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John Dos Passos - Drei Soldaten (1921)
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Das Metall kühlt aus

1

Vor dem Fenster lag purpurne Dämmerung. Regen fiel unaufhörlich in langen, hellen Streifen auf die geplatzten Scheiben und machte ein hartes, monotones Ta-to auf dem Zinkdach oben. Fuselli hatte seinen Regenmantel ausgezogen. Er stand am Fenster und schaute missmutig auf den Regen. Hinter ihm war ein rauchender Ofen, in den ein Mann Holz hineinsteckte und einige zerbrochene Klappstühle, auf denen Soldaten sich lässig ausgestreckt hatten, und der Tisch, wo der Marketender lächelnd stand und Schokolade an die Leute verteilte, die in Reihen an ihm vorbeidefilierten.
«Hier muss man sich wohl für alles anstellen», murmelte Fuselli.
«Das ist ungefähr alles, was man in diesem Höllenloch tut, Mann», sagte einer neben ihm.
Der Mann zeigte mit seinem Daumen zum Fenster und begann wieder:
«Sieh dir mal den Regen an. Drei Wochen bin ich in diesem Lager, und nicht einen Augenblick hat es aufgehört. Was hältst du von solch einem Land?»
«Zu Hause ist's sicher nicht so», sagte Fuselli. «Ich werde mir was Schokolade holen.»
«Ist 'ne faule Sache hier.»
Fuselli schob sich hinüber an das Ende der Kette und wartete, bis er an die Reihe kam. Er dachte an die steilen Straßen San
Franciscos, an den Blick über den Hafen, der voll gelber Lichter stand, an die Farbe der Dämmerung, wenn er von der Arbeit nach Hause zurück durch den lauen Abend ging. Plötzlich dachte er auch an Mabe, wie sie ihm die Fünf-Pfund-Schachtel mit Pralinen gab. Da wurde seine Aufmerksamkeit durch das Gespräch der Männer hinter ihm angezogen. Einer von ihnen sprach mit hastiger, nervöser Betonung. Fuselli konnte seinen Atem auf der Haut seines Nackens fühlen.
«Mensch, ich bin ein Ochse», sagte er. «Warst du auch da? Wo hast du deine bekommen?»
«Im Bein. Ist aber fast wieder in Ordnung.»
«Ich werde nie wieder in Ordnung kommen. Der Arzt sagt, ich sei wieder gesund. Aber ich bin's nicht. Dieser verdammte alte Narr!»
«Das war 'ne Zeit!»
«Ich wäre ein Ochse, wenn ich das noch mal mitmachte. Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich an die Helme der Hunnen denke. Hast du schon je einmal daran gedacht, was diese gottverfluchten Helme bedeuten können...?»
«Sind das gewöhnliche Helme?» fragte Fuselli und wandte sich halb um. «Ich habe sie im Kino gesehen...» Er lachte entschuldigend.
«Hör' doch mal diesen Grünling an. Der hat sie im Kino gesehen», sagte der Mann mit nervösem Drehen in seiner Stimme und lachte ein kleines, krächzendes Lachen.
«Wie lange bist du in diesem Land, Mann?»
«Zwei Tage.»
«Wir sind zwei Monate hier, nicht?» Der Marketender wandte sich mit einem Lächeln, das ihm auf dem Gesicht gefroren schien, an Fuselli, während er eine Zinntasse mit Schokolade füllte.
«Wie viel macht das?»
«Einen Franc», sagte der Marketender, und sein wohlgenährtes Gesicht glänzte vor liebenswürdiger Herablassung.
«Das ist verdammt viel für eine Tasse Schokolade», sagte Fuselli.
«Nun, 's ist Krieg, junger Mann, denken Sie dran», sagte der Marketender streng. «Sie können von Glück reden, dass Sie überhaupt was kriegen.»
Ein eisiges Frösteln packte Fuselli im Rücken, wie er zum Ofen hinüberging, um seine Schokolade zu trinken.
«Man darf sich nicht ärgern», dachte er, «'s ist Krieg.» Wenn irgendeiner der Sergeanten seine Unzufriedenheit sehen würde, würde ihm das vielleicht die Beförderung verderben. «Vorsichtig, vorsichtig! Aufpassen und auf Zehenspitzen weiter, so kommt man vorwärts.»
«Warum gibt es nicht mehr Schokolade?» Die nervöse Stimme des Mannes, der in der Reihe hinter Fuselli gestanden hatte, schwoll plötzlich zu einem Kreischen. Alle sahen sich um. Der Marketender bewegte den Kopf von einer Seite auf die andere, verwirrt, und sagte mit schriller Stimme:
«Ich sagte schon, dass nichts mehr da ist. Machen Sie, dass Sie wegkommen!»
«Du hast kein Recht, mir zu sagen, dass ich mich fortmachen soll. Du sollst mir Schokolade geben! Du hast gar keine Erlaubnis hier an der Front zu sein, du gottverdammter Mistbock!» Der Mann jelpte aus voller Lungenkraft. Er griff nach dem Tisch mit beiden Händen und schob ihn von einer Seite auf die andere. Sein Freund versuchte ihn wegzuziehen.
«Lass das, ich werde dich melden!» sagte der Marketender. «Ist ein Offizier hier in der Baracke?»
«Los, melde mich doch. Schlimmeres als bisher kann mir überhaupt nicht passieren.»
Die Stimme des Mannes war zu einem wütenden Sing-Sang angeschwollen.
«Ist ein Offizier im Raume?» Der Marketender sah beständig von einer Seite auf die andere. Seine kleinen Augen waren hart und trotzig, und seine Lippen zu einer dünnen, geraden Linie zusammengezogen.
«Seien Sie doch ruhig. Ich werde ihn schon fortschaffen», sagte der andere Mann leise. «Können Sie denn nicht sehen...?»
Ein seltsamer Schreck fasste Fuselli. Er hatte nicht erwartet, dass die Dinge so wären, damals, als er im Kino des Übungslagers die Soldaten in Khakiuniformen beobachtete, wie sie in Dörfer und Städte einmarschierten, die von Entsetzen gejagten Hunnen über Kartoffeläcker verfolgten und belgische Milchmädchen retteten.
«Kommen viele so zurück?» fragte er den Mann neben sich.
«Manche. Hier ist das Gesundungslager.»
Der Mann und sein Freund standen beiseite, in der Nähe des Ofens und sprachen leise miteinander.
«Nimm dich zusammen, Kerl», sagte der Freund.
«Ist ja schon wieder in Ordnung, Tub. Dieser Bock brachte mich in Wut, das war alles.»
Fuselli sah ihn neugierig an. Er hatte ein gelbes Pergamentgesicht und eine hohe, dünne Stirn, die in spärlichem grauem, gekräuseltem Haar mündete. Seine Augen hatten einen glasigen Schein. Sie trafen Fuselli. Er lächelte liebenswürdig.
«Oh, das ist ja der Mann, der die Hunnenhelme im Kino gesehen hat. Komm, Junge, wir wollen in der englischen Kantine zusammen ein Bier trinken.»
«Kann man da Bier bekommen?»
«Natürlich, drüben im englischen Lager.»
Sie gingen hinaus in den strömenden Regen... Es war fast dunkel, der Himmel hatte eine purpurrote Farbe, die ein wenig von den schrägen Flächen der Zelte und von den Dächern der Unterkunftshäuser, die in dem regnerischen Nebel in allen Richtungen untergingen, reflektiert wurde. Einige Lichter schienen in hellem, poliertem Gelb. Sie schlugen einen breiten Weg ein, auf dem der Schlamm aus den Pfützen nur so aufspritzte...
An einer Stelle flatterte ihnen ein Zelt nass gegen den Körper, als sie stramme Haltung einnahmen und einen vorübergehenden Offizier grüßten, der lebhaft mit einem kleinen Stöckchen winkte.
«Wie lange bleibt man gewöhnlich in diesen Ruhelagern?» fragte Fuselli.
«Kommt drauf an, was da draußen vorgeht», sagte Tub und zeigte mit unbestimmter Geste auf den Himmel über den Spitzen der Zelte.
«Du wirst hier schon früh genug wegkommen, hab' keine Sorge, Junge», sagte der Mann mit der nervösen Stimme. «Welcher Formation gehörst du an?»
«Sanitäter.»
«Sanitäter? So? Mit diesen Burschen dauert es nicht lange hier, nicht wahr, Tub?» «Ja.»
Irgend etwas in Fuselli protestierte: «Ich werde durchhalten. Ich werde doch durchhalten.»
«Erinnerst du dich an die Leute, die sich vorwagten, um den armen Korporal Jones zu holen, Tub?»
«Ich will verflucht sein, wenn irgend jemand jemals auch nur einen Hosenknopf von ihnen wieder findet.» Er lachte sein kleines, krächzendes Lachen. «Sie liefen einer Mine in den Weg.»
Die «feuchte» Kantine war voll Rauch. Sie war mit rotgesichtigen Leuten voll gestopft, die glänzende Messingknöpfe auf ihren Khakiuniformen hatten, unter ihnen waren eine Menge schlanker Amerikaner.
«Tommies», sagte Fuselli zu sich selbst. Nachdem er sich eine Weile angestellt hatte, bekam er seine Tasse mit schäumendem Bier zurück.
«Alle Achtung, Fuselli!» Meadville klopfte ihn auf die Schultern. «Du hast diese Flüssigkeit verdammt schnell ausfindig gemacht.»
Fuselli lachte. «Kann ich bei euch sitzen?» «Natürlich. Komm nur her», sagte Meadville stolz. «Die hier waren an der Front.» «So?» fragte Fuselli.
«Man sagt, die Hunnen schlagen eine ganz gute Faust.»
«Sagt mal, braucht man seine Knarre viel, oder machen die großen Kanonen die Hauptarbeit?»
«Nee--monatelang habe ich mit dieser verfluchten Knarre rumexerzieren müssen. Nicht ein einzigesmal habe ich das Dings gebraucht. Ich gehöre zur Handgranatenabteilung.»
Irgendeiner am anderen Ende des Zimmer hatte angefangen zu singen:

«Oh Madmerselle aus Armentieh,
Parleh wuh...»

Der Mann mit der nervösen Stimme fuhr zu sprechen fort, während der Gesang um sie zu einem Brüllen anwuchs.
«Jede Nacht muss ich an die Helme dieser Hunnen denken. Ist euch auch schon mal aufgefallen, wie komisch diese Helme aussehen?»
«Lass doch die Helme, Junge», sagte sein Freund. «Du hast uns schon alles darüber erzählt.»
«Ich habe noch gar nicht erzählt, warum ich nicht vergessen kann...»

«Ein deutscher Off'zier kam über den Rhein;
Parleh wuh?
Ein deutscher Off'zier kam über den Rhein;
Er liebte die Weiber und liebte den Wein;
Parleh wuh...»

«Hört doch diesen Kerls zu», sagte der Mann mit seiner zwitschernden, nervösen Stimme und starrte gerade in Fusellis Augen. «Wir machten eine Attacke, um unsere Gräben auszurichten, gerade eh' es mich haschte. Unsere Geschütze rissen die Gräben der Fritzies ein bisschen auf, und wir liefen grade drauf los und besetzten sie. Es war so ruhig, wie an einem Sonntagmorgen zu Hause... »
«Stimmt», sagte sein Freund.
«Und ich hatte ein Bündel Handgranaten, und einer kam gelaufen und flüsterte, dass eine ganze Schar von Fritzies in einem Unterstand drüben Karten spielen. Sie wissen scheinbar nicht, dass sie gefangen sind. Wir wollen sie lieber gefangen nehmen.
Ach was, gefangen — sagte ich —. Mit denen werden wir reinen Tisch machen. So krochen wir vorwärts und sahen in den Unterstand hinunter...»

«Oh Madmerselle aus Armentieh;
Parleh wuh!»

«Ihre Helme sahen aus wie Pilze; ich musste fast darüber lachen. Und sie saßen rund um die Lampen und legten ihre Karten sehr ernst ins Spiel, so wie es die Deutschen zu Hause in ihrem Ratskeller machen.»

« Und nahm sie mit die Treppe rauf und in sein Bett;
Parleh wuh?»

«So lag ich dort eine höllische Zeit, und dann fasste ich eine Granate und schmiss sie ganz sanft die Treppen runter. Und all diese komischen Helme knallten in die Luft, un' jemand schrie, un' das Licht ging aus, un' die verdammte Granate platzte. Dann ließ ich sie liegen und ging weg, weil einer so furchtbar stöhnte. Bald darauf fielen ihre Geschütze über uns her, und ich kriegte was ab.»

«Die Yankees haben 'ne verdammt schöne Zeit;
Parleh wuh?»

«Und das erste, woran ich dachte, als ich wieder aufwachte, waren diese verfluchten Helme. Man wird ganz verrückt, wenn man daran denkt.» Seine Stimme schlug in ein Wimmern um, wie die gebrochene Stimme eines geschlagenen Kindes.
«Du musst dich zusammennehmen, Mann», sagte sein Freund.
«Weiß schon, Tub, ich brauch 'ne Frau.»
«Weißt du, wo du eine kriegen kannst?»
«Ich möchte gern ein nettes kleines Franzosenmädchen haben bei einer Regennacht wie dieser.»
«Muss ein verdammter Weg zur Stadt sein... Das ganze Nest soll übrigens von Militärpolizei voll liegen», sagte Fuselli.
«Ich weiß 'nen Weg», sagte der Mann mit der nervösen Stimme. «Komm, Tub.»
«Ich hab' die Nase voll von diesen verfluchten Franzosenweibern.»
Sie verließen die Kantine.
Als die beiden Männer fortgingen, am Gebäude entlang, hörte Fuselli durch das metallische Plätschern des Regens die nervöse, zwitschernde Stimme: «Ich kann es nicht vergessen, wie komisch diese Helme um die Lampe herum aussahen... Ich kann nicht vergessen...»

Bill Grey und Fuselli legten ihre Bettücher zusammen und schliefen zusammen. Sie lagen auf dem harten Boden des Zeltes, ganz nahe beieinander und lauschten auf den endlos plätschernden Regen, der die feuchte Leinwand des Zeltes über ihren Köpfen hinabrann.
«Ich werde hier 'ne Lungenentzündung kriegen, Bill», sagte Fuselli und putzte seine Nase.
«Das ist das einzige, vor dem ich Angst habe bei diesem verdammten Geschäft. Ich will nicht an einer Krankheit sterben... Und einer soll an... wie heißt es noch... Menegitis gestorben sein.»
«Hatte Stein das?»
«Der Korporal will nicht raus mit der Sprache.»
«Armer Junge. Siehst selbst krank genug aus», sagte Fuselli.
«'s ist dieses ekelhafte Klima», flüsterte Bill Grey mitten in einem Hustenanfall.
«Mensch, sperr' doch den Rachen zu und lass das Husten; wir wollen schlafen», kam eine Stimme von der anderen Seite des Zeltes.
«Nimm dir ein Zimmer in einem Hotel, wenn's dir nicht Passt.»
«Gib's ihm nur ordentlich, Bill!»
«Kerls, wenn ihr nicht bald aufhört mit dem Gequatsche, werde ich euch alle in die Küche stecken», sagte der Sergeant mit seiner gutmütigen Stimme.
Im Zelt wurde es still, nur das schmale Geräusch des plätschernden Regens und Bill Greys Husten war zu hören.
«Dieser Husten macht mir Schmerzen im Nacken», murmelte Bill Grey mürrisch, als sein Hustenanfall aufgehört hatte und er sich unter den Decken wälzte.
Nach einer Weile sagte Fuselli ganz leise, so dass niemand außer seinem Freund es hören konnte:
«Sag mal, Bill, ist es nicht ganz anders, als wir dachten?»
«Jaaa. Ich meine, die Leute hier denken ja gar nicht daran, den Hunnen eins aufs Dach zu geben. Die haben genug damit zu tun, sich über alles aufzuregen.
Das sind die oben, die das Denken besorgen», sagte Grey großsprecherisch.
«Ja, aber ich dachte, es würde aufregend sein, wie im Kino.»
«Ich denke, wir haben genug gesprochen.»
«Mag sein.»
Fuselli schlief auf dem harten Boden ein, fühlte die angenehme Wärme von Grey neben sich, hörte das endlose, monotone Plätschern des Regens auf der durchnässten Leinwand über seinem Kopfe. Er versuchte noch einen Augenblick wach zu bleiben, um sich an Mabe zu erinnern. Doch Schlaf schloss ihm schnell die Augen.
Das Signalhorn jagte sie von ihrem Lager hoch, noch ehe es hell war. Der Regen hatte aufgehört. Die Luft war rau und voll weißen Nebels, der kalt an ihre noch vom Schlafen warmen Gesichter drang. Der Korporal rief sie auf und zündete Streichhölzer an, um die Liste lesen zu können. Als er die Formation entließ, hörte man die Stimme des Sergeanten aus dem Zelt, wo er noch in seine Laken eingerollt lag.
«Korporal, lassen Sie Fuselli Leutnant Stanfords Zimmer in Ordnung bringen.»
«Hast du gehört, Fuselli?»
«Zu Befehl», sagte Fuselli. Sein Blut begann plötzlich zu kochen. Es war das erste Mal, dass er die Arbeit eines Knechtes zu verrichten hatte. Er war nicht in die Armee eingetreten, um ein Sklave zu sein für irgendeinen verdammten Leutnant.
Außerdem war es gegen die Armeeordnung. Dagegen muss man aufmucken. Man darf sich nicht zum Sklaven machen lassen.
Er ging an den Eingang des Zeltes und überlegte sich, was er dem Sergeanten wohl sagen werde.
Doch er bemerkte, dass der Korporal in sein Taschentuch hustete, mit einem Ausdruck von Schmerz im Gesicht. Er drehte sich um und ging weg.
Das wäre 'ne Dummheit, so aufzumucken zu beginnen. Besser Maul halten und sich damit abfinden. Der arme Korporal wird es doch nicht lange mehr mitmachen. Dann bin ich dran. Nee, man darf keine Dummheiten machen.
Um acht klopfte Fuselli mit einem Besen in der Hand an die ungestrichene Brettertür. Er fühlte eine tolle Wut in sich wuchten und herumflattern.
«Wer ist da?»
«Habe das Zimmer zu reinigen, Sir», sagte Fuselli. «Kommen Sie in ungefähr zwanzig Minuten zurück», sagte die Stimme des Leutnants. «Zu Befehl.»
Fuselli lehnte sich gegen die Rückwand der Baracke und rauchte eine Zigarette. Die Luft biss die Haut seiner Hände so, als ob sie von einem Reibeisen aufgekratzt worden wäre. Zwanzig Minuten vergingen langsam. Verzweiflung erfasste ihn. Er war so weit von all denjenigen entfernt, die ihn gern mochten, so verloren in dieser ungeheuren Maschine. Er sagte sich selbst, dass er nie vorwärts kommen werde. Dass er nie dorthin gelangen werde, wo er zeigen könne, wozu er gut sei. Er fühlte sich, als ob er in einer Tretmühle stände. Tag für Tag, jeder würde so sein wie dieser, derselbe Dienst, dieselbe Hilflosigkeit. Er sah auf seine Uhr: fünfundzwanzig Minuten waren um. Er nahm seinen Besen und ging zum Zimmer des Leutnants.
«Komm herein», sagte der Leutnant in nachlässigem Tone. Er war in Hemdsärmeln und rasierte sich gerade. Ein angenehmer Geruch von Rasierseife erfüllte das dunkle Bretterzimmer, das keine Möbel außer drei Lagerbettstellen und einigen Offizierskoffern enthielt. Es war ein junger Mann mit rötlichem Gesicht, weichen Backen und dunklen, geraden Augenbrauen. Er hatte das Kommando der Kompanie vor ein oder zwei Tagen übernommen. «Sieht wie ein anständiger Kerl aus», dachte Fuselli.
«Wie heißt du?» fragte der Leutnant.
Er sprach in den kleinen Metallspiegel hinein, während er das Sicherheitsrasiermesser schräg über seinen Hals laufen ließ. Er stotterte ein wenig. Fuselli schien es, als spreche er wie ein Engländer.
«Fuselli.»
«Von italienischen Eltern?»
«Jaaa», sagte Fuselli düster und schleppte eine der Bettstellen in die Mitte des Raumes. «Paria Italiano?»
«Sie meinen, ob ich italienisch spreche? Nee», sagte Fuselli mit Emphase. «Ich bin in Frisco geboren.»
«So? Hol mir doch noch mehr Wasser, ja?»
Als Fuselli zurückkam, stand er mit seinem Besen zwischen den Knien, blies in seine Hände, die blau und steif waren vom Tragen des schweren Eimers. Der Leutnant war angezogen und schloss gerade den obersten Haken seines Uniformkragens mit großer Sorgfalt. Der Kragen verursachte eine rote Stelle auf seinem Hals.
«Wenn du hier fertig bist, mach, dass du zu deiner Kompanie zurückkommst.»
Der Leutnant ging hinaus, zog sich mit zufriedener und wichtiger Geste ein paar khakifarbene Handschuhe an.
Fuselli ging langsam zu den Zelten zurück, wo die Kompanie einquartiert war, sah sich auf dem Wege die langen Reihen von Baracken an, die dürr und nass im Nebel erschienen, bemerkte die großen Zinnunterkünfte der Küchen, wo die Köche und die zum Küchendienst Abkommandierten in fettigen, blauen Kitteln herumschoben in dem Dampf kochenden Essens.
Die Geste, mit der der Leutnant seine Handschuhe angezogen hatte, kam Fuselli plötzlich zum Bewusstsein. In den Kinos hatte er Leute gesehen, die solche Gesten sich erlaubten, dicke, würdige Leute in Abendkleidung. Der Präsident der Gesellschaft, welche die optischen Geschäfte besaß, wo er gearbeitet hatte, zu Hause in Frisco, hatte auch so eine Geste an sich gehabt.
Und er stellte sich selbst vor: auch ein solches Paar Handschuhe in dieser Weise, wichtig, Finger nach Finger anziehend, mit einer kleinen Bewegung der Selbstzufriedenheit... Man muss unbedingt Korporal werden!

«Und Frankreich ist ein schönes Land,
Wir marschieren, marschieren, das Gewehr in der Hand.»

Die Kompanie sang fröhlich und patschte durch den Schlamm, einen langen, grauen Weg hinunter zwischen hohen Bretterzäunen, die mit ungeheuren Knoten von Telegraphendraht bedeckt waren, hinter ihnen erschienen Geschäftshäuser und Schornsteine von Gewehrfabriken.
Der Leutnant und der Sergeant gingen zusammen plaudernd und sangen von Zeit zu Zeit ein paar Töne des Gesanges mit. Der Korporal sang, die Augen vor Vergnügen funkelnd. Sogar der verschlossene Sergeant, der nur ganz selten zu irgend jemand sprach, sang mit. Die Kompanie marschierte vorwärts, die sechsundneunzig Beine strampelten lustig durch die tiefen, schmutzigen Pfützen. Das Gepäck schaukelte vergnügt von einer Seite auf die andere, als ob es selbst, nicht die Beine, liefe.

«Und Frankreich ist ein schönes Land,
Wir marschieren, marschieren, das Gewehr in der Hand.»

Nun endlich waren sie dabei, irgendwohin zu gehen. Sie hatten sich von dem Kontingent getrennt, mit dem sie gekommen waren. Sie waren jetzt ganz allein. Jetzt würde es heißen: arbeiten! Der Leutnant marschierte mit wichtiger Miene weiter, die Sergeanten taten dasselbe, der Korporal ebenfalls. Der rechte Flügelmann fühlte sich noch wichtiger, als irgendeiner der anderen. Ein Gefühl der Wichtigkeit, ein Gefühl von etwas Ungeheurem, das getan werden müsse, berauschte die Kompanie, ließ das Gepäck und die Gürtel leichter erscheinen, löste die Steifheit ihrer Nacken und Schultern, die mit der Last des Gepäcks kämpften, und so marschierten die sechsundneunzig Beine fröhlich durch Schmutz und Schlamm.
Es war kalt in dem dunklen Schuppen der Güterstation, wo sie warteten. Einige Gaslampen flackerten schwach hoch oben im Gebälk und beleuchteten gespenstisch große Haufen von Munitionskästen, Reihen und Reihen von Granaten, die in der Dunkelheit sich auflösten. Die graue Luft war voll von Kohlenstaub und einem Geruch von frisch geschnittenen Brettern. Der Hauptmann und der erste Sergeant waren verschwunden. Die Leute saßen herum, in Gruppen zusammengekauert, ließen sich so tief wie möglich in ihre Mäntel hineinsinken und stampf-
ten mit ihren erstarrten, nassen Füßen den schlammbedeckten Zement des Bodens. Die Schiebetüren waren geschlossen. Hindurch aber kam das monotone Geräusch rangierender Züge, von Puffern, die auf Puffer stießen, und dann und wann das schrille Pfeifen einer Maschine.
«Die französischen Eisenbahnen sind ein Mist», sagte jemand.
«Woher weißt du?» schnappte Eisenstein ein, der auf einer Kiste getrennt von den übrigen saß, sein mageres Gesicht in den Händen, und seine bedreckten Stiefel anstarrte.
«Sieh dir mal das an!» Bill Grey machte eine Geste der Verachtung nach der Decke hinauf. «Gas! Haben nicht mal elektrisch' Licht.»
«Ihre Züge fahren schneller als unsere», sagte Eisenstein.
«Quatsch doch nicht. Einer da hinten aus dem Ruhelager erzählte mir, dass man vier und fünf Tage braucht, um irgendwohin zu kommen.»
«Der hat dir was aufgebunden», sagte Eisenstein. «In Frankreich fuhren bisher die schnellsten Züge der Welt.»
«Aber nicht im zwanzigsten Jahrhundert. Ich bin Eisenbahner und weiß das.»
«Fünf Mann sollen mir helfen, das Essen verteilen», sagte der Sergeant, der plötzlich aus dem Schatten getreten war. «Fuselli, Grey, Eisenstein, Meadville, Williams, kommt mit mir.»
«Sergeant, was meinen Sie dazu, er da sagt, französische Züge fahren schneller als unsere!»
Der Sergeant bewaffnete sich mit einem komischen Gesicht, und alle stellten sich in Bereitschaft, um zu lachen.
«Na, wenn er heute Abend im Ochsenexpress sitzt, wird er ihn wahrscheinlich mit einem Pullmanwagen verwechseln.»
Alle lachten. Der Sergeant wandte sich leutselig zu den fünf Soldaten, die ihm in einen kleinen, gutbeleuchteten Raum folgten, der wie ein Güterbüro aussah.
«Wir müssen das Fressen aussuchen, Leute, seht euch diese Kisten an. Da sind eure Rationen drin.»
Fuselli öffnete eine der Kisten. Die Büchsen mit Cornedbeef flogen ihm auf die Finger. Er sah aus den Augenwinkeln auf Eisenstein, der diese Büchsen sehr geschickt zu handhaben verstand. Der erste Sergeant stand mit den Beinen weitauseinander da und schaute zu. Einmal sagte er irgend etwas leise zum Korporal. Fuselli glaubte das Wort «Beförderung» zu hören, und sein Herz begann laut zu pochen. Nach einigen Minuten war die Arbeit getan, und alle zündeten sich Zigaretten an.
Sie marschierten zurück in das schmutzige, braune Zimmer, wo der übrige Teil der Kompanie in ihre Mäntel eingekauert wartete. «Das war der Anfang», dachte Fuselli, «ich werde schon vorwärts kommen.»

Der niedrige Güterwagen klapperte und rüttelte monoton über die Schienen. Ein bitterkalter Wind schlug durch die Ritzen der hässlich gespaltenen Bretter des Bodens. Die Soldaten hockten in den Ecken des Wagens, zusammengerollt wie Puppen in einer Kiste. Das Dunkel war schwarz wie ein Abgrund. Fuselli lag halb schlafend, den Kopf voll seliger, fragmentarischer Träume, durch den Schlaf hindurch fühlte er die stechende Kälte und das endlose Klappern und Rattern der Räder, und die Körper, Arme und Beine, die in Mäntel und Decken eingehüllt sich gegen ihn pressten. Er wachte mit einem Ruck auf. Seine Zähne klapperten. Das Schüttern der Räder schien in seinem Kopf zu sein. Der wurde irgendwie mitgezogen und gegen kalte, eiserne Schienen gestoßen. Einer steckte ein Zündholz an: die schwarzen Wände des Güterwagens, das in der Mitte aufgestapelte Gepäck, die in den Ecken aufgehäuften Körper, wo aus Khakimassen hier und dort ein weißes Gesicht und ein Paar glänzende Augen für einen Augenblick zu sehen waren, um dann wieder in der ungeheuren Schwärze des Raumes zu verschwinden. Fuselli benutzte irgend jemands Arm als Kissen und versuchte einzuschlafen. Aber das kratzende Rattern der Räder über den Schienen war zu laut. Mit offenen Augen starrte er wach in die Dunkelheit, versuchte seinen Körper vor dem Zug der kalten Luft, der aus den Ritzen im Boden herauskam, fortzuziehen.
Als das erste Grau durch die Wände des Wagens hindurchfilterte, standen sie alle auf und stampften und pufften einander und rangen, um warm zu werden. Als es beinahe hell war, hielt der Zug an, und sie öffneten die Schiebetüren. Sie waren in einer Station, einer sehr ausländisch aussehenden Station, deren Mauern mit unbekannter Reklame bedeckt waren. «v-e-r-s-a-i-l-l-e-s», Fuselli buchstabierte den Namen.
«Versales», sagte Eisenstein. «Hier wohnten die Könige von Frankreich früher.»
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Auf der Plattform stand der erste Sergeant. «Wie habt ihr geschlafen?» schrie er, als der Wagen an ihm vorbeirollte.
Der Sergeant lief zurück zur Spitze des Zuges und stieg ein.
Mit dem angenehmen Gefühl, dass er der Leiter sei, verteilte Fuselli das Brot und die Büchsen mit Cornedbeef und Käse. Dann setzte er sich auf sein Gepäck und aß trocken Brot und Cornedbeef und pfiff fröhlich, während der Zug durch eine seltsame, nebelig grüne Landschaft ratterte. Er pfiff fröhlich, weil er an die Front fuhr, wo Ruhm und Bewegung und Aufregung sein würde, er pfiff fröhlich, weil er fühlte: ich komme vorwärts in der Welt!

Es war am Nachmittag. Eine blasse, kleine Sonne hing wie ein Spielzeugballon tief unten im rötlich grauen Himmel.
Der Zug hielt in der Mitte einer rostbraunen Ebene. Gelbe Pappeln, undeutlich verschwimmend wie Nebel, wuchsen schlank auf gegen den Himmel, längs eines schwarzglänzenden Stromes, der in Wirbeln am Schienenstrang vorbeifloß. In der Ferne reckten sich ein Kirchturm und einige rote Dächer schwach aus dem Grau des Nebels heraus.
Die Leute standen herum, balancierten von einem Fuß auf den anderen, stampften, um warm zu werden. An der anderen Seite des Flusses hatte ein alter Mann seinen Ochsenwagen angehalten und sah traurig auf den Zug.
«Wo ist die Front?» rief jemand zu ihm herüber.
Alle nahmen sie den Ruf auf: «Wo ist die Front?»
Der alte Mann winkte mit der Hand, schüttelte den Kopf und schrie seine Ochsen an. Die Ochsen setzten sich langsam und ruhig, so wie eine Prozession, in Bewegung, und der alte Mann schritt ihnen voraus, die Augen auf den Boden geheftet.
«Diese Franzmänner sind blöde Hunde.»
«Sag mal, Dan», meinte Bill Grey, «die da meinen, wir kämen zur dritten Armee.»
«Sagt Kerls», rief auch Fuselli, «die meinen, wir kämen zur dritten Armee. Wo ist das?»
«Im Oregonwald», wagte sich jemand heraus.
«Das ist aber Front, nicht wahr?»
In diesem Augenblick ging der Leutnant vorbei, einen langen, khakifarbenen Schal um den Nacken.
«Leute», sagte er streng, «es ist Befehl, im Wagen zu bleiben.»
Die Leute gingen trübsinnig in die Wagen zurück.
Ein Lazarettzug kam vorbei, rollte langsam über die Schienen. Fuselli starrte die dunklen, milchigen Fenster an mit den roten Kreuzen, und die Krankenwärter in weiß, die aus den Türen sich herausbeugten und mit den Händen winkten. Irgendeiner bemerkte, dass auf der frischen grünen Farbe des letzten Wagens Kratzer waren.
«Die Hunnen haben den Zug beschossen...»
«Diese dreckigen Hurenhengste!...»
Fuselli erinnerte sich an das Pamphlet «deutsche Gräueltaten», das er eines Nachts in einer Lesehalle gelesen hatte, und sein Bewusstsein füllte sich plötzlich mit Bildern von Kindern, denen man die Arme abgeschnitten hatte, von Säuglingen, die auf Bajonette aufgespießt, von Frauen, die auf Tischen festgebunden und von Soldat nach Soldat vergewaltigt wurden... Er dachte an Mabe. Er wünschte, er wäre in einer kämpfenden Truppe; er wollte Kampf, Kampf. Er sah sich selbst Dutzende von Männern in grünen Uniformen erschießen, und er dachte an Mabe, die in der Zeitung darüber lesen würde. «Ich muss versuchen, in eine kämpfende Truppe zu kommen, kann nicht bei den Sanitätern bleiben.»
Der Zug hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Nebelig braune Felder glitten vorbei, und dunkle Klumpen von Bäumen, die langsam ihre Zweige mit gelben und braunen Blättern schüttelten. Fuselli dachte an die gute Möglichkeit, Korporal zu werden.

Nacht. Eine schwach beleuchtete Station. Die Kompanie war in zwei Linien aufmarschiert. Sie saßen alle auf ihrem Gepäck. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig sangen Haufen von Leuten in blau mit Bärten und langen, schmutzigen Mänteln, die fast bis auf ihre Füße reichten. Fuselli beobachtete sie etwas beunruhigt.
«Donnerwetter, die haben komische Helme.»
«Sind die besten Soldaten der Welt», sagte Eisenstein. «Das bedeutet aber nicht viel.»
«Da ist ein Militärpolizist», sagte Bill Grey und fasste Fuselli beim Arm. «Wir wollen den Mann fragen, wie weit die Front von hier ist. Ich dachte, ich hätte vorhin Kanonen gehört.»
«So?» sagte Fuselli.
«Na, wie weit ist es zur Front?» Sie sprachen aufgeregt miteinander.
«Die Front?» sagte der Militärpolizist, der ein rotgesichtiger Ire war. «Ihr seid mitten in Frankreich.» Er spuckte voller Verachtung aus: «Solche Kerle wie ihr kommen nie an die Front.»
«Zum Teufel!» sagte Fuselli.
Ein feiner Regen fiel auf den ungeschützten Bahnsteig. Auf der anderen Seite sangen die kleinen Männer in blau irgendein Lied. Fuselli konnte nichts verstehen. Er wunderte sich und teilte dann seine Neuigkeiten der Kompanie mit. Alles drängte sich fluchend um ihn. Aber das Gefühl seiner Wichtigkeit kompensierte nicht das andere Gefühl des Verlorensems in dieser ungeheuren Maschinerie, der vollkommenen Hilflosigkeit eines Schafes in einer Schlachtherde.
Die Stunden gingen vorbei. Sie stampften auf dem Bahnsteig in dem feinen Regen herum oder saßen auf ihrem Gepäck, weitere Befehle erwartend. Ein grauer Streifen erschien hinter den Bäumen. Der Bahnsteig begann silbrig zu scheinen. Sie saßen in einer Reihe auf ihrem Gepäck, wartend.

 

2

Die Kompanie stand aufmarschiert vor den Baracken, vor ihr war eine Reihe zerzauster Platanen mit weißen Stämmen, die wie Elfenbein in dem schwachen, rötlichen Sonnenlicht aussahen. Dann war da ein ausgefahrener Weg, auf dem in einer langen Linie französische Lastkraftwagen mit buckligen, grauen Rücken wie Elefanten krochen. Dahinter waren noch mehr Platanen und noch eine Reihe Baracken, die mit Teerpappe bedeckt waren, vor denen andere Kompanien aufgereiht standen. Ein Horn tönte in der Ferne. Der Leutnant stand in strammer Haltung steif da. Fuselli verfolgte mit den Augen die Lichter auf seinen glänzend polierten Stiefeln.
«Rühren!» rief der Leutnant mit gedämpfter Stimme.
Fuselli dachte an die Stadt. Nach dem Abtreten kann man die unregelmäßigen, zusammengewürfelten Straßen hinuntergehen zu dem grauen Steinbrunnen und zu der Kneipe, wo man am Tisch sitzen kann und Bier und Eier und gebratene Kartoffeln essen und sich von einem Mädel mit roten Backen und festen, weißen, appetitlichen Armen bedienen lassen. «Achtung!»
Füße und Hände ruckten zusammen. In der Ferne konnte man den Ton des Hornes hören.
«Ich habe euch einige Mitteilungen zu machen, Leute», sagte der Leutnant in leichtem Konversationston und sah die Kompanie an.
«Ihr habt gut gearbeitet. Freue mich, solch willige Leute unter mir zu haben. Und ich hoffe, wir können recht viele, so viele wie möglich, befördern.»
Fusselis Hände erstarrten zu Eis, und sein Herz pumpte das Blut so schnell in die Ohren, dass er kaum hören konnte.
«Folgende Gemeine werden zu Gefreiten befördert», las der Leutnant vor. «Grey, Appelton, Wilhams, Eisenstein, Porter.»
Fuselli war nahe daran, zu weinen. Sein Name war nicht auf der Liste.
Nach einer langen Pause kam die Stimme des Sergeanten weich wie Samt:
«Sie haben Fuselli vergessen.»
«Ach ja», der Leutnant lachte ein kleines, trockenes Lachen: «Und Fuselli.»
«Die Nacht muss ich das Mabe schreiben», sagte Fuselli zu sich selbst. «Die wird ja stolz sein, wenn sie den Brief kriegt.» «Kompanie w—weg—treten!» rief der Sergeant heiter.

«Oh Madmerselle aus Armentieh,
Parleh wuh?
Oh Madmerselle aus Armentieh...»

Der Sergeant stimmte das Lied an mit seiner saftigen Stimme.
Das vordere Zimmer des Caf6s war voller Soldaten. Ihre Khakikleidung verbarg die abgenützten Bänke und die Ecken des quadratischen Tisches und die roten Steine des Bodens. Sie gingen um den Tisch, wie die Bienen, Gläser und Flaschen traten ganz vage aus dem Tabaksrauch hervor. Sie standen vor der Bar, tranken aus Flaschen, rauchten und schlugen den Boden mit den Füßen. Ein pralles Mädchen mit roten Backen und festen, weißen Armen bewegte sich zufrieden zwischen den Soldaten, trug leere Flaschen weg, brachte volle zurück, nahm das Geld für eine grimmige alte Frau mit grauem Gesicht und Augen, schwarz wie Pech, in Empfang, die jede Münze sorgfältig anschaute, sie mit ihren grauen Händen befingerte und dann widerwillig in ihre Kasse fallen ließ. In der Ecke saß Sergeant Olster und ein anderer Sergeant, ein großer Mann mit schwarzem Haar und schwarzem Bart, um sie herum voller Respekt Fuselli, Bill Grey und Meadville, der Cowboy, und Earl Williams, der Blauäugige und Strohblonde.

«Die Yankees haben 'ne verdammt schöne Zeit,
Parleh wuh?»

Sie schlugen ihre Flaschen auf den Tisch im Rhythmus des Gesanges.
«Es ist doch ein anständiges Geschäft», sagte der erste Sergeant und unterbrach den Gesang plötzlich. «Da braucht ihr keine Sorge drüber haben, Kerls, ich habe drauf aufgepasst, dass wir'ne anständige Beschäftigung bekommen, und was die Front angeht, da braucht ihr auch keine Sorge haben. Wir werden alle noch in Stellung kommen. Dieser Krieg wird mindestens zehn Jahre dauern.»
«Bis dahin werden wir wohl alle General sein», sagte Williams.
«Nun, aber ich möchte doch wieder zu Hause sein und Sodawasser trinken.»
«Dieses Leben ist groß. Wenn man nur nicht schwach wird», murmelte Fuselli automatisch.
«Aber ich werde schwach», sagte Williams, «Mann, ich bin krank vor Heimweh. Ist mir ganz gleich, wer das weiß. Ich möchte an die Front und mit dem ganzen Kram fertig sein.»
«Du musst was saufen», sagte der Sergeant und schlug mit der Faust auf den Tisch. «Memselle...»
«Ich wusste nicht, dass Sie französisch sprechen können», sagte Fuselli.
«Französisch?» sagte der Sergeant. «Williams, der kann französisch sprechen!»
«Voulay vous couchay aveck moy... — das ist alles, was ich weiß.»
Alle lachen.
«Heh, Memsell, voulay vous couchay aveck moy? Wi, wi, Champagne!»
Alle lachten tosend. Das Mädchen patschte ihn auf die Hände. In diesem Augenblick stampfte ein Mann, ein großer, breitschultriger Kerl in einer losen, englischen Uniform ins Cafe, mit schwungvollem Schritt, der die Gläser auf allen Tischen klirren ließ. Er dudelte irgend etwas vor sich hin und grinste über sein breites, rotes Gesicht. Er ging zu dem Mädel, tat so, als ob er sie küsse, sie lachte und sprach vertraulich französisch mit ihm.
«Das ist der wilde Dan Cohen», sagte der dunkelhaarige Sergeant.
«Komm mal her, Dan!» «Hier, du Aasknochen!»
«Komm her und trink eins mit uns! Wir werden 'was Spritzwasser trinken.»
«Da bin ich immer dabei.»
Sie machten Platz für ihn auf der Bank.
«Ich habe Arrest», sagte Dan Cohen. «Schaut mich an!» Er lachte und gab seinem Kopf einen seltsamen, schnellen Dreh nach der einen Seite: «Comprih?»
«Mensch, hast du keine Angst, dass sie dich schnappen?» fragte Fuselli.
«Mich schnappen? Was sollen sie denn mit mir anfangen? Habe schon dreimal vorm Kriegsgericht gestanden und werde bald zum vierten Mal damit zu tun haben.» Dan Cohen schob seinen Kopf auf die eine Seite und lachte. «Habe einen Freund; mein alter Chef ist hier Hauptmann, und der wird die Geschichte in Ordnung bringen. Früher, chez moy, machte ich in Politik. Comprih?»
Der Champagner kam, und Dan Cohen entkorkte die Flasche mit geschickten, roten Fingern. Der Korken flog bis an die Decke.
«Dachte gerade darüber nach, wer mir'n Suff bezahlen würde», sagte er. «Habe keinen Pfennig gekriegt, seit Christus Korporal war. Habe schon ganz vergessen, wie 'ne Löhnung aussieht.»
Der Champagner sprudelte in den Biergläsern. «So ist das Leben», sagte Fuselli.
«Du hast verdammt recht, Mann, man darf nur nicht auf sich rumreiten lassen», sagte Dan.
«Weswegen sind sie jetzt hinter dir her, Dan?» «Mord.»
«Mord? Was ist denn das?» «Das ist, wenn der Bursche stirbt.» «Zum Teufel!»
«Das begann alles mit dem verrotzten Transport runter nach Nantes. Bill Rees un ich... Heh, Marie, encore Champagne, beaucoup!... Ich war damals im Ambulanzdienst. Wer weiß, in was für mistigem Dienst ich jetzt wieder stecke. Unsere Sektion war in Repos, und sie sandten einige von uns runter nach Nantes um 'ne Ladung Wagen zurückzuholen. Wir fuhren mit fünf richtigen Rennern, nur auf dem Chassis, savey. Bill Rees und ich waren verflucht am Schwanze des Zuges. Ganz zuletzt fuhr ein blöder Hund, der schembar nicht wusste, ob er kam oder gehen wolle.»
«Wo ist denn eigentlich Nantes?» fragte der erste Sergeant, als ob das Wort gerade jetzt erst in sein Bewusstsein gedrungen sei.
«An der Küste», antwortete Fuselli. «Ich sah's auf der Karte.»
«Nantes ist irgendwo in der Hölle», sagte der wilde Dan Cohen, nahm einen Schluck Champagner, hielt ihn einen Augenblick im Munde, den er dann wie eine Kuh beim Wiederkäuen bewegte.
«Un' da Bill Rees und ich zuletzt fuhren und am Wege viel Caf6s und Kneipen waren, hielten Bill Rees und ich so von Zeit zu Zeit an, um ein kleines Glas zu uns zu nehmen und den Mädels <bon jour> zu sagen und mit den Leuten zu reden. Un' dann fuhren wir wieder los wie ein Ball aus der Hölle, um aufzuholen. Ich weiß nicht, ob wir zu schnell fuhren, oder ob wir die Richtung verpassten, oder was das gewesen ist, aber wir erwischten diesen verdammten Transport nie. Na, dann dachten wir eben, wir könnten ja genauso gut 'n bisschen von dem Land uns angucken. Comprih?... Na, und das taten wir, kamen so nach Orleans, stürzten ohne Gas durch einen Gießbach. Ein Militärpolizist kletterte auf das Trittbrett unseres Wagens.»
«Haben sie dich da geschnappt?»
«Keine Rede», sagte Dan Cohen und ruckte seinen Kopf auf die Seite. «Man gab uns Brennstoff und neue Rationen und sagte, wir sollten am nächsten Morgen weiterfahren. Ihr seht, wir haben denen einen schönen Schmus aufgetischt. Comprih?
Wir gingen dann in ein duftes Restaurant — wir hatten diese blutigen britischen Uniformen an und der Militärpolizist wusste daher nicht, was für Vögel wir waren. So gingen wir denn darauf los und ließen uns ein richtiges, reguläres Essen kommen und 'ne Menge vin rouge und vin blanc und tranken auch einige Cognacs, und bevor wir wussten, fraßen wir schon mit zwei Hauptleuten und einem Sergeanten. Einer der Hauptleute war der besoffenste Kerl, den ich je im Leben gesehen habe. Wir aßen ordentlich was, und Bill Rees sagte, wollen 'ne kleine Vergnügungsfahrt machen, und der Hauptmann sagte, fein; der Sergeant hätte auch fein gesagt, aber der war so sternhagelvoll, dass er nichts mehr sagen konnte. Und dann schwirrten wir ab... Kerls, mir ist im Hals so trocken, als ob ich in der Hölle säße. Bestellen wir noch 'ne Flasche!» «Selbstverständlich», sagten alle.

«Bon swar, ma chérie,
Comment allez vous?»

«Encore Champagne, Marie gentille!»
«Nun», fuhr er fort, «wir surrten los, wie ein Ball aus der Hölle, eine schöne Straße hinunter, und es ging alles ganz gut, bis einer der Hauptleute dachte, wir müssten mal ein kleines Rennen machen. Das taten wir auch... Comprih? In der Hitze des Gefechts wurden wir so aufgeregt, dass wir alle den Sergeanten vergaßen. Der fiel runter, und keiner kümmerte sich darum. Und schließlich zogen wir vor eine Kneipe, und einer der Hauptleute sagte: wo ist denn der Sergeant? Und der andere meinte: gar keiner mitgewesen. Und darauf tranken wir alle. Und der eine Hauptmann sagte ständig: alles nur Einbildung. War nie ein Sergeant mit. Würde doch nie mit'm Sergeanten losfahren, nich', Leutnant? Er nannte mich immer Leutnant. Nun, auf diese Weise kam ich zu der neuen Anklage. Irgend jemand fischte den Sergeanten auf, und der hatte so 'ne kleine Gehirnerschütterung weg... Zur gleichen Zeit ungefähr meinten die Hauptleute, wir könnten mal nach Paris fahren. Und wir sagten, wir würden sie mitnehmen. Und so taten wir das ganze Benzin in meinen Wagen, und wir kletterten alle vier auf das verdammte Chassis, und ab ging’s, wie ein Ball aus der Hölle... Na, nach ungefähr zwei Minuten fanden wir uns auf einem dieser netten kleinen Steinhaufen wieder. Wir standen aber alle wieder auf. Der eine der Hauptleute hatte 'nen gebrochenen Arm, und das war 'ne schlimmere Geschichte, als den Sergeanten zu verlieren. So gingen wir dann zu Fuß die Straße runter. Ich weiß nicht, wie es kam; es wurde aber wieder hell. Und so kamen wir in irgend so 'ne verdammte Stadt, und da waren zwei Militärpolizisten, die schon auf uns warteten. Comprih? Na, wir haben da nicht lange mit den beiden Hauptleuten rumgefackelt. Wir machten uns gleich dünne, schwirrten eine Seitenstraße hinunter, gingen in ein kleines Cafe und amüsierten uns da mal anständig. Fühlten uns da recht wohl, und ich sage also zu Bill: Bill, wir müssen ins Quartier zurück und denen erzählen, dass bei einem Unglücksfall unser Wagen in Stücke ging, ehe noch diese Militärpolizisten sich mit uns beschäftigen. Und er sagt: hast verdammt recht. Gerade in dieser Minute sah ich durch eine Spalte in der Tür, wie so'n Feldgendarm ins Cafe kam. Wir rückten aus durch den Garten und machten uns an die Mauer ran. Kamen auch gut rüber, obschon wir ein anständiges Stück meiner Hosen an den Glassplittern zurückließen. Aber diese Feldschweine kamen auch rüber und hatten ihre Knallbüchsen in der Pfote. Und alles, was ich dann noch von Bill Rees sah... war ein großes, fettes Weib in einem rosanen Kleid, die wusch Wäsche in einem großen Fass, und der arme Bill Rees rennt gerade auf sie zu und purzelt mit ihr in das Waschfass. Na, da hatte ihn ja das Schwein. So entfleuchte ich. Und das allerletzte, was ich noch von Bill Rees sah, war, wie er so aus dem Waschfass rauskam, als ob er am Schwimmen sei, und das fette Weib saß am Boden und erhob die Fäuste gegen ihn. Bill Rees war der beste Kamerad, den ich hatte.»
Er machte eine Pause und goss den Rest des Champagners in sein Glas, wischte den Schweiß von der Stirn mit seiner großen, roten Hand.
«Du bindest uns doch hier nicht etwa einen auf?» fragte Fuselli.
«Frag du mal Leutnant Whitehead, der mich vor dem Kriegsgericht verteidigt, ob ich euch einen aufbinde. Ich habe im Ring gekämpft, Kerl, und darauf kannst du deinen letzten Dollar wetten, dass ein Mann aus dem Ring die Wahrheit sagt.»
«Fahre fort, Dan», sagte der Sergeant.
«Un' seitdem habe ich nie wieder von Bill Rees ein Wort
gehört. Ich denke, die haben ihn in die Gräben gebracht und kurze Arbeit mit ihm gemacht.»
Dan Cohen machte wieder eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden.
«Nun, eines dieser Feldschweine kommt hinter mir her und beginnt zu schießen. Ihr könnt euch denken, dass ich lief. Donnerwetter, hatte ich 'ne Angst. Aber ich hatte Schwein; da war ein Franzose, der gerade mit seiner Karre losfuhr, und ich sprang auf und sagte, die Feldgendarmen seien hinter mir her. Der wurde ganz weiß, dieser Franzmann. Er gab seinem Wagen Benzin literweise zu saufen und schob ab wie ein Ball aus der Hölle, und da war verdammt viel Verkehr auf der Straße, weil da an der Front wieder mal ein solch närrischer Angriff vor sich ging. So kam ich nach Paris... Da wäre alles schon gut gewesen, wenn ich nicht so ein Mädel getroffen hätte, das ich kannte. Ich hatte noch fünfhundert Franken bei mir, und so machten wir 'ne feine Kiste auf. Wie wir eines Tages im Cafe de Paris saßen — wir waren beide so'n bisschen angesäuselt, un' hatten nicht genug Geld, die Rechnung zu bezahlen — un' Jane lief, um 'was Geld zu holen. Inzwischen aber fasste mich 'n Feldgendarm, un' dann war die Hölle los... Comprih? Sie steckten mich in die Bastille, dann verluden sie mich nach irgend so 'nem verdammten Lager, gaben mir ein Gewehr un' exerzierten mich eine Woche und packten uns schließlich alle in einen Zug nach der Front. Da war wieder fast Schluss mit mir, aber als wir in Vitry-le-Francois ankamen, schmiss ich meine Knarre aus dem einen Fenster und sprang aus dem anderen un' auf einen Zug nach Paris zurück und ging und berichtete im Quartier, wie ich den Wagen zu Scherben gefahren habe, un' in der Bastille war, und alle waren wütend auf die Feldgendarmen, und sie sandten mich zu einer Abteilung, und alles ging gut, bis ich Befehl bekam, in dieses kotzige Lager zu kommen. Un' jetzt weiß ich nicht, was sie mit mir vorhaben.»
«Donnerwetter!»
«Großartig, so'n Krieg. Sage, ich möchte nicht drum rumkommen. Bin froh, dass ich dabei bin.»
In der anderen Ecke des Zimmers sang einer:

«Oh Madmerselle aus Armentieh,
Parleh wuh?»

«Donnerwetter, ich muss jetzt hier raus!» sagte Dan Cohen nach einer Minute. «Draußen wartet 'n Mädel auf mich.» Er schwankte hinaus und sang das Lied, das er immer sang:

«Bon swar, ma chérie,
Comment allez vous?.
Sie vous voulez
Couchez avec moi...»

Die Tür schlug hinter ihm zu, und viele hatten das Café verlassen. Madame hatte wieder zu stricken begonnen, und Marie mit den festen, weißen Armen saß hinter ihr, hatte den Kopf zurück gegen die Flaschen gelehnt, die in Haufen hinter der Bar aufgeschichtet waren.
Fuselli starrte auf die Tür auf der einen Seite der Bar. Die wurde immer aufgemacht, und Männer schauten hinein und schlossen sie wieder mit einem sonderbaren Ausdruck auf ihren Gesichtern. Dann und wann öffnete irgend jemand mit einem Lächeln, ging in das nächste Zimmer, scheuerte seine Füße an der Matte und schloss dann die Tür sorgfältig hinter sich.
«Sagt mal, ich wundere mich, was dort los ist», sagte der erste Sergeant, der auch zur Tür hinübergestarrt hatte. «Müssen wir uns mal anschauen», fügte er hinzu und lachte besoffen.
«Weiß nicht», sagte Fuselli. Der Champagner surrte in seinem Kopf, wie eine Fliege gegen eine Fensterscheibe.
Der erste Sergeant stand auf. Er fühlte sich sehr kühn und wichtig, ging auf die Tür zu, äugte hinein, winkte seinen Freunden und schlüpfte in das andere Zimmer. Dann schloss er die Tür sorgfältig hinter sich.
Der Korporal ging als nächster. Er sagte: «Ich will verdammt sein», und ging gerade hinein und ließ die Tür offen stehen. Nach einem Augenblick wurde sie von innen geschlossen.
«Komm, Bill, wollen auch mal sehen, was sie da drin haben», sagte Fuselli.
«Gut», meinte Bill Grey.
Sie gingen zusammen hinüber zur Tür. Fuselli öffnete und schaute hinein. Erstaunt ließ er den Atem in einem leise pfeifenden Geräusch durch die Zähne hinaus.
«Donnerwetter, komm rein, Bill», sagte er grinsend.
Der Raum war klein und wurde fast ganz von einem Tisch, der mit einem roten Tuch bedeckt war, ausgefüllt. Auf dem
Sims oberhalb des leeren Feuerplatzes waren Kerzen angebracht vor einem zerbrochenen Spiegel, die Tapete schälte sich von den feuchten Wänden ab und gab dem Ganzen einen fauligen Geruch, der noch nicht einmal von dem Bierdunst und Tabakqualm verdrängt wurde.
«Schau sie dir mal an, Bill», flüsterte Fuselli.
Bill Grey grunzte. «Meinst du, dass das Mädel aus Paris, von dem uns Dan eben erzählte, wie die war?»
Am Ende des Tisches saß, auf ihre Ellbogen gestützt, eine Frau mit schwarzem, kurzgeschnittenem Haar, das nach allen Richtungen von ihrem Kopfe abstand. Ihre Augen waren dunkel und ihre Lippen schwellend. Sie schaute mit einer gewissen Verachtung auf die Männer, die an den Wänden herumstanden und am Tisch saßen.
«Mich slafen mit netten Jungen, zahlen Zimmer», sagte sie in herausforderndem Tone.
«Die werde ich mir holen!» flüsterte Fuselli aufgeregt und berührte Bill Greys Ohr mit seinen Lippen.
Die Männer starrten sie schweigend an. Ein großer Mann mit rotem Haar und schwerem Unterkiefer, der ihr am nächsten saß, rückte immer näher. Einer schlug auf den Tisch, so dass die Flaschen und Likörgläser gegeneinander klirrten. «Die ist nicht sauber, hat kurzes Haar», sagte der Mann neben Fuselli.
«Du bist nicht sauber, du gottverfluchter Hurenhengst!»
Die Frau sagte irgend etwas auf französisch. Nur einer verstand es. Sein Lachen klang hohl in dem schweigenden Raum und brach plötzlich ab.
Die Frau sah sich die Gesichter um sie herum einen Augenblick aufmerksam an, zog die Schultern zusammen und begann die Schleife ihres Hutes, den sie im Schoss hielt, in Ordnung zu bringen.
«Wie kam die nur her? Ich dachte, die Feldgendarmen hätten sie grade aus der Stadt gejagt?» sagte einer.
«Du venay Paris», sagte ein Junge mit sanfter Stimme, der ihr nahe saß. Er hatte blaue Augen und eine milchweiße Haut, die seltsam von den roten und braunen Gesichtern im Raume abstach.
«Oui, de Paris», sagte sie nach einer Pause und sah plötzlich dem Jungen gerade ins Gesicht.
«Die lügt, sage ich dir», meinte der Rothaarige, der jetzt schon seine Schuhe ganz nahe bei der Frau hatte. «Nicht wahr, du verfluchte Fose?»
«Du sagtest dem, du seist aus Versailles und dem da, du seist aus Lyon», sagte der Junge mit der weißen Haut und lächelte freundlich. «Vraiment de ou venay vous?»
«Ich komme von überall», sagte sie und schüttelte ihren Kopf, so dass das Haar ihr nicht mehr in die Augen hing.
«Viel gereist?» fragte der Junge.
«Einer erzählte mir», sagte Fuselli zu Bill Grey, «er habe mit einem Mädel gesprochen, wie dieses, das in der Türkei und Ägypten gewesen ist. Diese Mädels sehen was vom Leben.»
«Die gehen gern mit Negern», sagte Bill Grey.
Die Frau sprang plötzlich auf und kreischte vor Wut.
«Nicht anfassen... zuerst das Geld!»
Der Rothaarige zog sich scheu zurück. Dann erhob er seine großen, schmutzigen Hände. «Kamerad», sagte er. Niemand lachte. Schweigen war im Raum, nur manchmal kam das Geräusch von Füßen, die sich am Boden bewegten.
«So ist's besser.» Sie lachte heiser. «Zuerst das Geld!»
Sie setzte ihren Hut auf, nahm eine kleine Schachtel aus ihrer Tasche und begann ihr Gesicht vor einem Spiegel zu pudern. Die Männer starrten sie an.
«Die denkt, sie wäre 'ne Maikönigin», sagte einer und stand auf. Er beugte sich über den Tisch und spuckte in den Kamin. «Ich gehe zu den Baracken zurück.»
Er wandte sich zu der Frau und rief mit einer Stimme voll Hass: «Bon swar!»
Die Frau legte die Puderschachtel in ihre Tasche zurück. Sie sah nicht auf. Die Tür schloss scharf.
«Kommt», sagte die Frau plötzlich und warf ihren Kopf zurück. «Wer will zuerst mir mir gehen?»
Keiner sprach ein Wort. Die Männer starrten sie an. Nur manchmal kam Geräusch von Füßen, die sich auf dem Boden bewegten.

 

3

Fusellis Augen waren noch klebrig vor Schlaf. Er saß auf der schwarzen, fettigen Bank und nahm einen Schluck heißen Kaffees, der etwas nach Abwaschtüchern roch. Der machte ihn ein wenig wach.
In dem Speiseraum wurde nur wenig gesprochen. Die Männer, die noch vor fünfzehn Minuten geschlafen hatten, saßen in Reihen, aßen missmutig oder blinzelten sich durch die nebelige Dunkelheit an. Füße kratzten in der Asche des Bodens herum, und das Essgeschirr klirrte auf den Tischen. Hier und da hustete irgendeiner. An der Essenausgabestelle fluchte ein Koch mit weinerlich singender Stimme.
«Sag mal, Bill, mir ist der Kopf so schwer», sagte Fuselli.
«Musste dich gestern in die Baracken zurückschleppen», brummte Bill Grey. «Du sagtest, du wollest zurückgehen zu diesem verdammten Mädel.»
«So», meinte Fuselli grinsend.
«Das war 'ne Arbeit, dich an der Wache vorbei zu kriegen.»
Sie wuschen ihr Essgeschirr in dem Fass mit warmem Wasser, das von den Hunderten Geschirren, die schon vorher darin gereinigt waren, ganz fettig war. Ein elektrisches Licht erleuchtete schwach den nassen Stamm einer Platane, und die Oberfläche des Wassers, auf der etwas Hafergrütze und Kaffeesatz herumschwamm, und die Abfalleimer mit ihren gemalten Schildern, und die Männer, die hintereinander sich aufgestellt hatten, um an das Fass heranzukommen.
«Dies verdammte Leben», sagte Bill Grey wild.
«Was meinst du?»
«Habe die ganze Zeit nichts getan, als Verbandszeug eingepackt und ausgepackt. Ich werde verrückt. Habe versucht, mich zu besaufen; nützt aber auch nichts.»
«Donnerwetter, mir ist der Kopf schwer», sagte Fuselli.
Bill Grey legte seine schwere, muskulöse Hand um Fusellis Schulter. Sie gingen zusammen zu den Baracken.
«Ich werde desertieren, Dan.»
«Tu das nicht, Bill. Wir können beide nur vorwärts kommen, wenn wir keine Dummheiten machen.»
«Darum gebe ich keinen Heller... Warum bin ich wohl in
diese verdammte Armee gekommen? Vielleicht weil ich in so 'ner Uniform gut ausschaue? Was?»
Bill Grey steckte die Hände in die Taschen und spie missmutig aus.
«Aber Bill, du willst doch nicht ein dreckiger Gefreiter bleiben?»
«Ich will an die Front! Ich will nicht hier bleiben, bis ich ins Kittchen fliege oder vors Kriegsgericht komme. Sag, Dan, kommst du mit mir?»
«Mensch, Bill, du machst doch nur Spaß. Die werden uns schon bald genug fortschicken. Ich will Korporal werden» — er drückte seine Brust heraus —, «noch ehe ich an die Front gehe, will ich zeigen, was ich kann.»
Ein Horn tönte.
«Lass sie nicht auf dir rumreiten, Dan.»
Sie marschierten auf der dunklen Straße auf und fühlten, wie der Schlamm unter ihren Füßen schwappte. Die Fahrtspuren waren voll schwarzen Wassers, in dem fernes elektrisches Licht sich widerspiegelte.
«Ihr arbeitet heute alle in den Lagerräumen», sagte der Sergeant mit seiner traurigen, gezogenen Stimme. «Der Leutnant sagt, dass alles heute Nachmittag fertig sein muss. Sie wollen es heute zur Front fahren.»
Einer pfiff vor Überraschung.
«Abtreten!» kommandierte der Sergeant unwillig.
Sie marschierten ab in der Dunkelheit, in der Richtung auf eines der Lichter. Ihre Füße platschten in den Pfützen.
Fuselli trat an die Wache, die am Tor des Lagers stand, heran. Er bohrte nachdenklich in den Zähnen mit einem Splitter aus einem Brett. «Phil, kannst du mir nicht einen halben Dollar pumpen?» Fuselli blieb stehen, steckte die Hände in die Taschen, sah die Büchse an und ließ den Splitter aus einem Winkel seines Mundes heraushängen.
«Unmöglich, Dan», sagte der andere Mann. «Bin vollkommen ausgebrannt. Habe keinen Cent seit Neujahr gekriegt.»
«Warum bezahlt man uns denn nicht?»
Fuselli ging den dunklen Weg hinunter. Der Schlamm war zur Stadt zu in tiefen Wagenspuren gefroren. Diese Stadt mit ihren kleinen Häusern war ihm immer noch fremd. Die Feuchtigkeit verursachte graue und grüne Flecken auf den mit roten
Ziegeln gedeckten Dächern und in den engen, gewundenen Straßen mit den vielen Baikonen. Nachts, wenn es überall dunkel war, und wenn ein Licht in einem Fenster gelben Schein auf die nasse Straße hinausgoss und das Licht aus einem Laden oder einem Cafe herausströmte, dann war alles fast erschreckend unwirklich. Er ging hinunter auf den Marktplatz, wo er hören konnte, wie der Springbrunnen plätscherte. In der Mitte blieb er unentschlossen stehen, den Mantel aufgeknöpft, die Hände bis auf den Grund seiner Taschen vergraben. Er hörte lange Zeit dem Plätschern des Springbrunnens zu und dem fernen Geräusch rollender Züge. «Und dies ist der Krieg», dachte er. «Seltsam, es ist stiller, als zu Hause nachts.»
Die Straße hinunter, am Ende des Platzes, erschien ein Streifen weißen Lichtes — die Scheinwerfer eines Automobils. Die beiden Augen des Wagens starrten geradeaus, gerade in seine, blendeten ihn, drehten sich dann ab nach der anderen Seite und huschten vorbei. Ein schwacher Petroleumgeruch und verschwimmende Stimmen blieben zurück. Fuselli beobachtete, wie die Fronten der Häuser hell wurden, wenn der Wagen die Straße weiter hinauffuhr. Dann war die Stadt wieder dunkel und still.
Er ging über den Platz zum «Cheval Blanc», dem großen Cafe, wo die Offiziere verkehrten.
«Schließ den Mantel!» fauchte eine Stimme. Er sah eine steife, große Gestalt an der Ecke der Biegung. Ein Pistolenhalfter war undeutlich zu sehen. Feldgendarm. Er schloss den Mantel eiligst und ging mit schnellen Schritten weg.
Er hielt vor einem Cafe an, auf dessen Fenster mit weißer Schrift «Schinken und Eier» geschrieben stand und sah voller Verlangen hinein. Jemand legte von hinten zwei große Hände über seine Augen. Er machte sein Gesicht frei.
«Hallo, Dan», sagte er. «Wie bist du aus dem Kittchen rausgekommen?»
«Mir kann keiner was, Mann», sagte Dan Cohen. «Hast'n bisschen Pinke?» «Nicht einen Cent.»
«Ich auch nicht... Gehn wir doch rein», sagte Dan. «Werde die Geschichte schon mit Marie in Ordnung bringen.» Fuselli folgte ihm zweifelnd. Er erinnerte sich, dass in der vorigen Woche einer vor das Kriegsgericht kam, weil er die Zeche geprellt hatte.
Er setzte sich an einen Tisch in der Nähe der Tür. Dan war im hinteren Zimmer verschwunden. Fuselli fühlte Heimweh. Er dachte daran, wie lange es schon her sei, dass er einen Brief von Mabe erhalten hatte. «Die wird schon einen anderen haben», sagte er zu sich selbst voller Wut. Er versuchte, sich zu erinnern, wie sie aussah. Aber er musste seine Uhr herausnehmen und in ihren Rücken hineinschauen, ehe er sich daran erinnern konnte, ob ihre Nase gerade oder stumpf war. Er sah auf und ließ die Uhr mit Geräusch in seine Tasche zurückgleiten. Marie mit den weißen Armen kam lachend aus dem anderen Zimmer. Ihre großen, festen Brüste, die man unter der engen Bluse sehen konnte, zitterten ein wenig, wenn sie lachte. Ihre Backen waren sehr rot, und eine Strähne ihres kastanienbraunen Haares hing ihr über die Stirn. Sie nahm sie eilig auf und machte sie mit einer Nadel fest. Dann ging sie in die Mitte des Zimmers. Dan Cohen folgte ihr, ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
«Alles in Ordnung, Mann», sagte er. «Ich habe ihr erzählt, du würdest zahlen, wenn Onkel Sam hier eingetroffen sei. Hast du schon mal Kümmel getrunken?»
«Was ist denn das?»
Sie setzten sich, aßen gebackene Eier an dem Tisch in der Ecke, dem begünstigten Tisch, wo Marie selbst oft saß und plauderte, wenn Madame mit ihrem eingetrockneten Gesicht sie nicht beobachtete. Verschiedene von den Leuten kamen mit ihren Stühlen näher; der wilde Dan Cohen gab immer Audienz.
«Schaut so aus, als ob 'ne neue Offensive bei Verdun vorbereitet sei», sagte Dan Cohen. Irgendeiner antwortete etwas.
«Seltsam, wie wenig wir wissen von dem, was vorgeht», sagte einer. «Ich wusste mehr über den Krieg, als ich zu Hause in Minneapolis war, als ich hier weiß.»
«Wir werden ihnen schon ordentlich heimleuchten», sagte Fuselli mit patriotischer Stimme.
«Während dieser Jahreszeit geschieht doch nichts», sagte Cohen. Ein Grinsen breitete sich auf seinem roten Gesicht aus. «Als ich das letzte Mal an der Front war, hatte der Boche gerade einen Handstreich gemacht und einen ganzen Graben gefangen genommen.»
«Von wem?»
«Amerikaner.» «Verdammt noch mal!»
«Das ist eine verfluchte Lüge», rief ein schwarzhaariger Mann mit schlechtrasiertem Gesicht, der gerade hereingekommen war. «Amerikaner haben sie noch nie gefangen genommen und werden sie auch nie.»
«Wie lange warst du an der Front?» fragte Dan Cohen kühl. «Du bist wohl schon bis Berlin vorgerückt, was?»
«Ich sage, wer meint, ein Amerikaner ließe sich von einem stinkenden Hunnen gefangen nehmen, ist ein verfluchter Lügner», sagte der Mann mit dem schlechtrasierten Gesicht und setzte sich missmutig hin.
«Nun, das würdest du besser nicht zu mir sagen», sagte Cohen lachend und betrachtete seine großen roten Fäuste nachdenklich.
Über Maries Gesicht strich ein Lächeln des Verständnisses. Sie sah auf Cohens Fäuste, zog ihre Schultern ein und lachte.
Eine neue Schar war gerade ins Cafe geschlüpft. «Nun, da ist ja der wilde Dan. Hallo, alter Kerl, wie geht's?»
«Hallo, Dook!»
Ein kleiner Mann in einem Mantel, der fast wie ein Offiziersmantel aussah, so gut war er geschnitten, schüttelte Cohens Hände. Er schien Korporal zu sein. Cohen machte Platz für ihn auf der Bank.
«Was machst du in diesem Loch, Dook?»
Der Mann krümmte seinen Mund so, dass sein schwarzer Schnurrbart hinunter hing.
«Schlacht von Nizza. Ich gehe bald zu meiner Formation zurück. Wäre nie vor das Kriegsgericht gekommen, wenn ich bei meiner Truppe geblieben wär. Ich war im Hospital mit Lungenentzündung.»
«Üble Geschichte.»
«Furchtbar, sage ich dir.»
«Dook, deine Truppe arbeitete mit unserer damals bei Chamfort, nicht?»
«Du meinst, als wir das Hospital räumten?» «Ja. War das nicht die Hölle?»
Dan Cohen schluckte ein halbes Glas Rotwein hinunter, schmatzte mit seinen dicken Lippen und begann zu erzählen: «Unsere Abteilung kam gerade aus Verdun. Da war ein kleiner Hügel, auf dem wir arbeiteten. Der Schlamm war so tief, und es stank furchtbar, wenn die Granaten kamen und den Boden aufwühlten, dass die Leichen nur so herumlagen... Sag mal, Dook, hast du Geld?» «Ja», sagte Dook ruhig.
«Der Champagner ist verflucht gut hier. Ich gehöre hier zur Abteilung V. Ich werd's dir zurückgeben bei der nächsten Löhnung.»
«Gut.»
Dan Cohen wandte sich um und flüsterte irgend etwas zu Marie. Sie lachte und tauchte wieder hinter dem Vorhang unter.
«Aber Chamfort war noch schlimmer. Alle waren einigermaßen nervös, weil die Deutschen eine Mitteilung abgeworfen hatten, in der stand, nach drei Tagen soll das Hospital geräumt sein, und dass sie es dann zusammenschießen würden. Was Komisches passierte dort. Das Hospital war in einem großen Haus, das wie ein Atlantic-City-Hotel aussah. Wir stellten oft unseren Wagen hinter dem Hause auf und schliefen darin. Dort lagen Leute, die wie wild schrieen und am ganzen Körper zitterten... In dem Flügel uns gegenüber lag ein Mann, der immerzu lachte. Bill Rees war auf dem Wagen mit mir, und wir lagen in unseren Decken im Wagen, und von Zeit zu Zeit wandten wir uns einander zu und flüsterten: <Ist dies nicht die Hölle, Mensch?> weil dieser Kerl immerzu lachte wie einer, der gerade einen Witz gehört hatte, der so komisch war, dass man nicht aufhören konnte zu lachen. Es war nicht wie das Lachen eines Verrückten... Als ich es das erste Mal hörte, dachte ich, es sei ein Mann, der wirklich lache. Und ich glaube, ich lachte dann auch. Aber er hörte nicht wieder auf. Bill Rees und ich lagen in unserem Wagen, zitternd, horchten auf das schwere Geräusch der Aeroplanbomben, die dann und wann explodierten, aber der Kerl, der lachte, lachte, als ob er gerade einen Witz gehört habe, als ob irgend etwas ihm furchtbar komisch vorkomme... »
Dan Cohen nahm einen Schluck Champagner und warf seinen Kopf auf die Seite.
«Und dieses verfluchte Lachen hielt an bis zum Nachmittag des nächsten Tages, wo die Krankenwärter den Kerl erwürgten... »
Fuselli sah auf die andere Seite des Raumes, wo ein schwaches Gemurmel der Entrüstung sich aus den Zähnen des dunklen Mannes mit dem unrasierten Gesicht hervorwagte. Fuselli dachte, es sei nicht gut, zuviel mit einem Manne wie Cohen gesehen zu werden, der von den Deutschen erzählte, sie benachrichtigten die Krankenstationen vor dem Bombardement, und den man vor das Kriegsgericht stellen werde. «Es ist eine Dummheit», murmelte er.
Er schlüpfte aus dem Cafe hinaus in die Dunkelheit. Ein nasskalter Wind pfiff durch die Straße, störte die Lichtflecken in den Pfützen und ließ irgendwo einen Fensterladen klappern.
Fuselli ging wieder auf den Marktplatz, warf einen neidischen Blick in das Fenster vom «Cheval Blanc», wo Offiziere im hell erleuchteten Zimmer Billard spielten und ein blondes Mädchen in himbeerfarbener Hemdbluse hinter der Bar stand. Er erinnerte sich an den Feldgendarmen und beschleunigte automatisch seine Schritte.
In einer engen Straße auf der anderen Seite des Platzes hielt er vor einem kleinen Gemüsegeschäft an und schaute hinein, blieb aber sorgfältig außerhalb des Lichtstreifens, in dem man die grünen und grauen Wände gegenüber sehen konnte. Ein Mädchen saß strickend neben dem kleinen Ladentisch. Sie hatte ihre beiden kleinen schwarzen Füße ehrbar auf die Ecke einer Kiste mit roten Rüben gesetzt. Sie war sehr klein und schlank. Das Lampenlicht lag auf ihrem schwarzen Haar, das fest um den Kopf gelegt war. Ihr Gesicht war im Schatten. Einige Soldaten lungerten plump um den Ladentisch, folgten ihren Bewegungen mit Augen, wie Hunde einen Teller mit Fleisch bewachen, mit dem in der Küche hantiert wird. Nach einiger Zeit rollte das Mädchen ihr Strickzeug zusammen und sprang auf die Füße. Man sah ihr Gesicht, ein ovales, weißes Gesicht mit großen, schwarzen Wimpern und einem frechen Mund. Sie sah sich die Soldaten an, die im Kreise um sie herumstanden, verzog dann ihren Mund zu einer Grimasse und verschwand in dem hinteren Zimmer. Fuselli ging an das andere Ende der Straße, wo eine Brücke über einen kleinen Fluss führte. Er lehnte sich auf das kalte, steinerne Geländer und sah in das Wasser, das, nur wenig sichtbar, unten zwischen den Eisstücken sich hindurchwand.
«Dieses Leben ist eine Hölle», murmelte er.
Er zitterte in dem kalten Winde und blieb doch über das Wasser gebeugt. In der Ferne ratterten ununterbrochen Züge und gaben seinem Bewusstsein das Gefühl weiter, verzweifelter Entfernungen. Die Turmuhr schlug acht. Die Glocke hatte den weichen Klang einer Gitarre. In der Dunkelheit konnte Fuselli fast das Gesicht des Mädchens sehen, das seine breiten, frechen Lippen zu einer Grimasse verzog. Er dachte an die dunklen Baracken und an die Männer, die da saßen auf ihren Lagerstellen. Er konnte noch nicht zurückgehen, sein ganzer Körper war gestrafft von dem Verlangen nach Wärme und Weichheit und Ruhe. Er schlich die enge Straße zurück, fluchte monoton und trübe. Vor dem Gemüsegeschäft blieb er stehen. Die Männer waren weggegangen. Er ging hinein, zog seine Mütze etwas auf die eine Seite, so dass sein dickes, lockiges Haar ihm auf die Stirn fiel. Die kleine Glocke der Tür schellte.
Das Mädchen kam aus dem inneren Zimmer. Sie gab ihm gleichgültig die Hand.
«Comment ca va, Yvonne? Bon?»
Sein gebrochenes Französisch belustigte sie. Sie zeigte lächelnd ihre kleinen perligen Zähne.
«Gut», sagte sie. Beide lachten kindlich.
«Sag, willst du mein Mädel sein, Yvonne?»
Sie sah ihm in die Augen und lachte.
«Non compris», sagte sie.
«Vi, vi! voulez vous et' ma fille?»
Sie schrie vor Lachen und patschte ihm ins Gesicht.
«Venez», sagte sie, noch immer lachend. Er folgte ihr. Im inneren Zimmer war ein großer eichener Tisch und einige Stühle. Am Ende saßen Eisenstein und ein französischer Soldat aufgeregt in ein Gespräch vertieft, so aufgeregt, dass sie die beiden anderen gar nicht bemerkten. Yvonne nahm den Franzosen am Haar und erzählte, immer noch lachend, was Fuselli gesagt hatte.
Er lachte.
«Nein. Sie dürfen solche Dinge nicht sagen», sagte er auf englisch und wandte sich an Fuselli.
Fuselli war wütend und setzte sich missmutig an das Ende des Tisches, ließ aber die Augen nicht von Yvonne. Sie zog das Strickzeug aus ihrer Schürzentasche, hielt es scherzhaft zwischen den Fingern, sah nach der dunklen Ecke des Zimmers hinüber, wo eine alte Frau mit einem Spitzenhäubchen auf dem Kopfe schlafend saß, und dann ließ sie sich in den Stuhl fallen.
«Bumm!» sagte sie.
Fuselli lachte, bis ihm die Tränen kamen. Sie lachte auch. Sie saßen eine Weile so, schauten einander an und kicherten, während Eisenstein und der Franzose weitersprachen. Plötzlich hörte Fuselli einen Satz, der ihm Schrecken einjagte:
«Was würdet ihr Amerikaner tun, wenn in Frankreich Revolution ausbricht?»
«Wir würden tun, was man uns befehlen wird», sagte Eisenstein bitter. «Wir sind eine Herde Sklaven.»
Fuselli bemerkte, dass Eisensteins bleiches Gesicht flammend rot war und dass in seinen Augen ein Flackern glänzte, das er vorher nie gesehen hatte.
«Was meint ihr, Revolution?» fragte Fuselli verwirrt. Der Franzose heftete seine schwarzen Augen forschend auf ihn.
«Ich meine, Schluss mit den Verbrechern. Die kapitalistische Regierung stürzen — die soziale Revolution.»
«Aber ihr lebt doch schon in einer Republik, nicht wahr?»
«Genau so einer Republik, wie ihr auch.»
«Du sprichst wie ein Sozialist», sagte Fuselli. «Man erzählt mir, dass sie in Amerika die Leute erschießen, wenn sie so sprechen.»
«Du siehst», sagte Eisenstein zu dem Franzosen. «Sind sie alle so?»
«Fast ohne Ausnahme. Es ist hoffnungslos», sagte Eisenstein und vergrub sein Gesicht in den Händen. «Ich denke oft daran, mich zu erschießen.»
«Erschieße lieber andere», sagte der Franzose. «Das wird nützlicher sein.»
Fuselli bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her. «Wo habt ihr Kerls dieses Zeugs überhaupt her?» fragte er. Seine Augen trafen sich mit Yvonnes, und sie lachten beide. Yvonne warf ihr Strickknäuel ihm an den Kopf. Es rollte hinunter, und sie suchten beide kichernd unter dem Tisch, um es wieder aufzufinden.
«Zweimal glaubte ich, es würde geschehen», sagte der Franzose.
«Wann?»
«Vor einiger Zeit setzte sich eine Division in Marsch auf Paris... und als sie in Verdun war... eine Revolution wird kommen... Frankreich ist das Land der Revolutionen!»
«Dann werden wir da sein, um euch niederzuschießen», sagte Eisenstein ingrimmig.
«Wartet, bis ihr im Krieg wart. Ein Winter in den Schützengräben macht jedes Heer bereit zur Revolution.»
«Aber es gibt keine Möglichkeit, uns die Wahrheit beizubringen, und in der Tyrannei wird der Mensch zum Tier, zu einer Schraube in der Maschinerie. Denk daran, dass ihr freier seid als wir. Wir sind schlimmer dran als die Russen.»
«Es ist seltsam. Ihr müsst doch etwas Gefühl für Zivilisation haben. Ich habe immer gehört, dass Amerikaner frei und unabhängig sind. Werdet ihr euch denn immer in die Schlächterei treiben lassen?»
«Oh, ich weiß nicht.» Eisenstein stand auf. «Wir gehen besser zu den Baracken zurück. Kommst du mit, Fuselli?» fragte er.
«Vielleicht», antwortete Fuselli gleichgültig, ohne aufzustehen
Eisenstein und der Franzose gingen hinaus in den Laden.
«Bon swar», sagte Fuselli sanft und lehnte sich über den Tisch. «Heh, Mädchen!» Er warf sich über den breiten Tisch, legte seine Arme um ihren Nacken und küsste sie. Alles in ihm war ein einziges Begehren. Sie schob ihn ruhig weg mit kräftigen kleinen Armen. «Lass», sagte sie und wies mit dem Kopfe in der Richtung auf die alte Frau, die in ihrem Stuhl in der dunklen Ecke des Zimmers saß.
Dann standen sie aneinandergelehnt und horchten auf das schwache, schnaufende Schnarchen. Wieder legte er seine Arme um sie und küsste sie lange auf den Mund. «Demain», sagte er. Sie nickte mit dem Kopfe.
Fuselli ging schnell die dunkle Straße nach dem Lager hinunter. Das Blut schlug froh in seinen Adern. Er holte Eisenstein ein.
«Sag mal, Eisenstein», sagte er kameradschaftlich, «ich meine, du solltest aufhören, so zu sprechen. Du wirst dir damit etwas Furchtbares einbrocken.»
«Ist mir egal.»
«Aber Mann, mach doch nicht solche Dummheiten. Die erschießen Leute für weniger, als was du sagtest.» «Lass sie.»
«Sei doch nicht ein solcher Narr, Mensch!» rief Fuselli aus.
«Wie alt bist du, Fuselli?»
«Zwanzig.»
«Ich bin dreißig. Ich habe mehr erlebt als du, Junge, ich weiß, was gut und was schlecht ist. Diese Schlächterei macht mich unglücklich.»
«Ich weiß, es ist die Hölle, aber wer ist schuld daran? Wenn irgendeiner den Kaiser erschossen hätte...» Eisenstein lachte bitter.
Am Eingang des Lagers wartete Fuselli einen Augenblick und beobachtete die kleine Gestalt Eisensteins, die mit ihrem etwas watschelnden Gang in der Dunkelheit verschwand. «Ich werde in Zukunft sehr vorsichtig sein», meinte er zu sich selbst. «Dieser verdammte Franzose ist vielleicht ein deutscher Spion oder ein Offizier im Geheimdienst.»
Ein kalter Schauer überfiel ihn und erschütterte seine frohe Selbstzufriedenheit. Seine Füße brachen durch das dünne Eis in die Pfützen, als er die Straße hinauf zu den Baracken ging. Er fühlte, man beobachte ihn von überall her aus der Dunkelheit, irgendeine gigantische Gestalt treibe ihn vorwärts durch die Dunkelheit, halte eine Faust über seinen Kopf und sei bereit, ihn zu Boden zu schlagen. Als er in seine Decken eingerollt lag, flüsterte er seinem Freunde Bill Grey zu: «Ich habe da in der Stadt mit einem Mädel 'ne Geschichte angefangen.»
«Mit wem?»
«Yvonne. Aber sag's niemand.» Bill Grey pfiff leise: «Du willst hoch hinaus, Dan.» Fuselli unterdrückte ein Kichern: «Das Beste ist immer noch nicht gut genug für mich.»
«Ich werde euch verlassen», sagte Bill Grey. «Wann?»
«Sehr bald. Ich kann dieses Leben nicht ertragen. Verstehe nicht, wie du's fertig bringst.»
Fuselli gab keine Antwort. Er schmiegte sich warm in seine Decken, dachte an Yvonne und daran, dass er bald Korporal sein werde.
Im Licht der einen flackernden Lampe, die einen unruhigen rötlichen Schein auf den Bahnsteig warf, sah Fuselli auf seinen Pass. Vom Morgen des vierten bis zum Morgen des fünften Februar war er ein freier Mann.
Seine Augen schmerzten noch vom Schlaf, als er den kalten Bahnsteig auf und ab ging. Vierundzwanzig Stunden würde er niemands Befehlen gehorchen müssen. Trotz der Einsamkeit, in einem fremden Land nachts in einem Zuge fahren zu müssen, war Fuselli glücklich. Er klimperte mit dem Geld in seiner Tasche.
Den Schienenstrang hinunter erschien ein rotes Auge und wuchs, immer näher kommend. Er konnte das schwere Geräusch der fahrenden Lokomotive hören. Ein großes, flackerndes Feuer leuchtete rot auf, als die Lokomotive langsam an ihm vorbeirollte. Ein Mann mit nackten Armen, die von Kohlenstaub schwarz waren, lehnte heraus, vom Feuerschein grell beleuchtet. Jetzt glitten die Wagen an ihm vorbei. Offene Wagen mit Kanonen darauf mit Tuch überspannt, wie die Schnauzen von Jagdhunden, Güterwagen, aus denen hier und da der Kopf eines Mannes herausschaute. Der Zug hielt fast an. Die Wagen klirrten gegeneinander, den ganzen Zug hinunter. Fuselli sah ein paar Augen, die im Lampenlicht glänzten; eine Hand streckte sich ihm entgegen.
«Auf Wiedersehen», sagte eine knabenhafte Stimme. «Weiß nicht, wer du bist. Aber auf Wiedersehen und viel Glück!»
«Auf Wiedersehen», stammelte Fuselli. «Ihr geht an die Front?»
«Ja», antwortete eine andere Stimme.
Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Das Geräusch der gegeneinanderklirrenden Wagen hörte auf, und bald bewegten sie sich wieder schnell vor Fusellis Augen. Dann war die Station wieder dunkel und leer. Er beobachtete das rote Licht, wie es kleiner und blasser wurde, während der Zug in die Dunkelheit hineinratterte.

Goldene, grüne und rote Seide und verworrene Zeichnungen von nackten, fleischigen Cupidos erfüllten Fusellis verwirrten Sinn, als er voll Staunen die Treppe des Palastes hinunterspazierte, in den schwach rötliches Sonnenlicht hineinströmte. Einige Namen, Napoleon, Josephine, das Empire, die nie für ihn irgendwelche Bedeutung gehabt hatten, gingen ihm geisterhaft durch den Sinn, wie eine Darstellung lebender Statuen in einem Vaudevilletheater.
«Diese Leute müssen Geld gehabt haben», sagte er zu dem Manne, der mit ihm ging, einem Flieger. «Lass uns gehen und zusammen ein Glas trinken.»
Fuselli war still und in seine Gedanken vertieft. Hier war etwas, was seine Visionen von Reichtum und Ruhm übertraf, die er mit Al zu teilen pflegte, als sie die großen Schiffe voll glitzernder Lichter beobachteten, die durch das «Goldene Tor» hereinkamen.
«Sie hatten nichts dagegen, nackte Frauen um sich zu haben», sagte der Flieger, der ein mürrischer kleiner Mann war, schlecht aus dem Munde roch und in einem Wollgeschäft beschäftigt gewesen war.
«Hast du was dagegen?»
«Nee, kann nichts dagegen haben... Das waren aber sicher ganz unmoralische Leute», fuhr er fort.
Sie wanderten schlaff durch die Straßen von Fontainebleau, sahen in die Schaufenster hinein, starrten die Frauen an, die auf Bänken in Parks herumlagen, wo das schwache Sonnenlicht durch das Spitzenwerk der Zweige purpurrötlich und gelb hindurchdrang. «Wollen noch einen trinken», sagte der Flieger. Fuselli sah auf die Uhr. Sie hatten noch Stunden Zeit bis zur Abfahrt. Ein Mädchen mit einer losen, schmutzigen Schürze wischte den Tisch ab. «Vin blanc», sagte der andere Mann.
Fusellis Kopf war voll der goldenen und grünen Seide und der Zeichnungen, auf denen nackte, fleischige Cupidos sich unanständig dehnten. «Eines Tages», sagte er laut zu sich selbst, «werde ich einen Haufen Geld verdienen und in einem solchen Hause mit Mabe wohnen. Nein, mit Yvonne, oder mit irgendeinem anderen Mädel.»
«Müssen tatsächlich Hurenflegel gewesen sein, diese Leute», sagte der Flieger. Dann blinzelte er das Mädchen mit der schmutzigen Schürze an.
Fuselli erinnerte sich an ein Trinkgelage, das er in dem «Quo vadis»-Film gesehen hatte, wo Leute in Badekleidung mit großen Schalen in den Händen herumtanzten.
«Cognac, beaucoup», sagte der Flieger.

Er saß im Zuge, seine Ohren summten, und um seinen Kopf lag es wie ein schweres eisernes Band. Es war dunkel, nur ein kleines Licht flackerte an der Decke. Einen Augenblick glaubte er, es sei ein Goldfisch in einer Schale. Aber es war ein Licht.
«Hallo, Fuselli», sagte Eisenstein. «Wie geht's?»
«Ganz gut», erwiderte Fuselli mit stickiger Stimme.
«Wie hat's dir gefallen?» fragte Eisenstein ernst. «Sehr schön da, will oft hingehen.»
«Weiß nicht», murmelte Fuselli. «Will schlafen.»
Sein Bewusstsein wurde trübe und wirr. Er erinnerte sich an weite Säle mit grün und goldener Seide, großen Betten mit Kronen darüber, wo Napoleon und Josephine zu schlafen pflegten. Wo waren sie? O ja, das Empire! Dann waren da Blumen und Früchte und Cupidos, alles vergoldet, und ein dunkler Gang und Treppen, die dumpf rochen, wo er und der Flieger hinunterstiegen. Er erinnerte sich, wie es sich anfühlte, die Nase hart auf dem roten Plüschteppich der Stufe zu reiben. Dann waren da Frauen mit offenen Arbeitsröcken, oder waren das die Bilder an der Wand? Und da war auch ein Bett mit Spiegeln herum. Er öffnete die Augen. Eisenstein sprach mit ihm. Er musste schon längere Zeit gesprochen haben.
«Sehe die Sache so an», sagte er. «Ein Mann braucht das, um gesund zu bleiben. Wenn er mäßig ist und vorsichtig...» Fuselli schlief wieder ein. Er wachte auf und begann plötzlich zu denken, er müsse sich das kleine blaue Buch: «Feldordnung» borgen. Es würde auf jeden Fall nützlich sein. Der Korporal war ins Hospital geschafft worden. «Tuberkulose», wie Sergeant Olster sagte. Man würde auf jeden Fall einen neuen aktiven Korporal ernennen. Er starrte auf das kleine, flackernde Licht an der Decke.
«Wie kamst du zu dem Pass?» fragte Eisenstein.
«Na, der Sergeant besorgte mir ihn», antwortete Fuselli geheimnisvoll.
«Du stehst dich mit dem Sergeanten gut!» sagte Eisenstein. Fuselli lächelte missbilligend. «Kennst du den kleinen Stockton?»
«Den kleinen Kerl mit dem weißen Gesicht, der in der Ausrüstungsabteilung am anderen Ende der Baracken arbeitet?»
«Ja», sagte Eisenstein. «Ich wünsche, ich könnte etwas tun, dem Jungen zu helfen. Der kann die Disziplin nicht ertragen. Du solltest mal sehen, wie der zusammenfährt, wenn der rothaarige Sergeant da drüben ihn anschreit... Sieht jeden Tag kränker aus.»
«Er hat doch eine gute, leichte Beschäftigung», sagte Fuselli.
«Du meinst, die ist leicht. Ich habe vorgestern zwölf Stunden gearbeitet», sagte Eisenstein unwillig, «um die Berichte fertig zu machen. Der Junge hat sie verloren, und nun reiten sie ewig auf ihm herum. Das tut weh, das mit ansehen zu müssen. Der müsste nach Hause in die Schule.»
«Sollte lieber Medizin nehmen», gab Fuselli zurück.
«Warte du nur, bis wir in den Gräben abgeschlachtet werden. Werden mal sehen, wie du deine Medizin verträgst», sagte Eisenstein.
«Alter Esel», murmelte Fuselli und machte sich wieder zum Schlafen zurecht.

Das Horn schreckte Fuselli aus seinen Decken, noch halbtot vor Schlaf. «Ich habe wieder Kopfschmerzen, Bill», murmelte er. Er bekam keine Antwort. Da erst bemerkte er, dass das Lager neben seinem leer war. Die Decken waren am Ende sauber zusammengefaltet. Eine plötzliche Angst erfasste ihn. Wie sollte er ohne Bill Grey auskommen! Es würde niemand da sein, mit dem er umgehen könne. Er starrte auf das leere Lager. «A-chtung!»
Die Kompanie war aufmarschiert im Dunkeln, mit den Füßen in den Schlammpfützen der Straße. Der Leutnant ging die Front auf und ab, seine Rockschöße standen von seinem Körper ab wie ein Schwanz. Er hatte eine Taschenlaterne, mit der er der Kompanie ins Gesicht leuchtete.
«Falls irgendeiner weiß, wo William Grey sich befindet, der hat sofort Bericht zu erstatten, sonst werden wir ihn wegen unerlaubter Entfernung aus dem Lager auf die Liste setzen. Ihr wisst, was das bedeutet.»
Der Leutnant sprach in kurzen, schrillen Sätzen, hackte die Enden seiner Worte wie mit einem Beil ab. Niemand sagte etwas.
«Und ich habe euch noch eine andere Mitteilung zu machen, Leute», sagte der Leutnant. «Ich ernenne hiermit den Gefreiten Fuselli zum stellvertretenden Korporal.»
Fusellis Knie wurden schwer unter ihm. Er glaubte, er müsse schreien und tanzen vor Freude. Er war froh, dass es dunkel war, so dass niemand sehen konnte, wie sehr erregt er war.
«Sergeant, lassen Sie die Kompanie abtreten», sagte der Leutnant und schraubte seine Stimme mühevoll in den gewöhnlichen militärischen Ton zurück.
«Kompanie abtreten!» befahl der Sergeant gutmütig.
Die Kompanie ging zerstreut in einzelnen Gruppen über das große Feld durch den Schlamm hindurch zu den Baracken.

 

4

Yvonne drehte das Omelett mit einem Ruck herum. Es kam zischend in die Pfanne zurück, und sie trat vor ins Licht und trug die Bratpfanne vor sich her. Hinter ihr war der dunkle Ofen und darüber eine Reihe von Kupferkesseln, die aus der blauen Dunkelheit schwach herüberglitzerten. Sie ließ das Omelett aus der Pfanne herausschnellen auf den weißen Teller, der in der Mitte des Tisches stand. «Tiens», sagte sie und strich sich ein paar Haare mit dem Handrücken aus der Stirn zurück.
«Du kannst fein kochen», sagte Fuselli und stand auf. Er hatte sich auf einem Stuhl in der anderen Ecke der Küche herumgeflegelt und von dort Yvonnes schlanken Körper im engschließenden schwarzen Kleid und blauer Schürze beobachtet: wie sie ins Licht trat und dann wieder heraus beim Zubereiten des Essens. Ein Geruch von gebratener Butter mit einem leisen Zusatz von Pfeffer erfüllte die Küche und ließ ihm das Wasser im Munde zusammenrinnen. «So ist es richtig», sagte er zu sich selbst, «wie zu Hause.»
Er hatte die Hände in den Taschen vergraben und den Kopf zurückgeworfen und beobachtete sie, wie sie Brot schnitt, den großen Laib an ihre Brust gedrückt. Sie bürstete einige Krumen mit ihrer dünnen weißen Hand von ihrem Kleide ab.
«Du bist mein Mädel, Yvonne, nich'?» Fuselli legte seine Hand um sie.
«Sale bête», sagte sie lachend und schob ihn fort.
Draußen kam ein schneller Schritt, und ein anderes Mädchen trat in die Küche, ein dünnes Geschöpf mit gelbem Gesicht, scharfer Nase und langen Zähnen.
«Ma cousine, mon 'tit americain.» Sie lachten beide.
Fuselli wurde rot, als er dem Mädchen die Hand schüttelte.
«Il est beau, hein?» sagte Yvonne mürrisch.
«Mais, ma petite, il est charmant, vot' americain!» Sie lachte wieder.
Fuselli, der nicht recht verstand, lachte auch und dachte bei sich, die werden das Essen kalt werden lassen, wenn sie sich nicht bald hinsetzen.
«Hole Maman, Dan», sagte Yvonne.
Fuselli ging in den Laden durch den Raum mit dem großen Eichentisch hindurch. In dem schwachen Licht, das aus der Küche hereinkam, sah er die weiße Haube der alten Frau. Ihr Gesicht war im Schatten, aber in ihren kleinen, perligen Augen lag ein schwacher Glanz.
«Abendbrot, Madame!» rief er. Sie murmelte irgend etwas in ihrer kreischenden, kleinen Stimme und folgte ihm dann in die Küche.
Vom Lampenlicht vergoldeter Dampf stieg aus der großen Suppenterrine wie Kissen zur Decke empor. Ein weißes Tuch lag auf dem Tisch und ein großer Laib Brot am Ende. Die verzierten Teller schienen Fuselli die schönsten, die er je gesehen hatte. Die Weinflasche stand dunkel neben der Suppenterrine, und der Wem in den Gläsern warf dunkelrote Lichtflecke auf das Tischtuch. Fuselli aß seine Suppe schweigend. Er verstand sehr wenig von dem Französisch, das die beiden Mädchen miteinander sprachen. Die alte Frau sagte selten etwas, und wenn sie es tat, warf ihr eines der beiden Mädchen eine heftige Bemerkung zu; sie ließen sich kaum dadurch in ihrem Plaudern stören.
Fuselli dachte an die anderen, die jetzt in Reih und Glied vor der dunklen Essbaracke aufmarschiert standen und an das Geräusch des Essens, wenn es in die großen Essgeschirre hineingelöffelt wurde. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: «Ich werde Yvonne dem Sergeanten vorführen. Wir können ihn ja zum Essen auffordern. Wird auch meinem Vorwärtskommen nichts schaden.»
Das Omelett schmolz ihm im Munde.
«Verflucht bon», sagte er zu Yvonne mit vollem Munde. Sie sah ihn groß an.
«Bon, bon», sagte er wieder.
«Du... bon, bon», sagte sie und lachte. Die Cousine sah neidisch von einem auf den anderen. Ihre Oberlippe hob sich von den Zähnen zu einem Lächeln.
Die alte Frau kaute schweigend auf ihrem Brot herum.
«Da ist jemand im Laden», sagte Fuselli nach einer langen Pause.
«Je irey.» Er legte seine Serviette nieder und ging hinaus, nachdem er seinen Mund mit dem Handrücken abgewischt hatte.
Eisenstein und ein Junge mit kreidigem Gesicht waren im Laden.
«Hallo? Führst du hier Wirtschaft?» fragte Eisenstein. «Natürlich», sagte Fuselli eingebildet.
«Habt ihr 'was Schokolade?» fragte der Junge mit dem kreidigen Gesicht in dünnem, blutleerem Tone.
Fuselli schaute in den Fächern herum und warf eine Tafel Schokolade auf den Ladentisch.
«Noch was?»
«Danke, Korporal. Wie viel sind wir schuldig?»
Fuselli pfiff ein Lied und ging in das Innere des Zimmers zurück. «Combien Schokolade?» fragte er.
Nachdem er das Geld in Empfang genommen hatte, setzte er sich wieder auf seinen Platz am Tisch und lächelte wichtig.
«Muss Al das schreiben», dachte er, und er wunderte sich, ob wohl Al eingezogen sei.
Nach Tisch saßen die Frauen eine Weile plaudernd beim Kaffee, während Fuselli unruhig auf seinem Stuhl hin und her rückte, dann und wann auf die Uhr schauend. Sein Pass lautete nur bis zwölf Uhr, und es ging jetzt schon auf zehn. Er versuchte Yvonnes Augen zu erhaschen. Aber sie bewegte sich in der Küche, machte alles für die Nacht fertig und schien ihn kaum zu beachten. Endlich schob sich die alte Frau in den Laden, und man hörte einen Schlüssel schwer in der äußeren Tür knarren.
Als sie zurückkam, sagte Fuselli allen gute Nacht und ging durch die hintere Tür in den Hof hinaus. Dort lehnte er sich verdrießlich gegen die Mauer und lauschte im Dunkeln auf die Geräusche, die aus dem Hause kamen. Er konnte die Schatten sehen, die durch das orangefarbene Lichtviereck hindurchgingen, das das Fenster auf die Pflastersteine des Hofes hinabwarf. Ein Licht erschien in einem oberen Fenster und sandte einen schwachen Schein nach den unordentlichen Ziegeln des gegenüberliegenden Daches. Die Tür öffnete sich, und Yvonne und ihre Cousine standen plaudernd auf der breiten Steintreppe der Tür. Fuselli hatte sich hinter ein großes Fass zurückgezogen, dessen altes, feuchtes Holz einen angenehmen Weingeruch ausströmte. Schließlich bewegten sich die Köpfe für einen Augenblick im Schatten auf den Pflastersteinen aufeinander zu, und dann war die Cousine über den Hof in die Straßen hinaus. Ihre schnellen Schritte erstarben allmählich. Yvonnes Schatten war noch in der Tür zu sehen.
«Dan», sagte sie weich. Fuselli kam hinter dem Fass hervor. Sein ganzer Körper zuckte vor Freude. Yvonne deutete auf seine Schuhe. Er zog sie aus und ließ sie unter der Tür zurück. Er sah auf die Uhr. Es war ein Viertel auf elf.
«Viens», sagte sie. Er folgte ihr. Seine Knie zitterten ein wenig vor Aufregung, als er die steilen Stufen hinaufstieg.

Die tiefen Schläge der Turmuhr begannen gerade Mitternacht zu schlagen, als Fuselli in das Lagertor hineineilte. Er gab seinen Pass der Wache und marschierte zu den Baracken. Die standen abgrundschwarz, erfüllt von einem Ton tiefen Atmens und dem gelegentlichen Geräusch von Schnarchen. Ein dicker Geruch von Uniformwolle, in der Schweiß eingetrocknet war, quoll ihm entgegen. Fuselli zog sich ohne Hast aus und dehnte wohlig die Arme. Er wickelte sich in seine Laken, fühlte sich kühl und müde und schlief mit einem Lächeln der Selbstzufriedenheit auf den Lippen ein.

Die Kompanien waren aufmarschiert und standen steif wie die Spielzeugsoldaten. Der Abend war fast warm, ein kleiner, spielerischer Wind tändelte mit den schwellenden Knospen der Platanen. Der Himmel hatte eine schläfrige, violette Farbe, und das Blut sprang heiß und stechend durch die steifgewordenen Arme und Beine der Soldaten.
Die Stimmen waren heut Abend besonders hart und metallisch. Man murmelte, ein General werde kommen. Befehle wurden wütend ausgeschrieen. Fuselli stand hinter seiner Kompanie, die Brust herausgepresst, dass die Knöpfe seiner Uniform fast abplatzten. Seine Stiefel waren gut geputzt, und er hatte ein Paar neue Gamaschen um, die so fest gebunden waren, dass seine Beine schmerzten. Endlich ertönte das Horn über dem schweigenden Feld.
«Rühren!» rief der Leutnant.
Fuselli war voll von der Armeedienstordnung, die er die ganze letzte Woche hindurch eifrig studiert hatte. Er dachte an ein Examen, das er vielleicht durchgehen müsse, um endgültig seine Korporalswürde zu erhalten. Als die Kompanie entlassen wurde, ging er vertraulich an den ersten Sergeanten heran.
«Sag mal, Serge', hast du heute Abend was vor?»
«Nee», meinte der.
«Nun, dann komm mit in die Stadt. Ich will dir jemand vorstellen.» «Fein.»
«Sag, Sergeant, haben sie den Beförderungsschein schon geschickt?»
«Nee, noch nicht, Fuselli», sagte der Sergeant. «Aber es kommt alles schon in Ordnung», fügte er hinzu.
Sie gingen schweigend zur Stadt. Der Abend war silbrig-violett. Die wenigen erleuchteten Fenster der alten, grau-grünen Häuser warfen ein orangefarbenes Licht auf den Weg. Ein Wagen des Stabes schoss vorbei, bespritzte sie mit Schmutz. Sie sahen im Vorüberfahren Offiziere, die sich tief in die Kissen zurückgelehnt hatten.
Sie hatten den Marktplatz erreicht. Sie grüßten stramm, als zwei Offiziere sich an ihnen vorbeischoben.
«Wie sind die Bestimmungen, wenn einer ein französisches Mädchen heiraten will?» kam Fuselli plötzlich heraus.
«Hast dich wohl einfangen lassen?»
«Nee.» Fuselli war ganz rot geworden. «Wollte nur so 'mal wissen.»
Sie hatten vor dem Gemüseladen Halt gemacht. Fuselli sah durch das Fenster hinein. Der Laden war voller Soldaten. Zwischen ihnen saß Yvonne und strickte.
«Wollen erst 'mal gehen, was trinken und dann zurückkommen», sagte Fuselli.
Sie gingen zu dem Cafe, wo Marie mit den weißen Armen war. Fuselli bezahlte für zwei heiße Punsch.
«So, Serge», sagte er vertraulich. «Ich schrieb allen meinen Leuten zu Hause, dass ich Korporal sei. Es würde 'ne ekelhafte Geschichte sein, wenn man mich nun tatsächlich nicht befördern würde.»
Der erste Sergeant trank das heiße Getränk in kleinen Schlucken herunter. Ein breites Lächeln ging über sein Gesicht, und er legte seine Hand väterlich auf Fusellis Knie. «Brauchst dich nicht drum zu sorgen. Ich bring' die Geschichte in Ordnung», sagte er. Dann fügte er jovial hinzu: «Wollen jetzt mal gehen und dein Mädchen angucken.»
Sie gingen in die dunklen Straßen hinaus. Der Wind hatte den leisen Duft des Frühlings, trotz des Geruches von Karbid. Yvonne saß unter der Lampe im Laden, ihre Füße auf einer offenen
Kiste, und gähnte gelangweilt. Yvonne sprang auf, als Fuselli und der Sergeant die Tür öffneten.
«Du bist gut», sagte sie. «Je mourais de cafard.» Sie lachte. «Du weißt, was das heißt: cafard?»
«Sicher.»
«Avant la guerre, on ne savait pas, ce que c'était le cafard. Der Krieg taugt nichts.»
«Komisch, nich'», sagte Fuselli zum ersten Sergeanten. «Man kann sich gar nicht ausmalen, wie der Krieg aussieht.»
«Sorg dich nicht darum. Werden schon alle noch an die Front kommen», erwiderte der Sergeant.
«Das ist der Sergeant, Yvonne», stellte Fuselli vor.
«Oui, oui, je sais», antwortete die und lächelte den Sergeanten an.
Sie saßen in dem kleinen Zimmer hinter dem Laden, tranken weißen Wein und sprachen so gut sie konnten mit Yvonne, die in ihrem schwarzen Kleid und blauer Schürze auf der Ecke eines Stuhles saß, ihre Füße fest zusammengepresst, und dann und wann auf die Streifen am Ärmel des Sergeanten schaute.

Fuselli ging vertraulich pfeifend in den Gemüseladen hinein und riss die Tür zum inneren Zimmer auf. Sein Pfeifen hörte plötzlich auf.
«Hallo», fragte er beunruhigt.
«Hallo, Korporal», antwortete Eisenstein.
Eisenstein und sein französischer Freund, ein schmächtiger Mann mit schwarzem Bart und brennend schwarzen Augen und Stockton, der junge Mann mit dem kreidigen Gesicht, saßen am Tisch, sprachen vertraulich und scherzten mit Yvonne, die neben dem Franzosen saß und alle ihre kleinen Perlenzähne lachend zeigte. In der Mitte des dunklen Eichentisches stand ein Topf Hyazinthen und einige Gläser, in denen Wein gewesen war. Der Duft der Hyazinthen schwebte im Zimmer, mit einem schwachen, warmen Geruch aus der Küche vermischt. Nach kurzem Zögern setzte sich Fuselli. Er wollte warten, bis die anderen weggehen würden. Es war lange nach dem Löhnungstage, und seine Taschen waren leer; so konnte er nirgendwo anders mehr hingehen.
«Wie behandelt man dich jetzt?» fragte Eisenstein Stockton nach einem Schweigen.
«Genau wie immer», sagte Stockton mit seiner dünnen Stimme ein wenig stotternd. «Manchmal wünschte ich, ich wäre tot.»
«Hm», sagte Eisenstein, einen seltsamen Ausdruck des Verstehens auf dem Gesicht. «Eines Tages werden auch wir wieder Zivilisten sein.»
«Ich nicht», meinte Stockton.
«Mensch», sagte Eisenstein. «Du musst die Oberlippe steifhalten. Ich dachte auch, ich würde sterben auf dem Transport über See, und als ich klein war und mit den Emigranten aus Polen hinüberging, dachte ich auch, ich werde sterben. Der Mensch kann mehr aushalten, als man so denkt. Habe nie gedacht, dass ich es aushalten könnte, in der Armee zu sein, wie ein Sklave behandelt zu werden und all das andere. Und doch bin ich noch hier. Nee, du wirst schon lange leben und noch viel Erfolg haben.»
Er legte seine Hand auf Stocktons Schulter. Der Junge fuhr zusammen und zog seinen Stuhl weg.
«Warum tust du das? Ich will dir nicht wehtun», sagte Eisenstein.
Fuselli sah sie beide mit Verachtung an.
«Ich werde dir sagen, was du tun musst», meinte er herablassend. «Lass dich zu unserer Kompanie versetzen. Nich', Eisenstein? Wir haben 'nen anständigen Chef, 'nen netten Sergeanten und 'ne Menge andere gute Kerls.»
«Der Sergeant war vor einigen Minuten hier», sagte Eisenstein.
«So?» fragte Fuselli. «Wo ist er hingegangen?» «Weiß nicht.»
Yvonne und der Franzose sprachen leise miteinander und lachten dann und wann. Fuselli lehnte seinen Stuhl zurück, sah sie an und wünschte sich, dass er genug Französisch könne, um zu verstehen, was sie sprachen. Er kratzte mit den Füßen ärgerlich auf dem Boden hin und her. Seine Augen fielen auf die weißen Hyazinthen. «Wie ich diese verfluchte Höhle hier hasse», murmelte er zu sich selbst. Er dachte an Mabe und machte mit den Lippen ein Geräusch. «Na, die wird jetzt schon verheiratet sein.» Yvonne, das war ein Mädchen für ihn, wenn er die nur für sich haben könnte, irgendwo weit weg von den anderen, diesem verfluchten Franzosen und ihrer alten Mutter. Er dachte, wie er mit Yvonne ins Theater gehen werde. Wenn man Sergeant ist, kann man sich das ganz gut leisten. Er zählte die Monate. Es war
März. Nun war er schon fünf Monate in Europa, und er war immer noch nur Korporal, und das noch nicht einmal ganz. Er ballte die Fäuste vor Ungeduld. Dann beugte er sich hinüber und schnüffelte laut an den Hyazinthen herum. «Riechen gut», sagte er, «que disay vous, Yvonne?»
Yvonne sah ihn an, als ob sie vergessen habe, dass er im Zimmer sei. Ihre Augen blickten ihn groß an, und sie brach in ein Lachen aus. Ihr Blick hatte ihn warm gemacht, und er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, sah ihren schlanken Körper mit einem behaglichen Gefühl des Besitzes an.
«Yvonne, komm mal hier rüber», sagte er.
Sie sah von ihm provozierend auf den Franzosen, dann kam sie und stand hinter ihm.
«Que voulez vous?»
Fuselli warf einen Blick auf Eisenstein. Der und Stockton waren wieder in aufgeregter Unterhaltung mit dem Franzosen. Fuselli hörte jenes unangenehme Wort, das ihn immer wütend machte, er wusste nicht, warum: Revolution.
«Yvonne», sagte er so, dass nur sie es hören konnte. «Was würdest du dazu sagen, wenn wir beide uns heirateten?»
«Marié, moi et toi?» fragte Yvonne ganz verwundert.
«Wi, wi.»
Sie schaute ihm einen Augenblick in die Augen. Dann warf sie den Kopf zurück und brach in ein schallendes Gelächter aus. Fuselli wurde rot, stand auf und schlug die Tür hinter sich zu, so dass die Scheiben klirrten. Er ging eilig zum Lager zurück, wurde unterwegs von den grauen Lastkraftwagen, die ihren Weg langsam durch die Hauptstraße hindurchratterten, mit Schlamm bespritzt. Die Baracken waren dunkel und fast leer. Er setzte sich an das Pult des Sergeanten und wandte mürrisch die Seiten der kleinen, blau gebundenen Heeresordnung um.

Das Mondlicht glitzerte im Brunnen, der auf dem Marktplatz der Stadt sich befand. Es war eine warme, dunkle Nacht mit schwachen Wolken, durch die der Mond bleich hindurchschien, wie durch einen dünnen, seidenen Baldachin.
Fuselli stand am Brunnen, rauchte eine Zigarette, sah zu den gelben Fenstern des «Cheval blanc» hinüber, aus denen das Geräusch von Stimmen und von gegeneinanderschlagenden Billardkugeln kam. Er stand ruhig, ließ den Rauch der Zigarette langsam durch seine Nase gehen, in seinen Ohren klang das silbrige Plätschern des Wassers im Brunnen neben ihm. Der Lufthauch, der launisch aus Westen kam, trieb warm an ihm vorbei. Fuselli wartete. Dann und wann nahm er die Uhr heraus und strengte seine Augen an, um sehen zu können, wie viel Uhr es sei, aber es war nicht hell genug. Endlich ertönte die Glocke der Kirche einmal; es musste also halb elf sein. Er begann sich in Bewegung zu setzen und ging zu der Straße hinunter, wo Yvonnes Gemüseladen war. Der schwache Schein des Mondes beleuchtete die grauen Häuser mit den verschlossenen Fenstern und den roten Dächern. Fuselli fühlte sich entzückend einig mit der Welt. Fast konnte er Yvonnes Körper in seinen Armen fühlen, und lächelnd in der Erinnerung an die Gesichter, die sie ihm oft schnitt, schlich er an den verschlossenen Fenstern des Ladens vorbei und in die Dunkelheit unter den Torbogen. Er ging vorsichtig auf Zehen, hielt sich nahe an die moosbedeckte Mauer, denn er hörte Stimmen im Hof. Um die Ecke des Gebäudes spähend, sah er verschiedene Leute in der Küchentür stehen und sprechen. Er zog seinen Kopf in den Schatten zurück. In der Dunkelheit hatte er das Fass neben der Küchentür gesehen. Wenn er sich nur verbergen könnte, wie er gewöhnlich tat, bis die Leute weg sein würden!
Er hielt sich gut im Schatten, schlüpfte auf die andere Seite und wollte sich gerade hinter dem Fass verstecken, als er bemerkte, dass schon jemand dahinter war. Er hielt den Atem an und stand still. Sein Herz sprang vor Aufregung.
Die Gestalt wandte sich um, und in der Dunkelheit erkannte er das runde Gesicht des ersten Sergeanten.
«Sei ruhig, Mann», flüsterte der erste Sergeant.
Fuselli stand still mit geballten Fäusten. Das Blut lief ihm heiß durch den Kopf. «Der erste Sergeant ist eben der erste Sergeant», dachte er. «Es taugt nichts, Dummheiten zu machen.»
Seine Beine brachten ihn automatisch zurück in die Ecke des Hofes, wo er sich gegen die feuchte Wand lehnte und mit funkelnden Augen die beiden Frauen, die an der Küchentür im Gespräch standen, sowie den dunklen Schatten hinter dem Fass beobachtete. Schließlich, nach verschiedenen schmatzenden Küssen, gingen die Frauen auseinander, und die Küchentür wurde geschlossen. Die Glocke im Kirchturm schlug langsam und traurig elf. Als sie ausgeklungen hatte, hörte Fuselli ein vorsichtiges
Tappen und sah den Schatten des ersten Sergeanten an der Tür. Wie der hineinschlüpfte, hörte Fuselli ihn in seinem gutmütigen Ton laut flüstern. Dann Yvonne lachen. Die Tür wurde geschlossen, und das Licht ging aus. Der Hof war nun ganz dunkel, nur ein ferner Schein stand am Himmel. Fuselli marschierte hinaus und machte so viel Lärm mit seinen Hacken auf den Pflastersteinen wie möglich. Die Straßen der Stadt waren schweigend im fahlen Mondlicht. Auf dem Platz plätscherte der Brunnen laut und metallisch. Er gab seinen Pass der Wache und ging hinüber zu den Baracken. An der Tür traf er einen Mann mit Gepäck auf dem Rücken.
«Hallo, Fuselli!» sagte eine Stimme, die er erkannte. «Ist mein altes Bett noch hier?»
«Weiß nicht», sagte Fuselli. «Ich dachte, sie hätten dich nach Hause gebracht.»
Der Korporal bekam einen Hustenanfall.
«Nee», sagte er. «Sie hielten mich in diesem verfluchten Hospital, bis sie sahen, dass ich nicht gleich sterben werde. Dann meinten sie, ich solle wieder zu meiner Truppe zurück. So, da bin ich.»
Er lachte schwach.
«Haben sie dich versetzt?» fragte Fuselli mit plötzlichem Eifer.
«Nee, warum denn? Sie haben doch nicht etwa einen neuen Korporal ernannt?»
«Nee, nicht ganz», sagte Fuselli.

 

5

Meadville stand in der Nähe des Lagertores und beobachtete die Motorlastzüge, die nach der Hauptstraße zu vorbeidefilierten. Grau, schwerfällig und schlammbedeckt ratterten sie vorbei, holperten durch die Löcher in der ausgefahrenen Straße und dehnten sich, so weit er sehen konnte, zu einem endlosen Zuge aus, hinunter in die Stadt und den ganzen Weg hinauf.
Er stand breitbeinig da und spuckte auf die Straße. Dann wandte er sich an den Korporal, der neben ihm stand und sagte: «Da vorn geht bestimmt was vor.»
«Sicher», sagte der Korporal und schüttelte den Kopf. «Daniels, der an der Front war, sagt, die Hölle sei ausgebrochen.»
«Wann werden wir ne Aktion sehen?» fragte Meadville grinsend. «Ich würde das beste Stück Vieh von meiner Farm geben, könnte ich 'ne richtige Aktion sehen.»
«Hast du 'ne Farm?» fragte der Korporal.
Motorlastzüge ratterten monoton vorbei. Die Führer waren so mit Schlamm und Schmutz bedeckt, dass man ihre Uniform nicht sehen konnte.
«Was denkst du denn», meinte Meadville. «Glaubst du etwa, dass ich 'n Geschäft habe?» Fuselli kam an ihnen vorbei.
«Hör mal, Fuselli», rief Meadville. «Korporal sagte, da vom sei die Hölle ausgebrochen. Gibt vielleicht Pulver zu riechen.»
Fuselli hielt an und gesellte sich ihnen zu.
«Der arme Bill Grey hat wahrscheinlich schon reichlich Pulver gerochen», sagte er.
«Ich wünschte, ich wäre mit ihm gegangen», sagte Meadville. «Werde diesen Trick selbst versuchen, jetzt, wo das schöne Wetter da ist, wenn wir uns nicht bald in Bewegung setzen.»
«Zu gefährlich.»
«Hört mal den Mann an. Der glaubt, es sei zu gefährlich in den Gräben... Meinst du etwa, dass du da 'n Federbett geliefert kriegst?»
«Ach was, ich will doch an die Front. Man will aber auch vorwärts kommen in dieser Armee.»
«Wozu vorwärts kommen?» sagte der Korporal. «Man kommt deswegen doch nicht eine Minute früher nach Hause.»
Ein neuer Zug von Lastautos fuhr vorbei und verschluckte ihr Gespräch.

Fuselli packte Medikamente in eine Kiste. Beim Arbeiten hörte er zu, wie Daniels mit Meadville sprach, der neben ihm arbeitete.
«... Na, das Gas ist die verfluchteste Geschichte, von der ich je gehört habe», sagte er. «Habe Leute gesehen, denen die Arme wie Blasen davon angeschwollen waren.»
«Warum bist du ins Krankenhaus gekommen?» fragte Meadville.
«Lungenentzündung», antwortete Daniels. «Ich hatte einen Kameraden, der von einer Granate direkt in zwei Teile gespalten wurde. Er stand so nahe bei mir, wie du jetzt und pfiff Tipperary, als da plötzlich nur ein großer Blutfleck war und er dalag mit aufgerissener Brust. Der Kopf hing wie an einem Faden herunter.»
Meadville spuckte auf die am Boden ausgestreuten Sägespäne.
«Na, was glaubst du, geht jetzt an der Front vor?» «Verdammt, wenn ich das wüsste.»
«Dieses Hospital da in Orleans war so voll, dass Leute draußen auf dem Pflaster auf Krankenbahren den ganzen Tag warteten. Kenne das. Die Kerls sagten, dass da vorne die Hölle ausgebrochen sei. Die Fritzies scheinen im Vormarsch zu sein.»
Meadville sah ihn ungläubig an.
«Diese Rotznasen», sagte Fuselli. «Die können ja gar nicht vorrücken, sterben ja schon Hungers.»
«Du bist wohl auch so einer», meinte Daniels, «der alles glaubt, was in der Zeitung steht.»
Die Soldaten sahen Daniels unwillig an. Sie arbeiteten schweigend weiter. Plötzlich kam der Leutnant herein. Er ließ die Tür offen hinter sich.
«Kann mir irgend jemand sagen, wo Sergeant Olster ist?»
«Er war vor einigen Minuten hier», antwortete Fuselli.
«Wo ist er aber jetzt?» schnauzte der Leutnant ärgerlich.
«Weiß nicht», murmelte Fuselli und wurde rot.
«Sieh nach und suche ihn.»
Fuselli marschierte ab. Draußen vor der Tür hielt er an. Sein Blut kochte vor Missmut. Wie zum Teufel konnte er wissen, wo der erste Sergeant war. Er sollte wohl noch Hellseher werden! Die ganze Bitterkeit, die sich in seinem Bewusstsein angestaut hatte, strömte an die Oberfläche. Sie hatten ihn nicht richtig behandelt. Er fühlte eine hoffnungslose Wut gegen diese ungeheure Tretmühle, an die er angeseilt war. Die endlose Folge von Tagen, alle gleich, alle voller Befehle, die endlose Monotonie des Drills und der Paraden erwachte in seinem Bewusstsein. Er fühlte, er könne nicht weitermachen. Er wusste, dass er weitermachen müsse und werde, dass es kein Halt gebe, dass seine Füße im Gleichschritt, in dem Tritt der anderen Füße dieser ungeheuren Tretmühle sich weiterbewegen würden. Plötzlich sah er den Sergeanten.
«Sergeant!» rief er. Dann ging er vertraulich an ihn heran und sagte: «Der Leutnant will dich gleich da drüben sprechen.»
Er schlich zu seiner Arbeit zurück und kam gerade zur rechten Zeit, um den Leutnant in strengem Tone zu dem Sergeanten sagen zu hören: «Sergeant, wissen Sie, wie die Papiere für das Kriegsgericht fertiggemacht werden?»
«Zu Befehl», antwortete der Sergeant mit überraschtem Gesicht.
Er folgte dem Leutnant zur Tür hinaus.
Fuselli fühlte einen plötzlichen panischen Schrecken. Er arbeitete weiter, automatisch, seine Hände aber zitterten. Er durchsuchte sein Gedächtnis, um irgendeinen Verstoß gegen die Armeeordnung zu finden. Der Schrecken wich so schnell, wie er gekommen war. Natürlich, er hatte keine Ursache, sich zu fürchten! Er lachte weich in sich hinein. «Was für ein Narr bin ich doch, so erschreckt zu sein!» Er fuhr in seiner Arbeit fort, den ganzen langweiligen Nachmittag. Abends versammelte sich fast die ganze Kompanie in einer Gruppe am Ende der Baracken. Beide Sergeanten waren weg. Der Korporal sagte, er wisse nichts und ging mürrisch zu Bett. Schließlich sagte jemand: «Ich wette, dieser Jude, der Eisenstein, ist 'n Spion.»
«Der ist auch nicht in den Vereinigten Staaten geboren, nicht? Irgendwo in Polen oder sonst so einem verdammten Land. Sprach auch immer so komisch.»
«Ich dachte auch immer», meinte Fuselli, «der würde schon noch Scherereien kriegen, wenn er weiter so redet.»
«Was hat er denn gesagt?» fragte Daniels.
«Oh, er sagte, dass der Krieg ein Unrecht sei und noch mehr so verfluchtes prodeutsches Zeugs.»
«Wisst ihr, was sie draußen an der Front gemacht haben?» sagte Daniels. «In der zweiten Division ließen sie zwei ihr eigenes Grab schaufeln, und dann erschossen sie sie. Die hatten gesagt, der Krieg sei ein Unrecht.»
«Donnerwetter, ist das wahr?»
«Aber sicher, mein Junge. Sage euch, es hat keinen Sinn, in dieser verfluchten Armee Späße zu machen.»
«Haltet doch endlich das Maul! Schon lange Schlafenszeit. Meadville, lösch das Licht aus!» sagte der Korporal ärgerlich.
Die Baracken waren dunkel, man hörte Männer, die sich auf ihren Schlafstellen auszogen und unterdrückt flüsterten.
Die Kompanie war zum Frühstück aufmarschiert. Die Sonne war gerade aufgegangen und schien rosig durch die weichen Wolken des Himmels, und die Spatzen zwitscherten laut in den Platanen. Plötzlich kam der Sergeant. Er ging mit steifen Schultern vorbei, so dass jeder wusste, irgend etwas Bedeutsames gehe vor sich.
«Achtung, Leute!» sagte er.
Die Essgeschirre klirrten, als die Leute sich umdrehten.
«Nach dem Essen habt ihr sofort in eure Baracken zu gehen und euer Gepäck in Ordnung zu bringen. Danach bleibt jeder bei seinem Gepäck, bis Befehl kommt.»
Die Kompanie brach in Hochrufe aus, und die Essgeschirre klirrten gegeneinander wie Zimbeln. Das Frühstück wurde so schnell wie möglich verschlungen, und jeder aus der Kompanie lief mit klopfendem Herzen in die Baracken, um sein Gepäck in Ordnung zu bringen, fühlte sich stolz gegenüber der anderen Kompanie, die keine Befehle erhalten hatte. Als das Gepäck in Ordnung gebracht war, setzten sie sich auf die leeren Bettstellen und trommelten mit den Füßen gegen das Holz, wartend.
«Werden wahrscheinlich hier nicht wegkommen, bis die Hölle eingebrochen ist», sagte Meadville, der gerade den letzten Riemen seines Gepäcks schnürte.
«'s ist immer so. Man bricht sich fast das Genick, um den Befehlen nachzukommen, und... .»
«Rauskommen!» schrie der Sergeant und steckte seinen Kopf in die Tür. «Antreten! Achtung!»
Der Leutnant in seiner Felduniform und seinen Wickelgamaschen stand der Kompanie gegenüber und sah sehr feierlich aus.
«Leute», sagte er und biss seine Worte ab wie ein Mann Stücke von einem harten Ende Wurst abbeißt. «Einer von euch kommt vor das Kriegsgericht, weil er in einem Briefe an Freunde zu Hause hochverräterische Dinge geschrieben hat. Tut mir sehr leid, dass in meiner Kompanie so etwas vorgekommen ist. Glaube, ist auch sonst keiner darunter, der so was tut und solche Ideen hat.»
Jeder Mann in der Kompanie presste die Brust heraus und gelobte sich, lieber überhaupt keine Ideen zu haben, als Gefahr zu laufen, einen Anschnauzer vom Leutnant zu bekommen.
Der Leutnant fuhr nach einer Pause fort: «Alles, was ich sagen kann, ist, falls da noch so einer in der Kompanie ist, soll er lieber das Maul halten und vorsichtig sein, was er nach Hause schreibt. Abtreten!»
Er gab den Befehl ingrimmig, als ob es der Befehl sei, den Hochverräter zu bestrafen.
«Diese verdammte Rotznase Eisenstein», sagte Fuselli.
Der Leutnant hörte diese Worte beim Weggehen.
«Oh, Sergeant», sagte Fuselli vertraulich. «Ich denke, die anderen haben schon das richtige Zeug in sich.»
Die Kompanie ging in die Baracken und wartete.

Die Wachstube war voll vom Geräusch der Schreibmaschinen und überheizt von einem schwarzen Ofen, der in der Mitte stand und von dem von Zeit zu Zeit Bauch in kleinen Wellen ausströmte. Fuselli stand hinter der Schreibmaschine, mit der Mütze in der Hand.
«Was wünschen Sie?» fragte der Sergeant brummend. «Mir sagte einer, dass Sie einen Mann mit optischer Erfahrung brauchen.» Fusellis Stimme war wie Sammet so weich. «Nun und?»
«Ich habe drei Jahre in einem optischen Geschäft in Frisco gearbeitet.»
«Gut, ich werde mich darum kümmern.»
«Aber... meine Kompanie ist schon ausgerüstet. Soll heute abtransportiert werden, Sergeant.»
«Warum zum Teufel kommen Sie denn nicht früher? Stevens, schreiben Sie was aus und versetzen Sie den Mann in 'ne andere Kompanie. Lassen Sie den Major die Geschichte unterschreiben. So geht es immer!» schrie er und lehnte sich tragisch in seinem Schreibsessel zurück. «Alle kommen sie zu mir in der letzten Minute.»
«Vielen Dank», sagte Fuselli lächelnd.
Fuselli eilte zu den Baracken zurück, wo die Kompanie noch wartend stand. Einige hatten sich in einem Kreis zusammengesetzt und spielten Karten. Der Best hatte sich mit seinem Gepäck auf die Schlafstellen gelegt. Draußen hatte es zu regnen begonnen, und der Geruch der nassen, sprossenden Erde kam durch die Tür herein.
Fuselli saß auf dem Boden neben seiner Schlafstelle und warf sein Messer so herunter, dass es in den Brettern zwischen seinen Knien fest stecken blieb. Er pfiff leise.
Der Tag zog sich hin, langweilig, ermüdend. Öfters hörte man die Turmuhr in der Feme schlagen. Endlich kam der erste Sergeant herein, schüttelte das Wasser von seinem Regenmantel ab. Er hatte einen ernsten, wichtigen Ausdruck auf dem Gesicht. Der Leutnant und ein Major erschienen plötzlich am anderen Ende der Baracken und kamen langsam herein. Die Leute sahen sie aus den Augenwinkeln heraus an. Beim Inspizieren der Sanitätsausrüstungen sprachen sie nachlässig miteinander, als ob sie allein seien.
«Ja», sagte der Major. «Diesmal sind wir dran. Diese verdammte Offensive!»
«Nun, wir werden ihnen schon zeigen können, wozu wir gut sind», sagte der Leutnant lachend. «Haben bisher noch keine Gelegenheit dazu gehabt.»
«Hm, sehen Sie sich lieber die Ausrüstungen näher an, Leutnant. Waren Sie schon an der Front?»
«Nein.»
«Sie werden die Dinge anders ansehen, wenn Sie mal da waren», sagte der Major.
Der Leutnant verzog das Gesicht.
«Nun, im großen und ganzen, Leutnant, sind Ihre Leute in guter Ordnung.» Einige Augenblicke später kam der Sergeant herein.
«Regenmäntel anziehen und antreten!»
Eine ganze lange Zeit standen sie im Regen aufmarschiert. Es war ein bleierner Nachmittag. Die Wolken hatten einen schwachen, kupfernen Schein. Der Regen schlug ihnen ins Gesicht. Fuselli sah den Sergeanten forschend an. Endlich erschien der Leutnant.
«Achtung!» schrie der Sergeant.
Die Leute wurden aufmerksam, und ein neuer Mann wurde am Ende der Linie eingereiht, ein großer Kerl mit vorstehenden Kalbsaugen.
«Fuselli vortreten! Sie schließen sich der Stabskompanie an.»
Fuselli sah, wie sich Überraschung auf den Gesichtern der Kameraden spiegelte. Er lächelte blass zu Meadville hinüber. «Sergeant, führen Sie die Leute zur Station.»
«Rechts schwenkt, marsch!» schrie der Sergeant.
Die Kompanie marschierte ab im strömenden Regen. Fuselli ging zu den Baracken zurück, nahm sein Gepäck und seinen Regenmantel ab und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.

Die Schienen glitzerten golden im Sonnenschein des frühen Morgens. Fuselli verfolgte mit den Augen den Strang, bis er sich in den nassen Wiesen verlor. Der Bahnsteig der Station, wo die Pfützen glänzten und vom Winde bewegt wurden, war ganz leer. Fuselli begann mit den Händen in den Taschen auf und ab zu marschieren. Er sollte hier einige Zufuhren, die mit dem Morgenzug erwartet wurden, ausladen helfen. Er fühlte sich frei und erfolgreich, seitdem er der Stabskompanie angehörte. Endlich, sagte er zu sich selbst, hatte er einen Posten, wo er zeigen könne, was er wert sei.
Er ging auf und ab und pfiff schrill. Ein Zug fuhr langsam in die Station ein. Die Maschine hielt an, um Wasser einzunehmen. Der Bahnsteig war plötzlich voll von Männern in Khaki, die mit den Füßen stampften und laut rufend auf und ab gingen.
«Wo fahrt ihr hin?» fragte Fuselli.
Plötzlich hatte Fuselli ein bekanntes Gesicht gesehen. Er schüttelte zwei Leuten mit braunen Gesichtern die Hand.
«Hallo, Chrisfield! Hallo Andrews!» rief er. «Wann seid ihr hier rüber gekommen?»
«Ungefähr vor vier Monaten», sagte Chrisfield, der Fuselli forschend mit seinen schwarzen Augen ansah. «Oh, ich erinnere mich jetzt, du bist Fuselli. Wir waren im Ausbildungslager zusammen, erinnerst du dich, Andy?»
«Sicher», meinte Andrews. «Wie geht's?»
«Fein», antwortete Fuselli. «Ich bin hier in der optischen Abteilung.»
«Wo ist das, zum Teufel?»
«Grade hier.» Fuselli zeigte hinter die Station.
«Wir sind vier Monate in der Nähe von Bordeaux ausgebildet worden», sagte Andrews, «und jetzt wollen wir mal sehen, wie es ausschaut...»
Die Sirene pfiff, und die Maschine stieß Wolken weißen Dampfes aus.
«Viel Glück!» sagte Fuselli. Doch Andrews und Chrisfield waren schon weg. Er sah sie noch einmal, wie der Zug hinausfuhr, zwei braune, schmutzige Gesichter zwischen anderen braunen, schmutzigen Gesichtern.
Der Dampf zog vorbei in die helle Morgenluft hinauf, der letzte Wagen verschwand in der Kurve.

Fuselli saß auf dem einen Ende seines Bettkastens. Er hatte sich gerade rasiert. Es war an einem Sonntagmorgen, und er hoffte auf einen freien Nachmittag. Er rieb sein Gesicht noch einmal mit dem Handtuch ab und stand auf. Draußen fiel der Regen in großen silbrigen Strömen, so dass das Geräusch auf dem Teerpapier der Barackendächer fast betäubend wirkte.
Fuselli bemerkte an dem anderen Ende der Bettreihe eine Gruppe Leute, die alle dasselbe anzustarren schienen. Er streifte seine Ärmel herunter, nahm den Waffenrock über den einen Arm und ging die Reihe hinunter, um zu schauen, was los ist. Durch das Geräusch des niederknatternden Regens hindurch hörte er eine schwache Stimme sagen:
«Ich kann nicht, Sergeant, ich bin krank. Ich werde nicht aufstehen.»
«Der Junge ist verrückt», sagte jemand neben Fuselli.
«Mach, dass du aufstehst, sofort!» brüllte der Sergeant. Es war ein großer Mann mit schwarzem Haar, der aussah wie ein Holzfäller. Er beugte sich über den Bettkasten. In dem Kasten auf einem Bündel von Decken lag Stockton mit kreideweißem Gesicht. Seine Zähne schlugen zusammen und seine Augen waren rund und traten scheinbar vor Schrecken aus ihren Höhlen hervor.
«Ich sage, mach, dass du aus deinem Kasten rauskommst», brüllte der Sergeant.
Der Junge schwieg. Seine bleichen Wangen zitterten.
«Was zum Teufel ist denn mit ihm los?»
«Warum schmeißen Sie ihn denn nicht einfach raus, Sergeant?»
«Steh sofort auf!» schrie der Sergeant wiederum, ohne auf die Worte der anderen Acht zu geben.
Die Herumstehenden gingen weg. Nur Fuselli beobachtete aus einiger Entfernung fasziniert weiter.
«Gut, dann hole ich den Leutnant. Diese Sache gehört vors Kriegsgericht. Hier, Morton und Morison, Sie haften mir für den Mann.»
Der Junge lag still unter seiner Decke. Er schloss die Augen.
An der Bewegung der Decke, die mit seiner Brust auf- und niederging, konnte man sehen, dass er schwer atmete.
«Stockton, du dummes Schwein, warum stehst du nicht auf?» sagte Fuselli. «Du kannst doch nicht gegen die ganze Armee aufbocken.»
Der Junge antwortete nicht.
Fuselli ging weg. «Er ist verrückt», brummte er.
Der Leutnant war ein rundlicher Mann mit einem roten Gesicht, der keuchend hereinkam. Hinter ihm die große Gestalt des Sergeanten. Er blieb stehen und schüttelte das Wasser von seinem Hut. Noch immer knatterte der Regen betäubend auf das Dach.
«Achtung, Mann, sind Sie krank? Dann melden Sie sich sofort», sagte der Leutnant mit betont liebenswürdiger Stimme. Der Junge sah ihn trübe an und gab keine Antwort.
«Sie sollten aufstehen und stramme Haltung einnehmen, wenn ein Offizier mit Ihnen spricht.»
«Ich kann nicht aufstehen», kam die schwache Stimme. Das rote Gesicht des Offiziers verfärbte sich.
«Sergeant, was ist mit dem Mann?» fragte er wütend.
«Ich kann nichts mit ihm anfangen, Herr Leutnant; ich denke, er ist verrückt geworden.»
«Dummes Zeug... pure Dienstverweigerung... Sie sind verhaftet, verstehen Sie?» rief er zum Bett zu.
Es kam keine Antwort. Der Regen schlug hart auf das Dach.
«Lassen Sie ihn auf die Wache bringen, mit Gewalt, falls nötig», schnauzte der Leutnant. Er ging zur Tür. «Und, Sergeant, setzen Sie sofort die Papiere auf für das Kriegsgericht.» Die Tür fiel krachend hinter ihm zu.
«Jetzt macht ihm einmal Beine», sagte der Sergeant zu den beiden Wachen. Fuselli eilte, dass er fortkam. «Manche Leute sind verrückte Hunde», sagte er zu einem Mann an dem anderen Ende der Baracke. Er sah aus dem Fenster hinaus auf die hellen Bündel Regen, die unablässig vom Himmel herabströmten.
«Schmeißt ihn aus dem Bett raus!» schrie der Sergeant.
Der Junge lag mit geschlossenen Augen, das kreidebleiche Gesicht halb von der Decke verborgen; er war sehr still.
«Nun, willst du wohl aufstehen und zur Wache gehen oder müssen wir dich dahin schleppen?» rief der Sergeant.
Die Wachen fassten ihn ziemlich behutsam und zogen ihn herauf, bis sein Körper ungefähr in eine sitzende Stellung kam.
«So, nun schmeißt ihn aus dem Bett raus.»
Die schwache Gestalt im Khakihemd und weißlichen Hosen wurde für einen Augenblick zwischen den beiden Männern hochgehalten. Dann fiel sie wie ein welker Haufen Blätter auf den Boden.
«Er hat das Bewusstsein verloren!»
«Zum Donnerwetter noch einmal... Morison, geh mal zum Lazarett und hole jemand von dort.»
«Es ist keine Ohnmacht... der Junge ist tot», sagte der andere Mann.
Der Sergeant half den Körper wieder auf das Bett legen. «Der Teufel soll diese verfluchte Geschichte holen», brummte er.
Die Augen hatten sich geöffnet. Sie legten eine Decke über seinen Kopf.

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