Nemesis-Archiv   WWW    

Willkommen bei Nemesis - Sozialistisches Archiv für Belletristik

Nemesisarchiv
Kurt Kläber – Passagiere der III. Klasse (1927)
http://nemesis.marxists.org

XXV.

„Heute Nacht kommen wir nach Southampton!" sagte der dicke Hofmeister zu den Männern, die gerade ihren Kaffee tranken.
„Es wird auch Zeit!" zischte der Krumme zu dem Beleibten hinauf, „Wenn ich noch drei Tage länger au! deinem Kahn bleiben müsste, könnte ich wahrscheinlich gar nicht mehr aussteigen!"
„Warum?" fragte der Hofmeister mit seiner tiefen Stimme und schielte den Krummen gefährlich an.
Der Krumme duckte sich erst hinter seine Kaffeetasse, bevor er antwortete. „Weil ich dann so dick wäre wie du!" sagte er leiser.
„Bist du vielleicht nicht sattgeworden?" brüllte der Hofmeister auf und schwenkte um den Tisch herum zu dem Krummen hinüber.
Sicher! Sicher!" sagte der Krumme lauter. „Zu satt!" und er strich sich über seinen eingefallenen Bauch.
„Das wollte ich dir auch geraten haben, du Schlingel!" prustete der Beleibte schon etwas freundlicher zwischen den Zähnen hervor. „Ich fahre außerdem 40 Jahre auf diesem Kasten, und es hat noch keiner behauptet, dass ihm auf der Überfahrt der Magen nicht richtig gestopft worden wäre!"
„Von innen oder von außen?" fragte der Schotte und sah den Beleibten herausfordernd an,
„Mit dem stinkenden Fisch oder dem faulen Fleisch?" Auch der Belgier starrte dem Beleibten ins Gesicht,
„Nein!" sagte der Däne. „Mit den Puddings und den Soßen aus der ersten und zweiten Klasse!"
Dem Hofmeister kamen die Angriffe unerwartet. Vier wäret) ihm zu viel für seine Beleibtheit, er zog es vor, sich ohne zu antworten zurückzuziehen, „Pack!" knurrte er nur grimmig, als er knallend die Tür zuwarf.
Die Männer halte der Zwischenfall belustigt. Sie lachten laut hinter dem Flüchtenden her. Die Ankündigung der Trennung machte sie aber gleichzeitig nachdenklich.
„Dann fallen wir also wieder auseinander", sagte der Franzose zu dem Schotten, als sie nach oben gingen.
„Ja", sagte der Schotte. „Ich fahre nach Dundee, und du fährst ja nach Marseille!"
„Nach Marseille!" sagte der Franzose nach. Sie traten zusammen auf das Deck. An der Reeling lehnten schon der Engländer, der Amerikaner, der Krumme und der Däne.
„Es war eine gute Kameradschaft, unsere Reise!" sagte der Franzose weiter zu dem Schotten. „Ich werde dich und die andern nie vergessen!"
„Hätte sie schlechter sein sollen?" fragte der Däne, „Es ist doch das einzige, was wir heute haben: Die Kameradschaft!"
Der Schotte nickte. „He!" sagte er, „wenn wir auch noch vergessen würden, dass wir alle zusammengehören, dann könnten wir uns begraben lassen!"
Der Geduckte, der sich herangeschoben hatte, meckerte auf- „Das passiert nicht", sagte er. „Das Zusammengehören steckt uns in der Nase und im Blute. Auf der Landstraße ist es noch schlimmer. Wir beriechen uns wie die Hunde, und erst wenn wir unsern gegenseitigen Gestank eingesogen haben, schütteln wir uns die Hände. Das hält dann aber auch bis ans Ende der Welt!"
„O!" sagte der Amerikaner, „in Amerika ist die Kameradschaft überhaupt groß. Sie gehört zum Lande. Es ist damit groß geworden, und sie wird dem Amerikaner in hundert Jahren sicher noch ebenso stark in den Knochen stecken!"
„Auch den Arbeitern?" fragte der Lange, „Ja!" antwortete der Amerikaner. „Besonders unter den eingesessenen Arbeitern. Du musst nur sagen, dass du ein ,Worker' bist, und sie nehmen dich in ihre Familie auf wie einen alten Freund!"
Ja," lachte der Krumme, „wie einen alten Onkel. Sobald du aber an sein bürgerliches Gemüt stößt, wenn du den Sozialisten sehen lässt und hinter der guten Aufnahme den wirklichen Arbeiter oder den brüderlichen und klassenbewußten Genossen suchst, ist es vorbei mit der Freundschaft!"
Der Amerikaner senkte den Kopf. „Nicht überall!" antwortete er dann, „Du findest auch den Genossen, In den Gewerkschaften! In den sozialistischen, in den syndikalistischen, in den kommunistischen Parteien. In den kleinen Kommunen, Manchmal auch ganz unerwartet in den Fabriken und in Versammlungen. Du musst nur nach ihnen suchen!"
„Das stimmt!" bestätigte der Däne. Als ich in Canton einmal festgenommen werden sollte, weil ich über die Freiheit in den Staaten geschimpft hatte, wurde ich von ein paar tüchtigen Schlossern wieder herausgehauen, und als ich am nächsten Tag doch festgenommen wurde, legten sie gleich zusammen und ließen einen der besten Anwälte aus Boston für mich kommen, der mich verteidigen sollte. Und dabei wussten sie nichts weiter von mir, als dass ich radikal sei und vom Sozialismus gesprochen hatte!"
Da solltet ihr erstmal die Ratten kennen lernen!" sagte der Schotte. „Das sind noch bessere Kameraden!"
„Die Ratten?" wiederholten der Däne und der Krumme und sahen den Schotten groß an.
„Ja, die Ratten!" Der Schotte putzte sich umständlich die Nasenlöcher, bevor er weitersprach. „Ihr kennt sie nicht! Es kennen sie überhaupt wenige. Aber es gibt Tausende davon in den Staaten. Sie tauchen auf und verschwinden wieder. Keiner kennt sie richtig!" „Und was tun sie?" fragte der Däne, „Das ist beinahe eine kleine Geschichte!" sagte der Schotte. „Aber ich will sie euch erzählen!"
Er setzte sich erst auf eine Taurolle, bevor er anfing. Auch der Krumme und der Geduckte hockten sich nieder. Der Franzose, der lange Engländer und der Amerikaner blieben vor ihnen stehen.
„Die Ratten sind eine Organisation von Revolutionären. Was sie wollen, wer sie sind, wer weiß das richtig? Syndikalisten, Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten! Alles passt auf sie, aber keines passt genau. Man weiß nur, wo irgend etwas geschieht, da sind sie, Deswegen hat sie der Bürger auch die Ratten getauft. Sie beteiligen sich an jedem Streik. Sie stecken zwischen jedem Aufruhr. Sie erheben überall ihre Gesichter! Manchmal nur einer, manchmal hundert*:. Und nie in der zweiten Linie. Immer in der ersten! Geduckt, flink, aufreizend! Die Faust erhoben! Sie sind die Spitzen in jeder Aktion und die Nachhut in jedem Rückzug. Dann verschwinden sie wieder. Beinahe unheimlich. Jeder spürt auch: Ihr Fortgang ist nichts weiter als eine Drohung. Sie kommen einmal zurück. Überall fasst man darum nach ihnen. Die Polizei, das Militär, die Bürger. Eine festgenommene Ratte ist ihnen oft mehr wert als ein niederkartätschter Streik. Das wissen die Ratten auch, und der Kampf um so einen Gefangenen ist das Heroischste in ihrer revolutionären Tätigkeit, aber zu gleicher Zeit auch das Lustigste. Besonders wenn man als Unbeteiligter dabei zusehen kann. Aber", der Schotte zog seine Beine an und strählte sich sein borstiges Haar nach hinten, „das muss ich euch genauer erzählen!
Also," er sah sich nach allen um, „es war gegen Ende 1913. Ich lungerte gerade zwischen Huerfano und Santa Fe oben in Colorado herum und besah mir den großen Kohlenstreik. Das heißt, ich habe mich auch daran beteiligt, soweit ich mich daran beteiligen konnte. Aber sobald meine Länglichkeit in die Schussrichtung von Kugeln kam, machte ich einen Bogen und tauchte erst hinter der Schießerei wieder auf!
Ihr dürft nicht denken, dass das Feigheit war. Wir machten das alle so. Deswegen blieb der Kampf auch immer im Gange, denn wenn die Milizen auf der einen Seite keinen Feind mehr sahen und schon Viktoria Schossen, saßen wir plötzlich in ihrem Rücken, und die Schießerei begann von neuem. Es ging natürlich wie in federn Streik. Es waren zu viele gegen uns. Zuletzt bezogen wir unsere Hiebe und kehrten willig in unsere Löcher zurück.
Die Milizen hatten nun ziemlich viel Gefangene gemacht. Manche ließ man nach dem Kampf gleich wieder frei. Viele saßen länger, und einige von den Ratten — es hatten sich viele an dem Streik beteiligt, weil er groß begonnen hatte und viel versprach — waren dazu verdammt worden, ewig zu. sitzen. Man hatte sie unier großer Bedeckung nach Santa Fe geschafft, und dort wurden sie so gut eingeschlossen, dass nicht einmal die Mäuse bis zu ihnen kommen konnten!
Dessen ungeachtet begannen die Ratten aber sofort ihre Befreiungsaktion. Sie fing so an: Erst zogen sich alle Ratten, die mit am Streik beteiligt waren, in Santa Fe zusammen. Es waren 50 bis 100. Dann kamen sie von den entfernteren Kohlenzechen. Aus Denver, vom Gebirge. Kurz, bald waren es gegen 400. Sie zogen nun den ganzen Tag durch Santa Fe. Sie bildeten kleine Züge und hielten Ansprachen. Sie schossen plötzlich alle ihre Revolver in die Luft und verdufteten dann wieder!
An den Abenden", der Schotte lachte, „trieben sie es noch toller. Den friedlichen Bürger hielten sie an und sagten ihm ernstlich, in dem Gefängnis von Santa Fe säßen ein paar Männer, und wenn diese nicht binnen acht Tagen entlassen würden, würde die ganze Stadt in die Luft fliegen. In die Kneipen drangen sie ein und in die Bars und verkündeten überall dasselbe. Die Stadtväter, die Polizeivorstände, der Bürgermeister, große Kaufleute bekamen noch ihre besonderen Besuche, und die ganze Stadt hatte schon so an die vierzehn schlaflose Nächte!
Als die Gefangenen aber trotzdem nicht frei gegeben wurden, wandte man schärfere Mittel an, ,Du gehst morgen zum Sheriff und bittest ihn, dass man die Gefangenen freilässt!" Damit bedrohte man den Fleischer, den Barbier, den Schankwirt, ach, alle Menschen, deren man habhaft werden konnte, und zeigte ihnen dabei große Revolver, dass diesen braven Menschen die Haare zu Berge standen, Die Bedrohten liefen auch sofort zu den Ämtern hin. Es hagelte Bitten und Bittschriften!
Als aber auch das nichts half, machte man die ersten Drohungen wahr. Scheunen brannten ab. Kleine Bauwerke flogen in die Luft. Man setzte auch verschiedene Bürger heimlich fest. Unter anderen den Pastor und ein paar Schullehrer. Und während der ganzen Zeit vergrößerte sich der Haufen der Ratten zusehends. Sie kreisten um Santa Fe wie der Geier um ein Aas. Wer es ihnen gesagt hatte, dass sie hier gebraucht wurden, weiß ich nicht. Aber sie kamen an, als hätten sie es gerochen. Von Kansas, von Tukoma, von Dalles, von Pittsburgh. Erst waren es fast alles Bergleute. Sie nahmen auch Arbeit an, denn sie mussten sich ja ernähren. Aber sobald sie aus dem Loch waren, standen sie auf der Straße, lärmten und bildeten Züge»machten Spektakel und knallten mit ihren Pistolen!
Später kamen auch Landarbeiter und Tischwascher. Menschen, die sich zu jeder Arbeit drängten, und bald waren die innere und die äußere Stadt überfüllt von ihnen ,Über tausend sind es schon, jammerten die Bürger und ihre Zeitungen!"
„Und die Polizei?" rief der Krumme dazwischen. „War die in die Ferien gegangen?"
„Abwarten!" antwortete der Schotte und maß ihn mit einem stechenden Blick. „Weder die Stadtväter noch der Sheriff saßen ruhig auf ihren vier Buchstaben. Sie liefen sich beinahe die Beine aus und taten alles, was sie gegen die heranziehenden Ratten tun konnten. Sie ließen von früh bis spät in die Nacht die Straßen abpatrouillieren. Sie steckten jeden Bürger, dem die Füße nicht zu sehr wackelten, eine weiße Binde an den Arm und hängten ihm ein Gewehr um. Sie ließen Militär kommen. Eine Maschinengewehrabteiltmg." Der Schotte lachte laut. „Selbst zwei große Panzerwagen. Aber was sollte das? Die große Masse der Menschen waren Fabrikarbeiter oder Bergleute, und die blieben passiv. Wenn man also die Ratten überfallen wollte, überfiel man gewöhnlich friedliche Bürger, Wenn gegen Umzüge Maschinengewehre ballerten, zersplitterten nur Häuser oder Kirchen, und manchmal verwundete man ein Kind.
Wirklich, wie die Ratten tauchten diese Brüder auf, teilten sich blitzschnell, wenn sie angegriffen wurden und standen an einer anderen Stelle genau so schnell wieder in einem Zug und demonstrierten weiter. Dabei waren sie kaum organisiert. Jeder tat nur seine Schuldigkeit: Die freie Zeit wurde für die Gefangenen verwendet! Sie hatten nicht einmal Meetings oder geheime Versammlungen, wir konnten das genau beobachten. Alles, was sie taten, wuchs erst während ihrer Aktionen. Nur wenn sie sich auf Plätzen oder vor dem Gefängnis trafen, staffelten sie sich zusammen. Aber dann sprachen die einzelnen nie zu den Ratten selber, sie richteten ihre Worte an die Vorübergehenden, an die Polizei, an die Stadt. Und alles waren nur Aufrufe für die Freilassung und für die Befreiung!
Als die Ratten nach Zeitungsmeldungen das dritte Tausend erreicht haben sollten, es waren aber sicher bloß tausend, ihre Aktivität steigerte sich nur täglich, wurde der Sheriff unruhig. Seine Unruhe steigerte sich noch, als neben den Söhnen einiger reicher Bürger auch sein eigener Sohn verschwunden war. Man sprach jetzt einige Tage davon, dass die Gefangenen nach Denver in ein größeres und besseres Gefängnis gebracht werden sollten. Nach Meldungen von dort dankte man aber für den Besuch, denn man hatte gehört, in welcher Weise die Ratten in und um Santa Fe hausten, und man wusste, ihre Scharen würden den Gefangenen bis ans Ende der Welt folgen!
Nun fing die Bevölkerung von Santa Fe an, teilweise aus Furcht, aber zum Teil auch aus Anerkennung für den Mut und die Ausdauer der Ratten, sich für die Gefangenen und ihre Befreiung zu begeistern. Man hörte immer aufmerksamer zu, wenn die Ratten in den Straßen sprachen. Viele zogen sogar in den Umzügen mit. Andere versuchten, mit gegen die Gefängnisse zu stürmen, und besonders wir Bergleute beteiligten uns beinahe jeden Tag stärker an den Aktionen!
Kurz," der Schotte schlug sich auf die Schenkel, „es dauerte im ganzen ungefähr drei Monate, bis die Stadtväter und der Sheriff kirre waren und plötzlich selber für die Entlassung der Gefangenen stimmten. Allerdings sollte vorher auch dem Recht genüge geschehen, und man inszenierte erst noch eine große Gerichtsverhandlung. Das war das Lustigste! Nach Hunderten von Zeugenaussagen stellte sich heraus, dass sich die Eingekerkerten nicht stärker am Streik beteiligt hatten als jeder andere, dass sie sich sogar zahmer und besser benommen hätten als viele, die zurzeit nicht im Gefängnis saßen. Ihre Einkerkerung wurde deswegen als eine Ungerechtigkeit bezeichnet, sie wurden außerdem noch am gleichen Tage von jeder besonderen Gewalttätigkeit, deren man sie bezichtigt hatte, freigesprochen und durften das Gefängnis verlassen."
Der Schotte sprang auf. „Das war ein Fest!" schrie er. „Ganz Santa Fe beteiligte sich zuletzt daran. Wir schossen und tranken und donnerten zu Ehren der Freigelassenen, und wo sich einer sehen ließ, hob man ihn auf die Schultern!"
„Und die Ratten feierten mit?" fragte der Däne.
Der Schotte sah den Dänen erstaunt an. „Was sollten sie machen? Als die Feierlichkeit am andern Morgen weitergehen sollte, hatten sie sich allerdings bereits gedrückt. Die Stadt war leer von ihnen. Sie waren verschwunden, wie sie gekommen waren. Unbemerkt! Heimlich! Wieder ganz die Ratten, und die Freigelassenen hatten sie mitgenommen!"
Der Franzose machte kleine, ungläubige Augen. „Ist die Geschichte auch wahr?" fragte er. „Was sagten denn die Bürger von Santa Fe, als die Ratten verschwunden waren?"
Der Schotte hielt seine Blicke aus. „O!" antwortete er, „sie sprachen weiter gut von den Ratten. Ja, nachdem die Verschleppten gleich nach dem Abzug wieder zum Vorschein kamen und erzählten, dass es ihnen außer der Einsperrung in einer alten, entfernten Scheune gut gegangen war, versuchte man sogar, den Sachschaden, den die Ratten angerichtet hatten, so klein wie möglich anzugeben. Die Scheunen, die niedergebrannt worden waren, sollten baufällig gewesen sein, und die zersprengten Häuser nannte man alte Budiken.
Das Hauptsächlichste aber," der Schotte machte große Augen, „was sich nach dem Abzug der Ratten die Bürger von Santa Fe sagten, und was sich auch tief in ihren Hirnen festsetzte, war die unumstößliche Tatsache, dass sie jetzt wussten, dass es noch Kerle unter den Arbeitern gab. Kerle, vor denen man Respekt haben musste und die über ihre bürgerliche Aufgeblasenheit, selbst über die eines Sheriffs und eines Bürgermeisters, wie Riesen ragten.
Wir Arbeiter dachten nicht weniger schlecht von den Entschwundenen. Uns war es plötzlich aufgegangen, dass proletarische Gemeinschaft und Genossenschaft nicht schon mit Debattierklubs, mit der Gründung von Arbeitervereinen und mit gewerkschaftlicher Organisation begänne, sondern erst mit Kameradschaft und Brüderlichkeit."
,Und tun sie das überall, diese Ratten?" fragte der Däne und sah den Schotten blitzend an.
Der Schotte, der sich an die Reling gelehnt hatte, schaukelte mit den Beinen. „Ich habe es in Santa Fe gesehen", antwortete er. „Und das genügt mir. Sie sollen es aber in anderen Städten genau so machen. Oben in Kanada und unten in Texas. Sogar in den kleinen Städten in Ohio und in Illinois."
„Und weiß man sonst nichts über sie?" Der Däne fragte wieder.
„Ist das notwendig?" sagte der Schotte. „Es genügt doch, dass sie überhaupt da sind. Dass sie auftauchen, wo sie gebraucht werden, und dass sie nie einen Streik oder streikende Arbeiter in Stich lassen.
Merk dir aber das von ihnen," sagte der Schotte noch, und er hob erst seine Hand, ehe er weitersprach, „sie sind die Hefe in dem großen Teig da drüben. Die ersten Bazillen im Blutkreise dieses riesigen Kapitals und die tapfersten Kerle zwischen Neuyork und San Franzisko!"
„Ja, das sind sie!" sagte der Geduckte laut und nickte dazu mit dem Kopfe.
„Kennst du sie auch?" fragte der Franzose.
„Gut!" antwortete der Geduckte. „Es sind Kerle wie Eisen, und sie fressen sich durch das Leben wie Dampfpflüge. Dabei haben sie keinen anderen Gedanken als immer zu revoltieren. Der Sozialismus sitzt ihnen in den Köpfen wie anderen Leuten das Paternoster. Und mit Marx und Bakunin, mit Engels und Krapotkin hauen sie um sich wie mit Säbeln und Knütteln. He!" der Geduckte sprach schneller, „trotzdem sehen sie oft gar nicht so aus, als ob sie für die große Brüderschaft der Arbeiter agitieren müssten. Ich bin manchmal mit einigen von ihnen getippelt. Zuletzt in Kalifornien. Sie haben ein weißes Fell und lange Fingernägel. Sie sprechen in allen Sprachen der Welt, und was sie wussten, lernt man nicht in den Klippschulen, sondern auf Universitäten und in den Städten.
Sie waren aber trotzdem die besten Kameraden, und sie stellten sich auch auf der Landstraße nicht dumm an. Dass ein Hemd am besten am Leibe trocknet, merkten sie schon am dritten Tage, und dass man unter einer Brücke oder in einem Stall wärmer schläft als unter freiem Himmel, das ist ihnen ebenso schnell aufgegangen."
Der Geduckte dachte einen Augenblick nach. „Die mit uns durch Kalifornien zogen," sagte er dann und sah den Schotten an, „tippelten im übrigen auch zu einer Gefangenenbefreiung. Sie wollten hinauf nach Oregon. Es saßen da oben ein paar Kameraden von ihnen, die sich geweigert hatten, Flinten zu nehmen und gegen die Deutschen zu ziehen. Sie waren aber auch in den Verdacht gekommen, eine Brücke gesprengt zu haben, und zwar eine Brücke, auf der man Kanonen nach Bridgeport fuhr."
Das haben sie damals, als die ganzen Staaten Eisen und Pulver fabrizierten, oft getan!" sagte der Schotte.
Ja," sagte der Amerikaner in die eingetretene Stille hinein, besonders in Pennsylvanien und in Virginia. Ich war manchmal mit dabei.
„Du!" Der Franzose und der Däne drehten sich um und sahen den Bebrillten mit erstaunten, aufgerissenen Augen an.
„Ich", antwortete der Amerikaner nur. Er lächelte.
„Und haben sie dich nie erwischt?" fragte der Däne und schob sich näher an den Bebrillten.
Doch!" sagte der Amerikaner. „Schon nach der vierten Explosion!" Er wurde weiß, und die Pupillen hinter den dicken Brillengläsern färbten sich mit. „Sie haben mich ja erst vor sieben Wochen wieder freigelassen!"

Sozialismus • Kommunismus • Sozialistische Belletristik • Kommunistische Unterhaltungsliteratur • Proletarisch-Revolutionäre Literatur • Utopische Klassiker • Arbeiterroman • Agitationsliteratur