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Alexander W. Tschajanow - Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie (1920)
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Erstes Kapitel

in dem der geneigte Leser Bekanntschaft schließt mit dem Sieg des Sozialismus und dem Helden unseres Romans, Alexej Kremnew.

Mitternacht war schon längst vorüber, als der Besitzer des Arbeitsbuches Nr. 37413, in der bourgeoisen Welt einst Alexej Wassiljewitsch Kremnew genannt, das stickige, maßlos überfüllte Auditorium Maximum des Polytechnischen Museums verließ.
Ein herbstlich-nächtlicher Nebelschleier breitete sich über die verschlafenen Straßen. Wie verloren standen die wenigen elektrischen Laternen in den entschwindenden Fernen der sich kreuzenden Gässchen. Der Wind zauste die gelben Blätter in den Bäumen des Boulevards, und wie ein märchenhafter Riese schimmerten im Dunkel die weißen Mauern des chinesischen Viertels.
Kremnew bog in die Nikolskaja-Straße ein. Es schien, als wolle sie im nebligen Dunst ihre ehemaligen Konturen wieder annehmen. Vergebens hüllte sich Kremnew in seinen Regenmantel, um sich gegen die durchdringende nächtliche Feuchtigkeit zu schützen, und betrachtete traurig die Wladimir-Kirche und die Pantelejmon-Kapelle. Er erinnerte sich, wie er vor vielen Jahren als Jurastudent im ersten Semester beklommenen Herzens eben hier auf der rechten Seite beim Antiquar Nikolajew das »ABC der Sozialwissenschaften« von Flerowski kaufte, wie er vor drei Jahren seine Ikonensammlung begann, als er bei Jelisej Ssilin den Nowgoroder
Erlöser fand, und an die vielen, langen Stunden, in denen er mit den heißen Augen eines Neubekehrten in den Handschriften- und Bücherschätzen des Schibanowski-Antiquariats wühlte, dort, wo man jetzt beim trüben Licht der Laterne die kurze Aufschrift »Glawbum« lesen konnte. Alexej verscheuchte die frevelhaften Erinnerungen und wandte sich dem Iwerski-Tor zu, ging am ersten Haus der Sowjets vorüber und tauchte unter im Halbdunkel der Moskauer Gässchen.
Doch in seinem Kopf brannten schmerzhaft die Worte, Sätze und Bruchstücke von Sätzen, die er eben erst auf dem Meeting im Polytechnischen Museum vernommen hatte: »Indem wir den heimischen Herd zerstören, versetzen wir der bourgeoisen Gesellschaft den Todesstoß!« »Unser Dekret, das die häusliche Verpflegung verbietet, wirft das süße Gift der bourgeoisen Familie hinaus aus unserem Dasein und verankert das sozialistische Prinzip bis ans Ende aller Zeiten.« »Die familiäre Behaglichkeit gebiert eigensüchtige Wünsche, die Freude des Kleinbesitzers birgt in sich die Keime des Kapitalismus.« Der übermüdete Kopf schmerzte dumpf und war bereits daran gewöhnt zu denken, ohne den Verstand dabei zu gebrauchen, ohne Schlussfolgerungen zu ziehen, während die Beine mechanisch dem halbzerstörten heimischen Herd zusteuerten, der gemäß dem eben erst veröffentlichten und erläuterten Dekret vom 27. Oktober 1921 innerhalb einer Woche dem völligen Untergang geweiht sein sollte.

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