer, der die Französin seit ihrem Eintritt noch nicht aus den  Augen gelassen hatte, fing diese Worte auf, stemmte sich in die Höhe,  lachte der Frau vertraulich zu und zischte: „Ja, ja!" 
    Die Frau sah das runde Gesicht erstaunt an. Sie zog erst etwas die  Schultern ein, als müsse sie sich schütteln. Spitz kam aber gleich ihre  Zunge zwischen die Lippen. Sie lachte mit. 
    Der Krumme hob unter dieser Vertraulichkeit die Augen, als wäre er  gestochen worden. Er sah erst die Frau an und dann den Holländer. Seine  Augen wurden scharf und grimmig. 
    „Was lachst du?" schrie er den Dicken an, dass die Betschwester  erschrocken auffuhr und nach ihrem Buche tastete, „Ist das zum Lachen,  dass sie uns stinkigen Fisch geben?" 
    Dem Holländer färbte sich unter dem lauten Anruf das Gesicht. Er wollte  etwas antworten und erhob schon seine Hand, um sie mit dem ersten Wort  auf den Tisch zu schlagen. Es fiel ihm nur nichts ein. Die Französin  lachte aber weiter, Sie war unter den groben Worten des Krummen  zusammengezuckt wie der Dicke; nun sie sein Gesicht sah, das zerdrückt  und schief auf dem fetten Halse saß, war ihr das Lachen wiedergekommen.  Sie sah dem Krummen in seine feurigen Augen und auf die roten  Tränensäcke, die langsam Wasser ließen, spitzte auch ihm ihre Zunge zu,  und ihr Lachen stieg noch einen Ton höher. 
    Der Krumme wärmte sich in diesem Lachen. Er versuchte, seine Zunge  genau so spitz herauszustecken, schnellte sie aus dem Gaumen hervor,  und die Französin, die es sah, kreischte vor diesem Ungetüm auf,  verschluckte sich, und sie musste sich eilig umdrehen, sonst hätte sie  den ganzen Tisch bespieen. 
    Der Lange wandte sich der heftig Bellenden mit einer müden Bewegung zu.  Er richtete sie wieder auf und drückte dabei seine durchsichtigen,  schmalen Finger auf ihre Brust, schlug sie mit der anderen Hand langsam  auf den Rücken und tat das solang, bis sich die Frau wieder umdrehen  konnte. 
    Unterdessen ging es an der anderen Seite des Tisches noch höher her.  Der Fisch wanderte von einem zum andern. Der Belgier, ein großer,  schwarzer Mensch mit blitzenden Augen, hob pastoral die Hände, als die  Schüssel vor ihm stand. Er machte sein ernstestes Gesicht, nahm eine  Gabel, teilte damit einen der großen Fische auseinander, ohne ihn auf  seinen Teller zu nehmen, sah in seinen Leib, und während er auf die  dunklen Stellen deutete, die sich längs der Gräten hinzogen, sagte er  mit einer klangvollen Stimme: „Er ist bereits schwarz." 
    Der Däne, noch größer und schlanker, der neben ihm saß, und dessen  rotes Haar steil und wie Feuer über seinem spitzen Schädel loderte,  riss ihm die Schüssel fort. „Warum soll er nicht schwarz sein?" schrie  er laut und beugte sich auch über den geöffneten Fischleib. „Wir fahren  doch in der dritten Klasse. Proletenbillett! Oder habt ihr schon einmal  etwas anderes als Abfälle bekommen?" 
    Der Amerikaner, der blass und wie aus einem Stück gegossen dem Dänen  gegenübersaß, hob seine bebrillten Augen und sah den Schreienden scharf  an. „Du hast recht, Kamerad", sagte er. „Wir fallen überall in unseren  Stand wie in ein Loch, und wir werden stets so behandelt, wie es der  dritten Klasse zukommt." 
    Der Deutsche, der neben ihm saß und noch an einem zweiten Teller Suppe  schleckte, schrie auch auf. Er zog erst seinen Löffel über die dicken  Lippen, stülpte sie nach vorn und sagte polternd: „Ich habe mein Geld  bezahlt, und ich will guten Fisch haben. Den besten Fisch, ich werde  mich sonst beschweren!" 
    Alle schimpften über den Fisch. Der setzte seine Reise auf der  Tischplatte fort. Er stand nun vor einem zweiten Holländer, dem  Geduckten, hin. Der stocherte mit seiner Gabel in ihm herum. „Er wird  schon noch zu essen sein", sagte er, zog das zerteilte Stück aus der  Schüssel, hielt es vor seine Nase und ließ es auf seinen Teller fallen. 
    Die Schimpfenden waren einen Augenblick still. Sie sahen zu dem  Geduckten. Der zog die Fischhälfte noch über seinen Teller, dann hob er  das Tier einmal bei dem Kopf und einmal bei dem Schwanz in die Höhe und  spielte mit ihm wie eine junge Katze. Plötzlich, sein graues,  verwittertes Gesicht verzog sich zu einer seltsamen Grimasse, schnappte  er hinein. 
    Er spie alles gleich wieder aus, krächzte, als wenn ihm schon etwas in  die Kehle gekommen wäre, hob hastig seine Hände hoch, packte seine  Armzipfel und fuhr damit rechts und links über Backen und Lippen. Mit  einem kurzen „Brrr" schüttete er noch die Fischhälfte in die Schüssel  zurück und gab ihr einen Stoß, dass sie bis zu dem Schotten fuhr. 
    Der Schotte fasste sie mit den Fäusten, als wolle er sie zerdrücken. Er  hob sie aber nur vor sein Gesicht, schlug sie wuchtig wieder auf das  harte Holz des Tisches und sagte kurz und grimmig: „Pack!" 
    Der Krumme fing das Wort „Pack" auf, zog die Schüssel heran und hing  auch seine Nase hinein. Zur gleichen Zeit schielte er nach der  Französin. Als er sah, dass diese, die sich leicht an den langen  Engländer gelehnt hatte, wieder mit dem Dicken züngelte, rief er laut,  ja, er brüllte beinahe: „In die Fresse sollte man den Brüdern das Zeug  werfen!" 
    Die Französin war diesmal wirklich erschrocken. Sie drückte sich  stärker an den Langen, der durch ihre Vertraulichkeit ganz steif und  feierlich wurde, schloss die Augen und atmete heftig. 
    Die Suppe schlürfende Betschwester, die dem Gebrüll des Krummen noch  näher saß, war auch erschrocken. Sie ließ ihren Löffel fallen und griff  eilig nach dem schwarzen Gebetbuch.  
    Nur die Jüdin blieb ruhig. Sie zog sogar die Schüssel zu sich herüber,  fischte sich mit ihrer Gabel ein Stück heraus, legte es auf ihre  vorgeschobenen Lippen und zernagte es mit ihrer Zunge. Es schien ihr  auch nicht zu schmecken; sie schob die Lippen noch weiter vor, dass sie  aussahen wie das Maul eines fetten Karpfen, drehte sich halb um und  spuckte alles klatschend auf den Boden. 
    Durch den Krummen war der Lärm allgemeiner geworden. Der geduckte  Holländer, er sah aus wie ein „Tramp", den die Landstraße in diesen  Schiffsbauch gespieen hatte, rief immer: „Es schmeckte wie Dreck!" 
    Der junge Mann, es war sein Bruder, der korrekt, mit einem steifen  Kragen und steifen Manschetten, neben ihm saß, sagte genau so oft, nur  kürzer und würdiger: „Gemeinheit!" 
    Der große Schotte war am ärgerlichsten. Er fand nur keine Worte für  seine Wut und schlug darum laut und dröhnend auf die Tischplatte. 
    Plötzlich zischte der Deutsche, der sich in dieser polternden und  schimpfenden Gesellschaft nicht besonders wohl fühlte und immer nach  den Türen schielte: „Der Steward kommt!" 
    Der Steward, ein junger Mann, dem der weiße Kittel etwas lose um die  schmalen Schultern hing, brachte das Fleisch. Es war nicht gleich  ruhig, besonders der Schotte donnerte noch auf den Tisch. Die anderen  brummten und maulten aber doch schon leiser. 
    Erst als der Steward, der die Fleischschüssel niedergesetzt hatte, die  Teller einsammelte, fasste einer den Mut und stand auf. Es war der  Korrekte. Er nahm den Steward an seinem weißen Kittel, versuchte ihn  zwei Schritte abseits zu fuhren und sagte ihm leise, sich verbeugend:  „Ihr Fisch ist schlecht!" 
    Der Steward verzog kaum das Gesicht, sammelte die Teller ein und antwortete:  „Ich weiß es." 
    Der Belgier, der die Antwort hörte, schnellte hoch. „Du weißt das!"  brüllte er, „und hast uns das Zeug doch gebracht!" Seine schwarzen  Augen funkelten gefährlicher als Feuer. 
    Der Steward sammelte ruhig die letzten Teller. Vor dem Heiligen, der  erst mit der Suppe begonnen hatte, blieb er einen Augenblick stehen.  Langsam drehte er sich dem funkelnden Belgier zu. „Ich bin ein  Angestellter", sagte er, und sein Gesicht wurde steif. „Ich bekomme den  Fisch. Ich bringe ihn. Das ist meine Arbeit." 
    Auch der Däne war aufgestanden. Er war aber ruhiger. „Einer muss zum Kapitän  gehen", sagte er. 
    Der Steward verteilte nun schon das Fleisch. Es roch besser. Die ersten  schnitten gleich hinein. „Es ist gut", sagte der Deutsche  triumphierend, der sich ein großes Stück auf den Teller gezogen hatte,  und kaute mit vollen Backen. 
    Der ganze Tisch beruhigte sich. Selbst die Aufgestandenen vergaßen  Beschwerde und stinkigen Fisch, ließen sich auf ihre Stühle  zurückplumpsen, langten in die neue Schüssel und kauten mit. 
    Es war still. Man hörte nur das Schneiden und Kratzen der Messer.  Manchmal rief einer nach Kartoffeln oder nach Sauce. Der Krumme  säbelte, ohne sich umzusehen, in seinem Fleisch. Er hatte die Französin  fast vergessen und spürte nur die Schärfe von Salz und Pfeffer, die er  zwischen seine Zähne schob und die ihn hinten im Gaumen kitzelten und  brannten, 
    Nach dem Fleisch gab es noch Apfelsinen. „Madame!" rief der Schotte,  vor den der Steward den Korb mit den Früchten gestellt hatte, und warf  der Französin eine zu. Sie lächelte dankbar zurück, sie lächelte aber  gleichzeitig kokett zu dem Krummen, der sich satt und zufrieden  zurückgelehnt hatte und die Frau wie ein brünstiger Stier beglotzte und  abtastete. 
    „Der Teufel soll die Hunde holen!" schrie da der Däne plötzlich auf Er  knallte seine Apfelsine auf den Boden und brüllte noch lauter: „Sie ist  auch faul!" 
    Die andern waren glücklicher. Sie schälten die kleinen Früchte, bissen  mit den Zähnen hinein, schlürften sie aus oder zerteilten sie mit ihren  groben Fingern. Der Krumme steckte die seinige in die Tasche. Die  Betschwester, die aufgestanden war und eilends hinaustrippelte, hatte  die ihre noch tiefer in einen an ihr hängenden Strickbeutel vergraben.  Alle sahen dem enteilenden Persönchen nach. Ihre Röcke schlenkerten  etwas hochgezogen hinter ihr her. Man sah ihre spindeldürren Beine, die  dicken, hängenden, grau und weiß gestopften wollenen Strümpfe und ein  Stück von einem rot- und grüngestreiften Unterrock, Ihr Buch hielt sie  wieder fest an die Brust gedrückt in den mageren, spitzen Händen.  | 
  
    
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