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Alfred Kurella - Mussolini ohne Maske (1931)
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DIE HÄLFTE DER ERNTE BEKOMMT DER HERR

Während die kleine, mit Geld abgelöste Pacht seltener wird und die Verwandlung der Pächter in Landarbeiter und Tagelöhner ständig Fortschritte macht, hat sich eine andere Form der Pacht nicht nur erhalten, sondern die Faschisten versuchen sie auch noch weiter auszudehnen: die sogenannte Halbpacht (Mezzadria).
Dasjenige Gebiet, wo die Halbpacht am meisten verbreitet ist, ist die Provinz Toskana. 60 Prozent der Bauern sind hier Halbpächter. So ist es unverändert seit vielen Jahrhunderten. Erst in der allerletzten Zeit wächst unter den Schlägen der Agrarkrise auch in der Toskana langsam die Zahl der Tagelöhner. In den frühen Morgenstunden kann man heute Scharen von Tagelöhnern zu Fuß und zu Rad aus den Hügeln um Florenz, Siena und den anderen größeren Städten Toskanas zur Arbeit in der Ebene herabsteigen sehen.
Wir haben schon früher einen kurzen Blick auf die Siedlungs-und Besitzverhältnisse in der Provinz Toskana geworfen, die seit Jahrhunderten unverändert geblieben sind. Ich habe mir Mühe gemacht, einmal in einige solcher Betriebe einzudringen, um festzustellen, was wirklich bei dieser Halbpacht vor sich geht.
Die Bedingungen der Halbpacht sind in ihren Bestimmungen von Ort zu Ort sehr verschieden. Die Einzelheiten der Verträgewaren in der Zeit nach dem Kriege Gegenstand heftiger Kämpfe. Auch heute noch wird um einzelne Punkte, wie zum Beispiel jetzt um die Verrechnung der Gewinne und Verluste in der Viehwirtschaft lebhaft gestritten. Die allgemeinen Bestimmungen, die im Großen und Ganzen in allen Halbpachtverträgen wiederkehren, sind folgende:
Der Besitzer oder sein Vertreter gibt das Land an eine Bauernfamilie, die durch den Hausvorstand vertreten wird. Der Bauer hat das Ackergerät und Arbeitsvieh selbst zu stellen. Saatgut und Setzlinge werden vom Besitzer geliefert, aber nur auf Borg; sie müssen nach der Ernte abgerechnet werden. Der Besitzer beschränkt sich darauf, das Land zu geben, bei den Wein- und Baumkulturen die Pfähle zu liefern, die sein Eigentum bleiben und einen Teil der Transportkosten zu übernehmen. Die Erhaltung der Gebäude, der Mauern, Brunnen usw., die ebenfalls Eigentum des Besitzers sind, obliegt dem Halbpächter. Im Übrigen wird die gesamte Bruttoernte in zwei genaue Hälften geteilt, von denen die eine an den Besitzer fällt, während die andere dem Pächter zur Verwendung nach seinem Gutdünken bleibt. Ein bedeutender Teil dieser Hälfte wird von dem Halbpächter in natura verzehrt, während er vom Erlös des verbleibenden Restes seine Einkäufe bestreiten muss.
Schon auf den ersten Blick stellt sich also die Halbpacht als eine tolle Form der Ausbeutung dar: Der Besitzer, der nichts zu tun hat, als den Boden zu „geben", steckt ohne weiteres die Hälfte der Ernte ein. Da ein Besitzer meistens Dutzende, ja Hunderte von Halbpächtern beschäftigt, kann man sich ein ungefähres Bild von seinen Einkünften machen. Von der anderen Hälfte muss die große Zahl der Familienmitglieder der Pächter leben, müssen die Produktionskosten, das Inventar und seine Reparatur und das Arbeitsvieh bezahlt werden. Diese Verteilung des Bodenertrages wird dadurch für den Halbpächter noch ungünstiger, dass er, wie wir schon gesehen haben, gezwungen ist, seine Ernte, soweit sie nicht schon verzehrt ist, möglichst schnell auf den Markt zu bringen. Während der Besitzer das Korn, den Wein, das Öl usw. solange zurückhalten kann, bis eine möglichst günstige Marktkonjunktur eintritt, muss der Halbpächter seine Produkte dem ersten besten Händler ablassen. Dazu zwingt ihn der Pachtvertrag, der eine Abrechnung seiner Schulden nach der Ernte fordert. Denn schon im Laufe des ganzen Jahres kann sich der Halbpächter nicht darauf beschränken, von den konservierbaren Produkten der letzten Ernte - Korn, Mais, Bohnen, Wein, Öl usw. - zu leben und die Nebenprodukte seines Betriebes - Gemüse, Früchte, Eier - zu verzehren, sondern er braucht Bargeld für Kleidung,
Brennstoff und andere Industrieprodukte. Dieses Bargeld schießt ihm der Besitzer vor. Die dadurch entstehenden Schulden müssen nach der Ernte abgerechnet werden.
Diese ganze Wirtschaft ist nun nur möglich, wenn es sich um Bauernfamilien von einer großen Kopfzahl handelt und wenn alle Familienmitglieder mitarbeiten. Tatsächlich hat sich in den klassischen Halbpachtgebieten nicht nur ein Vertragsverhältnis erhalten, das seit dem 13. Jahrhundert unverändert geblieben ist, sondern mit diesen Verträgen hat sich die uralte, patriarchalische Großfamilie erhalten.
Die Halbpacht fordert also das Vorhandensein einer zahlenmäßig außerordentlich großen Familie, die dadurch zustande kommt, dass die Söhne und Schwiegertöchter mit den Enkeln in der väterlichen Wirtschaft bleiben, so dass Familien von fünfundzwanzig, dreißig und mehr Personen nicht selten sind. Aber sie verlangt auch eine strenge Disziplin innerhalb der Familie. Kein Korn Getreide, kein Tropfen Öl, kein Glas Wein darf unnötig verschwendet, kein Pfennig unnötig ausgegeben werden. Für die ganze Familie gibt es nur eine einzige Kasse. Diese Ordnung wird aufrechterhalten durch eine ebenso jahrhunderte alte Familienorganisation, an deren Spitze ein Dreier-Kollegium steht: der Capoccia, der Hausvater; die Massaia, die Hausfrau; und der Bifolco, der Viehwart.
Der Capoccia vertritt die ganze Wirtschaft gegenüber den Besitzern und dem Staate. Er schließt die Verträge ab, er verteilt die Arbeit an die Familienmitglieder, er regelt alle Geschäfte, die mit Ein- und Verkauf zusammenhängen. Er führt das Wirtschaftsbuch. Er verwaltet die Kasse. An ihn muss man sich wenden, wenn man einen Anzug, einen Schlips, ja einen Kragenknopf braucht. Er bestimmt das Wirtschaftsgeld, zahlt den Arzt usw. Den Platz des Capoccia nimmt der älteste, verheiratete Mann der Familie, oder wenn der eigentliche Familienvater gestorben ist, der älteste seiner Söhne ein. Die Einsetzung erfolgt auf einem regelrechten Familienrat. Die Rolle der Massaia kommt in der Regel der Ehefrau des Capoccia oder, wenn sie nicht mehr lebt, der Frau seines nächsten Bruders oder ältesten Sohnes zu. Die Massaia ist von aller Feldarbeit befreit. Ihr untersteht das Haus, die Kinder, das Brot-
backen, die Zubereitung des Essens, die Sorge für die Instandhaltung der Kleidung und das Kleinvieh. Der Bifolco ist die am meisten gesuchte Stellung in dieser Hausverwaltung. Ihm ist das Großvieh anvertraut. Aber er hat nicht nur für seine Pflege, Fütterung usw. aufzukommen, sondern ihm obliegt gleichzeitig der Verkauf des Viehes. Bei diesen Gelegenheiten begleitet er die Viehtransporte auf die Wochenmärkte und schlägt sich mit den Viehhändlern um den Preis herum. Und gerade diese Seite seiner Arbeit macht die Stellung so gesucht. Denn während die übrigen Familienmitglieder so gut wie nie aus ihrem „Podere", der Besitzung mit dem mächtigen, uralten Steinhaus, herauskommen, hat er Gelegenheit, die Marktflecken und Städte aufzusuchen und unter die Leute zu kommen. Aber er hat noch etwas mehr. Der Capoccia gibt ihm bestimmte Normen für die Preise mit, die er erzielen muss. Gelingt es ihm, das Vieh zu höheren Preisen loszuschlagen, so fällt ihm die Differenz zu. Er ist also der einzige in der ganzen Familie, der freie Nebeneinkünfte hat. Denn auch die Einkünfte, die andere Familienmitglieder durch Lohnarbeit auf fremden Gütern hereinbekommen, müssen an die gemeinsame Kasse abgeliefert werden. Die Stellung als Bifolco kommt im Allgemeinen dem ältesten Bruder des Capoccia oder dem ältesten Sohn zu.
Wie wir schon sagten, ist diese patriarchalische Organisation eine Existenzbedingung der Halbpacht. Ohne sie wäre es nicht möglich, dass die Pächterfamilie mit der Hälfte der Ernte unter Abzug der Betriebskosten überhaupt auskommt. Unter den Schlägen der Agrarkrise und angesichts der Industrialisierung des Landes hat diese Organisation in letzter Zeit Risse bekommen. Die Söhne und ihre Kinder drängen aus dem engen Rahmen der alten Großfamilien heraus. Sie sehen um sich herum ein freieres Leben, neue Arbeitsmöglichkeiten und sind bestrebt, die Fesseln der alten Familien abzuschütteln. Sie verlassen die Familie und suchen selbständige Arbeit als Tagelöhner und Arbeiter. Dieser Zerfall der Großfamilie bedroht das ganze System der Halbpacht. Und da, wie wir schon gesagt haben, die Faschisten im Interesse der Großgrundbesitzer nicht nur an der Erhaltung der Halbpacht interessiert sind, sondern sogar ihre Ausdehnung auf ihr Programm gesetzt haben, müssen sie auch für die Erhaltung der patriarchalischen Großfamilie und ihrer Sitten eintreten. So erklärt sich in erster Linie die große Propaganda der Faschisten für die „Stirpe", die Familien- und Stammeszucht, für die Heiligkeit der Familie und den reichen Kindersegen. So erklärt sich auch die eifrige Unterstützung dieser Propaganda durch die katholische Kirche, die ja als Großgrundbesitzerin ebenso unmittelbar an der Halbpacht interessiert ist.
Die entstehenden Lücken in der Familie werden in der letzten Zeit immer häufiger auf eigenartige Weise ausgefüllt: Die Kinderarbeit in der Halbpacht ist im Wachsen begriffen. Zur Vermehrung der Arbeitskräfte werden von den Gemeinden Waisen und Findelkinder in die Großfamilien übernommen. Sie werden als „Kinder" behandelt und erhalten keinen Lohn. Neben ihnen wächst die Zahl der „Garzoni", der Lehrlinge. Das sind meistens Kinder armer Tagelöhner. In den Gegenden, die ich besucht habe, setzen sich die Garzoni vorwiegend aus den Kindern der arbeitslosen Bergarbeiter des in der Nähe des Chiantigebiete liegenden Braunkohlenreviers von Castelnuovo dei Sabbion zusammen. Diese Garzoni bekommen (oder sollen bekommen eine Geldentschädigung, das sind aber nur wenige Lire im Mona! Die Untersuchungen über die Familienbudgets derartiger Halbpächterfamilien, deren Resultat ich im folgenden mitteilen werde sind in dem berühmten Chiantigebiet, südlich von Florenz, durch geführt, das den in ganz Italien und auch im Ausland berühmt Chiantiwein liefert. Als Nebenprodukt dieser Untersuchung und der Beobachtungen an Ort und Stelle hat sich übrigens geben, dass mit diesem Chiantiwein ein großer Schwindel getrieben wird: Wenn der Reisende in seinem Restaurant nicht dem gewöhnlichen offenen Wein vorliebnehmen will, bestellt sich bestimmt eine Flasche „Chianti". Dem Chianti kann man nirgends entrinnen. Es ist vor allem eine Firma, das Haus Ruffino, die ganz Italien mit den bekannten, bastumflochtenen Flaschen üb schwemmt.
Als ich die Chiantigegend aufsuchte, um dort die Halbpacht kennenzulernen, erwartete ich, die Berghänge von unten und oben mit Rebengärten besetzt zu finden, wie es etwa am Rhein und an der Mosel der Fall ist. Wie erstaunt war ich, als ich, vor den Chiantibergen herniedersteigend, vom Pian d'Albola den ersten Blick in das Pesatal hinabwarf, das das Chiantigebiet der Länge nach durchzieht. Ich glaubte im Odenwald zu sein! Die ganzen oberen Bergabhänge waren mit dichtem Wald bedeckt. Auf den Lichtungen zwischen den Eichen- und Buchenwaldungen lagen Kohlenmeiler. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich an die untere Waldgrenze kam.
Das erste, was sich hier meinen Blicken darbot, war eine Kette von Burgen und Schlössern, die in Zypressenhainen auf den Hügelkuppen lagen. Zu ihren Füßen streckten sich bestellte Felder, zwischen denen mächtige, zweistöckige Steinhäuser, teils mit Türmen verziert, aufragten. Von Weinbergen war noch nichts zu sehen. Es gab wohl Weinpflanzen, aber die standen weit auseinander, wie zufällig, auf den Feldern. Zwischen ihnen wuchs unter Oliven- und Obstbäumen mageres Getreide und Gemüse. Später erfuhr ich, wie die Dinge liegen: Der Weinbau verschwindet langsam, aber sicher. Die Reblaus frisst an seiner Wurzel, und von oben frisst die Krise des Weinbaues an ihm, die in den ständig sinkenden Weinpreisen zum Ausdruck kommt. Einer nach dem anderen werden die alten Weinberge ausgerodet. Selten werden neue Weinberge angelegt. Der Rückgang ist geradezu katastrophal. Vor dem Kriege wurden in dem Gebiet von San Vincenzo 2500 Doppelzentner Trauben geerntet. Im Jahre 1920 ging die Ernte auf 85 Prozent, im Jahre 1925 auf 62 Prozent und 1930 auf 30 Prozent zurück. Noch katastrophaler ist der Rückgang des Weinbaues in dem nahe bei Florenz liegenden Gebiet von Casciano, wo Macchiavelli, der erste große Denker des modernen nachmittelalterlichen Italiens, seine Sommerresidenz hatte. In der Vorkriegszeit betrug die Weinernte hier 4500 Doppelzentner im Jahr. 1920 hielt sie sich noch fast auf gleicher Höhe. 1925 war sie schon auf 50 Prozent gesunken und betrug 1930 nur noch 22 Prozent. Hier machte sich die Einwirkung der Fremdenstadt Florenz geltend, die einen wachsenden Bedarf an gutbezahltem Frischgemüse hat. Unter diesen Umständen ist das Chiantigebiet gar nicht imstande, all den Chiantiwein hervorzubringen, der in Italien getrunken wird. Der Chianti wächst längst woanders: in den Kellern der großen Exporthäuser. Die Firma Ruffino hat ihre Kellereien auch gar nicht im Chiantigebiet, sondern in Pontassieve, einem Städtchen an der Eisenbahnlinie Florenz-Arezzo. Aus ganz Italien strömt hier billig aufgekaufter Wein zusammen, der dann in den Kellern der Ruffino zum feinsten Chianti verarbeitet wird. Aber kehren wir zurück in das obere Pesatal. In der Nähe des Waldes liegt in seinen Weizenfeldern, Bohnengärten und weitverstreuten Weingehegen der „Podere" der Familie P. Es ist ein großes zweistöckiges steinernes Haus mit vielen Zimmern, einer Halle, Ställen und einem Backofen. Die innere Einrichtung des Hauses und seine Sauberkeit ließen auf eine gewisse, wenn auch bescheidene Wohlhabenheit schließen. Ich kannte das alles schon aus den Beschreibungen, die ich in der landwirtschaftlichen Beobachtungsstation von Cascine bekommen hatte.
Der Capoccia, Faustino P., ein rüstiger Mann von sechsundfünfzig Jahren, war zu Hause. Im Knopfloch seiner Hausjacke trug er das faschistische Abzeichen. Auf die Nachricht von dem eingetroffenen Besuch kam auch seine Frau Maria, die Massaia, ins Haus, um den Gast in angemessener Weise zu empfangen. Die Familie ist nicht groß; sie zählt nur acht Köpfe. Zum Haushalt gehört auch ein Garzone, der zwölfjährige Rinaldo. Er ist der Sohn eines arbeitslosen Bergarbeiters aus dem Dorfe Massa, das ich am Vormittag durchwandert hatte.
Ich musste mir zuerst Haus und Hof ansehen. Nicht alle Zimmer des Hauses waren bewohnt. Man sah, dass die Räume ursprünglich auf eine sehr viel größere Familie berechnet waren. In jedem Zimmer hingen Heiligenbilder. Die Familie ist streng katholisch. Man besucht regelmäßig die ziemlich weit entfernte Kirche, gibt dem Geistlichen einen Scheffel Getreide für die Segnungen der Felder und ist freigebig gegenüber den herumziehenden bettelnden Mönchen und Nonnen. Niemand verlässt das Haus ohne etwas Getreide, Wein, Wolle oder Käse. Die Religiosität hindert nicht, dass auch der alte Aberglauben weiter besteht. Beim Eintreten hatte ich bemerkt, wie man mich schnell musterte, ob ich nicht vielleicht den bösen Blick habe und dem Hause Unglück bringen könnte. Wenn das Vieh krank wird oder ein Hausbewohner schlappmacht, wendet man sich schon an den Arzt unten im Tale, aber man verschmäht es auch nicht, den Ortsbader zu Rate zu ziehen, und was kann es schaden, wenn man in besonders schwierigen Fällen auch einmal jemanden nach Siena schickt, um die „Hexe" von Siena um Rat zu fragen?
Der Wein, bei dem wir uns nachher in der Halle niederließen, war nicht gerade sehr hervorragend. Die guten Sorten werden verkauft, und man behält sich für den Hausgebrauch nur den dünnen, zuckerarmen Wein. Ich sah mich um. Das Zimmer war altmodisch, aber solide eingerichtet. Auch der Kleidung der Leute sah man an, dass es der Familie einmal ganz gut gegangen sein musste. Aber Kleider und Wäsche schienen längere Zeit nicht erneuert zu sein. Es ist ihnen in den letzten zwei Jahren sichtlich schlecht gegangen. Kleider und Wäsche müssen in der Stadt eingekauft werden. Der größte Teil des Ertrages der Feldarbeit wird, soweit er nicht an den Herrn abzuliefern ist, selbst verzehrt. Das Geld, das von dem Verkauf des Restes hereinkommt, muss zum Teil wieder in den Betrieb gesteckt werden, und nur von dem, was dabei übrigbleibt, können Anschaffungen gemacht werden. Kleider, Wäsche und Fleisch sind fast die einzigen Dinge, die man einkauft. Wenn die Einkünfte geringer werden, wenn die Ernte schlecht ausfällt, wenn die Preise sinken, muss eben gespart werden. Und das erste, woran man spart, sind Kleidung und Fleisch. Der „Podere" ist nicht groß. Er umfasst neuneinhalb Hektar, achtunddreißig Morgen. Sechs Morgen davon sind Wald und Weide. Die Feldstücke liegen nicht zusammen, sondern sind im ganzen Tal verstreut.
Das Kapital, mit dem die Familie wirtschaftet, ist nicht sehr groß. Da das Land, das Haus und das Vieh dem Besitzer gehören, setzt es sich folgendermaßen zusammen:

Möbel                                     im    Werte   von

2 800 Lire

Wäsche                                 „        „        „

3 000 „

Kleider                                „        „        „

5 000  „

Ackergerät                             „      ,#„

1 700  „

Kleines Gerät                          „        „        „

600  „

Hühnerstall                            „        „        „

400 „

Dazu kommen noch die Reste

 

der Ersparnisse, ungefähr

6 000 „

Das macht zusammen:

19 500 Lire

Mit den Ersparnissen ist das allerdings so eine Sache. Wie es wirklich damit aussähe, könne man im Augenblick nicht sagen, meinte der Capoccia. Denn im Laufe der Jahre hätte er bei dem Herrn mehr Vorschüsse nehmen müssen als gewöhnlich, und man würde erst im Herbst sehen, wie die Rechnung abschließen würde.
Wir gingen dann zusammen die Aufstellung durch, die ich aus der Beobachtungsstation mitgebracht hatte. Sie bezog sich auf das Jahr 1929. Niemals früher hatte man eine solche Aufstellung gemacht und würde sie auch in Zukunft wohl nicht wieder machen. Für die Wirtschaft selbst war sie ja nicht nötig. Man war dem jungen Doktor aus der Beobachtungsstation und dem Ortsgeistlichen, der ihm behilflich war, entgegengekommen und hatte ihnen alle möglichen Angaben gemacht. Erst durch mich bekamen sie übrigens die Aufstellung im Zusammenhang zu sehen, und die Neugierde, zu erfahren, „wie sie lebten", ließ sie gern etwas von ihrer kostbaren Zeit auf die Unterhaltung mit mir verschwenden.
Im Großen und Ganzen stimmten die Angaben. Nur: sie bezogen sich auf die Vergangenheit. Inzwischen war die Laus auch in ihre Weinberge gekommen, und die Preise für Getreide und Wein waren weiter gefallen. 1926 hatten sie für 100 Kilogramm Trauben noch 150 Lire erhalten. Im Jahr der Aufstellung der Rechnung hatten sie nur noch 125 Lire bekommen, und 1930 war es schwergefallen, die besten Sorten für 115 Lire loszuschlagen. Mit dem Weizen war es das gleiche: 180 Lire für den Doppelzentner im Jahre 1926, 125 Lire im Jahre 1929 und 115-120 Lire 1930. Der Capoccia meinte, es wäre gut, dass sie ihr Getreide gleich verkauft hätten. Der Herr hätte das ihm von den verschiedenen „Poderi" abgelieferte Getreidezurückgehalten, um bessere Preise zu erzielen. Aber er sei damit hereingefallen. Heute bekäme er auf dem Markt im besten Falle 115, meist aber nur 110 Lire für den Doppelzentner.
Da die anderen Angaben von dem Capoccia und der Massaia bestätigt wurden, will ich sie einfach hierhersetzen. Das Familienbudget des Faustino P. sah demnach im Jahre 1929 folgendermaßen aus:
Einkünfte aus der Wirtschaft (Hälfte der Ernte)

 

 

 

 

verkauft:

verbraucht

Getreide

27 dz

zu 125 Lire

375 Lire

3000

Bohnen

60 kg

2

_

120

Kartoffeln

4 dz

„   40

_

160

Puffbohnen

5 „

„ 100

500  „

 

Hafer

5 „

„   80

400  „

 

Wicken

2 „

„ 100

200  „

 

Wein

40 „

„ 125

 

 

Wein

10 „

„ 120

47S0  „

1450

Öl

26 kg

8

208

Ölkuchen

80 „

„     0,6 „

48   „

 

Wolle

10 „

9

90   „

 

Käse

20 „

„   10

100  „

100

Schweinefleisch

55  „

„     5

275

Hühner

 

250   „

360

Eier

125 Dtzd.

„     5

300   „

325

Gänse

5 St.

„   30

150

Essig

20 kg

„     1

 

20

Gemüse

 

 

 

300

Vieh

 

 

 

2000  „

_-

Mietwert der Wohnung

 

 

_

450

Brennstoff

 

 

 

 

280

Verschiedene Zuschüsse

 

 

266  „

_

      9279 Lire 7198 Lire
      zusammen: 16477 Lire

Diesen Gesamteinkünften der Familie von acht Köpfen stehen zweierlei Arten von Ausgaben gegenüber: Ausgaben für die Wirtschaft und ihren Betrieb und Ausgaben für Ernährung, Kleidung und Erhaltung der Familie.

Ausgaben für den Betrieb:

 

 

 

in Geld

in natura

Renovierung, Erhaltung

200 Lire

— Lire

Brennstoff für Dreschen

40  „

Viehfutter

250  „

Düngemittel

300  „

 

Feuerversicherung

30  „

Schädlingsbekämpfung

250  „

Ausgaben beim Viehverkauf

 

 

(Reisen, Spesen usw.)

400  „

Hühnerstall (Erweiterung)

200  „

50   „

Hühnerstall (Erhaltung)

145   „

 

1670 Lire

195 Lire

 

zusammen:

1 865 Lire;

Ausgaben für die Familie:

 

 

 

in Geld

in natura

Essen

3451 Lire

6273 Lire

darunter: Getreide

(-) »

(3000) „

Öl

(992) „

(203) „

Rindfleisch

(1000) „

Schweinefleisch

(275) „

Wein

(-)

(1450) „

Wohnung

 

450   „

Abnützung

 

Möbelreparatur

200  „

Brennstoff

140  „

280  „

Beleuchtung

200  „

Kleidung

 

 

Erneuerung, Reparatur

1 540  „

 

Waschseife

50  „

 

Kirche

90   „

Tabak

340   „

 

 

6011 Lire

7003 Lire

 

 

 

 

 

in Geld

in natura

 

 

Übertrag:    6011 Lire

7003 Lire

 

Theater, Kino

50   „

 

Feste

100  „

            »)

 

Arzt

150  „

            f »

 

Mitgliedsbeiträge

30   „

 

 

Lohn an den Garzone

400  „

 

 

Steuern

300  „

 

 

 

7041 Lire

7003 Lire

 

 

zusammen :

14044 Lire

 

Das macht eine Gesamtausgabe für den Haushalt von 14 044 Lire. Rechnet man hierzu die Ausgaben für die Wirtschaft, so betragen die Gesamtausgaben 15909 Lire. Es bleibt also gegenüber den Einkünften ein Rest von 568 Lire Überschuss. Wie kommen diese Einkünfte nun zustande? Wie sieht das Leben mit diesen Einkünften aus? Wie viel verdient der einzelne? Wie viel muss er arbeiten, um sich sein Leben zu verdienen? Erst die Beantwortung dieser Fragen gibt uns ein Bild, was die Halbpacht wirklich für die Landleute darstellt.
Bei diesem Punkt der Aufzeichnungen gab es einen kleinen Streit. In dem Material der Beobachtungsstation war die Gesamtzahl der Arbeitsstunden der Massaia mit 3 655 Stunden im Jahre aufgestellt. Für den Capoccia waren nur 2587 Stunden errechnet. Ich fragte verwundert, ob das richtig sei, dass die Frau soviel mehr arbeite als die Männer.
„Natürlich", sagte die Massaia stolz. „Das ist doch immer so. Ich habe den ganzen Tag von früh bis spät im Haus zu tun. Ich steh' doch als erste auf und leg' mich als letzte hin. Ich muss das Essen machen und nach den Hühnern sehen und die Stuben aufräumen und für den Gemüsegarten sorgen und die Schweine füttern und dann noch die Kleider ausbessern und die Kinder waschen . . ."
„Na ja", unterbrach sie der Mann. „Aber faulenzen wir vielleicht?"
„Da, sehen Sie! Das ist doch gar nicht gerecht! Das stimmt ja gar nicht! Hier steht bei Pasquale, meinem Bruder" - Pasquale hatte
Er blickte in meine Zahlen:
die Funktion des Bifoico, des Viehwarts, inne - „dass er über 3000 Stunden arbeitet. Aber der arbeitet doch weniger als wir! Dem seine Arbeit möchte ich haben! Also da muss man schon gerecht sein und uns mindestens ebenso viel Stunden anschreiben. Und mir besonders. Denn es ist doch klar, dass ich mehr zu tun habe als die anderen. Ich gehe mit ihnen aufs Feld. Aber außerdem muss ich mit dem Herrn verhandeln und über den Rechnungen sitzen und den Händler besuchen - denken Sie vielleicht, dass alle diese schönen Zahlen hätten zusammengestellt werden können, wenn ich meine Buchführung nicht instand hätte?" Es war inzwischen Abend geworden, und die Söhne waren nach Hause gekommen. Sie hatten sich diesen Streit mit angehört. Und jetzt war an ihnen die Reihe zu protestieren. Wenn einer mehr zu tun hätte, dann seien sie es. Was es schon für eine Arbeit sei, die Bücher zu führen und die Hühner zu füttern! Aber pflügen und graben, Dung schleppen und die Puffbohnen behäufeln, das sei erst richtige Arbeit. Der Vater - nun ja, er arbeite auch auf| dem Felde. Aber bestimmt nicht soviel wie sie, und dann mache er meistens die „bessere Arbeit".
Aber es meldet sich noch eine Anwärterin auf die höchste Arbeitsleistung: die andere Maria, die Frau des ältesten Sohnes. Stolz zeigte sie auf meine Tabelle: hier kann man doch gleich sehen, wer am meisten arbeitet! 3400 Stunden im Hause und 400 Stunden auf dem Felde. Und wenn es bei den 400 Stunden im Jahre bliebe! Eines ergab sich mit Sicherheit aus diesem Streit: Die Angaben der Beobachtungsstation in diesem Punkte waren nicht zuverlässig. Sie waren offensichtlich schöngefärbt, um das Resultat der Untersuchung weniger furchtbar zu machen. Nach der Berechnung der Agrarspezialisten ergab sich nämlich ein Stundenlohn von 0,98 Lire. Das wäre wenig, bedeutend weniger als ein Tagelöhner und Lohnarbeiter bekommt. Schon diese Zahl würde genügen, um den unter alten Traditionen versteckten Ausbeutungscharakter der Halbpacht aufzudecken. Die Korrekturen, die ich nach dem Streit über die Arbeitszeit in meinem statistischen Material eintragen musste, machten das Bild aber erst vollends klar.
Nach langem Hin und Her einigten wir uns darauf, dass man ungefähr richtig gehen würde, wenn man eine Durchschnittsarbeitszeit für jedes Familienmitglied von 3500 Arbeitsstunden im Jahre annähme. Nur für den zwölfjährigen Garzone einigten wir uns auf 2500. Unter Zugrundelegung dieser auch sicher noch optimistischen Zahlen ergeben sich 27 000 Arbeitsstunden für den ganzen „Podere," darunter 20 000 Stunden für Feldarbeit, was mehr als 2000 Stunden für den Hektar ausmacht. 27 000 Stunden muss die Familie von acht Köpfen arbeiten, um eine Einnahme von rund 16 500 Liren zu erzielen. Das heißt, dass in einer Arbeitsstunde 0,61 Lire verdient werden, was etwa 13 deutschen Pfennigen gleichkommt!
Aber auch das gibt noch kein richtiges Bild. Denn von diesen Einkünften muss ja wieder ein Teil in den Betrieb gesteckt werden. Wir müssen die einzelnen Posten der Ausgaben für die Hauswirtschaft untersuchen. Und dann stellt sich heraus, dass in der Familie pro Kopf 1215,50 Lire jährlich oder noch nicht einmal 3,40 Lire = 73 Pfennig täglich für Essen ausgegeben werden! Für Kleider und Wäsche darf im Jahre 192,50 Lire pro Kopf ausgegeben werden. Aber ein einfacher Arbeitsanzug kostet allein ungefähr 200-250 Lire. Und noch nicht genug: Wir haben schon gesehen, dass seit der Aufstellung dieser Berechnung die Lage immer schlimmer geworden ist. Die Preise für Wein und Vieh, also für die Produkte, die die Hauptgeldeinnahmequelle darstellen, sind inzwischen weiter gesunken, das heißt, dass mit den Einkäufen an Fleisch, Öl und Kleidung immer mehr gespart werden muss. Ich hatte die Auswertung dieser Zahlen nicht erst für die Zeit aufgehoben, bis ich unten in der Stadt alles in Ruhe nachrechnen konnte. Der Streit über die Arbeitszeit hatte die Gemüter erregt, und jetzt waren alle interessiert, zu erfahren, wie viel sie nun eigentlich verdienten. Wir saßen also zusammen und rechneten. Der Capoccia und der Bifolco wetteiferten in der Vorführung ihrer Rechenkünste. Aber auch die Söhne wussten mit Zahlen umzugehen.
Das Endergebnis unserer Berechnungen kam für alle unerwartet. Es platzte wie eine kleine Bombe in den Frieden der Familie hinein.
Der jüngste Sohn Nello war der erste, der versuchte, Schlussfolgerungen aus unseren Rechnungen zu ziehen.
„Siehst du, siehst du, Vater! Habe ich es nicht immer gesagt? Es ist doch ein Blödsinn, so zu arbeiten! Für 61 Centesimi die Stunde! Und sicher stimmt das noch nicht einmal. Dass ich nur für 3,40 Lire am Tage zu fressen kriege, das habe ich gemerkt!" Die Massaia sah ihn empört an. Sie fühlte sich in ihrer Hausfrauenehre gekränkt. Sie suchte Unterstützung bei ihrer Hausgehilfin, der zweiten Maria. Aber da kam sie an die richtige. „Natürlich hat er recht! Ich habe es Virgilo schon tausendmal gesagt, dass es ein Quatsch ist, hier oben zu hocken. Ich will ja nichts gegen den Capoccia sagen. Er kann ja auch nichts dafür, Aber unten im Tale oder gar in der Stadt verdient man ganz anders."
„Wie du dir das so vorstellst!"
Der älteste Sohn des Hauses, ihr Mann, fiel ihr ins Wort „Denkst du vielleicht, du findest da überhaupt Arbeit? Geh bloß mal über den Berg, ins Arnotal 'rüber. Da kannst du sehen, wie sie arbeiten! Die ganzen Gruben liegen still. Die Spinnerei und die keramische Fabrik arbeiten nur drei Tage in der Woche, Denkst du, ich habe nicht schon herumgehorcht? Oder frage einmal Rinaldo, wie es seinem Vater geht. Nein, da bleibe ich schon lieber hier und schufte mich ab. Ein Stück Brot, einen Teller Bohnen und ein Glas Wein hat man dann auf jeden Fall immer noch
„Jawohl, so lange bis die Schulden bei dem Herrn so ins Kraut geschossen sind, dass der „Fattore" dich höflich daran erinnert, wem eigentlich das Land und das Haus gehören. Dann kannst du deinen Kram packen und losziehen. Und kannst dir deine Bohnen und dein Korn und deine Weinstöcke anderswo suchen." Es war Nello, der jüngste, unverheiratete Sohn, der dem Streit diese gefährliche Richtung gab, indem er an den Herrn und an den „Fattore" erinnerte und daran, dass man ja nur „zu Gaste" war. Alle wussten, woran er dachte: Viele der Halbpächterfamilien sitzen seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten auf ihrem „Podere". Sie betrachten das Land als ihr Eigentum und liefern die Hälfte der Ernte an den Besitzer ohne zu fragen und mit derselben Selbstverständlichkeit ab, wie man sein Geld in den Klingelbeutel in der Kirche legt. Das alles schien eine ewige und unerschütterliche Ordnung zu sein. Aber dann war es geschehen, dass eine der
alten Pächterfamilien nach der andern vor die Tür gesetzt wurde. Sie waren in Schulden geraten, und die Herren konnten das Land, vor allem in der Nähe der Städte, doch billiger mit Tagelöhnern bearbeiten. Die Drohung der Kündigung schwebt jetzt über vielen der alten Pächterfamilien. Der Capoccia machte dem Streit ein Ende: „Das könnte euch so passen! Hier von unserem alten Land weggehen, 'runter in die Städte, wo es Kinos gibt und Mädchen und wo man acht Stunden arbeitet! Aber das gibt es nicht. Die Nation fordert, dass wir auf unserem Lande bleiben und das Volk ernähren. Unser Duce hat uns diese Aufgabe gestellt, und es ist unsere heilige Pflicht, sie zu erfüllen. Zu lange haben sich die Italiener in den Städten herumgetrieben. Es ist Zeit, dass sie zur Mutter Erde zurückkehren ..."
Der Capoccia war aufgestanden und hatte sich in die Brust geworfen. Das Parteiabzeichen glänzte. Er redete wie ein Leitartikel aus der faschistischen Lokalzeitung. Wie er so dastand, war er nicht mehr der alte, armselige Halbpächter Faustino P., sondern der Vertreter der Ordnung, ein kleiner Duce. Ich verstand jetzt, warum er das Parteiabzeichen trug. Auch seine schon so kleine Familie war von der weiteren Auflösung bedroht. Die väterliche Gewalt allein reichte gegenüber den aus dem Hause hinausstrebenden Söhnen nicht mehr aus. In kritischen Augenblicken verwandelte er sich in den Vertreter der Staatsmacht, hinter dem nicht nur die Nation und der Duce, sondern auch die Miliz und die Gendarmerie und die Gesetze über den Abschub der Arbeitslosen aus den Städten in ihre ländliche Heimat stehen.
Nello hörte sich die Rede nicht bis zu Ende an. Er stand auf, ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
„Der Junge versteht eben noch nichts", sagte der Vater schließlich zu mir gewandt.
Aber ich hatte verstanden. Wieder hatte ich ein kleines Stück Klassenkampf miterlebt, der in eigenartiger Verkleidung auch in diese patriarchalischen Familien eingezogen ist. Jetzt hatte ich sie kennengelernt, die verschiedenen Gestalten des Italienischen Landvolks: die Halbpächter und Pächter, die Landarbeiter und Tagelöhner. Es ist ein fleißiges und kluges Volk. Die
Leute haben bessere Zeiten gesehen und sind nun gewaltsam ins Mittelalter zurückgestoßen.
In den Bergstädten der Abruzzen habe ich am Schluss unserer Gespräche verschiedenen Bauern erzählt, dass es auch in Deutschland eine Partei gibt, die den Faschismus bei uns einführen will. Sie berufe sich auf Italien als Beispiel.
„Sollen wir dieser Partei Folge leisten, sollen wir den Faschismus bei uns einführen?"
Die Antwort, die ich bekam, war stets die gleiche. Beinah erschreckt sahen mich die Leute an.
„Den Faschismus einführen? Um Gottes willen nicht! Faschismus ist das Schlimmste, was geschehen kann."
„Ich habe die Welt gesehen", sagte ein andrer; er hatte mich auf dem Platz im reinsten Bayrisch angeredet, in das er nur hie und da ein paar Worte Amerikanisch flocht. „So besonders schön ist es für unsereinen ja auf der ganzen Welt nicht. Aber solche Zustände, wie wir sie jetzt haben, habe ich doch noch nicht gesehen. Wenn ich nur wieder fort könnte! Aber sie lassen einen ja nicht 'raus. Und hier darf man ja nichts sagen. Man muss zu Hause sitzen und schweigen. Sagen Sie Ihren Bauern, was ich Ihnen sage: den Faschismus sollen sie auf keinen Fall bei sich großwerden lassen ..."

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