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Alexander W. Tschajanow - Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie (1920)
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Elftes, dem neunten sehr ähnliches Kapitel

Als Kremnew und seine Begleiterin nach Hause zurückkehrten, wartete man auf sie bereits längst mit dem Abendessen.
Man empfing sie kühl, und sie setzten sich schweigend zu Tisch. Im Hause war eine gewisse Unruhe zu spüren. Man sprach über die drohenden Ereignisse in Deutschland, über die Forderung des deutschen Sownarkoms1 nach einer Revision der galizischen Grenze. Alexej schien es so, als ob nicht nur er, sondern auch Katharina ein unbestimmtes Schuldgefühl empfände.
Eine gewisse Unfreundlichkeit war auch bei Alexej Alexandrowitsch zu verspüren, als Alexej abends in sein Arbeitszimmer kam, um das morgendliche Gespräch fortzusetzen.
»Bei unserem Gespräch heute morgen«, so begann der weißhaarige Patriarch, »habe ich vergessen, auf eine weitere Besonderheit unserer wirtschaftlichen Struktur hinzuweisen. Bei dem Bemühen, das Volkseinkommen zu demokratisieren, haben wir selbstverständlich die erhaltenen Gelder nach dem Gießkannenprinzip verteilt und eben damit die Bildung sehr großer Vermögen verhindert.
Trotz aller Vorzüge, die diese Erscheinung mit sich brachte, hatte sie doch auch Nachteile. Zum ersten, die Kapitalakkumulation wurde geschwächt. Das verteilte Einkommen wurde fast vollständig verbraucht, und die kapitalbildende Kraft unserer Gesellschaft war, besonders nach der Abschaffung der privaten Kreditvermittlung, natürlich verschwindend gering.
Daher mussten erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um zu erreichen, dass die bäuerlichen Kooperationen und gewisse staatliche Organe ernsthafte Maßnahmen zur Schaffung spezieller sozialer Kapitalien ergriffen, um dadurch die Kapitalbildung zu forcieren. Zu den Maßnahmen dieser Kategorie gehört bei uns die großzügige Finanzierung aller Erfinder und derjenigen Unternehmer, die auf neuen Gebieten des Wirtschaftslebens tätig sind.
Eine weitere Folge der Demokratisierung des Nationaleinkommens war die beträchtliche Verminderung des Mäzenatentums sowie die Verringerung der Zahl derjenigen Menschen, die überhaupt nichts taten, d. h. zweier Substrate, aus denen sich in bedeutendem Maße Kunst und Philosophie nährten.
Aber auch hier gelang es der bäuerlichen Initiative mit ein wenig Unterstützung aus dem Zentrum, wie ich gerne zugeben will, die Aufgabe zu meistern.
Um eine erfolgreiche Entwicklung der Kunst sicherzustellen, muss ihr die Gesellschaft erhöhte Aufmerksamkeit und aktive und großzügige Nachfrage nach ihren Erzeugnissen entgegenbringen. Jetzt haben wir beides erreicht: Sie sahen heute in Belaja Kolp eine Bilderausstellung und auch, wie sich die Bevölkerung ihr gegenüber verhielt. Es gilt noch hinzuzufügen, dass die von der jetzigen ländlichen Gesellschaftsorganisation bestellten Fresken in die Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Quadratsaschen gehen. Prächtige Exemplare der Malerei werden Sie in den Schulen und Volkshäusern eines jeden Amtsbezirks finden. Es besteht eine erhebliche private Nachfrage.
Wissen Sie, Mister Charlie, bei uns besteht nicht nur Nachfrage nach den Erzeugnissen der Künstler, sondern sogar nach den Künstlern selbst. Mir sind mehrere Fälle bekannt, wonach der eine oder andere Bezirk oder Kreis auf der Basis langjähriger Verträge einem Maler, Poeten oder Gelehrten erhebliche Summen allein für die Verlegung des Wohnsitzes auf ihr Territorium zahlten. Sie müssen zugeben, dass dies an die Zeiten der Medici und Gonzago der italienischen Renaissance erinnert. Außerdem unterstützen wir in verstärktem Maße die >Bruderschaft des Florus und Laurus<, die >Kunstmaler des Olympia< und viele andere, deren Organisation Sie, wie es scheint, bereits kennen. Wie Sie sehen, haben wir uns, als wir über das ökonomische Problem sprachen, unmerklich dem sozialen, für uns schwierigeren und komplizierteren Problem genähert.
Die Aufgabe, die wir lösen mussten, lag im Problem des Verhältnisses von Persönlichkeit und Gesellschaft. Es galt eine solche menschliche Gesellschaft zu schaffen, in der sich die Persönlichkeit durch keinerlei Art von Fessel eingeschränkt fühlte, die Gesellschaft aber mit für das Individuum unsichtbaren Fesseln als Hüter des öffentlichen Interesses auftrat. Hierbei haben wir aus der Gesellschaft niemals einen Abgott, aus unserem Staat niemals einen Fetisch gemacht. Als letztes Kriterium galt uns immer, die Substanz des menschlichen Lebens zu vertiefen, einen in die Gesamtheit des Lebens integrierten Menschen zu schaffen. Alles übrige war Mittel zum Zweck. Gesellschaft und Staat erachten wir als eines der mächtigsten und notwendigsten dieser Mittel, wobei wir jedoch niemals vergessen, dass sie nichts anderes als Mittel sind.
Besonders vorsichtig verhalten wir uns dem Staat gegenüber, von dem wir nur im äußersten Notfall Gebrauch machen. Die politische Erfahrung vieler Jahrhunderte lehrt uns leider, dass die menschliche Natur fast immer menschliche Natur bleibt, die Zähmung der Charaktere vollzieht sich mit der Langsamkeit geologischer Prozesse. Starke Naturen, die in sich den Willen zur Macht haben, streben immer danach, sich ein volles integriertes und essentielles Leben zu verschaffen, und zwar auf Kosten anderer, deren Leben dabei verwüstet wird. Wir verstehen bestens, dass das Leben Herodots von Attika, Mark Aureis, Wassilij Golyzins in seiner Substanz und Tiefe dem Leben der besten unserer Zeitgenossen wohl kaum in irgend etwas nachstand. Der einzige Unterschied ist der, dass damals ein solches Leben nur Einzelne führten, während heute Zehntausende und in der Zukunft, so will ich hoffen, Millionen auf diese Art leben werden. Der ganze soziale Prozess besteht allein darin, dass sich der Kreis von Personen, die aus den Urquellen der Kultur und des Lebens trinken, langsam erweitert. Nektar und Ambrosia sind bereits nicht mehr den Olympiern vorbehalten, sie schmücken heute den Herd der ärmsten Dorfbewohner. Diese progressive Richtung hat die Gesellschaft in den letzten zwei Jahrhunderten eingeschlagen, und sie hat natürlich das Recht, sich zu verteidigen. Wenn irgendwelche starke Naturen oder sogar ganze Gruppen starker Naturen den prozessiven Verlauf stören wollen, so darf sich die Gesellschaft zur Wehr setzen, und der Staat ist ein in dieser Hinsicht erprobter Apparat.
Außerdem ist der Staat kein schlechtes Werkzeug für eine ganze Reihe technischer Notwendigkeiten.
Sie fragen, wie der Staat bei uns organisiert ist? Ihnen ist bekannt, dass die Entwicklung staatlicher Formen nicht in logischen, sondern historischen Bahnen verläuft. Viele unserer bestehenden Bestimmungen lassen sich hierdurch teilweise erklären. Wie Sie wissen, handelt es sich bei unserem System um ein Sowjet-System, ein System bäuerlicher Sowjets. Einerseits ist dies ein Erbe aus der sozialistischen Epoche unserer Geschichte, andererseits enthält es eine ganze Menge wertvoller Elemente. Hierbei muss man betonen, dass dieses System in seinem Kern im bäuerlichen Milieu
lange vor dem Oktober des Jahres 17 existierte, und zwar in der Verwaltungsform kooperativer Orgnisationen.
Die wichtigsten Grundlagen dieses Systems sind Ihnen wahrscheinlich bekannt, so dass ich nicht weiter darauf eingehen muss. Ich sage nur, dass wir in ihm die Idee der direkten Verantwortlichkeit aller machttragenden Organe gegenüber dem Volk bzw. den Institutionen, denen sie zu dienen haben, schätzen. Ausgenommen von dieser Regel sind bei uns nur das Gerichtswesen, die staatliche Kontrolle sowie einige Verkehrsbehörden und Verkehrswege, die vollständig der Leitung der Zentralmacht unterstellt sind.
Von nicht geringer Bedeutung ist nach unserer Sicht die Teilung der legislativen Gewalt, die vorsieht, dass prinzipielle Fragen vom Sowjetkongress entschieden werden, und zwar nach vorausgegangener Erörterung in den örtlichen Gremien. Ich betone: Erörterung, denn das Gesetz verbietet den Delegierten imperative Mandate. Die gesetzgeberische Tätigkeit selbst aber wird dem Zentralen Exekutivkomitee und in vielen Fällen auch dem Rat der Volkskommissare übertragen.
Bei dieser Art der Verwaltung wird das Volk am stärksten in die schöpferische Tätigkeit des Staates miteinbezogen, und die Flexibilität des gesetzgeberischen Apparates ist gewährleistet.
Im übrigen denken wir ja gar nicht daran, uns als Rigoristen aufzuspielen, nicht einmal bei der Realisierung dieser ganzen Mechanik, und wir lassen gerne örtliche Varianten zu. So gibt es z. B. in unserem Gebiet von Jakutsk Parlamentarismus, und in Uglitsch haben die Anhänger der Monarchie einen »Teilfürsten« eingesetzt, dessen Machtbefugnisse allerdings durch den örtlichen Deputiertensowjet eingeschränkt sind, und auf dem Territorium von Mongolisch-Altai regiert ein >Generalgouverneur< als Zentralmacht in Ein-Mann-Regie.«
»Verzeihen Sie«, unterbrach ihn Kremnew, »die Sowjetkongresse, das Zentrale Exekutivkomitee und die örtlichen Deputiertensowjets - sie alle sind doch nichts anderes als Sanktionen der Macht. Worauf stützt sich denn die eigentliche materielle Macht bei Ihnen?« »Ach, mein lieber guter Mister Charlie, solche Sorgen haben unsere Mitbürger fast vergessen, denn wir haben den Staat fast aller sozialen und ökonomischen Funktionen beraubt, und der Durchschnittsbürger kommt mit ihm kaum in Berührung. Ja, und überhaupt sind wir der Ansicht, dass der Staat eine veraltete Organisationsmethode des sozialen Lebens darstellt, und 9/10 unserer Arbeit werden mit gesellschaftlichen Methoden durchgeführt, denn diese sind für unser Regime charakteristisch: diverse Gesellschaften, Kooperationen, Kongresse, Ligen, Zeitungen, andere Organe der öffentlichen Meinung, Akademien und schließlich Clubs. Sie alle bilden das soziale Gewebe, aus dem sich das Leben unseres Volkes als solches zusammensetzt. Und eben hier, bei der Organisation dieses Gewebes, stoßen wir auf außerordentlich komplizierte organisatorische Probleme. Die menschliche Natur neigt leider zur Vereinfachung. Wenn sie sich selbst überlassen bleibt, ohne soziale Bindungen, ohne psychische Stimulation von außen, wird sie langsam verlöschen und ihre Substanz sinnlos vergeuden. Ein in den Wald verschlagener Mensch verwildert. Seine Seele verkümmert.
Daher ist es nur natürlich, dass wir, nachdem wir die Städte, die jahrhundertelang die Quellen der Kultur gewesen sind, kurz und klein geschlagen hatten, befürchten mussten, dass unsere in Wäldern und Feldern zerstreut lebende Bevölkerung allmählich versauern, d. h. ihre Kultur - wie in der Petersburger Periode unserer Geschichte - verlieren würde. Um diesen Prozess zu bekämpfen, musste man eine soziale Dränage entwickeln.
Noch größere Sorge bereitete uns das Problem der Weiterentwicklung unserer Kultur, all jener Werte, die wir eben der Stadt zu verdanken hatten. Unablässig beschäftigte uns der Gedanke: Sind die höchsten Formen der Kultur unter der Bedingung einer dezentralisierten ländlichen Siedlungsweise der Menschheit überhaupt möglich?
Die Epoche der Gutsbesitzerkultur der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die die Dekabristen hervorbrachte und der Welt einen Puschkin schenkte, gab uns die Antwort, dass all dies technisch möglich sein musste.
Es galt nur noch, die hierfür notwendigen Mittel und Wege zu finden. Wir haben alle Anstrengungen unternommen, um ideale Verkehrsverhältnisse zu schaffen, fanden Mittel, um unsere Bevölkerung auch dazu zu bewegen, auf diesen Verkehrswegen zu fahren, und sei es auch nur bis zu den örtlichen Zentren, und in diese Zentren haben wir alle Elemente der Kultur, die wir besaßen, hineingepackt, als da sind: das Kreis- und Gebietstheater, das Kreismuseum mit Filialen der Gebietsmuseen, Volksuniversitäten, Sport aller Klassen und Arten, Gesangvereine, einfach alles bis hin zur Kirche und Politik wurde zur Hebung der Kultur auf das Land verlagert.
Wir haben viel riskiert, doch haben wir das Land über Jahrzehnte hin in psychischer Spannung gehalten. Eine spezielle Liga, die die öffentliche Meinung organisieren sollte, schuf Dutzende von Apparaten, die die soziale Energie der Massen herausforderten und aufrechterhielten, ja, ich gestehe, dass sogar spezielle Gesetzentwürfe in die legislativen Institutionen lanciert wurden, die den bäuerlichen Interessen zuwiderliefen, allein, um das öffentliche Bewusstsein der Landbevölkerung aufzurütteln. Von größter Bedeutung für die Herstellung eines Kontaktes zwischen unseren Mitbürgern und den Kulturquellen war vermutlich jedoch das Gesetz, das Pflichtreisen sowie eine zweijährige Wehrdienstverpflichtung für unsere heranwachsenden Jungen und Mädchen festsetzte. Die Reiseidee, die wir den mittelalterlichen Zünften abgesehen hatten, brachte den jungen Menschen in Berührung mit der ganzen Welt und erweiterte seinen Horizont. In noch stärkerem Maße wurde er während des Wehrdienstes bearbeitet. Ehrlich gesagt, maßen wir dem Wehrdienst fast keine strategische Bedeutung bei: im Falle eines Angriffes durch eine ausländische Macht haben wir mächtigere Verteidigungsmittel parat als alle Kanonen und Gewehre zusammengenommen, und wenn die Deutschen ihre Drohung wahrmachen sollten, so werden sie sich davon überzeugen können.
Aber die pädagogische Seite des Wehrdienstes, die moralische Disziplinierung, kann gar nicht überschätzt werden. Sport, rhythmische Gymnastik, bildhafte Gestaltung, Arbeit in Fabriken, Wanderungen, Manöver, Landarbeiten - durch all dies wird uns der Mitbürger geschmiedet und wahrhaftig, ein Militarismus dieser Art macht viele Sünden des alten Militarismus wieder wett.
Es bleibt noch die Frage der Weiterentwicklung der Kultur. Über einiges, was auf diesem Gebiet getan wurde, habe ich Ihnen bereits berichtet. Die wichtigste Idee, die uns bei der Lösung dieses Problems half, war die Idee der künstlerischen Auslese und die organisatorische Unterstützung talentierter Individuen.
Frühere Epochen verfügten über keine wissenschaftlichen Erkenntnisse des menschlichen Lebens, sie haben nicht einmal den Versuch unternommen, eine Theorie seiner normalen oder seiner pathologischen Entwicklung aufzustellen. Die Krankheiten in den Biographien der Menschen waren uns unbekannt, wir hatten keine Vorstellung von der Diagnose und Therapie eines misslungenen Lebens.
Menschen, die über geringe Vorräte an potentieller Energie verfügten, brannten oft wie Kerzen ab und gingen unter dem Druck der Verhältnisse zugrunde, während Persönlichkeiten voll kolossaler Kraft nicht einmal ein Zehntel ihrer Energie ausnutzten. Heute kennen wir die Morphologie und Dynamik des menschlichen Lebens, wir wissen, wie man in einem Menschen alle vorhandenen Kräfte zur Entfaltung bringen kann. Spezielle mitgliederstarke und mächtige Gesellschaften beschäftigen sich mit der Beobachtung von Millionen von Menschen, und Sie können überzeugt sein, dass heute kein einziges Talent abhanden kommen kann und kein einziges menschliches Potential dem Reich der Vergessenheit anheim fallen wird...«
Kremnew fuhr auf, er war äußerst erregt.
»Aber das ist ja einfach grauenvoll! Das ist ja eine Tyrannei, wie sie schlimmer nicht sein kann! Ihre Gesellschaften, die die deutschen Antroposophen und französischen Freimaurer wiederauferstehen lassen, stehen jedem beliebigen staatlichen Terror in nichts nach. - Wahrhaftig, wozu brauchen Sie noch einen Staat, wo doch Ihre ganze Gesellschaftsordnung nichts anderes ist als eine verfeinerte Oligarchie von zwei Dutzend superklugen Ehrgeizlingen!«
»Regen Sie sich nicht auf, Mister Charlie. Zum ersten: jede starke Persönlichkeit spürt nicht einmal einen Deut von unserer Tyrannei, und zum zweiten: Sie hätten vor dreißig Jahren recht gehabt, damals war unsere Gesellschaftsordnung eine Oligarchie begabter Enthusiasten. Heute können wir sagen: >Nun lässest Du Deinen Diener im Frieden fahren.< Die bäuerlichen Massen sind bei der Bildung der öffentlichen Meinung des Landes zur aktiven Teilnahme herangewachsen, und wenn wir geistig an der Macht sind, so nur deshalb, weil: > Und der Kaiser absolut, wenn er unsren Willen tut<, wie die Deutschen sagen.
Und wenn selbst die stärkste Organisation es wagen sollte, mit der Meinung derer, die in den Hütten von Jaropolez, Murinow oder tausend anderen Ortschaften wohnen und denken, auf Kollisionskurs zu gehen, so wird sie ihren ganzen Einfluss und ihre geistige Macht im Nu verlieren. Glauben Sie mir, die geistige Kultur des Volkes kann sich, nachdem sie erst einmal einen bestimmten Grad erreicht hat, selbst automatisch halten und gewinnt eine innere Widerstandsfähigkeit. Unsere Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass jeder Amtsbezirk sein eigenes kulturell schöpferisches Leben lebt, dass sich das Leben im Kortschewer Kreis nicht qualitativ vom Leben im Kreis Moskau unterscheidet, und wenn wir das erreicht haben, können wir, die Enthusiasten der Renaissance des Dorfes, wir, die Nachfolger des großen Propheten A. Jewdokimow in Frieden ins Grab steigen.«
Die Augen des Alten brannten in jugendlichem Feuer, vor Kremnew stand ein Fanatiker.
Kremnew erhob sich und wandte sich mit sichtlicher Gereiztheit an Minin: »Nun schön, Sie sagen, dass die freie menschliche Persönlichkeit - dass der ganze Staat, die Pflicht, die Gesellschaft - Mittel zum Zweck sind. Ist denn dann, Ihrer Meinung nach, ein soziales Kriterium für die Selbsteinschätzung des Verhaltens Ihrer Bürger notwendig oder überflüssig?« »Vom Standpunkt der Bequemlichkeit staatlicher Verwaltung aus und als Massenerscheinung ist es wünschenswert, vom ethischen Standpunkt aus - nicht obligatorisch.« »Und so etwas verkünden Sie ganz offen?«
»Ja, so verstehen Sie doch, mein Lieber«, brauste der Alte auf, »bei uns gibt es keinen Diebstahl, und zwar nicht deshalb, weil jeder einsieht, dass Stehlen etwas Böses ist, sondern weil in den Köpfen unserer Mitbürger der Gedanke an Diebstahl gar nicht erst auftauchen kann. Unserer Meinung nach ist, wenn Sie so wollen, Einsicht in ethisches Verhalten - unmoralisch.«
»Schön, aber Sie selbst, Sie, die Sie alles das begreifen, Sie, die Oberkommandierenden des geistigen Lebens - wer sind Sie: sind Sie Auguren oder Fanatiker der Pflicht? Welche Ideen beflügelten Ihre Arbeit, als Sie diesen bäuerlichen Garten Eden schufen?«
»Sie unglücklicher Mensch!« rief Alexej Alexandrowitsch aus und richtete sich in seiner ganzen Größe auf. »Was unsere Arbeit und diejenige Tausender anderer beflügelt? Fragen Sie Skrjabin, was ihn beflügelte, seinen >Prometheus< zu schaffen, was Rembrandt dazu bewog, seine märchenhaften Visionen zu malen! Die Funken des prometheischen schöpferischen Feuers, Mister Charlie! Sie wollen wissen, wer wir sind - Auguren oder Fanatiker der Pflicht? Wir sind weder das eine noch das andere, wir sind Menschen der Kunst.«

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