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Alexander W. Tschajanow - Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie (1920)
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Neuntes Kapitel

das junge Leserinnen auch auslassen dürfen, das aber den Mitgliedern der Kommunistischen Partei zur besonderen Aufmerksamkeit empfohlen wird.

Bücherregale, auf denen die matte Vergoldung lederner Einbände schimmerte sowie einige Ikonen aus der Wladimir-Ssusdal-Schule stellten den einzigen Schmuck im geräumigen Arbeitszimmer Alexej Alexandrowitsch Minins dar.
Ein Porträt seines Vaters, eines berühmten Professors, der zunächst in Woronesch, später in Konstantinopel lehrte, vervollständigte die Zimmereinrichtung, die in indigoblauen Farbtönen gehalten war. »Meine Aufgabe ist es«, begann der gastfreundliche Hausherr, »Sie mit dem Wesen unseres Lebens vertraut zu machen, denn ohne dessen Kenntnis werden Sie die Bedeutung unserer Ingenieuranlagen und die Möglichkeit ihrer Entstehung gar nicht verstehen. Aber wahrhaftig, Mister Charlie, ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Sie sind gerade eben erst aus jener Welt zu uns gekommen, und es fällt mir schwer zu beurteilen, auf welchem Gebiet unseres Lebens Sie für sich selbst etwas besonders Neues und Unerwartetes entdeckt haben.«
»Ich würde gerne«, begann Kremnew, »jene neuen sozialen Grundlagen kennen lernen, auf denen sich das russische Leben nach der Bauernrevolution der 30er Jahre entwickelt hat und ohne die es, wie mir scheinen will, sehr schwierig sein wird, alles übrige zu verstehen.« Sein Gesprächspartner antwortete nicht sogleich. Er schien seine Erzählung gründlich zu überdenken.
»Sie fragen«, begann er, »nach jenen neuen Prinzipien, die die Bauernmacht in unser soziales und wirtschaftliches Leben eingeführt haben soll. In Wirklichkeit benötigten wir überhaupt keine neuen Prinzipien, unsere Aufgabe bestand nur darin, die alten ewigen Gesetze, die seit eh und je die Grundlage der bäuerlichen Wirtschaft bildeten, zu sanktionieren. Wir haben nichts anderes erstrebt, als diese uralten, erhabenen Prinzipien zu festigen, ihren kulturellen Wert zu vertiefen, sie geistig zu verwandeln und bei ihrer Verwirklichung jene sozial-technische Organisation anzuwenden, die sie nicht nur als althergebrachte, bloß passive Resistenz er-
scheinen, sondern sie aktive Leistungsfähigkeit, Flexibilität und, wenn Sie so wollen, Schlagkraft erlangen ließe.
Unserer Wirtschaftsstruktur liegt, ebenso wie zur Zeit des alten Russland, die individuelle bäuerliche Wirtschaft zugrunde. Wir betrachteten und betrachten sie immer noch als die vollendetste Form wirtschaftlicher Tätigkeit. Hier tritt der Mensch der Natur entgegen, hier kommt die Arbeit in schöpferische Berührung mit allen Kräften des Kosmos und lässt neue Lebensformen entstehen. Jeder Arbeiter wird zu einem Schöpfer, jede Äußerung seiner Individualität ein Kunstwerk der Arbeit. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, dass Leben und Arbeiten auf dem Lande äußerst gesund sind, dass das Leben eines Landwirts außerordentlich vielseitig ist, und andere Selbstverständlichkeiten. Dies ist der natürliche Zustand des Menschen, aus dem er von dem Dämon Kapitalismus vertrieben wurde.
Doch um die Ordnung der Nation des XX. Jahrhunderts auf der Basis der bäuerlichen Wirtschaft und bäuerlichen Lebensweise zu festigen, mussten wir zwei grundlegende organisatorische Probleme meistern. Das ökonomische Problem: seine Lösung erforderte die Schaffung eines volkswirtschaftlichen Systems, das auf der bäuerlichen Wirtschaft beruhte, ohne deren führende Rolle zu beeinträchtigen, und das gleichzeitig einen volkswirtschaftlichen Apparat hervorbrachte, dessen Arbeitsweise in technischer Hinsicht hinter keinem anderen denkbaren Apparat zurückstand und der automatisch, ohne Zuhilfenahme von außerökonomischem staatlichem Zwang, funktionierte.
Das soziale oder, wenn Sie wollen, kulturelle Problem war das der Organisation des sozialen Lebens riesiger Bevölkerungsmassen in Formen, die -unter der Bedingung dezentralisierter dörflicher Siedlung - den höchsten kulturellen Lebensstil, der lange Zeit ein Monopol städtischer Kultur war, bewahrten und kulturellen Fortschritt auf allen Gebieten des geistigen Lebens zumindest in nicht geringerem Maße als jede andere Gesellschaftsordnung ermöglichten.
Hierbei, Mister Charlie, mussten wir nicht nur die uns gestellten Probleme lösen, sondern auch sehr gründlich darüber nachdenken, mit welchen Mitteln wir sie angehen wollten. Für uns war es nicht nur wichtig, welches Ziel wir erreichen wollten, sondern auch, auf welche Weise es verwirklicht werden sollte.
Die Epoche des staatlichen Kollektivismus, in der die Ideologen der Arbeiterklasse ihre Ideale mit den Methoden des aufgeklärten Absolutismus realisieren wollten, brachte die russische Gesellschaft in einen solchen Zustand anarchischer Reaktion, dass es unmöglich wurde, irgendeine neue Ordnung auf dem Verordnungs- oder Dekretswege, der durch die Macht der Bajonette sanktioniert war, einzuführen.
Ja, unseren Ideologen selbst waren die Ideen irgendeines Monopols auf dem Gebiet sozialen Schaffens geistig völlig fremd. Ohne Anhänger eines monistischen Verständnisses, Denkens oder Handelns zu sein, verfügten unsere Führer in den meisten Fällen über ein Bewusstsein, in das eine pluralistische Weltvorstellung hineinpasste, und eben deshalb hielten sie ein Leben erst dann für gerechtfertigt, wenn es alle Möglichkeiten und alle Ansätze, die in ihm angelegt waren, zur vollen Entfaltung bringen konnte.
Kurz gesagt, wir mussten die vor uns stehenden Probleme auf eine Weise lösen, die es jedem beliebigen Unterfangen, jeder beliebigen schöpferischen Bemühung gestattete, mit uns zu konkurrieren. Wir wollten die Welt mit der unserer Sache inhärenten Kraft, mit unserer Organisation, mit der technischen Überlegenheit unserer organisatorischen Idee erobern und keineswegs, indem wir jedem Andersdenkenden >in die Fresse schlugen<. Außerdem haben wir den Staat und seinen Apparat niemals als den ausschließlichen und einzigen Ausdruck gesellschaftlichen Lebens betrachtet, und deshalb haben wir uns bei seiner Reform vorwiegend auf Methoden der gesellschaftlichen Lösung von Problemen und nicht auf Verfahren staatlicher Zwangsmaßnahmen gestützt.
Und im übrigen waren wir niemals Prinzipienreiter, denn als unserer Sache Gefahr drohte und die Zweckmäßigkeit uns daran erinnerte, dass die staatliche Macht in unseren Händen lag, da leisteten unsere Maschinengewehre auch keine schlechtere Arbeit als die bolschewistischen. Von den beiden Problemen, die ich umrissen habe, bereitete uns das ökonomische keine besonderen Schwierigkeiten.
Ihnen dürfte bekannt sein, dass man in der sozialistischen Periode unserer Geschichte die bäuerliche Wirtschaft für etwas Minderwertiges, für jene Urmaterie gehalten hat, aus der sich die >höheren Formen einer großen Kollektivwirtschaft herauskristallisieren müssten. Hieraus erklärt sich die alte Idee von den Brot- und Fleischfabriken. Für uns heute ist es sonnenklar, dass sich eine solche Ansicht nicht so sehr aus der Logik, sondern aus ihrer Entstehungsgeschichte herleitet. Der Sozialismus wurde gezeugt als Antithese zum Kapitalismus; geboren in den Folterkammern der deutschen kapitalistischen Fabrik, ausgetragen von der Psychologie des in abhängiger Arbeit gequälten städtischen Proletariats, von Generationen, die jeglicher individuellen schöpferischen Arbeit und Denkweise entwöhnt waren, konnte er sich als ideale Gesellschaftsordnung nur die Negation der Lebensordnung, die ihn umgab, vorstellen.
Selbst ein Tagelöhner, führte der Arbeiter, als er seine Ideologie schuf, das Tagelöhnertum als Symbol des Glaubens an eine zukünftige Gesellschaftsordnung ein und errichtete ein ökonomisches System, in dem alle Befehlsempfänger waren und nur wenige Einzelne ein Recht auf schöpferisches Tun besaßen.
Jedoch, verzeihen Sie, Mister Charlie, ich bin etwas abgeschweift. So kam es, dass die Sozialisten sich die Bauernschaft als Urmaterie vorstellten, weil sie nur innerhalb der weiterverarbeitenden Industrie über wirtschaftliche Erfahrung verfügten und nur in den Kategorien und Formen ihrer begrenzten Erfahrung denken konnten.
Für uns jedoch war es völlig klar, dass vom sozialen Standpunkt aus der industrielle Kapitalismus nichts anderes als ein krankhafter Anfall war, der die weiterverarbeitende Industrie wegen der Besonderheiten ihrer Natur befallen hatte, und dass er keineswegs eine Etappe in der Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft darstellte.
Dank der zutiefst gesunden Natur der Landwirtschaft ging an ihr der bittere Kelch des Kapitalismus vorüber, und wir brauchten ihre Entwicklung nicht in diese Richtung zu lenken. Und dies um so mehr, als das kollektivistische Ideal der deutschen Sozialisten, das der werktätigen Bevölkerung die Möglichkeit gab, auf dem Gebiet der Wirtschaft als ausführendes Organ der staatlichen Pläne aufzutreten, uns - vom sozialen Gesichtspunkt aus - außerordentlich unvollkommen erschien im Vergleich zum System des eigenhändig wirtschaftenden Ackerbaus, in dem die Arbeit nicht vom Schaffen organisatorischer Formen getrennt ist, in dem die freie, persönliche Initiative jedem menschlichen Individuum die Chance eröffnet, alle Möglichkeiten seiner geistigen Entwicklung zu verwirklichen und gleichzeitig, wenn es notwendig wird, die ganze Macht der kollektiven Großwirtschaft sowie öffentliche und staatliche Organisationen zu nutzen. All jene Industriezweige, in denen eine Großwirtschaft Vorteile vor der Kleinwirtschaft bot, wurden bereits zu Beginn des XX. Jahrhunderts von der Bauernschaft kollektiviert und zu kooperativen Großunternehmungen erhoben, und sie stellen in ihrer heutigen Gestalt einen überaus stabilen und technisch ausgereiften Organismus dar.
Das ist die Stütze unserer Volkswirtschaft. Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Aufgabe, eine weiterverarbeitende Industrie auf die Beine zu stellen. Es wäre natürlich dumm gewesen, in diesem Bereich auf eine Erneuerung der Familienproduktion zu rechnen.
In nahezu allen Industriebereichen sind Handwerk und Hausindustrie angesichts der heutigen Betriebstechnik ausgeschlossen. Aber auch hier hat uns die bäuerliche Eigeninitiative weitergeholfen; die bäuerliche Kooperation, die über einen garantierten und überaus umfangreichen Absatzmarkt verfügt, erstickte jede nur mögliche Konkurrenz für die meisten Produkte bereits im Keim.
Nun ja, wir haben hierbei ein wenig nachgeholfen und den kapitalistischen Fabriken durch eine enorm hohe Besteuerung, von der die kooperative Produktion ausgenommen wurde, das Rückgrat gebrochen. Dennoch existiert bei uns immer noch private Initiative kapitalistischer Art: in jenen Bereichen, in denen die kollektiv geleiteten Unternehmen zu schwach sind, und in jenen Fällen, wo ein organisatorisches Genie mit dem hohen Stand der Technik unsere drakonischen Steuern besiegt. Wir denken gar nicht daran, ihr den Todesstoß zu versetzen, weil wir es für notwendig erachten, für die Genossen-Kooperatoren eine gewisse Drohung beständiger Konkurrenz aufrechtzuerhalten, um sie damit vor technischer Stagnation zu bewahren. Wir wissen, dass auch bei den heutigen Kapitalisten noch räuberische Ambitionen anzutreffen sind, doch schließlich ist es eine alte Weisheit, dass der Hecht im Teich dazu da ist, damit die Karausche nicht schlummert.
Dieser Restkapitalismus bei uns ist jedoch äußerst zahm, wie übrigens auch die kooperative Industrie, die sich eher einmal störrisch zeigt, weil unsere Arbeitsgesetze den Arbeiter besser vor Ausbeutung schützen, als dies die Gesetze einer Arbeiterdiktatur tun, bei der ein kolossaler Anteil des Mehrwerts auf die Herden von Angestellten in den Hauptverwaltungen und Zentren entfällt.
Nun, nachdem wir uns außerdem aller Wirtschaftsunternehmen entledigt hatten, wurde dem Staat das Holz-, Erdöl- und Steinkohlemonopol vorbehalten. Da wir den Brennstoff besitzen, beherrschen wir die gesamte weiterverarbeitende Industrie.
Wenn ich nun noch hinzufüge, dass unser Warenumsatz überwiegend in den Händen von Kooperationen liegt und das System der Staatsfinanzen auf einer Rentenbesteuerung derjenigen Unternehmen, die Lohnarbeit anwenden, sowie auf indirekten Steuern beruht, so dürfte Ihnen das Schema unserer Volkswirtschaft in seinen allgemeinen Zügen klar sein.« »Verzeihen Sie, habe ich mich nicht verhört?« erkundigte sich Kremnew. »Sie sagten, dass Ihre Staatsfinanzen auf indirekten Steuern basieren?« »Absolut richtig«, schmunzelte Alexej Alexandrowitsch, »Sie überrascht diese >rückständige< Methode, sie missfällt Ihnen, wenn Sie sie mit Ihren amerikanischen Einkommenssystemen vergleichen. Doch Sie können versichert sein, dass unsere indirekten Steuern genauso progressive Einkommenssteuern sind wie Ihr Zensus. Wir kennen die Komponenten und die Mechanik des Konsums einer jeden Schicht unserer Gesellschaft gut genug, um unsere Steuern in der Hauptsache nicht aus einer Besteuerung lebensnotwendiger Verbrauchsgüter, sondern aus Elementen des Wohlstandes zu beziehen, und außerdem ist der Gehaltsunterschied bei den mittleren Einkommen bei uns längst nicht so groß. Der Vorzug der indirekten Besteuerung besteht eben darin, dass sie dem Zahler keine Minute an Zeit raubt. Unser staatliches System ist überhaupt so eingerichtet, dass Sie, nun sagen wir, z. B. im Wolokolamsker Kreis jahrelang leben können, ohne ein einziges Mal daran erinnert zu werden, dass ein Staat als eine Institution des Zwangs existiert.
Das bedeutet nicht, dass unsere staatliche Organisation schwach sei. Keineswegs. Nur halten wir uns an solche Methoden staatlicher Tätigkeit, bei denen vermieden wird, unsere Mitbürger am Schlafittchen zu packen. In früherer Zeit glaubte man recht naiv, dass man das volkswirtschaftliche Leben allein durch Verfügungen, Unterordnung, Verstaatlichung, Verbote, Befehle und Erteilen von Aufträgen, mit einem Wort, durch die Erfüllung des volkswirtschaftlichen Plans mittels willenloser Befehlsempfänger steuern könne.
Wir waren immer schon der Meinung und können es heute mit vierzigjähriger Erfahrung beweisen, dass wir solche heidnischen, für die Herrschenden wie für die Beherrschten in gleicher Weise lästigen Requisiten zur Aufrechterhaltung der Moral heute ebenso wenig benötigen wie die Donnerkeile des Zeus. Methoden dieser Art haben wir längst aufgegeben, so wie man seinerzeit Katapulte, Sturmböcke, Signaltelegraphen und Kremlmauern aufgegeben hat.
Wir verfügen über weitaus feinere und wirksamere Mittel der indirekten Einwirkung und können die Existenzbedingungen jedes beliebigen Bereiches der Volkswirtschaft jederzeit so gestalten, dass er mit unseren Absichten übereinstimmt.
Etwas später werde ich versuchen, Ihnen anhand einiger konkreter Fälle die Wirksamkeit unseres ökonomischen Systems zu demonstrieren. Nun aber, am Ende meiner kleinen volkswirtschaftlichen Abhandlung, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf zwei organisatorische Probleme lenken, die zum Verständnis unseres Systems von besonderer Bedeutung sind.
Da ist zunächst das Problem der Stimulierung des volkswirtschaftlichen Lebens. Wenn Sie sich an die Epoche des staatlichen Kollektivismus und die für diese Zeit so typische Minderung der volkswirtschaftlichen Produktivkräfte erinnern und wenn Sie sich die Prinzipien dieses Phänomens vor Augen halten, so werden Sie verstehen, dass die wichtigsten Ursachen ganz und gar nicht im staatlichen Wirtschaftsplan selbst lagen.
Man muss dem organisatorischen Scharfsinn eines Ju. Larin und W. Miljutin Gerechtigkeit widerfahren lassen: ihre Projekte waren außerordentlich gut durchdacht und bis ins Detail ausgearbeitet. Aber mit der Ausarbeitung von Plänen ist es noch nicht getan, man muss sie auch verwirklichen, denn Wirtschaftspolitik ist in erster Linie eine Kunst der Realisierung von Plänen, nicht eine Kunst des Pläneschmiedens. Es genügt nicht, eine Maschine zu projektieren, man muss ebenso die für ihren Bau geeigneten Materialien sowie jene Kraft, die die Maschine in Betrieb setzen kann, finden. Aus Stroh lassen sich keine Eiffeltürme bauen, und mit den Händen zweier Arbeiter kann man keine Rotationsmaschine in Gang setzen.
Wenn wir uns einmal die vorsozialistische Welt genau ansehen, so stellen wir fest, dass die komplizierte Maschine von den Kräften der menschlichen Habsucht, des Hungers, in Gang gehalten wurde. Jeder ihrer Bestandteile, vom Bankier bis hin zum letzten Arbeiter, hatte ein persönliches Interesse daran, die eigene wirtschaftliche Tätigkeit zu intensivieren, und dieses Interesse stimulierte seine Arbeit. In jedem am Produktionsprozess Beteiligten verfügte die Wirtschaftsmaschinerie über Motoren, die sie antrieben.
Das System des Kommunismus verwies alle am Wirtschaftsleben Beteiligten auf etatmäßige Tagelöhnerpositionen und raubte ihrer Arbeit somit jegliche Stimulation. Gearbeitet wurde selbstverständlich, doch es fehlte der Antrieb zur Arbeit, da ihr die Grundlage entzogen worden war. Das Fehlen einer Stimulation wirkte sich nicht nur auf die Produzierenden, sondern auch auf die Organisatoren der Produktion aus, weil diese, wie alle Beamten, an der Vervollkommnung der Wirtschaftstätigkeit an sich, an der Arbeitsgenauigkeit und dem äußeren Glanz des Wirtschaftsapparates statt an seiner Effektivität interessiert waren. Für sie war die Vorstellung von einer Sache wichtiger als deren materielle Ergebnisse. Als wir die Organisation des Wirtschaftslebens übernahmen, haben wir unverzüglich alle Motoren, die die private Wirtschaftstätigkeit stimulieren, in Gang gesetzt, als da sind: Leistungslohn, Tantiemen für Organisatoren, und wir haben zusätzlich zu den Preisen Prämien auf jene Produkte der bäuerlichen Wirtschaft gezahlt, deren Förderung wir für unerlässlich hielten, wie z. B. die Produkte des Maulbeerbaums im Norden. Nachdem wir das privatwirtschaftliche Stimulans wiederhergestellt hatten, mussten wir natürlich mit einer ungleichmäßigen Verteilung des Volkseinkommens rechnen.
Wenn auch in dieser Hinsicht von den kooperativen Organisationen, die 3/4 des volkswirtschaftlichen Lebens in den Bereichen von Industrie und Handel erobert hatten, bereits die Hauptarbeit geleistet worden war, so sahen wir uns dennoch ständig mit dem Problem der Demokratisierung des Volkseinkommens konfrontiert.
Zunächst machten wir uns daran, den Anteil, der auf nichterarbeitetes Einkommen entfiel, zu verringern. Die wichtigsten Maßnahmen in dieser Hinsicht waren die Rentenbesteuerung in der Landwirtschaft, die Abschaffung der Aktionärsgesellschaften und der privaten Kreditvermittlung.
Ich bediene mich alter ökonomischer Termini, Mister Charlie, um Ihnen zu verdeutlichen, worum es hier geht, und in Ihrem Land werden sie ja auch noch gebraucht. Bei uns aber... ich weiß wirklich nicht, ob sie unserer heutigen Jugend überhaupt bekannt sind. So also haben wir unsere ökonomischen Probleme gelöst.
Wesentlich komplizierter und schwieriger gestaltete sich für uns das soziale Problem, die Beibehaltung und Weiterentwicklung der kulturellen Errungenschaften bei gleichzeitiger Vernichtung der Städte und Abschaffung hoher Renteneinnahmen.«
»Im übrigen läutet man bereits zum Mittagessen«, unterbrach Alexejs Gesprächspartner seine Erzählung, nachdem er durch das Fenster gesehen hatte, wie Katharina mit sichtlicher Freude und wilder Entrüstung auf den eisernen Gong einschlug, der in der Mitte des großen Hofes hing.

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